Neue Mietobergrenzen für Kiel ab 01.01.2023

Die Kieler Ratsversammlung hat heute neue Regel-Höchstbeträge für anzuerkennende Mieten (Mietobergrenzen) in der Leistungsgewährung von Hilfen nach dem SGB II und dem SGB XII ab 01.01.2023 beschlossen. Die Anpassung der Beträge erfolgt auf der Grundlage des qualifizierten Mietspiegels 2023, der am 01.04.2023 in Kraft getreten ist. In diesem Zuge wurden auch die Beträge für einmalige Leistungen und einmalige Beihilfen neu festgesetzt. Aus dem Beschluss:

Kosten für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II, § 42a SGB XII)

Die Anpassung der Mietobergrenzen ist erforderlich geworden, da aufgrund der Neuerstellung des Kieler Mietspiegels 2023 auch die Regel-Höchstbeträge für anzuerkennende Mieten (Mietobergrenzen) in der Leistungsgewährung von Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) und dem Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) entsprechend anzupassen sind. Das Bundessozialgericht hat festgestellt, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung durch ein schlüssiges Konzept auszugestalten ist. Nach der Erstellung des Mietspiegels und dem Beschluss durch die Ratsversammlung wurden die neuen Mietobergrenzen von einem hierfür beauftragten Institut nach wissenschaftlichen Grundsätzen ermittelt und sind in der unten aufgeführten Tabelle für die verschiedenen Haushaltsgrößen aufgestellt. In den Beträgen ist ein Anteil für kalte Betriebskosten i.H.v. 1,81 Euro / m² enthalten.

Personen im HaushaltAnzuerkennende Wohnungsgröße (in m²)Mietobergrenze in EUR (2023)nachrichtlich:Mietober-grenze in EUR (2021)
1-Personenhaushalt< 50439,00397,00
2-Personenhaushalt> 50 – < 60519,00466,00
3-Personenhaushalt> 60 – < 75650,50610,50
4-Personenhaushalt> 75 – < 90795,00723,00
5-Personenhaushalt> 90- < 105946,50845,50
6-Personenhaushalt> 105 – < 1151.037,00925,50
7-Personenhaushalt> 115 – < 1251.127,001.005,50
Mehrbetrag für jedes wei­tere Familienmitglied1090,10 80,00 

Renovierungskosten (§ 22 Abs. 6 SGB II / § 35 Abs. 2 SGB XII)

Beihilfen für Renovierungen sind als Kosten der Unterkunft zu bewilligen, soweit sie notwendig sind und die Verpflichtung zur Renovierung rechtmäßig auf die/den Mieter/in übertragen wurde.

Die Renovierung umfasst das Streichen und Tapezieren von Wänden und Decken, das Streichen der Zimmertüren, den Innenanstrich der Fenster und der Wohnungstür sowie der Heizkörper einschließlich der Rohre.

Die sich ergebende insgesamt zu renovierende Grundfläche ist jeweils auf die nächsten vollen 45 m² aufzurunden. Folgende Kosten ergeben sich bei:

– Wandfläche bis zu   45 m² = 141,00 EUR

– Wandfläche bis zu   90 m² = 282,00 EUR

– Wandfläche bis zu 135 m² = 423,00 EUR

– Wandfläche bis zu 180 m² = 564,00 EUR

– Wandfläche bis zu 225 m² = 705,00 EUR

– Wandfläche bis zu 270 m² = 846,00 EUR

– je weiteren angefangenen 45 m² Wand zzgl. 141,00 EUR

Aufwandsentschädigung für private Hilfe

Auf Antrag kann für private Hilfe (Freunde, Bekannte, Nachbarn) eine pauschale Aufwandsentschädigung in Höhe von 50,00 EUR bewilligt werden.

Die einmaligen Beihilfen in der Leistungsgewährung von Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch II (§ 24 Abs. 3 SGB II) und dem Sozialgesetzbuch XII (§ 31 Abs. 1 SGB XII) werden auf der Grundlage aktuell durchgeführter Preisermittlungen und aktueller Bedarfe wie folgt neu festgesetzt. Sämtliche genannte Pauschalen wurden durch Preisermittlung im Kieler Einzelhandel im ersten Quartal 2023 ermittelt.

Zum Vergleich werden die bisher gültigen Werte mit angegeben. Aufgrund der Neuaufnahme von bisher nicht erfassten Bedarfen war dies jedoch nicht in jedem Fall möglich. 

Erstausstattung mit Möbeln (§ 24 SGB II / § 31 SGB XII):

Pauschalen für Wohnungen ohne vorhandene Küchenausstattung

  • Einzelperson: 1.116,07 Euro
  • Einzelperson mit 1 Kind: 1.157,39 Euro
  • Einzelperson mit 2 Kindern: 1.315,88 Euro
  • Einzelperson mit 3 Kindern: 1.658,88 Euro
  • Paar ohne Kinder: 1.576,39 Euro
  • Paar mit 1 Kind: 1.645,22 Euro
  • Paar mit 2 Kindern: 2.077,88 Euro
  • Paar mit 3 Kindern: 2.149,88 Euro

Pauschalen für Wohnungen mit vorhandener Küchenausstattung

  • Einzelperson: 900,42 Euro (bisher 331,00 Euro)
  • Einzelperson mit 1 Kind: 941,75 Euro (bisher 506,00 Euro)
  • Einzelperson mit 2 Kindern: 1.100,24 Euro (bisher 702,00 Euro)
  • Einzelperson mit 3 Kindern: 1.443,23 Euro (bisher 877,00 Euro)
  • Paar ohne Kinder: 1.360,75 Euro
  • Paar mit 1 Kind: 1.429,57 Euro
  • Paar mit 2 Kindern: 1.862,23 Euro
  • Paar mit 3 Kindern: 1.934,23 Euro

Für jedes weitere Kind werden jeweils ein Stuhl (plus 41 Euro) und eine Sitzgelegenheit (plus 90 Euro) hinzugerechnet, ab 7 Personen ein großer Küchentisch (plus 268 Euro).

Zusätzlich zu den o.g. Pauschalen kommen pro Kind 279,95 Euro für Schrank, Bett und Matratze sowie 48,32 Euro für eine Schreibgelegenheit bei Schulbesuch hinzu.

Ausstattung Küche: Pauschalen für Schränke:

  • Schrank für die Spüle: 99,33 Euro
  • 1 Oberschrank:  51,66 Euro (bisher 27,00 Euro)
  • 1 Unterschrank: 64,66 Euro (bisher 40,00 Euro)

Elektrogroßgeräte/Lampen:

  • Standherd komplett (mit Backofen und Herdplatte) 266,00 Euro (bisher 189,00 Euro)
  • Kühlschrank 133,99 Euro (bisher 119,00 Euro)
  • Waschmaschine 236,00 Euro (bisher 200,00 Euro)
  • Kochplatte (vier Felder) 210,32 Euro
  • Backofen 239,96 Euro

(Ein Nachweis vom Vermieter, dass die Geräte bzw. Schränke nicht in der Wohnung vorhanden sind, ist verpflichtend vorzulegen.)

  • Lampen (inklusive Leuchtmittel) je Raum 9,00 €.

Hausratpauschale:

Für die übrigen Hausratgegenstände werden im Rahmen einer Erstausstattung folgende Pauschalen als Geldleistung bewilligt:

  • Haushalt mit 1-Person  = 495,00 EUR (bisher 303,00 Euro)
  • Haushalt mit 2-Personen = 573,00 EUR (bisher 370,00 Euro)
  • Haushalt mit 3-Personen = 651,00 EUR (bisher 437,00 Euro)
  • Haushalt mit 4-Personen = 729,00 EUR (bisher 504,00 Euro)
  • Haushalt mit 5-Personen = 930,00 EUR (bisher 634,00 Euro)
  • je weitere Person zusätzlich = 78,00 EUR (bisher 67,00 Euro)

Stehen nur einzelne Mitglieder eines Haushalts im Leistungsbezug, erhalten sie die kopfanteilige Pauschale der für den Gesamthaushalt maßgeblichen Hausratpau­schale.

Erstausstattung für Bekleidung nach § 24 Abs. 3 Nr. 2 SGB II / § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII

  • Kinder bis 2 Jahren  = 250,00 Euro
  • Kinder von 3 bis 14 Jahren = 308,00 Euro
  • Personen ab 15 Jahren = 418,00 Euro

Sonderbedarf bei Schwangerschaft und Entbindung nach § 24 Abs. 3 Nr. 2 SGB II / § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII

  • Ab dem 4. Schwangerschaftsmonat wird grundsätzlich eine Pauschale in Höhe von 363,00 EUR bewilligt, die den Bedarf für Umstandsbekleidung und Klinikbedarf aus Anlass der Entbindung ab­deckt. (bisher 194,00 Euro)

Säuglings- und Kinderausstattung nach § 24 Abs. 3 Nr. 2 SGB II / § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII

  • Erstlingsausstattung für den Bedarf der ersten sechs Lebensmonate: Pauschale in Höhe von 383,00 Euro. Die Auszahlung erfolgt ab dem 7. Schwangerschaftsmonat. (bisher 225,00 Euro)

Auf Antrag können weitere Beihilfen zusätzlich zur Pauschale gewährt werden:

  • Kombikinderwagen mit Matratze, Fußsack u. Regenverdeck 300,00 Euro (bisher 100,00 Euro)
  • Buggy Board für Geschwisterkinder 40,00 Euro (bisher 40,00 Euro)
  • Zwillingskinderwagen mit Matratzen, Fußsäcken u. Regenverdecken 220,00 Euro (bisher 200,00 Euro)

Auf der Suche nach den durchschnittlichen Kieler Betriebskosten, Teil 2

Dr. Klaus-Uwe Gerhardt  / pixelio.de

(c) Dr. Klaus-Uwe Gerhardt / pixelio.de

Die Höhe der nach § 22 SGB II und § 35 SGB XII maximal zu übernehmenden Mieten (Mietobergrenzen) bestimmen sich in Kiel nach den durchschnittlichen Nettokaltmieten im Marktsegment der einfach ausgestatteten Wohnungen (unteres Drittel, dazu Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 06.12.2011,  L 11 AS 97/10, Kurzbesprechung hier) zuzüglich kalter Betriebskosten in „angemessener“ Höhe.

BSG: Betriebskostenspiegel

Nach der Rechtsprechung des BSG (etwa Urteil vom 22.08.2012, B 14 AS 13/12 R, Rz. 27 – zum Kieler Mietspiegel) ist es zulässig, dort, wo statistische Daten zur Bestimmung „angemessener“ Betriebskosten gerade im unteren Wohnsegment nicht vorliegen, auf bereits vorliegende Daten aus örtlichen Betriebskostenspiegeln und dabei auf die sich daraus ergebenden Durchschnittswerte zurückzugreifen. Für die Landeshauptstadt Kiel werden beginnend ab dem Jahre 1992 alle zwei Jahre qualifizierte Mietspiegel im Sinne von 558d BGB erstellt, welche auch einen Betriebskostenspiegel enthalten. Die Betriebskostenspiegel weisen seit 2006 folgende durchschnittliche Betriebskosten aus:

Mietspiegel 2006: 1,93 €/qm
Mietspiegel 2008: 1,89 €/qm
Mietspiegel 2010: 1,77 €/qm
Mietspiegel 2012: 1,91 €/qm

Schleswig-Holsteinisches LSG: Unteres Drittel

Diese durchschnittlichen Betriebskosten, welche eine Mehrheit der Kammern am SG Kiel ihren Mietobergrenzenberechnungen zutreffend zugrunde legt, weichen deutlich von den Berechnungen des Schleswig-Holsteinischen LSG ab, welches auf der Grundlage etwa des Betriebskostenspiegels 2006 zu einem Wert von 1,37 €/qm gelangt (SH LSG a.a.O.). Obgleich dass BSG dem Schleswig-Holsteinischen LSG bescheinigt hat, mit seiner Rechtsprechung habe „das LSG die Maßstäbe zur Bestimmung der abstrakt angemessenen kalten Betriebskosten verkannt“ (BSG, Urteil vom 22.08.2012, B 14 AS 13/12 R, Rz. 26), beabsichtigt das Schleswig-Holsteinische LSG, an seiner unzutreffenden Rechtsprechung mit ausgetauschter Begründung festzuhalten (mehr hier).

Ausgangspunkt des Schleswig-Holsteinischen LSG wie auch einiger verbliebener Kammern am SG Schleswig ist nach wie vor die – freilich verfehlte – Annahme, bei Wohnungen im untereren Marktsegment seien notwendig auch die Betriebskosten geringer. Bereits das BSG (a.a.O. Rz. 28) hat zutreffend darauf hingewiesen, dass „gerade bei größeren Wohnanlagen, die in Großstädten auch den Wohnungsmarkt im unteren Marktsegment zumindest mitprägen, (…) typischerweise sämtliche Kosten nach § 556 Bürgerliches Gesetzbuch“ anfallen.

Tatsächliche Durchschnittswerte der KWG

Dies belegen auch die konkreten, von mir bei einem großen Kieler Vermieter ermittelten Zahlen: Unter der KWG werden rund 9.400 Wohnungen verwaltet. Die KWG hat auch heute noch überdurchschnittlich viele Mieter, die im Grundsicherungsbezug leben (1999 rund 50 % , vgl. die Pressemitteilung des Kieler Mietvereins vom 30.06.1999) und stellt damit genau jenen Wohnraum zur Verfügung, auf den das Schleswig-Holsteinische LSG zur Berechnung der durchschnittlichen Betriebskosten gerade im unteren Wohnsegment abstellen möchte. Für ihren gesamten Wohnungsbestand hat die KWG folgende durchschnittliche Betriebskosten ermittelt:

2008: 1,79 €/qm
2010: 1,78 €/qm

Dabei ist zur berücksichtigen, dass gerade im KWG-Bestand bei vielen Wohnungen Frisch- und Abwasserkosten von den Mietern über separate Versorgungsverträge direkt mit den Stadtwerken Kiel AG abgerechnet werden, die mit weiteren rund 0,45 €/qm in die Berechnung der durchschnittlichen Betriebskosten einzustellen sind (vgl. Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 170 vom 29.04.2011: 440,99 € / 12 Monate / 80 Quadratmeter = 0,4593 €/qm).

Fazit

Die tatsächlichen durchschnittlichen Betriebskosten von rund 9.400 Kieler Wohnungen im unteren Marktsegment belegen, dass die Betriebskosten bei einfachen, den grundlegenden Bedürfnissen entsprechenden Wohnungen nicht geringer, sondern – unter Berücksichtigung der Wasserkosten – sogar über den durchschnittlichen Betriebskosten in Kiel liegen. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, denn gerade die Wohnungen, die in den 70iger Jahren als Sozialwohnungen errichtet wurden, verfügen häufig über pflege- und damit kostenintensive Außenanlagen, Aufzüge und aufgrund ihrer Größe Hausmeistereien. Diese Kosten werden von der Vermieterseite als Betriebskosten auf die Mieter umgelegt. Es bleibt zu hoffen, dass sich das Schleswig-Holsteinische LSG dieser im Grunde einfachen Erkenntnis nicht weiterhin verschließen wird.

Mehr zum Thema:

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht kann Kieler Mietobergrenzen nicht bestimmen

Auf der Suche nach den durchschnittlichen Kieler Betriebskosten

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


50plus KERNig: 800 neue Jobs oder nur 800 neue Arbeitsverträge für die Statistik?

(c) Angela Parszyk / pixelio.de

Nach eigenen Angaben der kooperierenden Jobcenter Kiel, Neumünster und Rendsburg-Eckernförde betreut das Gemeinschaftsprojekt 50plus KERNig 3.200 Kunden, von denen 1.100 im Jahr erfolgreich in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vermittelt werden sollen. Seit dem offiziellen Start des Projekts im März 2011 sollen mittlerweile bereits 800 Bewerber über 50 durch die Mitarbeiter des Projekts in Arbeit gebracht worden sein. In den Kieler Nachrichten vom 10.12.2011 fragte Jürgen Küppers mit vernehmlichem Erstaunen „Wo sind denn die vielen Jobs?“ In der Tat grenzen die Erfolgsmeldungen der Projektleiterin Barbara Veldten geradezu an ein Wunder. Sollte sich das Problem der Arbeitslosigkeit bei über 50jährigen tatsächlich wie von Zauberhand lösen lassen? Genügt es, einfach „den größten Arbeits- und Bildungsmarkt in Schleswig Holstein“ zu erschließen und die „Fähigkeiten und Ressourcen aller Beteiligten zu bündeln“, wie es in den schönsten Werbefloskel auf der Website des Projekts mit dem grünen Logo heißt?

„Gutes“ Stellenangebot vor allem bei Callcentern

Wer von der Projektleiterin Zauberformeln erwartet, wird schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Vor allem im Dienstleistungsbereich, so lautet die Auskunft der „Arbeitsmarktexpertin“, gebe es mitterweile ein gutes Stellenangebot. Welcher Dienstleistungsbereich gemeint ist, wissen Kunden des Jobcenters Kiel sofort: Die selbsternannten „Premiumanbieter“ von „Dialogmarketing„, die sich auf den Brachflächen der Hörn niedergelassen haben, kurzum: Callcenter.

Ob dieses Stellenangebot tatsächlich ein „gutes“ ist, daran scheinen sogar die Journalisten der Kieler Nachrichten allmählich Zweifel zu beschleichen. Liest sich der vollständige Bericht in der Printausgabe der Kieler Nachrichten noch, als sei dieser den KN von einem der „Premiumanbieter“ höchstpersönlich in die Feder diktiert worden, so fragen die Kieler Nachrichten in ihrer Online-Ausgabe jetzt unter dem immer noch euphemistischen Titel „Kiel – Jobmotor Callcenter: Attraktive Arbeit oder schlecht bezahlter Stressjob?“. Betroffene werden dort aufgefordert, den KN ihre Erfahrungen zu schildern.

Ein Erfahrungsbericht

Im Call-Center

Nun bin ich wieder zurück im Jobcenter 50+. Als Call-Center-Agenten wollte mich die Firma Avocis in Kiel auf Dauer nicht haben. Der Personalchef und der Abteilungsleiter nannten nach fünf Wochen drei Gründe für meine Kündigung: zu wenige Calls, wobei die Anzahl aber nicht im Vordergrund stehe, sondern vor allem zu wenig fachkompetent wirkend, und zu lange Gesprächspausen am Telefon.

Von zehn Leuten, die angefangen waren, sind nun nach mir nur noch dreieinhalb da. Halb, weil ein Mädchen nur halbtags arbeitet. Die anderen sind alle vor mir gegangen, von selbst. Ich war der einzige, der „die Stellung“ bis zur „gewaltsamen Entfernung“ gehalten hat. Eine Mitanfängerin hatte ein paar Tage vor mir freiwillig aufgehört. Sie war so fertig, dass sie nicht mehr konnte, – ihre Erschöpfung stand ihr im Gesicht. Sie hat einen Aufhebungsvertrag unterschrieben, um dem Stress ein Ende zu setzen. Mir war’s lieber, eine richtige Kündigung zu erhalten, als selbst einen für mich bestimmt nachteiligen Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen. Richtig traurig bin ich nicht darüber, dass ich nicht mehr acht Stunden ein Call hinter dem anderen abarbeiten muss. Für 7,5 € die Stunde. Meine Sachbearbeiterin vom Jobcenter hatte von neun gesprochen. Wie ich dann im Laufe der Schulung gelernt habe, gibt es sieben als Grundlohn. Dazu kommen vier Prämien, – wenn sie dazu kommen?

Die erste ist für rege Teilnahme. Man muss mindestens zwischen 85 und 90 Prozent (den genauen Wert weiß ich nicht mehr) der Arbeitszeit auch wirklich telefonieren. Macht man mehr Pausen, fällt der Bonus von 50 Cent je Stunde weg. Pausen muss man aber machen, sonst hält man das Dauer-Telefonieren mit den oft genervten Kunden nicht durch. Schließlich hängen die in der Regel eine Viertelstunde in der Warteschleife und haben ein Problem. Erst mal den Kunden auffangen, habe ich in der dreiwöchigen Schulung gelernt: „Jetzt aber bin ich für sie da!“ Das heißt, nachdem ich um die siebeneinhalb Stunden am Tag für die Kunden der Telekom dagewesen bin, gibt’s dafür 50 Cent plus. Um aber wirklich auf acht Stunden Verdienst zu kommen, müsste man länger arbeiten. „Ich müsste mal nachfragen, ob ich neun Stunden arbeiten kann, um auf die acht Stunden zu kommen?“, hatte sich einer der mit mir angefangen Kollegen überlegt.

Den zweiten Bonus gibt’s für die Einhaltung der Call-Zeit. Ein Gespräch soll nämlich nicht mehr als 520 Sekunden dauern. Spricht man, oder der Kunde mit einem, länger, bezahlt die Telekom an seinen Subunternehmer Avocis trotzdem nur für 520. Dem Agenten wird zwar für das Überschreiten der Zeit nichts abgezogen, aber er kriegt die Prämie nicht. Damit die 520 bezahlten Sekunden im Focus der Agenten bleiben, bekommen sie etwa dreimal am Tag die durchschnittlichen Call-Zeiten per E-mail auf den Rechner. In der Tabelle sind die Mitarbeiter, anonym per Personalnummer, und ihre Zeiten aufgelistet. Oben stehen zuerst die langsamen Zeiten in Rot, unten die schnelleren Zeiten in Schwarz. Rot ist alles, was über 590 Sekunden ist. Den Bonus gibt’s nämlich gestaffelt von 520 bis 590 Sekunden. Wer 520 im Durchschnitt schafft, kriegt 50 Cent Bonus auf die Stunde. Wer 590 Sekunden schafft, immerhin noch 10 Cent. Dazwischen war die Staffelung, glaube ich, wie folgt: für 540 Sekunden 40 Cent, für 560 30 Cent, für 580 20 Cent.

Die 3. Prämie gibt’s für das Erreichen des Gruppenziels. Schaffen alle Mitarbeiter die 520 Sekunden, gibt’s wiederum 50 Cent.

Die 4. Prämie gibt’s, wenn ich mich genau erinnere, für das Erreichen des Qualitätsziels. Die Telekom hat nämlich ein Marktforschungsinstitut damit beauftragt, Kunden anzurufen und sie zu fragen, wie zufrieden sie mit dem Service der telefonischen Beratung waren. Ich glaube, die Kategorien, die zur Auswahl stehen, heißen: äußerst zufrieden, sehr zufrieden, zufrieden, unzufrieden oder äußerst unzufrieden. „Äußerst“ weiß ich jedenfalls genau; denn wir wurden immer wieder darauf hingewiesen, dass wir uns mit einem „Wir wünschen ihnen noch einen äußerst angenehmen Tag!“ verabschieden sollen. Das „äußerst“ sei wichtig, weil sich der Kunde dann vielleicht erinnert, sich bei der Befragung mit einem „äußerst zufrieden“ zu äußern. Liegt das Qualitätsniveau der Umfrage bei „äußerst zufrieden“, gibt’s weitere 50 Cent Prämie für alle. Das heißt, im günstigsten Falle sind in der Tat neun Euro Stundenlohn möglich.

Es wurden uns allerdings einige Umfrageauswertungen gezeigt. Die Ergebnisse darin entsprachen immer einer Glockenkurve, das heißt, die meisten befragten Kunden waren damit zufrieden, sich mit einem „zufrieden“ zu äußern. Neun Euro Stundenlohn sind also nur in der Theorie zu erreichen.

Manchmal muss der Agent jedoch in Kauf nehmen, dass der Kunde „äußerst unzufrieden“ zurückbleibt. Dann nämlich, wenn eine Dienstleistung eigentlich von einem anderen Anbieter erbracht werden müsste. Ich hatte den Fall, dass ein Kunde um einen Techniker der Telekom bat, um ein Kabel von Vodafone an die APL der Telekom anzuschließen. Nach Rücksprache mit dem sogenannten Helpdesk, der im Call-Center als Ansprechpartner bei etwaigen Fragen den Agenten zur Verfügung steht, musste ich ihm jedoch sagen, dass er sich an Vodafone wenden müsse. Anders ginge es nicht. Später fragte ich meine Ausbilderin in einer Nachschulung, ob man den Kunden nicht trotzdem hätte zufrieden stellen können. Schließlich sei er auch Telekom-Kunde. „Ich hätte ihm nur zu sagen brauchen, dass er einen Elektro-Meister anrufen soll, der das Zertifikat hat, den Anschluss der Telekom zu öffnen.“ Die Antwort war: „Das ist nicht unsere Aufgabe. Du denkst zu kundenorientiert.“

Avocis gehört übrigens einer Schweizer Bank.

Einige Nachfragen

Wissen Sie, wie hoch die Eingliederungszuschüsse waren, die ihr Arbeitgeber vom Jobcenter – d.h. vom Steuerzahler – erhalten hat?

Meines Wissens hat der AG, soll wohl in diesem Fall Arbeitgeber bedeuten, 70 Prozent gezahlt. Ich habe ein Schreiben vom JC bekommen, dass das JC 30 Prozent beisteuert. (Das ist natürlich eine Frechheit. Eine Diskriminierung.)

Können Sie sagen, mit wie vielen Leidensgenossen Sie bei Ihrem Callcenter angefangen haben und wie viele über die 12 Monate hinaus gearbeitet haben?

Ich habe mit neun weiteren angefangen. Von zwölf Monaten kann keine Rede sein, denn nach fünf Wochen waren sie nach meinem Weggang nur noch dreieinhalb.

Gab es Verträge über 12 Monate?

Mein Arbeitsvertrag war von vornherein auf zwölf Monate befristet.

Wie viele Arbeitsverhältnisse endeten circa vor 12 Monaten und wie (Kündigung, Aufhebungsvertrag, Arbeitgeberkündigung)?

Einen Aufhebungsvertrag hat man mir glücklicherweise nicht angeboten. Der Arbeitsvertrag liegt im JC. Das wollte ihn sehen, und ich habe mich nicht darum gekümmert, ihn wieder zurück zu bekommen.

Die Arbeitsvertragsgeneratoren

Erfahrungsberichte wie dieser sind hier in erheblichem Umfang bekannt. Berichtet wird unisono auch, dass schon nach wenigen Wochen ein Großteil der neu angestellten „Callcenter-Agents“ wieder das Handtuch geworfen hat. In dem hier exemplarisch geschilderten Fall waren es rund 70 % nach circa 5 Wochen. Die übrigen „Agenten“ dürften es nur unwesentlich länger ausgehalten haben. Die Kieler Erfahrungen mit der Branche sind dabei nichts Ungewöhnliches: Arbeitsplätze in Callcentern sind geeignet als Gelegenheitsjobs für Studenten oder für die Überbrückung kurzer Zeiten der Arbeitslosigkeit – auf Dauer angelegte Beschäftigungsverhältnisse sind es für die „Callcenter-Agents“ nicht. Unter anderem deswegen sind die Arbeitsverträge allesamt auch auf 12 Monate befristet.

Woher rührt nun aber die Begeisterung der Jobcenter für diese Arbeitgeber? Ein Grund ist sicherlich, dass es in Kiel schlicht an Arbeitsplatzalternativen mangelt – fehlender Entwicklungskonzepte für die Stadt sei Dank. Entscheidender dürfte indessen sein, dass die Symbiose zwischen Callcentern und Jobcentern für diese eine klassische Win-Win-Situation ist: Die Jobcenter bieten fortlaufend hoch subventionierte Arbeitskräfte frei Haus, die Callcenter „liefern“ den Jobcentern Arbeitsverträge und damit die Möglichkeit, Erfolgsmeldungen zu verbreiten – und nichts brauchen Projekte wie 50Plus KERNig zur Begründung ihrer eigenen Daseinsberechtigung schließlich mehr.

Weiterführende Links:

http://www.kununu.com/de/all/de/bc/perry-und-knorr

http://www.verdi-news.de/download/Studie_Arbeitsverhaeltnisse_im_Dienstleistungssektor.pdf

Zum selben Thema auf dieser Seite:

Förderrichtlinie für Teilnehmer am Projekt 50plus KERNig!

50plus KERNig aus der Sicht von Teilnehmern!

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Mehr Dunkel als Licht in den „Nachrichten aus dem Jobcenter“!

In der aktuellen Ausgabe der „Nachrichten aus dem Jobcenter“ fragt Frau Birgit Hannemann-Röttgers nach der Meinung der Leser zu der monatlich erscheinenden Anzeige des Jobcenters Kiel, die nach ihrem Selbstverständnis „Licht in das Dunkel von Hartz IV bringen, aufklären und die Beratungsangebote und besonderen Projekte in Kiel bekannt machen“ soll.

Wollen wir also aus gegebenem Anlass einmal anhand der aktuellen Ausgabe der „Nachrichten aus dem Jobcenter“ prüfen, ob die „Informationen“ der Anzeige-Seite Licht ins Dunkel von Hartz IV bringen. Wir greifen uns dazu kurzerhand die zwei Tabellen – jene zu den neuen Regelleistungen ab 01.01.2012 und jene zu den „neuen“ Mietobergrenzen – heraus.

Regelbedarfsstufen: Verdunkelung, powerd by Jobcenter

In der vierten Spalte der Tabelle zu den neuen Regelleistungen lesen wir, dass „Kinder ab Beginn des 15. Lj bis zum vollendeten 25. Lj“ monatlich 287 € an Unterstützung erhalten. Das ist schlicht falsch. Jugendliche von 14 bis unter 18 Jahren erhalten 287 € monatlich (Regelbedarfsstufe 4), 18 bis einschließlich 24-jährige Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft jedoch 299 € (Regelbedarfsstufe 3), die gesamte Tabelle findet sich hier.

„Neue Mietobergrenzen ab 1. Januar 2012“: Akute Verdunkelungsgefahr

Wie allgemein bekannt ist, gelten die Mietobergrenzen, berechnet auf der Grundlage der Daten des Mietspiegels 2010, nach der Rechtsprechung der örtlichen Sozialgerichtsbarkeit bereits seit dem 01.12.2010. In der Sozialausschusssitzung vom 22.09.2011 wurde vom Geschäftsführer des Jobcenters Kiel, Michael Stremlau, aus diesem Grunde zugesagt, die Möglichkeit der rückwirkenden Geltendmachung höherer Leistungen für die Unterkunft öffentlich bekannt zu machen. In der Ratsversammlung vom 24.11.2011 wurde ein Anspruch auf rückwirkend zu erbringende höhere Leistungen für Ein- und Zweipersonenhaushalte noch einmal bestätigt, wie die Kieler Nachrichten berichtet haben. Entgegen entsprechender Zusagen verschweigen die „Nachrichten aus dem Jobcenter“ diese Information.

Fazit: Mehr Dunkel als Licht in den „Nachrichten aus dem Jobcenter“

Was könnte besser gemacht werden? Mehr Gründlichkeit in der Erarbeitung der Beiträge, mehr Ehrlichkeit bei den Inhalten, weniger buntes Eigenlob. So wie sie sind, sind die „Nachrichten aus dem Jobcenter“ bloße Werbung – also (mit Steuergeldern) gekaufte positive Selbstdarstellung – einer Behörde ohne wirklichen Informationsgehalt und damit ohne Mehrwert für Hilfebedürftige.

Für Hinweis und Anregung Dank an meinen Kollegen Carsten Theden.

Siehe auch:

Vorsicht mit den „Urlaubstipps“ in den „Nachrichten aus dem Jobcenter“!

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Kiel: Rechtsansprüche Hilfebedürftiger „nicht an die große Glocke hängen“!

Wie berichtet, haben Bezieher von Leistungen nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II) und SGB XII (Grundsicherung) nach der Rechtsprechung des Sozialgerichts Kiel sowie des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts bereits seit dem 01.12.2010 Anspruch auf höhere Leistungen für ihre Unterkunft, soweit sie in Ein- bzw. Zweipersonenhaushalten leben. In Kenntnis dieser Rechtsprechung und damit im vollen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit ihres Handelns hat sich die Ratsmehrheit aus SPD, Grünen und SSW in der Ratsversammlung am 24.11.2011 dennoch dafür ausgesprochen, die Mietobergrenzen erst über ein Jahr später zum 01.01.2012 gemäß den Vorgaben der Gerichte anzupassen (Drucksache 0730/2011).

Legt rechtmäßiges Handeln in Kiel die Verwaltung lahm?

Zur Begründung hat Ratsherr Michael Schmalz (SPD) in der Ratsversammlung ausgeführt, eine rückwirkende Korrektur der Mietobergrenzen würde „die Verwaltung lahmlegen“. Woher Ratsherr Schmalz dieses Wissen hat, verrät er freilich nicht. Tatsächlich ist diese Aussage auch Unsinn. Für eine Behörde wie das Jobcenter Kiel bedeutet eine Nachzahlung zu gering erbrachter Leistungen für die Unterkunft bei einem Teil ihrer Kunden zweifelsohne Mehraufwand – „lahmlegen“ aber tut es die Behörde nicht. Die Nachberechnung von Leistungen ist für Jobcenter Alltagsgeschäft und passiert in Kiel tausendfach im Monat. Würde es stimmen, was Ratsherr Schmalz der Öffentlichkeit zu verkaufen sucht – es wäre ein Armutszeugnis für das Jobcenter Kiel. So ist es nur ein Armutszeugnis für den SPD-Ratherren selbst. Denn es zeugt nicht nur von fehlender Sachkenntnis der Funktions- und Leistungsfähigkeit der Grundsicherungsbehörden sondern auch von einem bedenklichen Verständnis unseres Rechtsstaates, wenn ein Ratsherr in der Öffentlichkeit erklärt, rechtmäßiges Handeln einer Behörde sei verzichtbar, nur weil es dieser Mehrarbeit bereiten würde.

Rechtsansprüche Bedürftiger in Kiel: Holschuld der Betroffenen

Nach Ansicht der Ratsmehrheit aus SPD, Grünen und SSW ist es ausreichend, wenn den Berechtigen höher Leistungen für die Unterkunft erst auf deren Antrag hin erbracht werden. Dass die Mitarbeiter der Grundsicherungsbehörden eine gesetzliche Verpflichtung zur Aufklärung (§ 13 SGB I), Beratung (§ 14 SGB I) und Auskunftserteilung (§ 15 SGB I) haben und die Leistungsträger verpflichtet sind, darauf hinzuwirken, dass von den Berechtigten sachdienliche Anträge auf Grundsicherungsleistungen gestellt werden (§ 16 Abs. 3 SGB I) – geschenkt! Da sieht man in Kiel geflissentlich drüber hinweg, vermutlich, weil es die kommunalen Selbstverwalter auch nicht besser wissen.

Grüne: Rechtsansprüche „nicht an die Große Glocke hängen“

Wohl in einer Mischung aus Unbedarftheit und naiver Offenheit verplapperte sich zum Abschluss Ratsherr Sharif Rahim (Grüne), als er in der Ratsversammlung allen Ernstes dafür warb, die Möglichkeit der rückwirkenden Leistungserbringung doch bitte „nicht an die große Glocke zu hängen“. Selten hat ein Ratsherr seiner eigenen Partei wohl so die Maske vom Gesicht gerissen und bloßgelegt, wie „hinter den Kulissen“ der Grünen gedacht und gesprochen wird.

Große und kleine Glocken läuten

Ein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang Boris Geißler von den Kieler Nachrichten, der dem Wunsch des grünen Ratherren Rahim, die Rechte der Bedürftigsten in unserer Stadt doch bitte möglichst unter den Teppich zu kehren, nicht nachkommen mochte und die Aussage des Ratsherren in geradezu subversiver Manier an die ganz große Glocke gehängt hat, indem er in den Kieler Nachrichten vom 25.11.2011 den Grünen kurzerhand mit seiner Aussage zitierte. So soll unabhängige Presse arbeiten, bitte mehr davon. Hofberichterstattung oder – mit den Worten Wolf Biermanns – „Kaisersgeburtstagsdichterei“ lesen wir genug.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Meldetermin: AU-Bescheinigung allein kein Nachweis für „wichtigen Grund“?

Bisher galt die Nichtwahrnehmung eines Meldetermins nach § 59 SGB II beim Jobcenter Kiel als „entschuldigt“, wenn für den Tag, an dem der Meldetermin wahrgenommen werden sollte, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) vorgelegt werden konnte. Diese Praxis hat das Jobcenter Kiel – wie auch andere Jobcenter – nun augenscheinlich geändert. Verlangt wird seit kurzem die Vorlage einer „Wegeunfähigkeitsbescheinigung“ durch den behandelnden Arzt. Dies sowie einige Anrufe teils irritierter Betroffener der letzten Tage ist Anlass genug, einmal zusammenzufassen, wann die Nichtwahrnehmung eines Meldetermins „entschuldigt“ ist bzw. in den Worten des Gesetzgebers ein „wichtiger Grund“ für das Nichterscheinen vorliegt.

Meldepflicht

Wer ALG II bezieht oder beantragt hat, unterliegt nach § 59 SGB II der allgemeinen Meldepflicht gemäß § 309 Abs. 1 SGB III. Diese Regelung entspricht den für das gesamte Sozialrecht geltenden Bestimmungen der §§ 61 und 62 SGB I. Voraussetzung der Meldepflicht ist eine entsprechende Aufforderung des Grundsicherungsträgers. Die Meldeaufforderung ist ein Verwaltungsakt. Ob und wann der Grundsicherungsträger eine Meldeaufforderung erlässt, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen.

Aus der Aufgabenzuständigkeit der Grundsicherungsträger nach dem SGB II folgt, dass eine Meldeaufforderung nur zum Zwecke der Berufsberatung, Vermittlung in Ausbildung oder Arbeit, der Vorbereitung aktiver Arbeitsförderungsleistungen, der Vorbereitung von Entscheidungen im Leistungsverfahren und der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für den Leistungsanspruch  erfolgen kann (vgl. § 309 Abs. 2 SGB III).

Auf Antrag können gemäß § 309 Abs. 4 SGB III notwendige Reisekosten zur Wahrnehmung eines Meldetermins – auch für eventuell erforderliche Begleitpersonen – übernommen werden, soweit diese nicht anderweitig abgedeckt sind. „Erforderlich“ ist eine Begleitperson bei Krankheit oder Behinderung. Eine „anderweitige Abdeckung“ der Reisekosten besteht etwa, wenn der Leistungsberechtigte über eine Monatsfahrkarte für den ÖPNV verfügt. Die Festsetzung einer Bagatellgrenze ist rechtswidrig (Winkler in LPK-SGB III, 1. Auf. 2008, § 309 Rn. 20 m.w.N.). Gemäß § 59 SGB II i.V.m. § 310 SGB III besteht darüber hinaus die Verpflichtung, sich nach einem Umzug bei dem nunmehr zuständigen Leistungsträger unverzüglich (d.h. ohne schuldhaftes Zögern) zu melden.

Meldeversäumnis

Minderungsrelevant ist allein die Tatsache eines Meldeversäumnisses. Gemäß § 309 Abs. 1 Satz 2 SGB III hat sich der Leistungsberechtigte bei der zur Meldung bezeichneten Dienststelle zu melden. Es ist das Dienstzimmer des zuständigen Sachbearbeiters aufzusuchen. Eine Vorsprache etwa im Eingangsbereich des Dienstgebäudes genügt nicht, weil damit der Meldezweck offenkundig nicht erreicht wird (LSG BY, Beschluss vom 4.8.2010, L 8 AS 466/10 B ER und 26.4.2010, L 7 AS 212/10 B ER).

Nach § 309 Abs. 3 SGB III hat sich der Arbeitslose zu der von dem Leistungsträger bestimmten Zeit zu melden. Ist diese nach Tag und Tageszeit bestimmt, so ist er seiner allgemeinen Meldepflicht auch dann nachgekommen, wenn er sich zu einer anderen Zeit am selben Tag meldet und der Zweck der Meldung erreicht wird.

Wichtig: Betroffene, die zu einem Meldetermin zu spät erscheinen und deswegen die Auskunft erhalten, der Termin könne an diesem Tag nicht mehr stattfinden, sollten unbedingt darauf drängen, dass der Termin – ggf. bei einem anderen Mitarbeiter – wahrgenommen werden kann. Die Jobcenter müssen entsprechendes Personal vorhalten und die Aufgaben der Integrationsfachkräfte setzen kein Wissen voraus, welches nicht jeder andere Mitarbeiter auch hat. Der Zweck kann also stets noch erreicht werden (Ausnahme etwa: Erscheinen 5 Minuten vor Schließung der Behörde). Auf jeden Fall sollten sich Betroffene ihre Meldung mit Angabe von Tag und Uhrzeit schriftlich bestätigen lassen.

Ist der Meldepflichtige am Meldetermin arbeitsunfähig, so wirkt die Meldeaufforderung auf den ersten Tag der Arbeitsfähigkeit fort, wenn die Agentur für Arbeit dies in der Meldeaufforderung bestimmt (§ 309 Abs. 3 Satz 3 SGB III).

Sanktionen bei Meldepflichtverletzungen

Kommt ein Bezieher von Leistungen nach dem SGB II der Meldeaufforderung eines Trägers der Grundsicherung ohne wichtigen Grund trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen nicht nach, wird das ALG II gemäß § 32 SGB II je Meldepflichtverletzung in Höhe von 10 % der nach § 20 SGB II maßgebenden ungekürzten Regelleistungen abgesenkt.

Wichtiger Grund

Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn es dem Leistungsberechtigen objektiv unmöglich oder nach Abwägung der widerstreitenden Interessen unzumutbar ist, am angegebenen Ort zu der angegebenen Zeit zu erscheinen. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles. Folgende Umstände kommen als rechtfertigende Gründe in Betracht:

– Erledigung unaufschiebbarer persönlicher Angelegenheiten (Teilnahme an Trauerfeier, m.E. nicht nur für nahe Angehörige; unvorhergesehener Ausfall der Betreuung eines Kleinkindes usw.).

Vorstellungstermin bei potentiellem Arbeitgeber.

Terminkollision mit Arbeit (auch geringfügiger Beschäftigung, vgl. Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 32 Rn. 13).

Ausfall von Verkehrsmittel.

– Plötzliche Krankheit oder krankheitsbedingtes Unvermögen.

– Unaufschiebbarer Arzttermin (Notfall). M.E. auch der vor Zugang der Meldeaufforderung vereinbarte Arzttermin.

Wichtig:

– Eine krankheitsbedingte Verhinderung kann auch ohne Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung etwa durch Zeugenbeweisnachgewiesen (Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 32 Rn. 13; Sonnhoff in JurisPK-SGB II, 2. Aufl., Stand 24.8.2010, § 32 Rn. 191).

Streitig ist, ob eine tatsächlich vorliegende und durch eine AU-Bescheinigung belegte Erkrankung ausreichend ist, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit nicht gleichzeitig die Unfähigkeit zur Wahrnehmung des Meldetermins begründet.

– Zu dieser Frage hat das BSG (Urt. v. 9.11.2010, B 4 AS 27/10 R, Rz. 32), ausgeführt: „Macht der Arbeitslose gesundheitliche Gründe für sein Nichterscheinen geltend, kommt als Nachweis für die Unfähigkeit, aus gesundheitlichen Gründen beim Leistungsträger zu erscheinen, zwar regelmäßig die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Betracht. Arbeitsunfähigkeit ist jedoch nicht in jedem Einzelfall gleichbedeutend mit einer krankheitsbedingten Unfähigkeit, zu einem Meldetermin zu erscheinen (Sonnhoff in JurisPK-SGB II, 2. Aufl, Stand 24.8.2010, § 31 RdNr 193; A. Loose in GK-SGB II, § 31 RdNr 78, Stand Mai 2008). Da es sich bei dem Begriff der Arbeitsunfähigkeit zudem um einen Rechtsbegriff handelt, dessen Voraussetzungen anhand ärztlich erhobener Befunde – ggf auch durch eine ex-post-Beurteilung – festzustellen sind (BSG Urteil vom 26.2.1992 – 1/3 RK 13/90 – SozR 3-2200 § 182 Nr 12; Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 44 SGB V RdNr 132, Stand 1.9.2008; Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, § 309 RdNr 64, Stand November 2004), besteht im Streitfall schon keine Bindung an den Inhalt der von dem Vertragsarzt nach § 73 Abs 2 Satz 1 Nr 9 SGB V ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Entsprechend ist auch die mit einer Arbeitsunfähigkeit regelmäßig verbundene Vermutung, dass ein Meldetermin aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrgenommen werden kann, im Streitfall von den Sozialgerichten zu überprüfen.“

– Die Bundesagentur für Arbeit hat dieses Urteil in ihren Fachlichen Hinweisen (FH) zu § 32 SGB II, dort Rn. 32.9, aufgegriffen und führt dort aus:

„Die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist grundsätzlich als wichtiger Grund anzuerkennen. Arbeitsunfähigkeit ist jedoch nicht in jedem Einzelfall gleichbedeutend mit einer krankheitsbedingten Unfähigkeit, zu einem Meldetermin zu erscheinen. Jedenfalls nach vorheriger Aufforderung kann vom Leistungsberechtigten auch ein ärztliches Attest für die Unmöglichkeit des Erscheinens zu einem Meldetermin verlangt werden (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 9.11.2010 – Az. B 4 AS 27/10 R – juris Rn. 32).

Die Kosten für die Ausstellung des Attestes können in angemessenem Umfang übernommen werden. Dies sind die nach Ziffer 70 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) vorgesehenen Gebühren für eine kurze Bescheinigung, und zwar in Höhe des bei Privatrechnungen üblichen 2,3fachen Satzes, mithin derzeit 5,36 EUR. Höhere Kosten werden nicht übernommen.“

– Auch das Bayerische LSG hat in seiner Entscheidung vom 13.03.2009 (L 16 AS 268/08 NZB) die Vorlage einer „Reiseunfähigkeitsbescheinigung“ für erforderlich erachtet und zur Begründung ausgeführt: „Dieses Verlangen der Beklagten ist Ausfluss der allgemeinen Meldepflicht des Klägers aus § 59 SGB II i.V.m. § 309, Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Da es bei der Wahrnehmung eines Termins bei der Beklagten nicht um die Frage der Arbeitsfähigkeit geht, ist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung letztlich nicht aussagekräftig, dafür, ob der Bf nicht dazu in der Lage war, diesen Termin wahrzunehmen. Hier ist es angemessen eine Reiseunfähigkeitsbescheinigung zu verlangen. Damit soll der Kläger das Unvermögen seiner Anreise entschuldigen und klarstellen, dass er seiner Pflicht nach §§ 59 SGB II i.V.m. 309 SGB III nicht nachkommen kann. Dies bedeutet, dass das Verlangen der Vorlage der Reiseunfähigkeitsbescheinigung Ausfluss der dem Kläger vom Gesetzgeber nach § 59 SGB II auferlegten Meldepflicht ist, der er nicht nachgekommen ist.“

– Nach Auffassung des Bayerischen LSG, Urt. v. 29.03.2012, L 7 AS 961/11, kann das Jobcenter auch die Vorlage eines qualifizierten ärztlichen Attests verlangen.

– Nach anderer Ansicht ist nur bei Vorliegen greifbarer Anhaltspunkte für eine missbräuchlich ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine „Wegeunfähigkeitsbescheinigung“ vorzulegen (Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011 § 32 Rn. 15).

Tipps:

– Ein Attest über die krankheitsbedingte Unfähigkeit, zu einem Meldetermin erscheinen zu können (Wegeunfähigkeitsbescheinigung), bedarf es regelmäßig nicht, wenn sich aus dem Krankheitsbild bereits die Unfähigkeit zur bzw. Unzumutbarkeit der Terminwahrnehmung ergibt (etwa gebrochenes Bein, Bandscheibenvorfall, ansteckende Krankheit, hohes Fieber).

– Die o.g. Rechtsprechung des BSG ändert nichts daran, dass die „Wegeunfähigkeit“ auch durch Zeugenbeweis oder etwa eine eidesstattliche Versicherung nachgewiesen werden kann. Besteht der Grundsicherungsträger auf die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. „Wegeunfähigkeitsbescheinigung“ und lehnt er pauschal die Prüfung anderer angebotener Beweismittel ab (etwa Zeugenbeweis, eidesstattliche Versicherung), verstößt er gegen seine Amtsermittlungspflichten aus § 20 SGB X. Sollte der Grundsicherungsträger trotz nachgewiesenem Vorliegen eines wichtigen Grundes eine Sanktion verhängen, sollte gegen den Sanktionsbescheid Widerspruch erhoben und notfalls der Klageweg beschritten werden.

– M.E. folgt aus der Reglung in § 309 Abs. 3 Satz 3 SGB III die gesetzgeberische Wertung, dass derjenige, der arbeitsunfähig ist (also eine gültige AU-Bescheinigung vorlegen kann), auch keinen Meldetermin wahrnehmen muss (a.A. BSG a.a.O. Rn. 31). Andernfalls würde die Ermächtigung des Grundsicherungsträgers zum Erlass einer Meldeaufforderung zur persönlichen Vorsprache am „ersten Tag der Arbeitsfähigkeit“ (§ 309 Abs. 3 Satz 2 SGB III) keinen Sinn machen. Als Subtext schwingt hier mit: Wer arbeitsunfähig ist, ist auch meldeunfähig.

– Wie die Ärzteschaft auf die Anfragen nach „Wegeunfähigkeitsbescheinigungen“ reagieren wird, bleibt abzuwarten. Der Nachweisdurst der Sozialbehörden hat schon zu einiger Missstimmung geführt. Die ersten Mandanten berichteten hier, ihre Ärzte hätten für die Ausstellung einer „Wegeunfähigkeitsbescheinigung“ 25 € verlangt. Letztlich ist kein Arzt verpflichtet, pro bono zu arbeiten, auch wenn 25 € überhöht sein dürften. Es ist schon jetzt zu erwarten, dass das notorische Misstrauen der Sozialleistungsträgern zu neuen streitigen Auseinandersetzungen führen wird.

– In jedem Fall sollte die Frage der Attestkosten mit dem behandelnden Arzt sowie dem Jobcenter vor einer etwaigen Ausstellung einer Wegeunfähigkeitsbescheinigung geklärt werden. Die Übernahme von Attestkosten sollten sich Betroffene von ihrem Jobcenter unbedingt vorher schriftlich zusichern lassen (§ 34 SGB X).

– Beim Vorliegen eines wichtigen Grundes besteht keine Pflicht zur Mitteilung vor dem Termin (Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011 § 32 Rn. 14 m.w.N.). Allerdings gebietet es die Höflichkeit, den Termin rechtzeitig abzusagen.

Folgende Umstände kommen als wichtige Gründe nicht in Betracht:

Eigenmächtiges Verschieben eines Termins ohne wichtigen Grund, auch wenn Vorsprache noch vor Sanktionierung nachgeholt wird (SG Potsdam, Urt. v. 18.8.2009, L 46 AS 218/09).

– Die mit der Meldung verbundenen Reisekosten.

Abholung eines 12jährigen Kindes von der Schule (LSG HE, Urt. v. 5.11.2007, L 6 AS 279/07).

Irrtum über das Datum des Meldetermin aufgrund eigener Sorgfaltswidrigkeit (LSG NW, Urt. v. 13.7.2007, L 20 B 114/07 AS).

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Hartz IV: Rückwirkend ab 01.12.2010 mehr Miete für Ein- und Zweipersonenhaushalte in Kiel!

In der Sozialausschusssitzung vom 22.09.2011 ist der Antrag der Fraktion Die Linke auf rückwirkende Anpassung der Mietobergrenzen ab 01.12.2010 abgelehnt worden.

Märchenstunde im Sozialausschuss der Landeshauptstadt Kiel

Zur Begründung hat Ratsherr Schmalz (SPD) darauf verwiesen, viele Mietverträge sähen eine Miete „in Höhe der jeweils geltenden Mietobergrenze“ vor. Deswegen würde eine rückwirkende Erhöhung der Mietobergrenzen nur den Vermietern zugute kommen. Diese in SPD-/Jobcenter-Kreisen gern gebrauchte und hier leidlich bekannte Argumentation ist nicht nachvollziehbar. In hiesiger Beratung ist noch nie von einem Mandanten im Sozialleistungsbezug ein Mietvertrag mit einer derartigen Klausel vorgelegt worden. Auch Kollegen aus dem Mietrecht sind derartige Verträge nicht bekannt. Auf die Bitte des Verfassers dieses Beitrages an einen ehemaligen Geschäftsführer des Jobcenters Kiel, zum Nachweis der Existenz derartiger Verträge einfach einmal einen solchen Mietvertrag (anonymisiert) vorzulegen, erfolgte nie eine Rückmeldung. Es ist daher davon auszugehen, dass es solche Mietverträge tatsächlich gar nicht gibt. Zudem wären Klauseln dieser Art in Wohnraummietverträgen wegen Gesetzesverstoßes ohnehin unwirksam, denn es würde sich bei einer solchen Vereinbarung weder um eine Staffelmiete im Sinne von § 557a BGB noch um eine Indexmiete gemäß § 557b BGB handeln. Eine Mieterhöhung hätte sich trotz einer solchen Klausel daher nach den allgemeinen Regeln der §§ 558 ff. BGB zu richten (Erhöhung maximal bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete). Jeder Vermieter weiß das auch. Das „Spitzenpersonal“ der Rats-SPD offenbar nicht. Die Aussage, dass Mietzahlungen ausschließlich dem Vermieter zugute kommen, ist so trivial wie unsinnig. Leistungen für die Unterkunft dienen der Obdachsicherung. Ratsherrn Schmalz ist zu raten, im Rahmen eines Selbstversuches – soweit er denn zur Miete wohnt – seine Miete einfach mal nicht mehr zu zahlen. Er wird dann spätestens nach zwei Monaten merken, wem die Mietzahlungen „zugute kommen“.

Ansprüche geltend machen

Dort wo es Schatten gibt, da ist auch Licht. Der Geschäftsführer des Jobcenters Kiel, Michael Stremlau, erklärte in der Sozialausschusssitzung, zwar komme eine Nachzahlung der Mietdifferenz bei denjenigen Leistungsberechtigten, die in Ein- bzw. Zweipersonenhaushalten zu ihrer Miete hinzu zahlen, nicht in Betracht. Dies würde die Verwaltung überlasten. Diejenigen jedoch, die von sich aus an das Jobcenter Kiel herantreten würden, sollen die Mietdifferenz ab dem 01.12.2010 nachgezahlt bekommen. Immerhin. Nicht optimal, aber ein gangbarer Weg. Auf den Hinweis des bürgerlichen Mitgliedes der Fraktion Die Linke im Sozialausschuss Wolfram Otto, dass der größte Teil der Betroffenen von dieser Regelung gar keine Kenntnis erhalten würden, erklärte der Geschäftsführer des Jobcenters, dies würde in der Zeitung veröffentlicht. Wir dürfen gespannt sein, ob hier Wort gehalten wird. Meint die Geschäftsführung es ernst, so wird sie sicherlich in der nächsten Ausgabe von „Nachrichten aus dem Jobcenter“ im Kieler Express auf die Ansprüche zur Nachforderung von Unterkunftsleistungen hinweisen.

Die Tabelle mit den neuen Mietobergrenzen findet sich hier.

Weiterführende Infos:

Info der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten in Schleswig-Holstein

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7


Rechtswidrig: Anpassung der Kieler Mietobergrenzen erst zum 01.01.2012!

Mit der Beschlussvorlage 0730/2011 vom 06.09.2011 beabsichtigt die Landeshauptstadt Kiel, die Kieler Mietobergrenzen ab 01.01.2012 den Werten des Mietspiegels 2010 anzupassen. Damit beugt sich die „Soziale Stadt Kiel“ einmal mehr erst nach langem Zögern der Rechtsprechung der örtlichen Sozialgerichtsbarkeit, die das Jobcenter Kiel bereits erneut in zahlreichen Verfahren zur Gewährung höherer Leistungen für die Unterkunft verurteilt hatte. Da der Mietspiegel 2010 indessen schon zum 01.12.2010 in Kraft getreten ist, stehen Leistungsberechtigten nach dem SGB II (Hartz IV) und SGB XII (vor allem Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) in Ein- und Zweipersonenhaushalten bereits seit dem 01.12.2010 höhere Leistungen für die Unterkunft zu. Für 13 Monate enthält die „Soziale Stadt Kiel“ vielen Hilfebedürftigen damit rechtswidrig 91 € (Einpersonenhaushalte) bzw. 109,20 € (Zweipersonenhaushalte) vor. Betroffenen ist zu raten, bestandskräftige rechtswidrige Bewilligungsbescheide nach § 44 SGB X überprüfen zu lassen und gegen solche Bescheide, bei denen die einmonatige Widerspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist, Widerspruch zu erheben und erforderlichenfalls Klage gegen die Kieler Sozialleistungsträger einzureichen.

Anzahl der im Haushalt lebenden Personen Anzuerkennende Wohnungsgröße (in m2) Mietobergrenzen bruttokalt nach Mietspiegel 2008 Mietobergrenzen bruttokalt nach Mietspiegel 2010
1 bis 50 301,50 308,50
2 50-60 361,80 370,20
3 60-75 453,00 451,50
4 75-85 508,30 504,90
5 85-95 568,10 564,30
6 95-105 627,90 623,70
7 105-115 687,70 683,10
Mehrbetrag für jedes weitere Familienmitglied  10 59,80 59,40

Nachtrag 22.09.2011: Mit ihrem Änderungsantrag vom 20.09.2011 fordert die Ratsfraktion Die Linke eine rückwirkende Anpassung der Mietobergrenzen ab 01.12.2010. Über den Antrag wird heute im Sozialausschuss entschieden, der ab 17.00 Uhr tagt. Zum Ergebnis der Sozialausschusssitzung siehe nun hier.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7


Devise der „Sozialen Stadt“ Kiel: Soziale Probleme vertuschen, anstatt sie zu benennen!

In Kiel leben derzeit 33.243 Menschen von Hartz IV. 11.506 von ihnen gelten als arbeitslos im Sinne der Statistik. Trotz Wirtschaftsaufschwungs steigen in Kiel die – zuvor durch Eineurojobs und andere  zweifelhafte „Eingliederungsmaßnahmen“ des Jobcenters Kiel heruntermanipulierten – Arbeitslosenzahlen massiv. Kiel will eine „Soziale Stadt“ sein. Was läge da näher als die Erwartung, dass die Stadt Kiel zunächst einmal schonungslos benennt, wo die sozialen Probleme liegen? Also beispielsweise offen sagt, wie viele Bezieher von Sozialleistungen zu ihrer Miete dazu bezahlen müssen, weil sie keinen günstigen Wohnraum finden können? Das Gegenteil ist leider der Fall. Es wird gemauert und sich herausgeredet, selbst wenn es nur darum geht, Zahlen auf den Tisch zu legen. So wollte etwa eine Ratspartei wissen, wie viele Kieler Bürger im Sozialleistungsbezug überhaupt aus ihren Regelleistungen zu ihrer Miete hinzu zahlen müssen. Die Antwort der Stadt im Zitat: Die Zahlen „lassen sich nicht ermitteln“, „werden nicht im statistischen Sinne erfasst“ oder: leider „gibt es keine statistische Erfassung“. Das mag glauben, wer will. Der Autor jedenfalls tut es nicht, denn im Jahre 2007 konnte ihm einer der Geschäftsführer des Jobcenters Kiel die Zahlen komischerweise aus dem Stegreif nennen und auch der Presse wurden recht konkrete Zahlen genannt: So sollen allein Anfang 2007 rund 1.000 kieler ALG II-Empfänger aufgefordert worden sein, ihre Unterkunftskosten zu senken (Kieler Nachrichten vom 30.5.2007, Seite 22). Wie war es möglich, in 2007 so präzise Zahlen zu nennen, wenn sich die Zahl der Leistungsberechtigen, deren Miete über der Mietobergrenze liegt, doch angeblich nicht ermitteln lässt, eine Ermittlung also nicht möglich ist und auch nicht erfolgt? Ein ehrlicher Umgang der Stadt mit ihren Bürgern sieht anders aus.

Nachtrag: Eine Zahl kennen wir allerdings. In Kiel werden nach der aktuellen Statistik der Bundesagentur für Arbeit (dort Seite 9) 95,9 % der tatsächlichen Grundmieten anerkannt, 4,1 % (= 213.441 € monatlich) müssen zugezahlt werden. Aus diversen Gründen, die darzulegen hier nicht der richtige Ort ist, sind diese Zahlen allerdings nur bedingt aussagekräftig. Zudem – dies am Rande – sind die erheblichen prozentualen Abweichungen zwischen den anerkannten Grundmieten und Betriebskosten in Kiel schwer nachvollziehbar, da es in Kiel Bruttokalt-Mietobergrenzen gibt. Es gilt daher nach wie vor der Satz: Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast!

Zweiter Nachtrag: Eine kleine Forums-Diskussion zu diesem Thema findet sich jetzt hier.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7


Alt, arm, arbeitslos!

Unter den Titel „Alt, arm, arbeitslos“ hat die ARD am 24.08.2011 über das Programm „50Plus“ der Bundesagentur für Arbeit berichtet. Der – erschreckende – Bericht ist hier nachzusehen.

Nachtrag:

Eine interessante Diskussion zum Thema hat der MDR am 12.09.2011 ausgestrahlt: Fakt ist…! Aus Leipzig 12.09.2011, 22:15 Uhr.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7


Umfrage: „50Plus KERNig“ aus der Sicht von Teilnehmern!

In ihrer Ausgabe vom 5.8.2011 auf Seite 19 berichteten die Kieler Nachrichten über das mit 5 Millionen Euro durch die Bundesagentur für Arbeit geförderte Projekt 50Plus KERNig der Jobcenter Kiel, Rendsburg-Eckernförde und Neumünster unter der Überschrift „Gemeinsam aus der Arbeitslosigkeit – „50Plus KERNig“ meldet erste Erfolge“. Der Beitrag beruht offenkundig fast ausschließlich auf Informationen und Interviews mit Mitarbeitern des „Projekts“. In der Folge fällt die Bewertung des „Projektes“ dann auch ausgesprochen positiv aus, während „Projektkoordinatorin“ Nicole Homeister ausgiebig Gelegenheit erhält, ihre Erfahrungen mit Arbeitslosen zum Besten zu geben. So wird Frau Homeister etwa mit folgenden Worten zitiert: „Manche Arbeitslose muss man regelrecht zur Arbeit tragen“, die „in ihrem gesamten Dasein fast eingeschlafen zu sein scheinen“.

Weil Teilnehmer des „Projekts“ nicht zu Worte kommen, bleibt das alles unwidersprochen. Uns interessiert deshalb, wie das „Projekt“ von Teilnehmern beurteilt wird. In einigen Foren – etwa dem Elo-Forum oder hartz.info – finden sich erste Erfahrungsberichte, welche die Vermutung nahe legen, auch bei diesem Projekt handele es sich einmal mehr um alten Wein in – freilich sehr teueren – neuen Schläuchen. Auch erste Erfahrungsschilderungen von Mandanten deuten in diese Richtung.

Projektteilnehmer werden daher gebeten, ihre Erfahrungen mit  „50Plus KERNig“ zu schildern. Email bitte an helgehildebrandt@hotmail.com zum Betreff „50Plus KERNig“ oder als Kommentar direkt in den Blog. Es wird um sachliche Formulierungen gebeten. Kürzungen sowie die Unkenntlichmachung diskriminierender Formulierungen bleiben vorbehalten. Die Veröffentlichung erfolgt anonymisiert.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7

1. Erfahrungsbericht (Email vom 21.08.2011, 17.00 Uhr)

„Es gibt keine einzelnen Räume, sondern ein Großraumbüro, wo Arbeit Suchende über 50 beraten und angeblich entsprechend ihrer Qualifizierung vermittelt werden sollen (wie seinerzeit bei Jobstart…). Privatssphäre ist kaum gegeben, es gibt zwar Stellwände, aber man kann ohne weiteres mithören, was nebenan gesprochen wird.
*** wurde zuerst gefragt, wie seine Bemühungen aussehen, und er berichtete von seinem Minijob auf dem ersten Arbeitsmarkt und seinen Bemühungen. Große Beratung von Seiten des Herrn*** (Fallmanager) gab es nicht. *** wurden 2 Stellen vorgeschlagen (Fahrer und Auslieferer für eine Wäscherei, Packer und Helfer in einer Firma, vermittelbar über die Leiharbeitsfirma in Klausdorf, bei der ich mich seinerzeit auch bewerben musste und von der auf Versenden meiner Bewerbungsunterlagen nie eine Antwort kam). Das war alles, mehr wurde nicht angeboten.
Auf meinen Hinweis, dass *** IT-Fachkraft ist, wir in Deutschland doch angeblich Fachkräftemangel haben und dass er doch angeblich hier gemäß seiner Qualifizierungen vermittelt werden sollte, kamen die üblichen abwertenden Antworten vom Herrn***: „Na ja, sie müssen eben jede Arbeit annehmen, schließlich liegen Sie ja den Steuerzahlern auf der Tasche.“ Worauf ich ihm sagte, dass wir ja schließlich auch Steuern zahlen – Mehrwertsteuert, Mineralölsteuer etc. Und ihn nochmal fragte, warum in Politik und Medien über Fachkräftemangel gejammert wird, wenn man hier eine Fachkraft als Wäscheträger verheizen will. Und dass so ein Job ja auch nicht von staatlichen Hilfen unabhängig mache.
Das Gespräch verlief beiderseitig ruhig und sachlich. Eine EGV musste *** nicht unterschreiben, und unter den Stellenvorschlägen war keine Rechtsbehelfsbelehrung und keine Sanktionsandrohung im Fall des Nichtbewerbens.“

2. Erfahrungsbericht (Email vom 22.08.2011, 11.07 Uhr)

„Den Erfahrungsbericht kann ich nur bestätigen. Die Räumlichkeiten wurden von Jobstart übernommen und auch die Arbeitsweise hat sich nicht geändert. Allerdings befindet sich in Ihrer Einleitung zum Erfahrungsbericht eine Ungenauigkeit. Wer den KN-Artikel nicht kennt, geht davon aus, dass Frau Nicole Homeister für 50Plus KERNig arbeitet. Sie ist aber Mitarbeiterin der FAW.“

3. Erfahrungsbericht (Email vom 11.09.2011, 14.43 Uhr)

„Nun habe ich meine zweite Einladung hinter mir, die ich jedes Mal in einem separaten Raum wahrnahm. Es ist ein Fensterloser Raum ohne PC in dem auch ein SB nicht richtig arbeiten kann, außer er druckt die relevanten Sachen vorher aus. Somit war im voraus nicht bedacht worden das es „Kunden“ gibt die ihre Daten nicht im Großraumbüro offenbaren wollen da jeder mithören kann.

Zunächst war ich überrascht das man mir zuhörte und meine gesundheitlichen Einschränkungen zur Kenntnis nahm. In der Einleitungsrede des SB hieß es ja auch es sollen nur passende Stellenangebote angeboten werden. Es solle alles locker zugehen und Zwang werde es nicht geben. Einen leichten Druck spürte ich jedoch als man mir verschiedene Maßnahmen erläuterte, die ich jedoch ablehnte. Stellenangebote, die dann ausgedruckt wurden, sind entweder über oder unter Niveau, und dann gibt es noch Jobs bei denen das Haltbarkeitsdatum schon abgelaufen ist. Die Frage war, wer dafür verantwortlich ist, von Seiten des JC`s wurde geantwortet die Arbeitgeber. Empfohlen wurden mir auch Minijobs, damit ich mich, mit meinen Einschränkungen, wieder eingliedern, eventuell auch hoch arbeiten kann. Ich dachte das Ziel wäre es einen sozialversicherungspflichtigen Job anzunehmen um nicht mehr hilfebedürftig zu sein. Auf meine Frage wer die potentiellen Arbeitgeber seien mit dem das JC in Verbindung steht wurde unterbrochen, da SB den Raum verließ.

Alles in allem geht es im kernigen 50+ schon etwas lockerer zu, doch mein Bauchgefühl sagt mir das es nicht so bleiben wird. Je weniger Aussicht auf einen Job besteht, desto mehr wird sich auch dort der Druck erhöhen. Das Jobcenter 50+ Kernig macht momentan nichts anderes als das reguläre Jobcenter, nur wurde die Betreuung intensiviert. Eine Einladung alle 4-6 Wochen um die Bewerbungsbemühungen zu zeigen, außerdem um unpassende Stellenangebote aus der Jobbörse zu bekommen. Der § 16 ist auch nichts Neues, der wurde schon im alten JC erwähnt. Wo bleibt die Zusammenarbeit mit den potentiellen Arbeitgebern?“

4. Erfahrungsbericht (Email vom 21.09.2011, 08.44 Uhr)

„Ich bin in dem 50+ Projekt. Mein Wissen habe ich aus eigenen Erkenntnissen in leider jahrelanger Erfahrung mit der Arge gesammelt und die Erfahrungen waren meistens nicht positiv. Sie sollten sich auch nicht nur auf das Programm 50+ beziehen, sondern auf das gesamte System Hartz IV – das würde ich für effektiver halten – weil:

50 plus kernig – unterscheidet sich nicht gravierend von anderen Programmen der Arge. Es ist, wie ich schon schrieb, mal wieder mit einem anderen Namen schön ummantelt und gaukelt den nichtsahnenden Bürgern etwas vor, was in der Praxis nicht realisierbar ist.“

5. Erfahrungsbericht (Email vom 28.05.2014, 19.07 Uhr)

Hallo habe ihre Seite im Netz gefunden. Möchte auch mal meine Erfahrung nennen. Zu meiner Person, bin 62 Jahre alt, wegen einiger körperlicher Einschrenkungen in meinem Beruf als Klempner nicht mehr fähig. Bin seit 14 Jahren arbeitslos und seit ca. 2 Jahren bei 50 Plus. Wie ich 48 Jahre alt war sagte das Arbeitsamt, ich wäre nicht mehr vermittelbar. Also Jobcenter Hartz 4. Jetzt mit 62 soll ich mich mehr bewerben. Tue ich auch. Aber die lachen sich kaputt, wenn die mein Alter sehen. Habe mal meine  amtsärztliche Bescheinigung vorgelegt, weil der Sachbearbeiter sie angeblich nicht hatte. Nur ein kurzer Blick, na ja, Sie sind ja ganztags vermittelbar. Was aber in dem Bericht steht, welche Einschränkungen ich habe ( Beispiel: schiefe Wirbelsäule, nicht schwer tragen) hat den Bearbeiter gar nicht interessiert. Bekomme auch nur Angebote, die ich eigentlich nicht machen kann. Ansonsten kann ich mich vielen Leidensgenossen nur anschließen. Datenschutz (was ist das?) nur Trennwände. Ich weiß von vielen Besuchern Sachen, die mich nichts angehen, weil man alles mithört. Was mich privat aber am meisten geärgert hat, war eine Bemerkung: Ich wäre nicht vermittelbar, weil ich meine Telefonnummer und E-Mail nicht bekannt gebe. So, das war´s, obwohl ich ein Buch schreiben könnte. Viele Grüße.

Weitere Erfahrungsberichte mit 50Plus KERNig in den „Kommentaren“!

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Arbeitshinweise der Landeshauptstadt Kiel für das Bildungs- und Teilhabepaket veröffentlicht!

Für alle Interessierten stelle ich auf dieser Seite die Arbeitshinweise der Landeshauptstadt Kiel für die Gewährung von Leistungen für Bildung und Teilhabe nach §§ 28, 29 SGB II und §§ 34, 34a SGB XII sowie § 6b BKGG ein. Sie finden sich als PDF hier bzw. rechts in den Kategorien „Jobcenter Kiel“ und „Landeshauptstadt Kiel“ unter „Arbeitshinweise BuT-Paket Kiel“. Zu den „Arbeitshinweisen“ sind einige kritische Anmerkungen geboten.

Eigenbeteiligung zu hoch bemessen

Deutlich zu kritisieren ist die von der Landeshauptstadt Kiel vorgesehene Eigenbeteiligung an den Kosten der Schülerbeförderung, die nun über das Bildungs- und Teilhabepaket übernommen werden. Nach Vorstellung der Stadt Kiel sollen sich Schüler und Schülerinnen bis 17 Jahren mit 10,00 € und Schüler ab 18 Jahren mit 15,00 € an den Monatskarten beteiligen (siehe Seite 10 unter 2.3.7.). Das klingt zunächst nachvollziehbar, denn die Monatskarten lassen sich auch für private Fahrten in der Freizeit benutzen. Zu beachten ist indessen, dass in den Regelsätzen nur sehr geringe sog. Bedarfspositionen für „Verkehr“ vorgesehen sind. Aus §§ 5 ff. des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes (RBEG) folgen nachfolgende Beträge (Abteilung 7: Verkehr):

alleinstehende oder alleinerziehende Leistungsberechtigte

22,78 €

Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres

11,79 €

Kinder von Beginn des 7. bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres

14,00 €

Jugendliche vom Beginn des 15. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres

12,62 €

18 bis 25jährige im Haushalt der Eltern (80 % der Verbrauchsausgaben alleinstehender Leistungsberechtigter)

18,22 €

Aus diesen monatlichen Beträgen sind neben sämtlichen Verkehrskosten – also auch den Kosten für Bus- und Bahn bzw. Beteiligung an Benzinkosten für andere Fahrten als Fahrten zur Schule (z.B. Fahrten mir Freunden nach Hamburg etc.) – auch die Anschaffungs- und Reparaturkosten für Fahrräder und deren Zubehör zu bestreiten.

Kinder bis zur Vollendung ihres 14. Lebensjahres müssen nach der „Kieler Regelung“ allerdings bereits fast ihren ganzen Regelbedarfssatz für „Verkehr“ als Eigenanteil zur Monatskarte hinzuzahlen. Geld für Freizeitfahren und Fahrradkosten bleibt Kindern bis 6 Jahren in Höhe von ganzen 1,79 € monatlich, Kindern von 7 bis 14 Jahren in Höhe von nur 4,00 €, Jugendlichen von 15 bis 18 Jahren in Höhe von 2,62 € und Schülern ab 18 Jahren in Höhe von 3,22 €. Das kann nicht richtig sein.

Zwar ist der Ausschuss für Arbeit uns Soziales (BT-Drucks 17/4095 vom 02.12.2010, S. 30) davon ausgegangen, die genannten Verbrauchsausgaben der jeweiligen Referenzgruppen für Verkehr (s. Tabelle) könnten „im Regelfall auf die zu übernehmenden Kosten für Schülermonatsfahrkarte angerechnet werden, wenn diese Karte auch privat nutzbar ist, um soziale Bindungen aufrechtzuerhalten und Freizeitaktivitäten nachzugehen.“

In ihrer schriftlichen Antwort vom 08.08.2011, BT-Drucks. 17/6790 (Seite 25 zu Frage 34) hat die Bundesregierung dann allerdings präzisiert: „Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Mobilitätsbedarfe, die nicht im Leistungskatalog eines Schülertickets enthalten sind, aus den im Regelbedarf enthaltenen Verkehrsleistungen gedeckt werden müssen. Dabei ist zu beachten, dass der Betrag für Verkehr in der Abteilung 7 der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe nicht nur die Kosten für Fahrten mit dem ÖPNV bzw. mit anderen öffentlichen Verkehrsmitteln in Form des Schienenverkehrs beinhaltet, sondern auch den Erwerb alternativer Verkehrsmittel (z. B. Fahrrad) berücksichtigt.“ Mit anderen Worten: Der Anspruch auf Leistungen für die Schülerbeförderung darf auch dann, wenn Leistungen in Höhe der Kosten einer Monatsfahrkarte für den ÖPNV erbracht werden, nicht um den vollen Betrag der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben für Verkehr gemindert werden. In Kiel ist dies praktisch der Fall, denn es verbleiben lediglich zwischen 1,79 € und 4,00 € für Mobilität außerhalb des ÖPNV.

Siehe jetzt auch: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. spricht sich gegen Eigenbeteiligung bei den Kosten der Schülerbeförderung aus!

Bei Leistungen nach dem § 6b BKGG sind die Verbrauchsausgaben für Verkehr gemäß § 6 Abs. 1 RBEG indes zwingend anzurechnen, vgl. § 6b Abs. 2 Satz 3 BKGG. Dies dürfte wegen des Wahlrechts gemäß § 12a Satz 2 SGB II verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein (wie hier Klerks, info also 4/2011, S. 147, 153 in Fn. 61 mwN, der das Bundeskindergeldgesetz so konsequent wie fehlerhaft mit BKKG abkürzt und sich im Übrigen für den Regelungsbereich des SGB II dafür ausspricht, die Position „Fremde Verkehrsdienstleistungen“ als  Obergrenze für die Bildung des „Eigenanteils“ zu wählen, die angesichts der gesetzlichen Vorgaben „deutlich unterschritten“ werden müsse).

Schulwege bis zu 4 Kilometern zu Fuß zumutbar?

Nach § 28 Abs. 4 SGB II müssen Schüler auf Schülerbeförderung „angewiesen“ sein. Bestimmte Strecken müssen zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Nach den landesrechtlichen Vorschriften zur Übernahme von Schülerbeförderungskosten werden Kosten in der Regel nur ab einer bestimmten Entfernung, gestaffelt nach dem Alter der Schüler, übernommen. Älteren Schülern werden dabei längere Wegstrecken zugemutet als jüngeren Schülern. Vor dem Hintergrund, dass der Schulweg auch bei schlechten Witterungsbedingungen und gegebenenfalls mit einem schweren Schulranzen zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden muss, wird ab einer Schulwegstrecke von 3 Kilometern daher überwiegend von einem Anspruch auf Fahrtkostenübernahme gemäß § 28 Abs. 4 SGB II ausgegangen (Lenze in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 28 Rn. 17; Zimmermann in NJ 2011, S. 265 ff. (269) unter Hinweis auf SG Detmold, Urt. v. 9.4.2010, S 12 AS 126/07; VG Braunschweig, Urt. v. 28.2.2008, 6 A 252/06; VG München,
Urt. vom 14.11.2011 – M 3 K 11.670, zitiert nach LSG NRW, Beschluss v. 02.04.2012, L 19 AS 178/12 B). Die Arbeitshinweise der Landeshauptstadt Kiel sehen demgegenüber vor, dass die Zurücklegung des Schulwegs ohne ein Verkehrsmittel erst dann nicht mehr zumutbar ist, wenn der Schulweg in der einfachen Entfernung  für Schülerinnen und Schüler bis zur Jahrgangsstufe vier 2 Kilometer und  für Schülerinnen und Schüler ab der Jahrgangsstufe fünf 4 Kilometer überschreitet. Ob diese Festlegung einer gerichtlichen Überprüfung standhalten wird, bleibt abzuwarten.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7


Vorsicht mit den „Urlaubstipps“ in den „Nachrichten aus dem Jobcenter“!

Seit März 2007 schaltete das Jobcenter Kiel monatlich eine großformatige Anzeige im „Kieler Express“ unter der Überschrift „Nachrichten aus dem Jobcenter“. Die Anzeigen sind teils informativ, teils aber auch nur bloße Werbung – also gekaufte positive Selbstdarstellung – einer Behörde. Das alles mag man gut finden oder nicht. Eindeutig nicht gut ist allerdings, wenn Bezieher von ALG II falsch – und das heißt auch: unvollständig – informiert werden. So geschehen in der aktuellen Ausgabe der „Nachrichten aus dem Jobcenter“.

In der Rubrik „Tipp des Monats: Endlich Ferien – nur mit Genehmigung in den Urlaub fahren!“ ist nachzulesen, was zu beachten ist, „wenn Sie ALG II erhalten“ und in den Urlaub fahren wollen:

„Die Regelungen sind eindeutig: Melden Sie den geplanten Urlaub nicht an oder überschreiten ihn zeitlich, können Ihre Leistungen gekürzt oder sogar ganz eingestellt werden. Bei unerlaubter Abwesenheit wird das gezahlte ALG II sogar komplett zurückgefordert. Wichtig ist, dass Sie sich nach der Rückkehr sofort beim Jobcenter persönlich zurückmelden.“

Tatsächlich gilt die Regelung des § 7 Abs. 4a SGB II neuer Fassung indessen keinesfalls für alle Bezieher von ALG II, wie vom Jobcenter Kiel behauptet wird („wenn Sie ALG II erhalten“), sondern nur für „Erwerbsfähige Leistungsberechtigte“. Der Gesetzgeber hat zum Adressatenkreis der Regelung ausgeführt (BT-Drucks. 17/3404, Seite 92):

„Mit der Änderung wird klargestellt, dass nur erwerbsfähige Leistungsberechtigte bei unerlaubter Ortsabwesenheit ihren Leistungsanspruch verlieren. Weitere Voraussetzung ist, dass sie für Eingliederungsleistungen nicht zur Verfügung stehen. Damit benötigen Leistungsberechtigte, die vorübergehend und mit Einverständnis des Trägers ausnahmsweise keine Eingliederungsbemühungen nachzuweisen haben (zum Beispiel in Vollzeit Beschäftigte, nicht erwerbsfähige Personen) keine besondere Zustimmung der persönlichen Ansprechpartnerin oder des persönlichen Ansprechpartners zur Ortsabwesenheit.“

Aber auch nach der alten Rechtslage (bis einschließlich März 2011) war der Personenkreis der Menschen im ALG II Bezug, die eine Genehmigung zur Ortsabwesenheit einholen mussten, schon beschränkt. In den „Fachlichen Hinweisen“ des Bundesagentur für Arbeit zu § 7 (in der Fassung vom 20.01.2010) wird zu dem Adressatenkreis der Vorschrift in Rz 7.57 zutreffend ausgeführt:

(1) Nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 4a gilt die Regelung für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Somit ist die EAO grundsätzlich auf alle Leistungsberechtigte nach dem SGB II, also auch auf Sozialgeldbezieher und erwerbsfähige Personen, denen die Aufnahme einer Beschäftigung nicht zuzumuten ist (z. B. Schüler), anzuwenden. Eine wörtliche Auslegung würde jedoch dem Sinn und Zweck der Regelung widersprechen, weil die Arbeitslosigkeit keine Voraussetzung für den Leistungsanspruch nach dem SGB II darstellt. Einem erwerbsfähigen Schüler beispielsweise eine längere Ortsabwesenheit während der Sommerferien zu verweigern, entspräche nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und wäre rechtswidrig. Deshalb ist die Erteilung einer Zustimmung zu Ortsabwesenheiten von Personen, die das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, entbehrlich. Für die Zustimmung zu Ortsabwesenheiten solcher Personen, die vorübergehend nicht eingliederbar sind oder bei denen eine Eingliederung unwahrscheinlich ist (Beispiel: Alleinerziehende, der eine Arbeitsaufnahme vorübergehend nicht zumutbar ist, Sozialgeldbezieher allgemein), ist im Einzelfall zu entscheiden, ob die entsprechende Anwendung der EAO sinnvoll ist. Dies kann im Interesse der Vermeidung von Leistungsmissbrauch zu bejahen sein.

(2) Die Regelungen der EAO gelten nicht für erwerbsfähige Hilfebedürftige, die nicht arbeitslos sind (z.B. bei bestehender sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung; während Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit). Jedoch ist es zweckmäßig, auch während der Teilnahme an Maßnahmen zur Eingliederung die voraussichtliche Dauer einer Abwesenheit zu erheben, da auch während einer solchen Maßnahme die Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt grundsätzlich möglich ist.

(3) Besonderheiten bezüglich der Dauer der möglichen Bewilligung einer Ortsabwesenheit können bei älteren Arbeitnehmern, Nicht-sesshaften und Aufstockern gelten (Vgl. Rz. 7.77 ff).“

Zusammenfassend gilt also, dass folgende Personen im Leistungsbezug nach dem SGB II weder eine Genehmigung für ihre Ortsabwesenheit beim Jobcenter einholen müssen noch zeitlichen Beschränkungen (3 Wochen im Jahr) unterliegen:

• Schüler (sie können die gesamten Schulferien in den Urlaub fahren).

•  Vollzeit Erwerbstätige.

• Temporär nicht erwerbsfähige Leistungsbezieher.

• Alleinerziehende, denen eine Arbeitsaufnahme nicht zumutbar/möglich ist (Säugling, kein Krippenplatz usw.).

• Allgemein Bezieher von Sozialgeld nach § 28 SGB II.

Bei diesen Personengruppen entfällt folglich der Leistungsanspruch für die Tage der (ungenehmigten und/oder über 3 Wochen andauernden) Ortsabwesenheit nicht und die Sozialleistungen können daher für diesen Zeitraum auch nicht zurückgefordert werden.

Diese Ausnahmen hätten in den „Tipps des Monats“ erwähnt werden müssen, und zwar gerade auch deswegen, weil von den Mitarbeitern des Jobcenters Kiel hier immer wieder Fehler gemacht werden. So wurde in einem hier bekannten Fall von einer ganzen Familie (Vater, Mutter und zwei schulpflichtige Kinder) das Arbeitslosengeld II für die Urlaubszeit komplett zurückgefordert, obwohl die Mutter vollschichtig berufstätig war und die Kinder als Schüler dem Arbeitsmarkt gar nicht zur Verfügung standen. Das ganze wäre nicht so traurig, wenn es sich schlicht um ein Versehen des Jobcenters Kiel gehandelt hätte. Sorgen bereiten muss indessen der Umstand, dass diese evident rechtswidrige Entscheidung nicht nur von einer Teamleitung bestätigt und von einem ehemaligen Geschäftsführer des Jobcenters Kiel für richtig befunden, sondern auch von den Mitarbeitern der Widerspruchsstelle (Rechtsabteilung!) bestätigt wurde, so dass letztlich ein Gericht bemüht werden musste, um diesen – vollkommen eindeutigen – Fall zu entscheiden.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Lob für das Jobcenter Kiel!

Immer mal wieder fragen Mandanten besorgt, ob die Behörde womöglich beleidigt reagieren würde, wenn ein Anwalt eingeschaltet wird, und ob anschließend eventuell mit „Repressalien“ seitens einzelner Behördenmitarbeiter zu rechnen sei. Mit Sicherheit ausschließen kann man nichts, aber bisher konnte ich aus meiner Erfahrungen derartige Befürchtungen nicht bestätigten.

Heute erfuhr ich nun von einem Mandanten via Email, dass die Vertretung durch einen Rechtsanwalt sogar zu ganz neuen kulinarischen Erlebnissen im Jobcenter Kiel führen kann:

„Mir kam es so vor als wenn die Mitarbeiter jetzt netter und menschlicher sind. Keine Ahnung. Was ich noch nie hatte, dass man mir sogar einen Kaffee angeboten hat. Und was ich auch nie hatte, dass man mit mir zusammen, einen Folgeantrag ausgefüllt hat, damit es dann auch schneller geht. Die Mitarbeiter gaben mir sogar offen zu, dass sie gelegentlich Fehler machen. Man spürt, dass Sie aktiv waren. 😉 “

Auch von solchen Erfahrungen soll hier mal berichtet werden. Dabei dürfte ich auch nicht in den Verdacht des Selbstlobes geraten. Denn der eigentlich Star der Mail ist ja das Jobcenter Kiel, das ganz allein für den Kaffee verantwortlich zeichnet!

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7

Nachtrag aufgrund besorgter Nachfragen: Nein, der Kaffee war nicht vergiftet, Mandant lebt! :mrgreen:


Doppelmieten bei Umzug: In der Regel vom Jobcenter zu übernehmen!

Jeder Hartz IV-Bezieher in Kiel, der während des Leistungsbezuges umziehen musste, wird das „Merkblatt zur Wohnungsanmietung und Umzug“ des Jobcenters Kiel kennen, in dem lange Zeit in Fettdruck nachzulesen war:

„Vermeiden Sie doppelte Mietzinszahlungen. Diese gehen immer zu ihren Lasten.“

Diese Auskunft wird von den meisten Integrationsfachkräften leider bis heute an den „Kunden“ gebracht.

Zwischenzeitlich scheinen sich beim Jobcenter Kiel allerdings Zweifel eingeschlichen zu haben. In dem aktuellen Merkblatt heißt es nämlich seit kurzem:

„Vermeiden Sie doppelte Mietzinszahlungen. Diese gehen in der Regel zu ihren Lasten.“

Lernprozesse sind oft langwierig und schwierig. Besonders bei Behörden.

Nach ständiger Rechtsprechung gilt: Die durch einen notwendigen oder durch das Jobcenter veranlassten Umzug entstandenen doppelten Mietbelastungen sind grundsätzlich von der Behörde zu übernehmen (etwa SG Schleswig vom 22.05.2007- S 3 AS 363/07 ER m.w.N.).

Die 25. Kammer des Sozialgerichts Schleswig hat sich in seiner Entscheidung vom 26.08.2010 – S 25 AS 185/08 – mit der Frage der Übernahmefähigkeit von Doppelmieten sehr ausführlich auseinander gesetzt:

„Gemäß § 22 Abs. 3 SGB II können Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger übernommen werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann.Die geltend gemachte Mietzinszahlung für die alte Wohnung der Kläger für den Monat April 2007 ist als Wohnungsbeschaffungskosten im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. Dabei handelt es sich zudem um angemessene und notwendige Wohnungsbeschaffungskosten. Die nach § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II erforderliche vorherige Zusicherung hat die Beklagte mit Datum vom 29.01.2007 erteilt. Ein Ermessen der Beklagten bezüglich der Übernahme der Mietkosten für die alte Wohnung der Kläger für den Monat April bestand nicht.

Das Tatbestandsmerkmal der Wohnungsbeschaffungskosten ist nach Auffassung der Kammer weit auszulegen, so dass nicht nur die eigentlichen Kosten des Umzugs, wie Transportkosten, Kosten für eine Hilfskraft, die erforderlichen Versicherungen, Benzinkosten und Verpackungsmaterial erfasst sind, sondern auch alle sonstigen notwendigen angemessenen Aufwendungen, die mit einem Unterkunftswechsel verbunden sind. Damit fällt auch die hier geltend gemachte doppelte Mietzinszahlungen für die alte Wohnung für den Monat April un­ter das Merkmal der Wohnungsbeschaffungskosten, soweit sie angemessen ist (vgl. auch Lang/Link in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn. 83; Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 22 Rn. 109, 114; BSG, Urteil vom 16.12.2008, B 4 AS 49/07 R; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.01 .2007, L 5 B 1221/06 AS ER, L 5 B 1222/06 AS PKH; SG Frankfurt, Beschluss vom 19.01 .2006, S 48 AS 21/06 ER, jeweils zitiert nach juris).

Das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit folgt aus der systematischen Zusammenschau der Vorschrift des § 22 Abs. 3 SGB II mit der restlichen Vorschrift. Nach § 22 Abs. 1 SGB II können Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Kosten nur dann erbracht werden, wenn diese angemessen sind. Da es sich bei Wohnungsbeschaffungskosten um Unterkunftskosten im weitesten Sinne handelt, bzw. diese eng mit der Deckung des Unterkunftsbedarfs zusammenhängen, dürfen auch diese erst recht nur in einem angemessenen Umfang übernahmefähig sein.

Doppelte Mietzahlungen sind daher bei Wohnungswechsel nur dann zu übernehmen, wenn sie unvermeidbar und angemessen sind. Dies aber ist vorliegend der Fall. Doppelte Mietzinszahlungen von zumindest einem Monat sind zur Überzeugung der Kammer bei einem Wohnungswechsel schon im Regelfall unvermeidbar. Dies beruht vor allem auf der Überlegung, dass bei vielen Wohnungswechseln der nahtlose Übergang von einer Wohnung in die andere nicht möglich ist. Oftmals sind noch Mieten für die alte Wohnung aufzubringen, obwohl auch schon Mieten für die neue Wohnung fällig werden. Dies hängt in erster Linie damit zusammen, dass zur Vermietung angebotene Wohnungen oft schon ab dem nächsten oder übernächsten Monat angemietet werden müssen, gleichzeitig aber, wie auch bei den Klägern, Kündigungsfristen von regelmäßig drei Monaten einzuhalten sind (SG Schleswig, Beschluss vom 22.05.2007, S 3 AS 363/07 ER). Verschärft wurde das Problem zudem im Fall der Kläger dadurch, dass die Wohnung den anerkannten Mietobergrenzen des Leistungsträgers entsprechen musste, günstige Wohnungen gerade in diesem Preissegment aber oft sehr begehrt sind.

Die Kammer geht zudem aber auch im vorliegenden konkreten Fall davon aus, dass die angefallenen doppelten Mietkosten unvermeidbar und angemessen waren. Der Kläger zu 1) hat sich nachweislich darum bemüht, einen Nachmieter für die alte Wohnung zu finden. Er hat Anzeigen bei den Kieler Nachrichten, dem Kieler Express und im Internet geschaltet, in denen er seine alte Wohnung zur Vermietung angeboten und einen Nachmieter gesucht hat. Entsprechende Nachweise hat er zumindest im Verfahren vorgelegt. Er hat dem alten Vermieter sein Einverständnis der Weitergabe seiner Telefonnummer an Interessenten erklärt und hat mit seinem neuen Vermieter darüber gesprochen, ob er die neue Wohnung auch erst später anmieten könne. Der Vermieter der neuen Wohnung hat jedoch erklärt, dass nur eine Anmietung bereits zum 01.04.2007 möglich sei. Die Kammer sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern zur Last gelegt werden müsste, dass ihre Bemühungen nicht zum Erfolg geführt haben. Soweit die Beklagte vorgetragen hat, dass ihr das Gespräch als Bemühung für eine spätere Anmietung nicht ausreiche, teilt die Kammer diese Auffassung nicht. Es ist nach Auffassung der Kammer als lebensnah anzusehen, dass ein Vermieter seine Wohnung zum nächstmöglichen Zeitpunkt vermieten möchte und eine Wohnung nicht für einen Nachmieter freihält, wenn er in der Zwischenzeit die Wohnung anderweitig vermie­ten kann. Welche weiteren Bemühungen die Kläger dem neuen Vermieter gegenüber hätte unternehmen sollen, ist der Kammer nicht ersichtlich und wurde von der Beklagten auch nicht vorgetragen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Kläger nicht auf eigenen Wunsch die Wohnung gewechselt haben, sondern sich nach der Senkungsaufforderung der Beklagten umgehend um eine kostengünstige Wohnung bemüht haben. So stand auch in der Senkungsaufforderung, dass sich die Kläger umgehend um eine preiswerte Wohnung bemühen sollten. Dann aber darf nach Auffassung der Kammer den Klägern jetzt nicht vorgehalten werden, dass sie noch bis August Zeit gehabt hätten, eine kostengünstigere Wohnung zu finden, zumal es auch bei einer späteren Anmietung zur gleichen Problematik des Entste­hens einer Doppelmiete hätte kommen können, da wie bereits dargelegt, selten ein nahtloser Übergang von der einen in die andere Wohnung stattfinden dürfte. Weiterhin hat die Beklagte der Anmietung der Wohnung zugestimmt, obwohl sie damit rechnen musste, dass es zu den doppelten Mietkosten kommt, schließlich lag ihr der alte Mietvertrag mit der Kündigungsfrist vor Abgabe der Zusicherung vor und sie wusste auch, dass die neue Wohnung ab April angemietet werden sollte.

Weiterhin geht die Kammer davon aus, dass es eine vorherige Zusicherung für die Übernahme der Umzugs- bzw. Wohnungsbeschaffungskosten durch die Beklagte gegeben hat. Nach Überzeugung der Kammer hat die Beklagte die Zustimmung zur Übernahme der Umzugs- und Wohnungsbeschaffungskosten vor Anmietung der neuen Wohnung am 31 01.2007 (vgl. BI. 189 der Verwaltungsakte) erteilt. Nach Auffassung der Kammer kommt es hier nicht darauf an, ob es sich dabei schon um eine konkrete Zusicherung zur Übernahme der doppelten Mietzahlungen gehandelt hat, oder lediglich um eine abstrakte Zusicherung der Übernahme von Umzugs- und Wohnungsbeschaffungskosten. Hier spricht zwar bereits Einiges dafür, dass die Übernahme der doppelten Mietzinszahlungen als konkret zugesichert angesehen werden kann, da das Risiko der doppelten Mietzinszahlung der Beklagten bereits bei Erteilung der Zusicherung bekannt war. Dass der Beklagten die Problematik bekannt sein musste, ist aus einem Aktenvermerk ersichtlich, indem von einer eventuell anfallenden doppelten Mietzahlung bereits die Rede ist und der sich in der Akte vor der Erteilung der Zusicherung befindet (vgl. BI 186 der Verwaltungsakte).

Ob es sich aber tatsächlich um eine konkrete Zusicherung handelte, kann letztlich dahinstehen, denn selbst, wenn es sich nur um eine abstrakte Zusicherung handelt, reicht diese im vorliegenden Fall aus, da die abstrakte Zusicherung für alle Kosten gelten muss, die angemessen sind und damit auch für die als angemessen anzusehende doppelte Mietzinszahlung.

Ein Ermessen der Beklagten bezüglich der Übernahme der doppelten Mietzinszahlung besteht nach Auffassung der Kammer nicht. Zwar deutet der Wortlaut des § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II darauf hin, dass die Zusicherung der Übernahme der Wohnungsbeschaffungskosten im Ermessen des Leistungsträgers stehen könnte. Auch § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II deutet als „Soll“-Vorschrift darauf hin, dass bei atypischen Fällen, die gerade nicht von der „Soll“- Regelung erfasst werden, Ermessen auszuüben ist. Allerdings sind kaum Gründe denkbar, die außer den in § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB lt genannten Umständen dazu führen könnten, eine Zusicherung zu erteilen. Insofern ist von einem Kompetenz-,,Kann“ auszugehen. Wenn eine Zusicherung nach § 22 Abs. 3 S. 2 SGB II, wie vorliegend, erteilt wurde, ist die Übernahme angemessener Wohnungsbeschaffungskosten zwingend (Lang/Link in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn. 87; Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 22 Rn. 104).” Das Urteil im Volltext findet sich hier.

Richtig müsste der Satz im Merkblatt des Jobcenters Kiel mithin lauten:

„Vermeiden Sie doppelte Mietzinszahlungen. Unvermeidbare Doppelmieten gehen zu Lasten des Jobcenters Kiel.“

Bis dahin ist es aber wohl noch ein längerer Weg.

Tipp für Betroffene: Unternehmen Sie alles, um die Entstehung von Doppelmieten bei einem Umzug zu vermeiden, indem Sie

• das alte Mietverhältnis sofort kündigen, nachdem Sie den neuen Mietvertrag unterschrieben haben bzw. ein verbindliches schriftliches Mietangebot für die neue Wohnung in den Händen halten,

• Ihren alten Vermieter schriftlich (Nachweis für Jobcenter!) auffordern, schnellstmöglich nach einem Nachmieter zu suchen,

• selbst aktiv nach einem Nachmieter ab dem Zeitpunkt der Anmietung der neuen Wohnung suchen, etwa

– durch einen Aushang im nahegelegen Supermarkt, an schwarzen Brettern usw. (Nachweis für Jobcenter durch Foto fertigen!) oder

– kostenlose Anzeige im Internet (z.B. www.wohnung-jetzt.de; www.mein-wohnungsmarkt.de; www.studenten-wg.de; www.wg-gesucht.de usw.).

Haben Sie diese Eigenbemühungen unternommen und ließen sich doppelte Mietkosten trotzdem nicht vermeiden, ist das Jobcenter auf jeden Fall verpflichtet, die Miete für die neue Wohnung und die Miete der alten Wohnung bis zur Neuvermietung bzw. dem Ende des Mietverhältnisses zu übernehmen.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7


Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht bestätigt Kieler Mietobergrenzen – Berufung des Jobcenters Kiel zurückgewiesen!

Der für Hartz IV-Verfahren aus Kiel zuständige 11. Senat des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts hat in zwei Verfahren die Berechnung der Mietobergrenzen durch die Kammern der Sozialgerichte Kiel und Schleswig für die Jahre 2008 und 2009 bestätigt und die hiergegen eingelegten Berufungen des Jobcenters Kiel zurückgewiesen.

Zwar gibt das LSG einer vom ihm modifizierten Berechnungsmethode den Vorzug. Da die für diese – recht komplizierte und in ihren Grundannahmen jedenfalls zweifelhafte – Berechnungsvariante erforderlichen „Grundlagendaten“ der Mietspiegel indessen bereits vernichtet wurden, konnte das Gericht eine eigene Berechnung nach der von ihm präferierten Methode nicht vornehmen und hat die Entscheidungen des Sozialgerichts Schleswig als vertretbare (zweitbeste) Berechnungsmöglichkeit bestätigt.

Ob das LSG letztlich mit seiner Methode zu höheren oder niedrigeren Mietobergrenzen gekommen wäre, lässt sich schwer abschätzen, da das LSG zwar von den Mittelwerten der einzelnen Mietspiegelfelder nach unten abweichen wollte, dafür aber letztlich auch Mietspiegelfelder mit höheren Quadratmeterpreisen in seine Berechnung hätte einstellen müssen, um insgesamt ein Drittel der Wohnungen der jeweiligen Größe in seinen Berechnungen abzubilden.

(Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteile vom 11.04.2011, L 11 AS 126/09 und L 11 AS 123/09).

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7