Ist § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II verfassungswidrig?

Gerd Altmann / pixelio.de

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In einem aktuellen Urteil vom 15.02.2013 zum Aktenzeichen S 20 AS 2707/12 hat das SG Leipzig entschieden, dass die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Hartz-IV-Urteilen vom 09.02.2010 (Az. 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) genügt, da die Vorschrift nicht hinreichend bestimmt genug festlege, in welcher Höhe Leistungsberechtigten nach dem SGB II Leistungen für die Unterkunft zustehen. Deswegen sei § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II verfassungskonform dahin auszulegen, dass grundsätzlich die tatsächlichen Wohnungskosten zu übernehmen sind.

Eine Beschränkung auf die „angemessenen“ Unterkunftskosten könne derzeit „nur als eine Art Korrektiv dienen, nämlich dann, wenn die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den sonstigen Lebensumständen des Alg-II-Empfängers stehen. Mit anderen Worten: Das Maß ist überschritten, wenn Empfänger von Sozialleistungen in Luxusunterkünften wohnen.“

Das SG Leipzig beschreitet damit in konsequenter Umsetzung der Rechtsprechung des BVerfG einen völlig neuen Weg bei der Bestimmung der im SGB II zu übernehmenden Unterkunftskosten. Es bleibt abzuwarten, wie das Sächsische Landessozialgericht im Berufungsverfahren entscheiden wird.

Wie das SG Leipzig haben bereits entschieden:

SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012, S 17 AS 1452/09:

„3. Die Kammer konkretisiert den Angemessenheitsbegriff deshalb nach Maßgabe des Grundsatzes der verfassungskonformen Auslegung in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft sind, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum liegen.“

SG Mainz, Urteil vom 22.10.2012, S 17 SO 145/11:

„3. Die Kammer konkretisiert den Angemessenheitsbegriff deshalb nach Maßgabe des Grundsatzes der verfassungskonformen Auslegung in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 35 Abs. 2 S. 1 SGB XII lediglich Kosten der Unterkunft sind, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum liegen.“

SG Dresden, Urteil vom 25.01.2013, S 20 AS 4915/11:

„Solange keine den Vorgaben des BVerfG genügende Regelung über die Ermittlung der Angemessenheit der Bedarfe der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zur Verfügung steht, erscheint es der Kammer angezeigt, in diesem Zusammenhang auf die vom Gesetzgeber in einem dem vom BVerfG verlangten nahekommenden Verfahren errechneten Werte der Tabelle in § 12 Abs. 1 WoGG zurückzugreifen und diese um einen maßvollen Zuschlag von 10 % zu erhöhen (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2012 – B 4 AS 44/12 R, Rn. 19).“

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Landesrechnungshof: Kosten der Unterkunft in 80 % der Fälle falsch berechnet!

Mindestens 80 % aller Fälle, die von 2005 bis Mitte 2008 die kommunalen Leistungen für Unterkunft und Heizung nach SGB II betrafen, sind fehlerhaft bearbeitet worden. Dies ist das vorsichtig hochgerechnete Ergebnis einer Stichprobenprüfung, die der LRH in den Kreisen durchgeführt hat. Berücksichtigt wurden dabei nur Fehler, die sich finanziell ausgewirkt haben. Die hochgerechneten finanziellen Nachteile betrugen 44 Mio. € für die öffentlichen Haushalte.

(weiterlesen: Kommunalbericht 2011 des Landesrechnungshof Schleswig-Holstein).

Was der Landesrechnungshof übersieht und wodurch all seine Berechnungen praktisch Makulatur werden: Nahezu alle Mietobergrenzentabellen der kommunalen Träger in Schleswig-Holstein hielten einer gerichtlichen Prüfung nicht stand (kein „schlüssiges Konzept“ im Sinne der Rechtsprechung des BSG). Die Sozialgerichte errechneten – bei Vorliegen qualifizierter Mietspiegel anhand der Mittelwerte bestimmter Mietspiegelfelder, sonst unter Rückgriff auf die Tabelle zu § 12 WoGG – deutlich höhere Mietobergrenzen.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7


Devise der „Sozialen Stadt“ Kiel: Soziale Probleme vertuschen, anstatt sie zu benennen!

In Kiel leben derzeit 33.243 Menschen von Hartz IV. 11.506 von ihnen gelten als arbeitslos im Sinne der Statistik. Trotz Wirtschaftsaufschwungs steigen in Kiel die – zuvor durch Eineurojobs und andere  zweifelhafte „Eingliederungsmaßnahmen“ des Jobcenters Kiel heruntermanipulierten – Arbeitslosenzahlen massiv. Kiel will eine „Soziale Stadt“ sein. Was läge da näher als die Erwartung, dass die Stadt Kiel zunächst einmal schonungslos benennt, wo die sozialen Probleme liegen? Also beispielsweise offen sagt, wie viele Bezieher von Sozialleistungen zu ihrer Miete dazu bezahlen müssen, weil sie keinen günstigen Wohnraum finden können? Das Gegenteil ist leider der Fall. Es wird gemauert und sich herausgeredet, selbst wenn es nur darum geht, Zahlen auf den Tisch zu legen. So wollte etwa eine Ratspartei wissen, wie viele Kieler Bürger im Sozialleistungsbezug überhaupt aus ihren Regelleistungen zu ihrer Miete hinzu zahlen müssen. Die Antwort der Stadt im Zitat: Die Zahlen „lassen sich nicht ermitteln“, „werden nicht im statistischen Sinne erfasst“ oder: leider „gibt es keine statistische Erfassung“. Das mag glauben, wer will. Der Autor jedenfalls tut es nicht, denn im Jahre 2007 konnte ihm einer der Geschäftsführer des Jobcenters Kiel die Zahlen komischerweise aus dem Stegreif nennen und auch der Presse wurden recht konkrete Zahlen genannt: So sollen allein Anfang 2007 rund 1.000 kieler ALG II-Empfänger aufgefordert worden sein, ihre Unterkunftskosten zu senken (Kieler Nachrichten vom 30.5.2007, Seite 22). Wie war es möglich, in 2007 so präzise Zahlen zu nennen, wenn sich die Zahl der Leistungsberechtigen, deren Miete über der Mietobergrenze liegt, doch angeblich nicht ermitteln lässt, eine Ermittlung also nicht möglich ist und auch nicht erfolgt? Ein ehrlicher Umgang der Stadt mit ihren Bürgern sieht anders aus.

Nachtrag: Eine Zahl kennen wir allerdings. In Kiel werden nach der aktuellen Statistik der Bundesagentur für Arbeit (dort Seite 9) 95,9 % der tatsächlichen Grundmieten anerkannt, 4,1 % (= 213.441 € monatlich) müssen zugezahlt werden. Aus diversen Gründen, die darzulegen hier nicht der richtige Ort ist, sind diese Zahlen allerdings nur bedingt aussagekräftig. Zudem – dies am Rande – sind die erheblichen prozentualen Abweichungen zwischen den anerkannten Grundmieten und Betriebskosten in Kiel schwer nachvollziehbar, da es in Kiel Bruttokalt-Mietobergrenzen gibt. Es gilt daher nach wie vor der Satz: Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast!

Zweiter Nachtrag: Eine kleine Forums-Diskussion zu diesem Thema findet sich jetzt hier.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7


Leistungsberechtigten steht bei Mietzuzahlung Betriebskostenguthaben zu!

Im konkreten Fall  erkannte das Jobcenter Kiel im Jahr 2009 von der tatsächlichen Miete der Leistungsberechtigten in Höhe von rund 405 Euro nur die sog. Mietobergrenze von 327 Euro bruttokalt – also inklusive Betriebskosten – (später 362,80) an. Die Differenz zu ihrer tatsächlichen Miete bezahlte die Leistungsberechtigte aus ihrem Regelsatz von 359 Euro. Im September 2009 erhielt die Leistungsbezieherin von ihrem Vermieter die Betriebskostenabrechnung für das Vorjahr, die mit einem Betriebskostenguthaben in Höhe von 297,40 Euro abschloss. In dieser Höhe minderte der Vermieter die Miete für November 2009. Das Jobcenter Kiel erbrachte daraufhin für November 2010 nur Leistungen für die Unterkunft abzüglich des Guthabens von 297,40 Euro und begründete dies damit, Betriebskostenguthaben minderten nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II die Aufwendungen für die Unterkunft. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 02.12.2010 entschied das Sozialgericht Kiel, dass die mindernde Berücksichtigung von Betriebskostenguthaben rechtswidrig ist, wenn das Guthaben nicht durch Leistungen des Jobcenters für die Unterkunft entstanden ist, sondern auf Zuzahlungen des Leistungsberechtigten zur Miete beruht. Als Faustformel gilt: In Höhe der monatlichen Zuzahlungen zur Miete x 12 Monate steht eine Betriebskostenguthaben den Hilfebedürftigen zu und nicht dem Jobcenter und darf daher weder zurückgefordert werden noch auf die Leistungen für die Unterkunft angerechnet werden. Betroffene sollten sich auf jeden Fall fachkundigen Rat holen, da das Jobcenter Kiel seine rechtswidrige Verwaltungspraxis weiter fortsetzt.

Sozialgericht Kiel, Beschluss vom 02.12.2010, S 38 AS 588/10 ER

Erstveröffentlichung in Hempels 03/2011

Nachtrag 23.04.2012:

Zwischenzeitlich liegt von der selben Kammer das Urteil vom 07.02.2012, S 38 AS 218/10 (nicht rechtskräftig) vor.

Nachtrag:

Wie hier für Heizkostenguthaben, die auf Zahlungen aus dem Regelsatz beruhen, SG Chemnitz, Urteil vom 31.01.2013, S 40 AS 5401/11; SG Chemnitz, Urteil vom 31.01.2013, S 40 AS 540/11, SG Chemnitz, Urteil vom 11.04.2013, S 14 AS 4157/13 (das SG Chemnitz hat in allen Verfahren die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen).

Nachtrag 16.06.2018: Zu 01.08.2016 wurde § 22 Abs 3 SGB II um den Halbsatz „Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht“ ergänzt. Damit ist die Rechtslage in dem hier dargestellten Sinne vom Gesetzgeber geändert worden. Die Neuregelung ist nicht für Zeiträume vor dem 01.08.2016 anwendbar, vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2018, B 14 AS 22/17 R.

Mehr zum Thema auf dieser Seite:

Jobcenter Kiel ändert seine Verwaltungspraxis bei der Rückforderung von Betriebskostenguthaben

Rückforderung von Betriebskostenguthaben!

Übernahme von Betriebskostennachzahlungen bei Anerkennung der tatsächlichen Miete im Abrechnungszeitraum!

Zur Abtretung von Nebenkostenguthaben

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Schleswig-Holsteinsches Landessozialgericht: 25 Quadratmeter für Hartz IV-Empfänger angemessen!

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In einer aktuellen Entscheidung hat der für Hartz IV-Verfahren aus Kiel zuständige 11. Senat des Schleswig-Holsteinischen  Landessozialgericht entschieden, dass Beziehern von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II auch die Anmietung von 25 qm kleinen Wohnungen „zumutbar“ sein soll. Für den Senat war nicht ersichtlich, „weshalb eine einzelne Person auf einer Wohnfläche von 25 qm nicht menschenwürdig leben können sollte“. Dem Hilfesuchenden stehe es frei, sich eine entsprechend kleine Wohnung mit einem hohen Quadratmetermietzins und damit einem erheblich höheren Wohnungsstandard zu suchen oder eben eine größer Wohnung zu einem entsprechende niedrigeren Quadratmeterpreis. Insoweit rückt das Gericht ausdrücklich von seiner bisher vertretenen Auffassung ab, Hilfebedürftige könnten nicht darauf verwiesen werden, in Wohnungen mit einer Wohnfläche von unter 35 qm zu ziehen.

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 11.04.2011, L 11 AS 123/09 und L 11 AS 126/09.

Bewertung: • Die Entscheidung ist zu kritisieren: Bei „Wohnungen“ mit einer Wohnfläche von 25 qm handelt es sich regelmäßig um Einzimmer-Appartements mit Nasszelle. Viele Leistungsberechtigte nach dem SGB II haben Jahrzehnte ihres Lebens hart gearbeitet und Steuern gezahlt. Diese in Not geratenen Menschen nun auf Einzimmer-Appartements zu verweisen, ist nicht angemessen.

• Die vom Gericht suggerierte Wahlmöglichkeit besteht zudem nur in der Theorie. Tatsächlich sind etwa 50 qm große Wohnungen in Kiel innerhalb der städtischen Mietobergrenzen ohnehin kaum noch anzumieten. Wo es in Kiel 25 qm-Wohnungen mit hohem Wohnstandard gibt, wird das Geheimnis der Richter am 11. Senat bleiben müssen.

• Gedanklich ist der Senat den Zeiten des Bundessozialhilfegesetzes verhaftet. Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II beziehen heute mehr als 7 Mio. Bundesbürger. Dass die Bezahlung deren Mieten lediglich der Vermeidung von Obdachlosigkeit zu dienen bestimmt sei und deswegen als Auslegungsmaßstab für die Bestimmung der „angemessenen“ Größe von Wohnraum  die Menschenwürdegarantie des Art. 1 GG herangezogen wird, spiegelt ein sonderbares Gesellschaftsverständnis des Gerichts wieder und ist aus rechtlicher Sicht ein nicht geeigneter Entscheidungsmaßstab.

• Richtigerweise ist der Einzelfall in den Blick zu nehmen: Für einen jungen Hilfebedürftigen etwa bis zum 25. Lebensjahr mögen 25 qm Wohnfläche angemessen sein, für einen 55 Jährigen Hilfebedürftigen sind sie es nicht. „Unwürdig“ wird es, wenn etwa – so in Kiel geschehen – ein über 60jähriger praktisch seinen gesamten Hausstand entsorgen muss, um in ein Einzimmer-Appartement in einem bekannten Mettenhofer Hochhausturm zu ziehen. Die Richter des 11. Senates scheinen indessen einer anderen Würdekonzeption anzuhängen.

Weiterführende Links:

Welt Online, 23.07.2010 – 25 Quadratmeter Wohnraum – Warum nicht?

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7


Rückforderung von ALG II: 56 % der Leistungen für die Unterkunft dürfen i.d.R. nicht zurückgefordert werden!

Dieser Beitrag gibt die Rechtslage bis 31.12.2016 wieder. Zum 01.01.2017 wurde die Vorschrift ersatzlos gestrichen! Eine Synopse findet sich hier.

Weil die Vorschrift auch sechs Jahre nach ihrer Einfügung in das SGB II einigen Mitarbeitern des Jobcenters Kiel noch immer nicht recht vertraut zu sein scheint, weise ich an dieser Stelle noch einmal auf folgende Regelung hin:

§ 40 Abs. 4 SGB II [ab 01.08.2016: Abs. 9; ab 01.01.2017 aufgehoben]„Abweichend von § 50 des Zehnten Buches sind 56 Prozent der bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft nicht zu erstatten. Satz 1 gilt nicht in den Fällen des § 45 Absatz 2 Satz 3 des Zehnten Buches, des § 48 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 und 4 des Zehnten Buches sowie in Fällen, in denen die Bewilligung lediglich teilweise aufgehoben wird.“

Werden Leistungen nach dem SGB II – etwa aufgrund einer Arbeitsaufnahme – zurückgefordert, dürfen von den Leistungen für die Unterkunft 56 Prozent der erbrachten Leistungen nicht zurückgefordert werden.

Wichtig: Die Vorschrift bezieht sich nur auf die Leistungen für die Unterkunft, also nicht

• auf die Regelleistungen und

• Leistungen für Heizung und Warmwasser!

Die Vorschrift ist eine Folge des Wegfalls des Wohngeldes für ALG II-Empfänger. Als Kompensation für diesen Wegfall soll der Teil der Unterkunftskosten, der durchschnittlich der Leistung des Wohngeldes für frühere Empfänger der Sozialhilfe entsprach, nicht zurückerstattet werden müssen.

Wichtig: Die Vorschrift gilt gemäß Satz 2 nicht, wenn die Leistungen

• nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 bis 3 SGB X von Anfang an – durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt wurden,- die Bewilligung auf Angeben beruht, die vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtig oder unvollständig gemacht wurden oder –  die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung dem „Leistungsberechtigten“ bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war oder

• nach § 48 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X im laufenden Leistungsbezug – aufgrund vorsätzlicher oder grob fahrlässiger leistungsrelevanter Änderungen der (wirtschaftlichen) Verhältnisse nicht mitgeteilt wurden oder – der Betroffene wusste oder grob sorgfaltswidrig nicht wusste, dass der Anspruch ganz oder teilweise weggefallen ist.

Weiter findet die Regelung, wonach Unterkunftskosten in Höhe von 56 Prozent der Unterkunftsleistungen nicht zurückgefordert werden können, in Fällen, in denen die Bewilligung lediglich teilweise aufgehoben wird, keine Anwendung. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Regelung bestehen nicht (BSG, Urteil vom 02.12.2014, B 14 AS 56/13 R).

Wichtig:

• Eine „teilweise“ Aufhebung liegt nicht vor, wenn für einzelne Monate des i.d.R. sechsmonatigen Bewilligungsabschnittes Leistungen zurückgefordert werden.

• Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift findet die 56 Prozent-Regelung keine Anwendung bei einer teilweisen Aufhebung innerhalb eines Kalendermonates. Diese Regelung ist auf den ersten Blick nicht leicht nachvollziehbar (kritisch etwa Conradis a.a.O., Rn. 25), macht aber durchaus Sinn: Der Zweck der Regelung des § 40 Abs. 4 SGB II besteht darin, bei einer Rückforderung von ALG II (pauschal) einen finanziellen Ausgleich für nicht beantragtes Wohngeld zu schaffen. Werden die Leistungen nach dem SGB II indessen nicht vollständig zurückgefordert, besteht kein Grund für einen solchen Ausgleich, weil ja noch ein Teil ALG II gezahlt worden ist. Eine solche – wiederum pauschale – Reglung zu treffen, liegt im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt