Ausschluss für bestimmte Ausländer von der Grundsicherung – Gesetzesentwurf liegt vor
Veröffentlicht: 7. Mai 2016 Abgelegt unter: EU-Bürger Ein KommentarDas Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat am 04.05.2016 den Entwurf für eine Reform der Regelungen im Recht der wirtschaftlichen Grundsicherung, die Ausländerinnen und Ausländer betreffen, veröffentlicht. Das Ministerium reagiert damit auf die Urteile des Bundessozialgerichtes (BSG) vom 03.12.2015: Das BSG hatte entschieden, dass der Leistungsausschluss für Personen, die lediglich über ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitssuche verfügen (§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II) zwar von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden sei. Allerdings seien dann, wenn der Aufenthalt sich verfestigt habe, stets Leistungen der Sozialhilfe zu erbringen. Das ergebe sich aus § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII. Eine Verfestigung des Aufenthaltes trete regelmäßig nach 6 Monaten ein (BSG, 03.12.2015, B 4 AS 59/13 R; B 4 AS 44/15 R und B 4 AS 43/15 R). Die Entscheidungen sind sehr umstritten. Die Instanzgerichte sind dem BSG in großer Zahl nicht gefolgt. In vielen Eilverfahren haben sie Leistungen versagt, weil sie einerseits den Leistungsausschluss mit dem BSG für verfassungskonform halten, andererseits die Auffassung, das Ermessen aus § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII sei in diesen Fällen regelmäßig auf Null reduziert, nicht teilen.
Der Entwurf des BMAS für eine Neufassung von § 7 Abs. 1 SGB II und § 23 SGB XII sieht vor, dass Hilfebedürftige ohne deutsche Staatsbürgerschaft, die bislang vom Leistungsausschluss betroffen sind, für maximal vier Wochen Übergangsleistungen nach dem SGB XII erhalten. Außerdem sollen sie eine einmalige Hilfe für eine Fahrkarte in ihr Heimatland bekommen. Wenn sie fünf Jahre im Wesentlichen ununterbrochen in Deutschland gelebt haben und auch hier gemeldet waren, sollen sie Leistungen nach dem SGB II bekommen.
Außerdem sieht der Entwurf vor, dass Personen, die kein Aufenthaltsrecht in Deutschland haben, gar keine Leistungen bekommen können. Bislang ist das im Gesetz nicht vorgesehen. Das BSG hat allerdings in den Entscheidungen vom 03.12.2015 die Auffassung vertreten, dass Personen ohne Aufenthaltsrecht erst recht keine Leistungen bekommen dürfen, wenn bereits Personen, die sich zum Zweck der Arbeitsuche in Deutschland aufhalten dürfen, von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sind. Das Asylbewerberleistungsgesetz bleibt davon unberührt: Wer einen Anspruch nach diesem Gesetz hat, soll auch weiterhin Leistungen nach dem AsylbLG bekommen.
Mit den Entscheidungen vom 03.12.2015 hatte das BSG den Versuch unternommen, die Vorschriften des Grundsicherungsrechtes so auszulegen, dass sie mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus den Entscheidungen vom 09.02.2010, 1 BvL 1/09 (Hartz- IV-Urteil) und vom 18.07.2012, 1 BvL 10/10 (AsylbLG-Entscheidung) noch vereinbar sind. Dieser Versuch wird – unabhängig von der Frage, ob er überzeugend ausgefallen ist, vgl. dazu BVerfG, 16.12.2014, 1 BvR 2142/11 – mit der nun geplanten Novelle obsolet. Das wird voraussichtlich dazu führen, dass die Frage, ob der Menschenwürdegrundsatz aus Art. 1 Abs. 1 GG es erlaubt, Personen mit dem Argument, sie könnten in ihr Heimatland zurückkehren, von Grundsicherungsleistungen auszuschließen, durch das BVerfG wird entschieden werden müssen.
Textwiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Roland Rosenow, Referent für Sozialrecht (Kontakt), Link: Ausschluss für bestimmte Ausländer von der Grundsicherung – Gesetzesentwurf liegt vor
Nachtrag: Die Änderungen sind zum 29.12.2016 in Kraft getreten.
Aus dem Thomé-Newsletter 38/2017 vom 31.10.2017:
5. Rechtsprechung der SG zum Ausschluss von Unionsbürger*innen seit 29. Dezember 2016
Die Kollegen der GGUA dokumentieren die Rechtsprechung der Gerichte zum leistungsrechtlichen Ausschluss der Unionsbürger.
Die aktuellste Rechtssprechungsübersicht ist vom 22.10.2017 und hier zu finden: http://www.einwanderer.net/fileadmin/downloads/unionsbuergerInnen/rechtsorechung_Unionsbuerger.pdf
Aus dem Thomé-Newsletter 35/2017 vom 02.10.2017:
1. SG Speyer: Europarechtswidrigkeit und Verfassungswidrigkeit des SGB II- Leistungsausschlusses und der Überbrückungsleistungen für EU-Bürger
Das SG Speyer hat in einem fulminanten und akribisch begründeten Beschluss vom 17.08.2017-S 16 AS 908/17 ER für einen spanischen 18jährigen Staatsangehörigen die Bewilligung vorläufiger Leistungen nach dem SGB II angeordnet. Das SG ist der Überzeugung,
– dass die Leistungsausschlüsse für bestimmte Ausländer*innen nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II verfassungswidrig sind, da sie das verfassungsrechtlich gebotene menschenwürdige Existenzminimum nicht gewährleisten,
– die „Überbrückungsleistungen“ nach § 23 Abs. 3 und 3a SGB XII trotz der darin enthaltenen „Härtefallregelungen“ ebenfalls verfassungswidrig sind,
– die Leistungsausschlüsse nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II europarechtswidrig sind und
– das Ermessen nach § 41a Abs. 7 Satz 1 SGB II hinsichtlich einer vorläufigen Bewilligung dann auf null reduziert sei, wenn ansonsten eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums durch die Verweigerung existenzsichernder Leistungen drohe.
Den Beschluss von Speyer gibt es hier: http://tinyurl.com/yat2nqh4
Hier eine Infomail von Claudius Voigt, in der er den Kontext rausarbeitet: http://harald-thome.de/fa/redakteur/Harald_2017/Claudius_26.09.2017.pdf
Ich denke wir können auf die weitere Entwicklung in der Rechtsprechung gespannt sein.