Schimmel in der Wohnung begründet Umzugsgrund
Veröffentlicht: 1. Oktober 2014 Abgelegt unter: Umzug | Tags: Erforderlichkeit Umzug Schimmel, Hartz IV Schimmel in der Wohnung, Schimmel Umzugsgrund, Zustimmung zum Umzug wegen Schimmel 4 KommentareVon einer Erforderlichkeit des Umzuges kann nicht erst bei Eintritt eines Gesundheitsschadens ausgegangen werden. Bereits bei einer konkreten Gesundheitsgefährdung durch Schimmel in der Wohnung ist das Jobcenter verpflichtet, die Zustimmung zu einem Umzug zu erteilen.
Vor das Sozialgericht gezogen war eine 1982 geborene Empfängerin von Leistungen nach dem SGB II („Hartz IV“). Nachdem sich in ihrer Wohnung nach einer Schimmelentfernung in kurzer Zeit erneut Schimmel gebildet hatte, kündigte sie ihre Wohnung und begehrte vom Jobcenter Kiel die Zustimmung zur Anmietung einer neuen Unterkunft. Diese Zustimmung lehnte das Jobcenter mit der Begründung ab, nach der Stellungnahme des Gesundheitsamts der Stadt Kiel sei bei baulichen Mängeln vorrangig der Vermieter für deren Behebung zuständig. Die Notwendigkeit eines Wohnungswechsels bei Schimmelbefall könne deshalb grundsätzlich nicht ausgesprochen werden. Die Leistungsempfängerin müsse stattdessen bei ihrem Vermieter eine erneute Schimmelsanierung durchsetzen, da andernfalls auch ein Nachmieter einer Gefährdung durch Schimmel ausgesetzt wäre.
Dieser Argumentation folgte das SG Kiel nicht und verpflichtete das Jobcenter Kiel zur Erteilung der begehrten Zusicherung. Denn das Hinwirken auf weitere Beseitigungsmaßnahmen war der Antragstellerin nicht zumutbar. Von der Antragstellerin, so das Gericht, „kann nicht verlangt werden, ihre Gesundheit im Interesse der Solidargemeinschaft weiter zu gefährden. Etwas anderes kann auch im Hinblick auf die Stellungnahme des Gesundheitsamts nicht gelten. Zwar sei hiernach ein Umzug aus gesundheitlichen Gründen nicht notwendig. Zur Begründung wird jedoch nicht etwa ausgeführt, die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Antragstellerin seien nicht auf den Schimmelbefall in ihrer Wohnung zurückzuführen und ein Umzug könne ihre Gesundheit daher nicht positiv beeinflussen. Vielmehr hat das Gesundheitsamt die nicht in seinen Aufgabenbereich fallende rechtliche Würdigung vorgenommen, dass bei Schimmelbefall nicht von der Notwendigkeit eines Umzugs ausgegangen werden könne, da der Mieter die Mängelbeseitigung durch den Vermieter herbeizuführen habe. Diese Ausführungen stehen in keinem Zusammenhang mit den von der Antragstellerin geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Weshalb es der Antragstellerin zumutbar sein soll, sich im Interesse etwaiger Nachmieter weiterhin den gesundheitsgefährdenden Zuständen in ihrer Wohnung auszusetzen erschließt sich der Kammer im Übrigen nicht.“
(SG Kiel, Beschluss vom 29.7.2009, S 9 AS 399/09 ER)
Erstveröffentlichung in HEMPELS 09/2014
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Helge (Hildebrandt), ich zitiere zuerst von deinem Artikel:
„Vielmehr hat das Gesundheitsamt die nicht in seinen Aufgabenbereich fallende rechtliche Würdigung vorgenommen, dass bei Schimmelbefall nicht von der Notwendigkeit eines Umzugs ausgegangen werden könne, da der Mieter die Mängelbeseitigung durch den Vermieter herbeizuführen habe. “
Zitatende!
——————————————
UNGLAUBLICH!
Dass es erst zu einem Eilgerichtsbeschluss des Sozialgerichtes Kiel kommen mußte, bevor
das Jobcenter Kiel die Zusage für die neue Wohnung erteilte.
—————————————–
Auch die ÄrztInnen des Gesundheitsamtes Kiel haben sich m. E. hieran zu halten, auch wenn
diese ggf.? weisungsgebunden sind:
http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=1.100.1142.1145.1147
Gelöbnis des Arztes und weitere Berufspflichten
Gelöbnis des Arztes / Einwilligung nach Aufklärung / Ethische und fachliche Unabhängigkeit / Berufliche Schweigepflicht
Gelöbnis des Arztes
Es ist Aufgabe des Arztes in Friedens- wie in Kriegszeiten unter Achtung vor dem Leben und der Würde des Menschen ohne Unterschied des Alters, der Rasse, der Religion, der Staatsangehörigkeit, der gesellschaftlichen Stellung, der politischen Ideologie oder irgendwelcher anderer Art, die körperliche und geistige Gesundheit des Menschen zu schützen und sein Leiden zu lindern.
Der Arzt hat bei der Ausübung seines Berufes die Gesundheit des Patienten in den Vordergrund zu stellen. Der Arzt darf seine beruflichen Kenntnisse nur zur Verbesserung oder Erhaltung der Gesundheit der Menschen, die sich ihm anvertrauen und nur auf deren Ersuchen einsetzen. Er darf in keinem Fall zu ihrem Schaden tätig werden.
Es widerspricht der ärztlichen Ethik, wenn der Arzt dem Patienten bei der Ausübung seines Berufes seine persönlichen, weltanschaulichen, moralischen oder politischen Vorstellungen aufzwingt.
…
—————————————
Auch wenn ggf. noch das Rechtsamt der Landeshauptstadt Kiel „die Finger im Spiel hatte“
wegen „rechtlicher Würdigung“ auf dem Schreiben des Gesundheitsamtes Kiel.
Ggf. ist auch die Verantwortung bei dem / der Oberbürgermeister (in).
—————————————
In diesem Fall (aus dem Jahre 2009) ist die Landeshauptstadt Kiel ja vom Sozialgericht
Kiel „eingenordet“ worden, damit so etwas nicht wieder passiert.
—————————————–
Kaum auszudenken, wenn die leistungsberechtigte (bedürftige) Person noch bleibende gesundheitliche Beschwerden davongetragen hätte!
Dann wären wir (eventuell auch schon früher) im strafrechtlichen Bereich:
http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/
(Anmerkung Verfasser dieses Kommentares: stgb = Strafgesetzbuch).
…
Siebzehnter Abschnitt
Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit
…
—————————————
Aber, ich wiederhole, die Einschaltung der Staatsanwaltschaft Kiel war wohl nicht nötig,
da die Behörden ja vom Sozialgericht Kiel „eingenordet“ worden
Nochmal vielen Dank für deine homepage, lieber Helge. Dadurch entsteht zusätzlich noch Öffentlichkeit und somit zusätzliche Kontrolle der Behörden.
Betrifft zwar nicht die Landeshauptstadt Kiel; sondern die Stadt Bochum. Dort ist wohl
eine Hartz IV Empfängerin mit der 6-jährigen Tochter aus der „Schimmel-Wohnung“
ohne Zustimmung des Jobcenters in die neue Wohnung eingezogen. Stadt wollte nur
die alte, niedrigere Miete zahlen. Nicht zulässig, da Umzug für Mutter und Tochter notwendig war. Stadt Bochum mußte die neue, höhere Miete bis zur Angemessenheitsgrenze übernehmen.
————————
http://www.kostenlose-urteile.de/SG-Dortmund_S-31-AS-31708_Hartz-IV-Notwendiger-Umzug-in-teurere-Wohnung-auch-ohne-behoerdliche-Genehmigung-zulaessig.news10455.htm
Hartz IV: Notwendiger Umzug in teurere Wohnung auch ohne behördliche Genehmigung zulässig
Gericht bejaht aufgrund Gesundheitsgefährdungen durch bisherige Wohnung eine Umzugsnotwendigkeit
Ist bei einem Bezieher von Hartz IV ein Umzug in eine teurere Wohnung notwendig (hier wegen Schimmelbildung in der bisherigen Wohnung), muss die ARGE die höheren Kosten für die neue Wohnung auch ohne vorherige Zustimmung der Grundsicherungsbehörde zum Umzug tragen. Dies entschied das Sozialgericht Dortmund.
Im zugrunde liegenden Fall ging es um die Kosten der Unterkunft einer Bochumer Hartz IV-Bezieherin und ihrer 6-jährigen Tochter. Die Klägerinnen zogen in eine neue, teurere Wohnung um, weil in der alten Wohnung Schimmel aufgetreten war. Die ARGE wollte weiterhin nur die niedrigere Miete in der alten Wohnung übernehmen. Denn nach den Richtlinien der Stadt Bochum könnten höhere Unterkunftskosten nur nach vorheriger Zustimmung der Grundsicherungsbehörde zum Umzug getragen werden.
Umzug aufgrund Erkrankung der Tochter notwendig
Mit der Klage machte die allein erziehende Mutter geltend, sie sei umgezogen, weil ihre Tochter wegen Schimmelsporen in der Wohnung erkrankt sei.
ARGE gesetzlich zur Kostenübernahme für neue, teurere Unterkunft verpflichtet
Das Sozialgericht Dortmund vernahm den Vermieter als Zeugen und stellte in seinem Urteil fest, dass trotz Renovierungsversuchen mehrfach Schimmel in der alten Wohnung aufgetreten sei. Das Gericht sah darin eine Gesundheitsgefährdung der Klägerinnen und bejahte eine Umzugsnotwendigkeit. Daraus ergebe sich die gesetzliche Verpflichtung der ARGE, die Kosten der neuen, teureren Unterkunft bis zur angemessenen Kaltmiete in Bochum für zwei Personen von 292,20 Euro monatlich zu übernehmen. Ein in Verwaltungsvorschriften der Stadt Bochum enthaltener Genehmigungsvorbehalt bei Umzügen von Grundsicherungsempfängern sei nicht geeignet, die gesetzliche Verpflichtung der Stadt zur Übernahme notwendiger Unterkunftskosten zu verdrängen.
[…] […]
Siehe zum Thema auch SG Cottbus, Urteil vom 12.03.2018, S 24 AS 1811/16:
Klicke, um auf 20180312-SG-S-24-AS-1811-16.pdf zuzugreifen