Verwarnungen durch das Jobcenter

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Leistungsberechtigte nach dem SGB II (Hartz IV) haben umfangreiche Mitwirkungspflichten. Hierzu zählen neben der Anzeige- und Bescheinigungspflicht bei Arbeitsunfähigkeit nach § 56 SGB II sowie der Meldepflicht nach § 59 SGB II insbesondere die Mitwirkungspflichten nach §§ 60 ff. SGB I. Von besonderer praktischer Relevanz ist hier die Pflicht Leistungsberechtigter nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I, alle Änderungen in ihren Verhältnissen, die für den Leistungsanspruch erheblich sind, von sich aus unverzüglich mitzuteilen. Für den Leistungsanspruch erheblich ist insbesondere die Erzielung von Einkünften (Einkommen, Erbschaften, Schenkungen, Gewinne etc.). Werden Einkünfte von dem Leistungsberechtigten vorsätzlich nicht unverzüglich mitgeteilt, so kann dies als Ordnungswidrigkeit nach § 63 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 SGB II mit einem Bußgeld von bis zu 5.000 € geahndet werden, bei Fahrlässigkeit mit bis zu 2.500 € (§ 17 Abs. 2 OWiG). Die Änderung in den Verhältnissen muss unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, mitgeteilt werden. Die Bundesagentur für Arbeit geht davon aus, dass leistungserhebliche Sachverhalte grundsätzlich am ersten Tage mitgeteilt werden müssen, an dem dies möglich ist. Ausnahmen sollen etwa gelten bei Vorstellungsgesprächen, Krankheit, wichtigen familiären Verpflichtungen, einem Trauerfall etc. Ist eine schriftliche Anzeige nach spätestens drei Tagen eingegangen, gilt die Änderung als unverzüglich und damit rechtzeitig mitgeteilt. Bei geringfügig später zugehenden Mitteilungen soll aber eine Einstellung nach § 47 OWiG in Betracht kommen können (vgl. DH BA zu § 63 SGB II, Rz. 63.42). Das Jobcenter Kiel räumt nach hiesigen Erfahrungen längere Fristen zur Einreichung ein, wobei eine Woche nicht überschritten werden sollte. Ein Ermittlungsverfahren wegen Sozialleistungsbetruges wird in der Regel eingeleitet, wenn das Jobcenter von dritter Seite (etwa über einen automatisierten Datenabgleich) von nicht mitgeteiltem Erwerbseinkommen Kenntnis erhält.

Wichtig: Leistungsberechtigte sollten leistungsrelevante Änderungen in ihren Verhältnissen dem Jobcenter stets unverzüglich mitteilen. Die Mitteilung sollte unbedingt schriftlich und unter Beifügung entsprechender Nachweise erfolgen. Da insbesondere beim Jobcenter Kiel nach wie vor eine nicht unbeträchtliche Zahl eingereichter Unterlagen verloren gehen, sollten sich Leistungsberechtigte den Eingang unbedingt mit Eingangsstempel und Unterschrift vom Jobcenter bestätigen lassen, denn der Leistungsberechtigte trägt im Streitfall die Beweislast dafür, dass und wann er dem Jobcenter die Änderungen mitgeteilt hat.

Verwarnung wegen einer geringfügigen Ordnungswidrigkeit

Bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten sieht § 56 Abs. 1 OWiG die Möglichkeit einer Verwarnung mit oder ohne Verwarnungsgeld vor. Gemäß § 56 Abs. 2 OWiG ist eine Verwarnung nur wirksam, wenn der Betroffene nach Belehrung über sein Weigerungsrecht mit ihr einverstanden ist und – soweit erhoben – das Verwarnungsgeld zahlt.

Keine wirksame Verwarnung ohne Zustimmung

Das Einverständnis des Betroffenen ist notwendige Voraussetzung für die Wirksamkeit der Verwarnung, bei welcher es sich um einen sog. zustimmungsbedürftigen Verwaltungsakt handelt (Gürtler in Göhler, OWiG, 15. Aufl. 2009, § 56 Rz. 21, vor § 56 Rz. 6). Weigert sich der Betroffene, die Verwarnung anzunehmen, so ist über die Beschuldigung im Bußgeldverfahren zu entscheiden (Gürtler a.a.O., § 56 Rz. 22). Ist die Verwarnung ausgesprochen worden, aber nicht wirksam, etwa, weil das Einverständnis des Betroffenen fehlt, so hat eine förmliche Rücknahme der Verwarnung (und ggf. eine Erstattung des Verwarnungsgeldes) zu erfolgen. Insbesondere hindert auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes die Rücknahme des Verwarnungsangebotes nicht, wenn die Verwarnung mangels Annahme nicht wirksam geworden ist (Gürtler a.a.O., Rz. 38 m.w.N.).

Wichtig: Eine nicht berechtigte Verwarnung sollte auf keinen Fall angenommen werden, auch dann nicht, wenn diese ohne die Erhebung eines Verwarnungsgeldes ausgesprochen worden ist. Denn aktenkundige Verwarnungen werden im Falle etwaiger weiterer Ordnungswidrigkeitsvorwürfe bei der Ermessensausübung hinsichtlich einer Verfolgung und der Höhe einer Geldbuße regelmäßig berücksichtigt. So kann es dann etwa heißen: „Nachdem wir Sie am 13.3.2011 und 23.5.2012 bereits verwarnt haben, war nunmehr die Verhängung einer Geldbuße in Höhe von 100 € auszusprechen.“

Rechtsschutz

Wurde die Verwarnung – etwa durch Bezahlung des Verwarnungsgeldes – angenommen, kann diese nur noch in beschränktem Umfang angefochten werden. Ein Anfechtungsgrund ist etwa anzunehmen, wenn keine Belehrung über das Weigerungsrecht erfolgte oder das Einverständnis infolge arglistiger Täuschung, Drohung oder Zwang abgegeben worden ist. Die Anfechtung kann indessen nicht darauf gestützt werden, es habe keine Ordnungswidrigkeit vorgelegen oder das Verwarnungsgeld entspreche nicht den Richtlinien (Gürtler a.a.O., Rz. 33). Die Anfechtung erfolgt im Wege eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG.

Gegen eine angenommene Verwarnung ohne Verwarnungsgeld sind nur Gegenvorstellung und Aufsichtsbeschwerde möglich (Gürtler a.a.O., Rz. 35 m.w.N.).

Wurde die Verwarnung nicht angenommen, bedarf es nach dem oben Gesagten grundsätzlich keines Rechtsschutzes, weil das Einverständnis Wirksamkeitsvoraussetzung für die Verwarnung ist. Verlangt die Behörde trotz Nichtvorliegens der Zustimmung dennoch das Verwarnungsgeld oder nimmt sie die Verwarnung ohne Verwarnungsgeld rechtswidrig nicht zurück, gelten die vorbenannten Rechtsschutzmöglichkeiten (Anfechtung bzw. Gegenvorstellung und Aufsichtsbeschwerde).

Bisherige Praxis des Jobcenters Kiel

Wie hier aus mehreren Verfahren bekannt ist, ist den Mitarbeitern des Jobcenters Kiel die Rechtslage bei Verwarnungen nicht geläufig.

In einem aktuellen Fall wurde ein Betroffener mit Schreiben des Jobcenters Kiel vom 15.08.2012 wegen einer angeblich vom ihm begangenen Ordnungswidrigkeit kostenfrei verwarnt. Der Betroffene Leistungsberechtigte sollte seine Wasserrechnung der Stadtwerke vom 27.10.2011, aus welcher ein Guthaben hervorgingt, erst im April 2012 beim Jobcenter Kiel eingereicht haben.

Mit Schreiben vom 23.08.2012 war der Betroffene der Verwarnung entgegen getreten und hat diese nicht angenommen. Zur Begründung hatte er dargelegt, er kenne seine Pflichten sehr genau und habe alle Abrechnungen zeitnah einige Tage nach deren Erhalt beim Jobcenter eingereicht. Allerdings müsse er praktisch jede Jahresabrechnung mehrere Male beim Jobcenter Kiel einreichen, weil eingereichte Unterlagen dort häufig verloren gingen oder verlegt würden. Deswegen habe er die Stadtwerkeabrechnung vom 27.10.2011 kurz nach Erhalt per Einschreiben beim Jobcenter Kiel eingereicht, im Januar nochmals mit einfachem Brief geschickt und ein drittes Mal am 14.04.2012 persönlich abgegeben und sich den Empfang mit Stempel des Jobcenters Kiel bescheinigen lassen. Abschließend hat der Betroffene das Jobcenter Kiel noch einmal ausdrücklich aufgefordert, die Verwarnung zurückzunehmen.

Mit Schreiben vom 27.08.2012 hatte das Jobcenter Kiel dem Betroffenen mitgeteilt, eine Rücknahme der ausgesprochenen Verwarnung sehe das Ordnungswidrigkeitengesetz nicht vor, so dass der Aufforderung des Betroffenen leider nicht entsprochen werden könne. Auch eine weitere Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt sei nicht möglich, weil das Verfahren mit der Erteilung der Verwarnung endgültig abgeschlossen sei. Das Schreiben des Betroffen würde aber zum Ermittlungsvorgang genommen.

Mit Schreiben vom 19.09.2012 hatte der Betroffene dem Jobcenter daraufhin mitgeteilt, dass die vom Jobcenter getätigten Aussagen sachlich und rechtlich unzutreffend seien und erneut deutlich gemacht, dass er die Verwarnung vom 15.08.2012 nicht anerkenne und das Jobcenter zur Rücknahme der Verwarnung aufgefordert.

Mit Schreiben vom 27.09.2012 hat das Jobcenter daraufhin noch einmal ausgeführt, dass das Ordnungswidrigkeitengesetz die Rücknahme einer ausgesprochenen Verwarnung nicht vorsehe. Die Rücknahme derselben sei aus diesem Grunde „und auch aus logischen Gründen gar nicht möglich.“ Das Verfahren sei daher abgeschlossen. Der Betroffene möge bitte auch die Archivierungspflichten der öffentlichen Verwaltung bedenken. Eine Rücknahme der Verwarnung können somit „aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen leider nicht erfolgen.“

Erst nach Einschaltung eines Rechtsanwalts hat das Jobcenter Kiel nach ausführlicher Darlegung der Sach- und Rechtslage mit Schreiben vom 04.10.2012 das eingeleitete Ermittlungsverfahren eingestellt und die Verwarnung vom 15.08.2012 (endlich) zurückgenommen.

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Freispruch: Keine Mitwirkungspflichten außerhalb des Leistungsbezuges!

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Freispruch: Keine Mitwirkungspflichten außerhalb des Leistungsbezuges!

Ein Verstoß gegen Mitwirkungspflichten nach §§ 60 ff. SGB I setzt voraus, dass sich der Leistungsberechtigte nach dem SGB II noch im Status des Leistungsbezuges befindet. Meldet sich ein Leistungsberechtigter etwa wegen Aufnahme einer bedarfsdeckenden – also den Lebensunterhalt unabhängig von Transferleistungen sichernden – Arbeit aus dem Leistungsbezug ab, hat dieser ab dem Tage der Arbeitsaufnahme keine Mitwirkungspflichten mehr gegenüber dem Jobcenter. Damit scheidet auch eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 6 SGB II aus.

Tatsächliche Leistungszuwendungen unerheblich

An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass dem Betroffenen tatsächlich noch Leistungen zugewendet wurden. Denn eine solche Überzahlung ist eine Frage der Technik der Leistungsabwicklung. Es ist nicht dem Betroffenen anzulasten, wenn die Behörde trotz pflichtgemäßer Mitteilung von leistungsrelevanten Umständen die Überweisung dennoch ausführt.

AG Rendsburg, Beschluss v. 6.10.2008, 17 OWi 570 Js 34525/08

Zunehmende Pönalisierung Leistungsberechtiger

Bedauerlicherweise ist in der anwaltlichen Beratung seit einiger Zeit eine zunehmende Kriminalisierung von Leistungsberechtigten zu verzeichnen. Nicht selten wird dabei mit Kanonen auf Spatzen geschossen: Zu der Einleitung von Ordnungswidrigkeitsverfahren aufgrund teilweise nur geringfügig verspäteter Mitteilungen gesellen sich in steigendem Maße auch Strafverfahren wegen angeblichen (Sozialleistung-) Betruges (§ 263 StGB). Nach hiesigen Erfahrungen lassen sich die Verfahren, sind sie erst einmal in Gang gesetzt, nur noch schwer aufhalten. Werden Vorgänge aus den Leistungsabteilungen an die OWi-Stellen der Jobcenter abgegeben, folgt der Bußgeldbescheid, gleich, was von anwaltlicher Seite vorgetragen wird. Gleiches gilt für Ermittlungsverfahren über Hauptzollamt und Staatsanwaltschaft. Eine wirkliche Prüfung findet erst – und man wird wohl sagen dürfen: auch erstmals – vor dem Richter statt.

Verhängnisvoller Mechanismus

In der Folge des Erlasses einer immer noch hohen Anzahl fehlerhafter und damit rechtswidriger Bescheide kommt es zu einer ebenso hohen Zahl zu Unrecht verhängter Geldbußen, Verwarnungen und Strafverfahren. Es ist jedem Betroffenen daher zu raten, die Berechtigung von Bußgeldbescheiden, Verwarnungen und Strafbefehlen sehr gründlich zu prüfen und sich notfalls gerichtlich gegen diese zur Wehr zu setzen.

Rechtzeitig wehren

Noch sinnvoller aber ist es, sich bereits frühzeitig gegen den vielfach in Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden textbausteinartig und meist von der Sachbearbeitung der Grundsicherungsträger vollkommen unreflektiert vorgebrachten Vorhalt vorsätzlicher oder fahrlässiger (angeblicher) Pflichtverletzungen zu wehren. Dieser Vorhalt findet sich in den Bescheiden in der Regel nur deshalb, weil die „vorsätzliche oder fahrlässige Pflichtverletzung“ Tatbestandsvoraussetzungen für die Rückforderung von Grundsicherungsleistungen ist (vgl. §§ 45 Abs. 2 Satz 3, 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Eine ernsthafte Prüfung findet auf Verwaltungsebene praktisch nie statt. Bleibt der – regelmäßig grundlose – Vorwurf unwidersprochen im Raume stehen, so heißt es in einem anschließenden Bußgeld- oder Strafverfahren dann, der Bescheid sei „klaglos hingenommen“ worden. Es gilt also im ALG II Bezug der alte Satz im Besonderen: „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!“ Der Beschluss des AG Rendsburg mag Betroffenen Mut machen, sich gegen grundlose Anschuldigungen zur Wehr zu setzen.

Verfolgungspraxis nicht risikolos für Grundsicherungsträger

Mitarbeiter der OWi-Stellen in den Jobcentern sind als Verwaltungsmitarbeiter mit einem förmlichen justiziellen Verfahren und damit einer „Rechtssache“ im Sinne von § 339 StGB betraut. Beugen sie das Recht – d.h. wenden sie dieses bewusst falsch an, z.B. indem sie textbausteinartig einen Bußgeldbescheid erlassen, obwohl ihnen zuvor etwa von Anwaltsseite schlüssig und durch Rechtsprechung belegt die Rechtswidrigkeit dessen Erlasses nachgewiesen worden ist -, kommt eine Strafbarkeit wegen Rechtsbeugung in Betracht.

Wer als Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Bußgeldverfahren berufen ist, absichtlich oder wissentlich jemanden, der nach dem Gesetz nicht ordnungsrechtlich verfolgt werden darf, dennoch mit einem Bußgeld belegt oder auf eine solche Verfolgung hinwirkt, macht sich zudem nach § 344 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB wegen Verfolgung Unschuldiger strafbar.

Weiterführende Links:

http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/hartz-iv-jobcenter-uebt-staatsanwaltschaft-892.php

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt