Stellungnahme des Deutschen Mieterbundes zur Satzungsermächtigung für die Kosten der Unterkunft!

Wie bereits berichtet, wurde den Ländern mit § 22a Abs. 1 Satz 1 SGB II n.F. die Möglichkeit eingeräumt, die Kreise und kreisfreien Städte durch Gesetz zu ermächtigen, die Angemessenheit der Höhe der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet durch Satzung zu bestimmen. Seit 09.01.2012 liegt dem Schleswig-Holsteinischen Landtag nun ein Gesetzesentwurf der Landesregierung (Drucks. 17/2159) vor, welcher am 25.01.2012 in die erste Lesung gekommen ist.

In seiner Stellungnahme vom 21.02.2012 äußert der Landesverband Schleswig-Holstein e.V. des Deutschen Mieterbundes erneut erhebliche Bedenken an dem Vorhaben an, die Bestimmung angemessener Unterkunftskosten den Kommunen als Kostenträgern zu überantworten. Die lesenswerte Stellungnahme, der sich die unabhängigen Beratungsstellen in Kiel – der Infoladen in der Hansastraße und der Verein für soziale Gerichtigkeit – sowie der Verfasser dieser Zeilen mit Überzeugung anschließen, findet sich hier.

Weitere Informationen zum Gesetzgebungsverfahren finden sich hier. Als einzige Partei spricht sich die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für eine Anhörung auch des Deutschen Mieterbundes, Landesverband SH, sowie des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes aus. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen. Es mutet schon etwas sonderbar an, wenn – wie von den Fraktionen der SPD und der FDP vorgeschlagen – in einer Anhörung nur die Kommunen selbst und zwei am Gesetzgebungsverfahren zu den SGB II-Änderungen 2011 beteiligte Richter gehört werden sollen, nicht aber der Deutsche Mieterbund und jedenfalls ein großer unabhängiger Sozialverband – Institutionen, die bekanntermaßen über erhebliche Fachkompetenz auf diesem Gebiet verfügen. Die Fraktion DIE LINKE sowie die CDU und der SSW scheinen sich für dieses Thema im Übrigen gar nicht zu interessieren. Sie haben (bisher) keine Anzuhörenden benannt.

Weiterführende links zum Thema:

Rechtsschutzmöglichkeiten nach Erlass kommunaler KdU-Satzungen!

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Rechtsschutzmöglichkeiten nach Erlass kommunaler KdU-Satzungen!

§ 22a SGB II eröffnet den Ländern die Möglichkeit, die kommunalen Träger zu ermächtigen oder sogar zu verpflichten, die Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung (KdU) durch Satzung zu bestimmen oder – unter zusätzlichen Voraussetzungen – zu pauschalieren (kritisch dazu Berlit, ArchSozArb 2010, 84). Machen die Länder – wie jetzt Schleswig-Holstein – vom dieser Ermächtigungskompetenz zum Erlass von KdU-Satzungen Gebrauch, dürfen die Kommunen innerhalb der bundesgesetzlichen Grenzen von den bisher entwickelten Grundsätzen des BSG zur Bestimmung angemessener Mietobergrenzen abweichen (Berlit, info also 2011, 165). Sie unterliegen dann aber hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung, der Begründung sowie des Verfahrens der Datenerhebung, -auswertung und –überprüfung den besonderen Vorgaben der §§ 22 a ff. SGB II.

Es ist damit zu rechnen, dass insbesondere die Landeshauptstadt Kiel von der Satzungsermächtigung, ist diese von Landtag erst einmal verabschiedet, zeitnah Gebrauch machen wird (vgl. Drucksache 0730/2011). Es zeichnet sich ferner ab, dass die sozialdemokratisch dominierte Stadtverwaltung über eine Absenkung der als maximal anzuerkennenden Wohnflächengrößen eine Absenkung der Mietobergrenzen betreiben wird.

Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen nach Erlass einer kommunalen Satzung in Form einer Satzungskontrolle und in Gestalt einer inzidenten Überprüfung.

a) Normenkontrollverfahren nach § 55a SGG

Nach § 55a Abs. 1 SGG entscheiden die Landessozialgerichte (LSG) zukünftig auf Antrag über die Gültigkeit von Satzungen oder anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, die nach § 22a Abs. 1 SGB II und dem jeweiligen Landesausführungsgesetz – in Schleswig-Holstein der zukünftige § 2a des Gesetzes zur Ausführung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und des § 6b Bundeskindergeldgesetz – erlassen worden sind. Hierzu werden an den LSG eigene Fachsenate gebildet, § 31 Abs. 2 SGG.

Den Antrag auf Überprüfung der Gültigkeit kommunaler KdU-Satzungen kann gemäß § 55a Abs. 2 Satz 1 SGG jede natürliche Person stellen, die geltend macht, durch die Anwendung der KdU-Satzung in ihren Rechten verletzt zu sein oder auf absehbare Zeit verletzt zu werden. Dies ist bei folgenden Personengruppen der Fall (vgl. BT-Drucks. 17/3404, 132):

  • Leistungsbezieher, deren bewilligte Leistungen für die Unterkunft und Heizung hinter ihren tatsächlichen Aufwendungen zurückbleiben (Zuzahler).
  • Personen, die in absehbarer Zeit auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen sein werden.
  • Leistungsbezieher, die zur Senkung ihrer Unterkunftskosten aufgefordert worden sind.

Gelangt das LSG zu der Überzeugung, dass die KdU-Satzung ungültig ist, so erklärt es diese mit Wirkung für die Allgemeinheit für unwirksam, § 55a Abs. 5 Satz 2 SGG. Die Entscheidung des Gerichts ist von der Kommune, deren Satzung für ungültig erklärt worden ist, zu veröffentlichen, § 55 Abs. 5 Satz 2, 2. Hs. SGG.

Das LSG kann darüber hinaus nach § 55a Abs. 6 SGG auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Dies wird in der Regel dann der Fall sein, wenn aufgrund der nicht in tatsächlicher Höhe anerkannten Unterkunftskosten eine Bedarfsunterdeckung von mehr als 10 % der maßgeblichen Regelleistungen besteht und es überwiegend wahrscheinlich ist, dass die Bestimmung des unbestimmten Rechtsbegriffes der „Angemessenheit“ in der KdU-Satzung rechtswidrig ist.

Ist eine kommunale KdU-Satzung Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens bei einem LSG, dem BSG oder einem Verfassungsgericht, kann das Jobcenter Leistungen nach dem SGB II vorläufig bewilligen. Dies hat den Vorteil, dass nach einer (letztinstanzlichen) Entscheidung der Judikative Leistungen für die Unterkunft im Rahmen der abschließenden Leistungsgewährung nachzuzahlen sind, sollte die Satzung und damit die in der Satzung festgelegten Mietobergrenzen für ungültig erklärt werden, weil diese von der Kommune zu niedrig bemessen wurden. Es bedarf in diesem Fall dann keiner Widersprüche gegen die vorläufigen Bewilligungsentscheidungen.

Bei Überprüfungsentscheidungen nach § 44 Abs. 1 SGB X, § 330 Abs. 1 SGB III ist zu beachten, dass die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 2 SGB II erst für die Zeit nach der Entscheidung des LSG möglich ist. Es ist daher jedem Antragsberechtigten dringlichst zu raten, bei Zweifeln an der Gültigkeit kommunaler KdU-Satzungen fristwahrend Widerspruch gegen die auf Satzungsgrundlage erlassenen Bewilligungsbescheide einzulegen.

b) Inzidentkontrolle im „normalen“ Klageverfahren

Wird ein Normenkontrollverfahren nicht durchgeführt oder wird die Satzung im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens nicht für ungültig erklärt, müssen die Sozialgerichte die Gültigkeit der Satzung inzident überprüfen, wenn ein Leistungsberechtigter höhere Leistungen für seine Unterkunft begehrt, als der Leistungsträger anzuerkennen bereit ist. Die Sozialgerichte können die Satzung selbst dann für nichtig halten und höhere Leistungen für die Unterkunft zusprechen, wenn das örtlich zuständige LSG die KdU-Satzung schon für gültig erachtet hat. In diesem Fall muss das Sozialgericht allerdings die Berufung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG zulassen.

Nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II sind die Leistungen für die Unterkunft jetzt unselbständige Bestandteile des (Gesamt-) Anspruches auf ALG II mit der Folge, dass die Unterkunftskosten keinen selbständigen, abtrennbaren Streitgegenstand mehr bilden dürften und die Gerichte damit die gesamte Leistungsbewährung im streitigen Zeitraum überprüfen müssen. Inwieweit die Sozialgerichte in Schleswig-Holstein weiterhin eine Beschränkung des Streitgegenstandes zulassen werden (hierfür plädiert etwa Mutschler, NZS 2011, 481, 485), bleibt abzuwarten. Um eine Überlastung der Gerichte zu vermeiden, sollten gegebenenfalls die nicht streitigen Leistungsbestandteile ausdrücklich unstreitig gestellt werden.

Im Hinblick auf den Kontrollmaßstab – auch weiterhin volle gerichtliche Überprüfung des unbestimmten Rechtsbegriffes der „Angemessenheit“ und keine Einschätzungsprärogative der Kommune – hat sich durch die Satzungsermächtigung nichts geändert (wie hier Klerks, info also 2011, 201 f.; ausführlich Münder, SozSich Extra 9/2011, 91 ff.).

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt