Aller (Studien)Anfang ist schwer
Veröffentlicht: 2. Januar 2023 Abgelegt unter: Studenten | Tags: § 27 Abs. 3 Satz 3 SGB II, BAföG-Vorschuss nach § 51 Abs. 2 BAföG, Studenten ALG II Darlehen Ein KommentarStudenten und Studentinnen aus weniger betuchten Elternhäusern können ein Lied davon singen: Beginnen sie ihr Studium, steht neben der Wohnungssuche in gedrängter Zeit die Sicherung des Lebensunterhalts an. Der BAföG-Antrag wird gestellt, unzählige Nachweise sind zu besorgen und dem BAföG-Amt vorzulegen, viele Unterlagen wie etwa die Studienbescheinigung lassen auf sich warten und das BAföG-Amt signalisiert schon mal Bearbeitungszeiten von 3 bis 4 Monaten. Was nun?
Für den ersten Studienmonat hilft – was die wenigsten Studenten wissen – das Jobcenter weiter: Nach § 27 Abs. 3 Satz 3 SGB II kann das Jobcenter ein Darlehen in Höhe des ALG II-Anspruches gewähren. Dafür ist nicht Voraussetzung, dass der Student oder die Studentin schon vorher ALG II bezogen hat.
Aber was passiert, wenn der erste Monat des Studiums sich dem Ende neigt und BAföG noch immer nicht bewilligt ist? Darin liegt – so das Sozialgericht Kiel – keine „besondere Härte“ im Sinne von § 27 Abs. 3 Satz 1 SGB II. Denn der Gesetzgeber habe „offensichtlich Schwierigkeiten von Auszubildenden bei ihrer Lebensunterhaltssicherung zu Beginn ihrer Ausbildung in Kauf genommen“. Das Jobcenter müsse also kein Härtefalldarlehen ab dem zweiten Monat des Studiums bewilligen. Erst Studenten, die länger als 10 Wochen nach Antragstellung noch kein BAföG ausgezahlt bekommen haben, hätten einen Anspruch auf einen BAföG-Vorschuss nach § 51 Abs. 2 BAföG.
Anders hat das schon früh das Hamburgische Oberverwaltungsgericht gesehen: Auch vor Ablauf der Fristen nach § 51 Abs. 2 BAföG kann ein Student seinen BAföG-Anspruch etwa ab dem Tag, nach dem das ALG II-Darlehen ausläuft, im Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht durchsetzen, denn, so das Gericht, ein anderes Normverständnis liefe dem Regelungsanliegen des BAföG zuwider, dem Auszubildenden nicht nur eine wirksame, sondern auch schnelle Unterstützung zuteil werden zu lassen. § 51 Abs. 2 BAföG betreffe zudem nach seinem klaren Wortlaut nur Fälle, in denen BAföG (noch) nicht bewilligt oder ausbezahlt werden „kann“. Hat der Student also alle Unterlagen vorgelegt und alle Angaben gemacht, „kann“ ihm auch BAföG bewilligt werden.
Sozialgericht Kiel, Beschluss vom 14.10.2022, S 34 AS 64/22 ER; a.A. Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 19.11.1991, Bs IV 307/91
Erstveröffentlichung in HEMPELS 12/2022
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
ALG II als Darlehen bei Rechtsstreit um BAföG
Veröffentlicht: 2. Februar 2021 Abgelegt unter: Darlehen, Studenten Hinterlasse einen Kommentar
(c) Kurt F. Domnik / pixelio.de
Der Ausschluss von Studenten von ALG II stellt bis zum Abschluss eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vor dem Verwaltungsgericht um Leistungen nach dem BAföG eine „besondere Härte“ im Sinne von § 27 Abs. 3 Satz 1 SGB II dar mit der Folge, dass Auszubildende in diesem Zeitraum ALG II (Hartz IV) als Darlehen erhalten können.
In der Rechtsprechung ist höchstrichterlich anerkannt, dass Auszubildende einen Anspruch auf darlehensweises ALG II aus Härtefallgesichtspunkten haben, wenn der Abschluss ihrer Ausbildung kurz vor dem Abschluss steht (Abschluss in circa 6 Monaten), der Hilfebedarf in der Abschlussphase der Ausbildung entsteht und bei Ausbildungsabbruch künftige Erwerbslosigkeit droht.
Das LSG Berlin-Brandenburg hat nun entschieden, dass der Ausschluss Auszubildender von ALG II auch dann ein Härtefall darstellt, wenn während eines Streits um die Versagung von BAföG-Leistungen vor dem Verwaltungsgericht deren Existenzminimum weder vom BAföG-Amt noch vom Jobcenter sichergestellt würde. Denn um im Streit um BAföG überhaupt erfolgreich sein zu können, muss der Auszubildende dort geltend machen, er studiere in Vollzeit. Würde er – um seinen Lebensunterhalt zu sichern – eine vollschichtige ungelernte Tätigkeit aufnehmen, würde die Klage auf BAföG schon deshalb keinen Erfolg haben. Dieses Ergebnis wäre mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar. ALG II ist in dieser Zeit deswegen darlehensweise zu gewähren.
LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15.06.2020, L 31 AS 585/20
Erstveröffentlichung in HEMPELS 01/2021
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Bürgerbeauftragte informiert: Zuschüsse für Studierende in akuten Notlagen
Veröffentlicht: 17. Juni 2020 Abgelegt unter: Corona-Pandemie, Studenten Hinterlasse einen KommentarSeit gestern können Studierende, die infolge der Corona-Pandemie akut auf finanzielle Hilfe angewiesen sind, Unterstützung in Form eines nicht rückzahlbaren Zuschusses bei ihrem Studierendenwerk beantragen. „Die Überbrückungshilfe ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung und allerhöchste Zeit“, sagte die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten, Samiah El Samadoni, dazu heute (Mittwoch) in Kiel. Studierende seien aktuell in besonderem Maße auf eine Unterstützung angewiesen, da ihnen die dringend benötigten Einkünfte z. B. aus Minijobs zurzeit schlicht fehlen.
Antragsberechtigt sind Studierende, die an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule in Deutschland immatrikuliert und nicht beurlaubt sind. Studierende an Verwaltungsfachhochschulen oder Bundeswehrhochschulen, im berufsbegleitenden Studium bzw. dualen Studium sowie Gasthörer*innen erhalten dagegen keine Zuschüsse. Die Überbrückungshilfe ist bislang nur für die Monate Juni, Juli und August 2020 vorgesehen und beträgt – abhängig vom nachzuweisenden Kontostand der Studierenden – zwischen 100,00 € und 500,00 € pro Monat. „Ich empfehle allen Studierenden, die einen Anspruch auf Zuschüsse haben können, separat und in jedem der drei Monate einen Antrag zu stellen“, so die Bürgerbeauftragte. Nach den rechtlichen Vorgaben müsse die Antragstellung für jeden Monat gesondert erfolgen, rückwirkende Anträge seien nicht möglich.
Um die Überbrückungshilfe zu erhalten, müssen Studierende allerdings zahlreiche Unterlagen und Nachweise einreichen: Sie haben neben verschiedenen Dokumenten u. a. eine chronologisch lückenlos nach Datum sortierte Darstellung der finanziellen Notsituation anhand des aktuellen Kontostandes und der Kontenbewegungen der letzten Monate einzureichen. Zusätzlich müssen Studierende eine Erklärung über ihre pandemiebedingte Notlage unter Angabe des Grundes abgeben und diesen mittels geeigneter Dokumente darlegen. „Geeignete Nachweise für eine Notlage können z. B. die Kündigung eines Minijobs, aber auch Selbsterklärungen zum Wegfall von Einnahmen aus einer Selbständigkeit oder zum Wegfall von Unterhaltszahlungen der Eltern sein“, erklärte El Samadoni. 2
Die Bürgerbeauftragte kritisierte den späten Zeitpunkt der Maßnahmen: „Vielen Studierenden fehlen schon seit März die finanziellen Mittel, um ihre Miete zu zahlen und den Lebensunterhalt zu bestreiten.“ Sie habe angesichts der geringen Dauer und Höhe der Überbrückungshilfe auch große Zweifel daran, dass die Maßnahmen ausreichend seien. „Wir müssen in unsere Zukunft investieren und Studienabbrüche wegen finanzieller Notlagen unbedingt verhindern“, mahnte El Samadoni.
Die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten und ihr Team beraten zur Überbrückungshilfe und zu weiteren möglichen Sozialleistungen gerne telefonisch von Montag bis Freitag zwischen 9:00 und 15:00 Uhr unter 0431/988-1240.
Pressemitteilung Nr. 22 vom 17. Juni 2020
Anspruch behinderter Studierender auf Zuschuss zur Miete
Veröffentlicht: 1. Juni 2019 Abgelegt unter: Eingliederungsleistungen, Kosten der Unterkunft, Studenten | Tags: behinderte Studierende, behinderte Studierende Zuschuss Miete 2 Kommentare
(c) Thommy Weiss / pixelio.de
Behinderte Studierende, die wegen des Bezugs von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) keinen Anspruch auf laufende Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV) oder Sozialhilfe (SGB XII) haben, können zuschussweise Eingliederungshilfeleistungen zur Deckung laufender Unterkunftskosten als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft erhalten.
Die Klägerin ist wesentlich körperlich behindert und auf einen Rollstuhl angewiesen. Sie lebt in einer behindertengerecht ausgestatteten Wohnung außerhalb ihres Elternhauses. Für die Dauer ihres Hochschulstudiums erhielt sie BAföG, das unter anderem anteilige Unterkunftskosten in Höhe von 224 € umfasste. Ihren Antrag auf zuschussweise Übernahme der Differenz zu ihren tatsächlichen Unterkunftskosten lehnte zunächst das beigeladene Jobcenter und für Folgezeiträume der beklagte Sozialhilfeträger ab. Ihre hiergegen gerichtete Klage ist vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht ohne Erfolg geblieben. Das Bundessozialgericht (BSG) gab der Studentin schließlich Recht.
Zwar war dem BSG eine abschließende Entscheidung wegen der fehlenden Beiladung der Bundesagentur für Arbeit als zuständig gewordenem Rehabilitationsträger nicht möglich. Das BSG hat aber darauf hingewiesen, dass eine Wohnung nicht nur dem Schutz vor Witterungseinflüssen und der Sicherung des „Grundbedürfnisses des Wohnens“ dient, sondern grundsätzlich auch der sozialen Teilhabe, weil so eine gesellschaftliche Ausgrenzung vermieden wird. Verbleibt ein nicht gedeckter Unterkunftsbedarf, weil allein behinderungsbedingt weitere Kosten für Wohnbedarf entstehen, sind diese zur Sicherstellung einer gleichberechtigten Teilhabe behinderter Menschen zu erbringen. Der Anspruch besteht in Höhe der Differenz zwischen den nach dem SGB II und SGB XII (abstrakt) „angemessenen“ Kosten der Unterkunft (sog. Mietobergrenzen) und den behinderungsbedingt konkret angemessenen Kosten.
(BSG, Urteil vom 04.04.2019, B 8 SO 12/17 R)
Erstveröffentlichung in HEMPELS 5/2019
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Kein ALG II bis zum tatsächlichen Ausbildungsbeginn
Veröffentlicht: 23. Juni 2017 Abgelegt unter: Studenten 7 Kommentare
(c) Gerd Altmann / pixelio.de
In meinem Beitrag „ALG II trotz Immatrikulation“ habe ich die Rechtsauffassung vertreten, Studenten und Auszubildende könnten in dem Zeitraum nach ihrer Immatrikulation (und damit grundsätzlichen BAföG-Förderungsfähigkeit) bis zum Tag des tatsächlichen Ausbildungsbeginns ALG II beziehen. Zur Begründung hatte ich auf eine Entscheidung des BSG (Urteil vom 28.03.2013, B 4 AS 59/12 R, Rn. 19 f.) zum Regelungsbereich SGB II/ALG II verwiesen. Dort hat das BSG ausgeführt:
„[19] Der Bescheid vom 5. 9. 2005 war bereits im Zeitpunkt seines Erlasses insoweit rechtswidrig, als der Beklagte über den tatsächlichen Beginn der Ausbildung am 25. 8. 2005 hinaus SGB II-Leistungen gewährt hat. Ab diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin keinen Anspruch auf Leistungen mehr, weil der Anspruchsausschluss nach § 7 Abs 5 S 1 SGB II eingriff. Nach § 7 Abs 5 S 1 SGB II (idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. 12. 2003, BGBl I 2954) haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Eine Ausnahme hiervon galt nach § 7 Abs 6 SGB II aF nur für bestimmte Gruppen von Auszubildenden, zu denen die Klägerin nicht gehörte.“
Aus der recht klaren Formulierung „über den tatsächlichen Beginn der Ausbildung am 25.08.2005 hinaus“ hatte ich geschlossen, dass im Umkehrschluss bis zum tatsächlichen Ausbildungsbeginn ALG II zu Recht bewilligt worden ist. Auch in der folgenden Rz. 20 stellt das BSG auf den Tag des Beginns des tatsächlichen Besuchs („besuchte“) der Ausbildungsstätte bzw. den „Ausbildungsbeginn am 25.08.2005“ (Rz. 28) ab.
Das Sozialgericht Kiel hat diese Rechtsfrage unter Bezugnahme auf den Wortlaut des Gesetzes nun anders entschieden und ausgeführt (SG Kiel, Urteil vom 15.02.2017, S 37 AS 347/15):
„Die Klägerin nahm am 29. September 2014 eine schulische Ausbildung auf, die dem Grunde nach förderungsfähig nach dem BAföG war. Sie hatte daher keinen Anspruch auf die ausgezahlten Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für September 2014; auch wenn sie für diesen Monat keine Leistungen nach dem BAföG erhalten hat. Nach § 15b Abs. 1 BAföG gilt die Ausbildung im Sinne des Gesetzes als mit dem Anfang des Monats aufgenommen, in dem Unterricht oder Vorlesungen tatsächlich begonnen werden. Korrespondierend hierzu wird nach § 15 BAföG die Ausbildungsförderung vom Beginn des Monats an geleistet, in dem die Ausbildung aufgenommen wird; frühestens jedoch vom Beginn des Antragsmonats an. Das SGB II knüpft den Ausschluss in § 7 Abs. 5 SGB II an eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung nach dem BAföG an und gerade nicht an die tatsächliche Leistungsgewährung. (vgl. hierzu Gutachten des Deutschen Vereins, Lebensunterhaltssicherung beim Übergang vom SGB II zum BAföG, G 1-14 vom18.08.2014, S. 2 (…).“
Dem Sozialgericht Kiel ist einzuräumen, dass der Wortlaut des § 15b Abs. 1 BAföG recht eindeutig ist und sich das BSG in der Entscheidung B 4 AS 59/12 R mit der hier strittigen Rechtsfrage nicht auseinandergesetzt, sondern vielmehr den SGB II-Ausschluss (erst) mit dem Tag des tatsächlichen Ausbildungsbeginns schlicht vorausgesetzt hat. Wie das SG Kiel jetzt auch LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 17.9.2018, L 6 AS 111/16 (siehe auch in den Kommentaren).
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Kein ALG II bei bloß tatsächlichem Teilzeitstudium
Veröffentlicht: 24. Mai 2017 Abgelegt unter: Studenten 3 Kommentare
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Studenten sind vom Arbeitslosengeld II (ALG II) ausgeschlossen, wenn ihr Studium dem Grunde nach BAföG-förderungsfähig ist. Ein BAföG-Anspruch besteht für Studierende aber nur dann, wenn das Studium die Arbeitskraft des Studierenden im Allgemeinen voll in Anspruch nimmt. Für ein formelles Teilzeitstudium besteht deswegen kein BAföG-Anspruch, es kann aber ALG II beantragt werden. An der Universität in Kiel können etwa alle 2-Fächer-Bachelor und Masterstudiengänge sowie die 1-Fach-Bachelor- und Masterstudiengänge Biologie und Chemie in Teilzeit studiert werden. Voraussetzung ist jedoch, dass der Student entweder einer Erwerbstätigkeit von mehr als 18 Stunden pro Woche nachgeht, die Betreuung oder Pflege eines Kindes oder eines pflegebedürftigen nahen Angehörigen geleistet wird oder eine Behinderung oder chronische Erkrankung vorliegt, welche die Studierfähigkeit so herabsetzt, dass ein ordnungsgemäßes Vollzeitstudium ausgeschlossen ist (vgl. die Infos der CAU zum Teilzeitstudium).
Von einigen Landessozialgerichten wurde ein ALG-II-Anspruch auch bei einem bloß faktischen Teilzeitstudium angenommen, also wenn ein Vollzeitstudiengang tatsächlich – etwa aus persönlichen, familiären oder gesundheitlichen Gründen – nicht in Vollzeit studiert werden kann. Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht ist dieser Rechtsprechung nicht gefolgt. Nach Auffassung des Gerichts kommt es ausschließlich auf die von der Ausbildungsstätte vorgenommene Ausgestaltung der Ausbildung an und nicht auf die individuellen Verhältnisse des Auszubildenden, derentwegen tatsächlich nur in Teilzeit studiert werden kann.
(Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 15.12.2016, L 6 AS 223/16 B ER)
Erstveröffentlichung in HEMPELS 4/2017
Zum Verfahren siehe auch meinen ersten Kommentar in den Kommentaren.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
ALG II trotz Immatrikulation
Veröffentlicht: 30. Mai 2013 Abgelegt unter: Studenten | Tags: ALG II trotz Einschreibung, ALG II trotz Immatrikulation, § 7 Abs. 5 SGB II, BSG 22.03.2012 B 4 AS 102/11 R, Hartz IV trotz Einschreibung, Hartz IV trotz Immatrikulation, SG Mainz 09.08.2012 S 4 AL 314/10 24 KommentareEs entspricht der gängigen Praxis des Jobcenters Kiel, ALG II erst ab dem Zeitpunkt der nachgewiesenen Exmatrikulation zu bewilligen und die Zahlungen von ALG II ab dem Zeitpunkt der Immatrikulation einzustellen. Diese ständige Verwaltungspraxis ist rechtswidrig.
ALG II nach Abschluss der Ausbildung
Nach § 7 Abs. 5 SGB II erhalten Auszubildende, deren Ausbildung u.a. im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) dem Grunde nach förderungsfähig ist, kein ALG II. Auszubildender ist, wer sich in einer Ausbildung befindet. Die Ausbildung – und damit zugleich auch die Förderungsfähigkeit nach BAföG – endet mit dem Bestehen der Abschlussprüfung, § 15 b Abs. 3 Satz 1 BAföG. Ab dem Tag nach der Prüfung besteht mithin – unabhängig von der bestehenden Immatrikulation – ein ALG II-Anspruch (zur Berechnung § 41 SGB II). Denn neben einer organisatorischen Zugehörigkeit zur Universität ist das „tatsächliche Betreiben“ der Ausbildung Voraussetzung der Förderungsfähigkeit nach BAföG (BSG, Urteil vom 22.03.2012, B 4 AS 102/11 R, Rz. 16 f. m.w.N.; BSG, Urteil vom 22.08.2012, B 14 AS 197/11 R, Rz. 17) und es entspricht auch dem semantischen Gehalt des Wortes „Ausbildung“, dass tatsächlich gelernt wird.
ALG II vor Beginn der Ausbildung
Nichts anders gilt für den Zeitraum nach der Immatrikulation aber vor dem Beginn der Einführungsveranstaltungen. Auch hier kann nicht allein auf die Immatrikulation abgestellt werden. Entscheidend ist vielmehr, wann das Studium tatsächlich aufgenommen wird (BSG, Urteil vom 28.03.2013, B 4 AS 59/12 R, Rn. 19 f. zum Regelungsbereich SGB II/ALG II; a.A. SG Kiel, Urteil vom 15.02.2017, S 37 AS 347/15). Bis zu diesem Zeitpunkt steht auch ein eingeschriebener Student dem Arbeitsmarkt wie ein normaler Arbeitsloser zur Verfügung (vgl. SG Mainz, Pressemitteilung vom 09.08.2012 zum Aktenzeichen S 4 AL 314/10 zum Regelungsbereich SGB III/ALG I; BSG, Urteil vom 08.04.2013, B 11 AL 137/12 B zum ALG I; LSG Hessen, Urteil vom 26.06.2013, L 6 AL 186/10 sowie die Pressemitteilung des Hessischen Landessozialgericht zum Urteil vom 21.09.2012, L 7 AL 3/12 zum ALG I).
Kein ALG II in vorlesungsfreier Zeit
Anders verhält es sich freilich in der vorlesungsfreien Zeit zwischen zwei Semestern eines laufenden Studiums. Hier ist davon auszugehen, dass sich ein eingeschriebener Student auch in dieser Zeit seinem Studium widmet und sich damit in der „Ausbildung“ befindet (SG Mainz a.a.O.).
Mehr zum Thema ALG II und Studium:
Darlehensweises ALG II zur Ermöglichung des Studienabschlusses
Kein ALG II bis zum tatsächlichen Ausbildungsbeginn
Nachtrag 28.09.2014: Die o.g. Urteile des BSG sind jetzt in den Fachlichen Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu § 7 SGB II eingearbeitet.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Darlehensweises ALG II zur Ermöglichung des Studienabschlusses
Veröffentlicht: 21. März 2012 Abgelegt unter: Leistungen für Auszubildende, Studenten | Tags: ALG II als Darlehen, ALG II für Prüfungsphase, ALG II Studium, § 27 Abs. 4 SGB II, darlehensweise ALG II, Hartz IV Studium, L 11 AS 29/12 B ER, Leistungen für Auszubildende nach § 27 Abs. 4 SGB II, Leistungen für Auszubildende nach § 27 SGB II, Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Beschluss vom 07.03.2012 L 11 AS 29/12 B ER 3 KommentareGrundsätzlich sind Studenten an deutschen Hochschulen nach dem BAföG dem Grunde nach förderungsfähig und können deswegen keine Leistungen nach dem SGB II erhalten, § 7 Abs. 5 SGB II. Nach § 27 Abs. 3 SGB II (= § 27 Abs. 4 SGB II a.F.) können Leistungen jedoch „als Darlehen für Regelbedarfe, Bedarfe für Unterkunft und Heizung und notwendige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung erbracht werden, sofern der Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 5 eine besondere Härte bedeutet.“ Diese Regelung ermöglicht es den Jobcentern insbesondere, Studenten, die in der Endphase ihres Studiums in finanzielle Probleme geraten, mit darlehensweisen existenzsichernden Leistungen zu helfen und ihnen so den Abschluss ihres Studiums zu ermöglichen.
Besondere Härte
Voraussetzung ist, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II (kein ALG II für Studenten) eine „besondere Härte“ bedeuten würde. Nach der Rechtsprechung des BSG (zusammenfassend BSG, Urt. V. 1.7.2009, B 4 AS 67/08 R) ist eine besondere Härte u.a. dann anzunehmen, wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass (1) eine vor dem Abschluss stehende Ausbildung (2) nicht beendet werden kann, weil in einer Ausbildungssituation Hilfebedarf entsteht, der nicht (mehr) durch BAföG, BAB oder andere Einnahmequellen (Unterstützung der Eltern, eigenes Einkommen) gedeckt werden kann und damit (3) das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit droht.
(1) Ausbildung „vor dem Abschluss“
Die Ausbildung steht „vor dem Abschluss“, wenn eine durch objektive Gründe belegbare Aussicht besteht, dass die Ausbildung mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in absehbarer Zeit zu einem Abschluss gebracht werden kann (BSG, Urt. V. 6.9.2007, B 14/7b AS 36/06 R). Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn sich der Hilfesuchende bereits in der Prüfungsphase etwa einer Magisterabschlussprüfung befindet (Thie in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 27 Rn. 11 hält bereits den Nachweis der Anmeldung zur Prüfung für ausreichend, soweit alle Prüfungsvoraussetzungen erfüllt sind). Als Nachweise können die Ergebnisse von Zwischenprüfungen, die Prüfungszulassungsbescheinigung sowie etwa Bescheinigungen der Betreuer von Abschlussarbeiten vorgelegt werden, aus welchen sich eine positive Abschlussprognose ergibt. In zeitlicher Hinsicht steht eine Ausbildung jedenfalls vor dem Abschluss, wenn der Termin zur Abschlussprüfung innerhalb der nächsten sechs Monate liegt. Die sechs Monate stellen indes keine starre Grenze dar, entscheidend sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalles.
(2) Hilfebedarf in der Abschlussphase der Ausbildung
Ein Hilfebedarf in der Abschlussphase der Ausbildung kann sich etwa ergeben durch den Verlust einer studentischen Nebenbeschäftigung, den Wegfall von BAföG-Leistungen oder der Studienfinanzierung durch die Eltern sowie den Aufbrauch etwaigen angesparten Vermögens.
(3) Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit durch Ausbildungsabbruch
Zuletzt müsste durch einen Ausbildungsabbruch das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit drohen. Da Erwerbslosigkeit jedem „droht“, ganz gleich, ob dieser einen Abschluss hat oder nicht, kann es nur darauf ankommen, ob durch den Ausbildungsabbruch die Wahrscheinlichkeit einer späteren Erwerbslosigkeit höher ist als mit dem angestrebten Abschluss. Im Grundsatz wird man davon ausgehen dürfen, dass jede berufliche Qualifizierung das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit verringert. Ausnahmen von diesem Grundsatz dürften etwa bestehen bei Berufsausbildungen für ausgestorbene Berufe oder solche, für die faktisch kein Arbeitsmarkt besteht. Neutral auf das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit dürfte sich etwa auch ein Abschluss auswirken, der kurz vor dem Renteneintrittsalter erworben wird. Geringfügig auswirken dürfte sich zudem eine weitere Berufsausbildung, soweit der Hilfebedürftige bereits über einen oder mehrere Berufsabschlüsse verfügt, für die eine Nachfrage auf dem konkreten Arbeitsmarkt besteht.
Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts
Mit Beschluss vom 07.03.2012 hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht im Verfahren L 11 AS 29/12 B ER einer Studentin zuvor vom SG Kiel abgelehnte Leistungen nach dem SGB II als Darlehen zugesprochen. Das LSG hat in diesem besonderen Einzelfall das Merkmal der „besonderen Härte“ in § 27 Abs. 4 SGB II anders beurteilt als die Vorinstanz. Zur Begründung hat das LSG insbesondere darauf abgehoben, dass nach einer schriftlichen Stellungnahme der Betreuerin zu erwarten sei, dass die Magisterarbeit erfolgreich abgeschlossen werde, es der Antragstellerin nicht zuzumuten sei, den Erfolg ihrer Magisterarbeit durch die Aufnahme einer Arbeit zu gefährden und die Antragstellerin mit dem Abschluss erstmals eine abgeschlossene Berufsausbildung wird vorweisen können.
Einordnung der Entscheidung des LSG
Zu der Entscheidung des LSG ist anzumerken, dass diese sicherlich keine elaborierte Grundsatzentscheidung zu den Voraussetzungen darlehensweise zu gewährender Leistungen nach § 27 Abs. 3 SGB II (= § 27 Abs. 4 SGB II a.F.) ist und – so nehme ich an – auch gar nicht sein soll. Das Gericht hat dafür aber umso mehr ein gesundes Rechtsempfinden dafür zeigt, wann ein „Härtefall“ vorliegt, d.h. sich jemand in existentieller Not befindet und Hilfeleistungen – nicht nur von Rechts wegen, dies soll hier nicht verschwiegen bleiben – gewährt werden sollten. Dieses Judiz hätte man sich auch von den Mitarbeitern des Jobcenters Kiel gewünscht. Und natürlich auch von der Vorinstanz.
Praxistipp für Betroffene
Darlehen nach § 27 Abs. 3 SGB II (= § 27 Abs. 4 SGB II a.F.) sollten immer mit Wohngeld kombiniert werden. Das ermöglicht § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 3 Nr. 1 WoGG, den nach meiner Erfahrung kaum ein Jobcentermitarbeiter kennt. Vorteil: Regelsatz und notwendige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung werden abzüglich des Wohngeldbetrages als Darlehen erbracht, der Wohngeldanteil der Unterkunftskosten indes als Zuschuss, der nicht zurückbezahlt werden muss.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt