Merkzeichen G auch bei nicht dauerhafter Gehbehinderung

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Eine Behinderung stellt häufig eine Benachteiligung gegenüber Nichtbehinderten dar. Um im gesellschaftlichen Leben diese Nachteile zumindest ein wenig abzumildern, werden behinderten Menschen gewisse Nachteilsausgleiche gewährt. Welche das sind, hängt von der Art und dem Grad der Behinderung (GdB) ab. Neben dem GdB können im Schwerbehindertenausweis auch verschiedene sogenannte Merkzeichen eingetragen werden, die wiederum zu spezifischen Nachteilsausgleichen berechtigen.

Vor den Sozialgerichten steht nicht selten die Zuerkennung des Merkzeichens G (Gehbehinderung) im Streit. Das Merkmal G wird zuerkannt, wenn jemand in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Dies ist häufig bei einer Gehbehinderung der Fall, kann aber auch durch innere Leiden, Anfälle oder Orientierungslosigkeit verursacht sein. Voraussetzung für das Merkzeichen G ist üblicherweise, dass eine Wegstrecke von 2 km nicht mehr innerhalb einer halben Stunde zu Fuß zurückgelegt werden kann.

Mit dem Merkzeichen G gibt es etwa deutliche Vergünstigungen für die Nutzung des ÖPNV, bei Sozialleistungsbezug  ist dieser sogar kostenfrei. Für Leistungsbezieher nach dem SGB XII wird zudem ein Mehrbedarfszuschlag in Höhe von 17 % aufgrund des Merkzeichens G gewährt (§ 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII).

In vorliegendem Fall konnte der Kläger Wegstrecken von 2 km normalerweise in einer halben Stunde zu Fuß zurücklegen, bei sehr warmen Temperaturen aber nicht. Diese Situation hat das Landessozialgericht mit einer Herzerkrankung verglichen, da bei dem Kläger ähnliche Symptome auftraten, wenn er bei Hitze körperlichen Belastungen ausgesetzt war. Da auch bei einer Herzerkrankung die Einschränkungen für die Zuerkennung des Merkmals G nicht dauernd vorliegen muss, hat das Gericht dem Kläger das Merkmal G zugesprochen.

Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 19.12.2014, L 2 SB 15/13

Erstveröffentlichung in HEMPELS 06/2021

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


BSG: Kein Mehrbedarfsanspruch zum Erwerb eines Computers nach bis zum 31.12.2020 geltender Rechtslage

Bundessozialgericht in Kassel

Entgegen der Rechtsprechung vieler Sozial- und Landessozialgerichte (vgl. etwa auch Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 11.01.2019, L 6 AS 238/18 B ER) hat das BSG mit Urteil vom 12.05.2021 zum Aktenzeichen B 4 AS 88/20 R einen Anspruch von Schülern im Leistungsbezug nach dem SGB II gegenüber ihren Jobcentern auf Gewährung eines einmaligen Mehrbedarfes für die Anschaffung eines Computers aus § 21 Abs. 6 SGB II in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung abgelehnt.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin, die unter anderem im Dezember 2016 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bezog, besuchte im Schuljahr 2016/2017 die 5. Klasse einer niedersächsischen Oberschule, deren Unterrichtskonzept den Einsatz eines Tablet-Computers vorsah. Im Dezember 2016 kaufte die Klägerin das von ihrer Schule vorgegebene Tablet für 380 Euro. Im Februar 2017 beantragte die Klägerin die Erstattung der Kosten für das Tablet, was der Beklagte ablehnte.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat das Sozialgericht das beklagte Jobcenter antragsgemäß verurteilt, der Klägerin 380 Euro als Härtefallmehrbedarf zu gewähren. Auf die vom Sozialgericht zugelassene Berufung hat das Landessozialgericht die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen eines Härtefallmehrbedarfs (§ 21 Abs. 6 SGB II a.F.) seien nicht erfüllt. Auch die Voraussetzungen des § 73 SGB XII lägen nicht vor. Hiergegen wendete sich die Klägerin mit ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Revision an das Bundessozialgericht.

Der 4. Senat am Bundessozialgericht hat die Revision der Klägerin nun zurückgewiesen. Die Kosten für das Tablet wurden danach zu Recht nicht als Mehrbedarf berücksichtigt. Die Voraussetzungen des § 21 Abs. 6 SGB II in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung für einen Härtefallmehrbedarf lagen nach Ansicht des Bundessozialgerichts nicht vor. Bei den Kosten für den Kauf des Tablets handelte es sich danach nicht um einen laufenden Bedarf. Der Bedarf sei vielmehr nur einmalig im Zeitpunkt des Kaufs des Tablets entstanden. Die auch von vielen Sozial- und Landessozialgerichten angenommene analoge Anwendung des § 21 Abs. 6 SGB II komme nicht in Betracht.

Anmerkungen:

In § 21 Abs. 6 II n.F. ist ein Mehrbedarfsanspruch für ab dem 01.01.2021 entstehende einmalige Bedarfe jetzt ausdrücklich geregelt (vgl. BT-Drucksache 19/24034 Seite 35 f. Ziffer 5 Nr. 3 c). Die Vorschrift lautet: „Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.“

Ein Darlehen für die Anschaffung eines Computers ist dabei aufgrund der hohen Anschaffungskosten regelmäßig nicht „zumutbar“ im Sinne von § 21 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II n.F. (BT-Drucksache a.a.O. a.E.). Hierzu wird in den aktuellen Weisungen der BA (Weisung 202102001 vom 01.02.2021 – Mehrbedarfe für digitale Endgeräte für den Schulunterricht) ausgeführt: „Soweit den betreffenden Schülerinnen und Schülern von ihrer jeweiligen Schule digitale Endgeräte nicht zur Verfügung gestellt werden, besteht ein einmaliger unabweisbarer besonderer Bedarf, der über den Regelbedarf hinausgeht. Dieser Bedarf ist aufgrund seiner Höhe auch nicht über ein Darlehen nach § 21 Absatz 6 SGB II i. V. m. § 24 Absatz 1 SGB II zu decken. Der Bedarf ist daher in diesen Fällen durch einen Zuschuss zu decken.“

Erheblich negative Auswirkungen hat die Entscheidung des Bundessozialgerichts für diejenigen Schüler und Schülerinnen, die noch im (Corona-) Jahr 2020 für den Erwerbe eines digitalen Endgerätes für das Homeschooling oder in den Jahren davor, weil die Schule einen Rechner erfordert hat, Leistungen nach § 21 Abs. 6 SGB II a.F. in sozialgerichtlichen Eilverfahren erstritten haben. Soweit die Jobcenter den Mehrbedarf nur vorbehaltlich einer anderslautenden Entscheidung in der Hauptsache (ruhend gestelltes Widerspruchsverfahren, Klageverfahren) erbracht haben, droht in den Hauptsacheverfahren nun eine Zurückweisung, verbunden mit einem Erstattungsverlangen der Jobcenter. Vor dem Hintergrund der allenthalben beklagten Benachteiligung der aktuellen Schülergeneration durch coronabedingten Unterrichtsausfall, der besonders Schüler aus einkommensschwachen Haushalten trifft, ist die Entscheidung des BSG rechtspolitisch sicherlich ein verheerendes und arg aus der Zeit gefallenes Signal.

Es wäre wünschenswert, wenn die Jobcenter auf die Rückforderung für vor dem 01.01.2021 erbrachte Leistungen für digitale Endgeräte verzichten würden. Dass diese Mehrbedarfe nach dem politischen Willen des Gesetzgebers anerkannt werden sollten, bestätigt die Gesetzesänderung zum 01.01.2021. Die Bedarfslage war aber jedenfalls im Corona-Jahr 2020 keine andere.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht: Kein Mehrbedarf für FFP2-Masken im Eilverfahren

Derzeit besteht für Bezieher*innen von Arbeitslosengeld II kein Eilbedürfnis, um einen Mehrbedarf für die Anschaffung von FFP2-Masken in einem gerichtlichen Eilverfahren durchzusetzen.  

Durch die Pflicht zum Tragen von medizinischen Schutzmasken in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens und das Recht, sich durch FFP2-Masken selbst vor Ansteckung mit dem Corona-Virus zu schützen, entsteht grundsätzlich ein Mehrbedarf, der nicht in den SGB II-Regelsatz einberechnet wurde. Je nach persönlicher Situation und den aktuellen Kosten für Masken mit entsprechendem Standard ist aktuell von Mehrkosten um die 12 Euro im Monat auszugehen. Da jedoch die Bezieher von Arbeitslosengeld II im Mai 2021 eine Einmalzahlung von 150 Euro unter anderem zur Abdeckung dieser Mehrkosten erhalten und sie außerdem bis Anfang März 2021 10 FFP2-Masken kostenlos erhalten konnten, rechtfertigt dieser Mehrbedarf nicht die Inanspruchnahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes. So hat es das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht am 29. März 2021 im Rahmen eines Eilverfahrens entschieden (Aktenzeichen L 6 AS 43/21 B ER).

Im konkreten Fall hatte ein 50-jähriger alleinstehender Bezieher von Arbeitslosengeld II einen monatlichen Mehrbedarf von 129 Euro geltend gemacht und am Sozialgericht Kiel einen Antrag auf Eilrechtsschutz gestellt. Er machte geltend, dass er wöchentlich etwa 20 FFP2-Masken benötige, um einkaufen zu gehen, Arztbesuche wahrzunehmen und seine sozialen Kontakte zu pflegen. Es könne ihm nicht zugemutet werden, die Masken mehrfach zu benutzen. Außerdem müsse er, um in Kiel von Gaarden in die Innenstadt zu gelangen, über belebte Plätze gehen, so dass er schon aus Eigenschutz auch draußen Masken mit dem FFP2-Standard nutzen wolle.

Das Sozialgericht Kiel und ihm folgend das Landessozialgericht in Schleswig haben entschieden, dass zwar das Recht anerkannt werden könne, in bestimmten Bereichen FFP2-Masken anstelle der günstigeren OP-Masken zu tragen. Dies gelte aber nicht für jeden Weg im Außenbereich, wo das Infektionsrisiko ohnehin geringer sei als in Innenräumen.  Außerdem könne dem Antragsteller zugemutet werden, die Hygienevorschriften zu beachten, die für eine sichere Wiederverwendung der FFP2-Masken eingehalten werden müssten. Die zusätzlichen Leistungen, die für Bezieher von Arbeitslosengeld II eingeführt wurden, reichten voraussichtlich aus, um den Mehrbedarf vorübergehend zu decken. Daher sei aktuell ein Eilbedürfnis nicht gegeben.

Der Beschluss ist rechtskräftig.

Quelle: Pressemitteilung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 31.03.2021

Der – übersichtliche – Beschluss im Volltext findet sich hier: Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 29.03.2021, L 6 AS 43/21 B ER


Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht: Anspruch auf Laptop oder Tablet im Home-Schooling für jedes einzelne Kind der Bedarfsgemeinschaft

Während einer coronabedingten Schulschließung haben Schüler*innen, die Arbeitslosengeld II beziehen, einen Anspruch auf die Anschaffungskosten für ein internetfähiges Endgerät.

Der Anspruch besteht grundsätzlich für jedes in einem Haushalt lebende Kind, sofern es auf die Benutzung eines Computers für die Teilnahme am Schulunterricht angewiesen ist. Die Bewilligung eines Darlehens durch das Jobcenter, das dann in monatlichen Raten zurückzuzahlen wäre, ist nicht ausreichend. Allerdings ist der Bedarf gedeckt, wenn die Schule für die Zeit des Distanzlernens ein Leihgerät zur Verfügung stellt. So hat es das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht am 18. März 2021 im Rahmen eines Eilverfahrens entschieden (Aktenzeichen L 3 AS 28/21 B ER).

Antragstellerinnen waren drei Mädchen, die gemeinsam mit ihrer alleinerziehenden Mutter Leistungen vom Jobcenter beziehen. Zwei der Kinder, es sind Zwillinge, gehen in den 4. Jahrgang der Grundschule, allerdings in unterschiedliche Klassen. Die ältere Schwester ist 16 Jahre alt und besucht die Abschlussklasse einer Gemeinschaftsschule. Die Grundschule hatte den beiden Viertklässlerinnen angeboten, ihnen gemeinsam ein IPad zu leihen. Die Mutter der Kinder fand das nicht ausreichend. Sie war außerdem der Auffassung, dass die Kinder die Geräte auch weiterhin benötigen würden, wenn die Schule wieder im Präsenzunterricht stattfinde.

Der 3. Senat des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts hat zwar grundsätzlich ein Leihgerät der Schule für die Zeit während des Lockdowns für ausreichend angesehen, da nur für das Distanzlernen ein Endgerät zwingend erforderlich sei. Für das Home-Schooling müsse aber jedes Schulkind der Bedarfsgemeinschaft ein eigenes Gerät nutzen können, so dass hier grundsätzlich ein Anspruch auf mindestens ein weiteres Gerät bestanden hätte. Im konkreten Fall war aber zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das Gericht schon das Eilbedürfnis weggefallen, da alle Antragstellerinnen die Schule schon wieder im Präsenzunterricht besuchen konnten. Der Anspruch könnte aber erneut entstehen, falls es nach den Osterferien zu einem weiteren Lockdown kommen sollte.

Der Beschluss ist rechtskräftig.

Quelle: Pressemitteilung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 26.03.2021

Der Volltext findet sich hier: Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 18.03.2021, L 3 AS 28/21 B ER


Kein Anspruch auf Mehrbedarf für den Erwerb von FFP2-Masken im sozialgerichtlichen Eilverfahren

Sozialgericht Kiel

Mit Beschluss vom 16.03.2021 hat die 35. Kammer am SG Kiel zum Aktenzeichen S 35 AS 35/21 ER einen Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung auf Verpflichtung des Jobcenters Kiel zur vorläufigen Erbringung eines Mehrbedarfs für den Erwerb von FFP2-Masken abgelehnt, weil es derzeit keinen Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) für den Erlass einer Regelungsanordnung sieht.

