Zur Beratungshilfe für die Durchführung eines außergerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahrens gemäß § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch einen Rechtsanwalt

Neben anerkannten Schuldnerberatungsstellen können auch Rechtsanwälte als sogenannte „geeignete Personen“ im Sinne von § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO außergerichtliche Schuldenbereinigungsplanverfahren durchführen (für Schleswig-Holstein siehe § 1 Nr. 1 AG InsO SH). Der außergerichtliche Einigungsversuch ist Voraussetzung für den Antrag auf Privatinsolvenz.

Gemäß Nr. 2504 VV RVG kann vom zuständigen Amtsgericht Beratungshilfe für die anwaltliche „Tätigkeit mit dem Ziel einer außergerichtlichen Einigung mit den Gläubigern über die Schuldenbereinigung auf der Grundlage eines Plans (§ 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO)“ gewährt werden.

Regelfall: Schuldnerberatungsstellen

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHiG besteht ein Anspruch auf Beratungshilfe auch in diesem Fall allerdings nur dann, wenn „keine anderen Möglichkeiten für eine Hilfe zur Verfügung stehen, deren Inanspruchnahme den Rechtsuchenden zuzumuten ist“.

Diese „anderen Hilfemöglichkeiten“ bieten die steuerfinanzierten Schuldnerberatungsstellen der großen Sozialverbände (in Kiel die Schuldnerberatung des DRK, die katholische Kirche mit ihrem „Sozialdienst katholischer Frauen e.V. Kiel“ sowie der Verein Lichtblick Kiel e.V. mit seinem „Schulden- und Insolvenzberatungszentrums Kiel“, der eng mit der Diakonie des evangelischen Kirche verbunden ist).

Mit einer Ablehnung von Beratungshilfe für einen außergerichtlichen Schuldenbereinigungsversuch verstößt ein Amtsgericht im Regelfall nicht gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG, Art 103 Abs. 1 GG, weil diese Auslegung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHiG „einfachrechtlich gut vertretbar“ ist (BVerfG, Beschluss vom 04.09.2006, 1 BvR 1911/06).

Ausnahmefall: Anwaltliche Schuldnerberatung

Unter bestimmten Voraussetzungen kann jedoch auch bei einem bestehenden Angebot an Schuldnerberatungsstellen Beratungshilfe für eine anwaltliche Beratung und Vertretung bewilligt werden:

  • Der Rechtsanwalt ist in der Angelegenheit bereits vorbefasst.
  • Es sind Forderungen strittig.
  • Die Wartezeiten bei den Schuldnerberatungsstellen sind unzumutbar lang (circa mehr als 6 Monate).

Vorbefassung des anwaltlichen Betreuers?

In einer aktuellen Entscheidung hat sich nun das Amtsgericht Kiel zu der Frage geäußert, ob das Merkmal der „Vorbefassung“ in der Person des anwaltlichen Betreuers erfüllt ist. Es hat eine Vorbefassung in diesem Fall abgelehnt, weil eine Vorbefassung als Rechtsanwalt Voraussetzung sei:

„Der Antragstellervertreter ist als gesetzlicher Betreuer des Antragstellers auch für den Bereich der Vermögenssorge bestellt. Er ist damit in sämtlichen Fällen der Vermögenssorge automatisch vorbefasst, was indes nicht Grundlage der Vorbefassung als Rechtsanwalt ist.“

Schuldnerberatungsstellen bieten auch Hausbesuche an!

Nach Ansicht des Amtsgerichts Kiel führen auch körperliche Einschränkungen wie etwa die Wegeunfähigkeit der verschuldeten Person nicht zu einer Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme einer Schuldnerberatungsstelle, denn diese böten – was gerichtsbekannt sei – auch Hausbesuche an:

„Der weiter vorgetragene Umstand, dass eine Inanspruchnahme der Schuldnerberatungsstelle eine persönliche Vorsprache des Schuldners selbst erfordere, steht einer Inanspruchnahme der Schuldnerberatung nicht im Wege. Es ist amtsbekannt, dass die hiesigen Schuldnerberatungsstellen bei Notwendigkeit und Geeignetheit auch Hausbesuche durchführen, um die persönliche Vorsprache zu ermöglichen.“

Amtsgericht Kiel, Beschluss vom 20.03.2024, 7 XI 387/24

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Ablehnung von Beratungshilfe für sozialrechtliches Widerspruchsverfahren verfassungswidrig

Pressemitteilung Nr. 45/2022 vom 24. Mai 2022

Beschluss vom 04. April 2022
1 BvR 1370/21

Mit heute veröffentlichtem Beschluss hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Ablehnung von Beratungshilfe für ein sozialrechtliches Widerspruchsverfahren verfassungswidrig war. Der Antrag des Beschwerdeführers auf die Bewilligung von Beratungshilfe wurde vom zuständigen Amtsgericht in mehreren Entscheidungen wegen Mutwilligkeit abgelehnt.

Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Bescheiden aus dem April 2021 wurde die Leistungsbewilligung des Beschwerdeführers für den Zeitraum Juli bis Dezember 2020 endgültig festgesetzt und daneben eine Erstattungsforderung geltend gemacht. Grund für die Erstattungsforderung war unter anderem eine vom Jobcenter festgestellte Überzahlung aufgrund eines Betriebskostenguthabens aus dem Jahr 2019, welches vom Jobcenter in dem Zeitraum Juni bis November 2020 anteilig leistungsmindernd berücksichtigt wurde.

Der Beschwerdeführer beantragte beim Amtsgericht die Bewilligung von Beratungshilfe. Er zweifelte an der Richtigkeit der Bescheide und wollte für die Gestaltung des Widerspruchs anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen. Er nannte der Rechtspflegerin einige Punkte, aufgrund derer die Bescheide nicht richtig sein könnten; unter anderem die leistungsmindernde Verrechnung des Betriebskostenguthabens über einen Zeitraum von sechs Monaten. Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts wies den Antrag wegen Mutwilligkeit zurück. Ein eventueller Widerspruch sei ohne anwaltliche Hilfe zu fertigen. Es lägen keine Anzeichen für eine konkrete Rechtsbeeinträchtigung vor.

Der Beschwerdeführer legte Erinnerung ein. Die Anrechnung der Betriebskosten und die Errechnung des Erstattungsbetrags seien komplexe Sachverhalte. Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts half der Erinnerung nicht ab. Die Erinnerung wurde mit richterlichem Beschluss wegen Mutwilligkeit abgewiesen. Der Beschwerdeführer wünsche Beratungshilfe, um Leistungsbescheide des Jobcenters pauschal auf ihre Richtigkeit überprüfen zu lassen. Er sei der Ansicht, dass es in den Bescheiden zu Fehlern gekommen sei, könne aber nicht konkret darlegen, um welche Fehler es sich handele. Auch habe er nicht vorgetragen, dass er sich selbst schriftlich oder durch Vorsprache beim Jobcenter um eine Aufklärung des Sachverhalts bemüht habe.

Die von dem Beschwerdeführer erhobene Anhörungsrüge blieb ohne Erfolg.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt er eine Verletzung der Rechtswahrnehmungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 3 GG).

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffenen Beschlüsse des Amtsgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtswahrnehmungsgleichheit.

Das Grundgesetz verbürgt in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 3 GG die Rechtswahrnehmungsgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten bei der Durchsetzung ihrer Rechte auch im außergerichtlichen Bereich, somit auch im Hinblick auf die Beratungshilfe nach dem Beratungshilfegesetz. Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten stellt die Versagung von Beratungshilfe keinen Verstoß gegen das Gebot der Rechtswahrnehmungsgleichheit dar, wenn Bemittelte wegen ausreichender Selbsthilfemöglichkeiten die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe vernünftigerweise nicht in Betracht ziehen würden. Dabei kommt es darauf an, ob der dem Beratungsanliegen zugrundeliegende Sachverhalt schwierige Tatsachen- oder Rechtsfragen aufwirft und ob Rechtsuchende selbst über ausreichende Rechtskenntnisse verfügen. Keine zumutbare Selbsthilfemöglichkeit ist jedoch die pauschale Verweisung auf die Beratungspflicht der den Bescheid erlassenden Behörde.

Indem das Amtsgericht das Beratungshilfebegehren des Beschwerdeführers nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Beratungshilfegesetz als mutwillig erachtet hat, hat es Bedeutung und Reichweite der Rechtswahrnehmungsgleichheit verkannt.

Der Beschwerdeführer hatte keine besonderen Rechtskenntnisse, und der zugrunde liegende Sachverhalt warf schwierige Tatsachen- und Rechtsfragen auf. Das gilt jedenfalls für die vom Beschwerdeführer angezweifelte Anrechnung des Betriebskostenguthabens auf den Leistungsanspruch und dessen Aufteilung auf einen Zeitraum von sechs Monaten. Zur Klärung dieser Frage durfte der Beschwerdeführer auch nicht an das Jobcenter verwiesen werden, weil dieses den angegriffenen Bescheid selbst erlassen hatte.

Die Einschätzung des Amtsgerichts, die vom Beschwerdeführer verfolgte Rechtsverfolgung sei mutwillig, ist nicht nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer hatte nicht pauschal die Überprüfung eines Leistungsbescheids begehrt, sondern bereits konkret aufgezeigt, auf welche Punkte sich seine Zweifel an der Richtigkeit der Bescheide bezogen. Insbesondere hat er die Richtigkeit der ‒ mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung tatsächlich nicht vereinbaren ‒ Anrechnung eines Betriebskostenguthabens über sechs Monate hinweg angezweifelt. Nähere Erläuterungen zu der nicht einfach gelagerten Frage, ob diese Aufteilung zulässig ist oder nicht, konnten von ihm bei der Beantragung von Beratungshilfe schlechterdings nicht erwartet werden.


Prozesskostenhilfe: Keine Absetzung der Prämienzahlungen auf nicht staatlich geförderten Rentenversicherungsvertrag

Die monatlichen Prämienzahlungen auf einen privaten, nicht staatlich geförderten Rentenversicherungsvertrag können im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens nicht vom heranzuziehenden Einkommen in Abzug gebracht werden. Welche Rentenversicherungsbeträge im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens grundsätzlich abzugsfähig sind, ist gesetzlich geregelt. Gemäß § 115 Abs. 1 S. 2 Nr. 1a ZPO i.V.m. § 82 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB XII sind nur staatlich geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 des Einkommensteuergesetzes abzugsfähig. Hierunter fallen entsprechend der Verweisung auf § 82 Abs. 1 EStG nur Leistungen auf einen nach § 5 AltZertG zertifizierten Altersvorsorgevertrag (sog. Riesterrente).

Landgericht Lübeck, Beschluss vom 25.02.2022, 14 T 2/22 (Volltext auch im ersten Kommentar)

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Beratungshilfeabrechnung: Berechtigungsschein muss nicht im Original eingereicht werden

(c) Bernd Kasper / pixelio.de

Mit Beschluss vom 16.02.2021 hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht zum Aktenzeichen 9 W 19/21 u.a. entschieden:

„Soweit die weitere Beschwerde darauf abstellt, dass die bloße Einreichung des gescannten Be­rechtigungsschein nicht ausreiche, wenn nicht zumindest eine Entwertung des auf elektroni­schem Weg übermittelten Berechtigungsscheines als Nachweis vorgelegt wird, damit die Mög­lichkeit ausgeschlossen werde, dass nach erfolgter Beratung der Berechtigungsschein einer wei­teren vergütungsberechtigten Person vorgelegt werden kann, greift dieser Einwand aus zwei Gründen nicht durch:

Zunächst wird entsprechend den Ausführungen in dem angegriffenen Beschluss unter Bezug­nahme auf die Entscheidung des OLG Saarbrücken darauf verwiesen, dass die Gefahr einer dop­pelten Auszahlung der Vergütung kaum bestehen dürfte. Denn nach Teil B Ziff. 1 der Verwal­tungsvorschrift über die Festsetzung der aus der Staatskasse zu gewährenden Vergütung vom 19. Juli 2005 (in der Fassung vom 18. April 2017) ist die Festsetzung der Vergütung der Bera­tungsperson – vorliegend also des Rechtsanwalts – zu der bei dem Gericht befindlichen Durch­schrift des Berechtigungsscheins zu nehmen. Für die Kostenbeamten wäre damit gegebenen­falls erkennbar, ob aufgrund des Berechtigungsscheins bereits eine Vergütung für die Beratungsperson festgesetzt und angewiesen wurde (vgl. entsprechend Saarländisches Oberlandesge­richt Saarbrücken, Beschluss vom 16. Dezember 2019-9W 30/19—, Rn. 20, juris).

Zum anderen ist für die Festsetzung der durch die Beratungsperson beanspruchten Vergütung gemäß § 55 Abs. 5 Satz 1 RVG in Verbindung mit § 104 Abs. 2 ZPO erforderlich – aber auch aus­reichend -, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für das Entstehen des Kostenansatzes aus den in Nr. 2500 ff; VV-RVG geregelten Gebührentatbeständen glaubhaft gemacht Werden. Denn eine Glaubhaftmachung reicht nach § 104 Abs. 2 ZPO für die Festsetzung der Kosten aus (BGH, Beschluss vom 13. April 2007-11 ZB 10/06—, Rn. 8, juris). Dabei setzen die aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren nach RVG VV-Nr. 2501 bis 2508 unter anderem die Erteilung eines Beratungshilfescheins voraus (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. Februar 2010­11-10 WF 3/10—, Rn. 2, juris). Indem der die Beratung durchführende Rechtsanwalt mit Vergü­tungsantrag vom 19. Februar 2020 über das besondere elektronische Anwaltsfach bei dem Amts­gericht Schleswig seinen Vergütungsanspruch gegenüber der Landeskasse geltend machte un­ter elektronischer Übersendung des Beratungshilfescheins, machte er auch dessen Erteilung glaubhaft durch anwaltliche Versicherung (vgl. hierzu: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 294 ZPO, Rn. 5; § 104 ZPO, Rn. 8).

Allein die Glaubhaftmachung zur Berechtigung der beantragten Vergütung ist Voraussetzung für die Vergütungsfestsetzung. Die Normen über die Festsetzung der Vergütung der Beratungsper­son bezwecken nicht den Ausschluss denkbarer Missbrauchsmöglichkeiten an dem erteilten Be­rechtigungsschein.“

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Einkommensfreibeträge 2021 für die Beratungs- und Prozesskostenhilfe … sinken!

Von Senior-Prof. Dr. Dieter Zimmermann, EH Darmstadt
(Mit Dank an den Infodienst Schuldnerberatung sowie Herrn Senior-Prof. Dr. Dieter Zimmermann für die Erlaubnis zur Nutzung des Beitrages auf diesem Blog – Link zur Originalquelle beim Infodienst Schuldnerberatung)

Mit Wirkung vom 01.01.2021 wurde § 115 Abs. 1 ZPO geändert, der den Einsatz von Einkommen und Vermögen für die Prozesskostenhilfe und die Verfahrenskostenhilfe im familiengerichtlichen Bereich sowie für die Beratungshilfe regelt. Auf Vorschlag des Bundestags-Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz wurde dem Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 kurz vor der entscheidenden Lesung im Bundestag noch ein Artikel 10 angefügt, im Plenum verabschiedet und am 29.12.2020 im BGBl. 2020 auf Seite 3254 veröffentlicht. Ohne größere rechtspolitische Diskussion ist in Zukunft nicht mehr der „höchste“ bundesweit gültige SGB-Regelsatz (aktuell Landkreis München) die verbindliche Bezugsgröße für die bundesweit einheitlichen Freibeträge, sondern die Basis bildet nun der „Regelsatz Bund“. § 115 Abs. 1 Satz 5 ZPO n.F. normiert allerdings, dass „soweit am Wohnsitz der Partei aufgrund einer Neufestsetzung oder Fortschreibung nach § 29 Absatz 2 bis 4 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch höhere Regelsätze gelten, … diese heranzuziehen“ sind.

Infolgedessen enthält die Prozesskostenhilfebekanntmachung 2021 erstmals vier Betragsspalten: eine Spalte mit den Freibeträgen „Bund“, die – fast – bundesweit gelten, sowie drei weitere Spalten, die exklusiv für die Landkreise Fürstenfeldbruck/Starnberg, den Landkreis München und die Stadt München höhere Freibeträge festschreiben.

Die neue Bezugsgröße „Bund“ führt für 2021 zu einer spürbaren Absenkung der Einkommensgrenze im Vergleich zu den 2020 bundesweit gültig gewesenen Freibeträgen!

Zum Vergleich sind in nachstehender Tabelle zusätzlich die höchsten Freibeträge 2021 für den Landkreis München vermerkt.

Die PKH-Bekanntmachung 2021 ist im BGBl. 2020, S. 3344 veröffentlicht und bringt folgende Veränderungen:

Einkommensfreibetrag für Rechtsuchende
(110% der Regelbedarfsstufe 1 – vgl. Rechenschritt 2.5.1)
2020: 501€ 2021 „Bund“: 491€  Landkreis München: 517€

Freibetrag, falls Rechtsuchender erwerbstätig ist
(50% der Regelbedarfsstufe 1 – vgl. Rechenschritt 2.5.2)
2020: 228€ 2021 „Bund“: 223€ Landkreis München: 235€

Unterhaltsfreibetrag für Ehegatte/Ehegattin
oder eingetragene/n Lebenspartnerin/Lebenspartner
(110% der Regelbedarfsstufe 1 – vgl. Rechenschritt 2.5.3)
2020: 501€  2021 „Bund“: 491€  Landkreis München: 517€

Unterhaltsfreibetrag für Erwachsene im Haushalt
(110% der Regelbedarfsstufe 3 – vgl. Rechenschritt 2.5.4)
2020: 400 2021 „Bund“: 393€ Landkreis München: 414€

Unterhaltsfreibetrag für Jugendliche von Beginn des 15.
bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres (14 bis 17 Jahre)
(110% der Regelbedarfsstufe 4 – vgl. Rechenschritt 2.5.5)
2020: 381€ 2021 „Bund“: 410€  Landkreis München: 432€

Unterhaltsfreibetrag für Kinder von Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres (6 bis 13 Jahre)
(110% der Regelbedarfsstufe 5 – vgl. Rechenschritt 2.5.6)
2020: 358€ 2021 „Bund“: 340€  Landkreis München: 359€

Unterhaltsfreibetrag für Kinder bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres (bis 5 Jahre)
(110% der Regelbedarfsstufe 6 – vgl. Rechenschritt 2.5.7)
2020: 289€ 2021 „Bund“: 311€  Landkreis München: 328€

Praxisrelevanz der neuen Einkommensgrenzen

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Kostenlose Rechtsberatung durch (anwaltlichen) Berufsbetreuer?

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Immer wieder berichten mir Betreuer, dass sie Probleme haben, für ihre Betreuten Beratungshilfe zu erhalten. So wurde etwa in jüngster Zeit ein (nicht anwaltlicher) Betreuer, der für die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens beim Amtsgericht Kiel um Beratungshilfe für seinen Betreuten nachgesucht hatte, aufgefordert darzulegen, inwieweit dieser sich als Betreuer „- vor Beauftragung eines Anwaltes – eigenständig um Klärung der Angelegenheit bemüht“ habe. Diese Erfahrungen waren für mich der Anlass, zum Stichwort „Beratungshilfe“ für die 31. Auflage 2020/2021 des „Leitfaden ALG II / Sozialhilfe“ unter 3.2.6. nachfolge Hinweise aufzunehmen:

„In der Praxis der Amtsgerichte kommt es immer wieder vor, dass betreuten Rechtsuchenden Beratungshilfe mit der Begründung verwehrt wird, ihr (anwaltlicher oder auch nicht anwaltlicher) Berufsbetreuer könne sie rechtlich beraten oder vertreten – etwa indem er Widerspruch bei einer Behörde für sie einlegt. Diese Praxis ist evident rechtswidrig. Der nicht anwaltliche Berufsbetreuer darf bereits keine Rechtsdienstleistungen erbringen. Aber auch der anwaltliche Berufsbetreuer ist nicht zu einer kostenlosen rechtlichen Beratung seines Betreuten verpflichtet. Er kann diese gemäß § 1835 Abs. 3 BGB nach anwaltlichem Gebührenrecht abrechnen (BGH, Beschluss vom 14.05.2014, XII ZB 683/11). Deswegen stellte die Beratung durch den anwaltlichen Berufsbetreuer keine „andere zumutbare Hilfsmöglichkeit“ im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG dar. Ein Rechtsanwalt als Berufsbetreuer muss nach den Grundsätzen der kostensparenden Amtsführung für den Betreuten deswegen sogar Beratungshilfe in Anspruch nehmen (AG Tempelhof-Kreuzberg, Beschluss vom 07.11.2013, 70a II 3276/13) und kann mit der Beratung oder Vertretung seines Betreuten auch einen fachkundigen Kollegen beauftragen.“

Es wäre im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege wünschenswert, wenn diese Grundsätze an den Amtsgerichten zukünftig stärker als bisher Beachtung finden würden.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Keine Beratungshilfe für die Einlegung eines Widerspruches nach Ablauf der Monatsfrist?

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Mit Beschluss vom 30.06.2020 hat das AG Kiel in der Beratungshilfeangelegenheit 7 II 1974/19 entschieden, dass ein Rechtsuchender mit geringem Einkommen, der gegen den Bescheid einer Behörde innerhalb der Monatsfrist keinen Rechtsbehelf einlegt, wohl aber innerhalb der Jahresfrist gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 SGG wegen nicht ordnungsgemäßer Rechtsmittelbelehrung (zu dieser Problematik siehe Rechtsmittelbelehrung muss auf elektronische Form hinweisen), auch für ein Widerspruchsverfahren keinen Anspruch auf Beratungshilfe hat. Zum Tatbestand und zur Begründung hat das AG Kiel ausgeführt:

I.) Die Antragstellerseite begehrt nachträglich Beratungshilfe. Als Angelegenheit ist im Antragsformular (Buchstabe A) benannt: „_________ _________________ – Widerspruch gegen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid 02.05.18 (01-02/18)“. Die Bevollmächtigte lege gegen den Bescheid unter der Annahme, die Widerspruchsfrist sei aufgrund einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung gewahrt, Widerspruch ein.

Das Amtsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss die Bewilligung von Beratungshilfe ablehnt, da die Inanspruchnahme von Beratungshilfe aufgrund des mit dem Zeitablaufs verbundenen Kostenrisikos mutwillig sei.

Hiergegen richtet sich die Erinnerung. Wegen der Begründung wird Bezug genommen auf den Schriftsatz vom 19.08.2019.

II.) Die Erinnerung hat keinen Erfolg.

1.) Die Voraussetzungen für eine Bewilligung von Beratungshilfe liegen für die Antragstellerseite nicht vor.

Auf Antrag ist Beratungshilfe zu bewilligen, wenn die Voraussetzungen des § 1 und § 2 BerHG vorliegen. Zudem muss das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis vorliegen (vgl. Büttner/Wrobel-Sachs/Gottschalk/Dürbeck, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 6. Aufl., Rn. 960).

Diese Voraussetzungen liegen bei dem Antrag der Antragstellerseite nicht vollständig vor. Der Antragstellerseite steht nämlich kein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite. Denn ihr oblag es – als Voraussetzung für eine Bewilligung von Beratungshilfe –, zunächst Eigenmaßnahmen im Rahmen von Beratungshilfe zu ergreifen.

Für das BVerfG ist unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten kein Verstoß gegen das Gebot der Rechtswahrnehmungsgleichheit erkennbar, wenn dem unbemittelten Rechtsuchenden die Bewilligung von Beratungshilfe wegen ausreichender Selbsthilfemöglichkeiten versagt wird (vgl. z.B. BVerfG NZS 2011, 462). Denn auch ein bemittelter Rechtsuchender würde bei ausreichend bestehenden Selbsthilfemöglichkeiten die Einschaltung eines Rechtsanwalts vernünftigerweise nicht in Betracht ziehen (vgl. BVerfG NJW 2009, 2417; BVerfG NZS 2011, 462). Der unbemittelte Rechtsuchende ist nämlich nur einem solchen bemittelten Rechtsuchenden gleichzustellen, bei seiner Entscheidung für die Inanspruchnahme von Rechtsrat auch die hierdurch entstehenden Kosten berücksichtigt und vernünftig abwägt (BVerfGE NJW 2009, 209; BVerfG NJW 2009, 3417; BVerfG NZS 2011, 462). Ein kostenbewusster Rechtsuchender wird dabei insbesondere prüfen, inwieweit er fremde Hilfe zur effektiven Ausübung seiner Rechte braucht oder selbst dazu in der Lage ist (BVerfG NZS 2011, 462).

Einfachrechtlich ist die Einordnung Selbsthilfe als Voraussetzung für die Bewilligung von Beratungshilfe zwar streitig. Das Gericht teilt indes die Ansicht, dass die Selbsthilfe im Rahmen des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses einzuordnen ist.

Ob ausreichende Selbsthilfemöglichkeiten bestehen, hängt insbesondere davon ab, ob der dem Beratungsanliegen zugrunde liegende Sachverhalt schwierige Tatsachen- oder Rechtsfragen aufwirft und der Rechtsuchende über besondere Rechtskenntnisse verfügt (vgl. BVerfG NJW 2009, 3417; BVerfG NZS 2011, 462). Ein pauschaler Verweis auf die Beratungspflicht der Behörde stellt indes keine zumutbare Selbsthilfemöglichkeit dar, wenn Ausgangs- und Widerspruchsbehörde identisch sind (BVerfG NJW 2009, 3417; BVerfG NZS 2011, 462). Abgestellt werden kann aber – ungeachtet der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage – darauf, dass der unbemittelte Rechtsuchende im konkreten Fall in der Lage ist, einen Widerspruch persönlich, das heißt ohne anwaltliche Hilfe einzulegen (BVerfG NZS 2011, 462). Das Bundesverfassungsgericht hat zu der Frage, im welchem Maße Eigenbemühungen im Rahmen des § 44 SGB X zumutbar sind, in seiner Entscheidung vom 19.08.2010 (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 19. August 2010 – 1 BvR 465/10 –, Rn. 15, juris) Folgendes ausgeführt:

„Die Rechtswahrnehmungsgleichheit fordert eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten im Bereich des gerichtlichen wie außergerichtlichen Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 122, 39 <48 f.>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Mai 2009 – 1 BvR 1517/08 -, NJW 2009, S. 3417). Dabei ist der Unbemittelte einem solchen Bemittelten gleichzustellen, der bei seiner Entscheidung für die Inanspruchnahme von Rechtsrat auch die hierdurch entstehenden Kosten berücksichtigt und vernünftig abwägt. Ein kostenbewusster Rechtsuchender wird dabei insbesondere prüfen, inwieweit er fremde Hilfe zur effektiven Ausübung seiner Verfahrensrechte braucht oder selbst dazu in der Lage ist.

(10) Die Frage nach der Selbsthilfe mag einfachrechtlich im Rahmen des Beratungshilfegesetzes umstritten sein (generell ablehnend Schoreit, in: Schoreit/Groß, Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe, 9. Aufl. 2008, § 1 Rn. 52; für Berücksichtigung im Rahmen eines allgemeinen Rechtsschutzinteresses: Kalthoener/Büttner/ Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Aufl., 2005, Rn. 954, 960). Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten ist aber jedenfalls kein Verstoß gegen das Gebot der Rechtswahrnehmungsgleichheit erkennbar, wenn ein Bemittelter deshalb die Einschaltung eines Anwalts vernünftigerweise nicht in Betracht ziehen würde.

(11) Bei der Bewertung dieser Frage, hat das Amtsgericht eine Abwägung im Einzelfall zu treffen. Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist insbesondere, wenn ein Rechtsuchender für das Widerspruchsverfahren zur Beratung an dieselbe Behörde verwiesen wird, gegen die er sich mit dem Widerspruch richtet (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. Mai 2009 – 1 BvR 1517/08 -, NJW 2009, S. 3419).

(12) Die Entscheidung des Amtsgerichts überschreitet dagegen die von der Rechtswahrnehmungsgleichheit gesetzten Grenzen nicht, wenn es hier vom Beschwerdeführer zunächst eigene Schritte zur Einleitung eines Überprüfungsverfahrens erwartet.

(13) Ein vernünftiger bemittelter Rechtsuchender müsste die Kosten der Rechtsverfolgung für ein Überprüfungsverfahren (§ 44 SGB X) selbst tragen, weil es ein neues Verwaltungsverfahren darstellt, das auf seinen Antrag ergeht und würde damit seine vorhandenen Mittel auf jeden Fall schmälern. Aufwendungen für die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts können im Erfolgsfall erst für ein Widerspruchsverfahren (§ 63 Abs. 2 SGB X), nicht aber für den Überprüfungsantrag erstattet werden (vgl. BSGE 55, 92). Insoweit kommt es auf die Bedeutung der Angelegenheit für den Rechtsuchenden an, die für die Vergangenheit nicht allein mit dem Hinweis auf die existenzsichernde Bedeutung der Leistungen begründet werden kann.

(14) Grundsätzlich ist es einem kostenbewussten Rechtsuchenden auch zumutbar, die Tatsachenklärung innerhalb der Widerspruchsfrist (§ 84 Sozialgerichtsgesetz) in Angriff zu nehmen. Unterbleibt dies ohne ersichtlichen Grund, so lässt sich die Notwendigkeit fremder Hilfe jedenfalls nicht mit den Schwierigkeiten begründen, die sich bei der Aufklärung länger zurückliegender Zeiträume wegen des Aktenumfangs und der Änderungen im Laufe der Zeit nahezu zwangsläufig ergeben. Eine verzögerte Überprüfung ohne konkrete Anhaltspunkte nimmt nur derjenige vor, für den Kosten keine Rolle spielen.

(15) Erfährt der Rechtsuchende nachträglich konkrete Anhaltspunkte, die aus seiner Sicht für die vergangene Leistungsgewährung von Bedeutung sein könnten, so ist es ihm grundsätzlich zumutbar, die Behörde zunächst selbst darauf aufmerksam zu machen. Dies gilt für Umstände zu seinen Lasten nicht anders als zu seinen Gunsten. Dem Rechtsuchenden bleibt es dabei unbenommen, nach Abschluss des Überprüfungsverfahrens ein Widerspruchsverfahren durchzuführen.“

Nach diesen Grundsätzen bestand für die Antragstellerseite die Möglichkeit, selbst bei der Behörde um eine Überprüfung des Bescheides nachzusuchen. Dies gilt in Fällen wie diesen unabhängig davon, ob für den Widerspruch die Monatsfrist oder aufgrund einer fehlerhaften Belehrung eine Frist von einem Jahr gilt. Denn ein kostenbewusster Rechtsuchender hätte sich aufgrund des Kostenrisikos innerhalb der im Bescheid mitgeteilten Frist um die Überprüfung des Bescheides bemüht. Da dies ohne erkennbaren Grund unterblieben ist, hat sich die Antragstellerseite nach Ablauf der benannten Frist zunächst selbst um die Überprüfung des Bescheides zu bemühen. Hierzu war sie auch in der Lage. Rechtliche oder tatsächliche Probleme sind insoweit weder vorgetragen noch sonst erkennbar. Daher hätte auch eine Partei, die selbst für die Kosten anwaltlicher Hilfe aufkommen muss, zunächst davon abgesehen, anwaltliche Hilfe zu suchen. Sonstige konkrete Anhaltspunkte für eine Unzumutbarkeit von Eigenbemühungen sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

2.)

Eine Kostengrundentscheidung ist nicht angezeigt. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Diese Entscheidung ist gemäß § 7 BerHG („… nur Erinnerung …“) nicht anfechtbar (so auch: OLG Schleswig v. 05.01.2011 – 2 W 271/10; OLG Schleswig v. 18.01.2011 – 2 W 8/11; LG Kiel v. 16.12.2009 – 3 T 364/09 OLG Hamm NJOZ 2011, 649 OLG Celle NJOZ 2011, 410 OLG Brandenburg NJOZ 2011, 409; OLG Naumburg NJOZ 2011, 1097 zu § 6 Abs. 2 BerHG a.F.). Die Zulassung der Beschwerde ist gesetzlich nicht vorgesehen.

Nach diesseitiger Rechtsauffassung wird in dem Beschluss des AG Kiel nicht hinreichend zwischen Widerspruchsverfahren und Überprüfungsverfahren differenziert: Für ein Widerspruchsverfahren ist nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG Beratungshilfe zu gewähren, eine Ablehnung verletzt einen Rechtsuchenden in seinem Grundrecht auf Rechtswahrnehmungsgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 i.V. mit Art. 20 Abs. 1 und 3 GG (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 11.05.2009, 1 BvR 1517/08; dem folgend: Beschlüsse vom 29.04.2015, 1 BvR 1849/11, 30.06.2009, 1 BvR 470/09, 31.8.2010, 1 BvR 2318/09, 14.9.2009, 1 BvR 40/09; 06.08.2009, 1 BvR 1554/08, 1 BvR 321/09, 1 BvR 320/09, 1 BvR 319/09, 1 BvR 281/09, 1 BvR 1550/08, 1 BvR 1551/08, 1 BvR 1552/08, 1 BvR 322/09), für ein Überprüfungsverfahren demgegenüber stellt die Ablehnung von Beratungshilfe jedenfalls keine Grundrechtsverletzung dar, d.h. Beratungshilfe kann, sie muss aber jedenfalls aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht gewährt werden.

Die vom AG Kiel in seinem Beschluss angeführte Entscheidung des BVerfG vom 19.08.2010, 1 BvR 465/10, betrifft nun aber gerade kein Widerspruchsverfahren, sondern ein Überprüfungsverfahren, während es in dem Beschluss des AG Kiel um Beratungshilfe für ein Widerspruchsverfahren – und das ist hier die einzige Besonderheit – innerhalb der Jahresfrist nach § 62 Abs. 2 Satz 1 SGG geht.

Der zentrale Satz im Beschluss des AG Kiel, mit dem das Gericht die Argumentation des BVerfG zu Überprüfungsverfahren auf Widerspruchsverfahren nach § 62 Abs. 1 Satz 1 SGG überträgt, lautet: „Denn ein kostenbewusster Rechtsuchender hätte sich aufgrund des Kostenrisikos innerhalb der im Bescheid mitgeteilten Frist um die Überprüfung des Bescheides bemüht.“ Einmal abgesehen davon, dass ein Rechtsuchender innerhalb der Monatsfrist natürlich gerade keine „Überprüfung“ beantragt, sondern Widerspruch erhoben hätte (und die Behörde selbst einen explizit gestellten „Überprüfungsantrag“ innerhalb der Monatsfrist vom Amts Wegen als „Widerspruch“ gedeutet und behandelt hätte), ist auch kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, warum ein „kostenbewusster“ Selbstzahler bei einer unrichtigen Rechtsmittelbelehrung „innerhalb der im Bescheid mitgeteilten Frist“ – also der Monatsfrist – hätte Widerspruch erheben sollen. Denn das vom AG Kiel vermutete „Kostenrisiko“ besteht für den Rechtsuchenden tatsächlich schließlich gerade nicht, wenn er bei unrichtiger Rechtsmittelbelehrung den Widerspruch nicht innerhalb eines Monats, sondern erst innerhalb der Jahresfrist einlegt.

Gegen den Beschluss des Amtsgericht Kiel ist ein Rechtsmittel nicht gegeben, § 7 BerHG.. 

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Für die Beratung über die Erfolgsaussichten einer Klage gegen einen Widerspruchsbescheid ist gesondert Beratungshilfe zu bewilligen

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Für die Beratung über die Erfolgsaussichten einer Klage gegen einen Widerspruchsbescheid ist gesondert Beratungshilfe zu bewilligen. Insbesondere bildet diese Beratungstätigkeit gebührenrechtlich keine einheitliche Angelegenheit mit dem vorausgegangenen Widerspruchsverfahren. Zur Begründung hat das AG Kiel, Beschluss vom 10.09.2020, 7 UR II 21/20 ausgeführt:

„Die Erinnerung hat in der Sache Erfolg. Denn das der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienen­de weitere Verwaltungsverfahren im Sinne des § 17 Nr. 1a Alt. 1 RVG endet mit einer Entschei­dung der für die Nachprüfung zuständigen Behörde oder mit Erhebung einer Untätigkeitsklage (Mock/Schneider/Wahlen in: Anwaltkommentar RVG, 6. Auflage 2012, § 17, Rn. 6; Mayer, Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, RVG § 17 Rn. 5, beck-online). Ist ein Widerspruchsverfahren ohne Erfolg geblieben bzw. ist ein solches Vorverfahren nicht vorgesehen, ist dem Rechtssuchen­den regelmäßig für die Beratung zum weiteren Vorgehen, insbesondere ob Klage erhoben wer­den soll, {Ergänzung von mir: Beratungshilfe} zu bewilligen (Groß in: Groß, Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe/Verfahrenskostenhilfe, 14. Aufl. 2018, § 1 [Voraussetzungen], Rn. 74). So liegt es jedenfalls hier, da inhaltlich über die Er­folgsaussicht und Zweckmäßigkeit der Klageerhebung beraten worden ist.“

Das hiesige Erinnerungsschreiben vom 27.04.2020 findet sich im Kommentarbereich.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Sonderregelungen für Gerichte und Staatsanwaltschaften für die Dauer der Pandemie des Coronavirus (SARS-CoV-2)

Das Ministerium für Justiz, Europa, Verbraucherschutz und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein hat zur Eindämmung der Corona-Pandemie Regelungen zur Beschränkung des Zugangs zu Gerichten und Staatsanwaltschaften erlassen. Für Rechtsuchende, die im Sozialrecht Rechtsschutz suchen, sind vor allem Nachfolgende Beschränkungen relevant:

1. Beratungshilfeanträge nur noch schriftlich

Beratungshilfe wird im Regelfall von den Amtsgerichten durch Ausstellung eines sog. Berechtigungsscheins gewährt, § 6 Abs. 1 BerHG. Hierzu ist in Kiel unter den Telefonnummern 604 – 2001 oder 604 – 2005 vorab ein Termin bei einem Rechtspfleger am Amtsgericht Kiel zu vereinbaren.

Rechtssuchende, die einen Berechtigungsschein beantragen wollen, werden zukünftig bis auf Weiteres auf die schriftliche Antragstellung verwiesen. Das schriftliche Verfahren bis zur Ausstellung eines Berechtigungsscheins dürfte absehbar länger dauern als die persönliche Antragstellung, da insbesondere direkt Nachfragen nicht mehr möglich sind. Es ist damit zu rechnen, dass hierdurch in noch größerem Maße als ohnehin schon etwa Widerspruchsfristen verstreichen werden, weil es von der Entscheidung, Widerspruch einlegen zu wollen, der Vereinbarung eines Termins am Amtsgericht Kiel, der Abgabe der Unterlagen beim Gericht, der Beantwortung etwaiger Nachfragen des Gerichts, der postalischen Übersendung des Berechtigungsscheins sowie der Vereinbarung eines Termins bei einem Rechtsanwalt länger als einen Monat dauern wird.

In Beratungshilfeangelegenheiten, in denen mit einer gewissen Sicherheit Beratungshilfe gewährt werden dürfte (etwa für Widerspruchsverfahren, vgl. grundlegend BVerfG 11.5.2009 – 1 BvR 1517/08; weiter Nachweise hier unter 3.3.3), sollte in der Zeit der Geltung des Erlasses der Weg über die sog. nachträgliche Beratungshilfe nach § 6 Abs. 2 BerHG gewählt werden und sich Rechtsuchende direkt an einen Anwalt ihrer Wahl wenden.

2. Fragebogen

Vor dem Zugang zu Gerichten und Staatsanwaltschaften ist zukünftig dieser Fragebogen auszufüllen.

3. Zutrittsverbot für bestimmte Personengruppen

Personen, die keine Justizbediensteten sind (einschließlich Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie anderen externen Organen der Rechtspflege), ist der Zutritt zu den Gerichten und Staatsanwaltschaften zu untersagen, wenn sie innerhalb der letzten 14 Tage

a) in einem internationalen Risikogebiet oder einem besonders betroffenen Gebiet in Deutschland entsprechend der Festlegung durch das Robert Koch-Institut (RKI) (tagesaktuell abrufbar unter: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuarti-ges_Coronavirus/Risikogebiete.html) waren,

b) in Österreich, der Schweiz oder der französischen Alpenregion waren, oder

c) Kontakt zu einer am Coronavirus erkrankten Person oder zu jemandem hatten, bei dem der Verdacht auf eine Coronavirus-Erkrankung besteht.

Gleiches gilt, soweit diese Personen unspezifische Allgemeinsymptome oder Atemwegsprobleme – gleich welcher Schwere oder Ausprägung – aufweisen und in den letzten vierzehn Tagen vor Erkrankungsbeginn eine der unter a) bis c) genannten Fallkonstellationen vorlag.

Soweit es sich um Personen, die zu einem Termin geladen wurden, oder deren Vertreterin oder Vertreter handelt, sind die für die Ausrichtung des Termins Verantwortlichen über die Zutrittsuntersagung unverzüglich zu informieren.

4. Nachtrag 21.04.2020: Mund-Nasen-Bedeckung erforderlich

Ab Mittwoch, den 22.042020 ist für alle externen Nutzer, zu denen auch die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gehören, die Nutzung einer Mund-Nasen-Bedeckung in den Räumen des Amtsgerichts Kiel grundsätzlich erforderlich ist. Dies gilt im Übrigen auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gerichtes, sofern diese sich auf öffentlich zugänglichen Flächen des Gerichtes aufhalten. Externe Nutzer sollen eigenen eigenen Mundschutz mit bringen. Ein medizinischer Mundschutz wird nicht verlangt, ausreichend sind auch etwa selbstgenähte Mund-Nasen-Bedeckungen. Für Notfälle hält das Amtsgericht Kiel Einmal-Mund-Nasen-Bedeckungen vor.

Anträge auf Bewilligung von Beratungshilfe sind bis auf weiteres weiterhin schriftlich einzureichen. Anträge können unter https://www.schleswig-holstein.de/DE/Justiz/AGKIEL/05_Service/_documents/05_9_Formulare/formulare.html heruntergeladen und ausgedruckt werden. Auf Nachfrage werden Anträge auf dem Postweg übersandt. Termine werden nur im Einzelfall vergeben.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Beratungshilfe: Erledigungsgebühr für einen erfolgreichen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X!

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Das LG Kiel hat mit Beschluss vom 24.01.2020 zum Aktenzeichen 5 T 53/19 die Entscheidung des AG Kiel bestätigt, wonach für ein erfolgreiches Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X die Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV RVG i.V.m. Nr. 2508 (1) VV RVG zur Entstehung gelangt.

Zum Thema siehe auch schon: Beratungshilfe: Erledigungsgebühr für einen erfolgreichen Überprüfungsantrag?

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Keine Beratungshilfe für die Vertretung in einem Mietsenkungsverfahren – manchmal

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Mit Beschluss vom 18.11.2019, Aktenzeichen 7 UR II 2226/19, hat das Amtsgericht Kiel in einem Richterbeschluss die nachträgliche Beratungshilfegewährung für die anwaltliche Beratung und Vertretung im Rahmen eines laufenden Mietsenkungsverfahren abgelehnt. Zur Begründung führt das Gericht aus, es fehle in diesen Fällen noch an einer rechtlichen Betroffenheit der Rechtsuchenden, weil eine „belastende Entscheidung“ der Behörde – in diesen Fällen der Bewilligungsbescheid, mit dem nur noch die abgesenkte Miete anerkannt wird – noch nicht vorliegt. Eine kostenbewusste Rechtsuchende hätte in dieser Situation die Entscheidung des Sozialleistungsträgers abgewartet, um sodann Widerspruch gegen die Entscheidung einzulegen und im Erfolgsfall ihre Kosten gegenüber dem Sozialleistungsträger geltend machen zu können, § 64 SGB X (so etwa BVerfG, Beschluss vom 07.02.2012, 1 BvR 804/11, Rn. 13).

Diese Entscheidung verwundert, weil es in dem vorliegenden Fall (anders als in der vom AG Kiel zitierten Entscheidung BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 09.01.2012, 1 BvR 2852/11, wo zudem die Prüfung behördenseitig noch gar nicht abgeschlossen war) um relativ schwierige rechtliche Fragen gegangen ist, die ohne fachkundigen juristischen Rat von den Rechtsuchenden nicht hätten beantwortet werden können (siehe das hiesige Schreiben an das Jobcenter Kiel in den Kommentaren). Zudem verkennt das Gericht, dass anwaltliche Beratung auch in einem laufenden Mietsenkungsverfahren erforderlich sein kann, um später nicht mehr zu reparierende Fehler – etwa bei der Dokumentation von Suchbemühungen – zu vermeiden. Zudem ließe sich füglich darüber streiten, ob Beratungshilfe schon immer dann abgelehnt werden sollte, wenn deren Ablehnung gerade noch keine Grundrechtsverletzung ist (Grundrecht auf Rechtswahrnehmungsgleichheit, Art. 3 Abs. 1 i.V. mit Art. 20 Abs. 1 und 3 GG) – und nichts anderes prüft das BVerfG ja.

Für die anwaltliche Praxis bedeutet diese Entscheidung, dass der Anwalt Rechtsuchenden in Mietsenkungsverfahren raten muss, bei dem zuständigen Amtsgericht vor dem Aufsuchen eines Rechtsanwalts einen Berechtigungsschein zu beantragen (§ 6 Abs. 1 BerHi). Wird dieser erteilt, was durchaus vorkommt, kann das Amtsgericht im Rahmen der Kostenfestsetzung später die Festsetzung von Beratungshilfe nicht mehr ablehnen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 22.5.2007, 8 W 169/07). Wird der Berechtigungsschein nicht erteilt, hat der Rechtsuchende die Wahl, entweder den Anwalt selbst zu bezahlen oder den Bewilligungsbescheid, mit dem nur noch die Mietobergrenze anerkannt wird, abzuwarten, und alsdann einen Anwalt aufzusuchen. Im Sinne einer vernünftigen Rechtspflege ist das alles nicht, aber offenbar so gewollt.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Beratungshilfe: Erledigungsgebühr für einen erfolgreichen Überprüfungsantrag?

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Zu einer umstrittenen Frage im anwaltlichen Gebührenrecht gehört, ob die Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV RVG (hier bei Beratungshilfe nach Nr. 2508 (1) VV RVG) zur Entstehung gelangt, wenn die Behörde aufgrund anwaltlicher Tätigkeit einen zuvor abgelehnten Bescheid erlässt. Vielfach wird dies – mit nie überzeugenden Begründungen, siehe dazu meinen Kommentar in den Kommentaren mit der Begründung meiner Erinnerung im konkreten Fall – abgelehnt.

Das AG Kiel hat mit Beschluss vom 12.11.2019, 7 UR II 2126/17 nun entschieden, dass in diesen Fällen die Erledigungsgebühr festzusetzen ist. Zur Begründung führt das Gericht eher knapp aus:

Dem Bevollmächtigten steht die geltend gemachte Erledigungsgebühr zu. Nr. 1002 VV-RVG ist jedenfalls entsprechend anwendbar, da die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung dieser Vorschrift, nämlich eine planwidrigen Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage, vor­liegen. Hierzu findet sich in der Kommentarliteratur (BeckOk RVG/Hofmann, 45. Ed. 1.12.2018, RVG W 1002 Rn. 10-8) Folgendes:

„Dennoch ist entgegen des Gesetzeswortlautes VV 1002 ergänzend auch auf die Fälle anwendbar, in denen es außerhalb des sonst üblichen Widerspruchsverfahrens gelingt, vor Einreichung der Klage die Behörde zur Aufhebung oder Änderung ihres Verwaltungsaktes zu bewegen.

VV 1002 soll iErg den Anwendungsbereich der Erfolgsgebühr des VV 1000 ergänzen, sodass auch dort, wo kein Vertrag geschlossen werden kann, für die Vermeidung eines Gerichtsverfahrens oder die Erledigung eines Gerichtsverfahrens de Belohnungsgebühr gezahlt werden kann. Daher muss hier ei­ne Auslegung erfolgen: dem Gesetzgeber kam es auf das Ergebnis der Erledigung ohne die Durchfüh­rung eines Gerichtsverfahrens an. Wenn dieses Ergebnis erreicht wird, soll umfassend eine Beloh­nungsgebühr anfallen.

Der Gesetzgeber hat, wie die beratenden Gremien zuvor, das Problem schlicht übersehen.“

Dem schließt sich das Gericht an. Der erkennbare Zweck der Honorierung in Form der Einigungs- und Erledigungsgebühren liegt in der vorgerichtlichen Klärung der Rechtsverhältnisse.

Um der Landeskasse die Möglichkeit zu geben, die Reichweite des Gebührentatbestandes der Nr. 1002 VV RVG zu klären, hat das Amtsgericht die Beschwerde zum Landgericht zugelassen. Mit Schriftsatz vom 21.11.2019 ist Landeskasse gegen den Beschluss des AG Kiel in die Beschwerde gegangen.

Nachtrag 29.01.2020: Das LG Kiel hat mit Beschluss vom 24.01.2020 zum Aktenzeichen 5 T 53/19 die Entscheidung des AK Kiel bestätigt, wonach für ein erfolgreiches Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X die Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV RVG i.V.m. Nr. 2508 (1) VV RVG zur Entstehung gelangt.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


AG Kiel: In Beratungshilfeangelegenheiten muss Termin vereinbart werden

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Seit dem 02.05.2019 muss beim Amtsgericht Kiel in Beratungshilfeangelegenheiten vorab telefonisch ein Termin vereinbart werden. Der Berechtigungsschein wird nach wie vor im Termin direkt mitgegeben. Der Termin ist beim Servicepoint unter der Durchwahl 604 – 2001 oder 604 – 2005 zu vereinbaren (Link zur Info). Als Grund für diese Änderung nennt das Amtsgericht die gestiegene Anfrage nach Berechtigungsscheinen für die anwaltliche Beratung und/oder Vertretung durch Bürger mit geringem Einkommen.

Zum vereinbarten Termin sind folgende Unterlagen mitzubringen (Link zur Info):

1. Vollständig ausgefüllter und vom Antragsteller persönlich unterschriebener Antragsvordruck „Antrag auf Bewilligung von Beratungshilfe“ (Das Antragsformular kann hier heruntergeladen werden). Alternativ ist das Antragsformular auch am Servicepoint des Amtsgerichts erhältlich. Bitte planen Sie zum Ausfüllen des Formulars vor Ort genügend Zeit ein, andernfalls kann der vergebene Termin nicht eingehalten werden.

2. Gültiges amtliches Ausweisdokument (z.B. Personalausweis oder Reisepass)

3. Unterlagen/Schriftverkehr, aus denen sich die Angelegenheit ergibt, für die Beratungshilfe beantragt wird (Schriftwechsel etc.).

4. Belege über aktuelles, laufendes Einkommen (Lohnabrechnungen, Renten- oder sonstige Bescheide, Mieteinnahmen, Kindergeld, Bafög, Unterhaltszahlungen, Arbeitslosengeldbescheid, Wohngeldbescheid).

5. Zahlungsbelege/Kontoauszüge oder Online-Banking auf Ihrem Mobiltelefon zu laufenden Ausgaben (Miete, Nebenkosten, Heizkosten, Versicherungen, Zahlungsverpflichtungen etc.) Bitte Kontoauszüge oder Online-Banking der letzten 6 Wochen vorlegen!

6. Unterlagen, aus denen sich der Wert vorhandener Vermögenswerte ergibt (Sparbuch, Lebensversicherung etc.).

7. Ggf. eine Vollmacht, falls ein Dritter den Antrag stellt (Der Gegenstand der Vollmacht ist zu bezeichnen und vom Vollmachtgeber zu unterzeichnen und mit Datum zu versehen). Bitte beachten Sie, dass der Antragsvordruck für die Bewilligung von Beratungshilfe trotz Bevollmächtigung von dem Antragsteller persönlich zu unterzeichnen ist!

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Beratungshilfe: Zur Erhöhungsgebühr bei der Vertretung von Bedarfsgemeinschaften im SGB II

(c) Thorben Wengert / pixelio.de

Die Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG ist auch im Bereich der Beratungshilfe anzuwenden.

Vertritt ein Rechtsanwalt mehrere Mitglieder einer SGB II-Bedarfsgemeinschaft, die alle – hier von einer Kürzung der Unterkunftskosten – betroffen und damit beschwert sind, kommt die Erhöhungsgebühr nach Nr. 1008 VV RVG zur Entstehung.

Dies gilt auch, wenn nur ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Beratungshilfe beantragt und nur diesem durch die Ausstellung eines Berechtigungsscheines Beratungshilfe bewilligt worden ist. Denn der Antragsteller kann sich in diesen Fällen von einem Anwalt nicht sinnvoll in einer Weise vertreten lassen, die nicht zugleich eine Vertretung der Interessen seiner Familienangehörigen mit umfasst. Unter diesen Umständen kann es keine Rolle spielen, dass die weiteren Familienmitglieder, die der Antragsteller mit vertreten hat, keinen eigenen Beratungshilfeanspruch geltend gemacht haben. Es ist zudem auch sachgerecht, dass in Fällen wie diesem nur ein Beratungshilfeantrag gestellt wird, da die Stellung etwa einzelner Beratungshilfeanträge für jedes Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft als mutwillig im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 BerHiG anzusehen wäre, weil dadurch höhere Kosten als erforderlich verursacht würden (vgl. dazu auch BVerfG, Beschluss vom 08.02.2012, 1 BvR 1120/11).

Landgericht Kiel, Beschluss vom 05.07.2018, 7 T 8/18

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Beratungshilfe: Keine Vertretungsgebühr, wenn der Widerspruch vom Anwalt nicht begründet wird

(c) Thorben Wengert / pixelio.de

Beratungshilfe ist auch im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens für die Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht „erforderlich“ im Sinne von § 2 Abs. 1 BerHG, wenn der Rechtsanwalt den Widerspruch lediglich erhebt, anschließend aber nicht begründet. Denn einen unbegründeten Widerspruch kann ein Rechtsuchender auch ohne anwaltliche Hilfe einlegen.

Landgericht Kiel, Beschluss vom 02.07.2018, 7 T 12/18

Anmerkung: Offenbar lassen die Amtsgericht in Schleswig-Holstein jetzt vermehrt die Beschwerde gegen ihre Beschlüsse in Beratungshilfesachen wegen „grundsätzlicher Bedeutung“ zu (vgl. § 56 Abs. 2 Satz 1 RVG i.V.m. § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG). Das ist im Interesse einer Vereinheitlichung der Rechtsprechung in Beratungshilfesachen ausdrücklich zu begrüßen.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Beratungshilfe: Ein neues Mieterhöhungsverlangen ist eine neue Angelegenheit

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Die „Begründung“ im Richterbeschluss fällt – vorsichtig gesagt – knapp aus (AG Kiel, Beschluss vom 26.02.2018, 7 UR II 6453/17): „Es handelt sich um eine neue Angelegenheit.“ Für alle Kollegen, die sich mit ähnlichen Selbstverständlichkeiten herumärgern müssen, hier der Hinweis auf ein Beschluss des AG Halle zum Thema:

1. Bei Mieterhöhungsverlangen wird wegen der Schwierigkeit der rechtlichen Probleme – auch unter dem Gesichtspunkt der Rechtswahrnehmungsgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten – regelmäßig Beratungshilfe zu gewähren sein.

2. Zur Frage, wann eine Angelegenheit oder mehrere Angelegenheiten i.S.d. § 2 Abs. 2 BerHG vorliegen.

AG Halle, Beschluss vom 18.01.2011, 103 II 6570/10

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Beratungshilfe: „Ausnahmsweise“ einmaliger telefonischer Klärungsversuch ausreichend

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Mit Beschluss vom 23.01.2017 zum Aktenzeichen 7 UR II 23/16 hat das AG Kiel einen Rechtspflegerbeschluss aufgehoben, mit dem ein Antrag auf Beratungshilfe mit der Begründung abgelehnt worden war, der Rechtsuchende hätte sich ohne anwaltliche Hilfe selbst um eine Lösung der Angelegenheit bemühen können, die Beantragung von Beratungshilfe sei deswegen „mutwillig“ im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs 3 BerHG gewesen.

Im Erinnerungsverfahren wurde nun richterlich bestätigt, dass der Rechtsuchende seine vor Aufsuchen eines Anwalts stattgehabten „Eigenbemühungen“ glaubhaft gemacht hat. Aufgrund der Dringlichkeit und der Bedeutung der Angelegenheit sowie der glaubhaft gemachten Reaktion des Gegners sei „ausnahmsweise ein einmaliger telefonischer Klärungsversuch ausreichend“ gewesen.

Anmerkungen

Das Vertretungsmandat in dieser Angelegenheit hat vom 15.03.2012 bis zum 28.03.2012 gedauert. Es konnte für den Rechtsuchenden am 28.03.2012 in zwei Telefonaten erfolgreich bearbeitet und abschlossen werden. Das Verfahren über die Beantragung von Beratungshilfe sowie das sich anschließende Erinnerungsverfahren haben vom 30.12.2015 bis zum 26.01.2017 gedauert und es waren insgesamt 9 Schriftsätze abzusetzen. Ich lasse das jetzt einfach einmal kommentarlos so stehen.

Rechtsuchenden und auch der Rechtsanwaltschaft ist vor dem Hintergrund der neueren Rechtspraxis an vielen Amtsgerichten, die Beratungshilfe von der Glaubhaftmachung zuvor stattgehabter sog. „Eigenbemühungen“ des Rechtsuchenden abhängig zu machen, zu raten, diese im Fall der nachträglichen Beantragung von Beratungshilfe (vgl. dazu Stichwort Beratungshilfe, 1.) genau zu notieren und etwaige schriftliche Nachweise zur Akte zu nehmen. Gegebenenfalls empfiehlt es sich, gleich in der ersten Beratung eine Versicherung des Rechtsuchenden über Art um Umfang seiner „Eigenbemühungen“ aufzunehmen. Im Regelfall wird der Anwalt vor dem Hintergrund der stark von Kontingenzen geprägten Rechtsprechung zu der Frage, wann die Inanspruchnahme von Beratungshilfe mutwillig ist, auf die Vorlage eines Berechtigungsscheins bestehen. Dies ist die logische Folge einer Gesetzgebung, die – anstatt Ansprüche klar zu formulieren – in zunehmendem Umfang nicht nur mit unbestimmten Rechtsbegriffen operiert, sondern zur (scheinbaren) Konkretisierung der von ihr bemühten unbestimmten Rechtsbegriffe neue – genauso unbestimmte – Rechtsbegriffen einführt. § 1 Abs. 3 BerHG steht hierfür als Paradefall:

Mutwilligkeit liegt vor, wenn Beratungshilfe in Anspruch genommen wird, obwohl ein Rechtsuchender, der keine Beratungshilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände der Rechtsangelegenheit davon absehen würde, sich auf eigene Kosten rechtlich beraten oder vertreten zu lassen. Bei der Beurteilung der Mutwilligkeit sind die Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers sowie seine besondere wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen.“

Mit dieser Formulierung hat der Gesetzgeber zum 01.01.2014 die bisherige Rechtsprechung des BVerfG zur „zumutbaren Selbsthilfe“ umgesetzt. Wie derartiges soft law indessen in der tagtäglichen (Beratungshilfe)Praxis umgesetzt werden soll, erschließt sich vermutlich nur mit höheren Weihen gesegneten obersten Bundesrichtern und unserem bundesdeutschen Gesetzgeber des 21. Jahrhunderts.

Das Amtsgericht Kiel jedenfalls hat nun festgestellt: Eigenbemühungen können auch fernmündlich erfolgen und wenn es sehr eilt und um wichtige Rechtsgüter geht, dann genügt ausnahmsweise auch ein einmaliger Klärungsversuch. Derartiger Kasuistik gehört offenbar die Zukunft.

Siehe auch: AG Halle (Saale), Beschluss vom 08.02.2012, 103 II 931/11: Auch Telefongespräche mit dem Gegner stellen eine Vertretung im Sinne des § 2 Abs. 1 BerHG dar.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Keine Beratungshilfe für das Widerspruchsverfahren, wenn für das Überprüfungsverfahren Beratungshilfe gewährt wurde?

Logo BVerfGWurde Beratungshilfe für die Stellung eines Überprüfungsantrages gewährt, soll die Ablehnung der Beratungshilfe für ein anschließendes Widerspruchsverfahren den Rechtssuchenden nicht in seinem grundgesetzliche verbürgten Anspruch auf Rechtswahrnehmungsgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3 GG verletzen. Denn mit der anwaltlichen Beratung im Überprüfungsverfahren sei auch die anwaltliche Beratung im anschließenden Widerspruchsverfahren als bereit gewährt anzusehen (BVerfG, Beschluss vom 7. November 2016 – 1 BvR 1517/16 – ).

Bewertung

Diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts überzeugt nicht. Verwaltungsverfahren, Überprüfungsverfahren und Widerspruchsverfahren sind – was gebührenrechtlich vollkommen unstrittig weil gesetzlich eindeutig normiert – verschiedene Angelegenheiten (§ 17 Nr. 1a RVG). Sie werden deswegen vom Rechtsanwalt auch gesondert abgerechnet. Die vom anwaltlichen Vergütungsrecht abweichende Rechtsprechung des BVerfG im Bereich der Beratungshilfe führt damit dazu, dass unbemittelte Bürger ihre Rechte nicht in gleicher Weise wahrnehmen können wie bemittelte Bürger, die ihren Anwalt in beiden Verfahren – Überprüfungs- und Widerspruchsverfahren – bezahlen können.

Zudem vermag die These, mit der Gewährung von Beratungshilfe für das Überprüfungsverfahren sei auch die gewünschte Beratungshilfe für das Widerspruchsverfahren als bereits gewährt anzusehen, nur in Fällen zu überzeugen, in denen im widerspruchsfähigen Ablehnungsbescheid keine neuen tatsächlichen oder rechtlichen Fragen zu beurteilen sind, die im vorangegangenen Überprüfungsverfahren noch nicht aufgeworfen worden sind.

Zuletzt relativiert das BVerfG mit dieser Entscheidung seine bisherige ständige Rechtsprechung, wonach für Widerspruchsverfahren stets Beratungshilfe zu gewähren ist (vgl. Stichwort Beratungshilfe, dort unter 3.3.3). Da die Beschlüsse des Amtsgerichts Bayreuth nicht veröffentlicht sind, lässt sich hier allerdings nicht abschließend beurteilen, inwieweit die Gründe für diese Entscheidung sich in dem konkreten Einzelfall finden lassen.

Dem Rechtsanwalt kann aufgrund von Entscheidungen wie dieser nur geraten werden, Beratungshilfe nur noch gegen Vorlage eines Berechtigungsscheins zu gewähren, da sich die Voraussetzungen der Beratungshilfegewährung zunehmend der rationalen Vorhersehbarkeit entziehen.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Amtsgericht Kiel: Erneut rechtswidriger Verweis an das Büro der Bürgerbeauftragen

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Wie in diesem Blog berichtet, häuften sich bereits im Jahre 2009 bei dem Büro der Bürgerbeauftragten und in der Anwaltschaft die Hinweise, dass RechtspflegerInnen am Amtsgericht Kiel Rechtsuchenden die Gewährung von Beratungshilfe unter Hinweis auf die angeblich vorrangige Inanspruchnahme der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein verweigern. Das Büro der Bürgerbeauftragen war seinerzeit an das Amtsgericht Kiel mit seinem Schreiben vom 04.09.2009 herangetreten. Auf dieses Schreiben hat das Büro der Bürgerbeauftragten – wie es mir gegenüber einmal mit Recht kritisch angemerkt hat – nie eine Antwort erhalten.

Offenbar versucht das Amtsgericht Kiel 7 Jahre später erneut, Rechtsuchenden ihr verfassungsrechtlich geschütztes Grundrecht auf Rechtswahrnehmungsgleicheit vorzuenthalten, indem es Rechtsuchende neuerlich an das Büro der Bürgerbeauftragen verweist – und dies selbst dann, wenn die Rechtsuchenden bereits einen Rechtsanwalt aufgesucht hatten. Zu dieser rechtswidrigen Gerichtspraxis hat das Büro der Bürgerbeauftragten mit Schreiben vom 25.02.2016 nun erneut in der gebotenen Deutlichkeit Stellung genommen:

„Ich danke Ihnen zunächst für den Hinweis, dass das Amtsgericht Kiel die Gewährung von Beratungshilfe von einer vorrangigen Inanspruchnahme der Bürgerbeauftragten abhängig macht. Zuletzt wurde diese Problematik im Jahr 2009 an uns herangetragen.

Grundsätzlich begrüße ich es, wenn die Einrichtung der Bürgerbeauftragten von anderen Institutionen empfohlen wird, um kompetente Hilfe, Beratung und Unterstützung zu erhalten. Ich möchte jedoch darauf aufmerksam machen, dass die Bürgerinnen und Bürger eine Petition beim Schleswig-Holsteinischen Landtag führen (vgl. §§ 2 und 3 BÜG), wenn sie sich an die Bürgerbeauftragte wenden. Das in der Verfassung verankerte Petitionsrecht beruht ausnahmslos auf Freiwilligkeit. M. E. kann daher das Führen einer Petition keine Voraussetzung für die Gewährung von Beratungshilfe sein.

Ich möchte hier auch auf das Wahlrecht der Petenten hinweisen. Übersenden Petenten ihre Petition in einer sozialen Angelegenheit an den Petitionsausschuss des Landtages, leitet dieser die Petitionen nur mit dem Einverständnis der Petenten an die Bürgerbeauftragte weiter. Die Petenten haben somit das Recht, eine Bearbeitung ihrer Petition durch den Petitionsausschuss zu verlangen. Es wäre ein seltsames Ergebnis, wenn die Petenten nun bei einer geplanten Inanspruchnahme von Beratungshilfe gezwungen wären, zunächst eine Petition bei der Bürgerbeauftragten zu führen.

Abschließend möchte ich anmerken, dass Petenten die bereits einen Anwalt aufgesucht haben, nur dann von der Bürgerbeauftragten unterstützt werden dürfen, wenn der Anwalt zustimmt (vgl. § 3 Abs. 3 BüG). Wird also ein Petent vom Amtsgericht zur Bürgerbeauftragten geschickt und berichtet, dass er bereits einen Anwalt aufgesucht hat, werden wir in der Sache unmittelbar nicht tätig, sondern nehmen Kontakt zum Anwalt auf. Dieser kann dann eine Hilfe durch die Bürgerbeauftragte ablehnen und der Verweis des Amtsgerichtes auf die angeblich vorrangige Hilfe der Bürgerbeauftragten gebt ins Leere. Dieser wenig hilfreiche ‚Kreisverkehr‘ sollte unbedingt vermieden werden.

Ich hoffe, dass Sie beim Gericht erreichen können, dass derartige Verweise in Zukunft unterbleiben.“

Es bleibt zu hoffen, dass auch die betreffenden RechtspflegerInnen am Amtsgericht Kiel zu einer rechtmäßigen Bewilligungspraxis zurückfinden.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Auswertung der Umfrage zur Beratungsbewilligungspraxis in den einzelnen Landgerichtsbezirken

Die Rechtsanwaltskammer hat im Februar 2015 die Kammermitglieder gebeten, sich an einer Umfrage zur Bewilligungspraxis der Beratungshilfe in ihren einzelnen Landgerichtsbezirken zu beteiligen. Dieser Bitte sind dankenswerterweise insgesamt 72 Kolleginnen und Kollegen nachgekommen. Die größte Anzahl der Rückläufer (31) kam aus dem Landgerichtsbezirk Kiel, die geringste Anzahl aus dem Landgerichtsbezirk Itzehoe (6).

Der Arbeitskreis hatte die Kolleginnen und Kollegen gebeten, sich mit folgender Fragestellung zu befassen:

1.) Wie sieht die Praxis ihres Amtsgerichts mit der nachträglichen Bewilligung von Beratungshilfe aus?

2.) Erhalten Sie regelmäßig zum ersten Beratungstermin einen Berechtigungsschein für Beratungshilfe? Wenn nein, wie verfahren Sie?

3.) Stimmt die „Angelegenheit“, für die nach dem Berechtigungsschein Beratungshilfe erteilt wurde überein mit dem Anliegen Ihres Mandanten?

4.) Können Sie mit einem Berechtigungsschein mehrere Angelegenheiten abrechnen? Wenn ja, in welchen Fällen?

5.) Legen Sie bei der Abrechnung Nachweise für Ihre Tätigkeit bei?

6.) Schicken Sie zum Nachweis einer mündlichen Beratung Aktenvermerke mit?

Zusammengefasst ergab sich für die einzelnen Landgerichtsbezirke ein im Kern homogenes Ergebnis. Die Bewilligungspraxis ist nicht unproblematisch. Im Einzelnen:

Landgerichtsbezirk Kiel

Die an der Umfrage teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen haben u.a. lange Wartezeiten für die Antragstellerin und Antragsteller beklagt. Zum Teil komme es, wenn der Antrag persönlich gestellt werde, zu Wartezeiten von bis zu 1 Stunde.

Wenn ein schriftlicher Antrag gestellt werde, gäbe es zum Teil Bearbeitungszeiten von 4 Wochen bis 2 Monaten, andererseits aber kurze Fristsetzung für die Ergänzung von Unterlagen, wenn der Antrag nicht vollständig gewesen sei.

Teilweise würden die Berechtigungsscheine nur per Post verschickt, was wiederum zu Zeitverlusten führe. Zudem sei diese Handhabung auch deshalb problematisch, weil der Rechtsuchende nicht weiß, ob ihm überhaupt ein Berechtigungsschein erteilt werde.

Die Amtsgerichte Rendsburg und Neumünster sind dazu übergegangen, bei nachträglicher Bewilligung keine Berechtigungsscheine an den Anwalt zu schicken, sondern ein formloses Schreiben, dass Beratungshilfe dem Grunde nach beansprucht werden könne. Daraus ergibt sich, dass in der Folge dann die Notwendigkeit anwaltlicher Tätigkeit wieder in Frage gestellt werden kann, wenn die Arbeit getan und abgerechnet ist.

Auch erteilte Berechtigungsscheine würden nachträglich vom Rechtspfleger in Frage gestellt, was ebenfalls zu einer Verunsicherung der Antragstellerinnen bzw. der Antragsteller führe.

Die häufigsten Schwierigkeiten bei der nachträglichen Bewilligung der Beratungshilfe ergeben sich daraus, dass wiederholt Belege für die Bedürftigkeit nachgefordert werden würden, obwohl die zum Zeitpunkt der Antragstellung notwendigen Belege dem Antrag beigefügt gewesen seien. In einem Fall erhielt ein Mandant Hinweise, die den beauftragten Rechtsanwalt diskreditierten.

Landgerichtsbezirk Lübeck

Im Landgerichtsbezirk Lübeck wurde beklagt, dass die Öffnungszeiten des Amtsgerichts für die Bewilligung der Beratungshilfe arbeitnehmerunfreundlich seien. Die Antragstellerinnen und Antragsteller müssten sich hierfür extra einen Tag Urlaub nehmen, denn die Öffnungszeiten der Gerichte seien nur vormittags zwischen 9.00 Uhr und 12.00 Uhr.

1/3 der Teilnehmer der Umfrage berichtete darüber, dass sie bereits Erfahrungen damit gemacht hätten, dass die Antragstellerinnen oder die Antragsteller, die persönlich den Berechtigungsschein beantragten, weggeschickt worden seien.

Wenn die Antragstellerinnen oder die Antragsteller einen Berechtigungsschein erhalten, differenziere dieser häufig im Betreff nicht zwischen zwei unterschiedlichen Gegnern, so beispielsweise im Sozialrecht. Es komme dann zu Abrechnungsschwierigkeiten.

Die nachträgliche Bewilligung der Beratungshilfe gestalte sich schwierig, denn es gäbe ein hohes Nachweiserfordernis. Zum Teil würde Belege verlangt werden, die nicht auf den Zeitpunkt der Antragstellung abstellten.

Auch die Abrechnung mache Probleme, zum Teil erfolgt die Auszahlung lange Zeit nach der Antragstellung. In einem Fall wurde von einer Auszahlung erst nach 9 Monaten berichtet.

Die Einigungsgebühr sei in der Abrechnung besonders problematisch. Kolleginnen und Kollegen müssten umfangreich thematisieren, ob eine Einigung zustande gekommen sei oder nicht. Es gäbe hohe Anforderungen an die Nachweiserbringung.

Die Abrechnungspraxis in Familiensachen sei von Rechtspfleger zu Rechtspfleger unterschiedlich. Zum Teil werde z.B. in Familiensachen ein Berechtigungsschein bewilligt mit dem Verweis, dass hierauf 3 Angelegenheiten abgerechnet werden könnten. Andererseits könnten 4 Angelegenheiten abgerechnet werden, entsprechend der Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Oberlandgerichts.

Die Rotation der Rechtspfleger sei ungünstig.

Landgerichtsbezirk Itzehoe

Aufgrund der Distanzen zu den jeweiligen Amtsgerichten ergab sich, dass überwiegend nachträgliche Anträge gestellt werden, deren Bearbeitungsdauer sich hinziehe.

Die Bezeichnung der Angelegenheiten sei in der Regel zutreffend. Sollte das nicht der Fall sein, gäbe es aber auch keine größeren Probleme. Die Abrechnung mehrerer Angelegenheiten in Familiensachen sei unproblematisch über einen erteilten Berechtigungsschein möglich.

Bei der Abrechnung seien Tätigkeitsnachweise beizufügen, allerdings nicht für eine mündliche Beratung.

Die Bearbeitungszeit verzögere sich zum Teil dadurch, dass neben der Begründung der Angelegenheit für die Beratungshilfe beantragt werde, vom Mandanten selbst Nachweise gefordert werden.

Problematisch sei die Abrechnung einer Tätigkeitsgebühr, nicht nur einer Beratungsgebühr in sozialhilferechtlichen Angelegenheiten.

Landgerichtsbezirk Flensburg

Berechtigungsscheine liegen überwiegend vor der Beratung vor. In den ländlichen Bereichen sei es indes für die Antragstellerinnen und Antragsteller schwierig, sich zu den Öffnungszeiten der Amtsgerichte dort hinzubegeben, um einen Schein zu beantragen.

Die nachträgliche Bewilligung der Beratungshilfe habe sich mittlerweile verbessert.

Im Rahmen der Abrechnung sind Tätigkeitsnachweise erforderlich, für die Beratung überwiegend nicht. Die Abrechnung auf einen erteilten Berechtigungsschein sei nur mit hohem Begründungsaufwand möglich und führe ggf. zu einem Fristenproblem, da die gesetzliche Frist kurz bemessen ist.

Die Anliegen auf dem Berechtigungsschein stimmen häufig nicht überein mit den Inhalten des Mandats.

Die Praxis der Amtsgerichte in Familiensachen ist unterschiedlich. Zum Teil werden direkt 4 Berechtigungsscheine erteilt. Andere Gerichte erteilen lediglich einen Schein, auf dem dann 4 Anliegen abgerechnet werden können, wobei auch hier der Begründungsaufwand nicht im Verhältnis stehe.

Die Umfrage ist zwar nicht repräsentativ, sie spiegelt lediglich einen kleinen Ausschnitt dessen wieder, was die teilnehmenden Kolleginnen und Kollegen im Rahmen der Bewilligungspraxis bei den unterschiedlichen Amtsgerichten erleben. Gleichwohl lassen sich hieraus die nachfolgenden Empfehlungen ableiten:

Sinnvoll erscheint Folgendes:

1.)

  • Vorlage eines Berechtigungsscheines durch den Mandanten vor Mandatsübernahme (die überwiegende Zahl der Kollegen, die sich an der Umfrage beteiligt haben, verfährt bereits so, dass das erste Gespräche konsequent erst geführt wird, wenn der Berechtigungsschein vorliegt!)
  • Die Antragstellerinnen und Antragsteller müssen bei Gericht auf Erteilung eines Berechtigungsscheins bestehen (und von den Anwaltsbüros erforderlichenfalls entsprechend unterrichtet werden!), sofern die Voraussetzungen für die Bewilligung der Beratungshilfe vorliegen. Die Antragstellerinnen oder Antragsteller haben einen Anspruch auf Erteilung des Scheines, es ist nicht hinzunehmen, wenn dem Antragsteller lediglich ein Beratungshilfeantrag ausgehändigt wird.
  • In ländlichen Räumen sollten die Kolleginnen und Kollegen darauf hinweisen, dass die Antragstellerinnen und Antragsteller den Berechtigungsschein auch schriftlich beim Amtsgericht beantragen können.

2.)

Es wäre wünschenswert, wenn die Amtsgerichte arbeitnehmerfreundliche Sprechstunden einrichten könnten.

3.)

Wenn Angelegenheiten im Berechtigungsschein falsch oder ungenau bezeichnet sind, zum Beispiel weil bei einer sozialrechtliche Angelegenheit der Gegner nicht genannt ist, sollte Kontakt zum Amtsgericht aufgenommen werden und Konkretisierung verlangt werden. Selbiges gilt für die Bezeichnung der Sache in Familiensachen: Hier muss klargestellt werden, ob mehrere Angelegenheiten abgerechnet werden können. Zu Beginn der Mandatsanbahnung muss dies geklärt werden. Insbesondere ist dabei auf die 4-Wochenfrist hinzuweisen, damit sowohl für den Rechtsuchenden, als auch für den Rechtsanwalt Klarheit besteht. Allerdings ist wohl davon auszugehen, dass diese Diskussionen nicht von den Mandanten selbst geführt werden können.

4.)

Bei der nachträglichen Beantragung sollte bei den Gerichten darauf hingewirkt werden, dass eine Klärung erfolgt, welche Nachweise üblicherweise verlangt werden. Es wäre hilfreich, wenn die Amtsgerichte hier detaillierte Merkzettel für die Antragstellerinnen und Antragsteller entwerfen könnten, die auch den Rechtsanwälten zugänglich gemacht werden. Zudem wäre es hilfreich, wenn die Amtsgerichte Merkzettel auch für die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte entwerfen würden, aus denen sich ergibt, welche Tätigkeitsnachweise in welchen Fällen vorzulegen sind.

5.)

Die Antragsteller bzw. ihre Anwälte sollten bei der Erteilung des Scheins größeres Augenmerk auch auf die Vermögenssituation der Antragstellerinnen und Antragsteller legen und nicht lediglich auf die Einkommenssituation. Die Maßstäbe, die hier anzusetzen sind, sind die gleichen, wie bei der Prozess,- bzw. Verfahrenskostenhilfebewilligung (es gilt Sozialhilferecht nach dem SGB XII, nicht nach dem SGB II!).

6.)

Die Kammer empfiehlt den Kolleginnen und Kollegen, einen „Runden Tisch“ mit den beteiligten Rechtspflegern eines Amtsgerichtsbezirks zu initiieren, um darauf hinwirken, dass eine Vereinheitlichung der Bewilligungs- und Abrechnungspraxis erfolgt, die allen Kolleginnen und Kollegen in den jeweiligen Amtsgerichtsbezirken bekannt gemacht wird. Auch bestünde Gelegenheit, grundsätzliche „Missverständnisse“ anzusprechen, wie etwa den stereotypen Satz, dass der Antragsteller sich in einem Widerspruchsverfahren gegenüber einer Behörde doch auch selbst vertreten könne. Die Akzeptanz bei den Rechtspflegern für einen solchen Austausch wird sicher wachsen, wenn wir darauf hinweisen, dass dann auch für die Rechtspfleger die Möglichkeit bestünde, Probleme von Seiten der Antragsteller anzusprechen, die diesen den Alltag verleiden…

In bereits stattgefundenen Gesprächen, die beim Amtsgericht Schleswig und beim Amtsgericht Meldorf geführt worden sind, konnten gute Ergebnisse erzielt werden.

Der „Arbeitskreis Beratungshilfe“ bei dem Vorstand der Rechtsanwaltskammer bietet hierbei gerne Unterstützung an und würde sich auch über gelegentliche Rückmeldungen freuen.

Quelle: http://www.rak-sh.de/auswertung-der-umfrage-zur-beratungsbewilligungspraxis-in-den-einzelnen-landgerichtsbezirken/


BVerfG: Ablehnung von Beratungshilfe erfordert einzelfallbezogene Begründung

Logo BVerfGPressemitteilung Nr. 84/2015 vom 13. November 2015

Beschluss vom 07. Oktober 2015
1 BvR 1962/11

Die nachträgliche Gewährung von Beratungshilfe für die Einlegung und Begründung eines Widerspruchs darf nicht mit dem pauschalen Hinweis darauf abgelehnt werden, dass die antragstellende Person den Widerspruch selbst hätte einlegen können. Dies hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit heute veröffentlichtem Beschluss bekräftigt. Da die Erfolgsaussichten eines Widerspruchs auch von dessen sorgfältiger Begründung abhängen, bedarf die Ablehnung der Beratungshilfe in solchen Fällen einer einzelfallbezogenen Begründung. Einer Verfassungsbeschwerde hat die Kammer stattgegeben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Sachverhalt und Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer beantragte über seinen bevollmächtigten Rechtsanwalt beim Amtsgericht die nachträgliche Gewährung von Beratungshilfe für einen Widerspruch gegen die Ablehnung seines Antrags auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation. Er wies darauf hin, dass der Bevollmächtigte den Widerspruch bereits eingelegt habe. Der Antrag wurde zunächst durch Verfügung der Rechtspflegerin und – auf die Erinnerung des Beschwerdeführers – durch richterlichen Beschluss abgelehnt. Die Inanspruchnahme der Beratungshilfe sei mutwillig; zudem sei es dem Beschwerdeführer ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, den Widerspruch selbst beim Rentenversicherungsträger einzulegen.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtswahrnehmungsgleichheit.

  1. Das Grundgesetz verbürgt in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3 GG die Rechtswahrnehmungsgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten auch im außergerichtlichen Bereich. Dabei brauchen Unbemittelte nur solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, die bei ihrer Entscheidung für die Inanspruchnahme von Rechtsrat auch die hierdurch entstehenden Kosten berücksichtigen und vernünftig abwägen. Kostenbewusste Rechtsuchende werden dabei insbesondere prüfen, inwieweit sie fremde Hilfe zur effektiven Ausübung ihrer Verfahrensrechte brauchen oder selbst dazu in der Lage sind. Ob diese zur Beratung notwendig ist oder Rechtsuchende zumutbar auf Selbsthilfe verwiesen werden können, hat das Fachgericht unter Berück­sichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls abzuwägen.
  2. Das Amtsgericht hat ohne die verfassungsrechtlich gebotene Einzelfallprüfung den Beratungshilfeantrag des Beschwerdeführers abgelehnt und sein Beratungshilfebegehren sogar für mutwillig erachtet. Es verweist den Beschwerdeführer für die Einlegung des Widerspruchs auf die Selbsthilfe, ohne konkret zu prüfen, ob ein bemittelter Rechtsuchender die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe für das Widerspruchsverfahren in Betracht ziehen würde. Der richterliche Beschluss lässt zudem den Vortrag des Beschwerdeführers in seiner Erinnerung außer Acht, dass er die anwaltliche Hilfe auch für die Begründung des Widerspruchs beantrage. Das Amtsgericht verkennt, dass regelmäßig nicht bereits die bloße Erhebung des Widerspruchs zur begehrten Änderung der angefochtenen Entscheidung führt, sondern erst dessen sorgfältige Begründung. Den Entscheidungen ist keine Begründung dazu zu entnehmen, warum die beantragte Beratung für die Durchführung des Widerspruchsverfahrens entbehrlich gewesen sein soll und der Beschwerdeführer deshalb zumutbar auf Selbsthilfe verwiesen werden konnte.

Erst recht trägt der pauschale Hinweis auf ein angebliches Bestreben des Beschwerdeführers, für jegliche Lebenslagen eine anwaltliche Vertretung zu erlangen, die Annahme einer Mutwilligkeit des Antrags auf Beratungshilfe für das konkrete Widerspruchsverfahren wegen der Ablehnung einer Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation nicht.

Mehr zum Thema im Stichwort „Beratungshilfe„.


Beratungshilfe: Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren sind verschiedene Angelegenheiten

(c) Thorben Wengert / pixelio.de

(c) Thorben Wengert / pixelio.de

Verwaltungsverfahren und Widerspruchsverfahren sind gebührenrechtlich zwei verschiedene Angelegenheiten, so dass für beide Verfahren – bei Vorliegen der Beratungshilfevoraussetzungen im Übrigen – gesondert Beratungshilfe zu bewilligen ist.

Mit Beschluss vom 21.08.2015 hat eine Rechtspflegerin am AG Rendsburg Beratungshilfe für ein Widerspruchsverfahren mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der Teilidentität der Begründung im Rahmen einer Anhörung sowie dem sich anschließenden Widerspruchsverfahren läge gebührenrechtlich eine Angelegenheit vor. Dem bin ich mit Erinnerung vom 28.08.2015 entgegen getreten. Der Erinnerung wurde mit Rechtspflegerbeschluss vom 30.09.2015 abgeholfen und zur Begründung ausgeführt:

Nach § 2 Abs. 2 BerHG wird Beratungshilfe in „Angelegenheiten“ gewährt. Eine nähere Bestimmung dieses Begriffs findet sich nicht im Beratungshilfegesetz, wohl aber in § 15 ff. RVG. Der Antragstellervertreter hat richtig ausgeführt, dass sich die Beurteilung, ob eine oder mehrere Angelegenheiten vorliegen, nach § 15 ff. RVG richtet.

Gemäß § 17 Nr. 1 a RVG handelt es sich bei dem Verwaltungsverfahren und dem einem gerichtlichen Verfahren vorausgehende und der Nachprüfung des Verwaltungsaks dienende weitere Verwaltungsverfahren um verschiedene Angelegenheiten.

Das Verwaltungsverfahren bis zum Erlass oder bis zur Ablehnung eines Verwaltungsaktes und das Verfahren nach Einspruch oder Widerspruch zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes durch die Verwaltungsbehörde stellen daher zwei Angelegenheiten dar (Mayer/Kroiß, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 6. Auflage 2013, § 17 Rn. 5).

Es bleibt zu hoffen, dass diese Frage damit auch in anderen Beratungshilfeangelegenheiten als geklärt gelten kann.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Beratungshilfe für Beratung im Anhörungsverfahren nach § 55 OwiG

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Mit Beschluss vom 16.06.2015 hatte eine Rechtspflegerin am AG Kiel den Antrag auf Beratungshilfe für die – im Ergebnis erfolgreiche – Vertretung einer Betroffenen Hartz-IV-Empfängerin im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 55 OwiG wegen einer angeblich begangenen Ordnungswidrigkeit nach § 63 Abs. 1 Nr. 6 SGB II abgelehnt und zur Begründung ausgeführt:

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Beratungshilfegesetz kann Beratungshilfe gewährt werden, wenn keine anderen Möglichkeiten zur Verfügung stehen, deren Inanspruchnahme dem Rechtssuchenden zuzumuten ist, und wenn nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 BerHG die Wahrnehmung der Rechte nicht mutwillig ist.

Dem Antragsteller stand eine andere zumutbare Möglichkeit für eine Hilfe im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG zur Verfügung, nämlich die Inanspruchnahme der Beratung durch das Jobcenter, zu welcher diese nach § 14 SGB 1 verpflichtet ist. Im Antrag- und im Anhörungsverfahren ist – anders als im Widerspruchsverfahren – die Beratung durch die Behörde eine andere zumutbare Möglichkeit für eine Hilfe im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG (vgl. Beschluss AG Halle (Saale) vom 17.05.2011, 103 11695/11, juris).

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 30. Juni 2009 (Az. 1 BvR 470/09, juris) entschieden, dass es im Anhörungsverfahren dem Rechtssuchenden zumutbar ist, die Beratung der Behörde in Anspruch zu nehmen, insbesondere da die Behörde – anders als im Widerspruchsverfahren – noch keine belastende Entscheidung getroffen hat.

Dadurch, dass das Jobcenter bislang keine schriftliche rechtsmittelfähige Entscheidung in dieser Angelegenheit getroffen hat, besteht darüber hinaus derzeit kein nachweisbares konkretes Rechtsproblem. Erst wenn das Jobcenter die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes durch Beschluss einstellt, besteht ein konkretes Rechtsproblem bei dem sich die Frage stellt, ob die Einlegung eines Rechtsmittels sinnvoll wäre.

In der Gesamtbetrachtung war daher der Antrag auf Beratungshilfe zurückzuweisen.

In einem weiteren Beschluss führte die Rechtspflegerin ergänzend aus:

Auch das anwaltliche Schreiben beinhaltet lediglich einen Tatsachenvortrag. Warum dieses die Antragstellerin nicht selbst hätte vortragen können, erschließt sich der Unterzeichnerin nicht.

Beratungshilfe ist im übrigen regelmäßig zu versagen, wenn sich die anwaltliche Tätigkeit im wesentlichen auf allgemeine Hilfe wie Schreib- und Lesehilfe und/oder auf Hilfe zur Überwindung von Verständnis- oder Sprachschwierigkeiten beschränkt (Schoreit/Groß, Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe, 9. Auflage, RdNr. 13 zu §1 BerHG).

Gegen den Beschluss habe ich mit Schriftsatz vom 19.06.2015 und 30.06.2015 Erinnerung eingelegt, der mit Richterbeschluss vom 04.08.2015 stattgegeben wurde. Das Gericht führt in seinem Beschluss u.a. aus:

Anders als im dortigen Verfahren [Anm.: BVerfG, Beschluss vom 30.06.2009, 1 BvR 470/09] war hier die Inanspruchnahme der anhörenden Behörde keine andere zumutbare Hilfe. Dort ging es um eine Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X, also um eine Anhörung vor Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes. Hier wurde die Antragstellerin gemäß § 55 OwiG angehört, ihr wurde also eine sanktionsbewehrte Ordnungswidrigkeit vorgeworfen. In dieser Situation ist dem Rechtsuchenden der Verweis auf die Informations- und Fürsorgepflichten der ermittelnden Behörde nicht mehr zumutbar. Zwar ist die Behörde gehalten, auch entlastende Umstände zu ermitteln, die Anhörung nach § 55 OwiG findet jedoch nur statt, wenn die Verwaltungsbehörde einen begründeten Anfangsverdacht annimmt. Die Behörde war hier also bereits repressiv tätig. Auch ein bemittelter Rechtssuchender würde in einem solchen Fall nicht erst bis zum Erlass eines Bußgeldbescheides zuwarten.

Die Vertretung in diesem Mandat erfolgte im Übrigen pro bono, da – was zu kritisieren ist – das Gesetz Vertretungshilfe u.a. im Ordnungswidrigkeitsrecht ausschließt, § 2 Abs. 2 Satz 2
BerHG.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Ablehnung eines Beratungshilfeantrags erfordert förmliche Entscheidung

Logo BVerfGWird einem Antrag auf anwaltliche Beratung nach dem Beratungshilfegesetz nicht in vollem Umfang entsprochen, muss hierüber grundsätzlich förmlich entschieden werden. Dies hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit am 3. Juni 2015 veröffentlichtem Beschluss bekräftigt. Dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG genügt es nicht, wenn das Amtsgericht den Beratungshilfeantrag nach Erteilung mündlicher Hinweise durch den Rechtspfleger als erledigt erachtet, obwohl ausdrücklich eine anwaltliche Beratung gewünscht war. Zudem überdehnt die Verweisung auf die Beratungsstelle der Behörde, gegen die Widerspruch eingelegt werden soll, den Begriff der „Zumutbarkeit“ vorrangiger anderer Hilfsmöglichkeiten. Einer Verfassungsbeschwerde hat die Kammer stattgegeben und die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Sachverhalt und Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin beantragte beim Amtsgericht einen Berechtigungsschein für eine anwaltliche Beratung nach dem Beratungshilfegesetz. Ihr Antrag auf Erwerbsminderungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung war abgelehnt worden; hiergegen wollte sie – mit anwaltlicher Hilfe – Widerspruch einlegen. Der Rechtspfleger beim Amtsgericht wies die Beschwerdeführerin mündlich darauf hin, dass sie Widerspruch bei der Rentenversicherung einlegen oder sich an die Auskunfts- und Beratungsstelle der Rentenversicherung wenden könne. Er stellte weder einen Berechtigungsschein aus noch beschied er den Antrag förmlich.

Die Beschwerdeführerin legte hiergegen „Erinnerung, hilfsweise Beschwerde“ beim Amtsgericht ein, mit der sie konkret darlegte, aus welchen Gründen sie Widerspruch erheben wolle und aufgrund welcher Erkrankungen sie nicht in der Lage sei, das Widerspruchsverfahren ohne anwalt­lichen Beistand zu betreiben. Die Richterin beim Amtsgericht wies die Erinnerung mit Beschluss vom 10. Juni 2011 zurück. Die Beratungshilfe sei nicht abgelehnt, sondern durch die Hinweise des Rechtspflegers gewährt worden. Die Sache sei damit erledigt; die Bescheidung einer Ablehnung komme daher nicht in Betracht.

Wesentliche Erwägungen der Kammer:

Der Beschluss des Amtsgerichts vom 10. Juni 2011 verstößt gegen das Gebot der Rechtsschutzgleichheit.

  1. Die Auslegung und Anwendung des Beratungshilfegesetzes obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Das Bundesverfassungsgericht kann hier nur dann eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffenen Entscheidungen auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtswahrnehmungsgleichheit beruhen. Die Fachgerichte überschreiten ihren Entscheidungsspielraum erst dann, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird. Dabei müssen Unbemittelte nur solchen Bemittelten gleichgestellt werden, die bei ihrer Entscheidung für die Inanspruchnahme von Rechtsrat auch die hierdurch entstehenden Kosten berücksichtigen und vernünftig abwägen und insbesondere prüfen, inwieweit sie fremde Hilfe zur effektiven Ausübung ihrer Verfahrensrechte brauchen oder diese selbst geltend machen können.
  2. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts nicht. Das Amtsgericht hätte den beantragten Berechtigungsschein erteilen müssen.
  3. a) Das Amtsgericht durfte nicht davon ausgehen, dass sich das Beratungshilfebegehren aufgrund der Hinweise des Rechtspflegers erledigt hat, da die Beschwerdeführerin ausdrücklich einen Beratungshilfeschein für die Konsultation eines Rechtsanwalts beantragt hatte.
  4. b) Zudem wird der Verweis auf Selbsthilfe dem Anspruch der Beschwerdeführerin auf Rechtsschutzgleichheit nicht gerecht. Aufgrund des mit der Erinnerung von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Sachverhalts war hinreichend deutlich, dass das von ihr beabsichtigte Widerspruchsverfahren tatsächliche und rechtliche Fragen aufwirft, für deren Klärung auch ein kostenbewusster solventer Rechtsuchender einen Rechtsanwalt in Anspruch nähme anstatt selbst Widerspruch zu erheben.
  5. c) Auch soweit das Amtsgericht es für zumutbar erachtet hat, die Beratungsstelle des Rentenversicherungsträgers in Anspruch zu nehmen, wird die Rechtsschutzgleichheit der Beschwerdeführerin verletzt. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden hat, wird der Begriff der Zumutbarkeit von den Fachgerichten überdehnt, wenn ein Rechtsuchender für das Widerspruchsverfahren zur Beratung an dieselbe Behörde verwiesen wird, gegen die er sich mit dem Widerspruch richtet.
  6. d) Da sich der Beratungshilfeantrag nicht durch die Erteilung der Hinweise erledigt hat, hätte der Rechtspfleger über ihn entscheiden müssen. Die hiervon abweichende Vorgehensweise des Rechtspflegers erschwert ohne erkennbaren Sachgrund den Zugang der Beschwerdeführerin zu Rechtsberatung für das von ihr beabsichtigte Widerspruchsverfahren. Sie erschwert auch generell die Durchsetzung des Anspruchs auf Beratungshilfe, weil ein vor Bewilligung von Beratungshilfe in der Regel noch nicht anwaltlich vertretener Antragsteller mangels eines mit Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Beschlusses nicht ohne weiteres weiß, dass und wie er gegen die Versagung der Beratungshilfe vorgehen kann.

Quelle: Pressemitteilung Nr. 38/2015 vom 3. Juni 2015

Die Entscheidung im Volltext findet sich hier: Beschluss vom 29. April 2015, 1 BvR 1849/11


Für die Abwehr einer Stadtwerkeforderung ist Beratungshilfe zu gewähren

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Aufgrund der ganz erheblichen Probleme bei der Gewährung von Beratungshilfe, von denen aus der Anwaltschaft und von Mandanten zunehmend berichtet wird, veröffentliche ich hier ab jetzt regelmäßig die Richterbeschlüsse in Beratungshilfesachen meiner Mandanten.

In diesem Fall hatte ich über die Erfolgsaussichten der Abwehr einer Forderung der Stadtwerke Kiel nach einer Gaspreiserhöhung beraten. Eine Rechtspflegerin am AG Kiel hatte die Gewährung von Beratungshilfe mit folgender Begründung abgelehnt:

„Beratungshilfe wird gemäß § 1 Abs. 1 BerHG (nur) für die Wahrnehmung von Rechten ge­währt. Es ist nicht erkennbar, für welches Rechtsproblem hier anwaltliche Hilfe in Anspruch ge­nommen werden soll, sodass der Antrag zurückzuweisen war.
Zudem standen dem Antragsteller andere Möglichkeiten für eine Hilfe zur Verfügung (Kun­denservice des Versorgers für evtl. Nachfragen, Mieterverein), deren Inanspruchnahme dem Rechtsuchenden zuzumuten ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG).“

Dem Beschluss bin ich im Erinnerungswege entgegen getreten und habe darauf hingewiesen, dass es sich bei einer Beratung über die Erfolgsaussichten einer Klage wegen einer als unbillig (vgl. § 315 BGB) erachteten Gaspreiserhöhung sowie der Abwehr einer angedrohten Versorgungsunterbrechung nach §§ 30, 33 AVBGasV sehr wohl um die Wahrnehmung von „Rechten“ handelt, der Mieterverein lediglich seine Mitglieder und diese auch nur in mietrechtlichen Angelegenheiten berät sowie die Stadtwerke weder Rechtsrat erteilen dürfen noch unabhängig über die Erfolgsaussichten von gegen sie selbst angestrebte Klagen beraten werden. Alles – so sollte man eigentlich meinen – Selbstverständlichkeiten. Meiner Erinnerung hat das Amtsgericht Kiel mit Beschluss vom 14.04.2015 dann auch in der geboten Kürze stattgegeben.

Mehr zum Thema u.a. hier:

Amtsgericht Kiel verweist Rechtsuchende erneut an das Büro der Bürgerbeauftragten

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Antrag auf Beratungshilfe zur Durchsetzung einer Forderung in Höhe von 29,84 € ist nicht mutwillig

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Im Jahre 2011 wandte sich ein Rechtssuchender mit der Bitte an mich, eine Restforderung aus einem Kleiderkauf für seine Kindern in Höhe von 29,84 € gegenüber der Kindermutter geltend zu machen. Zuvor hatte der Rechtssuchende die Kindesmutter mehrfach erfolglos zur Zahlung des Restbetrages aufgefordert. Trotz des wirtschaftlichen Ungleichgewichts zwischen den Kosten der Beratungshilfe in Höhe von damals 99,96 € und der Restforderung von 29,84 € – das im Rahmen der Mandatsaufnahme auch ausführlich erörtert wurde – habe ich mich nicht zuletzt auch wegen des angespannten Verhältnisses zwischen den Eltern zur Annahme des Beratungshilfemandats entschlossen und die Forderung im Ergebnis erfolgreich für meinen Mandanten durchgesetzt. Mit Beschluss vom 28.01.2015 wies die Rechtspflegerin in der Folge den Antrag auf Gewährung von Beratungshilfe als mutwillig im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 BerHG zurück. Zur Begründung führte sie aus, Mutwilligkeit läge vor, wenn Beratungshilfe in Anspruch genommen wird, obwohl ein Rechtssuchender, der keinen Beratungshilfe beanspruchen kann, bei verständiger Würdigung aller Umstände der Rechtsangelegenheit davon absehen würde, sich auf eigene Kosten anwaltlich beraten zu lassen. Eine wirtschaftlich denkende selbstzahlende Partei nämlich würde vor dem Hintergrund der Geringfügigkeit der Forderung nicht Rechtsanwaltskosten von rund 100 € aufwenden, um sich beraten zu lassen. Dem ablehnenden Rechtspflegerbeschluss bin ich mit Erinnerung vom 02.02.2015 entgegen getreten, da die dort vertretene rein wirtschaftliche Betrachtungsweise bei Bürgern mit geringem Einkommen in ihrer Konsequenz zu einer „rechtschutzfreien Zone“ bis zum aktuellen Beratungshilfesatz von 121,38 € (bei Verlangen der Eigenbeteiligung von 15 € bis 136,38 €) führen würde.

Mutwilligkeit in der Regel erst bei unter 10 €

Mit Beschluss vom 14.04.2015 zum Aktenzeichen 7 UR II 11433/14 hat das AG Kiel meiner Erinnerung stattgegeben und zur Begründung ausgeführt:

Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Beratungshilfe (§§ 1 f. BerHG) liegen vor. Insbesondere erscheint die Inanspruchnahme von Beratungshilfe (noch) nicht mutwillig. In einer Entscheidung vom 19.08.2014 (Az. 7 II 2135/14) hat das Gericht zur Frage der Mutwilligkeit bei Bagatellforderungen Folgendes ausgeführt: „Auf Antrag ist Beratungshilfe unter anderem nur dann zu bewilligen, wenn die Inanspruchnahme der Beratungshilfe nicht mutwillig erscheint. Mutwilligkeit liegt nach § 1 Abs. 3 BerHG vor, wenn Beratungshilfe in Anspruch genommen wird, obwohl ein Rechtsuchender, der keine Beratungshilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände der Rechtsangelegenheit davon absehen würde, sich auf eigene Kosten rechtlich beraten oder vertreten zu lassen. Bei der Beurteilung der Mutwilligkeit sind die Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers sowie seine besondere wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber hatte bei der Regelung insbesondere den Fall möglicher Eigeninitiative im Blick (BT-Drs 17/11472, S. 37). Mutwillig ist in der Regel aber auch die Beantragung von Beratungshilfe bei einer Bagatellforderung von unter 10,- €, weil wegen des Missverhältnisses von Kosten und Nutzen ein Nichtbedürftiger auf die Konsultation eines Rechtsanwaltes verzichten würde (AG Halle, Beschluss vom 22.8.2011, Az. 103 II 1513/11).“ Bei der notwendigen individuellen Betrachtung ist die Grenze zur Mutwilligkeit hier angesichts der wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerseite noch nicht erreicht.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Das neue Antragsformular für die Beratungshilfe

Bernd Kasper / pixelio.de

(c) Bernd Kasper / pixelio.de

Am 19.12.2013 hat der Bundesrat die „Verordnung zur Verwendung von Formularen im Bereich der Beratungshilfe“ (BerHFV) mit einigen Änderungen versehen verabschiedet. Die BerHFV ist am 09.01.2014 im Bundesgesetzblatt verkündet worden und damit in Kraft getreten. Ab dem 09.01.2014 muss daher das neue Formular verwendet werden. Im Rahmen des Entwurfs für das Beratungshilfeformular hat die Bundesrechtsanwaltskammer eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen gemacht (Stellungnahme Nr. 21/2013), von denen das Bundesjustizministerium einige aufgegriffen hat. So wird etwa – wie bisher – nur nach dem Beruf und der Erwerbstätigkeit und nicht auch nach dem Bildungsabschluss des rechtsuchenden Antragstellers gefragt. Die für die Praxis wichtigsten Neuerungen sollen hier kurz dargestellt werden.

Andere Möglichkeiten kostenloser Beratung

Unter B ist für eine positive Beratungshilfeentscheidung an zweiter Stelle zu erklären: „In dieser Angelegenheit besteht für mich nach meiner Kenntnis keine andere Möglichkeit, kostenlose Beratung und Vertretung in Anspruch zu nehme.“ Entfallen ist die bisherige beispielhafte Aufzählung „(z.B. als Mitglied eines Mietervereins, einer Gewerkschaft oder einer anderen Organisation)“, welche sich jetzt nur noch in dem „Hinweisblatt zum Antrag auf Beratungshilfe“ befindet. Möglichkeiten für eine kostenlose Beratung sind:

  • Bei Mitgliedschaft in einem Mieterverein (etwa dem Kieler Mieterverein) der Mieterverein für das Rechtsgebiet Mietrecht.
  • Bei Mitgliedschaft in einem Sozialverband (etwa dem SoVD oder dem VDK) der entsprechende Verband für das Rechtsgebiet Sozialrecht.
  • Bei Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft (etwa Verdi) die Gewerkschaft für die Rechtsgebiete Arbeitsrecht und ggf. Sozialrecht.

Keine andere Möglichkeit für eine kostenlose Beratung sind demgegenüber:

  • Die öffentliche Rechtsberatung im Kieler Rathaus, denn hier wird im Regelfall eine einkommensabhängige Verwaltungsgebühr erhoben. Diese liegt zwischen 5 € und 26 €. Ausnahme: Sozialleistungsempfängerinnen und Sozialleistungsempfänger erhalten Gebührenbefreiung bei Beratungen im Arbeits-, Miet-, Erb- und Familienrecht sowie in Pfändungssachen. Allerdings wird hier nur Beratung gewährt, so das bei Vertretungsbedarf im Arbeits-, Miet-, Erb- und Familienrecht sowie in Pfändungssachen auch für diese Rechtsgebiete die öffentliche Rechtsberatung keine „andere Möglichkeit“ im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHiG ist.
  • Das Büro der Bürgerbeauftragten, denn Bürgerinnen und Bürger führen eine Petition (vgl. §§ 2 und 3 Bürgerbeauftragtengesetz), wenn sie sich an die Bürgerbeauftragte wenden. Das in der Verfassung verankerte Petitionsrecht beruht ausnahmslos auf Freiwilligkeit. Aus diesem Grund kann das Führen einer Petition nicht Voraussetzung für die Gewährung von Beratungshilfe sein (mehr hier, eine Stellungnahme der Bürgerbeauftragten zum Thema findet sich hier).
  • Die Möglichkeit, sich durch einen Rechtsanwalt unentgeltlich oder gegen Vereinbarung eines Erfolgshonorars beraten oder vertreten zu lassen, ist ebenfalls keine andere Möglichkeit der Hilfe im Sinne des von § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHiG, vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 BerHiG.

Da das Formular ausdrücklich auf die Kenntnis des Rechtsuchenden abstellt, kann m.E. auch eine objektiv falsche Erklärung (etwa wenn der Antragsteller nicht weiß, dass seine Gewerkschaft auch im Sozialrecht Beratung und Vertretung anbietet) nicht zum nachträglichen Widerruf der Bewilligung führen. Hier ist es Aufgabe der Rechtspfleger bzw. Rechtsanwälte, konkret nachzufragen – und Aufgabe des Rechtsuchenden, gegebenenfalls Erkundigungen einzuholen, soweit er sich auf Nachfrage nicht sicher ist, welche kostenlosen Beratungs- und Vertretungsmöglichkeiten er hat.

Vollständige Angaben bei ALG II-Bezug

Während Bezieher von Leistungen nach dem SGB XII bei Vorlage eines gültigen Bewilligungsbescheides nach wie vor keine weiteren Angaben zu ihrem Einkommen und Vermögen machen müssen soweit das Gericht nicht etwas anderes anordnet, müssen Bezieher von Leistungen nach dem SGB II (ALG II) ab 01.01.2014 das Beratungshilfeformular vollständig ausfüllen. Die Angaben müssen gegebenenfalls (etwa durch Vorlage von Kontoauszügen) glaubhaft gemacht werden, wenn das Gericht dies verlangt. Aus diesem Grunde sollten Bezieher von Leistungen nach dem SGB II zur Beantragung eines Berechtigungsscheins bei dem für sie zuständigen Amtsgericht bzw. – wenn sie sich direkt an den Rechtsanwalt wenden – zum ersten Beratungstermin bei ihrem Rechtsanwalt Nachweise zu allen Angaben ihres Einkommens oder Vermögens mitbringen, die sich nicht bereits aus dem ALG II-Bescheid ergeben (vor allem einen aktuellen Kontoauszug, ggf. das Sparbuch usw.).

Angaben zum Vermögen

Unter F wird von den meisten Beziehern von Leistungen nach dem SGB II nur das Girokonto anzugeben sein, weil anderes „Vermögen“ nicht vorhanden ist. Hier ist der aktuelle Kontostand im Zeitpunkt der Beratung anzugeben und sinnvoller Weise durch einen Kontoauszug nachzuweisen. Auch dann, wenn sich das Konto im Minus befindet, sollte das Konto immer angegeben werden. Wer Barvermögen von mehr 2.600 € (+ 256 € für jede Person, der Unterhalt gewährt wird) hat, erhält keine Beratungshilfe. Angegeben werden muss nun unter F auch, ob Eigentum an einem Kfz besteht. Eigentümer ist derjenige, der das Fahrzeug gekauft hat und an den dieses zivilrechtlich übereignet worden ist, nicht also notwendig der Fahrzeughalter. Ein vom Antragsteller oder einem Familienmitglied selbst genutztes angemessenes Fahrzeug ist dann nicht als Vermögenswert zu berücksichtigen, wenn dieses zur Sicherung einer angemessenen Lebensgrundlage dient. Zur Beurteilung der „Angemessenheit“ kann m.E. auf die Rechtsprechung des BSG zu § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II zurückgegriffen werden, wonach eine Kraftfahrzeug bis zu einem Verkehrswert von 7.500,00 € grundsätzlich als „angemessen“ zu gelten hat (BSG, Urteil vom 06.09.2007, B 14/7b AS 66/06 R). Zur Sicherung eines angemessenen Lebensstandards soll ein in diesem Sinne angemessenes Kraftfahrzeug nach den „Ausfüllhinweisen“ nur dienen, wenn das Fahrzeug „für die Berufsausbildung oder Berufsausübung benötigt wird“. Bei ALG II-Beziehern folgt der Schutz demgegenüber aus der Erwerbsobliegenheit und dem hieraus folgenden Flexibilitätserfordernis, welches Grund für den Vermögensschutz in § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II ist. Bei Beziehern von Leistungen nach dem SGB XII sind Angaben zum Vermögen regelmäßig nicht erforderlich, so dass sich Fragen zum Vermögensschutz eines Pkw nicht stellen, solange das Amtsgericht nicht nachfragt. Im SGB XII ist das selbstgenutzte „angemessene“ Kraftfahrzeug (dazu SG Augsburg, Urteil vom 15.09.2011, S 15 SO 73/11: 7.500 € + nicht ausgeschöpfter Vermögensfreibetrag) im Übrigen nur geschützt, wenn der Antragsteller oder ein Familienmitglied etwa aufgrund einer Gehbehinderung auf das Fahrzeug angewiesenen ist. In Kiel wird eine Verwertung von Kraftfahrzeugen im Regelungsbereich SGB XII zudem grundsätzlich nicht verlangt, wenn der Verkehrswert nicht mehr als 2.600 € beträgt (auch wenn zusätzlich Barvermögen in Höhe von 2.600 € vorhanden ist). Wie in diesen Fällen bei der Gewährung von Beratungshilfe zukünftig entschieden werden wird, bleibt abzuwarten.

Zahlungsverpflichtungen und sonstige Belastungen

Neu und zugleich hauptverantwortlich dafür, dass das neue Beratungshilfeformular nun drei anstatt wie bisher zwei Seiten lang ist, sind die Angaben zu „Zahlungsverpflichtungen und sonstigen Belastungen“. Die erste Frage („Haben Sie … Zahlungsverpflichtungen?“) ist unsinnig, weil jeder Antragsteller irgendwelche Zahlungsverpflichtungen hat. Bei ALG II-Bezug kommt es in der Regel nicht darauf an, etwa Kreditraten, die bei der Beratungshilfegewährung (nach mir nicht verständlicher Wertung des Gesetzgebers) einkommensmindernd zu berücksichtigen sind, anzugeben. Im Regelfall sollte daher die Frage „Haben Sie … Zahlungsverpflichtungen?“ mit ja beantwortet werden und der Satz angefügt werden: „Die üblichen, wie Mietzahlung, Telefon etc.“ Angaben in der Tabelle dürften regelmäßig entbehrlich sein (eine Ausnahme gilt möglicherweise bei sog. Aufstockern, die ALG II nur noch in ganz geringer Höhe beziehen). Mir ist indes kein Fall bekannt, in dem bei einem ALG II-Bezieher die Voraussetzungen der Beratungshilfe aufgrund der Einkommensverhältnisse nicht vorlagen (a.A. ein Rechtspfleger am AG Kiel).

4-Wochen-Frist zur Antragstellung

Wird der Anwalt unmittelbar aufgesucht (also nicht zuvor ein Berechtigungsschein beim örtlich zuständigen Amtsgericht beantragt), muss der Antrag zukünftig zwingend innerhalb von 4 Wochen ab Beginn der Beratung/Vertretung gestellt werden, § 6 Abs. 2 BerHiG.

Hinweise für die Praxis

Aufgrund der neuen deutlich umständlicheren Beratungshilfepraxis sollten Rechtsuchende vor einer anwaltlichen Beratung grundsätzlich einen Berechtigungsschein bei dem für sie zuständigen Amtsgericht beantragen. So haben sie die Sicherheit, dass ihnen tatsächlich Beratungshilfe gewährt wird und der Rechtsanwalt ist von der ggf. zeitraubenden Prüfung des Vorliegens und Nachweises der Beratungshilfevoraussetzungen befreit. Eine Ausnahme gilt für alte, kranke oder gehbehinderte Rechtssuchende bzw. solche, die einen weiten Weg zum zuständigen Amtsgericht auf sich nehmen müssten oder auch in besonders eiligen Fällen. Zur Beantragung eines Berechtigungsscheins bei dem für sie zuständigen Amtsgericht sollten Rechtsuchende unbedingt mitnehmen:

  • Ihre Personalausweis.
  • Ihren Bewilligungsbescheid (ALG II/Grundsicherung), Wohngeldbescheid und/oder Einkommensnachweis.
  • Lückenlose Kontoauszüge der letzten 4 Wochen bis aktuell und ggf. Nachweise über sonstige Konten/Sparbücher etc.
  • Soweit keine Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II oder SGB XII bezogen werden oder zwar Grundsicherungsleistungen bezogen werden, aber die tatsächliche Miete über der im Bescheid anerkannten Miete liegt und über zusätzliches Einkommen verfügt wird: Sicherheitshalber den aktuellen Mietvertrag oder eine Mietbescheinigung (wenn der Mietvertrag schon älter und nicht mehr aktuell ist).
  • Im Einzelfall und soweit erforderlich Nachweise zu sonstigen Belastungen (kostenaufwendige Ernährung, Zahlungsverpflichtungen etc.).

Weiterführende Infos:

Haufe Online Redaktion, Neues Prozesskosten- und Beratungshilferecht

juris.de: Reform der Prozesskostenhilfe zum 01.01.2014

reno-heute.de: Reform der Prozesskostenhilfe tritt zum 1.1.2014 in Kraft

Christina Hofmann, BRAK-Mitteilungen 6/2013, S. 269 f. (in der pdf-Datei ab S. 29)

Mitteilung der BRAK vom 23. Dezember 2013, Neue PKH- und BerH-Formulare (mit Links auf alle BR-Drucks.)

