Hartz IV: Keine Aufrechnung Strom gegen Gas

Beziehen Leistungsempfänger nach dem SGB II Strom und Gas von dem selben Anbieter und rechnet dieser in der Jahresabrechnung ein vorhandenes Stromguthaben gegen eine Heizkostennachforderung auf, muss der SGB II-Leistungsträger die gesamte Heizkostennachforderung übernehmen und nicht nur den um das Stromguthaben geminderten Betrag.   

Geklagt hatten die Eltern dreier Kinder, die als Familie Leistungen nach dem SGB II vom Jobcenter Schleswig-Flensburg erhalten. Mit der Jahresabrechnung für das Jahr 2017 teilten die Stadtwerke ihnen mit, dass aus den für Strom gezahlten Abschlägen ein Guthaben in Höhe von 611,79 € resultiere, für Gas aber noch eine Nachzahlung in Höhe von 649,24 € geleistet werden müsse. Die Stadtwerke rechneten diese beiden Beträge gegeneinander auf und forderten noch einen Betrag in Höhe von 37,45 € von der Familie. Nur diese Nachzahlung übernahm das Jobcenter. Die Familie forderte den gesamten Betrag für die Heizkostennachforderung in Höhe von 649,24 €.

Das Sozialgericht gab der Familie Recht. Denn die Heizkosten werden vom Jobcenter übernommen, Strom zahlen die Leistungsempfänger hingegen aus ihrem Regelsatz selbst. Somit steht ihnen grundsätzlich auch das aus einer Jahresabrechnung resultierende Guthaben für zu viel gezahlte Stromabschläge zu. Ist der Stromanbieter ein anderer als der Gaslieferant, bekommen Leistungsempfänger daher ein etwaiges Stromguthaben zurück, während sie eine Nachforderung für Heizgas vollständig über die SGB II-Leistungen erstattet erhalten. Das gilt genauso, wenn Leistungsbezieher Strom und Gas von demselben Versorger erhalten und dieser Guthaben und Nachzahlung miteinander verrechnet. 

Sozialgericht Schleswig, Urteil vom 10.08.2022, S 35 AS 635/18; Revision beim Bundessozialgericht anhängig unter dem Aktenzeichen B 7 AS 21/22 R

Erstveröffentlichung in HEMPELS 1/2023

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Die Bürgerbeauftragte informiert: Rechte der Bürger*innen bei steigenden Heizkosten

In den letzten Wochen erreichten die Bürgerbeauftragte vermehrt Anfragen von Bürgerinnen, die befürchten, dass höhere Heizkosten vom Jobcenter oder Sozialamt nicht übernommen werden. „Hier herrscht viel Ungewissheit und Existenzangst, dass die Sozialleistungsträger die Kostenübernahme ablehnen könnten“, sagte die Bürgerbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, Samiah El Samadoni, heute (Donnerstag) in Kiel. Die Anfragen sind dabei vielfältiger Art: So wurde beispielsweise eine erforderliche Umzugszustimmung aufgrund eines hohen Heizkostenabschlags verweigert. Aber auch Fragen in Bezug auf die Übernahme von steigenden Abschlagskosten und notwendiger Betankungen mit Heizöl, erreichten die Bürgerbeauftragte. „Viele Fragen werfen zudem die ab Januar 2023 anfallenden Jahresabrechnungen auf, in denen dann auch höhere Nachzahlungsbeträge entstehen können“, berichtete die Bürgerbeauftragte. Grundsätzlich besteht für Leistungsbezieherinnen ein Übernahmeanspruch von angemessenen Heizkosten. Aber auch Bürgerinnen, die bisher keine Leistungen von Jobcentern und Sozialämtern beziehen und eine Nachzahlung nicht durch eigenes Einkommen decken können, können einen Anspruch auf eine Kostenübernahme haben. Es ist hier unerheblich, ob die Nachforderung in Zeiten vor dem Leistungsbezug entstanden ist. „Wichtig ist nur, dass Bürgerinnen den Antrag im Monat der Fälligkeit einer Nachzahlung stellen,“ betonte El Samadoni, „Ich rechne damit, dass viele Menschen durch die hohen Energiekosten erstmalig auf Sozialleistungen angewiesen sein werden.“

Die Bürgerbeauftragte weist darauf hin, dass bei der Prüfung der Angemessenheit der Kosten der Heizung nicht der Betrag der Heizkosten an sich zu betrachten ist, sondern vielmehr auf den jeweiligen Verbrauch der Bürger*innen abzustellen ist. Nur dieser Verbrauch muss angemessen sein. Nicht alle Behörden würden dies bereits umsetzen.

Die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten und ihr Team beraten zu diesen Fragen gerne telefonisch von Montag bis Freitag zwischen 9.00 und 15.00 Uhr unter 0431-988 1240.

Quelle: https://www.landtag.ltsh.de/beauftragte/bb/pressemitteilungen/


Ablehnung einer Heizkostennachforderung nicht ohne Vorwarnung

Bundessozialgericht in Kassel

Die Ablehnung der Übernahme unangemessener Unterkunfts- oder Heizkosten setzt grundsätzlich ein Kostensenkungsverfahren voraus, das den Leistungsberechtigten in die Lage versetzt, seiner vom Gesetz vorgesehenen Kostensenkungsobliegenheit nachzukommen.

Geklagt hatte eine alleinerziehende Mutter, die mit ihren drei kleinen Kindern im ALG II-Bezug stand. Die Familie zog im Januar 2011 in eine kleinere Mietwohnung um. Im April 2011 machte der frühere Vermieter eine Heizkostennachforderung von 690,35 € geltend. Das Jobcenter übernahm hiervon nur anteilig 148,58 €. Während das Sozialgericht das Jobcenter verurteilt hat, die gesamte Heizkostennachforderung zu übernehmen, lehnte das Landessozialgericht einen Anspruch der Familie ganz ab, weil die Heizkosten unangemessen hoch gewesen seien.

Auf die Revisionen der Klägerinnen hat das Bundessozialgericht das Jobcenter verurteilt, die komplette Heizkostennachforderung von 690,35 € zu übernehmen. Denn auch für eine ehemals bewohnte Wohnung sind Nachforderungen dann zu übernehmen, wenn ein durchgehender SGB II-Leistungsbezug vorliegt. Nichts anderes gilt, wenn wegen vorrangig zu beantragendem Kinderwohngeld eine Unterbrechung des Leistungsbezugs eintritt.

Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Ablehnung der Übernahme unangemessener Unterkunfts- oder Heizkosten grundsätzlich ein Kostensenkungsverfahren voraus, das den Leistungsberechtigten in die Lage versetzt, seiner vom Gesetz vorgesehenen Kostensenkungsobliegenheit nachzukommen. Die mit einer Kostensenkungsaufforderung verbundene Warn- und Aufklärungsfunktion ist auch in Bezug auf Heizkosten, welche die Grenzwerte des „Bundesweiten Heizspiegels“ überschreiten und ein unwirtschaftliches Heizverhalten indizieren, nicht entbehrlich.

BSG, Urteil vom 19.05.2021, B 14 AS 57/19 R

Erstveröffentlichung in HEMPELS 07/2021

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Hartz IV: Betriebskostennachforderungen sind vom Jobcenter unbefristet zu übernehmen

(c) Kurt F. Domnik / pixelio.de

Es schmeckt schon nach selektiver Rechtsanwendung vom feinsten: Ein ALG II-Bezieher wird im Jahr 2018 vom Jobcenter Kiel aufgefordert, seine Betriebskostenabrechnungen für die Jahre 2015 und 2016 zu übersenden. Die Abrechnung für 2015 schließt mit einer Nachforderung, jene für das Jahr 2016 mit einem Guthaben. Das Guthaben fordert das Jobcenter Kiel von seinem Kunden zurück, die Übernahme der Nachforderung wird indessen mit dem Hinweis abgelehnt, der „Antrag“ auf Übernahme der Nachzahlung sei als Überprüfungsantrag gemäß § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 44 SGB X zu werten, der aufgrund des Ablaufs der Überprüfungsfrist von einem Jahr abzulehnen sei.

Derartige Ablehnungen sind klar rechtswidrig. Bei der Einreichung einer Betriebskostenabrechnung, die mit einer Nachzahlung schließt, handelt es sich bereits um keinen Überprüfungsantrag. Anspruchsgrundlage für die Übernahme ist vielmehr § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III (vgl. etwa BSG, Urteil vom 06.04.2011, B 4 AS 12/10 R).

Zudem ist im Sinne des Meistbegünstigungsgrundsatzes davon auszugehen, dass ein bereits gestellter Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts all diejenigen Leistungen umfasst, die nach Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommen (BSG, Urteil vom 02.07.2009, B 14 AS 75/08 R, Rn. 11: sog. „Türöffner-Funktion“ des Antrages). Der Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasste deswegen auch die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Eine sachliche und zeitliche Konkretisierung der von der Antragstellung umfassten Bedarfe kann deswegen auch zu einem späteren Zeitpunkt insbesondere dann vorgenommen werden, wenn sich weitere Bedarfe erst während des laufenden Leistungsbezugs ergeben, also etwa eine Heiz- oder Betriebskostennachforderung erst nach Antragstellung fällig wird. Mit der Vorlage einer Heiz- und Betriebskostennachforderung  wird die Höhe des unterkunftsbezogenen Bedarfs insofern lediglich weiter konkretisiert, jedoch keine zusätzliche, vom Antrag nicht erfasste Leistung beantragt. Nachforderungen sind deswegen grundsätzlich unbefristet zu übernehmen (grundlegend BSG, Urteil vom 22.03.2010, B 4 AS 62/09 R).

Erstveröffentlichung in HEMPELS 01/2019

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Betriebskostenübernahme auch für ehemalige Wohnung

(c) Kurt F. Domnik / pixelio.de

In der Hempels-Ausgabe 9/2015 wurde kritisch über ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) berichtet, in dem das Gericht entschieden hatte, dass Betriebskostennachforderungen vom Jobcenter grundsätzlich nur für die aktuell bewohnte Wohnung zu übernehmen seien.

Von dieser Rechtsprechung ist das BSG nun ein gutes Stück weit wieder abgerückt und hat entschieden, dass Betriebskostennachforderungen auch für ehemals bewohnte Wohnungen dann zu übernehmen sind, wenn die Leistungsberechtigten durchgehend schon zum Zeitpunkt der tatsächlichen Entstehung der Nachforderung bis zu deren Geltendmachung und Fälligkeit im Leistungsbezug nach dem SGB II standen.

Zur Begründung hat das BSG ausgeführt, dass die Nichtübernahme einer Nachforderung in diesem Fall faktisch wie eine Umzugssperre wirken würde, weil ALG II‑Empfänger bei unzureichenden Nebenkostenvorauszahlungen dem Risiko, Schulden zu machen, ausgesetzt wären. Zudem mindere ein Nebenkostenguthaben unabhängig von der Frage eines vorangegangenen Umzugs den ALG II-Anspruch. Umgekehrt sei dann aber auch eine Nachforderung zu übernehmen.

(BSG, Urteil vom 30.03.2017, B 14 AS 13/16 R)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 06/2017

Nachtrag 13.07.2017:

Mit Urteil vom 13.07.2017 zum Az. B 4 AS 12/16 R hat das BSG – unter neuerlichen sprachlichen Verrenkungen – eine weitere Korrektur seiner verfehlten Rechtsprechung zur Übernahme von Betriebskostennachforderungen vorgenommen. Zwar seien Betriebs‑ und Heizkostennachforderungen grundsätzlich nur für die konkret genutzte Wohnung als tatsächlicher, aktueller Bedarf im Fälligkeitsmonat zu berücksichtigen. Auch bei einem Wohnungswechsel bestehe aber ein Anspruch auf Übernahme der Nebenkostennachforderung für die frühere Wohnung, wenn eine „existenzsicherungsrelevante Verknüpfung“ der Nachforderung für eine in der Vergangenheit bewohnte Wohnung mit dem aktuellen unterkunftsbezogenen Bedarf der Leistungsbezieher zu bejahen sei. Dies sei bei einer Zusicherung des Leistungsträgers hinsichtlich des Umzugs jedenfalls dann anzunehmen, wenn der Leistungsberechtigte sowohl im Zeitpunkt der tatsächlichen Entstehung der Nebenkosten SGB II‑Leistungen erhielt als auch im Zeitpunkt der Fälligkeit noch im „nahtlosen“ Bezug von existenzsichernder Leistungen steht (vgl. bereits Urteil des 14. Senats des BSG vom 30.3.2017 ‑ B 14 AS 13/16 R; vgl auch BSG vom 20.12.2011 ‑ B 4 AS 9/11 R: Übernahme der Nebenkostennachforderung bei Aufforderung zur Kostensenkung).

Diese Rechtsprechung des BSG zeigt einmal mehr, wie sich ein Gericht mit sich selbst beschäftigen kann: Es wird ohne Not ein falsches (Grundsatz-)Urteil (B 14 AS 40/14) gefällt, welches mit den einfachsten Regeln der Logik und Systematik bricht, um sodann in einer Reihe weiterer Urteile zahllose „Ausnahmen“ vom angeblichen Grundsatz zu kreieren.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Rückforderung von Betriebskostenguthaben!

Zahlen Bezieher von Leistungen nach dem SGB II aus ihrem Regelsatz oder Einkommen zu ihrer Miete hinzu, so steht ihnen ein etwaiges Betriebskostenguthaben in Höhe ihrer monatlichen Zuzahlungen zur Miete x 12 Monate zu. Das Jobcenter darf das Betriebskostenguthaben in dieser Höhe weder zurückfordern noch darf dieses auf die Leistungen für die Unterkunft angerechnet werden (vgl. dazu den Beitrag Leistungsberechtigten steht bei Mietzuzahlung Betriebskostenguthaben zu!).

Hat der Grundsicherungsträger im Abrechnungszeitraum unterkunftsbezogene Leistungen in Höhe der tatsächlich geschuldeten Miete erbracht, stehen Betriebskostenguthaben indessen grundsätzlich dem Jobcenter zu. Folgende vier Fallkonstellationen sind zu unterscheiden:

1) Guthaben, die vor dem Leistungsbezug entstanden (angespart) sind aber in der Zeit des Leistungsbezuges zufließen, sind leistungsmindernd zu berücksichtigen.

2) Nachzahlungen, die vor dem Leistungsbezug durch retrospektiv zu geringe Vorauszahlungen entstanden sind und in der Zeit des Leistungsbezuges fällig werden, sind vom Jobcenter zu übernehmen.

3) Guthaben, die im Leistungsbezug entstanden (angespart) sind und nach Beendigung des Leistungsbezuges vom Vermieter ausgezahlt werden, kann der (ehemalige) Leistungsberechtigte behalten.

4) Nachzahlungen, die im Leistungsbezug durch retrospektiv zu geringe Vorauszahlungen entstanden sind und nach Beendigung des Leistungsbezuges fällig werden, sind von dem (ehemaligen) Leistungsberechtigen zu zahlen und müssen nicht etwa vom Jobcenter erstattet werden.

Gesetzliche Grundlage

§ 22 Abs. 3 SGB II normiert, dass Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für die Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen mindern, wobei  Rückzahlungen, die sich auf die Haushaltsenergie beziehen (Haushaltsstrom, Kochgas), außer Betracht zu bleiben haben.

Grund der Regelung

§ 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F. (= § 22 Abs. 3 SGB II n.F.) ist mit dem „Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20.07.2006“ mit Wirkung vom 01.08.2006 in das SGB II eingefügt worden, um zuvor bestehende Anrechnungsprobleme zu beseitigen. Vor der Einfügung der Vorschrift wurden Rückzahlungen als Einkommen angerechnet. Dies führte zum einen dazu, dass ein Versicherungspauschbetrag von 30 € bzw. Versicherungskosten in der tatsächlichen Höhe von der Rückzahlung abgesetzt werden mussten, zum anderen dazu, dass von den Betriebskostenrückzahlungen im Regelfall der Bund, hier die Bundesagentur für Arbeit, profitierte (Anrechnung der Guthabenbeträge auf die vom Bund finanzierten Regelleistungen), obwohl die Kosten der Unterkunft zu über 70 % von den Kommunen aufgebracht worden waren. Beides sollte mit der Einführung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II vermieden werden (vgl. BT-Drs. 16/1696, Seite 26).

Unterkunftsbezogene Erstattungen

§ 22 Abs. 3 SGB II erfasst Rückzahlungen und Guthaben, die „dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind“. Erfasst werden damit neben Heiz- und Betriebskostenguthaben auch Überzahlungen von Unterkunftsleistungen (etwa die Rücküberweisung einer vom Grundsicherungsträger versehentlich doppelt gezahlten Miete). Die Auskehrung einer im Vermögen des Leistungsberechtigten stehenden Mietkaution bewirkt hingegen lediglich eine Vermögensumwandlung unter Aufhebung einer Verwertungssperre, auf die § 22 Abs. 3 SGB II keine Anwendung findet.

„Rückzahlungen“ und „Guthaben“ bzw. „Gutschriften“

Das Gesetz unterscheidet zwischen Rückzahlungen und Guthaben/Gutschriften. Weder in den Gesetzesmaterialien noch in der einschlägigen Kommentarliteratur findet sich allerdings eine nähere Bestimmung dazu, was unter „Rückzahlungen“ und „Guthaben“ bzw. „Gutschriften“ zu verstehen ist.

Nach Ansicht etwa des LSG BW (Urt. v. 20.01.2010, L 3 AS 3759/09) oder des LSG NRW (Urt. v. 22.09.2009, L 6 AS 11/09) sind unter Rückzahlungen die tatsächlichen Zahlungen an den Leistungsberechtigten (bar oder durch Kontogutschrift) zu verstehen. Ein Guthaben sei demgegenüber bereits bei einem positiven Saldo im Abrechnungskonto des Vermieters zur Entstehung gelangt. Für die Entstehung eines Guthabens genüge damit eine Forderung, die gegenüber einem anderen (hier dem Vermieter) geltend gemacht werden könne. Auch der semantische Gehalt des Wortes „Gutschrift“ setze keine Zahlung an den Mieter/Leistungsberechtigten voraus, sondern allein die schriftliche Fixierung bzw. Eintragung eines Guthabens als eines bestehenden Anspruchs eines Anderen.

Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Bereits semantisch bereitet die Definition der LSG BW und NRW Bauchschmerzen. Ein Konto“guthaben“ entsteht durch eine Habenbuchung auf einem Konto, die „Gutschrift“. Im allgemeinen Sprachgebrauch entsteht das Kontoguthaben durch Gutschrift auf dem Konto des Kontoinhabers. Dagegen ist die bloße Erfassung des Rückzahlungsanspruches des Mieters/Leistungsberechtigten als „Haben-Buchung“ im Mieterkonto kein „Gutschrift“, sondern lediglich die Erfassung eines Saldo-Postens in der Buchhaltung des Vermieters. Zudem wird verkannt, dass sich aus dem systematischen Zusammenhang der Tatbestandsmerkmale „Guthaben“ und „Gutschrift“  mit dem Tatbestandsmerkmal „Rückzahlung“ ergibt, dass dem Leistungsberechtigten tatsächlich etwas zugeflossen sein muss. Mit einer Gutschrift in diesem Sinne und damit mit einer Rückzahlung vergleichbar ist daher nur eine entsprechende Buchung auf dem Bankkonto des Mieters/Leistungsberechtigten (so zutreffend SG Neubrandenburg, Urt. v. 27.09.2010, S 11 AS 960/07 Rn. 19 unter Hinweis auf SG Bremen, Beschluss v. 01.12.2009, S 23 AS 2179/09 ER; SG Schleswig, Urt. v. 30.11.2009, S 4 AS 1044/07 = NZS 2010, 458; ähnlich LSG Hamburg, Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08).

Dieses Normverständnis entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung des § 22 Abs. 3 SGB II, nach dem nur dann von einem aufwendungsmindernden Guthaben ausgegangen werden kann, wenn dem Leistungsberechtigten dieses Guthaben tatsächlich auch zur Verfügung steht (LSG Hamburg, Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08; SG Schleswig, Urt. v. 30.11.2009, S 4 AS 1044/07 = NZS 2010, 458; SG Bremen, Beschluss v. 01.12.2009, S 23 AS 2179/09 ER; SG Neubrandenburg, Urt. v. 27.09.2010, S 11 AS 960/07; SG Kiel, Beschluss v. 09.11.2010, S 34 AS 564/10 ER sowie v. 20.12.2010, S 36 AS 666/10 ER (beide nicht veröffentlicht).

In folgenden Fällen scheidet nach alledem eine bedarfsmindernde Direktanrechnung nach § 22 Abs. 3 SGB II aus:

1) (Noch) keine Auszahlung des Guthabens.

2) Vermieterseitige Aufrechnung mit eigenen Forderungen (ausstehende Mieten, Mietkaution; SG Neubrandenburg, Urt. v. 27.09.2010, S 11 AS 960/07). Dann aber ggf. Anrechnung als Einkommen (LSG Hamburg, Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08), str.

3) Auskehrung an Dritte/Ziehung zur Insolvenzmasse im Verbraucherinsolvenzverfahren (ggf. Anrechnung als Einkommen).

In folgenden Fällen ist eine bedarfsmindernde Direktanrechnung nach § 22 Abs. 3 SGB II demgegenüber möglich:

1) Barauszahlung an den Mieter/Leistungsberechtigten.

2) Überweisung auf das Bankkonto des Mieters/Leistungsberechtigten.

Sonderfall: Mieterseitige Verrechnung mit Monatsmiete

Ein Sonderfall stellt m.E. die mieterseitige Verrechnung mit einer Monatsmiete dar. In diesem Fall erfolgt weder eine Rückzahlung noch eine Gutschrift auf das Konto des Mieters/Leistungsberechtigten, sondern der Vermieter mindert die Miete (i.d.R.) für einen Monat um den Guthabenbetrag. Beispiel: Die monatliche Miete beträgt 500,00 € brutto warm. Der Vermieter hat ein Guthaben von 300,00 € errechnet und fordert deswegen im Folgemonat von seinem Mieter nur 200,00 € Miete.

Teilweise wird vertreten, entscheidend sei, ob der tatsächliche Einkommenszufluss zumindest für eine logische Sekunde dem Hilfebedürftigen zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes zur Verfügung stehe, was beispielsweise der Fall wäre, wenn der Hilfebedürftige und sein Vermieter eine Vereinbarung über die Verrechnung des Guthabens treffen, also nicht nur einseitig vom Vermieter aufgerechnet wird (dargestellt von SG Neubrandenburg, Urt. v. 27.09.2010, S 11 AS 960/07, Rn. 25 unter Hinweis auf SG Reutlingen, Urt. v. 10.06.2009, S 2 AS 1472/08, Rn. 27).

Nach hier vertretene Auffassung bedarf es dieser juristischen Klimmzüge nicht. Mangels „Rückzahlung“ oder „Gutschrift“ des Guthabens scheidet eine Anwendung des § 22 Abs. 3 SGB II nach seinem eindeutigen Wortlaut aus (wie hier SG Neubrandenburg, Urt. v. 19.01.2011, S 11 AS 386/08; dies sieht das Jobcenter Kiel jetzt offenbar auch so und hat deswegen etwa im Verfahren S 34 AS 504/11 ER mit Schriftsatz vom 04.11.2011 der Beschwer abgeholfen).

Allerdings besteht im Verrechnungsmonat ein um den Guthabenbetrag verminderter Unterkunftskostenbedarf. Dies weiß der Mieter/Leistungsberechtigte auch oder hätte es jedenfalls wissen müssen, so dass m.E. einer Rückforderung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X im Verrechnungsmonat nichts im Wege steht.

Zeitpunkt der bedarfsmindernden Direktanrechnung

Die größten Schwierigkeiten bereitet in der Praxis die zutreffende Bestimmung des Monats der bedarfsmindernden Direktanrechnung des Guthabens auf die Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft, die ausschließlich ab Beginn des nächsten Monats nach der Rückzahlung oder der Gutschrift erfolgen darf (systemwidrige Abweichung vom Zuflussprinzip). Dies mögen einige Beispiele verdeutlichen:

1) Der Leistungsberechtigte erhält am 20.10.2011 seine Betriebskostenabrechnung und reicht diese am 24.10.2011 beim Jobcenter ein. Das Guthaben wird am 27.10.2011 auf dem Konto des Leistungsberechtigen gutgeschriebenen. Eine bedarfsmindernde Direktanrechnung im November ist nicht mehr möglich, weil die Leistungen bereits um den 23. eines jeden Monats angewiesen werden.

2) Der Leistungsberechtigte erhält am 10.10.2011 seine Betriebskostenabrechnung und reicht diese am 15.10.2011 beim Jobcenter ein. Das Jobcenter rechnet das Guthaben im November an. Das Guthaben wird erst am 03.11.2011 auf dem Konto des Leistungsberechtigen gutgeschriebenen. Die bedarfsmindernde Direktanrechnung im November ist damit rechtswidrig.

Bereits diese zwei Beispiele verdeutlichen, dass es letztlich reiner Zufall ist, ob dem Leistungsträger eine rechtmäßige Direktanrechnung gelingt. Mit anderen Worten: Bei § 22 Abs. 3 SGB II bzw. der Vorgängerregelung handelt es sich um eine gesetzgeberische Fehlleistung ersten Ranges. Lediglich in den überaus seltenen Fällen, in denen die Vermieter den Zeitpunkt der Guthabenauskehrung in der Nebenkostenabrechnung festlegen und einen großzügig bemessenen Zeitraum zwischen Rechnungserstellung und Auszahlung des Guthabens bestimmen, kann eine Direktanrechnung im Einzelfall vorhersehbar gelingen.

Hohes Prozess(kosten)risiko der Jobcenter

Die Jobcenter haben im laufenden Verwaltungsverfahren die Pflicht, den Zuflusszeitpunkt des Guthabens zutreffend zu ermitteln, § 20 SGB X. Hierzu müssen sich die Jobcenter letztlich den Zahlungseingang durch Vorlage von Kontoauszügen der Leistungsberechtigten nachweisen lassen. Tun sie dies nicht und stellt sich erst im Klageverfahren heraus, dass der Zuflussmonat von ihnen unzutreffend bestimmt worden ist, können sich die Behörden nicht mit dem Argument gegen ihre Pflicht zur Tragung der Prozesskosten wehren, der Zuflussnachweis sei ihnen erst im laufenden Klageverfahren bekannt geworden (SG Kiel, rechtliche Hinweise vom 13.10.2011 im Klageverfahren S 33 AS 1273/10). Die Leistungsträger wären daher gut beraten, immer dann, wenn der Zuflusszeitpunkt nicht sicher ermittelt wurde, von der bedarfsmindernden Direktanrechnung im Folgemonat Abstand zu nehmen und Betriebskostenguthaben über (§ 22 Abs. 3 SGB II i.V.m.) § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 oder 4 SGB X zurückzufordern.

Offene Fragen

Soweit die Bewilligungsentscheidung nach § 22 Abs. 3 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X (systemwidrig) im Monat nach dem Guthabenzufluss aufgehoben wird, dürfte allerdings regelmäßig weder ein Wissen noch ein auf besonderer Sorgfaltswidrigkeit beruhendes Nichtwissen des Leistungsberechtigen um die zu hohe Leistungsbewilligung anzunehmen sein, da nach dem (als bekannt vorauszusetzenden) Zuflussprinzip mit einem teilweisen Wegfall des Leistungsanspruches lediglich im Zuflussmonat und nicht dem Folgemonat des Zuflusses zu rechnen sein dürfte.

Möglich ist m.E. aber auch eine Rückforderung über § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X im Monat des Zuflusses des Guthabens. Mit dem LSG Hamburg (Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08) ist davon auszugehen, dass lediglich die bedarfsmindernde Direktanrechnung im Folgemonat zu erfolgen hat. Eine generelle Rückverlegung des Anrechnungsmonats ist der Vorschrift des § 22 Abs. 3 SGB II indessen weder zu entnehmen noch begründet sich eine solche Interpretation aus den Motiven des Gesetzgebers.

In Betracht kommt weiter eine verschuldensunabhängige Rückforderung über  § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X als Einkommen im Zuflussmonat. Dies setzt dann allerdings voraus, dass man mit dem LSG Hamburg (Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08) § 22 Abs. 3 SGB II nicht als „abschließende Sonderregelung der leistungsrechtlichen Wirkungen der erfassten Rückzahlungen und Guthaben“ versteht (so aber Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 22 Rn. 113). In diesem Fall wäre dann allerdings i.d.R. die Versicherungspauschale von 30 € in Abzug zu bringen.

Einzelfälle

BSG, Urt. v. 22.03.2012, B 4 AS 139/11 R (Terminsbericht): Auch wenn eine Person (hier die Tochter des Klägers), die im Abrechnungszeitraum nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft war, sich an den Betriebskosten beteiligt hat, ist ein Guthaben leistungsmindernd zu berücksichtigen, selbst wenn dieses mit einer Forderung (hier der Tochter) belastet war.

Regelung im SGB XII (insbesondere Grundsicherung im Alter)

Gutschriften aus Strom- oder Betriebskostenvorauszahlungen, die infolge zu hoher Vorauszahlungen entstanden sind, wurden bislang als Einkommen auf die Grundsicherungsleistungen angerechnet. § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII in der Fassung ab 01.04.2011 regelt nun: „Einkünfte aus Rückerstattungen, die auf Vorauszahlungen beruhen, die Leistungsberechtigte aus dem Regelsatz erbracht haben, sind kein Einkommen“. Von § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII werden erfasst:

  • Alle Guthabenerstattungen, die aus Vorauszahlungen für Leistungen beruhen beruhen, die ihrer Natur nach aus dem Regelsatz zu bestreiten sind (vor allem Strom).
  • Alle Guthabenerstattungen, die aus Vorauszahlungen für Leistungen beruhen beruhen, die zwar ihrer Natur nach vom Leistungsträger zu erbringen sind, zu denen der Leistungsberechtigte aber hinzu zahlen muss, weil die tatsächlichen Kosten nicht anerkannt werden (etwa Zuzahlung zu den Betriebskosten bei einer Bruttokalt-Mietobergrenze, Zuzahlung zu den Heizkosten wegen (angeblich) unwirtschaftlichem Heizverhalten). Hier gilt wie oben bereits dargelegt:  Guthaben in Höhe der monatlichen Zuzahlungen zur Miete/Heizkosten x 12 Monate stehen dem Leistungsberechtigten und nicht dem Grundsicherungsträger zu.

Weiterführende Infos auf dieser Seite:

Jobcenter Kiel ändert seine Verwaltungspraxis bei der Rückforderung von Betriebskostenguthaben

Übernahme von Betriebskostennachzahlungen bei Anerkennung der tatsächlichen Miete im Abrechnungszeitraum!

Leistungsberechtigten steht bei Mietzuzahlung Betriebskostenguthaben zu!

Zur Abtretung von Nebenkostenguthaben

Nachtrag 16.06.2018: Zu 01.08.2016 wurde § 22 Abs 3 SGB II um den Halbsatz „Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht“ ergänzt. Damit ist die Rechtslage in dem hier dargestellten Sinne vom Gesetzgeber geändert worden. Die Neuregelung ist nicht für Zeiträume vor dem 01.08.2016 anwendbar, vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2018, B 14 AS 22/17 R.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt