Selbständige aufgepasst!

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Selbständige und auch Beschäftigte mit schwankendem Einkommen, die ihr Einkommen mit ALG II (Hartz IV) aufstocken, müssen seit einer Rechtsänderung zum 01.08.2016 aufpassen: Wurde ihnen für den Bewilligungszeitraum ALG II vorläufig bewilligt und kommen sie der Aufforderung des Jobcenters, die Höhe ihrer tatsächlichen Einkünfte innerhalb einer angemessenen Frist (bei Selbständigen mindestens 2 Monate) nachzuweisen nicht nach, kann das Jobcenter feststellen, dass ein Leistungsanspruch nicht bestanden hat. Diese Regelung, die sich eher versteckt in § 41a Abs. 3 Satz 4 SGB II findet und den meisten Leistungsberechtigten nicht bekannt ist, hat zur Folge, dass die ALG II-Leistungen für den gesamten Bewilligungsabschnitt zurückzuzahlen sind, und zwar unabhängig davon, ob überhaupt Einkommen erzielt wurde und wie hoch dieses tatsächlich war.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat nun entschieden, dass zumindest im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens gegen die abschließende Leistungsfestsetzung auf Null eine Prüfung der tatsächlichen Einkommenshöhe unter Berücksichtigung der erst im Widerspruchsverfahren eingereichten Einkommensnachweise zu erfolgen hat. Betroffenen, bei denen der Leistungsanspruch nachträglich auf Null festgesetzt wurde, sollten deswegen Widerspruch gegen diese Festsetzung erheben. Wer die Widerspruchsfrist von einem Monat unverschuldet nicht einhalten konnte, kann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen. Bei Wegfall des Hindernisses ist der Widerspruch innerhalb eines Monats nachzuholen und der Antrag auf Wiedereinsetzung zu begründen (§ 67 SGG).

(BSG, Urteil vom 12.09.2018, B 14 AS 39/17 R)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 11/2018

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Hartz IV: Einkommensteuernachzahlung ist Betriebsausgabe

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Müssen selbständige ALG II-Bezieher Einkommensteuer für zurückliegende Jahre nachzahlen, so ist diese Nachzahlung als Betriebsausgabe vom Einkommen aus selbständiger Tätigkeit abzusetzen.

In der Rechtsprechung wird vielfach die Auffassung vertreten, bei einer Einkommensteuernachzahlung handele es sich um eine sog. personenbezogene Ausgabe, weil alle Personen der Einkommensteuerpflicht unabhängig davon unterliegen, ob sie Einkommen  aus selbständiger oder nichtselbständiger Arbeit beziehen.  Die Einkommensteuernachzahlung könne deswegen keine Betriebsausgabe sein. Zudem handele es sich bei einer Steuernachzahlung um Schulden aus Zeiten vor dem aktuellen Bewilligungszeitraum.

Dieser Rechtsprechung ist das SG Chemnitz und ihm folgend das Sozialgericht Kiel entgegen getreten. Zutreffend weisen beide Gerichte darauf hin, dass für die Zuordnung als Betriebsausgabe allein darauf abzustellen ist, ob sich die Steuer der im Bewilligungszeitraum ausgeübten selbständigen Tätigkeit zuordnen lässt. Beruht die Steuernachzahlung auf Einkünften aus der immer noch ausgeübten selbständigen Tätigkeit, handelt es sich auch nicht um Schulden, da Steuern erst mit ihrer Festsetzung fällig und damit sozialrechtlich zu berücksichtigen sind.

(SG Chemnitz, Urteil vom 25.05.2016, S 35 AS 3984/14; SG Kiel, Vergleich vom 14.11.2016, S 40 AS 100/15)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 08/2017

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Rückzahlungen von Betriebsdarlehen sind Betriebsausgaben!

Eigentlich ist es ganz einfach: Die Aufnahme eines Betriebsdarlehens durch einen selbständigen Hilfebedürftigen ist im Rahmen der Einkommensanrechnung seit 01.04.2011 nicht mehr als Betriebseinnahme zu behandeln, die Rückzahlung eben dieses Betriebsdarlehens aber als Betriebsausgabe (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 2 SGB II, § 3 Abs. 3 Satz 4 und 5 ALG II VO, FH BA zu §§ 11 bis 11b SGB II, dort unter Rn. 11.30a). Jedenfalls sollte man denken, dass dies ganz einfach ist. Für das Jobcenter Segeberg war das nämlich gar nicht so einsichtig. Die Behörde war der Auffassung, dass zwar das aufgenommene Betriebsdarlehen als Betriebseinnahme zu berücksichtigen sei, die Darlehensrückzahlung aber keinesfalls als Betriebsausgabe. Die Begründung, die das Jobcenter Segeberg hierfür aus dem Hut gezaubert und an der es eisern bis in das Gerichtsverfahren festgehalten hat: Da ohne die Darlehensaufnahme in der einen Jahreshälfte Geschäftsverluste entstanden wären, handele es sich bei der Darlehensrückführung um einen „reinen Verlustausgleich außerhalb des Bewilligungszeitraumes“. Daher könne die Darlehensrückführung nicht als Betriebsausgabe anerkannt werden.

Auf diese Weise trieb das Jobcenter Segeberg den Hilfebedürftigen systematisch in die Verschuldung, denn er konnte aufgrund dieser Anrechnungspraxis die Darlehen nicht mit seinen Betriebseinnahmen zurückzahlen, wenn die Geschäfte besser liefen. Denn die Betriebseinnahmen wurden – mangels Anerkennung der Darlehenstilgungen als Betriebsausgaben – als Gewinn auf seine Sozialleistungen angerechnet und der Hilfebedürftige musste diese deswegen zur Bestreitung seines Lebensunterhaltens einsetzen.

Mit Beschluss vom 31.08.2011 hat das Sozialgericht Lübeck das Jobcenter Segeberg verpflichtet, dem Leistungsberechtigten Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der Raten zur Darlehensrückführung als Betriebsausgaben (und damit ohne Anrechnung von Erwerbseinkommen) zu erbringen. Auf die – sonderbare – Begründung des Jobcenters Segeberg ist das Gericht zu Recht gar nicht eingegangen, sondern hat lediglich geprüft, ob es sich bei dem Darlehen zur Finanzierung der Miete der Betriebsstätte um notwendige Betriebsausgaben gehandelt hat und sodann lapidar festgestellt: „Tilgungsbeträge betrieblicher Darlehen sind in voller Höhe als Betriebsausgaben zu berücksichtigen. Dies entspricht auch den Dienstanweisungen des Antragsgegners im Zusammenhang mit betrieblichen Darlehen (11.30a).“ Mehr kann man dazu in der Tat auch kaum sagen. Den Mitarbeitern des Jobcenters Segeberg sind diese Selbstverständlichkeiten offenbar nicht geläufig – sie müssen erst durch ein Gericht zu einfachstem gesetzestreuen Handeln verpflichtet werden.

Sozialgericht Lübeck, Beschluss vom 31.08.2011, S 47 AS 748/11 ER

Tipps für Betroffene/Nachtrag:

Die Anzahl der Nachfragen zu diesem Thema lassen vermuten, dass nicht wenige selbständige ALG II-Aufstocker Probleme mit der Anerkennung ihrer Betriebsausgaben – seien es Raten zur Rückführung von Betriebsdarlehen oder Kosten durch die Anschaffung von Betriebsgeräten im Bewilligungszeitraum – haben. Gelingt es nicht, mit der Behörde eine Einigung über die Anerkennung zu erzielen, sollte gegen den vorläufigen Bewilligungsbescheid (im Fall der Nichtberücksichtigung der geltend gemachten Betriebsausgaben in der vorläufigen Anlage EKS) bzw. den endgültigen Bewilligungsbescheid (im Fall der Nichtberücksichtigung der geltend gemachten Betriebsausgaben in der abschließenden Anlage EKS) innerhalb der Monatsfrist Widerspruch erhoben werden. Führt die inkriminierte Nichtanerkennung von Betriebsausgaben zu einer Bedarfsunterdeckung – ist also das Existenzminimum nicht mehr gewährleistet – sollte ein Eilantrag beim zuständigen Sozialgericht auf Verurteilung der Behörde zur Leistungserbringung unter Berücksichtigung der geltend gemachten Betriebsausgaben gestellt werden. In Verfahren vor Sozialgerichten werden von ALG II-Beziehern keine Gerichtskosten erhoben. Da die Behörde sich durch eigene Mitarbeiter vertritt, sind auch dann, wenn das Sozialgericht die Nichtanrechnung durch die Behörde im Ergebnis bestätigen sollte, keine Kosten der Gegenseite zu tragen. Weil vor den Sozialgerichten kein Anwaltszwang besteht, können sich Betroffene selbst vertreten. Es besteht in diesem Fall kein Kostenrisiko. Ist in schwierigen Fällen die anwaltliche Vertretung ratsam, besteht die Möglichkeit, die Beiordnung eines Rechtsanwalts auf Prozesskostenhilfebasis zu beantragen.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt