Zur Durchsetzung der Förderung einer Ausbildung im Eilverfahren

Schleswig-Holsteinisches LSG

Im Regelfall kann ein Anspruch auf Förderung einer Ausbildung als Leistung zur Teilhabe gegen die gesetzliche Rentenversicherung (DRV) nicht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durchgesetzt werden.

Im Sozialrecht ist es möglich, einen Sozialleistungsträger durch ein Sozialgericht zu einer vorläufigen Leistungserbringung verpflichten zu lassen. Voraussetzung hierfür ist, dass dem Leistungsberechtigten durch das Abwarten einer Entscheidung im normalen Klageverfahren aufgrund der langen Verfahrenszeiten schwere und unzumutbare Nachteile entstehen würden.

In vorliegendem Fall hatte eine Versicherte einen Anspruch auf Förderung einer Ausbildung zur Ergotherapeutin als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben (§ 16 SGB VI i.V.m. §§ 33 bis 38 SGB IX) gegenüber der DRV im gerichtlichen Eilverfahren verfolgt. Zur Begründung der besonderen Eilbedürftigkeit hatte sie vorgetragen, dass sie demnächst auf Hartz IV angewiesen sei, weil ihr Arbeitslosengeldanspruch auslaufe. Ihre hohe Miete würde dann absehbar vom Jobcenter nicht anerkannt. Sie fühle sich deswegen in ihrer Existenz bedroht.

Hierin sah das Gericht indessen keine schweren und unzumutbaren Nachteile. Der mögliche Hartz-IV-Bezug sowie ein mögliches Kostensenkungsverfahren würde nämlich erst Ende 2021 Wirkung entfalten. Zudem seien im Teilhaberecht viele Betroffene wegen gesundheitlicher Einschränkungen nicht mehr erwerbstätig und auch auf Hartz IV angewiesen. Mit dem Ausnahmecharakter vorläufiger Regelungen sei es aber nicht vereinbar, regelmäßig und automatisch Leistungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zuzusprechen. Der Eilantrag wurde deswegen abgelehnt.

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 12.05.2021, L 1 R 50/21 B ER

Erstveröffentlichung in HEMPELS 10/2021

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Anspruch behinderter Studierender auf Zuschuss zur Miete

(c) Thommy Weiss / pixelio.de

Behinderte Studierende, die wegen des Bezugs von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) keinen Anspruch auf laufende Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV) oder Sozialhilfe (SGB XII) haben, können zuschussweise Eingliederungshilfeleistungen zur Deckung laufender Unterkunftskosten als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erhalten.

Die Klägerin ist wesentlich körperlich behindert und auf einen Rollstuhl angewiesen. Sie lebt in einer behindertengerecht ausgestatteten Wohnung außerhalb ihres Elternhauses. Für die Dauer ihres Hochschulstudiums erhielt sie BAföG, das unter anderem anteilige Unterkunftskosten in Höhe von 224 € umfasste. Ihren Antrag auf zuschussweise Übernahme der Differenz zu ihren tatsächlichen Unterkunftskosten lehnte zunächst das beigeladene Jobcenter und für Folgezeiträume der beklagte Sozialhilfeträger ab. Ihre hiergegen gerichtete Klage ist vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht ohne Erfolg geblieben. Das Bundessozialgericht (BSG) gab der Studentin schließlich Recht.

Zwar war dem BSG eine abschließende Entscheidung wegen der fehlenden Beiladung der Bundesagentur für Arbeit als zuständig gewordenem Rehabilitationsträger nicht möglich. Das BSG hat aber darauf hingewiesen, dass eine Wohnung nicht nur dem Schutz vor Witterungseinflüssen und der Sicherung des „Grundbedürfnisses des Wohnens“ dient, sondern grundsätzlich auch der sozialen Teilhabe, weil so eine gesellschaftliche Ausgrenzung vermieden wird. Verbleibt ein nicht gedeckter Unterkunftsbedarf, weil allein behinderungsbedingt weitere Kosten für Wohnbedarf entstehen, sind diese zur Sicherstellung einer gleichberechtigten Teilhabe behinderter Menschen zu erbringen. Der Anspruch besteht in Höhe der Differenz zwischen den nach dem SGB II und SGB XII (abstrakt) „angemessenen“ Kosten der Unterkunft (sog. Mietobergrenzen) und den behinderungsbedingt konkret angemessenen Kosten.

(BSG, Urteil vom 04.04.2019, B 8 SO 12/17 R)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 5/2019

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Bei langer Arbeitslosigkeit Anspruch auf Weiterbildung

Bubo

Bubo

Nach Zeiten lang andauernder Arbeitslosigkeit kann eine Aktualisierung sukzessiv entwerteter Berufsqualifikationen im Einzelfall nur noch durch die Finanzierung spezifischer Zusatzausbildungen durch das Jobcenter erfolgen.

Der Kläger, ein studierter Sozialpädagoge, hatte sich rund vier Jahre erfolglos um eine Beschäftigung in seinem erlernten Beruf bemüht. Weil in vielen Stellenanzeigen Bewerber mit einer sozial-psychiatrischen Zusatzausbildung gesucht wurden, beantragte er beim Jobcenter Kiel eine entsprechende Weiterbildung durch Ausgabe eines Bildungsgutscheins. Dies lehnte das Jobcenter mit der Begründung ab, der Kläger habe keine feste Einstellungszusage eines Arbeitgebers vorlegen können und man sei auch – entgegen allen vorgelegten fachkundlichen Stellungnahmen – nicht davon überzeugt, dass der Erwerb von Zusatzqualifikationen die Berufschancen des Klägers steigere.

Rechtswidrig, entschied das Sozialgericht Schleswig vier Jahre später – und verurteilte die Behörde unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts dazu, neu über den Antrag des Klägers zu entscheiden. Initiativbewerbungsverlangen seien im Fall des Klägers nicht zielführend, da er sich bereits bei allen in Frage kommenden Arbeitgebern beworben habe. Nur mit einer Zusatzausbildung könne der Kläger in Marktnischen vordringen sowie im Rahmen von mit der Zusatzausbildung verbundenen Praktika aktualisierte Kontakte zu möglichen Arbeitgebern aufbauen. Da diese zentralen Ermessensgesichtspunkte von dem beklagten Jobcenter nicht hinreichend gewürdigt worden seien, stelle sich die Ablehnung als rechtswidrig dar.

(SG Schleswig, Urteil vom 22.3.2013, S 9 AS 1059/09)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 10/2013

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt