Bürgergeld: Der Abschluss eines Mietvertrages über die bereits bewohnte Wohnung ist kein Umzug

Schließt eine Bürgergeldbezieherin einen Mietvertrag über eine Wohnung, die sie schon zuvor als Mitbewohnerin einer Wohngemeinschaft (WG) bewohnt hat, benötigt sie vor Abschluss dieses Mietvertrags weder die Zusicherung der Kostenübernahme durch das Jobcenter noch kann das Jobcenter die Leistungen auf die Kosten ihres bisherigen WG-Zimmers deckeln. Das Jobcenter muss vielmehr auch zu hohe Mietkosten jedenfalls für einen gewissen Zeitraum übernehmen.

Die Bürgergeldbezieherin hat bis zum 28.02.2023 ein WG-Zimmer in einer 57,45 m2 großen Wohnung zusammen mit einem Mitbewohner bewohnt. Beiden waren Hauptmieter. Der Mitbewohner erklärte, zum 28.02.2023 ausziehen zu wollen. Aus diesem Grund schloss die Bürgergeldbezieherin zum 01.03.2023 einen Mietvertrag über die gesamte Wohnung ab. Das Jobcenter Kiel erkannte daraufhin ab dem 01.03.2023 nur noch Unterkunftskosten in Höhe der Mietobergrenze für einen Einpersonenhaushalt von gegenwärtig 397,00 € bruttokalt an. Zur Begründung führte es aus, die Bürgergeldbezieherin habe die Wohnung ohne die erforderliche Kostenzusicherung des Jobcenters gemäß § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II angemietet. Die Bürgergeldbezieherin sei auch in eine neue Wohnung umgezogen, denn sie habe einen Raum dazu erhalten, in dem vorher ihr Mitbewohner gewohnt habe.

Das Sozialgericht Kiel verpflichtete das Jobcenter Kiel, die vollen Mietkosten zu übernehmen. Denn die Bürgergeldbezieherin sei nicht „umgezogen“. Dies setze eine räumliche Veränderung voraus, die hier gerade nicht vorgelegen habe. Es sei auch kein Mietvertrag über eine „neue Unterkunft“ abgeschlossen worden, denn die Möglichkeit zur Nutzung eines weiteren Raumes mache die Wohnung nicht zu einer neuen Unterkunft. Auch eine Deckelung auf die bisherigen Kosten des WG-Zimmers nach § 22 Abs. 1 Satz 6 SGB II komme mangels Umzugs nicht in Betracht, wobei auch eine analoge Anwendung dieser Vorschrift ausscheide. 

SG Kiel, Beschluss vom 24.03.2023, S 39 AS 9/23 ER

Erstveröffentlichung in HEMPELS 5/2023

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Arbeitsplatzaufgabe im Ausland vor Rückzug nach Deutschland nicht sozialwidrig

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Gemäß § 34 SGB II ist derjenige, der vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für einen ALG-II-Anspruch ohne wichtigen Grund herbeiführt, zum Ersatz des deswegen gezahlten ALG II verpflichtet. In dem vom BSG entschiedenen Fall war eine Familie mit deutscher Staatsbürgerschaft unter Kündigung ihrer Arbeitsverhältnisse in Polen nach Deutschland gezogen. Das Jobcenter stellte mit sogenannten Grundlagenbescheiden fest, die Eheleute hätten durch die Aufgabe ihrer Arbeitsplätze zum Zwecke der Einreise nach Deutschland „sozialwidrig“ gehandelt und sie zum Ersatz des an sie ausgezahlten ALG II verpflichtet. Denn sie hätten sich von Polen aus um neue Arbeitsstellen in Deutschland bemühen können. Mit darauffolgenden sogenannten Leistungsbescheiden setzte das Jobcenter Ersatzansprüche in Höhe von rund 32.000 Euro gegen die Familie fest.

Hatte das SG die Klage der Familie gegen die Grundlagenbescheide noch abgewiesen, gab das LSG der Familie Recht: Ihr Verhalten sei vom Grundrecht auf Freizügigkeit nach Art. 11 Abs. 1 GG gedeckt. Das BSG bestätigte diese Entscheidung. Die Familie habe bereits nicht „sozialwidrig“ gehandelt. § 34 SGB II erfordere eine nach den Wertungen des SGB II besonders zu missbilligende Verhaltensweise. Eine solche liege nicht vor, wenn deutsche Staatsangehörige eine im Ausland ausgeübte Beschäftigung aufgeben und mit ihren Kindern nach Deutschland ziehen, ohne sich zuvor um eine Existenzgrundlage im Bundesgebiet bemüht zu haben.

(BSG, Urteil vom 29.08.2019, B 14 AS 50/18 R)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 11/2019

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Zur Notwendigkeit eines Umzuges i.S.v. § 22 Abs. 6 Satz 2 SGB II

Der Umzug aus einer Wohnung, die nicht den Vorgaben des § 48 LBO SH entspricht, ist notwendig im Sinne von § 22 Abs. 6 Satz 2 SGB II (SG Kiel, Beschluss vom 31.08.2018, S 31 AS 241/18 ER).

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Hartz IV: Vermieterbescheinigung ohne weitere Voraussetzungen

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Ein Bezieher von ALG II (Hartz IV) hat einen Anspruch auf Aushändigung einer Vermieterbescheinigung,  die nicht an weitere Voraussetzungen geknüpft werden darf.

Nach § 22 Abs. 4 Satz 2 SGB II hat ein ALG II-Empfänger gegenüber dem Jobcenter einen Anspruch auf Zusicherung der Übernahme der Aufwendung für eine neue Unterkunft sowie die Ausstellung einer entsprechenden Bescheinigung für den zukünftigen Vermieter, wenn deren Kosten angemessen sind. Das Jobcenter Kiel hatte die Ausstellung einer solchen Vermieterbescheinigung an vier Voraussetzungen geknüpft: Den Antrag auf Gewährung eines Darlehens zur Finanzierung der Mietsicherheit, die Abtretung des Rückzahlungsanspruches hinsichtlich der Mietsicherheit, die Abtretung der Ansprüche auf Auszahlung etwaiger Guthaben aus Betriebs- Heiz- oder Wasserkostenabrechnungen und eine Zustimmungserklärung zur Direktzahlung der Miete an den künftigen Vermieter.

Rechtswidrig, entschied das Sozialgericht Kiel. Hinsichtlich aller geforderten Erklärungen bestehe schon kein Zusammenhang mit der beantragten Zusicherung der Übernahme der Kosten der neuen Wohnung. Das Jobcenter verkenne zudem, dass Direktzahlungen nur ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn der Leistungsberechtigte dies beantragt habe oder die Zahlung der Miete anders nicht sichergestellt werden kann. Hinsichtlich des Abtretungsverlangens betreffend künftige Guthaben aus Heiz-, Neben- und Wasserkosten „fehlt dem Gericht jegliche Phantasie, auf welche Rechtsgrundlage diese Anforderung gestützt werden könnte.“ Erfreulich deutliche Worte an ein bisweilen von Rechtsgrundlagen völlig losgelöst agierendes Jobcenter.

(SG Kiel, Beschluss vom 25.01.2018, S 36 AS 11/18 ER)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 04/2018

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Umzugshelfer vom Studentenwerk?

Im – grundsätzlich legitimen – Interesse einer möglichst weitreichenden Kostenminimierung lese ich in Schreiben der Jobcenter immer wieder Dinge, die mich spontan stutzig machen. Von angeblich kostenlosem Wohnraum in Kiel (in Obdachlosenunterkünften, die dann so ganz kostenlos auch wieder nicht sind) bis hin zu kostenlosen Möbeln (vom Sperrmüll) scheinen der Phantasie wenig Grenzen gesetzt.

Heute nun las ich in einem Schreiben des Jobcenters Kiel, „Umzugshelfer“ für das Einladen ihrer Möbel in Kiel könne eine Mandantin beim Studentenwerk „erfragen“. Also Umzugshelfer vom Studentenwerk? Kiel hat eine Universität. So weit, so gut. Aber dass das dortige Studentenwerk ALG II-Empfängern Umzugshelfer vermittelt, schien wenigstens kontraintuitiv. Also ein kurzer Anruf beim stellvertretenden Abteilungsleiter Personal und Recht beim Studentenwerk Schleswig-Holstein: Bekommt meine Mandantin bei Ihnen Umzugshelfer? Erstaunen. Man müsse das mal prüfen. Wenig später die E-Mail: „Sehr geehrter Herr Hildebrandt, hiermit kann ich Ihnen mitteilen, dass das Studentenwerk SH keinen Umzugshelfer für ALG II-Empfänger stellt.“ Wer hätte das gedacht?

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


SH LSG zur „Erforderlichkeit“ eines Umzuges nach § 22 Abs. 4 Satz 2 SGB II

Schleswig-Holsteinisches LSG

Schleswig-Holsteinisches LSG

Im Rahmen einer Kostenentscheidung hat sich das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht zu den Voraussetzungen eines Umzugsgrundes geäußert und ausgeführt:

„Ein Umzug ist erforderlich, wenn ein plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund vorliegt, von dem sich auch ein Nichtleistungsempfänger leiten lassen würde. Dies ist u.a. anzunehmen, wenn er durch den kommunalen Träger veranlasst wurde, bei unzureichender Deckung des Wohnraumbedarfes, insbesondere bei ungünstiger Wohnflächenaufteilung und bevorstehender Geburt eines Kindes, bei baulichen Mängeln, Mängeln am Mietobjekt bzw. schlechten sanitären Verhältnissen und gesundheitlicher Belastung durch Ofenheizung, aber auch bei sonstigen dringenden persönlichen Gründen, wie einer nachhaltigen Störung des Vertrauensverhältnisses in einer Wohngemeinschaft, wegen einer Trennung oder auch zur Herstellung einer ehelichen bzw. eheähnlichen Lebensgemeinschaft (vgl. dazu Piepenstock in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl. 2015, § 22 Rn. 186 m.w.N.).“

Entscheidung zur Eheschließung ist Umzugsgrund

„Die vorgetragene und durch Vorlage der standesamtlichen Bescheinigung vom ____ Juli 2016 glaubhaft gemachte Entscheidung zur Eheschließung und Gründung einer eigenen Familien ist aber ein für den Wohnungswechsel plausibler, nachvollziehbarer und verständlicher Grund, von dem sich auch ein Nichthilfebedürftiger hätte leiten lassen. Stellt schon die Heirat eines unter 25 ­jährigen (die zur Auflösung der Bedarfsgemeinschaft mit den Eltern führt) einen sonstigen Grund im Sinne des § 22 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 SGB II dar, der den Leistungs­träger zur Erteilung einer Zusicherung für die (angemessenen) Kosten der neuen Unterkunft verpflichtet, gilt dies erst m Falle von über 25 jährigen Personen, die noch gemeinsam mit ihrer Mutter eine Unterkunft bewohnen und das gemeinsame Zusammenleben wegen Ehe­schließung und der Gründung einer eigenen Familie beenden wollen. Dass nicht der Sohn, sondern die Antragstellerin diejenige ist, die aus der gemeinsamen Wohnung auszieht, ist dabei allein der Tatsache geschuldet, dass sie nicht Hauptmieterin der Wohnung ___ ist und diese Wohnung im Übrigen für sie allein auch nicht angemessen wäre.“

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17.08.2016, L 6 AS 113/16 B ER


Kein Anspruch auf Zusicherung der Erforderlichkeit eines Umzuges vorab

(c) Gerd Altmann / pixelio.de

(c) Gerd Altmann / pixelio.de

Sowohl für Bezieher von Leistungen der Grundsicherung im Alter als auch für Hartz IV-Empfängern ist es vor einem Umzug wichtig zu wissen, ob der Grundsicherungsträger die „Erforderlichkeit“ eines Umzuges bejaht. Ein ALG II-Bezieher läuft andernfalls Gefahr, dass nach einem Umzug nur seine bisherige Miete übernommen wird (§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II). Für beide Empfängergruppen hängt zudem der Anspruch auf Übernahme von Umzugskosten und Mietkaution von der Notwendigkeit des Umzuges ab (§ 22 Abs. 6 SGB II; § 35 Abs. 3 SGB XII).

Das Gesetz sieht vor, dass die Zusicherung erst zu einem konkreten Miet- beziehungsweise Umzugsangebot erteilt werden soll. Da die Prüfung der Notwendigkeit eines Umzuges durch den Grundsicherungsträger bisweilen langwierig sein kann, besteht die Gefahr, dass die Wohnung bis zu einer Entscheidung der Behörde bereits an einen anderen Mietinteressenten vergeben worden ist.

Verneint der Grundsicherungsträger die Zusicherung, bleibt nur die Inanspruchnahme sozialgerichtlichen Eilrechtsschutzes, der letztinstanzlich häufig nicht innerhalb der Frist abgeschlossen werden kann, für den der Vermieter dem Leistungsberechtigten die Wohnung reserviert hat bzw. innerhalb derer Umzugskosten entstanden sind.

Dessen ungeachtet hat der Sozialhilfesenat des Bundessozialgerichts mit Urteil vom 17.12.2014 zum Aktenzeichen B 8 SO 15/13 R entschieden, dass auf die behördliche bzw. gerichtliche Vorabklärung einzelner Anspruchselemente – hier die grundsätzliche „Erforderlichkeit“ des Umzuges – in einem gesonderten Zusicherungsverfahren kein Rechtsanspruch besteht. Effektiven Rechtsschutz gewährleiste in diesen Fällen im Streitfall allein der einstweilige Rechtsschutz vor den Sozialgerichten.

Hinweise für Betroffene

Die Frage des Bestehens einen Umzugsgrundes sollten Betroffene rechtzeitig vor einem Umzug mit dem Grundsicherungsträger klären. Überzeugt sich der Grundsicherungsträger von dem Vorliegen der Erforderlichkeit eines Umzugs, wird er dies – im Regelfall auch schriftlich – mitteilen und der Umzugswillige wird sich auf diese Aussage verlassen können. Ob es sich dabei um eine rechtsverbindliche „Zusicherung“ im Sinne von § 34 SGB X handelt oder nicht, dürfte im Regelfall für den Leistungsberechtigten gänzlich unerheblich sein, denn kein Grundsicherungsträger wird sein Einvernehmen über die Erforderlichkeit eines Umzuges erklären und später ein Miet- oder Umzugskostenangebot mit der Begründung ablehnen, er halte den Umzug nun auf einmal nicht mehr für notwendig.

Bringt der Grundsicherungsträger vorzeitig zum Ausdruck, dass er sich von der Notwenigkeit eines Umzugs nicht zu überzeugen vermag, sollte mit dem Grundsicherungsträger rechtzeitig folgendes Vorgehen besprochen werden:

  • Der Leistungsberechtigte legt ein Mietangebot umgehend beim Grundsicherungsträger vor.
  • Der Grundsicherungsträger lehnt dieses Angebot umgehend noch am selben Tag ab bzw. lässt die gesetzte Frist (einen Werktag) verstreichen.
  • Nach Ablehnung bzw. Fristablauf stellt der Leistungsberechtigte umgehend einen Eilantrag beim zuständigen Sozialgericht. Wichtig ist es dabei, dem Gericht mitzuteilen, bis wann die Wohnung für den Antragsteller freigehalten wird. Denn wird die Wohnung an andere Mietinteressenten vergeben, hat sich das Eilverfahren erledigt. Nach meinen Erfahrungen bemühen sich die Sozialgerichte, innerhalb der Reservierungsfristen zu entscheiden.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Umzugskosten und Mietkautionsdarlehen auch bei Umzug in zu teure Wohnung

Schleswig-Holsteinisches LSG

Schleswig-Holsteinisches LSG

Viele Jobcenter übernehmen bei einem nicht notwendigen oder vom Jobcenter veranlassten Umzug auch keine Wohnungsbeschaffungs- und Umzugskosten und gewähren kein Mietkautionsdarlehen für die neue Wohnung. Gleiches gilt, wenn die Miete für die neue Unterkunft über der örtlichen Mietobergrenze liegt. Als Begründung verweisen die Jobcenter regelmäßig darauf, sie dürften unnötige Wohnungswechsel und Umzüge in zu teure Wohnungen nicht dadurch unterstützen, dass sie die Umzugskosten anerkennen und Mietkautionsdarlehen gewähren.

Das Jobcenter Rendsburg-Eckernförde etwa benutzt ein Standardschreiben, in dem mit der Ablehnung der Zusicherung der Kosten der neuen Unterkunft zugleich auch die Umzugskosten sowie das Mietkautionsdarlehen abgelehnt werden. Wörtlich heißt es in den Normschreiben: „Kosten welche im Zusammenhang mit dem Umzug  anfallen (Kaution, Umzugswagen etc.) können nicht übernommen werden, selbst wenn der Umzug aus leistungerechtlicher Sicht erforderlich ist.“

Bundessozialgericht, B 4 AS 37/13 R

In einer aktuellen Entscheidung hat das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 06.08.2014, B 4 AS 37/13 R) nun darauf hingewiesen, dass lediglich die Verpflichtung des Jobcenters zur Übernahme von Umzugskosten und Mietkaution voraussetzt, dass die Kosten der neuen Wohnung angemessen sind und der Umzug zusätzlich notwendig war oder vom Jobcenter selbst veranlasst wurde. Sind die Kosten für die neue Unterkunft unangemessen hoch oder zwar angemessen, liegt jedoch kein Umzugsgrund vor und hat das Jobcenter den Umzug auch nicht veranlasst, muss das Jobcenter dennoch eine Ermessensentscheidung nach § 22 Abs. 6 Satz 1 SGB II treffen. Als Ermessenserwägungen sind hierbei die Umstände einzubeziehen, die zum Auszug geführt haben, aber auch absehbare zukünftige Entwicklungen. Bestehen nachvollziehbare Gründe, die zum Auszug geführt haben, hat sich der Leistungsberechtigte nachweislich um eine Senkung seiner Mietkosten bemüht oder liegen die Kosten der neuen Unterkunft nur geringfügig über der maßgeblichen Mietobergrenze, kann eine Ablehnung der Übernahme von Umzugskosten und der Gewährung eines Mietauktionsdarlehens ermessensfehlerhaft und damit rechtswidrig sein.

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, L 6 AS 181/14 B ER

In einem aktuellen Beschluss vom 09.10.2014 hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (L 6 AS 181/14 B ER) weitere Ermessensgesichtspunkte benannt, die für die Praxis von Bedeutung sind:

„Der Antragsgegner kann die nach § 22 Abs. 6 Satz 1 SGB II zu treffende Ermessensentscheidung nicht schon maßgeblich auf den Gesichtspunkt stützen, dass die Wohnung, die die Antragstellerinnen zu beziehen beabsichtigen, unangemessen i.S. des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist. Dieser Umstand wird vielmehr bereits tatbestandlich vorausgesetzt, weil anderenfalls – in der vorliegenden Situation eines anerkannten Auszugsgrundes – bereits die Regelung des § 22 Abs. 6 Satz 2 SGB II greifen würde, die der leistungsberechtigten Person für den typischen Fall einen Anspruch auf Zusicherung der Umzugs- bzw. Wohnungsbeschaffungskosten zuerkennt. Ermessensrelevant kann daher nur der Umfang der Überschreitung der Angemessenheitsgrenzen sein. Hier ist tendenziell zugunsten der Antragstellerinnen zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin zu 1. aus dem Grundfreibetrag (§ 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II) den Differenzbetrag zwischen den tatsächlichen Aufwendungen und der im Rahmen der Mietobergrenze zu tragenden Kosten der Unterkunft einstweilen wird bestreiten können. Auch im Übrigen überzeugen tendenziell eher die seitens der Antragstellerinnen ins Feld geführten Ermessensgesichtspunkte: Zwar greift das Argument der Antragstellerinnen, dass die Höhe der „Transaktionskosten“ in keinem erkennbaren Zusammenhang zur Angemessenheit der neuen Unterkunft stehe und deshalb unter dem Gesichtspunkt der sparsamen Mittelbewirtschaftung auch kein öffentlicher Belang betroffen sei, weil der Auszug anerkanntermaßen notwendig sei und Umzugskosten daher sowieso anfielen, zu kurz. Denn theoretisch könnten die Antragstellerinnen alsbald nach dem Umzug den Entschluss fassen, ob der Unangemessenheit der Unterkunft und der nicht vollständigen Kostenübernahme durch den Antragsgegner kurzfristig wieder in eine dann kostenangemessene Wohnung umzuziehen. Für einen solchen Umzug mussten die Kosten dann möglicherweise grundsätzlich nach § 22 Abs. 6 Satz 2 SGB II übernommen werden, wobei gleichzeitig eine besondere Atypik im Hinblick auf die Sollensregelung hier besonders zu prüfen wäre. Auch die Gefahr des Entstehens von Mietschulden mit einem dann ggf. korrespondierenden Anspruch nach § 22 Abs. 8 SGB II dürfte beim Bezug einer unangemessenen Wohnung eher steigen. Konkret schätzt der Senat diese Risiken im Falle der Antragstellerinnen derzeit aber nicht als so groß ein, dass sie nicht einstweilen hingenommen werden könnten.

Mit den übrigen Argumenten der Antragstellerinnen hat sich der Antragsgegner bis her auch im Schriftsatz vom 9. Oktober 2014 kaum auseinandergesetzt. Sie sind, insbesondere was das Bedürfnis der Antragstellerin zu 1. nach Anmietung einer Wohnung nur in bestimmten Stadtvierteln anbelangt, nicht ohne Weiteres von der Hand zu weisen. Als wesentlichen Ermessensgesichtspunkt sieht es der Senat aber auch an, dass das Amt für Wohnen und Grundsicherung der Landeshauptstadt Kiel, die zugleich als kommunaler Träger i.S. des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II fungiert, der Antragstellerin zu 1. einen Wohnberechtigungsschein über eine Wohnung mit einer Größe von bis zu 70 qm ausgestellt und sie nach Angabe der Vermieterin für diese konkrete Wohnung vorgeschlagen hat. Dass die wohnraumförderungsrechtlichen Maßstäbe insbesondere wegen der Flächengrenzen von den grundsicherungsrechtlichen Maßstäben abweichen, wie der Antragsgegner in seinem Schriftsatz vom 9. Oktober 2014 zutreffend dargestellt hat, bedarf keiner vertiefenden Erörterung. Relevant ist diese Abweichung primär für § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Bei der Anwendung des § 22 Abs. 6 Satz 1 SGB II stellt dieses Verhalten dabei durchaus einen wesentlichen Ermessensgesichtspunkt dar.

Auch die Folgenabwägung streitet vorliegend dafür, den Antragsgegner einstweiligen zur Zusicherung der für den beabsichtigten Umzug anfallenden Aufwendungen zu verpflichten. Dafür ist hier insbesondere der Umstand maßgebend, dass eine Vorwegnahme der Hauptsache, die im einstweiligen Rechtsschutz möglichst vermieden werden sollte, hier nur im Falle einer Ablehnung, nicht aber im Falle des Erlasses der begehrten einstweiligen Anordnung erfolgen würde: Würde die hier streitige Zusicherung nicht erteilt werden, würde die Vermieterin der Wohnung im Hinblick auf die seitens der Antragstellerinnen nicht aufbringbare Mietkaution den Mietvertrag wahrscheinlich nicht abschließen und die Wohnung anderweitig vergeben. Die Antragstellerinnen könnten das Hauptsacheverfahren dann nur noch für erledigt erklären. Wird die Zusicherung erteilt, hat der Antragsgegner aber im Anschluss an das Hauptsacheverfahren immer noch die Möglichkeit, die einstweilen in Geld gewährten Leistungen von den Antragstellerinnen zurückzuverlangen, wobei den Großteil des Anspruchs ohnehin das Mietkautionsdarlehen ausmacht.“

Zusammenfassend sind nach der bisherigen Rechtsprechung mithin folgende Ermessensgesichtspunkte zu berücksichtigen:

  • Nachvollziehbare Umzugsgründe.
  • Bemühungen zur Senkung der Mietkosten in der bisherigen Wohnung.
  • Höhe der Überschreitung der Mietobergrenze in der neuen Unterkunft.
  • Möglichkeit, die Mietdifferenz aus anrechnungsfreiem Einkommen zu bestreiten.
  • Umzug in eine Wohnung, die nach wohnraumförderungsrechtlichen Maßstäben angemessen ist (insbesondere Alleinerziehende mit Wohnraummehrbedarf gemäß Wohnberechtigungsschein).
  • Folgenabwägung im gerichtlichen Eilverfahren regelmäßig zugunsten eines Mietkautionsdarlehens.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Schimmel in der Wohnung begründet Umzugsgrund

(c) Gerd Altmann / pixelio.de

(c) Gerd Altmann / pixelio.de

Von einer Erforderlichkeit des Umzuges kann nicht erst bei Eintritt eines Gesundheitsschadens ausgegangen werden. Bereits bei einer konkreten Gesundheitsgefährdung durch Schimmel in der Wohnung ist das Jobcenter verpflichtet, die Zustimmung zu einem Umzug zu erteilen.

Vor das Sozialgericht gezogen war eine 1982 geborene Empfängerin von Leistungen nach dem SGB II („Hartz IV“). Nachdem sich in ihrer Wohnung nach einer Schimmelentfernung in kurzer Zeit erneut Schimmel gebildet hatte, kündigte sie ihre Wohnung und begehrte vom Jobcenter Kiel die Zustimmung zur Anmietung einer neuen Unterkunft. Diese Zustimmung lehnte das Jobcenter mit der Begründung ab, nach der Stellungnahme des Gesundheitsamts der Stadt Kiel sei bei baulichen Mängeln vorrangig der Vermieter für deren Behebung zuständig. Die Notwendigkeit eines Wohnungswechsels bei Schimmelbefall könne deshalb grundsätzlich nicht ausgesprochen werden. Die Leistungsempfängerin müsse stattdessen bei ihrem Vermieter eine erneute Schimmelsanierung durchsetzen, da andernfalls auch ein Nachmieter einer Gefährdung durch Schimmel ausgesetzt wäre.

Dieser Argumentation folgte das SG Kiel nicht und verpflichtete das Jobcenter Kiel zur Erteilung der begehrten Zusicherung. Denn das Hinwirken auf weitere Beseitigungsmaßnahmen war der Antragstellerin nicht zumutbar. Von der Antragstellerin, so das Gericht, „kann nicht verlangt werden, ihre Gesundheit im Interesse der Solidargemeinschaft weiter zu gefährden. Etwas anderes kann auch im Hinblick auf die Stellungnahme des Gesundheitsamts nicht gelten. Zwar sei hiernach ein Umzug aus gesundheitlichen Gründen nicht notwendig. Zur Begründung wird jedoch nicht etwa ausgeführt, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Antragstellerin seien nicht auf den Schimmelbefall in ihrer Wohnung zurückzuführen und ein Umzug könne ihre Gesundheit daher nicht positiv beeinflussen. Vielmehr hat das Gesundheitsamt die nicht in seinen Aufgabenbereich fallende rechtliche Würdigung vorgenommen, dass bei Schimmelbefall nicht von der Notwendigkeit eines Umzugs ausgegangen werden könne, da der Mieter die Mängelbeseitigung durch den Vermieter herbeizuführen habe. Diese Ausführungen stehen in keinem Zusammenhang mit den von der Antragstellerin geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Weshalb es der Antragstellerin zumutbar sein soll, sich im Interesse etwaiger Nachmieter weiterhin den gesundheitsgefährdenden Zuständen in ihrer Wohnung auszusetzen erschließt sich der Kammer im Übrigen nicht.“

(SG Kiel, Beschluss vom 29.7.2009, S 9 AS 399/09 ER)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 09/2014

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Umzugskosten: Pauschaler Verweis auf Selbsthilfe unzulässig

(c) Gerd Altmann / pixelio.de

(c) Gerd Altmann / pixelio.de

Nach § 22 Abs. 6 SGB II können Umzugskosten nach vorheriger Zusicherung vom Jobcenter übernommen werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch das Jobcenter veranlasst worden oder aus anderen Gründen notwendig ist. In ihren Grundsätzen über die Erbringung städtischer Leistungen (Seite 11 im PDF) hat die Stadt Kiel geregelt:

„Umzüge sind durch den/die Hilfesuchende in eigener Organisation durchzuführen. Es wird davon ausgegangen, dass die Unterstützung von Freunden, Bekannten und Verwandten in Anspruch genommen wird. Sollte hierzu ein besonderer Umzugswagen zum Selbstfahren erforderlich sein, so sind entsprechende Angebote von Autovermietungen vorzulegen (in der Regel drei Kostenvoranschläge). Für das günstigste Angebot ist eine Beihilfe zu gewähren. Auf Antrag ist eine Pauschale in Höhe von 50 € zu bewilligen, damit der/die Hilfesuchende die erhaltene Unterstützung auch anerkennen kann.“

In ihren Hinweisen in ihrem Vergleichsvorschlag 27.03.2014 hat die 38. Kammer am SG Kiel im Verfahren S 38 AS 1328/11 nun Zweifel an dieser Praxis angemeldet. Es erscheine problematisch, dass das beklagte Jobcenter Kiel die Kläger in diesem Verfahren vollumfänglich auf eine Durchführung des Umzugs ohne Hilfe eines Umzugsunternehmens verweist. Im Einzelnen hat das Gericht ausgeführt:

Das Fahren eines Umzugswagens erfordert ein gewisses Mindestalter

„Es ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin zu 1) oder der Kläger zu 2) zum Zeitpunkt des Umzuges über eine Fahrerlaubnis verfügten. Soweit lediglich der Kläger zu 2) über eine Fahrerlaubnis verfügt haben sollte, erscheint es gleichwohl fraglich, ob es ihm aufgrund seines Alters möglich gewesen wäre, ein entsprechendes Umzugsfahrzeug anzumieten und zu fahren. Eine Vermietung von Fahrzeugen durch kommerzielle Fahrzeugvermietungen erfolgt in der Regel erst an Personen mit einem gewissen Mindestalter bzw. ab einer bestimmten Mindestdauer an Fahrpraxis. Dies gilt insbesondere für größere Fahrzeuge, die zur Durchführung eines Umzuges erforderlich und geeignet sind.“

Verweis auf Verwandte und Freunde rechtlich zweifelhaft

„Es erscheint weiter fraglich, ob die Kläger hinsichtlich des Fahrens eines Umzugsfahrzeugs auf die Hilfe von Verwandten oder Freunden verwiesen werden konnten. Auch von Verwandten oder Freunden dürfte grundsätzlich nicht zu erwarten sein, dass sie sich für den Umzug eines Anderen den Haftungsrisiken der §§ 18, 7 StVG aussetzen.“

Kosten für Fahrer für gesamte Umzugszeit

„Damit erscheinen zumindest die Kosten eines Fahrers als notwendig und angemessen. Diese Kosten umfassen auch die für die Beladung des Fahrzeugs notwendigen Zeiten, da der Fahrer gemäß § 22 Abs. 1 StVO für die Sicherung der Ladung verantwortlich ist. Zu berücksichtigen ist danach auch die Entladezeit, während der der Fahrer seine Tätigkeit nicht anderweitig ausüben kann. Da die Umzugszeit insgesamt einen Umfang nicht überschritten hat, in dem der Fahrer an einem anderen Ort hatte eingesetzt werden können, dürfte eine Bezahlung des Fahrers für die gesamte Umzugszeit erforderlich gewesen sein, wobei er in den Zeiten, in denen er nicht seinen gesonderten, vorstehend dargestellten Pflichten nachkam, als Träger zur Verfügung gestanden haben dürfte.“

Kosten für Träger sowie Möbelauf- und -Abbau Frage des Einzelfalls

„Ob den Klägern über die Kosten für einen Fahrer sowie einen Umzugswagen weitere Kosten (insbesondere für weitere Helfer und die De- und Montage) zustehen, erscheint nach derzeitiger Aktenlage hingegen fraglich. Insofern wäre insbesondere eine Anhörung der Kläger zu 1) und 2) notwendig.“

Hinweise für Betroffene

Die Verwaltungspraxis des Jobcenters Kiel zu den Umzugskosten ist in vielen Fällen rechtswidrig, weil die Umstände des Einzelfalls keinen Eingang in die Beratung durch die Mitarbeiter der Behörde finden. Übernahmefähige Umzugskosten werden aus diesem Grunde nicht selten rechtswidrig abgelehnt. In einem solchen Fall sollten Betroffene umgehend um rechtlichen Beistand nachsuchen. Aufgrund der (rechtswidrigen) Weisungslage des Jobcenters Kiel gelingt es Betroffenen nach hiesiger Erfahrung praktisch nie, ihre Ansprüche ohne Rechtsanwalt durchzusetzen. Häufig führt auch kein Weg an einer gerichtlichen Klärung vorbei.

Das Klageverfahren endete heute mit dem Abschluss des vom Gericht vorgeschlagenen Vergleichs. Die Kläger hatten dem Vorschlag des Gerichts bereits außergerichtlich zugestimmt, das Jobcenter Kiel einen Vergleichsschluss jedoch zunächst abgelehnt, so dass ein Verhandlungstermin erforderlich wurde – der heute Vormittag eine Richterin, zwei Schöffen, einen Rechtsreferendar, einen Rechtsanwalt, einen Sachbearbeiter der Rechtsabteilung des Jobcenters Kiel sowie die Klägerin und ihren Sohn beschäftigte.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Zur Übernahme doppelter Mietaufwendungen bei Umzug

In einer aktuellen Entscheidung vom 24.04.2012 hat das SG Dortmund zum Az. S 29 AS 17/09 entschieden, dass das Jobcenter zu Übernahme doppelter Mietaufwendungen im Zuge eines vom ihm veranlassten Umzugs verpflichtet ist.

Das SG Dortmund ordnet die doppelten Mietaufwendungen zutreffend den Wohnungsbeschaffungskosten nach § 22 Abs. 6 SGB II (= § 22 Abs. 3 SGB II a.F.) zu, die nach vorherigen Zusicherung durch das Jobcenter übernommen werden können. Im vorliegenden Fall (Suche nach einer behindertengerechten Wohnung) ging das Gericht von einer Ermessensreduzierung auf Null aus: Zwar stünde die Übernahmeentscheidung grundsätzlich im Ermessen des Jobcenters („können“), dieses Ermessen sei vorliegend indes dahingehend reduziert, dass nur eine Übernahme als ermessensfehlerfrei erachtet werden könne. Denn zum einen sei behindertengerechter Wohnraum in Dortmund nur schwer zu finden, zum anderen habe das Jobcenter selbst die Zusicherung der Umzugskosten durch ein Umzugsunternehmen für ein Auftragsdatum erteilt, welches notwendig die Entstehung einer Doppelmiete impliziere.

Der Volltext der Entscheidung findet sich als PDF hier, die reinen Urteilsgründe auch hier. Die Entscheidung ist abgedruckt in Wohnungswirtschaft & Mietrecht 2012, S. 330 – 332.

Mehr zum Thema auf dieser Seite:

Grundsicherung: Angemessene Unterkunftskosten auch nach nicht notwendigem Umzug!

Doppelmieten bei Umzug: In der Regel vom Jobcenter zu übernehmen!

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Grundsicherung: Angemessene Unterkunftskosten auch nach nicht notwendigem Umzug!

Bezieher von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII haben einen Anspruch auf Übernahme ihrer Unterkunftskosten in Höhe der jeweiligen Mietobergrenze auch dann, wenn sie ohne Zustimmung des Leistungsträgers umgezogen sind. Dieser Anspruch folgt aus § 35 SGB XII. Auch bei einem nicht erforderlichen Umzug sind die Unterkunftskosten in angemessenem Umfang – d.h. in Kiel bis zu den von den Gerichten zugrunde gelegten Mietobergrenzen – anzuerkennen. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu der Regelung im SGB II (ALG II). Dort gilt nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II: „Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt.“

Sozialgericht Kiel

Der Leistungsträger kann notwendige Umzugskosten nicht mit der Begründung ablehnen, er habe die Zustimmung zum Umzug verweigert. Denn das Zustimmungserfordernis in § 35 Abs. 2 Satz 5 SGB XII bezieht sich auf die Umzugskosten und nicht auf den Umzug. Die Zustimmung zu den Umzugskosten kann aber bis zum Entstehen der Umzugskosten (Fälligkeit der Forderung) noch erteilt werden. Die Zustimmung ist zu erteilen (Ermessensreduzierung auf Null), wenn der Umzug notwendig ist, d.h. wenn ein plausibler, nachvollziehbarer Grund für den Umzug vorliegt, von dem sich auch ein Nichthilfebezieher leiten lassen würde. Dies ist insbesondere bei umfangreichem Schimmelbefall anzunehmen.

Leistungen für die Erstausstattung nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII umfassen einzelne Möbel und Haushaltsgeräte wie etwa einen Kühlschrank und sind zu erbringen, wenn der Bedarf erstmalig entsteht (Abgrenzung zum Erhaltungs- oder Ergänzungsbedarf ehemals vorhandener aber unbrauchbar gewordener Einrichtungsgegenstände oder Haushaltsgeräte).

Das alles ist nicht neu. Bei der Stadt Kiel müssen Hilfebedürftige die ihnen gesetzlich klar zustehenden Ansprüche aufgrund einer fachlich offenbar überforderten Rechtsabteilung leider dennoch im einstweiligen Rechtsschutz vor Gericht geltend machen. Traurig, aber wahr.

Der Beschluss des SG Kiel vom 23.02.2012, S 24 SO 4/12 ER findet sich zum Download hier:

SG Kiel, Beschluss vom 24.02.2012, S 24 SO 4/12 ER

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Doppelmieten bei Umzug: In der Regel vom Jobcenter zu übernehmen!

Jeder Hartz IV-Bezieher in Kiel, der während des Leistungsbezuges umziehen musste, wird das „Merkblatt zur Wohnungsanmietung und Umzug“ des Jobcenters Kiel kennen, in dem lange Zeit in Fettdruck nachzulesen war:

„Vermeiden Sie doppelte Mietzinszahlungen. Diese gehen immer zu ihren Lasten.“

Diese Auskunft wird von den meisten Integrationsfachkräften leider bis heute an den „Kunden“ gebracht.

Zwischenzeitlich scheinen sich beim Jobcenter Kiel allerdings Zweifel eingeschlichen zu haben. In dem aktuellen Merkblatt heißt es nämlich seit kurzem:

„Vermeiden Sie doppelte Mietzinszahlungen. Diese gehen in der Regel zu ihren Lasten.“

Lernprozesse sind oft langwierig und schwierig. Besonders bei Behörden.

Nach ständiger Rechtsprechung gilt: Die durch einen notwendigen oder durch das Jobcenter veranlassten Umzug entstandenen doppelten Mietbelastungen sind grundsätzlich von der Behörde zu übernehmen (etwa SG Schleswig vom 22.05.2007- S 3 AS 363/07 ER m.w.N.).

Die 25. Kammer des Sozialgerichts Schleswig hat sich in seiner Entscheidung vom 26.08.2010 – S 25 AS 185/08 – mit der Frage der Übernahmefähigkeit von Doppelmieten sehr ausführlich auseinander gesetzt:

„Gemäß § 22 Abs. 3 SGB II können Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger übernommen werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann.Die geltend gemachte Mietzinszahlung für die alte Wohnung der Kläger für den Monat April 2007 ist als Wohnungsbeschaffungskosten im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. Dabei handelt es sich zudem um angemessene und notwendige Wohnungsbeschaffungskosten. Die nach § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II erforderliche vorherige Zusicherung hat die Beklagte mit Datum vom 29.01.2007 erteilt. Ein Ermessen der Beklagten bezüglich der Übernahme der Mietkosten für die alte Wohnung der Kläger für den Monat April bestand nicht.

Das Tatbestandsmerkmal der Wohnungsbeschaffungskosten ist nach Auffassung der Kammer weit auszulegen, so dass nicht nur die eigentlichen Kosten des Umzugs, wie Transportkosten, Kosten für eine Hilfskraft, die erforderlichen Versicherungen, Benzinkosten und Verpackungsmaterial erfasst sind, sondern auch alle sonstigen notwendigen angemessenen Aufwendungen, die mit einem Unterkunftswechsel verbunden sind. Damit fällt auch die hier geltend gemachte doppelte Mietzinszahlungen für die alte Wohnung für den Monat April un­ter das Merkmal der Wohnungsbeschaffungskosten, soweit sie angemessen ist (vgl. auch Lang/Link in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn. 83; Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 22 Rn. 109, 114; BSG, Urteil vom 16.12.2008, B 4 AS 49/07 R; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.01 .2007, L 5 B 1221/06 AS ER, L 5 B 1222/06 AS PKH; SG Frankfurt, Beschluss vom 19.01 .2006, S 48 AS 21/06 ER, jeweils zitiert nach juris).

Das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit folgt aus der systematischen Zusammenschau der Vorschrift des § 22 Abs. 3 SGB II mit der restlichen Vorschrift. Nach § 22 Abs. 1 SGB II können Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Kosten nur dann erbracht werden, wenn diese angemessen sind. Da es sich bei Wohnungsbeschaffungskosten um Unterkunftskosten im weitesten Sinne handelt, bzw. diese eng mit der Deckung des Unterkunftsbedarfs zusammenhängen, dürfen auch diese erst recht nur in einem angemessenen Umfang übernahmefähig sein.

Doppelte Mietzahlungen sind daher bei Wohnungswechsel nur dann zu übernehmen, wenn sie unvermeidbar und angemessen sind. Dies aber ist vorliegend der Fall. Doppelte Mietzinszahlungen von zumindest einem Monat sind zur Überzeugung der Kammer bei einem Wohnungswechsel schon im Regelfall unvermeidbar. Dies beruht vor allem auf der Überlegung, dass bei vielen Wohnungswechseln der nahtlose Übergang von einer Wohnung in die andere nicht möglich ist. Oftmals sind noch Mieten für die alte Wohnung aufzubringen, obwohl auch schon Mieten für die neue Wohnung fällig werden. Dies hängt in erster Linie damit zusammen, dass zur Vermietung angebotene Wohnungen oft schon ab dem nächsten oder übernächsten Monat angemietet werden müssen, gleichzeitig aber, wie auch bei den Klägern, Kündigungsfristen von regelmäßig drei Monaten einzuhalten sind (SG Schleswig, Beschluss vom 22.05.2007, S 3 AS 363/07 ER). Verschärft wurde das Problem zudem im Fall der Kläger dadurch, dass die Wohnung den anerkannten Mietobergrenzen des Leistungsträgers entsprechen musste, günstige Wohnungen gerade in diesem Preissegment aber oft sehr begehrt sind.

Die Kammer geht zudem aber auch im vorliegenden konkreten Fall davon aus, dass die angefallenen doppelten Mietkosten unvermeidbar und angemessen waren. Der Kläger zu 1) hat sich nachweislich darum bemüht, einen Nachmieter für die alte Wohnung zu finden. Er hat Anzeigen bei den Kieler Nachrichten, dem Kieler Express und im Internet geschaltet, in denen er seine alte Wohnung zur Vermietung angeboten und einen Nachmieter gesucht hat. Entsprechende Nachweise hat er zumindest im Verfahren vorgelegt. Er hat dem alten Vermieter sein Einverständnis der Weitergabe seiner Telefonnummer an Interessenten erklärt und hat mit seinem neuen Vermieter darüber gesprochen, ob er die neue Wohnung auch erst später anmieten könne. Der Vermieter der neuen Wohnung hat jedoch erklärt, dass nur eine Anmietung bereits zum 01.04.2007 möglich sei. Die Kammer sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern zur Last gelegt werden müsste, dass ihre Bemühungen nicht zum Erfolg geführt haben. Soweit die Beklagte vorgetragen hat, dass ihr das Gespräch als Bemühung für eine spätere Anmietung nicht ausreiche, teilt die Kammer diese Auffassung nicht. Es ist nach Auffassung der Kammer als lebensnah anzusehen, dass ein Vermieter seine Wohnung zum nächstmöglichen Zeitpunkt vermieten möchte und eine Wohnung nicht für einen Nachmieter freihält, wenn er in der Zwischenzeit die Wohnung anderweitig vermie­ten kann. Welche weiteren Bemühungen die Kläger dem neuen Vermieter gegenüber hätte unternehmen sollen, ist der Kammer nicht ersichtlich und wurde von der Beklagten auch nicht vorgetragen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Kläger nicht auf eigenen Wunsch die Wohnung gewechselt haben, sondern sich nach der Senkungsaufforderung der Beklagten umgehend um eine kostengünstige Wohnung bemüht haben. So stand auch in der Senkungsaufforderung, dass sich die Kläger umgehend um eine preiswerte Wohnung bemühen sollten. Dann aber darf nach Auffassung der Kammer den Klägern jetzt nicht vorgehalten werden, dass sie noch bis August Zeit gehabt hätten, eine kostengünstigere Wohnung zu finden, zumal es auch bei einer späteren Anmietung zur gleichen Problematik des Entste­hens einer Doppelmiete hätte kommen können, da wie bereits dargelegt, selten ein nahtloser Übergang von der einen in die andere Wohnung stattfinden dürfte. Weiterhin hat die Beklagte der Anmietung der Wohnung zugestimmt, obwohl sie damit rechnen musste, dass es zu den doppelten Mietkosten kommt, schließlich lag ihr der alte Mietvertrag mit der Kündigungsfrist vor Abgabe der Zusicherung vor und sie wusste auch, dass die neue Wohnung ab April angemietet werden sollte.

Weiterhin geht die Kammer davon aus, dass es eine vorherige Zusicherung für die Übernahme der Umzugs- bzw. Wohnungsbeschaffungskosten durch die Beklagte gegeben hat. Nach Überzeugung der Kammer hat die Beklagte die Zustimmung zur Übernahme der Umzugs- und Wohnungsbeschaffungskosten vor Anmietung der neuen Wohnung am 31 01.2007 (vgl. BI. 189 der Verwaltungsakte) erteilt. Nach Auffassung der Kammer kommt es hier nicht darauf an, ob es sich dabei schon um eine konkrete Zusicherung zur Übernahme der doppelten Mietzahlungen gehandelt hat, oder lediglich um eine abstrakte Zusicherung der Übernahme von Umzugs- und Wohnungsbeschaffungskosten. Hier spricht zwar bereits Einiges dafür, dass die Übernahme der doppelten Mietzinszahlungen als konkret zugesichert angesehen werden kann, da das Risiko der doppelten Mietzinszahlung der Beklagten bereits bei Erteilung der Zusicherung bekannt war. Dass der Beklagten die Problematik bekannt sein musste, ist aus einem Aktenvermerk ersichtlich, indem von einer eventuell anfallenden doppelten Mietzahlung bereits die Rede ist und der sich in der Akte vor der Erteilung der Zusicherung befindet (vgl. BI 186 der Verwaltungsakte).

Ob es sich aber tatsächlich um eine konkrete Zusicherung handelte, kann letztlich dahinstehen, denn selbst, wenn es sich nur um eine abstrakte Zusicherung handelt, reicht diese im vorliegenden Fall aus, da die abstrakte Zusicherung für alle Kosten gelten muss, die angemessen sind und damit auch für die als angemessen anzusehende doppelte Mietzinszahlung.

Ein Ermessen der Beklagten bezüglich der Übernahme der doppelten Mietzinszahlung besteht nach Auffassung der Kammer nicht. Zwar deutet der Wortlaut des § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II darauf hin, dass die Zusicherung der Übernahme der Wohnungsbeschaffungskosten im Ermessen des Leistungsträgers stehen könnte. Auch § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II deutet als „Soll“-Vorschrift darauf hin, dass bei atypischen Fällen, die gerade nicht von der „Soll“- Regelung erfasst werden, Ermessen auszuüben ist. Allerdings sind kaum Gründe denkbar, die außer den in § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB lt genannten Umständen dazu führen könnten, eine Zusicherung zu erteilen. Insofern ist von einem Kompetenz-,,Kann“ auszugehen. Wenn eine Zusicherung nach § 22 Abs. 3 S. 2 SGB II, wie vorliegend, erteilt wurde, ist die Übernahme angemessener Wohnungsbeschaffungskosten zwingend (Lang/Link in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn. 87; Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 22 Rn. 104).” Das Urteil im Volltext findet sich hier.

Richtig müsste der Satz im Merkblatt des Jobcenters Kiel mithin lauten:

„Vermeiden Sie doppelte Mietzinszahlungen. Unvermeidbare Doppelmieten gehen zu Lasten des Jobcenters Kiel.“

Bis dahin ist es aber wohl noch ein längerer Weg.

Tipp für Betroffene: Unternehmen Sie alles, um die Entstehung von Doppelmieten bei einem Umzug zu vermeiden, indem Sie

• das alte Mietverhältnis sofort kündigen, nachdem Sie den neuen Mietvertrag unterschrieben haben bzw. ein verbindliches schriftliches Mietangebot für die neue Wohnung in den Händen halten,

• Ihren alten Vermieter schriftlich (Nachweis für Jobcenter!) auffordern, schnellstmöglich nach einem Nachmieter zu suchen,

• selbst aktiv nach einem Nachmieter ab dem Zeitpunkt der Anmietung der neuen Wohnung suchen, etwa

– durch einen Aushang im nahegelegen Supermarkt, an schwarzen Brettern usw. (Nachweis für Jobcenter durch Foto fertigen!) oder

– kostenlose Anzeige im Internet (z.B. www.wohnung-jetzt.de; www.mein-wohnungsmarkt.de; www.studenten-wg.de; www.wg-gesucht.de usw.).

Haben Sie diese Eigenbemühungen unternommen und ließen sich doppelte Mietkosten trotzdem nicht vermeiden, ist das Jobcenter auf jeden Fall verpflichtet, die Miete für die neue Wohnung und die Miete der alten Wohnung bis zur Neuvermietung bzw. dem Ende des Mietverhältnisses zu übernehmen.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7