Amtsgericht Schleswig schränkt Rechtsschutz für Mittellose ein!

In aktuellen Beratungshilfeangelegenheiten weist das Amtsgericht Schleswig in einem Hinweisblatt auf seine zukünftige Bewilligungspraxis hin. Nach Auskunft des Gerichts habe es in einer nicht näher erläuterten „Übergangszeit“ gegebenenfalls eine „großzügigere Handhabung“ der Beratungshilfebewilligung gegeben. Da nunmehr die Sachbearbeitung der Beratungshilfe „anders gehandhabt werde, als das die letzten Jahre der Fall war“, erlaube sich das Gericht, auf nachfolgende Gewährungspraxis hinzuweisen: Zunächst sollen die Hilfesuchenden „Eigenbemühungen gezeigt haben und selbst tätig geworden sein“. So seien zunächst die vorhandenen Beratungsangebote von Behörden, Jugendämtern, Schuldnerberatungsstellen („für Angelegenheiten der Schuldnerberatung wird grundsätzlich keine Beratungshilfe durch das Amtsgericht Schleswig bewilligt“) sowie die kostenpflichtige (!) Beratung der Verbraucherzentralen in Anspruch zu nehmen.

Schleswig: Keine Waffengleichheit vor dem Recht

Nach Auffassung des Amtsgericht Schleswig gilt „der Grundsatz der Waffengleichheit“ im außergerichtlichen Verfahren „nur sehr eingeschränkt“. Wo das Gericht diese Erkenntnis gewonnen hat, ist hier nicht bekannt. Soweit das Gericht darauf abhebt, ob ein „solventer Selbstzahler“ in der Angelegenheit anwaltlichen Rat gesucht hätte, ist darauf hinzuweisen, dass ein Großteil der „solventen Selbstzahler“ heute über Rechtsschutzversicherungen verfügen. Die Beratungshilfe ist heutzutage sozusagen die „Rechtsschutzversicherung“ der Mittellosen. Der Vergleich des Gerichts hinkt insofern – und nicht nur aus diesem Grunde. Ob ein „solventer Selbstzahler“ anwaltlichen Rat gesucht hätte, entscheiden die Rechtspfleger dann – befreit von jeglichen gesetzlichen Entscheidungsmaßstäben (BerHG) – quasi freihändig, denn aus dem Topos „solventer Selbstzahler“ lässt sich so ziemlich alles deduzieren, was das verkappte Bezirksrevisorenherz erfreut.

Fehlerhafte rechtliche Ausführungen

Rechtlich schlicht unzutreffend ist, dass Beratungshilfe ausgeschlossen ist, wenn sich ein „gerichtliches Verfahren unumgänglich abzeichnet“. Es gibt klare gesetzliche Regelungen, wann ein Gerichtsverfahren beginnt und eine außergerichtliche Vertretung endet. Es ist gerade die Aufgabe des Rechtsanwaltes, Rechtssuchende darüber zu beraten, ob eine gerichtliche Auseinandersetzung erfolgversprechend bzw. in den Worten des Gerichts sich „unumgänglich abzeichnet“. Es ist nicht angängig, dass darüber zukünftig am AG Schleswig Rechtspfleger – die hierzu weder ausgebildet noch fachlich in der Lage sind – entscheiden.

Notwendigkeit der Vertretung ist „nachzuweisen“

Nach Vorstellungen der Rechtspflegerin Bahlke sollen ihr Anwälte zudem zukünftig „nachweisen“, dass eine Vertretung „notwendig“ war. Nun hat eine Rechtspflegerin keine volljuristische Ausbildung (zwei Staatsexamen, Befähigung zum Richteramt) um beurteilen zu können, ob eine anwaltliche Vertretung notwendig war, und letztlich ist es der Rechtsanwalt, der es – auch haftungsrechtlich – zu vertreten haben wird, wenn er – trotz objektiv vorliegender Notwendig einer Vertretung – für den Rechtssuchenden nicht tätig geworden ist. Vor diesem Hintergrund erscheint es wohlfeil, gleichsam aus der warmen Amtsstube heraus ohne eigenes Haftungsrisiko darüber befinden zu wollen, ob eine anwaltliche Vertretung angezeigt war oder nicht.

Offenkundiges Misstrauen gegenüber der Anwaltschaft

Nach Vorstellung des Gerichts soll die anwaltliche Beratung zudem so erfolgen, „dass der Antragsteller sich danach in der Lage versetzt sieht, selbst tätig werden zu können.“ So weit, so gut. Es ist selbstverständlich, dass in Fällen, in denen eine Beratung ausreichend ist, nur beraten und nicht auch vertreten wird. Ob allerdings im konkreten Fall der konkrete Rechtssuchende individuell in der Lage ist, sich effektiv selbst zu vertreten, hängt maßgeblich auch von der Person des Rechtssuchenden ab. Diese kennt regelmäßig aber nur der vertretende Rechtsanwalt, nicht jedoch die Rechtspflegerin bzw. der Rechtspfleger. Hier wäre es nicht nur wünschenswert, sondern es ist unabdingbar, dass das Gericht dem beratenden Rechtsanwalt zutraut, zu entscheiden, ob eine Vertretung im konkreten Fall erforderlich ist. Soviel Vertrauen in die Rechtsanwälte als unabhängige Organe der Rechtspflege muss sein – sonst erleidet die Rechtspflege insgesamt einen irreparablen Schaden.

Rechtsanwalt als Rechtslehrer?

Soweit das Gericht weiter ausführt, dies bedeute auch, „dass Beratungshilfe in bestimmten Angelegenheiten (beispielsweise Urheberrechtsverletzung, Nebenkostenabrechnung) nur einmal gewährt wird“, wäre eine solche Entscheidungspraxis nicht nur schlicht rechtswidrig, da es sich hier ohne Zweifel um jeweils eigene Angelegenheiten handelt, sondern es überantwortet dem Rechtsanwalt auch die Aufgabe, seine Mandanten in Rechtsfragen auszubilden. Sicher freut sich jeder Rechtsanwalt, wenn seine Mandanten sich in der Folge einer anwaltlichen Beratung oder Vertretung in gleich gelagerten Fällen zukünftig selber helfen können. Ob dieser Wunsch indessen in Erfüllung geht, liegt nicht im Einflussbereich des Rechtsanwaltes. Es kann nicht richtig sein, wenn ein Rechtsanwalt Rechtsuchende mit den Worten abweist: „Das habe ich Ihnen schon einmal erklärt, sehen Sie zu, dass Sie das selber hinbekommen.“

Wie als Anwalt verhalten?

Rechtsanwälten ist aufgrund der beabsichtigten Beratungshilfepraxis am AG Schleswig zu raten, Beratungshilfemandate aus dem Amtsgerichtsbezirk Schleswig nur noch gegen Vorlage eines Berechtigungsscheins anzunehmen. Das ist hart für die Rechtssuchenden, die gegebenenfalls weite Strecken übers Land zum Gericht und anschließend zum Anwalt zurücklegen müssen. Ob dies vom Gericht tatsächlich so gewollt ist und ob die verantwortlichen Rechtspfleger und Richter ihre Aufgabe als Diener des Rechts so verstanden wissen wollen, werden diese für sich zu beantworten haben. Die Verantwortlichkeit für die schleichende Erosion des Rechtsschutzes für Mittellose jedenfalls liegt nicht bei der Anwaltschaft. Insofern sollte das AG Schleswig zukünftig auch als Adressat der Empörung Rechtssuchender die richtige Anlaufstelle sein.

Im konkreten Fall wurde im Übrigen Beratungshilfe bewilligt, das hier erörterte Schreiben war lediglich als Hinweisblatt beigefügt. Das Hinweisblatt findet sich als Download hier.

Weiterführende Links zum Thema:

http://www.sozialticker.com/wie-man-sich-gegen-unrecht-wehrt-infos-zu-beratungshilfe-und-prozesskostenhilfe_20111224.html

Nachtrag 15.03.2012:

Das AG Schleswig hat Rückmeldungen aus der Anwaltschaft zum Anlass genommen, die Kollegen mit Sitz im Amtsgerichtsbezirk Schleswig – und freundlicherweise auch mich aus Kiel – zu einer kleinen Fortbildungsveranstaltung zur Beratungshilfe mit anschließendem Erfahrungsaustausch einzuladen. Die Einladung einschließlich einer Stellungnahme des Direktors des Amtsgerichts Schleswig zu meinem Beitrag auf dieser Seite findet sich zum download hier. Leider ist es mir zeitlich nicht möglich, am heutigen Tage an der Veranstaltung teilzunehmen. Dies bedauere ich sehr. Zugleich danke ich auf diesem Wege noch einmal dem Direktor des AG Schleswig Herrn Blöcker für das heute stattgehabte angenehme und informative Telefonat, welches von beiden Seiten mit dem Resümee geschlossen werden konnte: So weit liegen wir beide gar nicht auseinander.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt