Hartz IV: Keine Aufrechnung Strom gegen Gas

Beziehen Leistungsempfänger nach dem SGB II Strom und Gas von dem selben Anbieter und rechnet dieser in der Jahresabrechnung ein vorhandenes Stromguthaben gegen eine Heizkostennachforderung auf, muss der SGB II-Leistungsträger die gesamte Heizkostennachforderung übernehmen und nicht nur den um das Stromguthaben geminderten Betrag.   

Geklagt hatten die Eltern dreier Kinder, die als Familie Leistungen nach dem SGB II vom Jobcenter Schleswig-Flensburg erhalten. Mit der Jahresabrechnung für das Jahr 2017 teilten die Stadtwerke ihnen mit, dass aus den für Strom gezahlten Abschlägen ein Guthaben in Höhe von 611,79 € resultiere, für Gas aber noch eine Nachzahlung in Höhe von 649,24 € geleistet werden müsse. Die Stadtwerke rechneten diese beiden Beträge gegeneinander auf und forderten noch einen Betrag in Höhe von 37,45 € von der Familie. Nur diese Nachzahlung übernahm das Jobcenter. Die Familie forderte den gesamten Betrag für die Heizkostennachforderung in Höhe von 649,24 €.

Das Sozialgericht gab der Familie Recht. Denn die Heizkosten werden vom Jobcenter übernommen, Strom zahlen die Leistungsempfänger hingegen aus ihrem Regelsatz selbst. Somit steht ihnen grundsätzlich auch das aus einer Jahresabrechnung resultierende Guthaben für zu viel gezahlte Stromabschläge zu. Ist der Stromanbieter ein anderer als der Gaslieferant, bekommen Leistungsempfänger daher ein etwaiges Stromguthaben zurück, während sie eine Nachforderung für Heizgas vollständig über die SGB II-Leistungen erstattet erhalten. Das gilt genauso, wenn Leistungsbezieher Strom und Gas von demselben Versorger erhalten und dieser Guthaben und Nachzahlung miteinander verrechnet. 

Sozialgericht Schleswig, Urteil vom 10.08.2022, S 35 AS 635/18; Revision beim Bundessozialgericht anhängig unter dem Aktenzeichen B 7 AS 21/22 R

Erstveröffentlichung in HEMPELS 1/2023

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Hartz IV: Betriebskostennachforderungen sind vom Jobcenter unbefristet zu übernehmen

(c) Kurt F. Domnik / pixelio.de

Es schmeckt schon nach selektiver Rechtsanwendung vom feinsten: Ein ALG II-Bezieher wird im Jahr 2018 vom Jobcenter Kiel aufgefordert, seine Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2015 und 2016 zu übersenden. Die Abrechnung für 2015 schließt mit einer Nachforderung, jene für das Jahr 2016 mit einem Guthaben. Das Guthaben fordert das Jobcenter Kiel von seinem Kunden zurück, die Übernahme der Nachforderung wird indessen mit dem Hinweis abgelehnt, der „Antrag“ auf Übernahme der Nachzahlung sei als Überprüfungsantrag gemäß § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 44 SGB X zu werten, der aufgrund des Ablaufs der Überprüfungsfrist von einem Jahr abzulehnen sei.

Derartige Ablehnungen sind klar rechtswidrig. Bei der Einreichung einer Betriebskostenabrechnung, die mit einer Nachzahlung schließt, handelt es sich bereits um keinen Überprüfungsantrag. Anspruchsgrundlage für die Übernahme ist vielmehr § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III (vgl. etwa BSG, Urteil vom 06.04.2011, B 4 AS 12/10 R).

Zudem ist im Sinne des Meistbegünstigungsgrundsatzes davon auszugehen, dass ein bereits gestellter Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts all diejenigen Leistungen umfasst, die nach Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommen (BSG, Urteil vom 02.07.2009, B 14 AS 75/08 R, Rn. 11: sog. „Türöffner-Funktion“ des Antrages). Der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasste deswegen auch die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Eine sachliche und zeitliche Konkretisierung der von der Antragstellung umfassten Bedarfe kann deswegen auch zu einem späteren Zeitpunkt insbesondere dann vorgenommen werden, wenn sich weitere Bedarfe erst während des laufenden Leistungsbezugs ergeben, also etwa eine Heiz- oder Betriebskostennachforderung erst nach Antragstellung fällig wird. Mit der Vorlage einer Heiz- und Betriebskostennachforderung  wird die Höhe des unterkunftsbezogenen Bedarfs insofern lediglich weiter konkretisiert, jedoch keine zusätzliche, vom Antrag nicht erfasste Leistung beantragt. Nachforderungen sind deswegen grundsätzlich unbefristet zu übernehmen (grundlegend BSG, Urteil vom 22.03.2010, B 4 AS 62/09 R).

Erstveröffentlichung in HEMPELS 01/2019

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Jobcenter Kiel ändert seine Verwaltungspraxis bei der Rückforderung von Betriebskostenguthaben

Zahlen Bezieher von Leistungen nach dem SGB II aus ihrem Regelsatz oder Einkommen zu ihrer Miete hinzu, weil die Miete nur in Höhe der sog. Mietobergrenze anerkannt wird,  so steht ihnen ein etwaiges Betriebskostenguthaben in Höhe ihrer monatlichen Zuzahlungen zur Miete x 12 Monate zu. Das Jobcenter darf das Betriebskostenguthaben in dieser Höhe weder zurückfordern noch darf dieses auf die Leistungen für die Unterkunft angerechnet werden (vgl. dazu den Beitrag Leistungsberechtigten steht bei Mietzuzahlung Betriebskostenguthaben zu!).

Jobcenter Kiel ändert Verwaltungspraxis

Nach hiesigen Informationen hat die Bereichsleitung des Jobcenters Kiel am 19.07.2012 entschieden,  dass zukünftig Guthaben aus Betriebskostenabrechnungen bei Leistungsberechtigten, deren Miete nicht in der tatsächlichen Höhe anerkannt wird, nur noch dann nach § 22 Abs. 3 SGB II leistungsmindernd berücksichtigt werden sollen, wenn das Betriebskostenguthaben über den monatlichen Zuzahlungen zur Bruttokaltmiete lag.

Beispiel

Die tatsächliche Bruttokaltmiete (Grundmiete zuzüglich kalter Betriebskosten) eines Einpersonenhaushaltes liegt bei 318,50 €. Von dieser Bruttokaltmiete erkennt das Jobcenter Kiel nur 308,50 € an. Der Leistungsberechtigte zahlt die Differenz von 10 € monatlich aus seinem Regelsatz oder anrechnungsfreiem Erwerbseinkommen dazu, mithin 120 € im Jahr. Im Jahr 2012 erhält der Leistungsberechtigte seine Betriebskostenabrechnung. Folgende Fallkonstellationen sind denkbar:

– Die Betriebskostenabrechnung schließt mit einem Guthaben von 120 € oder weniger. Dieses Guthaben wird vom Jobcenter nicht (mehr) zurückgefordert, sondern verbleibt dem Leistungsberechtigten. Denn ein Guthaben von bis zu 120 € beruht nicht auf Leistungen des Jobcenters für die Unterkunft (§ 22 SGB II), sondern auf eigenen Leistungen des Leistungsberechtigten aus seinem Regelsatz bzw. Einkommen.

– Die Betriebskostenabrechnung schließt mit einem Guthaben von mehr als 120 €. Der Betrag, der über 120 € hinausgeht, kann vom Jobcenter nach § 22 Abs. 3 SGB II im Folgemonat des Zuflusses (Gutschrift) leistungsmindernd berücksichtigt (d.h. auf den ALG II-Anspruch angerechnet) oder nach § 48 SGB X zurückgefordert werden. Von einem Guthaben in Höhe von z.B. 140 € stehen dem Jobcenter mithin 20 € zu.

– Die Betriebskostenabrechnung schließt mit einer Nachzahlung. Die Nachzahlung muss der Leistungsberechtigte aus eigenen Mitteln bestreiten, weil lediglich eine Mietobergrenze von 308,50 € anerkannt wird und die Übernahme einer Betriebskostennachzahlung die Anerkennung einer Bruttokaltmiete von mehr als 308,50 € monatlich bedeuten würde.

Verwaltungspraxis des Amts für Wohnen und Grundsicherung

Auch das Amt für Wohnen und Grundsicherung sowie das Amt für Familie und Soziales der Landeshauptstadt Kiel haben ihre bisherige Praxis der Anrechnung von Betriebskostenguthaben in sog. MOG-Fällen – also in Fällen, in denen nicht die tatsächliche Miete, sondern nur die Mietobergrenze anerkannt wird – geändert und setzen damit nunmehr auch die Rechtsprechung des SG Kiel um.

Für den Regelungsbereich des SGB XII (vor allem Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) ist darauf hinzuweisen, dass § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII in seiner ab dem 01.04.2011 gültigen Fassung nun ausdrücklich regelt, dass Zuflüsse aus Rückerstattungen, die auf Vorauszahlungen beruhen, die der Leistungsberechtigte aus seinem Regelsatz erbracht hat, nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind (vgl. dazu etwa Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl. 2012, § 82 Rn. 27 sowie zur Begründung BR-Drs. 661/10, S. 210). § 82 Abs. 1 SGB XII lautet:

(1) Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Einkünfte aus Rückerstattungen, die auf Vorauszahlungen beruhen, die Leistungsberechtigte aus dem Regelsatz erbracht haben, sind kein Einkommen. Bei Minderjährigen ist das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 34, benötigt wird.

Die Verwaltungspraxis des Amts für Wohnen und Grundsicherung sowie des Amts für Familie und Soziales der Landeshauptstadt Kiel verstieß mithin jedenfalls seit dem 01.04.2011 klar gegen geltendes Recht.

Überprüfungsantrag stellen

Wurden seit dem 01.01.2011 Betriebskostenguthaben in MOG-Fällen nach § 22 Abs. 3 SGB II rechtswidrig leistungsmindernd berücksichtigt (d.h. auf das ALG II angerechnet), so können Betroffene noch bis zum 31.12.2012 einen Antrag auf Überprüfung und Korrektur der rechtswidrigen Verwaltungsentscheidung nach § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 44 SGB X bzw. § 116a SGB XII i.V.m. § 44 SGB X stellen.

Wurden Betriebskostenguthaben in MOG-Fällen rechtswidrig nach  § 43 ff. SGB X durch sog. Aufhebungs- und Erstattungsbescheide zurückgefordert, können diese nach § 44 SGB X zeitlich unbefristet überprüft werden. Die Regelung in § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X, wonach Sozialleistungen aufgrund einer Prüfung und Neubescheidung nur bis zu einem Zeitraum von einem Jahr – zuzüglich des Jahres der Antragstellung (Überprüfung in 2012 also für alle Bescheide, die ab 01.01.2011 erlassen wurden) – rückwirkend beansprucht werden können, ist in Rückforderungsangelegenheiten regelmäßig unbeachtlich, weil es hier nicht um die Beanspruchung von Leistungen nach dem SGB II geht.

Weiterführende Infos auf dieser Seite:

Rückforderung von Betriebskostenguthaben!

Übernahme von Betriebskostennachzahlungen bei Anerkennung der tatsächlichen Miete im Abrechnungszeitraum!

Leistungsberechtigten steht bei Mietzuzahlung Betriebskostenguthaben zu!

Zur Abtretung von Nebenkostenguthaben

Nachtrag 16.06.2018: Zu 01.08.2016 wurde § 22 Abs 3 SGB II um den Halbsatz „Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht“ ergänzt. Damit ist die Rechtslage in dem hier dargestellten Sinne vom Gesetzgeber geändert worden. Die Neuregelung ist nicht für Zeiträume vor dem 01.08.2016 anwendbar, vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2018, B 14 AS 22/17 R.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Zur Abtretung von Nebenkostenguthaben

(c) Marko Greitschus / pixelio.de

In seinem „Leitfaden für die Beratung von Bürgerinnen und Bürgern bei Wohnungsanmietung und Umzug“ sieht das Jobcenter Kiel als Regelfall noch immer vor, dass die Kunden ihre künftigen Guthaben aus Heiz,- Betriebs- und Wasserkosten an das Jobcenter Kiel abtreten sollen. Mandanten berichteten hier, dass die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II von einer Abtretungserklärung abhängig gemacht wurde.

Rechtliches zur Sicherungsabtretung

Bei der Sicherungsabtretung handelt es sich um ein Sicherungsmittel: Der Leistungsberechtigte (Sicherungsgeber/Zedent) tritt seine Forderung auf Auszahlung etwaiger zukünftiger Nebenkostenguthaben gegenüber dem Forderungsschuldner (Vermieter, Versorgungsunternehmen) an das Jobcenter (Sicherungsnehmer/Zessionar) nach §§ 398 ff. BGB ab.

In der der Sicherungsabtretung zugrunde liegenden und vom Jobcenter vorformulierten Sicherungsabrede geht das Jobcenter davon aus, dass ihm sämtliche Guthaben zustehen würden, und legt die Sicherungsabtretung deswegen beim potentiellen Forderungsschuldner (Vermieter, Versorgungsunternehmen) vor mit der Folge, dass ab diesem Zeitpunkt etwaige zukünftige Guthaben nicht mehr an den Leistungsberechtigten, sondern direkt an das Jobcenter ausgezahlt werden.

Der Leistungsberechtigte kann die Sicherungsabtretung selbst nicht rückgängig machen. Allein das Jobcenter als jetziger Forderungsinhaber kann die abgetreten Ansprüche auf Guthabenauskehrung wieder an den Leistungsberechtigten nach § 398 BGB rückabtreten. Hierauf hat der Leistungsberechtigte einen Anspruch, wenn der Sicherungszweck entfallen ist. Bestehen hierüber zwischen dem Jobcenter und dem Leistungsberechtigten unterschiedliche Auffassungen und verweigert das Jobcenter die Rückabtretung, kann der Leistungsberechtigte vor dem zuständigen Amtsgericht notfalls auf Rückabtretung klagen.

Der Sicherungszweck ist jedenfalls dann entfallen, wenn der Leistungsbezug beendet ist oder die Guthaben nicht (mehr) dem Jobcenter zustehen, etwa, weil ein Teil der Betriebskosten oder Heizkosten aus den Regelleistungen oder Erwerbseinkommen gezahlt wurde (vgl. dazu den Beitrag Rückforderung von Betriebskostenguthaben!).

Keine Pflicht zur Sicherungsabtretung

Entgegen anderslautender Auskünfte besteht keine Pflicht zur Abtretung zukünftiger Guthaben aus Betriebs- oder Heizkostenabrechnungen. Es existiert auch keine „Mitwirkungspflicht“ nach den §§ 56 bis 62 SGB II bzw. §§ 60 bis 67 SGB I, eine Abtretungserklärung zu unterschreiben (auch nicht zur Erlangung eines Mietkautionsdarlehens nach § 22 Abs. 6 Satz 3 i.V.m. § 42a Abs. 1 und 2 SGB II; unzutreffend daher die „Grundsätze über die Erbringung städtischer Leistungen“ der Stadt Kiel, S. 10). Es ist im Gegenteil gerade das Ziel des SGB II, das eigenverantwortliche Wirtschaften des Leistungsberechtigten mit den Leistungen nach dem SGB II zu erhalten und zu fördern.

Gefahren der Sicherungsabtretung

In der hiesigen Beratungspraxis ist immer wieder aufgefallen, dass die Jobcenter am Ende des Leistungsbezuges vergessen, die Abtretungserklärungen bei den Vermietern bzw. Versorgungsunternehmen zurückzuholen mit der Folge, dass teilweise über Jahre Guthaben anstatt an die ehemaligen Leistungsberechtigte weiter an die Jobcenter ausbezahlt wurden. Offenbar erfolgt in den Jobcentern insofern keine Zahlungseingangsüberwachung. Jedenfalls wurden die ehemaligen Leistungsberechtigten weder informiert noch wurden die Zahlungen an die Vermieter bzw. Versorgungsunternehmen zurückgegeben. Gerade bei kleineren Guthaben unter 100 € erfolgt auch auf Seiten der ehemaligen Leistungsberechtigten nicht immer eine Kontrolle der Zahlungseingänge, sodass die fehlende Rückabtretung zum Teil erst nach Jahren und dann meistens aufgrund eines höheren Guthabens auffiel.

Auch bei unterschiedlicher Auffassung darüber, wem ein Guthaben zusteht (s.o.) ist es ratsam, etwaige zukünftige Guthaben nicht abzutreten. Es liegt dann beim Jobcenter, vermeintliche Forderungen gegenüber dem Leistungsberechtigten geltend zu machen, anstatt das umgekehrt der Leistungsberechtigte gegenüber dem Jobcenter seine berechtigten Zahlungsforderungen durchsetzen muss.

Aus den genannten Gründen ist von einer Guthabenabtretung im Regelfall nachdrücklich abzuraten.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Übernahme von Betriebskostennachzahlungen bei Anerkennung der tatsächlichen Miete im Abrechnungszeitraum!

Bundessozialgericht in Kassel

Bundessozialgericht in Kassel

Übersteigt die Miete eines Leistungsberechtigten nach dem SGB II die Angemessenheitsgrenze des kommunalen Trägers, erhält dieser in der Regel 6 Monate Zeit, um seine Mietaufwendungen durch Wohnungswechsel oder Untervermietung etc. zu senken. Nach Ablauf der Regelhöchstfrist des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II werden nur noch die „angemessenen“ Unterkunftskosten anerkannt.

Bisherige Praxis der Grundsicherungsträger

Es entspricht gängiger Praxis der Grundsicherungsträger, ab dem Tag der Absenkung der unterkunftsbezogenen Leistungen fällig werdende Betriebskostennachzahlungen mit dem Argument nicht mehr zu übernehmen, eine Übernahme käme einer Anerkennung der als unangemessen hoch festgestellten Unterkunftskosten gleich. Diese Praxis ist – soweit hier ersichtlich – sowohl von der Judikative als auch von der Anwaltschaft selten angezweifelt worden.

BSG: Abrechnungszeitraum entscheidend

Mit Urteil vom 06.04.2011 hat der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) im Verfahren B 4 AS 12/10 R (veröffentlicht am 03.11.2011) – eher überraschend und in der Begründung äußerst knapp – nun entschieden, dass aus dem Umstand, dass für den tatsächlich (nachzahlungsbedingt) erhöhten Unterkunftskostenbedarf im Monat der Fälligkeit der Betriebskostennachforderung zusätzliche Leistungen in Höhe der Betriebskostennachforderung zu erbringen sind, nicht folge, dass auch die Angemessenheit der Unterkunftskosten nach den Verhältnisses im Fälligkeitsmonat zu beurteilen sei. Entscheidend sei vielmehr, ob die Unterkunftskosten im Zeitraum, für welchen die Betriebskostenabrechnung erstellt wurde (Abrechnungszeitraum), vom Leistungsträger noch in der tatsächlichen Höhe anerkannt worden seien (BSG a.a.O., Rn. 16, 17).

Anspruchsgrundlage für die Übernahme der Betriebskostennachzahlung

Der Anspruch auf Übernahme der Nachforderung folgt nach Auffassung des BSG aus § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III. Mit der Geltendmachung der Betriebskostennachforderung durch den Vermieter sei in den tatsächlichen Verhältnissen im Monat der Fälligkeit des Betriebskostenguthabens eine wesentliche Änderung eingetreten, denn Nachzahlungen gehörten zum tatsächlichen Bedarf im Fälligkeitsmonat.

Juristisches Neuland

Nicht zu erwarten war, dass das BSG die Angemessenheit der Aufwendungen für die Betriebskostennachzahlung nicht nach den Verhältnissen im Fälligkeitsmonat, sondern nach denen im Abrechnungszeitraum beurteilt. Zur Begründung verweist das Gericht darauf, dass

(1) die Betriebskostennachforderung dem Abrechnungszeitraum „nach ihrer Entstehung im tatsächlichen Sinne zuzuordnen“ sei,

(2) der Leistungsberechtigte allein im Abrechnungszeitraum die Höhe der Nachforderungen habe beeinflussen können sowie

(3) nur diese Auslegung des § 22 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGB II der den Vorschriften innewohnenden Schutzfunktion gerecht werde.

Die Begründung lässt sich hören, ist aber keinesfalls zwingend. Sie wirft zudem auch in Bezug auf den Umgang mit Betriebskostenguthaben (diese müssten dann gegebenenfalls auch „nach ihrer Entstehung im tatsächlichen Sinne“ dem Abrechnungszeitraum zugeordnet werden) Fragen neu auf, die bisher als beantwortet gelten konnten.

Bedeutung für die Praxis

Leistungsberechtigte, bei denen nur noch eine Miete in Höhe der Mietobergrenze anerkannt wird, können die Übernahme von Betriebskostennachzahlungen für Zeiträume, in denen ihre Miete (gegebenenfalls anteilig) noch in der tatsächlichen Höhe anerkannt wurde, vom Grundsicherungsträger verlangen. Wenngleich ein gesonderter Antrag nicht erforderlich ist (§ 37 SGB II), sollte dieser von Betroffenen umgehend gestellt werden, da nicht damit zu rechnen ist, dass die Grundsicherungsträger von sich aus zugunsten von Leistungsberechtigten tätig werden. Hierbei ist die Jahresfrist des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X zu beachten, die auch dann gilt, wenn sich die Sachlage bei Dauerverwaltungsakten nachträglich zugunsten der Betroffenen ändert (§ 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X).

In der Praxis sind m.E. vier Fälle zu unterscheiden:

1) Im Abrechnungszeitraum als auch im Zuflussmonat wurde die tatsächliche Bruttokaltmiete anerkannt: Nach bisheriger Rechtsprechung und nach BSG sind Betriebskostennachzahlungen vom Leistungsträger zu übernehmen.

2) Im Abrechnungszeitraum wurde die tatsächliche Bruttokaltmiete anerkannt, im Zuflussmonat indes eine abgesenkte Miete: Nach bisheriger Rechtsprechung war die Betriebskostennachzahlung nicht zu übernehmen, nach „neuer“ Rechtsprechung des BSG hingegen doch.

3) Im Abrechnungszeitraum wurde eine abgesenkte Bruttokaltmiete anerkannt, im Zuflussmonat indes die tatsächliche Miete: Nach bisheriger Rechtsprechung war die Betriebskostennachzahlung zu übernehmen, nach „neuer“ Rechtsprechung des BSG dürfte die Betriebskostennachzahlung demgegenüber nicht zu übernehmen sein.

4) Im Abrechnungszeitraum wie auch im Zuflussmonat wurde eine abgesenkte Miete anerkannt: Nach bisheriger Rechtsprechung als auch nach „neuer“ Rechtsprechung des BSG ist die Betriebskostennachzahlung nicht zu übernehmen sein.

Nachtrag 16.06.2018: Zu 01.08.2016 wurde § 22 Abs 3 SGB II um den Halbsatz „Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht“ ergänzt. Damit ist die Rechtslage in dem hier dargestellten Sinne vom Gesetzgeber geändert worden. Die Neuregelung ist nicht für Zeiträume vor dem 01.08.2016 anwendbar, vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2018, B 14 AS 22/17 R.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Rückforderung von Betriebskostenguthaben!

Zahlen Bezieher von Leistungen nach dem SGB II aus ihrem Regelsatz oder Einkommen zu ihrer Miete hinzu, so steht ihnen ein etwaiges Betriebskostenguthaben in Höhe ihrer monatlichen Zuzahlungen zur Miete x 12 Monate zu. Das Jobcenter darf das Betriebskostenguthaben in dieser Höhe weder zurückfordern noch darf dieses auf die Leistungen für die Unterkunft angerechnet werden (vgl. dazu den Beitrag Leistungsberechtigten steht bei Mietzuzahlung Betriebskostenguthaben zu!).

Hat der Grundsicherungsträger im Abrechnungszeitraum unterkunftsbezogene Leistungen in Höhe der tatsächlich geschuldeten Miete erbracht, stehen Betriebskostenguthaben indessen grundsätzlich dem Jobcenter zu. Folgende vier Fallkonstellationen sind zu unterscheiden:

1) Guthaben, die vor dem Leistungsbezug entstanden (angespart) sind aber in der Zeit des Leistungsbezuges zufließen, sind leistungsmindernd zu berücksichtigen.

2) Nachzahlungen, die vor dem Leistungsbezug durch retrospektiv zu geringe Vorauszahlungen entstanden sind und in der Zeit des Leistungsbezuges fällig werden, sind vom Jobcenter zu übernehmen.

3) Guthaben, die im Leistungsbezug entstanden (angespart) sind und nach Beendigung des Leistungsbezuges vom Vermieter ausgezahlt werden, kann der (ehemalige) Leistungsberechtigte behalten.

4) Nachzahlungen, die im Leistungsbezug durch retrospektiv zu geringe Vorauszahlungen entstanden sind und nach Beendigung des Leistungsbezuges fällig werden, sind von dem (ehemaligen) Leistungsberechtigen zu zahlen und müssen nicht etwa vom Jobcenter erstattet werden.

Gesetzliche Grundlage

§ 22 Abs. 3 SGB II normiert, dass Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für die Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen mindern, wobei  Rückzahlungen, die sich auf die Haushaltsenergie beziehen (Haushaltsstrom, Kochgas), außer Betracht zu bleiben haben.

Grund der Regelung

§ 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F. (= § 22 Abs. 3 SGB II n.F.) ist mit dem „Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20.07.2006“ mit Wirkung vom 01.08.2006 in das SGB II eingefügt worden, um zuvor bestehende Anrechnungsprobleme zu beseitigen. Vor der Einfügung der Vorschrift wurden Rückzahlungen als Einkommen angerechnet. Dies führte zum einen dazu, dass ein Versicherungspauschbetrag von 30 € bzw. Versicherungskosten in der tatsächlichen Höhe von der Rückzahlung abgesetzt werden mussten, zum anderen dazu, dass von den Betriebskostenrückzahlungen im Regelfall der Bund, hier die Bundesagentur für Arbeit, profitierte (Anrechnung der Guthabenbeträge auf die vom Bund finanzierten Regelleistungen), obwohl die Kosten der Unterkunft zu über 70 % von den Kommunen aufgebracht worden waren. Beides sollte mit der Einführung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II vermieden werden (vgl. BT-Drs. 16/1696, Seite 26).

Unterkunftsbezogene Erstattungen

§ 22 Abs. 3 SGB II erfasst Rückzahlungen und Guthaben, die „dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind“. Erfasst werden damit neben Heiz- und Betriebskostenguthaben auch Überzahlungen von Unterkunftsleistungen (etwa die Rücküberweisung einer vom Grundsicherungsträger versehentlich doppelt gezahlten Miete). Die Auskehrung einer im Vermögen des Leistungsberechtigten stehenden Mietkaution bewirkt hingegen lediglich eine Vermögensumwandlung unter Aufhebung einer Verwertungssperre, auf die § 22 Abs. 3 SGB II keine Anwendung findet.

„Rückzahlungen“ und „Guthaben“ bzw. „Gutschriften“

Das Gesetz unterscheidet zwischen Rückzahlungen und Guthaben/Gutschriften. Weder in den Gesetzesmaterialien noch in der einschlägigen Kommentarliteratur findet sich allerdings eine nähere Bestimmung dazu, was unter „Rückzahlungen“ und „Guthaben“ bzw. „Gutschriften“ zu verstehen ist.

Nach Ansicht etwa des LSG BW (Urt. v. 20.01.2010, L 3 AS 3759/09) oder des LSG NRW (Urt. v. 22.09.2009, L 6 AS 11/09) sind unter Rückzahlungen die tatsächlichen Zahlungen an den Leistungsberechtigten (bar oder durch Kontogutschrift) zu verstehen. Ein Guthaben sei demgegenüber bereits bei einem positiven Saldo im Abrechnungskonto des Vermieters zur Entstehung gelangt. Für die Entstehung eines Guthabens genüge damit eine Forderung, die gegenüber einem anderen (hier dem Vermieter) geltend gemacht werden könne. Auch der semantische Gehalt des Wortes „Gutschrift“ setze keine Zahlung an den Mieter/Leistungsberechtigten voraus, sondern allein die schriftliche Fixierung bzw. Eintragung eines Guthabens als eines bestehenden Anspruchs eines Anderen.

Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Bereits semantisch bereitet die Definition der LSG BW und NRW Bauchschmerzen. Ein Konto“guthaben“ entsteht durch eine Habenbuchung auf einem Konto, die „Gutschrift“. Im allgemeinen Sprachgebrauch entsteht das Kontoguthaben durch Gutschrift auf dem Konto des Kontoinhabers. Dagegen ist die bloße Erfassung des Rückzahlungsanspruches des Mieters/Leistungsberechtigten als „Haben-Buchung“ im Mieterkonto kein „Gutschrift“, sondern lediglich die Erfassung eines Saldo-Postens in der Buchhaltung des Vermieters. Zudem wird verkannt, dass sich aus dem systematischen Zusammenhang der Tatbestandsmerkmale „Guthaben“ und „Gutschrift“  mit dem Tatbestandsmerkmal „Rückzahlung“ ergibt, dass dem Leistungsberechtigten tatsächlich etwas zugeflossen sein muss. Mit einer Gutschrift in diesem Sinne und damit mit einer Rückzahlung vergleichbar ist daher nur eine entsprechende Buchung auf dem Bankkonto des Mieters/Leistungsberechtigten (so zutreffend SG Neubrandenburg, Urt. v. 27.09.2010, S 11 AS 960/07 Rn. 19 unter Hinweis auf SG Bremen, Beschluss v. 01.12.2009, S 23 AS 2179/09 ER; SG Schleswig, Urt. v. 30.11.2009, S 4 AS 1044/07 = NZS 2010, 458; ähnlich LSG Hamburg, Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08).

Dieses Normverständnis entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung des § 22 Abs. 3 SGB II, nach dem nur dann von einem aufwendungsmindernden Guthaben ausgegangen werden kann, wenn dem Leistungsberechtigten dieses Guthaben tatsächlich auch zur Verfügung steht (LSG Hamburg, Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08; SG Schleswig, Urt. v. 30.11.2009, S 4 AS 1044/07 = NZS 2010, 458; SG Bremen, Beschluss v. 01.12.2009, S 23 AS 2179/09 ER; SG Neubrandenburg, Urt. v. 27.09.2010, S 11 AS 960/07; SG Kiel, Beschluss v. 09.11.2010, S 34 AS 564/10 ER sowie v. 20.12.2010, S 36 AS 666/10 ER (beide nicht veröffentlicht).

In folgenden Fällen scheidet nach alledem eine bedarfsmindernde Direktanrechnung nach § 22 Abs. 3 SGB II aus:

1) (Noch) keine Auszahlung des Guthabens.

2) Vermieterseitige Aufrechnung mit eigenen Forderungen (ausstehende Mieten, Mietkaution; SG Neubrandenburg, Urt. v. 27.09.2010, S 11 AS 960/07). Dann aber ggf. Anrechnung als Einkommen (LSG Hamburg, Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08), str.

3) Auskehrung an Dritte/Ziehung zur Insolvenzmasse im Verbraucherinsolvenzverfahren (ggf. Anrechnung als Einkommen).

In folgenden Fällen ist eine bedarfsmindernde Direktanrechnung nach § 22 Abs. 3 SGB II demgegenüber möglich:

1) Barauszahlung an den Mieter/Leistungsberechtigten.

2) Überweisung auf das Bankkonto des Mieters/Leistungsberechtigten.

Sonderfall: Mieterseitige Verrechnung mit Monatsmiete

Ein Sonderfall stellt m.E. die mieterseitige Verrechnung mit einer Monatsmiete dar. In diesem Fall erfolgt weder eine Rückzahlung noch eine Gutschrift auf das Konto des Mieters/Leistungsberechtigten, sondern der Vermieter mindert die Miete (i.d.R.) für einen Monat um den Guthabenbetrag. Beispiel: Die monatliche Miete beträgt 500,00 € brutto warm. Der Vermieter hat ein Guthaben von 300,00 € errechnet und fordert deswegen im Folgemonat von seinem Mieter nur 200,00 € Miete.

Teilweise wird vertreten, entscheidend sei, ob der tatsächliche Einkommenszufluss zumindest für eine logische Sekunde dem Hilfebedürftigen zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes zur Verfügung stehe, was beispielsweise der Fall wäre, wenn der Hilfebedürftige und sein Vermieter eine Vereinbarung über die Verrechnung des Guthabens treffen, also nicht nur einseitig vom Vermieter aufgerechnet wird (dargestellt von SG Neubrandenburg, Urt. v. 27.09.2010, S 11 AS 960/07, Rn. 25 unter Hinweis auf SG Reutlingen, Urt. v. 10.06.2009, S 2 AS 1472/08, Rn. 27).

Nach hier vertretene Auffassung bedarf es dieser juristischen Klimmzüge nicht. Mangels „Rückzahlung“ oder „Gutschrift“ des Guthabens scheidet eine Anwendung des § 22 Abs. 3 SGB II nach seinem eindeutigen Wortlaut aus (wie hier SG Neubrandenburg, Urt. v. 19.01.2011, S 11 AS 386/08; dies sieht das Jobcenter Kiel jetzt offenbar auch so und hat deswegen etwa im Verfahren S 34 AS 504/11 ER mit Schriftsatz vom 04.11.2011 der Beschwer abgeholfen).

Allerdings besteht im Verrechnungsmonat ein um den Guthabenbetrag verminderter Unterkunftskostenbedarf. Dies weiß der Mieter/Leistungsberechtigte auch oder hätte es jedenfalls wissen müssen, so dass m.E. einer Rückforderung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X im Verrechnungsmonat nichts im Wege steht.

Zeitpunkt der bedarfsmindernden Direktanrechnung

Die größten Schwierigkeiten bereitet in der Praxis die zutreffende Bestimmung des Monats der bedarfsmindernden Direktanrechnung des Guthabens auf die Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft, die ausschließlich ab Beginn des nächsten Monats nach der Rückzahlung oder der Gutschrift erfolgen darf (systemwidrige Abweichung vom Zuflussprinzip). Dies mögen einige Beispiele verdeutlichen:

1) Der Leistungsberechtigte erhält am 20.10.2011 seine Betriebskostenabrechnung und reicht diese am 24.10.2011 beim Jobcenter ein. Das Guthaben wird am 27.10.2011 auf dem Konto des Leistungsberechtigen gutgeschriebenen. Eine bedarfsmindernde Direktanrechnung im November ist nicht mehr möglich, weil die Leistungen bereits um den 23. eines jeden Monats angewiesen werden.

2) Der Leistungsberechtigte erhält am 10.10.2011 seine Betriebskostenabrechnung und reicht diese am 15.10.2011 beim Jobcenter ein. Das Jobcenter rechnet das Guthaben im November an. Das Guthaben wird erst am 03.11.2011 auf dem Konto des Leistungsberechtigen gutgeschriebenen. Die bedarfsmindernde Direktanrechnung im November ist damit rechtswidrig.

Bereits diese zwei Beispiele verdeutlichen, dass es letztlich reiner Zufall ist, ob dem Leistungsträger eine rechtmäßige Direktanrechnung gelingt. Mit anderen Worten: Bei § 22 Abs. 3 SGB II bzw. der Vorgängerregelung handelt es sich um eine gesetzgeberische Fehlleistung ersten Ranges. Lediglich in den überaus seltenen Fällen, in denen die Vermieter den Zeitpunkt der Guthabenauskehrung in der Nebenkostenabrechnung festlegen und einen großzügig bemessenen Zeitraum zwischen Rechnungserstellung und Auszahlung des Guthabens bestimmen, kann eine Direktanrechnung im Einzelfall vorhersehbar gelingen.

Hohes Prozess(kosten)risiko der Jobcenter

Die Jobcenter haben im laufenden Verwaltungsverfahren die Pflicht, den Zuflusszeitpunkt des Guthabens zutreffend zu ermitteln, § 20 SGB X. Hierzu müssen sich die Jobcenter letztlich den Zahlungseingang durch Vorlage von Kontoauszügen der Leistungsberechtigten nachweisen lassen. Tun sie dies nicht und stellt sich erst im Klageverfahren heraus, dass der Zuflussmonat von ihnen unzutreffend bestimmt worden ist, können sich die Behörden nicht mit dem Argument gegen ihre Pflicht zur Tragung der Prozesskosten wehren, der Zuflussnachweis sei ihnen erst im laufenden Klageverfahren bekannt geworden (SG Kiel, rechtliche Hinweise vom 13.10.2011 im Klageverfahren S 33 AS 1273/10). Die Leistungsträger wären daher gut beraten, immer dann, wenn der Zuflusszeitpunkt nicht sicher ermittelt wurde, von der bedarfsmindernden Direktanrechnung im Folgemonat Abstand zu nehmen und Betriebskostenguthaben über (§ 22 Abs. 3 SGB II i.V.m.) § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 oder 4 SGB X zurückzufordern.

Offene Fragen

Soweit die Bewilligungsentscheidung nach § 22 Abs. 3 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X (systemwidrig) im Monat nach dem Guthabenzufluss aufgehoben wird, dürfte allerdings regelmäßig weder ein Wissen noch ein auf besonderer Sorgfaltswidrigkeit beruhendes Nichtwissen des Leistungsberechtigen um die zu hohe Leistungsbewilligung anzunehmen sein, da nach dem (als bekannt vorauszusetzenden) Zuflussprinzip mit einem teilweisen Wegfall des Leistungsanspruches lediglich im Zuflussmonat und nicht dem Folgemonat des Zuflusses zu rechnen sein dürfte.

Möglich ist m.E. aber auch eine Rückforderung über § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X im Monat des Zuflusses des Guthabens. Mit dem LSG Hamburg (Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08) ist davon auszugehen, dass lediglich die bedarfsmindernde Direktanrechnung im Folgemonat zu erfolgen hat. Eine generelle Rückverlegung des Anrechnungsmonats ist der Vorschrift des § 22 Abs. 3 SGB II indessen weder zu entnehmen noch begründet sich eine solche Interpretation aus den Motiven des Gesetzgebers.

In Betracht kommt weiter eine verschuldensunabhängige Rückforderung über  § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X als Einkommen im Zuflussmonat. Dies setzt dann allerdings voraus, dass man mit dem LSG Hamburg (Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08) § 22 Abs. 3 SGB II nicht als „abschließende Sonderregelung der leistungsrechtlichen Wirkungen der erfassten Rückzahlungen und Guthaben“ versteht (so aber Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 22 Rn. 113). In diesem Fall wäre dann allerdings i.d.R. die Versicherungspauschale von 30 € in Abzug zu bringen.

Einzelfälle

BSG, Urt. v. 22.03.2012, B 4 AS 139/11 R (Terminsbericht): Auch wenn eine Person (hier die Tochter des Klägers), die im Abrechnungszeitraum nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft war, sich an den Betriebskosten beteiligt hat, ist ein Guthaben leistungsmindernd zu berücksichtigen, selbst wenn dieses mit einer Forderung (hier der Tochter) belastet war.

Regelung im SGB XII (insbesondere Grundsicherung im Alter)

Gutschriften aus Strom- oder Betriebskostenvorauszahlungen, die infolge zu hoher Vorauszahlungen entstanden sind, wurden bislang als Einkommen auf die Grundsicherungsleistungen angerechnet. § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII in der Fassung ab 01.04.2011 regelt nun: „Einkünfte aus Rückerstattungen, die auf Vorauszahlungen beruhen, die Leistungsberechtigte aus dem Regelsatz erbracht haben, sind kein Einkommen“. Von § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII werden erfasst:

  • Alle Guthabenerstattungen, die aus Vorauszahlungen für Leistungen beruhen beruhen, die ihrer Natur nach aus dem Regelsatz zu bestreiten sind (vor allem Strom).
  • Alle Guthabenerstattungen, die aus Vorauszahlungen für Leistungen beruhen beruhen, die zwar ihrer Natur nach vom Leistungsträger zu erbringen sind, zu denen der Leistungsberechtigte aber hinzu zahlen muss, weil die tatsächlichen Kosten nicht anerkannt werden (etwa Zuzahlung zu den Betriebskosten bei einer Bruttokalt-Mietobergrenze, Zuzahlung zu den Heizkosten wegen (angeblich) unwirtschaftlichem Heizverhalten). Hier gilt wie oben bereits dargelegt:  Guthaben in Höhe der monatlichen Zuzahlungen zur Miete/Heizkosten x 12 Monate stehen dem Leistungsberechtigten und nicht dem Grundsicherungsträger zu.

Weiterführende Infos auf dieser Seite:

Jobcenter Kiel ändert seine Verwaltungspraxis bei der Rückforderung von Betriebskostenguthaben

Übernahme von Betriebskostennachzahlungen bei Anerkennung der tatsächlichen Miete im Abrechnungszeitraum!

Leistungsberechtigten steht bei Mietzuzahlung Betriebskostenguthaben zu!

Zur Abtretung von Nebenkostenguthaben

Nachtrag 16.06.2018: Zu 01.08.2016 wurde § 22 Abs 3 SGB II um den Halbsatz „Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht“ ergänzt. Damit ist die Rechtslage in dem hier dargestellten Sinne vom Gesetzgeber geändert worden. Die Neuregelung ist nicht für Zeiträume vor dem 01.08.2016 anwendbar, vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2018, B 14 AS 22/17 R.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Leistungsberechtigten steht bei Mietzuzahlung Betriebskostenguthaben zu!

Im konkreten Fall  erkannte das Jobcenter Kiel im Jahr 2009 von der tatsächlichen Miete der Leistungsberechtigten in Höhe von rund 405 Euro nur die sog. Mietobergrenze von 327 Euro bruttokalt – also inklusive Betriebskosten – (später 362,80) an. Die Differenz zu ihrer tatsächlichen Miete bezahlte die Leistungsberechtigte aus ihrem Regelsatz von 359 Euro. Im September 2009 erhielt die Leistungsbezieherin von ihrem Vermieter die Betriebskostenabrechnung für das Vorjahr, die mit einem Betriebskostenguthaben in Höhe von 297,40 Euro abschloss. In dieser Höhe minderte der Vermieter die Miete für November 2009. Das Jobcenter Kiel erbrachte daraufhin für November 2010 nur Leistungen für die Unterkunft abzüglich des Guthabens von 297,40 Euro und begründete dies damit, Betriebskostenguthaben minderten nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II die Aufwendungen für die Unterkunft. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 02.12.2010 entschied das Sozialgericht Kiel, dass die mindernde Berücksichtigung von Betriebskostenguthaben rechtswidrig ist, wenn das Guthaben nicht durch Leistungen des Jobcenters für die Unterkunft entstanden ist, sondern auf Zuzahlungen des Leistungsberechtigten zur Miete beruht. Als Faustformel gilt: In Höhe der monatlichen Zuzahlungen zur Miete x 12 Monate steht eine Betriebskostenguthaben den Hilfebedürftigen zu und nicht dem Jobcenter und darf daher weder zurückgefordert werden noch auf die Leistungen für die Unterkunft angerechnet werden. Betroffene sollten sich auf jeden Fall fachkundigen Rat holen, da das Jobcenter Kiel seine rechtswidrige Verwaltungspraxis weiter fortsetzt.

Sozialgericht Kiel, Beschluss vom 02.12.2010, S 38 AS 588/10 ER

Erstveröffentlichung in Hempels 03/2011

Nachtrag 23.04.2012:

Zwischenzeitlich liegt von der selben Kammer das Urteil vom 07.02.2012, S 38 AS 218/10 (nicht rechtskräftig) vor.

Nachtrag:

Wie hier für Heizkostenguthaben, die auf Zahlungen aus dem Regelsatz beruhen, SG Chemnitz, Urteil vom 31.01.2013, S 40 AS 5401/11; SG Chemnitz, Urteil vom 31.01.2013, S 40 AS 540/11, SG Chemnitz, Urteil vom 11.04.2013, S 14 AS 4157/13 (das SG Chemnitz hat in allen Verfahren die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen).

Nachtrag 16.06.2018: Zu 01.08.2016 wurde § 22 Abs 3 SGB II um den Halbsatz „Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht“ ergänzt. Damit ist die Rechtslage in dem hier dargestellten Sinne vom Gesetzgeber geändert worden. Die Neuregelung ist nicht für Zeiträume vor dem 01.08.2016 anwendbar, vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2018, B 14 AS 22/17 R.

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