In Abweichung zu der bislang zu diesem Thema veröffentlichten Rechtsprechung verneint die 35. Kammer am SG Kiel nicht den Anordnungsanspruch mit der Begründung, es bestünde bereits keine „Rechtspflicht“ zum Tragen von FFP2-Masken (oder vergleichbar schützender Masken), sondern erkennt einen grundsätzlichen Mehrbedarf für den Erwerb von FFP2-Masken für einen möglichst weitreichenden Schutz aller Menschen sowie einen möglichst weitreichenden Eigenschutz an und folgt damit im Ergebnis der hiesigen Rechtsauffassung (hinterlegt im ersten Kommentar im Kommentarbereich).

Die 35. Kammer am SG Kiel verneint indessen (derzeit) das Vorliegen eines Anordnungsgrundes (Eilbedürftigkeit), weil es aus den im Beschluss näher dargelegten Gründen grundsätzlich nur einen (Mehr-) Bedarf für lediglich 8 Masken im Monat (im vorliegenden Fall 16 Masken im Monat) sieht, welcher mit 12 € im Monat (für 16 Masken) zu decken sei. Für diesen potentiellen Mehrbedarf bis zur erwartbaren Auskehrung der zusätzlichen Mittel in Höhe von 150,00 € aus dem sog. Sozialschutz-Paket III gemäß § 70 SGB II im Mai 2021 – also für lediglich gut zwei Monate – sieht das Gericht keinen Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung. Anders sei diese Rechtsfrage allerdings zu beantworten, wenn die Leistungen aus dem sog. Sozialschutz-Paket III im Mai 2021 nicht ausgezahlt würden und der Mehrbedarf von 12 € im Monat deswegen über einen längeren Zeitraum hinweg fortbestehe.

Nachtrag 20.03.2021: In der Sache ähnlich hat am 18.03.2021 jetzt auch die 31. Kammer am SG Kiel zum Aktenzeichen S 31 AS 21/21 ER entschieden, wobei die 31. Kammer einen Anordnungsanspruch – also einen vermutlichen Anspruch des Antragstellers auf Mehrleistungen zur Selbstausstattung mit FFP2-Masken – aufgrund der Vorerkrankung des Antragstellers angenommen hat.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


379 € vom Jobcenter für die Anschaffung eines Notebooks

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Erneut hat das SG Kiel einem Schüler Leistungen für die Anschaffung eines Computers nach § 21 Abs. 6 Satz 1 SGB II zugesprochen, diesmal in Höhe der geltend gemachten 379 €. In seinem Urteil setzt sich die 38. Kammer insbesondere mit der Frage auseinander, ob es es sich um einen laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf handeln muss und kommt zu dem Schluss, dass dies nach der Rechtsprechung des BSG zur Kostenübernahme von Schulbüchern (BSG, Urteil vom 08.05.2019, B 14 AS 13/18 R) offenbar nicht der Fall ist, sondern der im Regelsatz unberücksichtigte Bedarf genügt.

SG Kiel, Urteil vom 25.10.2019, S 38 AS 348/18

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Geld vom Jobcenter für die Anschaffung eines Computers – nur wie viel?

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Im Mai 2019 hatte ich in diesem Blog berichtet, dass das Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht (SH LSG) einem Schüler in seinem Beschluss vom 11.01.2019, L 6 AS 238/18 B ER Leistungen nach § 21 Abs. 6 SGB II für die Anschaffung eines internetfähigen Laptops einschließlich Software und Drucker in Höhe von 600,00 € zugesprochen hat.

Die 40. Kammer am SG Kiel hat in ihrem (rechtskräftigen) Beschluss vom 21.10.2019 zum Aktenzeichen S 40 AS 260/19 ER den Anspruch der dortigen 20jähigen Klägerin nach einer „vorgenommenen eigenen Internetrecherche“ nun auf 350,00 € bestimmt.

Betroffenen, die einen Anspruch auf Kosten für einen internetfähigen Rechner gerichtlich durchsetzen wollen, ist zu raten, den Betrag entweder in das Ermessen des Gerichts zu stellen oder Anschaffungskosten von über 750,- € (z.B. 751,- €) geltend zu machen, um in die Berufung bzw. Beschwerde zum SH LSG gehen zu können (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) – wo es dann wohl weiterhin 600,00 € geben dürfte.

Zu dem Beschluss der 40. Kammer ist für den aufmerksamen Leser anzumerken, dass es in diesem Verfahren weder einen „Antragsteller zu 2)“ gab noch die Antragstellerin im Alter zwischen 6 und 14 Jahren war (so dass der für Datenverarbeitungsgeräte und Software im Rahmen des Regelbedarfsermittlungsgesetzes 2017 [RBEG 2017] für Erwachsene veranschlage Wert von 2,52 € monatlich vom Gericht zu benennen gewesen wäre, der sich dann auch nicht auf Seite 66, sondern auf Seite 44 der BT-Drucksache 18/9984 findet). Das Sozialgericht hat hier offenbar in weiten Teilen einfach die Entscheidung des SH LSG vom 11.01.2019 kopiert. Man lerne daraus: Es gibt nicht nur Copy-and-paste-Verwaltungsakte von Behörden, sondern auch Copy-and-paste-Beschlüsse von Gerichten.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Jobcenter muss Kosten für Schulbücher tragen

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Die Kosten für Schulbücher sind vom Jobcenter als Härtefall-Mehrbedarf nach § 21 Absatz 6 SGB II zu übernehmen, wenn Schüler mangels Lernmittelfreiheit ihre Schulbücher selbst kaufen müssen.

Die Kosten für Schulbücher sind zwar dem Grunde nach vom Regelbedarf erfasst, nicht aber in der richtigen Höhe, wenn keine Lernmittelfreiheit besteht. Denn der Ermittlung des Regelbedarfs liegt eine bundesweite Einkommens- und Verbrauchsstichprobe zugrunde. Deren Ergebnis für Schulbücher ist folglich nicht auf Schüler übertragbar, für die anders als in den meisten Bundesländern keine Lernmittelfreiheit in der Oberstufe gilt (BSG, Urteile vom 08.05.2019, B 14 AS 6/18 R und B 14 AS 13/18 R – 180 € bzw. 200 € Kosten für Schulbücher im Schuljahr).

Was bedeutet die Entscheidung für Leistungsberechtigte in Schleswig-Holstein?

Zwar gibt es in Schleswig-Holstein wie in sieben weiteren Bundesländern bereits Lernmittelfreiheit. Diese umfasst in Schleswig-Holstein aber lediglich die Gegenstände, die ausschließlich im Unterricht eingesetzt werden. Konkret regelt § 13 des Schleswig-Holsteinischen Schulgesetzes:

(1) Schülerinnen und Schüler erhalten unentgeltlich, in der Regel leihweise,

  1. Schulbücher,
  2. Gegenstände, die ausschließlich im Unterricht eingesetzt werden und in der Schule verbleiben,
  3. zur Unfallverhütung vorgesehene Schutzkleidung.

(2) Schulbücher sind alle Bücher und Druckschriften, die überwiegend im Unterricht und bei der häuslichen Vor- und Nachbereitung des Unterrichts durch Schülerinnen und Schüler verwendet werden. Nicht zur Verfügung gestellt werden müssen Bücher und Druckschriften, die zwar im Unterricht eingesetzt werden, daneben aber erhebliche Bedeutung für den persönlichen Gebrauch haben können.

(3) Von der Schülerin und vom Schüler können Kostenbeiträge verlangt werden für

  1. Sachen, die im Unterricht bestimmter Fächer verarbeitet werden und danach von der Schülerin und vom Schüler verbraucht werden oder ihnen verbleiben,

  2. Verpflegung in der Schule.

Damit fallen etwa Taschenrechner, Computer, Atlanten, Literatur für den Deutschunterricht, Hefte und Schreibmaterial in Schleswig-Holstein nicht unter die Lernmittelfreiheit.

Für welchen Schulbedarf kann in Schleswig-Holstein ein Mehrbedarfsantrag gestellt werden?

Ein Antrag kann z.B. gestellt werden für die Anschaffung eines Computers (vgl. dazu Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 11.01.2019, L 6 AS 238/18 B ER), Atlanten und Literatur für den Deutschunterricht sowie für Schulbücher, die eine Schule trotz Lernmittelfreiheit tatsächlich nicht zur Verfügung stellt und die deswegen von den Schülern gekauft werden müssen. Ein Antrag ist auch möglich, wenn eine Schule etwa einen höheren Kostenbeitrag für Materialien für den Werkunterricht fordert (vgl. § 13 Abs. 3 Nr. 1 SchulG SH).

Ein Mehrbedarfsantrag wird demgegenüber keinen Erfolg haben bei Schulmaterial, das aus dem Schulbedarf nach § 28 Abs. 3 Satz 1 SGB II (insgesamt 100 € im Jahr) angeschafft werden soll. Hierzu gehören nach BT-Drucks. 17/3404, Seite 105 „neben Schulranzen, Schulrucksack und Sportzeug insbesondere die für den persönlichen Ge- und Verbrauch bestimmten Schreib-, Rechen und Zeichenmaterialien (Füller, Kugelschreiber, Blei- und Malstifte, Taschenrechner, Geodreieck, Hefte und Mappen, Tinte, Radiergummis, Bastelmaterial, Knetmasse)“.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Geld vom Jobcenter für die Anschaffung eines Computers

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Schüler im Leistungsbezug nach dem SGB II haben unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch gegenüber ihrem Jobcenter auf Gewährung eines einmaligen Mehrbedarfes für die Anschaffung eines Computers aus § 21 Abs. 6 SGB II. Nach dieser Vorschrift wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit ein im Einzelfall unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht.

Die Anschaffung eines Computers – hier eines Laptops – war „unabweisbar“, weil dieser ausweislich einer entsprechenden Schulbescheinigung von dem Antragsteller, der in die 8. Klasse geht, für Recherchen und das Anfertigen von Texten im Unterricht benötigt wird sowie die Präsentation mittels Laptops sogar fester Bestandteil der Schulabschlussprüfung ist. Die Anschaffungskosten konnten auch nicht durch die Zuwendung Dritter gedeckt oder durch Ansparungen aus dem Regelsatz bestritten werden, da für PC und Software nur 2,28 € im Monat im Regelsatz von Kindern zwischen 6 und 14 Jahren berücksichtigt sind. Auch ein Ratenkauf hat das Gericht ausgeschlossen, da ein solcher – vorliegend auch wegen weiterer Abzahlungsverpflichtungen – zu einer Unterschreitung des Existenzminimums geführt hätte. Der Laptop war auch nicht aus der Schulbedarfspauschale finanzierbar. Seine Anschaffung stellte zuletzt auch einen „laufenden Bedarf“, da er über einen längeren Zeitraum benötigt wird, auch wenn die Kosten nur einmalig beim Kauf entstehen. Die maximalen anerkennungsfähigen Anschaffungskosten hat das Gericht mit 600,00 € bestimmt.

(Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 11.01.2019, L 6 AS 238/18 B ER)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 4/2019

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Geld für Schulbücher vom Jobcenter

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Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) hat erstmals obergerichtlich entschieden, dass Kosten für Schulbücher als Mehrbedarfsleistungen vom Jobcenter zu übernehmen sind.

Geklagt hat eine Schülerin der gymnasialen Oberstufe, die im Bezug von Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV) stand. Sie hatte Kosten für die Anschaffung von Schulbüchern (135,65 €) sowie eines grafikfähigen Taschenrechners (76,94 €) als Zusatzleistungen zum Regelbedarf beim Jobcenter geltend gemacht. Das Jobcenter bewilligte ihr mit dem sog. Schulbedarfspaket pauschal 100,00 € pro Schuljahr. Für eine konkrete Bedarfsermittlung fehle eine Rechtsgrundlage.

Das LSG hat die Schulbuchkosten als Mehrbedarfsleistungen in entsprechender Anwendung des § 21 Abs. 6 SGB II anerkannt. Bücher würden nach der Gesetzesbegründung nicht von der Schulbedarfspauschale nach § 28 Abs. 3 SGB II umfasst, sondern müssten grundsätzlich aus dem Regelbedarf bestritten werden. Da dieser jedoch für Bücher jeglicher Art lediglich etwa 3 € im Monat vorsehe, seien hierdurch die Schulbuchkosten nicht gedeckt. Dies stelle eine unbeabsichtigte Regelungslücke dar, die über eine verfassungskonforme Auslegung des § 21 Abs. 6 SGB II durch die Gerichte zu schließen sei.

Demgegenüber seien die Kosten für grafikfähige Taschenrechner von der Schulbedarfspauschale abgedeckt, denn ein solcher Taschenrechner müsse nicht für jedes Schuljahr erneut angeschafft werden.

(LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11. Dezember 2017, L 11 AS 349/17)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 05/2018

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Jobcenter muss Kosten einer Brillenreparatur übernehmen

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Bezieher von ALG II (Hartz IV) haben einen Anspruch auf Übernahme der Kosten der Reparatur ihrer Brille.

Nach § 24 Abs. 3 Nr. 3 SGB II haben ALG II-Bezieher gegenüber dem Jobcenter einen Anspruch auf Übernahme ihrer Kosten für die „Anschaffung und Reparaturen von orthopädischen Schuhen, Reparaturen von therapeutischen Geräten und Ausrüstungen sowie die Miete von therapeutischen Geräten“. Auf dieser Grundlage beantragte der Kläger beim beklagten Jobcenter die Übernahme der Kosten für die Einarbeitung eines Brillenglases (Einarbeiten: 10 Euro, 1 Glas links: 65,50 Euro, Entspiegelung: 44 Euro, abzüglich 9,50 Euro, Gesamtpreis: 110 Euro). Das Jobcenter lehnte diesen Antrag ab. Das Landessozialgericht (LSG) verurteilte das Jobcenter, dem Kläger die Kosten in Höhe von 66 Euro zu erstatten, weil die Brille ein therapeutisches Gerät sei. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen, weil medizinische Gründe für die Entspiegelung nicht ersichtlich seien. Mit der vom LSG zugelassen Revision rügte das Jobcenter, eine Brille sei kein therapeutisches Gerät.

Das BSG hat die Berufung des Jobcenters zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, die Sonderbedarfe nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 SGB II seien eingeführt worden, um Bedarfe abzudecken, die nicht in die Ermittlung des Regelbedarfs eingeflossen sind. Nach den Ausfüllhinweisen des Statistischen Bundesamts zur EVS 2008 fielen unter die Wendung „therapeutische Geräte und Ausrüstungen“ auch Brillen. Demgemäß wurde die Reparatur von Brillen im Rahmen der EVS 2008 in eine Rubrik eingetragen, die nicht in die Regelbedarfsermittlung eingeflossen ist und deren Bedarfe durch den Sonderbedarf nach § 24 Abs. 3 SGB II abgedeckt werden sollen.

(BSG, Urteil vom 25.10.2017, B 14 AS 4/17 R)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 12/2017

Siehe auch: Hartz IV: Brille als Sonderbedarf

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Seit 01.05.2016 auch in Kiel Geldleistungen statt Sachleistungen für die Erstausstattung der Wohnung

Bereits zum 01.05.2016 hat nun auch Kiel die Leistungen für die Erstausstattung einer Wohnung nach § 24 Abs. 3 Nr. 1 SGB II bzw. § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII von Sachleistungen (die bisher über die Möbelbörse der evangelischen Stadtmission zu beziehen waren) auf Geldleistungen umgestellt. Die Gründe hierfür sind in der Druchsache 0142/2016 aus der Ratsversammlung vom 17.03.2016 nachzulesen. Interessant: Nach eigenem Bekunden der Stadt Kiel sind die Kosten, die für eine Versorgung über die Möbelbörse der Stadtmission aufgewandt werden mussten, „vergleichbar“ mit der Kosten der Versorgung über den freien Möbelmarkt des unteren Preissegments.

In welcher Höhe seit dem 01.05.2016 Geldleistungen erbracht werden, ist in der Drucksache 0142/2016 bzw. im Austauschblatt zu Punkt 7.1 (IV. Richtlinien für einmalige Beihilfen nach § 24 Abs. 3 SGB II / § 31 Abs. 1 SGB XII, n.F.) nachzulesen.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Merkzeichen „G“ im Eilverfahren

(c) Thommy Weiss / pixelio.de

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Wer aufgrund einer Behinderung in seiner Bewegungsfähigkeit derart eingeschränkt ist, dass er im Straßenverkehr eine Wegstrecke von zwei Kilometern nicht innerhalb einer halben Stunde zurücklegen kann, hat einen Anspruch auf die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ in seinem Schwerbehindertenausweis. Mit der Zuerkennung des Merkzeichens „G“ können Gehbehinderte gegen eine Eigenbeteiligung von 72 € im Jahr eine Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr erhalten. Wer von Sozialleistungen (Sozialgeld bei voller Erwerbsminderung, Grundsicherung im Alter usw.) lebt, muss keine Eigenbeteiligung entrichten und erhält zudem einen Mehrbedarf in Höhe von 17 % des maßgeblichen Regelsatzes (im Jahr 2015 67,83 € für eine alleinstehende Person).

Im Anschluss an eine Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg hat das Sozialgericht Kiel entschieden, dass Grundsicherungsbezieher im Fall der Ablehnung ihres Antrages auf Zuerkennung des Merkzeichens „G“ ihren Anspruch auf dessen vorläufige Feststellung auch im sozialgerichtlichen Eilverfahren verfolgen können. Zwar sei es Betroffenen grundsätzlich zuzumuten, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens (Widerspruch, Klage) abzuwarten. Beziehe der Gehbehinderte allerdings Grundsicherungsleistungen und mache er einen Mehrbedarf (hier nach § 30 Abs. 1 SGB XII) in Höhe von 67,83 € geltend, den er nur nach Zuerkennung des Merkzeichens „G“ erhalten könne, so sei die Zuerkennung notwendige Voraussetzung für die Sicherstellung seines verfassungsrechtlichen garantierten Existenzminimums. Damit läge die besondere Eilbedürftigkeit für ein Eilverfahren vor.

(SG Kiel, Beschluss vom 10.11.2015, S 20 SB 7/15 ER – rechtskräftig)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 1/2016

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Wohnraummehrbedarf zur Wahrnehmung des Umgangsrechts

(c) Gerd Altmann / pixelio.de

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Das Sozialgericht Kiel hat entschieden, dass ein arbeitsloser Vater, welcher an 55 Tagen im Jahr sein Umgangsrecht mit seinen beiden Kindern ausübt, einen Anspruch auf eine größere Wohnung und damit auch höhere Leistungen für die Unterkunft hat.

Der Vater hatte bewusst eine größere Wohnung angemietet und dies dem Jobcenter Kiel gegenüber damit begründet, dass sich seine Kinder regelmäßig bei ihm aufhalten und er deswegen einen erhöhten Unterkunftsbedarf habe. Das Jobcenter folgte dieser Argumentation nicht und erkannte lediglich die Mietobergrenze für einen Einpersonenhaushalt mit bis zu 50 qm in Höhe von 316,00 € bruttokalt (rückwirkend ab 01.01.2013 jetzt 332,00 €) an.

Das Sozialgericht Kiel hat dem Vater im Eilverfahren sodann einen Anspruch auf unterkunftssichernde Leistungen für eine Wohnung mit 65 qm (= 408,20 €) zugesprochen. Die Kinder hielten sich nämlich in einem zeitlichen Umfang bei ihrem Vater auf, der es rechtfertige, entsprechend den vom Bundessozialgericht entwickelten Grundsätzen zur sogenannten „temporären Bedarfgemeinschaft“ einen erhöhten Wohnraumbedarf anzuerkennen. Zwar sei höchstrichterlich noch nicht geklärt, ob und in welchem Umfang eine „temporäre Bedarfsgemeinschaft“ auch im Bereich der Unterkunftskosten zu berücksichtigen sei. Der Gesetzgeber habe aber in § 22 b Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB II zum Ausdruck gebracht, dass ein erhöhter Wohnraumbedarf wegen der Ausübung eines Umgangrechts zu berücksichtigen sei.

Sozialgericht Kiel, Beschluss vom 09.04.2014, S 38 AS 88/14 ER

Erstveröffentlichung in HEMPELS 12/2014

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Umgangskosten: Keine Bagatellgrenze von 10 %

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Nach § 21 Abs. 6 SGB II haben Hartz IV-Empfänger einen Anspruch auf Leistungen für einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen und besonderen Bedarf. In Betracht kommen etwa Leistungen für Pflege- und Hygieneartikel, die aus gesundheitlichen Gründen laufend benötigt werden, die Kostenübernahme für Putz- bzw. Haushaltshilfen für körperlich stark beeinträchtigte Personen oder Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Eltern. Nach den „Fachlichen Hinweisen“ der Bundesagentur für Arbeit zu § 21 SGB II in der aktuellen Fassung wird ein Bedarf indessen erst anerkannt, wenn er in der Summe 10 Prozent der maßgeblichen Regelleistungen (bei einer alleinstehenden Person also derzeit 39,10 €) übersteigt. Bei geringeren Mehraufwendungen sei es den Leistungsberechtigten zumutbar, einen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch Einsparungen in einem anderen Lebensbereich auszugleichen.

Diese Verwaltungspraxis hat das Bundessozialgericht (BSG) in einer aktuellen Entscheidung nun für rechtswidrig erklärt. Nach Auffassung des BSG ist eine Rechtsgrundlage für die Annahme einer allgemeinen Bagatellgrenze nicht zu erkennen. Insbesondere scheide eine Heranziehung der 10 %-Regelung für die Rückzahlung von Darlehen nach § 42a SGB II aus. Denn bei einem Darlehen haben die Leistungsberechtigten das Geld vorher vom Jobcenter erhalten, dass sie dann an dieses zurückzahlen müssen, während es ihnen bei einer Bagatellgrenze vorenthalten würde, obwohl sie darauf einen Anspruch haben.

(BSG, Urteil vom 4.6.2014, B 14 AS 30/13 R)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 07/2014

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Hartz IV: Brille als Sonderbedarf

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Nach einer Entscheidung des Landessozialgerichts NRW können die Kosten für die Anschaffung einer zum Ausgleich einer Sehschwäche erforderlichen Brille gemäß § 24 Abs. 1 SGB II grundsätzlich nur darlehensweise übernommen werden, da es sich bei den Anschaffungskosten um einen einmaligen Bedarf handelt.

Etwas anders kann jedoch dann gelten, wenn aufgrund der besonderen Sachlage – im Falle des Klägers einer chronischen Augenerkrankung, die zu einer kontinuierlichen Verschlechterung seiner Sehkraft führt – eine wiederkehrende Anpassung der Sehschärfe notwendig ist. In derart gelagerten Fällen kann es sich bei der Anschaffung einer Brille um einen regelmäßig wiederkehrenden Sonderbedarf handeln, dessen Kosten vom Grundsicherungsträger nach § 21 Abs. 6 SGB II als Zuschuss zu übernehmen sind.

Ein anspruchsbegründender laufender Bedarf liegt jedenfalls dann vor, wenn der besondere Bedarf – Anpassung der Sehschärfe – im sechsmonatigen Bewilligungsabschnitt nicht nur einmalig, sondern bei prognostischer Betrachtung voraussichtlich mehrfach auftritt.

Unter Berücksichtigung der jeweiligen Eigenart des Bedarfs kann ein laufender Bedarf aber auch angenommen werden, wenn er zwar häufiger auftritt, nicht jedoch zwingend in jedem Bewilligungsabschnitt gegeben ist, aber wegen der Höhe der damit verbundenen Aufwendungen nicht über die Darlehensregelung des § 24 Abs. 1 SGB II erfasst werden kann.

(LSG NRW, Urteil vom 12.06.2013, L 7 AS 138/13 B – rechtskräftig)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 08/2013

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Höhere Regelsätze ab dem Jahr 2013

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Die Bundesregierung hat am 19. September 2012 eine Erhöhung der Regelbedarfe für Bezieher von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II (ALG II / Hartz IV) sowie für Bezieher von Leistungen der nach dem SGB XII (vor allem Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung) zum 1. Januar 2013 um 2,26% beschlossen. Die beschlossene Rechtsverordnung bedarf noch der Zustimmung des Bundesrats auf seiner Sitzung am 12.10.2012, welche allerdings als bloße Formsache gilt.

Die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen ist gesetzlich festgeschrieben. Sie erfolgt jährlich und richtet sich nach statistischen Berechnungen. Dabei wird ein sog. Misch-Index zugrunde gelegt. Der Index orientiert sich an der bundesdurchschnittlichen Preisentwicklung und der Nettolohnentwicklung. Ab 2014 soll diese Berechnung durch die „laufende Wirtschaftsrechnung“ als Berechnungsgrundlage für die Regelsätze abgelöst werden.

Nachfolgender Tabelle sind die künftigen Leistungen, die bisherigen Leistungen (zum Vergleich) sowie der Mehrbedarf für dezentrale Warmwasseraufbereitung (Strom- oder Gasboiler zur Gebrauchswarmwasseraufbereitung, mehr dazu hier) zu entnehmen:

Leistungen bis 31.12.2012

Leistungen ab 01.01.2013

Mehrbedarf für Warmwasser**

Regelbedarfsstufe 1
(alleinstehende oder alleinerziehende Leistungsberechtigte)

374 €

(+ 10 €)*

382 €

(+ 8 €)

2,3 %

= 8,79 €

Regelbedarfsstufe 2
(volljährige PartnerIn innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft)

337 €

(+ 9 €)

345 €

(+ 8 €)

2,3 %

= 7,94 €

Regelbedarfsstufe 3
(18 bis einschließl. 24-jährige Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft)

299 €

(+ 8 €)

306 €

(+ 5 €)

2,3 %

= 7,04 €

Regelbedarfsstufe 4
(Jugendliche von 14 bis einschließl. 17 Jahre)

287 €

289 €

(+ 4 €)

1,4 %

= 4,05 €

Regelbedarfsstufe 5
(Kinder von 6 bis einschließl. 13 Jahre)

251 €

255 €

(+ 4 €)

1,2 %

= 3,06 €

Regelbedarfsstufe 6
(Kinder unter 6 Jahre)

219 €

(+ 4 €)

224€

(+ 4 €)

0,8 %

= 1,79 €

* Veränderungen zum Vorjahr 2011
** Rundung nach § 41 Abs. 2 SGB II

Weitere erhöhte Mehrbedarfe und Barbeträge

Mit der Anhebung der Regelbedarfe steigen zudem die Mehrbedarfe und die Barbeträge für Bewohnerinnen und Bewohner von stationären Einrichtungen. Voll erwerbsgeminderte Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII, deren Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen „G“ enthält, erhalten einen Mehrbedarf in Höhe von 17 % ihrer Regelbedarfsstufe. Leistungsbezieher, die Eingliederungshilfe erhalten, bekommen einen Mehrbedarf in Höhe von 35 % ihrer Regelbedarfsstufe. Entsprechend den erhöhten Regelbedarfsstufen steigen auch die Mehrbedarfe für Schwangere, Alleinerziehende sowie für Kranke, die eine kostenaufwändige Ernährung benötigen (vgl. § 21 Abs. 2 bis 6 SGB II). Auch die Höhe des Barbetrags (sog. Taschengeld in stationären Einrichtungen) verändert sich ab dem 01.01.2012. Er beträgt 27 % des Regelbedarfs der Regelbedarfsstufe 1 von dann 382 €, also 103,14 €.

