Keine hälftige Anrechnung der Widerspruchsgebühr auf die Gebühr für ein gerichtliches Eilverfahren

Thorben Wengert / pixelio.de

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Auch nach dem neuen Vergütungsrecht sind für Verfahren ab dem 01.08.2013 Rechtsanwaltsgebühren für ein Widerspruchsverfahren nicht zur Hälfte auf den Vergütungsanspruch für ein anschließendes sozialgerichtliches Antragsverfahren anzurechnen.

In Teil 3 Vorbemerkung 3, dort Abs. 4 VV RVG ist seit 01.08.2013 geregelt:

(4) Soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 {außergerichtliches Verfahren, Widerspruchsverfahren} entsteht, wird diese Gebühr zur Hälfte, bei Wertgebühren jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Bei Betragsrahmengebühren beträgt der Anrechnungsbetrag höchstens 175,00 €. Sind mehrere Gebühren entstanden, ist für die Anrechnung die zuletzt entstandene Gebühr maßgebend. Bei einer Betragsrahmengebühr ist nicht zu berücksichtigen, dass der Umfang der Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren infolge der vorangegangenen Tätigkeit geringer ist. Bei einer wertabhängigen Gebühr erfolgt die Anrechnung nach dem Wert des Gegenstands, der auch Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist.

Das Jobcenter Kiel hatte die Auffassung vertreten, dass im neuen Kostenrecht bei der Festsetzung von Kosten in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auch Kosten eines Widerspruchsverfahrens zu berücksichtigen seien, welches in „derselben Angelegenheit“ geführt worden sei.

Dem bin ich mit Schriftsatz vom 13.11.2013 (Az. 209/13) entgegengetreten und habe u.a. ausgeführt:

Bei dem Antragsverfahren S 34 AS 284/13 ER dürfte es sich bereits nicht um denselben Gegenstand wie bei dem Widerspruchsverfahren W 2613/13 handeln, denn bei einem Eilverfahren ist neben der materiellen Rechtslage stets auch das besondere Erfordernis der Eilbedürftigkeit zu prüfen. Ein Verfahren zum Erlass einer einstweiligen Anordnung stellt damit eine Rechtsschutzform dar, die eigenen Entscheidungsmaßstäben folgt und somit nicht auf ein vorangegangenes Verwaltungsverfahren aufbaut (SG Schleswig, Beschluss vom 28.02.2012, S 4 SF 67/09 E). Mit dieser Begründung hat auch die Kostenkammer am SG Kiel in gefestigter Rechtsprechung Nr. 3102 VV RVG anstatt Nr. 3103 VV RVG a.F. für anwendbar erklärt. (…)

Für dieses Ergebnis spricht weiter, dass die Gebühr für ein außergerichtliches Verfahren nicht auf zwei (mögliche) gerichtliche Verfahren – ein Antrags- und ein Hauptsacheverfahren – angerechnet werden kann.

Dieser Auffassung hat sich das SG Kiel mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 30.12.2013, S 34 AS 284/13 ER angeschlossen und ausgeführt:

Die Rechtsauffassung hinsichtlich der Nichtanrechnung der Geschäftsgebühr wird auch vom Kostenbeamten geteilt. Für die weitere Begründung wird auf den Schriftsatz des Antragstellers vom 13.11.2013 verwiesen.

Weiter war die Gebühr in diesem Fall nicht die „zuletzt entstandene Gebühr“, denn das Widerspruchsverfahren wurde (wenngleich nur kurze Zeit) nach dem Eilverfahren aufgenommen.

Fraglich – allerdings für dieses Verfahren rechtlich unerheblich – war die Frage, ob die „zuletzt entstandene Gebühr“ vor einem gerichtlichen Verfahren nicht stets die Beratungshilfegebühr ist, welche für die Beratung über die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels – hier also eines sozialgerichtlichen Verfahrens – entsteht.

Wie hier auch SG Kiel, Kostenfestsetzungsbeschluss vom 03.02.2014, S 38 AS 372/13 ER (hiesiges Az. 198/13).

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


2 Kommentare on “Keine hälftige Anrechnung der Widerspruchsgebühr auf die Gebühr für ein gerichtliches Eilverfahren”

  1. Genauso SG Lübeck, S 31 SO 43/16 ER WA, Kostenfestsetzungsbeschluss vom 21.10.2016, hiesiges Az. 051/16 bzw. 019/16):

    „Ob und in welcher Höhe die Geschäftsgebühr gezahlt wurde ist hier nicht bekannt. Dies kann jedoch dahinstehen, denn eine Anrechnung hat nach Auffassung der Unterzeichnerin nicht zu erfolgen. Nach dem Wortlaut der amtlichen Vorbemerkung 3 Abs. 4 S. 1 W RVG ist die entstandene Geschäftsgebühr nach Teil 2 W RVG zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr an¬zurechnen. Bei Betragsrahmengebühren beträgt der Anrechnungsbetrag gemäß der amtli¬chen Vorbemerkung 3 Abs. 4 S. 2 W RVG höchstens 175,00 EUR. Die Anrechnungsrege¬lung stellt darauf ab, dass beide Gebühren wegen desselben Gegenstands entstehen.

    Bei der Auslegung des Begriffs „derselbe Gegenstand“ ist wie bei der Auslegung des pro¬zessualen Begriffs des „Streitgegenstands“ nicht allein darauf abzustellen, ob dem Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren und dem anschließenden Gerichtsverfahren der gleiche (Lebens-)sachverhalt zugrunde liegt, sondern es ist auch das Rechtsschutzbegehren, d.h. die Zielrichtung der in den jeweiligen Verfahren gestellten Anträge mit zu berücksichtigen. (Strassfeld, Vergütung von Rechtsanwälten im sozialgerichtlichen Verfahren, SGb 12 / 08 Seite 636). Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 86 b Abs. 2 SGG ist der Gegen¬stand des Verfahrens nicht derselbe eines Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren. Denn das Verfahren nach § 86 b Abs. 2 SGG betrifft die Regelung eines vorläufigen Zustands, wobei ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft zu machen sind, wah¬rend das Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren den Erlass des begehrten Verwaltungs¬akts zum Ziel hat (Strassfeld a.a.O., S. 637).

    Es liegen deshalb bei einem Widerspruchsverfahren und einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unterschiedliche Streitgegenstände vor, so dass eine Anrechnung der Ge¬schäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr nicht stattfindet.

    Die Festsetzung erfolgt daher antragsgemäß, da die Gebührenbestimmung aus Sicht der Urkundsbeamtin nicht unbillig erscheint.“


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