Keine Anrechnung von anrechnungsfreiem Einkommen des Partners bei gemischten Bedarfsgemeinschaften!

Bundessozialgericht in Kassel

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Lebt ein Bezieher von Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV) mit einem Bezieher von Leistungen nach dem SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Hilfe zum Lebensunterhalt) zusammen und hat der ALG II-Leistungsberechtigte zusätzliches Einkommen, so entsprach es der gängigen Praxis der Grundsicherungsbehörden der Landeshauptstadt Kiel, den im SGB II anrechnungsfrei verbleibenden Einkommensanteil nach Abzug etwaiger Absatzbeträge anspruchsmindernd auf die Grundsicherungsleistungen des Leistungsberechtigen nach dem SGB XII anzurechnen.

Beispiel: Der ALG II-Berechtigte hat ein Einkommen von 200 €, 120 € hiervon verbleiben ihm anrechnungsfrei. Diese 120 € werden – nach Abzug pauschalierter Werbungskosten von 5,20 € – nach § 82 Abs. Abs 3 SGB XII abzüglich eines Freibetrages von 30 % in Höhe von 80,36 € (70 % von 114,80 €) auf den Grundsicherungsanspruch des SGB XII-Berechtigten angerechnet.

Rechtswidrig, entschied das BSG. Das im Hartz IV-Bezug anrechnungsfrei verbleibende Einkommen darf nicht als Einkommen des Grundsicherungsbeziehers auf dessen Leistungsanspruch angerechnet werden. Die Besonderheiten bei Hartz IV – insbesondere die großzügigeren Freibeträge bei Erwerbseinkommen – müssen nämlich zur Vermeidung einer anderenfalls bestehenden Ungleichbehandlung von gemischten Bedarfsgemeinschaften mit reinen Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften auch im Rahmen der Berechnung des Grundsicherungsanspruches berücksichtigt werden. Dies sei – etwa über die Härtefallregelung nach § 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XII – auch möglich.

In den Worten des BSG

Das BSG hat in seinem Urteil vom 9.6.2011 (B 8 SO 20/09 R) ausgeführt (zu 11., Rz. 24):

„Beziehen neben dem Leistungsberechtigten nach dem SGB XII die übrigen Mitglieder der gemischten Bedarfsgemeinschaft Alg II nach dem SGB II, dürfte es zwar in der Regel nicht zu einer Berücksichtigung von Einkommen nach § 43 Abs. 1 SGB XII kommen; sollte jedoch – etwa im Hinblick auf großzügigere Freibeträge nach § 30 SGB II – dennoch ein Einkommensüberschuss verbleiben – denkbar insbesondere bei aus zwei Personen bestehenden gemischten Bedarfsgemeinschaften – gilt der Grundsatz, dass die Berechnung der Sozialhilfeleistung nach Maßgabe des SGB XII nicht dazu führen darf, dass Einkommen, das nach der Zielsetzung des SGB II geschont werden soll, gleichwohl zu Gunsten der dem SGB XII unterworfenen Personen verwertet werden muss. Besonderheiten des SGB II können zur Vermeidung einer anderenfalls bestehenden Ungleichbehandlung von gemischten Bedarfsgemeinschaften mit reinen Bedarfsgemeinschaften etwa im Rahmen von Härtefallregelungen – bei Einkommen § 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XII, bei Vermögen § 90 Abs 3 SGB XII (…) – berücksichtigt werden. Deshalb ist letztlich ggf. noch eine Vergleichsberechnung nach Maßgabe des SGB II für die diesem System unterworfenen Personen erforderlich (…) und ein weiterer Freibetrag nach § 82 Abs 3 Satz 3 SGB XII anzuerkennen (…). Danach kann nämlich abweichend von Abs. 3 Satz 1 in begründeten Fällen ein anderer Betrag vom Einkommen abgesetzt werden (…). Die Regelung ist als Öffnungsklausel oder Auffangtatbestand (…) zu verstehen, die es dem Sozialhilfeträger insbesondere zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung ermöglicht, von einer Einkommensanrechnung ganz oder teilweise abzusehen (…). § 82 Abs 3 Satz 3 SGB XII ist dabei als generelle Härteklausel für alle denkbaren Einkommen zu verstehen, weil nur so den Gerichten und der Verwaltung die Möglichkeit eingeräumt wird, unbillige Ergebnisse zu vermeiden und bei Leistungen nach unterschiedlichen Grundsicherungssystemen eine Harmonisierung zu erreichen (…). Es ist auch kein Grund erkennbar, weshalb ein nach § 83 Abs. 3 Satz 3 SGB XII begründeter Fall, der ein Abweichen von der Regel des § 82 Abs. 3 Satz 2 SGB XII rechtfertigt, um unbillige Ergebnisse zu vermeiden, nur bei Einkommen aus selbstständiger und nichtselbstständiger Tätigkeit des Leistungsberechtigten denkbar sein sollte. § 83 Abs 3 Satz 3 SGB XII ist deshalb auch die einschlägige Norm, um ggf. aus der unterschiedlichen Regelung zum Kindergeld resultierende sachwidrige Ergebnisse zu vermeiden (…).“

Stadt Kiel gibt Klageanerkenntniss ab

Die nun vom BSG bestätigte Rechtsauffassung wurde hier schon seit geraumer Zeit vertreten. In der Folge dieser Entscheidung gab die Landeshauptstadt Kiel in dem Verfahren vor dem SG Kiel zum Az. S 24 SO 4/10 ein Klageanerkenntnis ab. Anerkenntnisse in weiteren Verfahren dürften folgen.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


2 Kommentare on “Keine Anrechnung von anrechnungsfreiem Einkommen des Partners bei gemischten Bedarfsgemeinschaften!”

  1. BSG: Das anrechnungsfreie Einkommen gemischter Bedarfsgemeinschaften…

    Lebt ein Bezieher von Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV) mit einem Bezieher von Leistungen nach dem SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Hilfe zum Lebensunterhalt) zusammen und hat der ALG II-Leistungsberechtigte zusätzliches E…


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