Weitere Infos: Höhere Regelsätze ab dem Jahr 2014

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Zum Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung

Sowohl in der Grundsicherung nach dem SGB XII (vgl. § 30 Abs. 5 SGB XII) als auch in der Grundsicherung für Arbeitssuchende (vgl. § 21 Abs. 5 SGB II) können bei bestimmten Erkrankungen Mehrbedarfe für kostenaufwendige Ernährung anerkannt werden. Zur Beurteilung der Frage, bei welchen Erkrankungen Leistungsberechtigte „aus medizinischen Gründen einer kostenaufwendigen Ernährung bedürfen“, greifen Behörden wie Gerichte auf die jeweils aktuellen Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zurück.

Rechtliche Qualifizierung der Empfehlungen des Deutschen Vereins

Unterschiedlich wird von den Gerichten dabei beurteilt, ob es sich bei den Empfehlungen um sog. „antizipierte Sachverständigengutachten“ handelt, an denen sich das Gericht im Regelfall orientieren kann, oder ob die Empfehlungen lediglich als eine „Orientierungshilfe“ heranzuziehen sind, welche das Gericht bei seiner Entscheidung zwar mit heranzuziehen hat, die aber im Wege der Amtsermittlung (§ 103 SGG) um weitere Erkenntnisquellen des Einzelfalles zu ergänzen sind. An den Kammern des SG Schleswig wird (wohl) überwiegend letztere Auffassung vertreten, die 11. Kammer sieht die Empfehlungen als „antizipiertes Sachverständigengutachten“.

BSG, Urteil vom 22.11.2011, B 4 AS 138/10 R

Das BSG hat zu dieser Frage in seiner Urteilsbegründung vom 22. November 2011 zum Aktenzeichen B 4 AS 138/10 R ausgeführt (vgl. Terminbericht Nr. 58/11 zur Terminvorschau Nr. 58/11):

„Anhand der vom LSG getroffenen Feststellungen kann auch nicht beurteilt werden, ob der Kläger einen Anspruch auf Mehrbedarf wegen Krankenkost hat. Das LSG hat insoweit gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen, weil es Ermittlungsmöglichkeiten nicht genutzt hat, die sich vernünftigerweise aufdrängten. Das LSG hat insbesondere keine sachverständigen Auskünfte der den Kläger behandelnden Ärzte eingeholt, so dass keine belastbaren Feststellungen dazu getroffen worden sind, welche Krankheiten beim Kläger vorliegen und welche Anforderungen an sein Ernährungsverhalten hieraus folgen. Zur Klärung dieser medizinischen Fragen genügt die vom LSG im Wege des Urkundenbeweises eingeführte amtsärztliche Stellungnahme nicht, weil sie weder relevante Tatsachen noch nachvollziehbare Schlussfolgerungen enthält. Unabhängig von diesen Anforderungen weist der Senat darauf hin, dass allein mit den Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1.10.2008 zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe Verfahren der vorliegenden Art nicht erledigt werden können. Es handelt sich insoweit insbesondere nicht um ein antizipiertes Sachverständigengutachten, das auf der Grundlage der Angaben der Antragsteller normähnlich angewandt werden könnte.“

Entscheidung der 11. Kammer des SG Schleswig

In dem Verfahren S 11 SO 98/08 wurde von Klägerseite auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins von 1997 abgestellt. Danach hätte ein Anspruch auf Mehrbedarf bestanden. Nachdem die Klage am 20.04.2008 erhoben wurde, veröffentlichte der Deutsche Verein am 01.10.2008 seine grundlegend überarbeiteten Empfehlungen, nach denen bei den in diesem Verfahren nachgewiesenen Krankheiten kein Mehrbedarfsanspruch mehr bestand. Nachweise über einen dennoch bestehenden Ernährungsmehrbedarf im konkreten Einzelfall lagen für den streitigen Zeitraum nicht vor und konnten daher auch nicht beigebracht werden. Die – ursprünglich erfolgversprechende – Klage hatte daher vor der 11. Kammer des SG Schleswig im Februar 2012 (als rund 4 Jahre später!) keinen Erfolg mehr. Gegen das Urteil des SG Schleswig wurde keine Berufung eingelegt, da die Angelegenheit für die Klägerin, die heute nicht mehr von Grundsicherungsleistungen lebt, keine Bedeutung mehr hat. Für das Verfahren wurde Prozesskostenhilfe bewilligt.

Das Urteil des SG Schleswig vom 14.02.2012, S 11 SO 98/08 findet sich als Download hier:

SG Schleswig, Urt. v. 14.02.2012, S 11 SO 98/08

Weiterführende Links:

http://sozialrechtsexperte.blogspot.com/2012/02/zum-mehrbedarf-wegen-kostenaufwendiger.html

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Höhere Regelsätze ab dem Jahr 2012!

Ab dem 01.01.2012 werden die Leistungen der Grundsicherung erhöht. Bezieher von Grundsicherung für Arbeitssuchende (ALG II) sowie Bezieher von Leistungen der Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII erhalten mit Beginn des neuen Jahres höhere Leistungen.

Die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen ist gesetzlich festgeschrieben. Sie erfolgt jährlich und richtet sich nach statistischen Berechnungen. Dabei wird ein sog. Misch-Index zugrunde gelegt. Der Index orientiert sich an der bundesdurchschnittlichen Preisentwicklung und der Nettolohnentwicklung. Ab 2014 soll diese Berechnung durch die „laufende Wirtschaftsrechnung“ als Berechnungsgrundlage für die Regelsätze abgelöst werden.

Nachfolgender Tabelle sind die künftigen Leistungen, die bisherigen Leistungen (zum Vergleich) sowie der Mehrbedarf für dezentrale Warmwasseraufbereitung (Strom- oder Gasboiler zur Gebrauchswarmwasseraufbereitung, mehr dazu hier) zu entnehmen:

Leistungen ab 1.1.2012

Leistungen bis 31.12.2011

Mehrbedarf für Warmwasser

Regelbedarfsstufe 1
(alleinstehende oder alleinerziehende Leistungsberechtigte)

374 €

(+ 10 €)

364 €

2,3 %

= 8,60 €

Regelbedarfsstufe 2
(volljährige PartnerIn innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft)

337 €

(+ 9 €)

328 €

2,3 %

= 7,75 €

Regelbedarfsstufe 3
(18 bis einschließl. 24-jährige Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft)

299 €

(+ 8 €)

291 €

2,3 %

= 6,88 €

Regelbedarfsstufe 4
(Jugendliche von 14 bis einschließl. 17 Jahre)

287 €

287 €

1,4 %

= 4,02 €

Regelbedarfsstufe 5
(Kinder von 6 bis einschließl. 13 Jahre)

251 €

251 €

1,2 %

= 3,01 €

Regelbedarfsstufe 6
(Kinder unter 6 Jahre)

219 €

(+ 4 €)

215 €

0,8 %

= 1,75 €

Weitere erhöhte Mehrbedarfe und Barbeträge

Mit der Anhebung der Regelbedarfe steigen zudem die Mehrbedarfe und die Barbeträge für Bewohnerinnen und Bewohner von stationären Einrichtungen.

Voll erwerbsgeminderte Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII, deren Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen „G“ enthält, erhalten zukünftig einen Mehrbedarf in Höhe von 17 % ihrer Regelbedarfsstufe.

Leistungsbezieher, die Eingliederungshilfe erhalten, bekommen einen Mehrbedarf in Höhe von 35 % ihrer Regelbedarfsstufe. Entsprechend den erhöhten Regelbedarfsstufen steigen auch die Mehrbedarfe für Schwangere, Alleinerziehende sowie für Kranke, die eine kostenaufwändige Ernährung benötigen (vgl. § 21 Abs. 2 bis 6 SGB II).

Auch die Höhe des Barbetrags (sog. Taschengeld in stationären Einrichtungen) verändert sich ab dem 01.01.2012. Er beträgt 27 % des Regelbedarfs der Regelbedarfsstufe 1 von dann 374 €, also 100,98 €.

Regelsätze ab 01.01.2013 siehe hier.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Änderung bei den Kosten der Warmwasseraufbereitung!

Wichtige Änderungen bei Hartz IV rückwirkend ab 01.01.2011

Kosten der Gebrauchswarmwasseraufbereitung

Für Hartz-IV-Bezieher war es ein ewiger Zankapfel mit dem Jobcenter: Die Kosten der Warmwasseraufbereitung für Duschen und Händewaschen musste aus den Regelleistungen bezahlt werden, während die Energie, die verbraucht wurden, um das Wasser für die Heizkörper zu erhitzen, als Heizkosten zusätzlich vom Jobcenter übernommen wurde. Dies führte zu zahlreichen Problemen.

Wurde das Gebrauchswarmwasser über die Heizungsanlage erhitzt und gab es keine Warmwasseruhren, musste der Betrag pauschal geschätzt werden. Die Rechtsprechung ging von 30 % der im Regelsatz vorgesehenen Position für Haushaltsenergie aus und errechnete für alleinstehenden Personen einen Betrag von 6,63 €. In Kiel wurden pauschal 5 € pro Person von den Heizkosten abgezogen. Waren Warmwasseruhren vorhanden, wurden die tatsächlichen Kosten zugrunde gelegt. Allein die verbrauchsunabhängigen Kosten für die bloße Bereithaltung von Warmwasser und die Kosten der Messgeräte (Warmwasseruhren) waren nicht selten höher als der im Regelsatz vorgesehen Betrag von 6,63 € (für eine alleinstehende Person). Wurde das Warmwasser mit Strom oder Gasboilern erhitzt, durfte kein Abzug von den Heizkosten erfolgen, denn die Betroffenen zahlten die Kosten über ihre Strom- bzw. Gasrechnung ja ohnehin selbst. Nicht selten wurde dies von den Jobcentern aber „übersehen“ und es erfolgte über Jahre hinweg trotzdem ein Abzug.

Mit alledem ist nun Schluss – zum Glück. § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II in seiner ab dem 1.1.2011 geltenden Fassung regelt nun, dass der Regelsatz die Haushaltsenergie nur noch „ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile“ enthält. Das bedeutet für alle diejenigen, bei denen das Warmwasser über die Heizungsanlage erhitzt wird, dass ein Abzug der Warmwasserkosten nicht mehr erfolgen darf, und zwar unabhängig davon, ob der Verbrauch mit Wasseruhren erfasst wird oder nicht. Damit nun diejenigen nicht schlechter stehen, die ihr Warmwasser über Strom- oder Gasboiler erhitzen und die Kosten selbst zahlen, ist in § 21 Abs. 7 SGB II ein neuer Mehrbedarf eingefügt worden: Soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Wassererzeugung) und deshalb kein Bedarf für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 SGB II anerkannt wird, gibt es einen Mehrbedarf in folgender Höhe:

Regelbedarf 364 € 291 € 328 € 287 € 251 € 215 €
Mehrbedarf für Warm-wasser 2,3 %  = 8,37 gerundet*  8,00 € 2,3 % = 6,69 gerundet  7,00 € 2,3 % = 7,54 gerundet  8,00 € 1,4 % = 4,02 gerundet  4,00 € 1,2 % = 3,01 gerundet  3,00 € 0,8 % = 1,72 gerundet  2,00 €

*Bis 31.12.2011 ist gemäß § 77 Abs. 5 SGB II zu runden.

Besteht im Einzelfall ein abweichender Bedarf – etwa, weil der tatsächlich gemessene Gas-Verbrauch höher oder niedriger ist -, ist der tatsächliche Verbrauch zugrunde zu legen.

Für Empfänger von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII (vor allem Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Hilfe zum Lebensunterhalt) findet sich eine entsprechende Regelung in § 30 Abs. 7 SGB XII n.F.

Tipp: Während das Jobcenter Kiel unter der alten Rechtslage nach hiesigen Erfahrungen grundsätzlich ohne amtswegige Prüfung oder Nachfrage bei seinen Kunden zu deren Nachteil schlicht vorausgesetzt hat, dass die Warmwasseraufbereitung über die Heizungsanlage erfolgte und deswegen die sog. Warmwasserpauschale von 5,- € pro Person von den Leistungen für die Heizung in Abzug brachte, ist seit 01.01.2011 darauf zu achten, dass

  • das Jobcenter Kiel die Heizkosten in tatsächlicher Höhe anerkennt (diese Änderung setzt das Jobcenter Kiel selbst um, sollte aber vorsorglich überprüft werden) und
  • der Mehrbedarf bei dezentraler Warmwasseraufbereitung schriftlich beantragt wird, da das Jobcenter Kiel diesen selbst dann, wenn der Behörde bekannt ist, dass die Warmwasseraufbereitung etwa über Stromboiler erfolgt, nicht ohne Weiteres von selbst gewährt. Während die Warmwasserpauschale in der Vergangenheit ohne Nachweise abgezogen wurde, verlangt das Jobcenter Kiel für die Bewilligung des neuen Mehrbedarfs zudem regelmäßig eine schriftliche Vermieterbescheinigung. Mündlichen Aussagen oder eidesstattlichen Versicherung ihrer Kunden sowie von diesen gemachten Fotos  wird i.d.R. kein Glauben geschenkt.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt