Bei langer Arbeitslosigkeit Anspruch auf Weiterbildung

Bubo

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Nach Zeiten lang andauernder Arbeitslosigkeit kann eine Aktualisierung sukzessiv entwerteter Berufsqualifikationen im Einzelfall nur noch durch die Finanzierung spezifischer Zusatzausbildungen durch das Jobcenter erfolgen.

Der Kläger, ein studierter Sozialpädagoge, hatte sich rund vier Jahre erfolglos um eine Beschäftigung in seinem erlernten Beruf bemüht. Weil in vielen Stellenanzeigen Bewerber mit einer sozial-psychiatrischen Zusatzausbildung gesucht wurden, beantragte er beim Jobcenter Kiel eine entsprechende Weiterbildung durch Ausgabe eines Bildungsgutscheins. Dies lehnte das Jobcenter mit der Begründung ab, der Kläger habe keine feste Einstellungszusage eines Arbeitgebers vorlegen können und man sei auch – entgegen allen vorgelegten fachkundlichen Stellungnahmen – nicht davon überzeugt, dass der Erwerb von Zusatzqualifikationen die Berufschancen des Klägers steigere.

Rechtswidrig, entschied das Sozialgericht Schleswig vier Jahre später – und verurteilte die Behörde unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts dazu, neu über den Antrag des Klägers zu entscheiden. Initiativbewerbungsverlangen seien im Fall des Klägers nicht zielführend, da er sich bereits bei allen in Frage kommenden Arbeitgebern beworben habe. Nur mit einer Zusatzausbildung könne der Kläger in Marktnischen vordringen sowie im Rahmen von mit der Zusatzausbildung verbundenen Praktika aktualisierte Kontakte zu möglichen Arbeitgebern aufbauen. Da diese zentralen Ermessensgesichtspunkte von dem beklagten Jobcenter nicht hinreichend gewürdigt worden seien, stelle sich die Ablehnung als rechtswidrig dar.

(SG Schleswig, Urteil vom 22.3.2013, S 9 AS 1059/09)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 10/2013

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


6 Kommentare on “Bei langer Arbeitslosigkeit Anspruch auf Weiterbildung”

  1. Eberhard Wetzig sagt:

    Die Kuh ist trotzdem nicht vom Eis.

    Wenn die Jobcenter wollen, schicken die einen zu psychologischen Tests. Und dort wird dann festgestellt, dass der Kandidat psychologisch so instabil ist, dass der Erfolg der Ausbildung nicht erwartet werden kann. So mir geschehen, als ich den Berufsabschluss Chemielaborant erwerben wollte, nachdem mein erster Beruf – Ingenieur für chemische Verfahrenstechnik – durch lange Berufsferne entwertet war.
    Ich hatte sogar anschließend noch Überzeugungsarbeit zu leisten, dass mir nicht noch eine Sanktion wegen pflichtwidrigen Verhaltens angedreht wurde. So geschehen im Jobcenter Sächsische Schweiz – Osterzgebirge im Jahr 2010.

    • Die Kuh ist in der Tat nicht vom Eis. Das Jobcenter Kiel hat über den Antrag erneut entschieden und diesen – unter großzügigem Hinwegsehen über die Vorgaben des Gerichts – erneut abgelehnt, so dass ein weiteres Mal geklagt werden muss. Leider tendieren die schleswig-holsteinischen Sozialgerichte im Geist des US-Amerikanischen judicial self-restraint dazu, in Fällen, in denen es um Integrationsleistungen geht, Bescheidungsurteile zu erlassen und scheuen die Annahme einer „Ermessensreduzierung auf Null“ wie der Teufel das Weihwasser. Dass es auch anders geht, zeigt etwa das SG Hildesheim, Beschluss vom 28.07.2010, S 55 AS 1194/10 ER: https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=139277

      Eine interessante Diskussion des Themas findet sich hier:

      http://www.tacheles-sozialhilfe.de/forum/thread.asp?FacId=1969254

      • Justine sagt:

        Dieses Vorgehen des Jobcenters ist mir unverständlich. Und der Kläger tut mir leid – was macht der denn bloß in der ganzen Zeit? Verschwendung.

      • tunichtgut sagt:

        Gilt das dann auch für die Kosten eines Fernstudiums?
        Teilzeitstudien sind meist nicht Bafögfähig da ja SGB II Bezug vorliegt.

        Kann ein Mensch gezwungen werden vollzeit zu studieren?

        • Hier geht es um Leistungen der beruflichen Weiterbildung nach § 16 Abs. 1 Nr. SGB II i.V.m. § 81 ff. SGB III. § 81 Abs.1 SGB III regelt:

          § 81 Grundsatz

          (1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können bei beruflicher Weiterbildung durch Übernahme der Weiterbildungskosten gefördert werden, wenn

          1. die Weiterbildung notwendig ist, um sie bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, eine ihnen drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder weil bei ihnen wegen fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist,
          2. die Agentur für Arbeit sie vor Beginn der Teilnahme beraten hat und
          3. die Maßnahme und der Träger der Maßnahme für die Förderung zugelassen sind.

          Fernstudien sind regelmäßig keine Maßnahmen von Trägern, die für die Förderung durch die Bundesagentur für Arbeit zugelassen sind.

  2. Björn Nickels sagt:

    Hallo Helge, hallo LeserInnen,

    Helge, du schreibst, dass das Jobcenter Kiel den Antrag (nach dem Urteil des Sozialgerichts Schleswig) erneut abgelehnt hat.

    Deswegen müßte dann wieder Klage eingereicht werden.

    Das Urteil vom SG Schleswig wurde ja noch in Schleswig gefällt. Es handelt sich um das
    Kieler Jobcenter. Seit ca. Sept. 2009 hat Kiel ja wieder ein eigenes SG. Also müßte eine
    neue Klage wohl in Kiel eingereicht werden?!

    Mir stellen sich folgende Fragen:

    – Eine neue Entscheidung des Gerichtes würde wohl nicht wieder 4 Jahre dauern?
    (Dies ist kein Vorwurf an die RichterInnen des SG Schleswig oder anderswo; die ja auch nicht mehr als arbeiten können, und wie gesagt Kiel hat ja wieder ein eigenes SG).

    Es gibt ja folgendes Gesetz (allgemeiner Hinweis wegen evtl. langer Verfahrensdauer):

    http://www.bmj.de/DE/Buerger/buergerMenschrechte/ueberlangeVerfahren/menschenrechte_ueberlange_verfahren_node.html

    Schutz bei überlangen Verfahren

    Der Schutz vor überlangen Gerichtsverfahren wurde ausgebaut. Jeder Bürger hat nunmehr das Recht auf gerichtlichen Rechtschutz in angemessener Zeit. Das neue Gesetz zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren sieht eine Entschädigung bei unangemessen langen Prozessen vor.

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    Nochmal alle Fragen hierzu im Überblick:

    – Klageeinreichung beim SG Kiel (nicht mehr Schleswig)?

    – Gibt es auch die Möglichkeit eine zusätzliche Eilrechtschutzklage = ER-Klage
    = EA = Einstweilige Anordnung gem. § 86 Sozialgerichtsklage (SGG) einzureichen;
    denn wer weiß, wenn es ca. 18 Monate dauert bis Kiel entscheidet im „normalen“
    Verfahren plus ggf. späterer Berufung des Jobcenters Kiel; vielleicht hat sich dann der
    Arbeitsmarkt schon geändert in Bezug auf Zusatzausbildungen?!

    Fragen über Fragen …

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    Gruß

    Björn Nickels


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