Merkzeichen G auch ohne mobilitätsbezogenen GdB von 50
Veröffentlicht: 30. August 2024 Abgelegt unter: Behinderung, Merkzeichen G | Tags: dissoziative Lähmungserscheinungen, Landesamt für soziale Dienste Schleswig-Holstein, Merkzeichen G, mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung, SG Kiel Urteil vom 25.04.2024 S 15 SB 130/20 Hinterlasse einen KommentarDas Merkzeichen G, welches bei einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr zuerkannt wird und neben Vergünstigungen bei der Nutzung des ÖPNV auch zu einem Mehrbedarfsanspruch von 17 % beim Bürgergeld (§ 23 Nr. 4 SGB II) und der Altersgrundsicherung (§ 30 Abs. 1 SGB XII) führt, setzt bereits nach dem klaren Wortlaut der Versorgungsmedizin-Verordnung (Teil D 1.) keine mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung mit einem GdB von 50 voraus.
Die Klägerin leidet bereits seit langer Zeit an dissoziativen Lähmungserscheinungen, welche auf einer psychischen Erkrankung beruhen und temporär zu einem partiellen oder vollständigen Verlust der Kontrolle ihrer Körperbewegungen führen. Ihren Antrag auf die Zuerkennung des Merkzeichens G hatte das Landesamt für soziale Dienste Schleswig-Holstein mit der – knappen – Begründung abgelehnt, bei der Klägerin sei eine mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung mit einem GbB von 50 bei sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendewirbelsäule nicht nachgewiesen.
Obwohl das Gericht das Landesamt – was bedauerlicherweise notwendig war – in der mündlichen Verhandlung nachdrücklich darauf hinwies, dass in der VersMedV (Teil D 1.) ein mobilitätsbezogener GbB von 50 gar nicht gefordert wird und nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch bei Zusammenwirken von orthopädischen und psychischen Gesundheitsstörungen das Merkzeichen G festgestellt werden kann, selbst wenn die orthopädische Gesundheitsstörung den in Teil D d) der VersMedV geforderten GdB von 40 nicht erreicht, sah sich das Landesamt nicht zu einem Klageanerkenntnis imstande und musste antragsgemäß verurteilt werden, das Vorliegen der Voraussetzungen des Merkzeichens G bei der Klägerin festzustellen.
Betroffenen ist zu raten, Bescheide des Landesamts für soziale Dienste Schleswig-Holstein fachkundig prüfen zu lassen, da teilweise nicht einmal mehr das geltende Recht richtig angewendet wird.
(SG Kiel, Urteil vom 25.04.2024, S 15 SB 130/20)
Erstveröffentlichung in HEMPELS 7/2024
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Merkzeichen G auch bei nicht dauerhafter Gehbehinderung
Veröffentlicht: 1. Juli 2021 Abgelegt unter: Behinderung, Mehrbedarfe | Tags: Grad der Behinderung, Merkzeichen G Hinterlasse einen KommentarEine Behinderung stellt häufig eine Benachteiligung gegenüber Nichtbehinderten dar. Um im gesellschaftlichen Leben diese Nachteile zumindest ein wenig abzumildern, werden behinderten Menschen gewisse Nachteilsausgleiche gewährt. Welche das sind, hängt von der Art und dem Grad der Behinderung (GdB) ab. Neben dem GdB können im Schwerbehindertenausweis auch verschiedene sogenannte Merkzeichen eingetragen werden, die wiederum zu spezifischen Nachteilsausgleichen berechtigen.
Vor den Sozialgerichten steht nicht selten die Zuerkennung des Merkzeichens G (Gehbehinderung) im Streit. Das Merkmal G wird zuerkannt, wenn jemand in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Dies ist häufig bei einer Gehbehinderung der Fall, kann aber auch durch innere Leiden, Anfälle oder Orientierungslosigkeit verursacht sein. Voraussetzung für das Merkzeichen G ist üblicherweise, dass eine Wegstrecke von 2 km nicht mehr innerhalb einer halben Stunde zu Fuß zurückgelegt werden kann.
Mit dem Merkzeichen G gibt es etwa deutliche Vergünstigungen für die Nutzung des ÖPNV, bei Sozialleistungsbezug ist dieser sogar kostenfrei. Für Leistungsbezieher nach dem SGB XII wird zudem ein Mehrbedarfszuschlag in Höhe von 17 % aufgrund des Merkzeichens G gewährt (§ 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII).
In vorliegendem Fall konnte der Kläger Wegstrecken von 2 km normalerweise in einer halben Stunde zu Fuß zurücklegen, bei sehr warmen Temperaturen aber nicht. Diese Situation hat das Landessozialgericht mit einer Herzerkrankung verglichen, da bei dem Kläger ähnliche Symptome auftraten, wenn er bei Hitze körperlichen Belastungen ausgesetzt war. Da auch bei einer Herzerkrankung die Einschränkungen für die Zuerkennung des Merkmals G nicht dauernd vorliegen muss, hat das Gericht dem Kläger das Merkmal G zugesprochen.
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 19.12.2014, L 2 SB 15/13
Erstveröffentlichung in HEMPELS 06/2021
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