Assessorin Sabine Reckin, Wann der Staat jetzt noch Rechtsrat finanziert – und was Anwälte wissen sollten, Anwaltsblatt 12/2013, Seite 889 – 893.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Änderungen bei Prozesskosten- und Beratungshilfe bestätigt

Die Änderungen bei der Prozesskosten- und Beratungshilfe werden, wenn der Bundesrat dem Gesetzesentwurf am 05.07.2013 wie zu erwarten zustimmt, zum 01.01.2014 wirksam. Eine Kurzmitteilung findet sich hier, eine Zusammenfassung der Änderungen hier, eine sehr lesenswerte Bewertung dazu hier sowie sämtliche Gesetzgebungsmaterialien hier. Der Bundestag hat verschiedene Vorschläge der Bundesregierung nicht aufgegriffen. Die Änderungen lassen sich knapp wie folgt zusammenfassen:

  • Die bisherigen Freibeträge bleiben erhalten.
  • Die Ratenhöchstzahlungsdauer von 48 Monaten bleibt unangetastet.
  • Die Beiordnung von Rechtsanwälten in familienrechtlichen Verfahren wird nicht eingeschränkt.
  • Die Möglichkeit der nachträglichen Stellung eines Antrages auf Beratungshilfe durch den beauftragten Rechtsanwalt bleibt erhalten, allerdings muss der Antrag innerhalb einer Frist von 4 Wochen nach Beginn der Beratungstätigkeit gestellt werden, § 6 Abs. 2 BerHi n.F.
  • Ein Rechtsmittel für die Staatskasse gegen Bewilligungsentscheidungen wird es weiterhin  geben.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Amtsgericht Kiel verweist Rechtsuchende erneut an das Büro der Bürgerbeauftragten

Amtsgericht Kiel

Amtsgericht Kiel (Photo Helge Hildebrandt)

Erneut häufen sich in der anwaltlichen Beratung offenbar die Fälle, in denen Rechtssuchenden vom Amtsgericht Kiel der Zugang zur Beratungshilfe unter Hinweis auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Beratung durch das Büro der Bürgerbeauftragten verunmöglicht wird.

Aktueller Fall

In einem aktuellen Fall hatte ein Rechtsuchender heute beim Amtsgericht Kiel vorgesprochen, weil das Jobcenter Kiel ohne Angabe von Gründen zum 01.05.2013 kein ALG II gezahlt hatte. Zahlreiche Anrufe beim Jobcenter Kiel hatten weder zu einer Klärung der Angelegenheit noch überhaupt zu einer Reaktion seitens des Jobcenters Kiel geführt. Die Angelegenheit war nicht nur wegen der erheblichen Bedarfsunterdeckung besonders eilbedürftig, sondern auch deswegen, weil Raten für den Hauskredit mangels Kontodeckung nicht abgebucht werden konnten und deswegen – wie bereits einmal in der Vergangenheit geschehen – die Kündigung des Kreditvertrages drohte. Trotz telefonischer Erläuterung der Bedeutung der Angelegenheit sowie dem Hinweis auf die zusätzliche Geltendmachung eines Amtshaftunganspruches nach Art. 34 GG, § 839 BGB lehnte die zuständige Rechtspflegerin die Gewährung von Beratungshilfe unter anderem unter Hinweis auf Beratungsmöglichkeiten beim Büro der Bürgerbeauftragten ab.

Verweis an Bürgerbeauftragte kein unbekannter Ablehnungsgrund

Bereits im Jahre 2009 wurde mit dieser Begründung in zahlreichen Fällen Beratungshilfe abgelehnt. So ist etwa in einem Beschluss des AG Kiel vom 18.11.2009 zum Aktenzeichen 7 II 6210/09 nachzulesen:

„Voraussetzung für die Gewährung von Beratungshilfe ist unter anderem, dass nicht andere Möglichkeiten für eine Hilfe zur Verfügung stehen, deren Inanspruchnahme dem Rechtssuchenden zuzumuten ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG).

Der Antragsteller hätte sich an die Bürgerbeauftragte der Stadt Kiel wenden könne, welche nach Maßgabe des Gesetzes über die Bürgerbeauftragte oder den Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein (BüG) vom 15.01.1992, GVOBl. Schl.-H. 1992 S. 42, eine vorrangige Möglichkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 BerHG darstellt. Die Bürgerbeauftragte hat die Aufgabe, alle Hilfesuchenden in sozialen Angelegenheiten zu informieren und zu beraten sowie ihre Anliegen gegenüber Behörden zu vertreten. Über den Einzelfall hinaus kann die Bürgerbeauftragte im Rahmen ihrer Berichtspflicht Änderungen oder Ergänzungen gesetzlicher Regelungen vorschlagen.

Die Bürgerbeauftragte und ihre Mitarbeiter sind berechtigt, zur Erfüllung ihrer Aufgaben von Behörden und Dienstellen des Landes Auskünfte einzuholen, Akten anzufordern und Stellungsnahmen zu erbitten. Sie haben Zugang zu allen Behörden, Dienstellen und Einrichtungen des Landes. Der Verweis an die Bürgerbeauftragte ist einfachrechtlich gut vertretbar. Daran ändert auch der Vortrag des Antragstellervertreters nichts.

Die Antragstellerin hat jedoch die zur Verfügung stehenden Hilfsmöglichkeiten nicht genutzt. Der in Anspruch genommene Antragstellervertreter hat im Rahmen der Prüfung der Gewährung von Beratungshilfe nicht auf die Möglichkeit verwiesen.

Vor diesem Hintergrund war der Antrag auf Beratungshilfe zurückzuweisen.“

Bei dieser Ablehnungsbegründung handelte es sich 2009 bei einer Rechtspflegerin um einen Textbaustein, mit dem mehr oder weniger freihändig Beratungshilfe in sozialrechtlichen Angelegenheiten verwehrt wurde.

Bürgerbeauftragte kritisiert Praxis des AG Kiel als rechtswidrig

Und dies, obwohl die Bürgerbeauftragte bereits mit Schreiben vom 04.09.2009 auf die ihrer Auffassung nach rechtswidrige Ablehnungspraxis hingewiesen hatte:

„Seit geraumer Zeit erhalte ich Hinweise aus der Anwaltschaft, dass die Gewährung von Beratungshilfe im Bereich des Amtsgerichts Kiel davon abhängig gemacht wird, dass vorher eine Beratung durch die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein erfolgt. Über einen aktuellen Fall wurde ich von der (…) informiert.

Grundsätzlich begrüße ich es natürlich, wenn die Einrichtung der Bürgerbeauftragten empfohlen wird, um kompetente Hilfe, Beratung und Unterstützung zu erhalten. Ich möchte jedoch darauf aufmerksam machen, dass Bürgerinnen und Bürger eine Petition führen (vgl. §§ 2 und 3 Bürgerbeauftragtengesetz), wenn sie sich an die Bürgerbeauftragte wenden. Das in der Verfassung verankerte Petitionsrecht beruht ausnahmslos auf Freiwilligkeit. Aus diesem Grund bin ich der Auffassung, dass das Führen einer Petition nicht Voraussetzung für die Gewährung von Beratungshilfe sein kann.

Ich bitte Sie daher, Ihre Ansicht zu überdenken. Für Erläuterungen in einem persönlichen Gespräch stehe ich gern zur Verfügung.“

Nach hiesigen Informationen hat das AG Kiel auf das Schreiben der Bürgerbeauftragten nie reagiert.

Fazit

Immer wieder lehnen insbesondere neue Rechtspfleger Beratungshilfe unter Hinweis auf die Bürgerbeauftragte ab, obwohl den betroffenen Rechtspflegern bekannt sein müsste, dass dieser Ablehnungsgrund rechtlich nicht haltbar ist.

Mit ein wenig Nachdenken müsste den betroffenen Rechtspflegern eigentlich auch klar werden, dass die zwei Mitarbeiter des Büros der Bürgerbeauftragten, die (u.a.!) in Hartz-IV-Angelegenheiten beraten und für ganz Schleswig-Holstein zuständig sind, nicht die Arbeit der gesamten im Sozialrecht tätigen Rechtsanwaltschaft übernehmen können (und sollen). Sicher ließe sich im Gesundheitswesen viel Geld einsparen, wenn alle Patienten mit Zahnproblemen an einen Zahnarzt in Schleswig-Holstein verwiesen würden, alle Schleswig-Holsteiner mit Magenproblemen zu einem Internisten gingen usw. Nur würde dabei das Gesundheitswesen zugrunde gehen. Rechtspfleger, die das Recht pflegen sollen, sollten sich deswegen an der Zugrunderichtung der Rechtspflege nicht beteiligen. Tun sie es doch, haben sie ihren Beruf verfehlt.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Amtsgericht Schleswig schränkt Rechtsschutz für Mittellose ein!

In aktuellen Beratungshilfeangelegenheiten weist das Amtsgericht Schleswig in einem Hinweisblatt auf seine zukünftige Bewilligungspraxis hin. Nach Auskunft des Gerichts habe es in einer nicht näher erläuterten „Übergangszeit“ gegebenenfalls eine „großzügigere Handhabung“ der Beratungshilfebewilligung gegeben. Da nunmehr die Sachbearbeitung der Beratungshilfe „anders gehandhabt werde, als das die letzten Jahre der Fall war“, erlaube sich das Gericht, auf nachfolgende Gewährungspraxis hinzuweisen: Zunächst sollen die Hilfesuchenden „Eigenbemühungen gezeigt haben und selbst tätig geworden sein“. So seien zunächst die vorhandenen Beratungsangebote von Behörden, Jugendämtern, Schuldnerberatungsstellen („für Angelegenheiten der Schuldnerberatung wird grundsätzlich keine Beratungshilfe durch das Amtsgericht Schleswig bewilligt“) sowie die kostenpflichtige (!) Beratung der Verbraucherzentralen in Anspruch zu nehmen.

Schleswig: Keine Waffengleichheit vor dem Recht

Nach Auffassung des Amtsgericht Schleswig gilt „der Grundsatz der Waffengleichheit“ im außergerichtlichen Verfahren „nur sehr eingeschränkt“. Wo das Gericht diese Erkenntnis gewonnen hat, ist hier nicht bekannt. Soweit das Gericht darauf abhebt, ob ein „solventer Selbstzahler“ in der Angelegenheit anwaltlichen Rat gesucht hätte, ist darauf hinzuweisen, dass ein Großteil der „solventen Selbstzahler“ heute über Rechtsschutzversicherungen verfügen. Die Beratungshilfe ist heutzutage sozusagen die „Rechtsschutzversicherung“ der Mittellosen. Der Vergleich des Gerichts hinkt insofern – und nicht nur aus diesem Grunde. Ob ein „solventer Selbstzahler“ anwaltlichen Rat gesucht hätte, entscheiden die Rechtspfleger dann – befreit von jeglichen gesetzlichen Entscheidungsmaßstäben (BerHG) – quasi freihändig, denn aus dem Topos „solventer Selbstzahler“ lässt sich so ziemlich alles deduzieren, was das verkappte Bezirksrevisorenherz erfreut.

Fehlerhafte rechtliche Ausführungen

Rechtlich schlicht unzutreffend ist, dass Beratungshilfe ausgeschlossen ist, wenn sich ein „gerichtliches Verfahren unumgänglich abzeichnet“. Es gibt klare gesetzliche Regelungen, wann ein Gerichtsverfahren beginnt und eine außergerichtliche Vertretung endet. Es ist gerade die Aufgabe des Rechtsanwaltes, Rechtssuchende darüber zu beraten, ob eine gerichtliche Auseinandersetzung erfolgversprechend bzw. in den Worten des Gerichts sich „unumgänglich abzeichnet“. Es ist nicht angängig, dass darüber zukünftig am AG Schleswig Rechtspfleger – die hierzu weder ausgebildet noch fachlich in der Lage sind – entscheiden.

Notwendigkeit der Vertretung ist „nachzuweisen“

Nach Vorstellungen der Rechtspflegerin Bahlke sollen ihr Anwälte zudem zukünftig „nachweisen“, dass eine Vertretung „notwendig“ war. Nun hat eine Rechtspflegerin keine volljuristische Ausbildung (zwei Staatsexamen, Befähigung zum Richteramt) um beurteilen zu können, ob eine anwaltliche Vertretung notwendig war, und letztlich ist es der Rechtsanwalt, der es – auch haftungsrechtlich – zu vertreten haben wird, wenn er – trotz objektiv vorliegender Notwendig einer Vertretung – für den Rechtssuchenden nicht tätig geworden ist. Vor diesem Hintergrund erscheint es wohlfeil, gleichsam aus der warmen Amtsstube heraus ohne eigenes Haftungsrisiko darüber befinden zu wollen, ob eine anwaltliche Vertretung angezeigt war oder nicht.

Offenkundiges Misstrauen gegenüber der Anwaltschaft

Nach Vorstellung des Gerichts soll die anwaltliche Beratung zudem so erfolgen, „dass der Antragsteller sich danach in der Lage versetzt sieht, selbst tätig werden zu können.“ So weit, so gut. Es ist selbstverständlich, dass in Fällen, in denen eine Beratung ausreichend ist, nur beraten und nicht auch vertreten wird. Ob allerdings im konkreten Fall der konkrete Rechtssuchende individuell in der Lage ist, sich effektiv selbst zu vertreten, hängt maßgeblich auch von der Person des Rechtssuchenden ab. Diese kennt regelmäßig aber nur der vertretende Rechtsanwalt, nicht jedoch die Rechtspflegerin bzw. der Rechtspfleger. Hier wäre es nicht nur wünschenswert, sondern es ist unabdingbar, dass das Gericht dem beratenden Rechtsanwalt zutraut, zu entscheiden, ob eine Vertretung im konkreten Fall erforderlich ist. Soviel Vertrauen in die Rechtsanwälte als unabhängige Organe der Rechtspflege muss sein – sonst erleidet die Rechtspflege insgesamt einen irreparablen Schaden.

Rechtsanwalt als Rechtslehrer?

Soweit das Gericht weiter ausführt, dies bedeute auch, „dass Beratungshilfe in bestimmten Angelegenheiten (beispielsweise Urheberrechtsverletzung, Nebenkostenabrechnung) nur einmal gewährt wird“, wäre eine solche Entscheidungspraxis nicht nur schlicht rechtswidrig, da es sich hier ohne Zweifel um jeweils eigene Angelegenheiten handelt, sondern es überantwortet dem Rechtsanwalt auch die Aufgabe, seine Mandanten in Rechtsfragen auszubilden. Sicher freut sich jeder Rechtsanwalt, wenn seine Mandanten sich in der Folge einer anwaltlichen Beratung oder Vertretung in gleich gelagerten Fällen zukünftig selber helfen können. Ob dieser Wunsch indessen in Erfüllung geht, liegt nicht im Einflussbereich des Rechtsanwaltes. Es kann nicht richtig sein, wenn ein Rechtsanwalt Rechtsuchende mit den Worten abweist: „Das habe ich Ihnen schon einmal erklärt, sehen Sie zu, dass Sie das selber hinbekommen.“

Wie als Anwalt verhalten?

Rechtsanwälten ist aufgrund der beabsichtigten Beratungshilfepraxis am AG Schleswig zu raten, Beratungshilfemandate aus dem Amtsgerichtsbezirk Schleswig nur noch gegen Vorlage eines Berechtigungsscheins anzunehmen. Das ist hart für die Rechtssuchenden, die gegebenenfalls weite Strecken übers Land zum Gericht und anschließend zum Anwalt zurücklegen müssen. Ob dies vom Gericht tatsächlich so gewollt ist und ob die verantwortlichen Rechtspfleger und Richter ihre Aufgabe als Diener des Rechts so verstanden wissen wollen, werden diese für sich zu beantworten haben. Die Verantwortlichkeit für die schleichende Erosion des Rechtsschutzes für Mittellose jedenfalls liegt nicht bei der Anwaltschaft. Insofern sollte das AG Schleswig zukünftig auch als Adressat der Empörung Rechtssuchender die richtige Anlaufstelle sein.

Im konkreten Fall wurde im Übrigen Beratungshilfe bewilligt, das hier erörterte Schreiben war lediglich als Hinweisblatt beigefügt. Das Hinweisblatt findet sich als Download hier.

Weiterführende Links zum Thema:

http://www.sozialticker.com/wie-man-sich-gegen-unrecht-wehrt-infos-zu-beratungshilfe-und-prozesskostenhilfe_20111224.html

Nachtrag 15.03.2012:

Das AG Schleswig hat Rückmeldungen aus der Anwaltschaft zum Anlass genommen, die Kollegen mit Sitz im Amtsgerichtsbezirk Schleswig – und freundlicherweise auch mich aus Kiel – zu einer kleinen Fortbildungsveranstaltung zur Beratungshilfe mit anschließendem Erfahrungsaustausch einzuladen. Die Einladung einschließlich einer Stellungnahme des Direktors des Amtsgerichts Schleswig zu meinem Beitrag auf dieser Seite findet sich zum download hier. Leider ist es mir zeitlich nicht möglich, am heutigen Tage an der Veranstaltung teilzunehmen. Dies bedauere ich sehr. Zugleich danke ich auf diesem Wege noch einmal dem Direktor des AG Schleswig Herrn Blöcker für das heute stattgehabte angenehme und informative Telefonat, welches von beiden Seiten mit dem Resümee geschlossen werden konnte: So weit liegen wir beide gar nicht auseinander.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt