Mittellose Menschen dürfen Sozialhilfe statt Wohngeld wählen

BSG 05

Bundessozialgericht in Kassel

Der Verzicht auf einen Wohngeldantrag kann sich für bedürftige Menschen lohnen. Steht ihnen ohne Wohngeld ergänzende Sozialhilfe nach dem SGB XII (Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) zu, dann können Betroffene mitunter Vergünstigungen für Sozialhilfebezieher – etwa günstigere Monatstickets für den öffentlichen Nahverkehr – nutzen oder auch leichter eine Befreiung vom Rundfunkbeitrag (derzeit 17,50 € im Monat) erhalten.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat nun entschieden, dass Sozialhilfeträger nicht verlangen dürfen, dass mittellose Personen zuerst Wohngeld beantragen. Geklagt hatte ein Bezieher Altersrente und Wohngeld, der deshalb nicht mehr auf Sozialhilfe angewiesen war. Einen Antrag auf Weiterbewilligung von Wohngeld stellte er nicht und beantragte stattdessen Sozialhilfe, um in den Genuss von Vergünstigungen als Sozialhilfeempfänger zu kommen, die Bezieher von Wohngeld noch nicht erhielten („Berlin-Pass“, der unter anderem den Erwerb eines Sozialtickets für den ÖPNV ermöglicht).

Der Sozialhilfeträger lehnte den Sozialhilfeantrag unter Hinweis auf den sogenannten Nachranggrundsatz in § 2 Abs. 1 SGB XII ab. Rechtswidrig, entschied das BSG in letzter Instanz. Denn der Nachranggrundsatz stelle keine eigenständige Ausschlussnorm dar. Will der Gesetzgeber die Bewilligung von Sozialhilfe also davon abhängig machen, dass kein (höherer) Wohngeldanspruch besteht, so muss er dies ausdrücklich im Gesetz regeln. Eine solche Regelung fehlt indessen – anders als im SGB II in § 12a SGB II – im SGB XII.

Bundessozialgericht, Urteil vom 23.03.2021, B 8 SO 2/20 R

Erstveröffentlichung in HEMPELS 05/2021

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt



Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..