Abhängigkeit sozialrechtlichen Verwertungsschutzes für selbst bewohntes Wohneigentum von der aktuellen Bewohnerzahl verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz

Pressemitteilung Nr. 49/2022 vom 2. Juni 2022

Beschluss vom 28. April 2022
1 BvL 12/20

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts auf eine Vorlage entschieden, dass § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 in Verbindung mit Satz 2 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) mit dem Grundgesetz vereinbar ist.

Die Vorlage betrifft die im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung anzuwendende Regelung des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 in Verbindung mit Satz 2 SGB II, wonach selbst bewohntes Wohneigentum angemessener Größe einem Bezug von Grundsicherungsleistungen nicht als anrechenbares Vermögen entgegensteht, also in der Sache vor Verwertung geschützt ist. Die angemessene Größe richtet sich dabei nach der aktuellen Bewohnerzahl. Die Regelung berücksichtigt daher nicht, wenn Eltern gegenwärtig gerade deshalb über größeren Wohnraum verfügen, weil sie zuvor noch den Wohnbedarf ihrer mittlerweile ausgezogenen Kinder decken mussten. Dass die Vorschrift für die Frage des Verwertungsschutzes von Wohneigentum nicht nach dessen familiärer Vorgeschichte differenziert, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Vorschrift dient der Realisierung des Bedarfsdeckungsprinzips, wonach im System der Grundsicherung staatliche Leistungen allgemein nachrangig gewährt werden. Das steht zu der Belastung der Betroffenen nicht außer Verhältnis.

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Hartz IV für den Monat der Heizölbestellung

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Auch Menschen, die keine laufenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II (Hartz IV) beziehen, können für den Monat ihrer Heizmaterialbestellung einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II für ihre Heizkosten haben.

Geklagt hatte eine fünfköpfige Familie, die ein Eigenheim bewohnt und von zwei Einkommen sowie Kindergeld lebt. Im September 2013 kauften sie Briketts und Heizöl für nicht ganz 1.400 € und beantragten beim Jobcenter einen Heizkostenzuschuss. Das beklagte Jobcenter lehnte den Antrag ab, weil der Betrag aus eigenen Mitteln bestritten werden könne, wenn er auf ein Jahr umgelegt werde.

Das Sozialgericht verurteilte das Jobcenter, der Familie für den Monat September 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von circa 1.000 € zu zahlen, weil der Bedarf in diesem Monat angefallen und zu befriedigen, ihm jedoch das zu berücksichtigende Einkommen gegenüber zu stellen sei. Das Bundessozialgericht hat dieser Entscheidung nun letztinstanzlich bestätigt.

Als Bedarf der Familie war für den Monat September 2013 auch das von ihnen in diesem Monat gekaufte Heizmaterial anzuerkennen, selbst wenn es nicht nur für diesen Monat bestimmt war. Denn prägend für die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ist die Ermittlung der Bedarfe und des zu berücksichtigenden Einkommens und Vermögens im jeweiligen Kalendermonat. Eine Abweichung von diesem Monatsprinzip enthält das SGB II zwar etwa für Instandhaltungsaufwendungen bei selbstgenutztem Wohneigentum (§ 22 Abs. 2 SGB II). Eine Rechtsgrundlage für die Verteilung eines in einem bestimmten Monat anfallenden Bedarfs für Heizmaterial, das für einen längeren Zeitraum gekauft worden ist, enthält das SGB II indessen nicht.

(BSG, Urteil vom 08.05.2019, B 14 AS 20/18 R)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 6/2019

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Jobcenter muss Reparaturkosten bei Eigenheim voll übernehmen

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Als Bedarf für die Unterkunft werden nach § 22 Abs. 2 SGB II bei selbst bewohntem Wohneigentum auch unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur als Zuschuss anerkannt, soweit hierdurch die für Mietwohnraum geltenden örtlichen Angemessenheitsgrenzen in 12 Monaten nicht überschritten werden. Beispiel: Laufende Kosten der selbst genutzten Immobilie: 300,00 € monatlich ohne Heizung, Mietobergrenze für angemessene Mietwohnung 400,00 €, Reparaturkosten bis 1.200,00 € im Jahr können als Zuschuss übernommen werden, ein etwaiger Rest nur als Darlehen.

Das Sozialgericht Dortmund hat nun entschieden, dass ein Jobcenter die Kosten für die Erneuerung einer defekten Gasheizung (5.200,00 €) ungeachtet der Frage der Angemessenheit der Wohnkosten tragen muss, wenn es zuvor der langzeitarbeitslosen Hauseigentümerin keine Kostensenkungsaufforderung zugestellt hat. Es könne dahinstehen, ob die Wohnkosten – wie von dem Jobcenter angenommen – unangemessen seien. Jedenfalls habe die Behörde es versäumt, der Klägerin vorab eine Kostensenkungsaufforderung zuzustellen. Das Erfordernis der Kostensenkungsaufforderung gelte für Mietwohnungen wie für selbstbewohntes Wohneigentum gleichermaßen. Mieter und Eigentümer seien als Grundsicherungsbezieher insoweit gleich zu behandeln.

Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 19.09.2016, S 19 AS 1803/15

Erstveröffentlichung in HEMPELS 11/2016

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Zur Übernahme von Tilgungsraten bei selbstgenutztem Wohneigentum: Bei rund 77 % Tilgung ist die Finanzierung „weitgehend abgeschlossen“

(c) Kurt F. Domnik / pixelio.de

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Mit Beschluss vom 14.10.2014 hat die 2. Kammer am Sozialgericht Schleswig zum Aktenzeichen S 2 AS 135/14 ER das Jobcenter Kreis Schleswig-Flensburg verpflichtet, auch die Tilgungsraten eines Darlehens zur Finanzierung des selbstgenutzten Wohneigentums einer Bezieherin von Leistungen nach dem SGB II (ALG II) zu übernehmen.

Leitsätze des Verfassers:

1. Die Finanzierung des selbstgenutztem Wohneigentums ist bereits weitgehend abgeschlossen, wenn 77,07 % der Gesamtdarlehenssumme getilgt sind.

2. Der konkret drohende Verlust des Wohneigentums ist als erfüllt anzusehen, wenn dieser allein dadurch abgewendet wird, dass der Leistungsberechtigte die Tilgungsraten zweckwidrig aus seinem Regelsatz bestreitet.

SG Schleswig, Beschluss vom 14.10.2014, S 2 AS 135/14 ER (rechtskräftig)

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Zur Übernahme von Tilgungsraten bei selbstgenutztem Wohneigentum

(c) GesaD / pixelio.de

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Das Pendel schlägt mal nach vorne und mal zurück. Nachdem das Jobcenter Kiel in zahlreichen Klage- und Eilverfahren von Kammern am SG Kiel zur Übernahme von Tilgungsleistungen für die selbstgenutzte Wohnung eines ALG II-Beziehers verurteilt bzw. verpflichtet worden war, wurden die Urteile jüngst vom Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht allesamt aufgehoben (Urteilsgründe liegen noch nicht vor) und der Anspruch auch in einem aktuellen Antragsverfahren von der 34. Kammer am SG Kiel abgelehnt (SG Kiel, Beschluss vom 04.02.2015, S 34 AS 4/15 ER).

Finanzierung nicht „weitgehend abgeschlossen“

Entscheidend war für das SG, dass zu Beginn des streitigen Zeitraumes 01.01.2015 bis 30.06.2015 die Finanzierung des Kaufpreises noch nicht „weitgehend abgeschlossen“ war. Die Wohnung ist für 41.500,00 € erworben worden. Zusätzlich musste der Antragsteller 10.000,00 € in die Sanierung investieren. 25.000,00 € der Gesamtinvestitionssumme wurden über ein Darlehen finanziert und 26.500,00 € aus Eigenmitteln. Zum 01.01.2015 betrug die Restschuld noch rund 17.000,00 €, mithin etwa 41 % des reinen Kaufpreises und etwa 33 % der Gesamtinvestitionssumme. Damit war die Finanzierung nach Auffassung des SG Kiel noch nicht „weitgehend abgeschlossen“. Ab wann von einer „weitgehenden Finanzierung“ auszugehen ist, bei deren Eintritt der Schutz des bereits Erworbenen (§ 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II) dem (angeblichen) „sozialrechtlichen Grundsatz“, wonach Sozialleistungen nicht der Vermögensbildung dienen dürfen, Vorrang gebührt, hat das BSG bisher nicht entschieden. Auch die Rechtsprechung der Landesozialgerichte ist zu dieser Frage eher wenig ergiebig. Lediglich das LSG Sachsen-Anhalt hat sich dahingehend geäußert, die Finanzierung müsse mindestens in Höhe von 80 % abgeschlossen sein (Beschluss vom 18.04.2013, L 5 AS 8/12 B ER). Die Rechtsfrage, ob bei einem 60-jährigen die Tilgungsraten für die Finanzierung eines zum Schonvermögen zählenden selbst genutzten Hausgrundstückes nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II übernommen werden können, wenn die Resttilgung 18,7 % des Kaufpreises beträgt, ist jetzt beim BSG anhängig (B 4 AS 49/14 R).

Wertsteigerungen nicht zu berücksichtigen

Der Rechtsauffassung der Antragstellerseite, dergemäß bei der Bestimmung des Grades der Finanzierung der Immobilie der Restschuld deren Zeitwert in Höhe von rund 73.320,00 €  gegenüber zu stellen ist (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 29.01.2014, L 6 AS 422/12 – Revision anhängig unter B 4 AS 49/14 R) und deswegen von einer Restschuld von lediglich rund 23 % auszugehen sei, mochte sich das SG Kiel nicht anschließen. Die angeführte Begründung, der aktuelle Verkehrswert habe „keinen Einfluss auf die Höhe der monatlichen Raten für die Finanzierung und auch keinen Einfluss darauf, wann und in welchem Umfang die Finanzierung abgeschlossen ist“, ist zutreffend, allerdings für die Beantwortung der Frage, in welchem Umfang eine Immobilie als Vermögensgegenstand mit einem konkreten Verkehrswert bereits erworben und in welchem Umfang noch zu erwerben ist – mithin für die Frage, ob der Schutz des Erworbenen überwiegt – ohne jede Aussagekraft. Entgegen der Entscheidung des SG Kiel sind Wertsteigerungen der Immobilie zu berücksichtigen.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


34. Kammer am SG Kiel: Tilgungsraten bei Eigentumswohnung vom Jobcenter zu übernehmen

Sozialgericht Kiel

Mit Beschluss vom 11.07.2012 hat nun auch die 34. Kammer am Sozialgericht Kiel im Verfahren S 34 AS 214/12 ER entschieden, dass bei selbst genutztem Wohneigentum auch die Tilgungsraten bis zur Höhe der angemessenen Kosten einer vergleichbaren Mietwohnung vom Jobcenter nach § 22 Abs. 1 SGB II übernommen werden müssen. Zur Begründung hat sich die 34. Kammer der hier bereits seit einiger Zeit vertretenen Rechtsauffassung (mehr hier) angeschlossen, wonach jedenfalls seit der letzten SGB II-Novelle, im Rahmen derer sich der Gesetzgeber gegen einen Ausschluss der Tilgungsleistungen aus dem Katalog der Unterkunftsleistungen entschieden hat, die generelle Nichtberücksichtigung von Tilgungsraten nicht mehr vertretbar ist. Zu diesem Punkt hat die 34. Kammer ausgeführt:

„Die Kammer folgt nicht mehr der Ansicht des Antragsgegners, dass die Tilgungsrate bei der Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten keine Berücksichtigung finden könne.Der Wechsel beruht auf dem Umstand, dass der Bundesgesetzgeber sich auf Anfrage des Bundesrates dagegen entschieden hat, Tilgungsleistungen ausdrücklich aus dem Katalog der KdU-Leistungen auszuschließen (BT-Drs 17/3958 Seiten 13, 14 (vorgeschlagener Wortlaut und Begründung) und BT-Drs. 17/3982 Seiten 7, 8: Ablehnung des Vorschlags). Dieser erkennbare Wille des Gesetzgebers führt dazu, dass die Kammer es nicht mehr für dem Grunde nach unvereinbar mit dem System der Grundsicherung hält, dass die Übernahme von Tilgungsraten im Rahmen der Kosten der Unterkunft als Nebeneffekt zur Vermögensbildung führt. Ein grundsätzlicher Ausschluss von Vermögensbildung durch Sozialleistungen, wie ihn der Antragsgegner behauptet, würde die Regelung in § 3 Abs. 2 Wohngeldgesetz infrage stellen. Zum Anderen spricht auch das Gebot der Gleichbehandlung von leistungsberechtigten Mietern und Wohnungseigentümern für eine Einbeziehung von Tilgungsleistungen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 18.06 2008, B 14/11b AS 67/06 R, Rn. 29).Die Kammer geht im nächsten Schritt davon aus, dass sich die Angemessenheit der Unterkunftskosten für Mieter und Wohnungseigentümer nach einheitlichen Kriterien richtet. Grundsätzlich zählen zu den Kosten der Unterkunft alle die Unterkunft sichernden Aufwendungen (Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 22 Rn. 16). Dazu gehören neben den Zinsen, die im Rahmen eines Darlehens, das zur Finanzierung einer Eigentumswohnung aufgenommen worden ist, anfallen (Lang/Link,a.a.O., Rn. 26), auch die Tilgungsanteile im Rahmen der Finanzierung, soweit diese angemessen im Sinne von 22 SGB II sind (BSG, Urteil vom 18.06.2008, B 14/11b AS 67/08 R, Rn. 23). Weitere Voraussetzung für die (anteilige) Übernahme des Tilgungsanteils ist ferner, dass der Leistungsberechtigte gezwungen wäre, ohne die Übernahme der Finanzierungskosten seine Wohnung aufzugeben (BSG, a.a.O.).

Dies ist vorliegend der Fall. Die kalten Unterkunftskosten des Antragstellers sind bis zur Höhe von monatlich EUR 308,50 angemessen (s.o.). Ausweislich des mit der Antragsschrift vorgelegten Schreibens der finanzierenden Bausparkasse vom 04.08.2010 an den Antragsteller ist diese nicht bereit, den monatlichen Zahlbetrag zu stunden oder herabzusetzen. Hieraus wird hinreichend deutlich, dass die finanzierende Bank auf Einhaltung des vereinbarten Zahlungsplanes einschließlich der Zahlung des vereinbarten Tilgungsanteils besteht.“

Der Beschluss findet sich im Volltext hier:

SG Kiel, Beschluss v. 11.07.2012, S 34 AS 214/12 ER

Nachtrag 17.01.2013:

SG Kiel, Beschluss vom 11.01.2013, S 34 AS 4/13 ER

Für eine Übernahme von Tilgungsleistungen auch:

Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 03.05.2010, L 11 B 41/10 AS ER

(im Anschluss an BSG v. 18.06.2008, B 14/11b AS 67/06 R; SG Kiel, Beschluss vom 17.09.2010, S 37 AS 449/10 ER; SG Kiel, Beschluss vom 01.10.2010, S 40 AS 480/10 ER)

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Tilgungsraten bei Eigentumswohnung vom Jobcenter zu übernehmen

Sozialgericht Kiel bestätigt neue Mietobergrenzen! Auch Tilgungsraten sind grundsätzlich als Unterkunftskosten anzuerkennen!

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Tilgungsraten bei Eigentumswohnung vom Jobcenter zu übernehmen

Sozialgericht Kiel

Mit Urteil vom 21.02.2012 hat das Sozialgericht Kiel erneut entschieden, dass bei selbst genutztem Wohneigentum auch die Tilgungsraten bis zur Höhe der angemessenen Kosten einer vergleichbaren Mietwohnung vom Jobcenter nach § 22 Abs. 1 SGB II übernommen werden müssen. Zur Begründung hat die 40. Kammer zutreffend – wenngleich auch sehr knapp – ausgeführt:

„Die Kammer geht hier weiter davon aus, dass sich die Angemessenheit der Unterkunftskosten für Mieter und Wohnungseigentümer nach einheitlichen Kriterien richtet. Grundsätzlich zählen zu den Kosten der Unterkunft alle die Unterkunft sichernden Aufwen­dungen (Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 22 Rn. 16). Dazu gehören neben den Zinsen, die im Rahmen eines Darlehens anfallen, das zur Finanzierung einer Ei­gentumswohnung aufgenommen worden ist (Lang/Link, a.a.0., Rn. 26), auch die Tilgungs­anteile im Rahmen der Finanzierung, soweit diese angemessen im Sinne von § 22 SGB II sind (BSG, Urteil vom 18. Juni 2008, B 14/11 b AS 67/06 R, Rn. 23). Weitere Voraussetzung für die (anteilige) Obernahme des Tilgungsanteils ist ferner, dass der Hilfebedürftige ge­zwungen wäre, ohne die Übernahme der Finanzierungskosten seine Wohnung aufzugeben (BSG, a.a.0.).

Dies ist vorliegend der Fall. Die kalten Unterkunftskosten des Klägers sind bis zur Höhe von monatlich EUR 301,50 bzw. EUR 308,50 angemessen. Ausweislich des vorgelegten Schrei­bens der finanzierenden Bausparkasse vom 04.08.2010 an den Antragsteller ist diese nicht bereit, den monatlichen Zahlbetrag zu stunden oder herabzusetzen. Hieraus wird hinrei­chend deutlich, dass die finanzierende Bank auf Einhaltung des vereinbarten Zahlungspla­nes einschließlich der Zahlung des vereinbarten Tilgungsanteils besteht.

Der gegen die vom BSG in der Entscheidung vom 18.06.2010 vertretene Auffassung vorgebrachten Kritik, dass so letztlich Vermögensaufbau zu Gunsten von Hilfeempfängern betrieben werde, wird nicht gefolgt. Zum einen geht die Kammer mit dem BSG davon aus, dass das Spannungsverhältnis zwischen Vermögensaufbau durch Grundsicherungsleistungen einerseits und der existenzsichernde Funktion der Grundsicherungsleistungen andererseits zumindest dann zugunsten eines gewissen Vermögensaufbaus bei dem Hilfeempfänger auf­zulösen ist, wenn ohne die (anteilige) Obernahme der Tilgungsleistung ein Verlust der Woh­nung als räumlichem Lebensmittelpunkt, der besonderen Schutz genießt, droht. Denn sollte sich ein solches Verlustszenario realisieren, hatte der Hilfebedürftige sodann mutmaßlich wieder als Mieter – einen Anspruch auf Übernahme der angemessen Unterkunftskosten, also in Kiel bis zur Höhe von EUR 308,50 bruttokalt. Zum anderen spricht auch das Gebot der Gleichbehandlung von hilfebedürftigen Mietern und Wohnungseigentümern für eine Einbe­ziehung von Tilgungsleistungen (vgl. hierzu BSG, a.a.0., Rn. 29).“

Das Urteil im Volltext findet sich hier: SG Kiel, Urteil vom 21.2.2012, S 40 AS 490/10

Weitere Urteile vom selben Tage mit gleichem Tenor und identischer Begründung: S 40 AS 550/11, S 40 AS 770/11, S 40 AS 1720/11.

Einschränkende Auslegung contra legem

Nach hiesiger Rechtsauffassung gehört die Behauptung, Sozialleistungen dürften bei allen (nur nicht bei den Hilfebedürftigen selbst) zu einer Vermögensmehrung führen, zu einer der sonderbarsten Argumentationslinien, die das deutsche Sozialrecht zu bieten hat, und die weder mit dem Gesetz noch rational zu begründen ist, sondern sich allein auf die Existenz entsprechender höchstrichterlicher Präjudizien stützen lässt – denen im Recht freilich ein ganz eigenes, eigentümliches Gewicht zukommt.

Da § 22 Abs. 1 SGB II keine Differenzierung im Hinblick auf die Art und Weise (der Finanzierung) der Unterkunft vornimmt, verstößt die Nichtanerkennung einzelner Kosten – wie hier der Finanzierungskosten, soweit diese auf Tilgungsleistungen entfallen – gegen geltendes Recht.

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Frage der Nichtberücksichtigung von Tilgungsleistungen im Gesetzgebungsverfahren zur letzten SGB II-Novelle ausführlich erörtert wurde. In seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur BT Drucks. 17/3958 (Seiten 1, 9, 13, 14) schlug der Bundesrat vor, Tilgungsleistungen ausdrücklich aus dem Katalog der KdU-Leistungen auszuschließen. Diesem Vorschlag ist die Bundesregierung in ihrer Unterrichtung (BR, BT Drucks. 17/3982 zu BT Drucks. 17/3958, Seiten 1, 7, 8) nicht gefolgt. Zur Begründung hat die Bundesregierung ausgeführt:

Zu Dreifachbuchstabe bbb

Der Bundesrat schlägt abweichend von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor, Tilgungsleistungen für ein Eigenheim zukünftig nicht mehr als Unterkunftsbedarf anzuerkennen. Im Übrigen soll die Gewährung eines Darlehens für mit einem Eigenheim in Zusammenhang stehende Aufwendungen von einer dinglichen Sicherheit abhängig gemacht werden dürfen.

Die Bundesregierung unterstützt den Vorschlag soweit die dingliche Sicherung des gewährten Darlehens vorgeschlagen wird. Im Übrigen lehnt sie den Vorschlag ab.

Der Ausschluss von Tilgungsleistungen für ein Eigenheim vom Bedarf für die Unterkunft lässt abweichend von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts keinen Raum für die Gewährung eines Zuschusses in Härtefällen. Bei bereits bestehenden Schulden birgt die Gewährung eines Darlehens die Gefahr einer Verschuldensspirale. Soweit die Gewährung eines Darlehens für mit der Wohnung in Zusammenhang stehende Aufwendungen von einer dinglichen Sicherung abhängig gemacht werden dürfen soll, kann einer Änderung zugestimmt werden. Die dingliche Sicherheit (z. B. Bestellung einer Hypothek) sollte dann aber im Regelfall gefordert werden.

Der Gesetzgeber hat mithin die Möglichkeit, Tilgungsleistungen aus dem Leistungsumfang der Zuwendungen für die Unterkunft zu entnehmen, gesehen, erwogen und sich bewusst gegen eine entsprechende Änderung des § 22 SGB II entschieden. Vor dem Hintergrund dieser klaren gesetzgeberischen Entscheidung ist die These, Tilgungsleistungen dürften, da zur Vermögensbildung bei dem Leistungsberechtigten beitragend, nicht übernommen werden, nicht (mehr) vertretbar.

Vermögensbildung auch im Wohngeldrecht

Zu Recht ist das BSG der Behauptung, Sozialleistungen dürften nicht zur Vermögensbildung bei Leistungsberechtigten beitragen, bereits in seinem Urteil vom 18. Juni 2008 (a.a.O. Rz. 29) mit Hinweis auf den Lastenzuschuss im Wohngeldrecht – bei welchem es sich auch um eine Sozialleistung handelt – entgegen getreten und hat – ohne das Glaubensbekenntnis von der verbotenen Vermögensmehrung bei Leistungsberechtigten freilich endgültig über Bord zu werfen – zutreffend ausgeführt:

„Ausgehend vom Ziel des Gesetzgebers, die Beibehaltung der Wohnung zu ermöglichen, so lange dies zu Lasten der Allgemeinheit mit vertretbaren Kosten (angemessene Kosten der Unterkunft) verbunden ist, spricht auch das Gebot der Gleichbehandlung von hilfebedürftigen Mietern und Wohnungseigentümern für eine Einbeziehung von Tilgungsleistungen. Eine Ausformung dieses Gebots lässt sich auch dem Wohngeldrecht entnehmen. Der Bezugnahme auf das Wohngeldrecht kann in diesem Zusammenhang nicht entgegen gehalten werden, dass dessen Grundsätze für die Bestimmung der Angemessenheit der Unterkunftskosten nicht maßgebend seien (vgl. BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 3, RdNr 18). Entscheidend ist hier, dass sowohl die Leistungen für KdU nach § 22 SGB II als auch das Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz (WoGG) der Sicherung des Wohnens dienen. Alg II- und Sozialgeldempfänger nach dem SGB II sind nur deshalb aus dem Kreis der Wohngeldberechtigten (§ 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 WoGG) ausgeschlossen, weil Leistungen für die KdU nach § 22 SGB II den angemessenen Wohnbedarf umfassend sicherstellen. Nach § 6 Abs 1 WoGG wird aber bei Eigentumswohnungen als „Belastung“ diejenige „aus dem Kapitaldienst und aus der Bewirtschaftung“ zugrunde gelegt. Zum Kapitaldienst zählt dort neben den Darlehenszinsen ua auch die Tilgungsverpflichtung (Stadler/Gutekunst/Dietrich/Fröba, Wohngeldgesetz, Stand: April 2008, § 6 RdNr 37 ff). Hieraus wird zudem deutlich, dass die Übernahme von Tilgungsleistungen in einem steuerfinanzierten Sicherungssystem nicht notwendig ausgeschlossen ist.“

Situation im Kreis Plön

Während das Jobcenter Kiel die Übernahme von Tilgungsraten bei selbstgenutzem Wohneigentum generell ablehnt, werden Tilgungsraten vom Jobcenter Plön in Umsetzung der Rechtsprechung des BSG in der Regel übernommen. In den Handlungsanweisungen des Kreises Plön ist unter Nr. 3 nachzulesen:

„Die zu Mietwohnungen entwickelten Grundsätze gelten auch, soweit Leistungsberechtigte ein selbst genutztes Hausgrundstück bzw. eine selbst genutzte Eigentumswohnung von angemessener Größe im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II bewohnen. Diese rein vermögensrechtliche Schutzvorschrift wirkt sich nicht auf die Höhe der nach § 22 SGB II zu übernehmenden Unterkunftskosten aus.

§ 22 SGB II sieht ohne Differenzierung danach, ob der Wohnbedarf durch Eigentum oder Miete gedeckt wird, Leistungen für Unterkunft und Heizung bis zur Grenze der Angemessenheit vor. Nach dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG ist für die Angemessenheit der Kosten eines Eigenheimes wie bei einer Mietwohnung die anerkannte Wohnraumgröße für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau und den Aufwendungen für eine Wohnung dieser Größe mit unterem Wohnstandard zu Grunde zu legen.

Daher ist bei Wohneigentum zunächst zu ermitteln, wie hoch die angemessenen Unterkunftskosten (Nettokaltmiete zzgl. Nebenkosten) bei einem Mietobjekt liegen würden. Bis zur Summe dieser angemessenen Kosten sind die tatsächlichen Aufwendungen zu berücksichtigen. Zu den Unterkunftskosten für selbst genutztes Wohneigentum zählen dabei alle notwendigen Ausgaben, die bei der Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung abzusetzen sind; § 7 Abs. 2 der Verordnung zu § 82 SGB XII findet insoweit entsprechende Anwendung.

Wenn diese Ausgaben die angemessenen Unterkunftskosten einer vergleichbaren Mietwohnung nicht übersteigen, können auch Tilgungsleistungen bis zu der angemessenen Höhe übernommen werden (BSG-Urteil vom 18.06.2008, B 14/11b AS 67/06 R). Erforderlich für die Übernahme von Tilgungsleistungen ist aber, dass diese zur Erhaltung des Wohneigentums unvermeidbar sind. Der Hilfebedürftige muss deshalb vor einer Inanspruchnahme staatlicher Leistungen alles unternehmen, um die Tilgungsverpflichtung während des Bezugs von Grundsicherungsleistungen so niedrig wie möglich zu halten. Die vom BSG ins Auge gefasste darlehensweise Übernahme unvermeidlicher Tilgungsleistungen, die die angemessenen Kosten einer Mietwohnung übersteigen, dürfte nur in sehr seltenen Einzelfällen in Betracht kommen, nämlich dann, wenn ein Ende der Leistungsberechtigung durch eine absehbare Arbeitsaufnahme hinreichend wahrscheinlich ist.“

Eine einheitliche Anwendung von Bundesrecht sieht anders aus.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Sozialgericht Kiel bestätigt neue Mietobergrenzen! Auch Tilgungsraten sind grundsätzlich als Unterkunftskosten anzuerkennen!

Unter anderem mit Beschluss vom 05.07.2011 (S 40 AS 270/11 ER) hat das Sozialgericht Kiel die seit dem 01.12.2010 auf der Grundlage des Kieler Mietspiegels 2010 anzuwenden Mietobergrenzen erneut bestätigt. Im konkreten Fall erkannte die 40. Kammer für einen Einpersonenhaushalt Unterkunftskosten bis zu 308,50 € zuzüglich Heizkosten als noch angemessen und damit übernahmefähig an. Eine Tabelle mit den neuen Mietobergrenzen finden sich hier.

In der Sozialausschusssitzung am 30.06.2011 hatte die Landeshauptstadt Kiel einen Antrag auf Anpassung der Mietobergrenzen an die Werte des Mietspiegels 2010 erneut abgelehnt und provoziert damit weitere – mit Sicherheit erfolgreiche – Klageverfahren.

Der von der Klägerseite vertretenen Rechtsauffassung, wonach der Berechnung der Mietobergrenzen nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 50/10 R) die durchschnittlich zu zahlenden Betriebskosten in Kiel in Höhe von derzeit 1,66 €/qm zugrunde zu legen und damit eine Mietobergrenze für einen Einpersonenhaushalt von 329,50 € zuzüglich Heizkosten anzuerkennen sei, ist das Gericht nicht gefolgt. Damit hält die 40. Kammer – leider ohne ein Wort der Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG – an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest.

Zudem bestätigte das Gericht in dieser Entscheidung erneut, dass bei selbstgenutztem Wohneigentum auch Tilgungsraten grundsätzlich als notwendige Kosten der Unterkunft anzuerkennen sind.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt