Amtsgericht Schleswig schränkt Rechtsschutz für Mittellose ein!
Veröffentlicht: 31. Januar 2012 Abgelegt unter: Beratungshilfe | Tags: Beratungshilfe, Beratungshilfe AG Schleswig, Beratungshilfe Amtsgericht Schleswig 24 KommentareIn aktuellen Beratungshilfeangelegenheiten weist das Amtsgericht Schleswig in einem Hinweisblatt auf seine zukünftige Bewilligungspraxis hin. Nach Auskunft des Gerichts habe es in einer nicht näher erläuterten „Übergangszeit“ gegebenenfalls eine „großzügigere Handhabung“ der Beratungshilfebewilligung gegeben. Da nunmehr die Sachbearbeitung der Beratungshilfe „anders gehandhabt werde, als das die letzten Jahre der Fall war“, erlaube sich das Gericht, auf nachfolgende Gewährungspraxis hinzuweisen: Zunächst sollen die Hilfesuchenden „Eigenbemühungen gezeigt haben und selbst tätig geworden sein“. So seien zunächst die vorhandenen Beratungsangebote von Behörden, Jugendämtern, Schuldnerberatungsstellen („für Angelegenheiten der Schuldnerberatung wird grundsätzlich keine Beratungshilfe durch das Amtsgericht Schleswig bewilligt“) sowie die kostenpflichtige (!) Beratung der Verbraucherzentralen in Anspruch zu nehmen.
Schleswig: Keine Waffengleichheit vor dem Recht
Nach Auffassung des Amtsgericht Schleswig gilt „der Grundsatz der Waffengleichheit“ im außergerichtlichen Verfahren „nur sehr eingeschränkt“. Wo das Gericht diese Erkenntnis gewonnen hat, ist hier nicht bekannt. Soweit das Gericht darauf abhebt, ob ein „solventer Selbstzahler“ in der Angelegenheit anwaltlichen Rat gesucht hätte, ist darauf hinzuweisen, dass ein Großteil der „solventen Selbstzahler“ heute über Rechtsschutzversicherungen verfügen. Die Beratungshilfe ist heutzutage sozusagen die „Rechtsschutzversicherung“ der Mittellosen. Der Vergleich des Gerichts hinkt insofern – und nicht nur aus diesem Grunde. Ob ein „solventer Selbstzahler“ anwaltlichen Rat gesucht hätte, entscheiden die Rechtspfleger dann – befreit von jeglichen gesetzlichen Entscheidungsmaßstäben (BerHG) – quasi freihändig, denn aus dem Topos „solventer Selbstzahler“ lässt sich so ziemlich alles deduzieren, was das verkappte Bezirksrevisorenherz erfreut.
Fehlerhafte rechtliche Ausführungen
Rechtlich schlicht unzutreffend ist, dass Beratungshilfe ausgeschlossen ist, wenn sich ein „gerichtliches Verfahren unumgänglich abzeichnet“. Es gibt klare gesetzliche Regelungen, wann ein Gerichtsverfahren beginnt und eine außergerichtliche Vertretung endet. Es ist gerade die Aufgabe des Rechtsanwaltes, Rechtssuchende darüber zu beraten, ob eine gerichtliche Auseinandersetzung erfolgversprechend bzw. in den Worten des Gerichts sich „unumgänglich abzeichnet“. Es ist nicht angängig, dass darüber zukünftig am AG Schleswig Rechtspfleger – die hierzu weder ausgebildet noch fachlich in der Lage sind – entscheiden.
Notwendigkeit der Vertretung ist „nachzuweisen“
Nach Vorstellungen der Rechtspflegerin Bahlke sollen ihr Anwälte zudem zukünftig „nachweisen“, dass eine Vertretung „notwendig“ war. Nun hat eine Rechtspflegerin keine volljuristische Ausbildung (zwei Staatsexamen, Befähigung zum Richteramt) um beurteilen zu können, ob eine anwaltliche Vertretung notwendig war, und letztlich ist es der Rechtsanwalt, der es – auch haftungsrechtlich – zu vertreten haben wird, wenn er – trotz objektiv vorliegender Notwendig einer Vertretung – für den Rechtssuchenden nicht tätig geworden ist. Vor diesem Hintergrund erscheint es wohlfeil, gleichsam aus der warmen Amtsstube heraus ohne eigenes Haftungsrisiko darüber befinden zu wollen, ob eine anwaltliche Vertretung angezeigt war oder nicht.
Offenkundiges Misstrauen gegenüber der Anwaltschaft
Nach Vorstellung des Gerichts soll die anwaltliche Beratung zudem so erfolgen, „dass der Antragsteller sich danach in der Lage versetzt sieht, selbst tätig werden zu können.“ So weit, so gut. Es ist selbstverständlich, dass in Fällen, in denen eine Beratung ausreichend ist, nur beraten und nicht auch vertreten wird. Ob allerdings im konkreten Fall der konkrete Rechtssuchende individuell in der Lage ist, sich effektiv selbst zu vertreten, hängt maßgeblich auch von der Person des Rechtssuchenden ab. Diese kennt regelmäßig aber nur der vertretende Rechtsanwalt, nicht jedoch die Rechtspflegerin bzw. der Rechtspfleger. Hier wäre es nicht nur wünschenswert, sondern es ist unabdingbar, dass das Gericht dem beratenden Rechtsanwalt zutraut, zu entscheiden, ob eine Vertretung im konkreten Fall erforderlich ist. Soviel Vertrauen in die Rechtsanwälte als unabhängige Organe der Rechtspflege muss sein – sonst erleidet die Rechtspflege insgesamt einen irreparablen Schaden.
Rechtsanwalt als Rechtslehrer?
Soweit das Gericht weiter ausführt, dies bedeute auch, „dass Beratungshilfe in bestimmten Angelegenheiten (beispielsweise Urheberrechtsverletzung, Nebenkostenabrechnung) nur einmal gewährt wird“, wäre eine solche Entscheidungspraxis nicht nur schlicht rechtswidrig, da es sich hier ohne Zweifel um jeweils eigene Angelegenheiten handelt, sondern es überantwortet dem Rechtsanwalt auch die Aufgabe, seine Mandanten in Rechtsfragen auszubilden. Sicher freut sich jeder Rechtsanwalt, wenn seine Mandanten sich in der Folge einer anwaltlichen Beratung oder Vertretung in gleich gelagerten Fällen zukünftig selber helfen können. Ob dieser Wunsch indessen in Erfüllung geht, liegt nicht im Einflussbereich des Rechtsanwaltes. Es kann nicht richtig sein, wenn ein Rechtsanwalt Rechtsuchende mit den Worten abweist: „Das habe ich Ihnen schon einmal erklärt, sehen Sie zu, dass Sie das selber hinbekommen.“
Wie als Anwalt verhalten?
Rechtsanwälten ist aufgrund der beabsichtigten Beratungshilfepraxis am AG Schleswig zu raten, Beratungshilfemandate aus dem Amtsgerichtsbezirk Schleswig nur noch gegen Vorlage eines Berechtigungsscheins anzunehmen. Das ist hart für die Rechtssuchenden, die gegebenenfalls weite Strecken übers Land zum Gericht und anschließend zum Anwalt zurücklegen müssen. Ob dies vom Gericht tatsächlich so gewollt ist und ob die verantwortlichen Rechtspfleger und Richter ihre Aufgabe als Diener des Rechts so verstanden wissen wollen, werden diese für sich zu beantworten haben. Die Verantwortlichkeit für die schleichende Erosion des Rechtsschutzes für Mittellose jedenfalls liegt nicht bei der Anwaltschaft. Insofern sollte das AG Schleswig zukünftig auch als Adressat der Empörung Rechtssuchender die richtige Anlaufstelle sein.
Im konkreten Fall wurde im Übrigen Beratungshilfe bewilligt, das hier erörterte Schreiben war lediglich als Hinweisblatt beigefügt. Das Hinweisblatt findet sich als Download hier.
Weiterführende Links zum Thema:
Nachtrag 15.03.2012:
Das AG Schleswig hat Rückmeldungen aus der Anwaltschaft zum Anlass genommen, die Kollegen mit Sitz im Amtsgerichtsbezirk Schleswig – und freundlicherweise auch mich aus Kiel – zu einer kleinen Fortbildungsveranstaltung zur Beratungshilfe mit anschließendem Erfahrungsaustausch einzuladen. Die Einladung einschließlich einer Stellungnahme des Direktors des Amtsgerichts Schleswig zu meinem Beitrag auf dieser Seite findet sich zum download hier. Leider ist es mir zeitlich nicht möglich, am heutigen Tage an der Veranstaltung teilzunehmen. Dies bedauere ich sehr. Zugleich danke ich auf diesem Wege noch einmal dem Direktor des AG Schleswig Herrn Blöcker für das heute stattgehabte angenehme und informative Telefonat, welches von beiden Seiten mit dem Resümee geschlossen werden konnte: So weit liegen wir beide gar nicht auseinander.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Das war zu erwarten. Die Rechte von der wachsenden Anzahl Mittelloser werden ja seit Jahren immer weiter eingeschränkt. Und da sich die Bürger in Deutschland nicht oder kaum wehren, wird nun auch das Recht auf Recht beschnitten.
Wenn ich richtig informiert bin, sind „vor dem Recht / Gesetz alle gleich!“ Das bedeutet für mich auch „Waffengleichheit“! Wenn künftig zw. „solventen“ Rechtsuchenden und „Mittellosen“ unterschieden werden soll, ist dieser Rechtsgrundsatz des Grundgesetzes m.E. NICHT mehr gewährleistet – um es vorsichtig auszudrücken…
Das ist der Anfang vom Ende des Rechtsstaats! Dann kann gleich das Gericht (ohne ausgewogenen Prozess) nach eigenem Gutdünken entscheiden, wie ich es übrigens selbst erlebt und von Freunden erfahren habe: Verträge, Belege, Zeugenaussagen und „Eidesstattliche Erklärungen“ zählen nicht. Stattdessen wird aufgrund von Vermutungen, Meinungen und unbeweisbaren Vorwürfen von Straftaten ohne weitere Prüfung entschieden. In einem anderen Fall werden (berechtigte) Revisionen ohne Begründung abgewiesen. Es waren ja nur „Mittellose“…
Der Rechtsstaat wurde schon ausgehebelt, als Hartz IV eingeführt wurde. Hartz und seine Umsetzung verstoßen gegen eine ganze Reihe der Artikel des deutschen Grundgesetzes, u. a. den der Schutz der Würde des Menschen, der Unversehrtheit der Familie, dem Recht auf Arbeit, der Unverletzlichkeit der Wohnung, dem Recht auf Bildung, dem Recht der Vertragsfreiheit. Mitarbeiter der Jobcenter und Dozenten in Trainingsmaßnahmen desselben verstoßen immer wieder gegen geltendes Recht.
@ Martina: In dem Beitrag geht es natürlich nicht um „Hartz IV“, sondern um eine angekündigte Beratungshilfepraxis, die es dem Anwalt schlicht unmöglich macht, die Bewilligungsentscheidungen der Rechtspfleger/Richter zu antizipieren. Entscheidungsmaßstäbe, die das Gesetz vorgibt, werden gleichsam außer Kraft gesetzt, Rechtsprechung ignoriert.
Also: Immer schön beim Thema bleiben … 😉
Ok, zurück zum Thema… Sollte Beratungshilfe aus den genannten Gründen abgelehnt werden, dann sollte man gleich einen neuen Antrag auf Beratungshilfe stellen, denn nun muss man eventuell mit anwaltlicher Hilfe gegen die Ablehnung der Beratungshilfe angehen…. 😉
Nun, das AG Schleswig setzt das um, worüber CDU und FDP schon seit Einführung von Hartz IV debattieren: die massive Einschränkung des Rechtsschutzes für Geringverdiener und Mittellose.
Die Ideen derjenigen, welche die Meinung vertreten, dass der vermeintlichen „Frechheit“ dieser Personengruppen – die ihnen gesetzlich zustehenden Rechte auch noch einklagen zu wollen, nur weil man sie ihnen verwehrt – massiv entgegen gewirkt werden muss, sind vielfältig: Massive Einschränkungen bei den Voraussetzungen für und erheblich höhere und in jedem Fall zu zahlende Eigenanteile bei Beratungshilfe, in jedem Fall zu zahlenden Gerichtskosten in Prozessen der Sozialgerichtsbarkeit etc.
Insofern erscheint das, was das AG Schleswig hier tut, wie ein Pilotversuch in Vorbereitung einer entsprechenden Gesetzesinitiative der o.g. Parteien.
Alle Deutschen haben das Recht zum Widerstand
…denn andere Abhilfe ist mangels effektivem Rechtsschutz nicht mehr möglich.
Das AG Schleswig möchte offenkundig, daß die Armen offen revoltieren, denn mehr als die Anwendung des Art. 20 Abs. 4 GG bleibt dann wohl nicht übrig!
Genau so schaut das aus, die Frage ist nur wie lange der Wiederstand noch auf sich warten lässt, denn offensichtlich wird hier gegen diese Bevölkerungschicht seid Jahren mobil gemacht und man schert sich einen feuchten darum, dass das GG doch für alle gleich ausgelegt und Gültigkeit haben sollte.
Ich zähle mich zwar zum oberen Mittelstand, wenn es so etwas überhaupt gibt, schäme mich aber täglich mehr für unsere Staatsführung, wenn ich sehen muss wie mit den Leuten umgegangen wird, die durch Verschulden des Staates in eine Situation der Armut geschickt werden, und zwar millionenfach!
MfG R.Schulz
Die selben Verhaltensweisen zeigen auch andere Gerichte. Ich erlebe es gerade in Nürnberg. Daher habe ich ein Rundschreiben erstellt, dass u.a. an diverse Medien verschickt wurde, aber auch an das Justizministerium, Parteien, Wohlfahrtsverbände usw.
Wer hier unterstützend aktiv werden will, der findet das Rundschreiben hier:
http://www.sozialticker.com/wie-armen-menschen-die-moeglichkeit-genommen-wird-sich-juristisch-zu-wehren_20120202.html#comment-17289
Sollte der Verfasser wirklich Anwalt sein, so ist sein Artikel nur noch peinlich – er prügelt hier ahnungslos auf ein Gericht ein, welches Satz für Satz nur die Rechtsprechung der Bundesverfassungsgerichts umgesetzt hat – scheint ja ein wahrer Experte zum Thema zu sein – lieber Verfasser: Gesetz lesen, Kommentar ankucken, Rechtsprechung sichten und dann in die Ecke: schämen gehen. Allemal besser als hier den Aufhetzer zu geben und bei Gericht abzublitzen.
Sehr geehrter Herr Rechtspfleger Meier-Schulze,
im Netz gibt es genug „Pöbel-Foren“. Dieser Blog verfolgt ein anderes Anliegen. Soweit Sie sich in der Lage sehen sollten, einfachste Höflichkeitsformen einzuhalten und einen Beitrag mit Inhalt zu verfassen, würde mich das freuen. Das dürfte auch in Ihrem Sinne sein, da Ihr Beitrag sicherlich nicht geeignet ist, das Ansehen der Rechtspflege und insbesondere auch jenes der Rechtspfleger sonderlich zu fördern.
Das AG Schleswig setzt also Satz für Satz nur die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um? Da bin ich aber neugierig, wo das BVerfG etwa gesagt haben soll, BerHi werde grundsätzlich für die Durchführung des außergerichtlichen Insolvenzverfahrens nicht gewährt. Oder etwa, dass die Waffengleichheit vor dem Recht im außergerichtlichen Bereich nur eingeschränkt gelte. Und wo bitte hat das BVerfG (!) erklärt, man befinde sich bereits im Bereich der PKH- bzw. Verfahrenskostenhilfe, wenn sich ein Rechtsstreit abzeichnet? Sehr geehrter Herr „Rechtspfleger“, sie sind doch so ein belesener, wahrer Experte, posten Sie hier gern ihre Fundstellen. Wir sind gespannt.
Im Übrigen gebe ich Ihnen zu bedenken: Das Verdikt einer verfassungswidrigen Beratungshilfeentscheidung ist keine Quisquilie. Das BVerfG prüft nämlich keinesfalls, ob die Beratungshilfevoraussetzungen vorliegen oder nicht, sondern, ob durch die Versagungsentscheidung in das Grundrecht des Rechtsanwaltes auf Berufsausübungsfreiheit eingegriffen wurde. Mit anderen Worten: Nicht jede einfachrechtlich falsche Beratungshilfeentscheidung begründet eine Grundrechtsverletzung. Vor diesem Hintergrund ist darauf aufmerksam zu machen:
– Viele Beratungshilfeentscheidungen sind einfachrechtlich falsch. Über dem AG „wölbt sich der blaue Himmel“, d.h. eine weitere – dringend erforderliche – Instanz gibt es nicht. D.h. aber auch: Diese Entscheidungen bleiben unkorrigiert.
– Handeln AG verfassungswidrig, ist dies ein schwerer Vorhalt. Rechtspfleger und AG scheinen dies nicht immer zu erkennen.
– Nicht alles, was das BVerfG als nicht grundrechtsverletzend beurteilt hat, ist einfachgesetzlich rechtmäßig. Es ist daher nicht angängig, mit der Begründung Beratungshilfe zu verweigern, die Entscheidung verletzte den Rechtsanwalt (sic!) nicht in seinem Grundrecht aus Art. 12 GG. Auch diese ist nach meinen Erfahrungen nicht allen Rechtspflegern bewusst.
– Es muss erschrecken, wie viele Verfassungsbeschwerden in Beratungshilfesachen vor dem BVerfG Erfolgt haben. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass nur in einem Promillebereich der Ablehnungsentscheidungen der Rechtsweg bis nach Karlsruhe beschritten werden dürfte.
Zu Ihrer Beruhigung kann ich abschließend sagen: Ich selbst habe überhaupt keine Probleme mit der Beratungshilfegewährung. Allerdings haben die Rechtspfleger am AG Kiel auch ein etwas anderes Niveau, als ich dies ihren Zeilen leider entnehmen zu können glaube. Aber gut, das „Rechtspflegerforum“ ist ja berühmt-berüchtigt ob der teilweise sehr speziellen Diskussionen dort.
Bitte haben Sie Verständnis, dass ich weitere Beiträge in diesem Stil nicht freigeben werde. Ich habe hier eine Ausnahme gemacht, möchte aber – wie gesagt – das Niveau in diesem Blog halten. Sie haben ja ihr Rechtspflegerforum – da können Sie ungehindert schimpfen und krakeelen.
Mit freundlichem Gruß aus Kiel,
Helge Hildebrandt, tatsächlich Rechtsanwalt 😉
Nun, ich finde weder in 1 BvR 1517/08 noch 1 BvR 1974/08 eine Formulierung, geschweige denn die Aussage, dass vor Inanspruchnahme Eigenbemühungen durchgeführt und dem AG nachzuweisen sind, oder das “der Grundsatz der Waffengleichheit” im außergerichtlichen Verfahren “nur sehr eingeschränkt” gilt.
Stattdessen finde ich in den o.g. Urteilsbegründungen genau Gegenteiliges, nämlich u.a. dass jede Person grundsätzlich das Recht auf eine unabhängige Rechtsberatung und damit „Waffengleichheit“ hat (1 BvR 1517/08) und dass der Betroffene immer dann Anspruch auf Beratungshilfe hat, wenn er fremde Hilfe zur effektiven Ausübung seiner Verfahrensrechte benötigt, was das zuständige Gericht anhand der Sachlage zu prüfen hat – eine Beweislastumkehr zu Lasten des Antragstellers seht das BVerfG hierbei gerade nicht.
Das Amtsgericht Schleswig führt hier also die Rechtsprechung des BVerfG ad absurdum.
Ich habe selten einen schlechteren, unsachlicheren und von Unwissenheit strotzenden Artikel über Beratungshilfe und Bewilligungsvoraussetzungen gelesen.
Insbesondere die Ausführungen über die juristsiche Ausbildung der Rechtspfleger strotzen von Unwissenheit, Vorurteilen und Halbwissen.
Es ist nicht verwunderlich, dass ein derart hanebüchener Unsinn diese Reaktionen hervorruft.
Kleiner Tipp: erst informieren, dann veröffentlichen.
Sehr geehrter Herr Justizknecht vom Rechtspflegerforum,
auch Ihren Beitrag schalte ich – trotz Bedenken hinsichtlich Inhalt und Diktion – einmal frei.
Zuerst erlauben Sie mir den Hinweis: Ich hatte nicht vor, einen „Artikel über Beratungshilfe und Bewilligungsvoraussetzungen“ zu schreiben und habe dies auch nicht getan. Sie hätten sich genauso gut beklagen können, Sie hätten noch nie eine so schlechte Gebrauchtsanweisung für eine Kaffeemaschine gelesen.
Ich nehme zur Kenntnis: Rechtspfleger haben an Ihrem AG das Recht zur Rechtsberatung und die Befähigung zum Richteramt.
Es ist wohl eher das Niveau Ihrer Reaktionen hanebüchen.
Ich habe Verständnis, dass Ihnen mein Beitrag nicht gefällt. Sicher gefällt auch nicht jedem, was er im „Rechtspflegeforum“ ließt. Aber versuchen Sie doch zu akzeptieren, dass es andere Auffassungen als die Ihre gibt und finden Sie zu zivilisierten Umgangsformen zurück. Sonst haben die Mitleser nachher fast den Eindruck, ich hätte mit meinem Beitrag zu 100 % ins Schwarze getroffen … 😀
Mit freundlichem Gruß aus Kiel,
Helge Hildebrandt, ja Rechtsanwalt
Hallo Herr Hildebrandt
Ok, dann auf einer zugegeben sachlicheren Ebene.
Beim Lesen Ihres Artikels stehen jedem, der auch nur ansatzweise Einblick in die juristische Ausbildung hat, die Haare zu Berge. Ich empfinde ihn persönlich als ungerechtfertigte Meinungsmache ohne sachlichen Hintergrund.
Ich nenne Ihnen zwei Beispiele:
Gem. § 1 Abs. 1 Nr.2 BerHG darf dem Rechtssuchenden keine andere Möglichkeit der Hilfe zur Verfügung stehen, deren Inanspruchnahme ihm zumutbar ist.
Diese Norm ist in 99,9 % der Fälle die Grundlage für ein geradezu feindliches Unverständnis der Anwälte gegenüber den Gerichten.
– In Fällen der Privatinsolvenz beispielsweise sind dies regelmäßig die Schuldnerberatungsstellen, gem. § 305 InsO.
– in Kindesunterhaltsangelegenheiten sind dies die Jugendämter gem. § 18 SGB VIII
(um nur 2 Beispiele zu nennen)
Diese Möglichkeiten schließen grundsätzlich eine anwaltliche Beratung im Wege der BerH aus. In Einzelfällen und NUR in Einzelfällen, kann hiervon abgesehen werden. Das BVerfG hat hierzu in einer Entscheidung klar gestellt, dass z.B. allein der Umstand längerer Wartezeiten bei Schuldnerberatungen eben NICHT die Bewilligung von Beratungshilfe rechtfertigt.
Beispiel 2:
Es gibt zig Entscheidungen, in denen wiederholt festgestellt wurde, dass das Prinzip der Waffengleichheit in der BerH nicht gilt. Insbesondere hat auch hier das BVerfG entsprechend geäußert. Dieses Prinzip ist in Hinblick auf die oben zitierte Norm im BerHG auch gar nicht möglich (wenn auch sicherlich sehr gerne von Seiten der Anwälte gewünscht). Maßstab ist insbesondere, ob eine wirtschaftlich vernünftig denkende Partei bei dem jeweiligen Sachverhalt einen Rechtsanwalt beauftragen würde oder nicht, da eine mittellose Partei einer nicht mittellosen Partei gegenüber keinen Vorteil genießen darf.
Im Übrigen scheinen Sie, mit Verlaub, in der Tat sehr wenig von dem Rechtspflegerstudium zu wissen. Ansonsten wüssten Sie, dass es sich bei Rechtspflegern um hochspezialisierte Fachjuristen handelt, die in Hinblick auf ihre sachliche Unabhängigkeit gem. § 9 RPflG nicht umsonst den Richtern gleichgestellt sind. Diese Bindung an Recht und Gesetz VERLANGT von uns die Prüfung der Voraussetzungen vor der Bewilligung von z.B. Beratungshilfe. Wir sind durchaus in der Lage einen Sachverhalt rechtlich zu würdigen und eine Notwendigkeit festzustellen. Sie haben allerdings in einer Sache recht: Es kommt bei Bewilligung der Beratungshilfe nicht auf die Erfolgsaussichten an, sondern lediglich, ob sie der Wahrnehmung von Rechten dient, also ob ich ein Recht verfolgen oder mich gegen ein fremdes Recht verteidigen muss. Laden Sie Ihren Frust daher bitte beim Gesetzgeber und nicht bei den Rechtspflegern ab. Maßstab im Bewilligungsverfahren sind nicht betriebswirtschaftliche, sondern rechtliche Gesichtspunkte.
Ach ja, bevor ich es vergesse: in Ihrem Kommentar schreiben Sie, sie hätten zur Kenntnis genommen, dass Rechtspfleger beim Gericht Rechtsberatung erteilen dürften.
Nun, ich nehme das als Ironie, denn das Rechtsberatungsgesetz sollte auch Ihnen als Volljurist mit zwei Staatsexamen und der Befähigung zum Richteramt sicher geläufig sein, gell? Für alles andere hilft ein Blick in § 3 Abs. 2 BerHG.
Mit gleichfalls freundlichem Gruß
Justizknecht
Zur Ergänzung meines obigen Beitrages hier mal eine Auswahl der BVerfG-Entscheidungen, bzw. der Ausführungen in den Beschlüssen, bei denen die Verfassungsbeschwerde nicht angenommen wurde:
– Beschluss v. 18.01.2006, 1 BvR 2312/05
– Beschluss v. 12.06.2007, 1 BvR 1014/07
– Beschluss v. 16.01.2008, 1 BvR 2392/07
– Beschluss v. 29.04.2008, 1 BvR 1517/08*
* Zitat:
„Mit dem Beratungshilfegesetzt hat der Gesetzgeber diesem verfassungsrechtlichen Anforderungen zur Gewährleistung der Rechtswahrnehmungsgelicheit grundsätzlich Genüge getan. Das Gesetz stellt sicher, dass Bürger mit geringem Einkommen und Vermögen nicht durch ihre finanzielle Lage daran gehindert werden, sich außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens sachkundigen Rechtsrat zu verschaffen. Soweit das Gesetz den Anspruch auf Beratungshilfe vom Vorliegen einschränkender Voraussetzungen abhängig macht, halten diese Anforderungen einer Angemessenheitskontrolle stand. Insbesondere darf der Rechtssuchende zunächst auf zumutbare andere Möglichkeiten für eine fachkundige Hilfe bei der Rechtswahrnehmung verwiesen werden.“
–> Die Waffengleichheit besteht bereits durch die Existenz des BerHG; eine anwaltliche Beauftragung zur Herstellung der Waffengleichheit ist daher nicht zwingend geboten. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine andere zumutbare Möglichkeit der Hilfe zur Verfügung steht.
Ich denke, das war substantiiert genug, um zumindest einen Bruchteil der von Ihnen ausgeführten Behauptungen zu widerlegen.
Lieber Justizknecht,
Sie bemühen sich um Sachlichkeit, wenngleich Ihnen dass so ganz wohl nicht gelingen will, wie es mir scheint.
Zu dem Artikel: Dieser ist eine – zugegeben nicht frei von Polemik – verfasste Reaktion auf ein Hinweisblatt eines Amtsgerichts. Dieses Hinweisblatt, welches derzeit offenbar allen Beratungshilfeentscheidungen beigefügt ist, dürfte von vielen Rechtsanwälten aus dem Amtsgerichtsbezirk Schleswig, die ihre Verpflichtung zur Gewährung von Rechtsrat und Vertretung zu den Bedingungen der Beratungshilfe (§ 49a BRAO) gewissenhaft und teilweise unter großem Einsatz und für wenig Geld wahrnehmen, als ein Affront empfinden. Das darf, auch in Form einer Polemik, zum Ausdruck gebracht werden. Im Gegensatz zu ihren verbalen Entgleisungen ist mein Artikel im Übrigen weder ehrverletzend noch beleidigend.
Zu Ihren Beispielen:
Das BVerfG hat in 2006 entschieden, dass eine Verweisung an Schuldnerberatungsstellen zulässig ist, soweit diese in angemessener Zeit vor Ort Beratung und Vertretung im außergerichtlichen Schuldenbereinigungsgplanverfahren (§ 305 InsO) anbieten können (- 1 BvR 1911/06 -).
http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk20060904_1bvr191106.html
Diese Entscheidung wurde in der Praxis der AG überwiegend in der Weise umgesetzt, dass Anträge auf Berechtigungsscheine für die Durchführung außergerichtlicher Planverfahren abgelehnt wurden. Viele Rechtspfleger schrieben auch, dass es eine andere, „kostengünstigere“ Möglichkeit für diesen Personenkreis geben würde. Was sie nicht wussten: Die Schuldnerberatungsstellen in Schleswig-Holstein können das dreifache der RA-Gebühren abrechnen. Denn die großen Verbände haben schlicht eine bessere Lobby als die RA.
Was das Urteil nicht sagt, ist, dass Beratungshilfe für Insolvenzverfahren „grundsätzlich“ abgelehnt werden darf und was das BVerfG auch und gerade nicht gesagt hat, ist, dass es auf die Länge der Wartezeiten nicht ankommt! Die Ausführungen sind rechtlich schlicht unzutreffend.
Die von Ihnen erwähnt Entscheidung ist mir nicht bekannt. Bitte Fundstellen zitieren, wie es sich gehört (an der Uni lernt man das! ;))
Am AG Kiel gibt es im Übrigen eine sehr vernünftige Regelung: BerHi für Inso-Verfahren gibt es unter drei Voraussetzungen, die alternativ vorliegen können: 1) Vorbefassung in der Angelegenheit, 2) Beratung besonders eilig, 3) streitige Forderungen. Darüber hinaus: Einzelfall. Das wissen die RA, denn das AG Kiel geht fair mit den RA um und so gibt es keine Probleme.
Zum Kindesunterhaltsangelegenheiten kann ich nichts sagen. Ich weiß nur, dass die Kollegen im Familienrecht damit irgendwann Probleme bekamen und es dann eben nicht mehr gemacht haben. Es gibt ja auch genug anderes zu tun. Ob es für den Steurzahler auf diese Weise billiger geworden ist, wage ich im Übrigen zu bezweifeln: Auch in den Jugendämtern muss die Arbeit erledigt werden, d.h. Personal und Infrastruktur bezahlt werden. Die Stadt Kiel hat ja unter dem neuen OB mal eben (ich meine) 166 neue Stellen geschaffen – sicher waren einige Jugendamtsstellen dabei.
Zur Waffengleichheit: Bitte Fundstellen nennen! So können Sie nicht ernsthaft als Rechtspfleger arbeiten: „Es gibt da Entscheidungen des BVerfG …“. Ich hoffe sehr, Sie arbeiten am Gericht nicht auch so. Im Übrigen lesen Sie mal den Beitrag von Ottokar. Der kann auch zitieren!
Ich habe hohen Respekt vor guten Rechtspflegern. Das vorausgeschickt. Ich habe wenig Ahnung von Ihrer Ausbildung, da ich kein Rechtspfleger bin. Eins aber machen Sie mir deutlich: 2 Staatsexamen haben doch ihren Vorteil! Man lernt das Gesetz richtig lesen. Nach § 3 Abs. 2 BerHiG darf das Gericht/Rechtspfleger nur Auskünfte und Hinweise geben und Anträge oder Erklärungen „Aufnehmen“. Schoreit/Dehn zu § 3 BerHiG, dort unter Rz. 11 im Zitat (damit Sie mir glauben, bin ja nur ein RA): „Damit scheidet die Erteilung von Rat, d.h. eine konkrete Verhaltensempfehlung aus.“ Und den „Rat“, d.h. die „konkrete Verhaltensempfehlung“ gerade ist es doch, die Rechtsratsuchende in der Regel wollen, oder?
Mit besten Grüßen aus Kiel,
Helge Hildebrandt, Rechtsanwalt (und das ist auch gut so)
Zu Ihrem Ergänzungsbeitrag: Nein, das ist nicht substantiiert genug und das widerlegt meine Aussagen auch nicht. In meinem Beitrag geht es nicht um die Frage, ob das BerHiG verfassungswidrig ist.
Im Übrigen zitiert man auch nicht einfach einen Haufen Fundstellen, sondern untermauert seine Aussage mit einem Zitat/einer Fundstelle!
Interessant sind in diesem Kontext die Ausführungen der BerHi-Päpste Schoreit/Dehn, Einleitung Rz. 4b:
„Wenig Verständnis für die Schutzwürdigkeit des mit der Beratungshilfe verfolgten Anliegens scheint das Bundesverfassungsgericht aufzubringen. In Kammerentscheidungen über Verfassungsbeschwerden unbemittelter Personen wegen Verletzung des Prinzips des sozialen Rechtsstaats, aus dem das Gebot der Angleichung oder Gleichstellung von unbemittelten mit bemittelten Personen auch für den außergerichtlichen Bereich hergeleitet werden soll, wird hierauf nicht eingegangen (… kann dahinstehen …); denn: Von Verfassungs wegen könne nur gefordert werden, dass die Rechtsverfolgung und Verteidigung nicht unmöglich gemacht werde. Durch die Versagung von Beratungshilfe werde der Zugang zum „außergerichtlichen Verfahren“ (?) weder verhindert noch unzumutbar erschwert (BVerfG FamRZ 2003, 362; ähnlich B.v. 19.12.1998 – 1 BrR 1492/88 (juris) sowie B.v. 6.2.1992 – 2 BvR 1804/91 (juris), wo sogar dahin gestellt bleibt, ob ein Anspruch des unbemittelten Bürgers auf Gleichstellung mit einem bemittelten zum Zwecke der Rechtsverfolgung oder -verteidigung im außergerichtlichen Bereich besteht. Das alles konnte das Gericht nur dahin stellen, weil es den Grundrechtsschutz auf das Schutzbedürfnis vor und den Zugang zum Gericht beschränkt. Im Gerichtsverfahren kommt aber Beratungshilfe schon definitionsgemäß nicht in Betracht.“ (…)
Also: Auch das BVerfG produziert gelegentlich Judikate minderer Art und Güte. Ein Volljurist erkennt das, denn dazu ist er ausgebildet. Auch Rechtspfleger sollten daher Urteile lesen, zu verstehen suchen und sich dann ein eigenes, ausgewogenes Bild machen. Nicht jede Entscheidung, die danach riecht, sie könnte gut für die Ablehnung von Beratungshilfe herhalten, muss kritiklos und blind übernommen werden.
In Ihre Sammlung abschlägiger Entscheidungen des BVerfG sollten Sie Im Übrigen auch die erfolgreichen Klagen vor dem BVerfG aufnehmen. Und nicht nur „Der Rechtspfleger“ lesen! Auch andere Fachzeitschriften veröffentlichen Urteile zur Beratungshilfe – vielleicht etwas ausgewogener?
Mit Gruß aus Kiel,
Der gar nicht frustrierte RA
Noch ein Nachtrag: Sie zitieren Schoreit/Dehn. Entsprechender Kommentar firmiert seit 2 Ausgaben und damit seit Jahren unter Schoreit/ Groß.
Ich habe die 8. Aufl. aus dem Jahre 2004. Wie gesagt: Ich habe anderes zu tun, als mich mit Beratungshilfe zu beschäftigen. Leider lässt es sich aber manchmal nicht vermeiden.
Lieber Herr Rechtsanwalt Hildebrandt,
ich habe mir lange überlegt, ob ich Ihrem Blog weiter zum Leben verhelfe, in dem ich ebenfalls etwas poste. Vorneweg: mir gefällt es nicht – übrigens von keiner Seite – wenn Aussagen pauschalisiert werden. Es gibt – wie Sie richtig sagen- eine Vielzahl an Entscheidungen zur Beratungshilfe und man kann seine eigenen Meinungen vertreten – wenn man es denn sachlich und in angemessenen Ton macht. Aber die Stigmatisierung sowohl der „bösen RAE“ als auch der bösen „RPfleger“ gefällt mir nicht. Aus gerichtlicher Sicht ist ebenfalls anzumerken, dass es ja auch einen Instanzenzug gibt, in dem sämtliche Entscheidungen geprüft werden können.
Als Autor eines entsprechenden Fachkommentars und Autor zahlreicher Abhandlungen zu diesem Thema möchte ich zu Ihren Ausführungen kurz etwas (sachlich) anmerken. Ich hoffe, Sie entschuldigen, dass ich jetzt nicht alles mit entsprechenden Fundstellen versehen hier einstelle – dazu können Sie ja gerne unseren Kommentar zu Rate ziehen wenn Sie dies möchten.
Die Praxis des erwähnten Gerichts ist kein Einzelfall. Diverse Gerichte verfügen über entsprechende Merkblätter, die im Übrigen lediglich die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben wiedergeben – was andernorts bereits festgestellt wurde. In anderen Bundesländern sorgten solche Merkblätter ebenfalls zunächst für Aufregung (im Übrigen bereits vor vielen Jahren), wurden aber dann dankend angenommen und fanden auch entsprechende Unterstützung. Denn letztlich helfen sie nur den Anwälten. Ich kann Ihre „Bedenken“ nicht teilen. Sie sollten das Merkblatt als „Hilfe“ betrachten. Es bietet Ihnen doch auch eine gewisse Sicherheit, was die Rechtsmeinung des betreffenden Gerichtes betrifft.
– der Hinweis des Gerichts auf andere Hilfsmöglichkeiten ist dem gesetzlich verankerten Subsidiaritätsprinzip geschuldet. Hieran etwas auszusetzen wird sicher nicht Ihre Absicht sein. Gerade zum Jugendamt bspw. gibt es zahlreiche Entscheidungen.
– Der Vergleich zum Selbstzahler ist bereits seit Inkrafttreten des BerHG bekannt und wurde vielfach vom BVerfG bestätigt (siehe z.B. Entscheidung am 12.06.2007, aber auch seither wieder in einigen Entscheidungen).
– was den außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuch betrifft, möchte ich schon anmerken, dass hierzu eine BVerfG-Entscheidung ergangen ist (04.09.2006 ). Diese ist ja schon angesprochen worden. Sie befasst sich zum Thema anderweitige Hilfe in Form von Schuldnerberatungen. Vielleicht schauen Sie auch einmal in neuere Kommentarmeinungen, wie etwa in jurisPR-InsR 3/2011 Anm. 5 (Martini) oder in den Mü-Kommentar (§ 305 Rn. 13ff.) oder lesen die mittlerweile zu hunderten ergangenen Entscheidungen zu diesem Sachverhalt. Diese befassen sich auch zur Frage, ob BerH ausscheidet, weil es keine vordringlich juristische Frage, sondern wirtschaftliche Unterstützung darstellt. Zum Thema: ZInsO 2012, 104; RPfleger 2006, 458; 2007 448; 2000, 196) . Aber: Das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens, zur Stärkung der Gläubigerrechte und zur Insolvenzfestigkeit von Lizenzen wird diesen Streitpunkt ohnehin klären. Danach wird beim Nullverfahren der außergerichtliche Einigungsversuch entfallen. Ebenfalls soll ein entsprechender Passus in das BerHG aufgenommen werden, wonach BerH regelmäßig nicht mehr zu bewilligen ist. Ich denke damit wird zumindest ein Reibungspunkt verschwunden sein.
Was Ihre Ausführungen zum gerichtlichen Verfahren betreffen, wäre ein Studium der Konzeptionen des BerHG hilfreich. Die BT Drs. 8/3311 ist hierbei ganz hilfreich (Seite 11). Zu diesem Thema kann aber auch die Kommentierung (Lindemann/Trenk-Hinterberger, BerHG, zu § 1 Rn.9), sowie die Rechtsprechung (LG Mönchengladbach v. 17.05.85 – 5 T 226/85) herangezogen werden.
Die Frage der Notwendigkeit einer Vertretung ergibt sich neben allen Kommentar- und Literaturmeinungen auch direkt aus dem Gesetz (§ 2 BerHG „soweit erforderlich“). Die Beurteilung des Rechtsanwaltes kann dann natürlich von der Prüfung/Einschätzung(-spflicht) des Gerichts abweichen, was dann naturgemäß zu Unverständnis führt. Zum Glück gibt es ja das Rechtsmittel.
Was Ihre Ausführungen zur Angelegenheit und dem „wiederholten, identischen Sachverhalt“ betrifft, lesen Sie doch bitte einmal die aktuelle BVerfG-Entscheidung vom 30.05.2011 1 BvR 3151/10 dort Ziffer 3.Unabhängig davon existiert aber auch hier eine große Bandbreite an (unterschiedlichen) Meinungen und Entscheidungen.
Ich kann Ihr Unverständnis hinsichtlich des Merkblattes verstehen – Merkblätter dieser Art wurden aber noch in weitaus größerem Stil (erfolglos) kritisiert.
Ihren Ratschlag an die RAE des dortigen Bezirkes halte ich angesichts der klaren Rechtslage für gewagt.
Ich denke man sollte zurückkehren zu einer sachlichen Diskussion ohne Polemik. Vielleicht legt sich – nach ein paar Nächten – auch Ihr Unverständnis.
MfG
Stefan Lissner
Lieber Herr Lissner,
danke für Ihre Hinweise. Dass dieses Thema in diesem Blog so viel Aufmerksamkeit erfährt – auch der Direktor des AG Schleswig hat sich nun schon geäußert – hatte ich weder erwartet noch beabsichtigt. Denn naturgemäß liegt der Schwerpunkt anwaltlicher Arbeit nicht in Abrechnungsfragen – oder sollte dies zumindest nicht.
Und auch dieser Blog soll nicht zu meiner Hauptbeschäftigung werden. Insofern ist meine Freude über Ihre „Lebenshilfe“ für diesen Blog, der sich übrigens quietschfidel rund 15.000 Leser monatlich erfreut und damit Ihrer Hilfe zum Überleben nicht wirklich bedarf, durchaus ambivalent (warum, sehen Sie an der Uhrzeit dieses post).
Vorweg: In diesem Blog (den es erst circa ein halbes Jahr gibt) finden sich im Großen und Ganzen drei Arten von Artikeln: 1) Kurze Rechtsbeiträge zum Sozialrecht, 2) Infos zu sozialen Themen aus Kiel und Umgebung und 3) knappe Anmerkungen zu Urteilen und Beschlüssen zum Sozialrecht aus SH. Der Beitrag zur geänderten Beratungshilfepraxis fällt in die Kategorie 2), denn Beratungshilfe ist eine Sozialleistung und wie immer, wenn es in diesem Bereich Einschnitte oder Veränderungen gibt, haben diese auch eine soziale Dimension.
Zu Ihren Hinweisen:
– Die Beratungshilfevoraussetzungen sind mir natürlich bekannt.
– Bei dem „Selbstzahlervergleich“ – auch hierzu ist mir die Rechtsprechung bekannt, wenngleich ich nicht Leser Ihres Buches, sondern ein großer Freund des Schoreit/Dehn bin, auch, weil die Autoren dieses Kommentars eben nicht nur Rechtsprechung wiedergeben, sondern diese auch einordnen, kommentieren und kritisieren – stört mich, ich kann mich nur wiederholen – dass sich letztlich jedes gewünschte Ergebnis damit erzielen lässt oder m.a.W.: Es kommt das heraus, was vorne hineingesteckt wird. Es wird – ohne dass es etwa Maßstäbe hierfür geben würde – festgestellt, dass ein vernünftiger Selbstzahler niemals zum RA gegangen wäre, deswegen hätte es der mittellose Rechtssuchende auch nicht tun dürfen und folglich ist BerHi abzulehnen.
Interessieren würde mich in diesem Zusammenhang Ihre Einschätzung zu folgendem – sehr praktischen – Punkt: In Beratungshilfemandaten geht es nicht selten um wenig Geld, das aber für die Betroffenen sehr viel Geld ist. Häufig liegt der Wert unter 100 €. Was würde ein „vernünftiger Selbstzahler“ tun, wenn der RA 100 € kostet, es aber „nur“ um 70 € geht? Die Frage ist gar nicht so theoretisch, etwa bei Internetfallen. Bei Selbstzahlern gerate ich stets in Schwulitäten: Für weniger als Beratungshilfe kann ich das Mandat kaum kostendeckend bearbeiten. Was dem Rechtssuchenden sagen? Vor kurzem hatte ich so einen Fall in der Beratung. Für 50 € habe ich ein Schreiben verfasst – und zum Glück war danach Ruhe. Aber wie sieht es mit Beratungshilfemandaten aus? Wird das Gericht jetzt die Rechnung aufmachen: Streitwert unter 100 €, ein vernünftiger Selbstzahler, der die 100 € an den RA zahlen müsste, verzichtet lieber auf sein Recht und zahlt z.B. auf eine ungerechtfertigte Forderung? Ein vertretbares Ergebnis – wenn ich Ihrer Rechtsauffassung folgen würde.
– Zur InsO: Die BVerfG Entscheidung vom 4.9.2006 ist mir hinlänglich bekannt. Ich habe sie hier übrigens selbst zitiert, verlinkt und dazu angemerkt (post von heute 18.07 Uhr). Ihre Auffassung (?, Sie schreiben „befassen sich mit dem Thema“, aber sagen nicht, zu welchem Ergebnis die „hunderte“ von Entscheidungen kommen) – keine Rechtsberatung sondern wirtschaftliche Unterstützung – halte ich für nicht vertretbar, denn sie ist unvereinbar mit der Existenz der Gebührentatbestände der 2504 ff. VV RVG.
– Zur Abgrenzung gerichtlich/außergerichtlich muss ich Sie enttäuschen: Das AG Schleswig hat meinen Hinweis dankend aufgegriffen und wird das Merkblatt entsprechend ändern.
– Ich habe nie die Behauptung aufgestellt, dass Gericht dürfe nicht die Beratungshilfevoraussetzungen prüfen. Ich bleibe aber dabei: Die Notwendigkeit einer Vertretung lässt sich nicht losgelöst von dem individuellen Mandanten beurteilen, die – bei direktem Aufsuchen des RA – nun einmal nur der RA kennt. Und da hilft dann auch kein Rechtsmittel, es sei denn, der Richter guckt sich den Rechtssuchenden an oder glaubt dem RA.
– Zum identischen Sachverhalt: Was einzelne Angelegenheiten sind, ist doch kein Geheimnis (s. RVG) und ich wage zu bezweifeln, dass das BVerfG hier eine besondere Fachkompetenz hat. Zu der von Ihnen zitierten Entscheidung 1 BvR 3151/10: Glauben Sie ernsthaft, dass ein RA in Urheberrechtsstreitigkeiten gegen diverse RA-Kollegen für 70 € arbeitet? Die Frage zu stellen, heißt, diese zu beantworten. Da kein RA die Pflicht hat, sich selbst wirtschaftlich zu ruinieren, wird das Unwesen im Bereich der Abmahnungen dann eben weiter wuchern, bis der Gesetzgeber dem (hoffentlich) ein Riegel vorschiebt.
– Das Merkblatt ist in der Tat sehr „sportlich“ formuliert und löst entsprechende Reaktionen aus. Es ist doch zu begrüßen, dass dies in einer freiheitlichen, deliberativen Gesellschaft möglich ist. Und das AG Schleswig hat auch reagiert: Mit einer erläuternden Stellungnahme und einer Einladung zu einer Beratungshilfe-Gesprächsrunde.
– Für den RA ist es nie gewagt, einen Mandanten mit Berechtigungsschein oder eben keinen Mandanten zu haben. Gewagt ist es aber, viel Arbeit zu investieren, kein BerHi zu bekommen und von seinem mittellosen Mandanten auch keine Bezahlung.
– Ich bin übrigens gar nicht von der Entscheidung betroffen. Ich vertrete praktisch keine Mandanten aus dem AG Bezirk Schleswig und in Kiel habe ich keine Probleme mit BerHi. Insofern bin eigentlich ganz entspannt. Nochmals: Die Seite „Sozialberatung Kiel“ ist kein juristisches Fachportal, sondern wendet sich an Betroffene. Sie war ursprünglich gedacht als eine Seite der Arbeitsloseninitiativen in Kiel und hat sich eher unfreiwillig zu „meinem Blog“ entwickelt. Lesen Sie „Über diese Seite“. Die Artikel sollen sachlich, informativ und aufklärend sein, aber auch eine „Meinung“ transportieren. Sie sind auch immer „Kommentar“. Für juristische Fachtexte gibt es an anderer Stelle Raum genug; wohl auch etwas viel Raum, darf ich anmerken, denn die Qualität vieler „Fachbücher“ – auch aus durchaus renommierten Verlagen – lässt doch zunehmend zu wünschen übrig (sogar Falschzitate werden abgeschrieben).
– Was die Kommentare in einem Blog anbelangt: Sie stehen immer vor der Wahl: Freischalten oder nicht? Die etwas über das Ziel hinausschießenden Rechtspfleger habe ich freigeschaltet. Normalerweise hätte ich solche Kommentare nicht durchkommen lassen. Auf einen groben Klotz gehört dann aber auch ein grober Keil, damit es passt. Spaß macht das natürlich nicht. Im Rechtspflegerforum schämt man sich nun aber auch schon für die Kollegen. Immerhin.
Mit bestem Gruß aus Kiel,
Helge Hildebrandt
Versuch der Einschränkung von Beratungshilfe – Hintergründe
Sehr geehrter Herr RA Hildebrandt,
durch Ihren und andere Blogs, eine Reihe Websits von Sozialverbänden und Privatpersonen, erkennen immer mehr arme Menschen die Notwendigkeit des persönlichen Widerstandes im Rahmen der Rechtswegdurchsetzung.
Die durch rechtswidrige Verwaltungsakte belasteten Menschen ducken sich nicht mehr so stark wie früher. Die Armen wollen zunehmend ihr Recht durchsetzen, weil ihnen zum Leben nichts anderes übrig bleibt.
Menschen, die bisher nicht wagten sich zu wehren, sehen, dass Gegenwehr ihr persönliches Leid durchaus verringern kann wenn sie Mut und Ausdauer haben.
Das der Weg des Widerstandes richtig ist belegen u.a. die Kommentare in Ihrem Blog, auch zur Beratungshilfe.
Weshalb wohl melden sich hier ‚Rechtspfleger‘ in nachlesbarer Art und Weise zu Wort?
Staatliche Stellen werden zunehmend versuchen, die Beratungshilfe zu beschneiden.
Das für viele Menschen der Rechtsweg damit verbaut ist, interessiert die staatlichen Stellen nicht.
Folge wird aber sein, dass immer mehr Menschen ‚mündig‘ werden und sich ohne Beratungshilfe den Eintritt in den Rechtsweg verschaffen und dann über PKH weiter agieren und hoffentlich den innerstaatlichen Rechtsweg ausschöpfen.
In diesem Sinne danke ich Ihnen für Ihr Engagement, den armen und hilfebedürftigen Menschen zu helfen.
Mit freundlichen Grüßen,
J. Wentzel
Sehr geehrter Herr Wenzel,
ich danke Ihnen für Ihre freundlichen und ermunternden Worte.
Die Kommentare der Rechtspfleger in diesem Blog haben mich auch etwas irritiert. Aus meiner Erfahrung als mittlerweile überwiegend im Sozialrecht tätiger Rechtsanwalt – dessen Mandanten mithin naturgemäß auf Beratungshilfe angewiesen sind – kann ich allerdings sagen, dass die Äußerungen in diesem Blog keinesfalls repräsentativ für die Rechtspflegerschaft sind. Die ganz überwiegende Zahl der mir bekannten Rechtspfleger arbeitet gewissenhaft und zeigt großes Verständnis auch für die sozialen Nöte der Rechtssuchenden.
Manchmal gibt es übrigens auch lustige Erfahrungen mit der Beratungshilfegewährung: Eine sehr „strenge“ Rechtspflegerin am AG Plön zog es jüngst vor, zunächst selbst beim Jobcenter Plön anzurufen und eine Klärung zu suchen. Nachdem die Rechtspflegerin mit der ganzen Autorität des ihr verliehenen Amtes etwa 15 Minuten brauchte, um beim Jobcenter Plön überhaupt einen zuständigen / kompetenten Ansprechpartner ans Telefon zu bekommen, druckste dieser so lange herum und konnte oder wollte sich zur Sache – es handelte sich um einen ganz erheblichen Vorfall – nicht erklären, dass die Rechtspflegerin – mittlerweile ersichtlich selbst in Rage ob der Zustände beim Jobcenter Plön – genervt resümierte: „Ja, ich sehe, sie brauchen jetzt einen Rechtsanwalt!“ Ich denke, derartige Erfahrungen können viel dazu beitragen, das Verständnis zwischen Gerichten und Rechtssuchenden sowie deren Anwälten zu fördern.
In diesem Sinne wünscht ein schönes Wochenende,
Helge Hildebrandt