Beratungshilfe: „Ausnahmsweise“ einmaliger telefonischer Klärungsversuch ausreichend

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Mit Beschluss vom 23.01.2017 zum Aktenzeichen 7 UR II 23/16 hat das AG Kiel einen Rechtspflegerbeschluss aufgehoben, mit dem ein Antrag auf Beratungshilfe mit der Begründung abgelehnt worden war, der Rechtsuchende hätte sich ohne anwaltliche Hilfe selbst um eine Lösung der Angelegenheit bemühen können, die Beantragung von Beratungshilfe sei deswegen „mutwillig“ im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Abs 3 BerHG gewesen.

Im Erinnerungsverfahren wurde nun richterlich bestätigt, dass der Rechtsuchende seine vor Aufsuchen eines Anwalts stattgehabten „Eigenbemühungen“ glaubhaft gemacht hat. Aufgrund der Dringlichkeit und der Bedeutung der Angelegenheit sowie der glaubhaft gemachten Reaktion des Gegners sei „ausnahmsweise ein einmaliger telefonischer Klärungsversuch ausreichend“ gewesen.

Anmerkungen

Das Vertretungsmandat in dieser Angelegenheit hat vom 15.03.2012 bis zum 28.03.2012 gedauert. Es konnte für den Rechtsuchenden am 28.03.2012 in zwei Telefonaten erfolgreich bearbeitet und abschlossen werden. Das Verfahren über die Beantragung von Beratungshilfe sowie das sich anschließende Erinnerungsverfahren haben vom 30.12.2015 bis zum 26.01.2017 gedauert und es waren insgesamt 9 Schriftsätze abzusetzen. Ich lasse das jetzt einfach einmal kommentarlos so stehen.

Rechtsuchenden und auch der Rechtsanwaltschaft ist vor dem Hintergrund der neueren Rechtspraxis an vielen Amtsgerichten, die Beratungshilfe von der Glaubhaftmachung zuvor stattgehabter sog. „Eigenbemühungen“ des Rechtsuchenden abhängig zu machen, zu raten, diese im Fall der nachträglichen Beantragung von Beratungshilfe (vgl. dazu Stichwort Beratungshilfe, 1.) genau zu notieren und etwaige schriftliche Nachweise zur Akte zu nehmen. Gegebenenfalls empfiehlt es sich, gleich in der ersten Beratung eine Versicherung des Rechtsuchenden über Art um Umfang seiner „Eigenbemühungen“ aufzunehmen. Im Regelfall wird der Anwalt vor dem Hintergrund der stark von Kontingenzen geprägten Rechtsprechung zu der Frage, wann die Inanspruchnahme von Beratungshilfe mutwillig ist, auf die Vorlage eines Berechtigungsscheins bestehen. Dies ist die logische Folge einer Gesetzgebung, die – anstatt Ansprüche klar zu formulieren – in zunehmendem Umfang nicht nur mit unbestimmten Rechtsbegriffen operiert, sondern zur (scheinbaren) Konkretisierung der von ihr bemühten unbestimmten Rechtsbegriffe neue – genauso unbestimmte – Rechtsbegriffen einführt. § 1 Abs. 3 BerHG steht hierfür als Paradefall:

Mutwilligkeit liegt vor, wenn Beratungshilfe in Anspruch genommen wird, obwohl ein Rechtsuchender, der keine Beratungshilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände der Rechtsangelegenheit davon absehen würde, sich auf eigene Kosten rechtlich beraten oder vertreten zu lassen. Bei der Beurteilung der Mutwilligkeit sind die Kenntnisse und Fähigkeiten des Antragstellers sowie seine besondere wirtschaftliche Lage zu berücksichtigen.“

Mit dieser Formulierung hat der Gesetzgeber zum 01.01.2014 die bisherige Rechtsprechung des BVerfG zur „zumutbaren Selbsthilfe“ umgesetzt. Wie derartiges soft law indessen in der tagtäglichen (Beratungshilfe)Praxis umgesetzt werden soll, erschließt sich vermutlich nur mit höheren Weihen gesegneten obersten Bundesrichtern und unserem bundesdeutschen Gesetzgeber des 21. Jahrhunderts.

Das Amtsgericht Kiel jedenfalls hat nun festgestellt: Eigenbemühungen können auch fernmündlich erfolgen und wenn es sehr eilt und um wichtige Rechtsgüter geht, dann genügt ausnahmsweise auch ein einmaliger Klärungsversuch. Derartiger Kasuistik gehört offenbar die Zukunft.

Siehe auch: AG Halle (Saale), Beschluss vom 08.02.2012, 103 II 931/11: Auch Telefongespräche mit dem Gegner stellen eine Vertretung im Sinne des § 2 Abs. 1 BerHG dar.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


One Comment on “Beratungshilfe: „Ausnahmsweise“ einmaliger telefonischer Klärungsversuch ausreichend”

  1. AG Halle (Saale), Beschluss vom 08.02.2012, 103 II 931/11:

    Leitsatz

    Auch Telefongespräche mit dem Gegner stellen eine Vertretung im Sinne des § 2 Abs. 1 BerHG dar.

    Tenor

    Auf die Erinnerung vom 25. Januar 2012 wird die Vergütungsfestsetzung im Beschluss der Rechtspflegerin vom 21. November 2012 abgeändert.

    Die der Rechtsanwältin A… St… aus H… aus der Landeskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen werden festgesetzt auf 255,85 €.

    Gründe

    1

    Die Erinnerung ist zulässig gemäß § 56 Abs. 1 RVG in Verbindung mit §§ 11 Abs. 2, 24a RPflG. Die Erinnerung ist auch begründet.

    2

    Grundsätzlich gilt Folgendes (siehe Beschluss des Gerichts vom 29. November 2011, Az. 103 II 2102/11, veröffentlicht bei juris):

    3

    Grundsätzlich soll die Beratung den Unbemittelten in der Lage versetzen, selbst tätig zu werden und auf Grundlage der ihm erteilten Rechtsberatung die erforderlichen Schreiben selbst zu fertigen. Eine Geschäftsgebühr (Nr. 2503 VV RVG) kann daher nur bewilligt werden, wenn die Vertretung (in der Regel: Fertigung von Schriftsätzen an den Gegner) erforderlich im Sinne des § 2 Abs. 1 BerHG war. Dies ist im Vergütungsfestsetzungsverfahren zu prüfen. Erforderlich ist die Vertretung dann, wenn in dem Schreiben Rechtsausführungen zu machen sind. Bei Ausführungen, die ein Antragsteller auch selbst machen kann (Ausführungen nur zum Sachverhalt, Ratenzahlungsangebote) ist eine Vertretung nicht erforderlich. Die Erforderlichkeit einer Vertretung wird nicht dadurch begründet, dass ein anwaltlicher Schriftsatz beim Gegner größeren Eindruck macht als ein selbstgefertigtes Schreiben. Sie wird aber auch nicht dadurch begründet, dass der Antragsteller Probleme hat, die sich nicht aus dem Mangel an Rechtskenntnissen ergeben, etwa wenn er nicht oder nur schlecht deutsch spricht, Schwierigkeiten mit dem Verfassen von Schriftstücken hat oder körperbehindert ist. Beratungshilfe gewährt dem Unbemittelten eine rechtliche Beratung, nicht eine allgemeine Schreib- oder Lebenshilfe. Es ist nicht Aufgabe der Beratungshilfe, die Nachteile auszugleichen, die sich aus der sozialen, persönlichen oder gesundheitlichen Lage des Antragstellers ergeben. Vielmehr soll die Beratungshilfe nur die Nachteile ausgleichen, die sich daraus ergeben, dass sich der Antragsteller wegen Mittellosigkeit keine anwaltliche Beratung leisten kann. (Beschluss des Gerichts vom 4. Januar 2011, Az. 103 II 4688/10, veröffentlicht bei juris).

    4

    Beim Zustandekommen der Einigung, wenn der Rechtsanwalt daran mitgewirkt hat, fällt die Einigungsgebühr gemäß Nr. 2508 VVV RVG kraft Gesetzes an. Die Situation ist nicht vergleichbar mit der Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2503 VV RVG. Hier hat das Gericht die Erforderlichkeit anwaltlicher Vertretung zu prüfen, weil das Gesetz in § 2 Abs. 1 BerHG Beratungshilfe durch Vertretung nur soweit erforderlich gewährt. Eine vergleichbare Einschränkung für die Mitwirkung am Abschluss einer Einigung macht das Gesetz aber gerade nicht. (Beschluss des Gerichts vom 2. Juli 2010, Az. 103 II 6552/09, veröffentlicht bei juris)

    5

    Nach diesen Grundsätzen sind vorliegend sowohl die beantragte Geschäftsgebühr (Nr. 2503 VV RVG) als auch die beantragte Einigungsgebühr (Nr. 2508 VV RVG i. V. m. Nr. 1000 VV RVG) festzusetzen.

    6

    Die Rechtsanwältin führt aus, sie habe der Gegenseite telefonisch erläutert, dass die von der Gegenseite geforderten 112,00 € verauslagte Gerichtskosten seien, welche die Gegenseite wieder zurückerstattet erhält, wenn wegen des beabsichtigten Vergleichsschlusses kein Verfahren durchgeführt wird. Das Gericht glaubt dies der Rechtsanwältin, weil es den Schriftsatz vom 5. Dezember 2011, in welchem dieser Vortrag enthalten ist, als anwaltliche Versicherung versteht, auch wenn dies nicht ausdrücklich so bezeichnet ist. Die telefonischen Rechtsausführungen der Rechtsanwältin indizieren aber zugleich die Erforderlichkeit der Vertretung im Sinne des § 2 Abs. 1 BerHG (siehe hierzu Beschluss des Gerichts vom 2. Februar 2012, Az. 103 II 1822/10, veröffentlicht bei juris). Auch Telefongespräche mit dem Gegner stellen selbstverständlich eine Vertretung im Sinne des § 2 Abs. 1 BerHG dar.

    7

    Da aber durch die (in der gemäß § 2 Abs. 1 BerHG erforderlichen Vertretung bestehenden) Mitwirkung der Rechtsanwältin ein Vergleich zustandegekommen ist, ist auch die beantragte Einigungsgebühr entstanden. Im übrigen führten offensichtlich gerade diese Rechtsausführungen der Rechtsanwältin (und nicht bloß das Ratenzahlungsangebot) zum Vergleichsschluss, da die Gegenseite darüber belehrt wurde, dass bei Vergleichsschluss die 112,00 € erstattet werden. Gerade diese Unklarheit bezüglich der weiter geforderten 112,00 € haben aber offenbar die Gegenseite von einem Vergleichsschluss zunächst abgehalten, wie sich aus dem Schreiben der Gegenseite vom 28. Juli 2011 ergibt.

    8

    Der Fall liegt daher anders als in der Sache, die dem Beschluss des Gerichts vom 29. November 2011 (Az. 103 II 2102/11, veröffentlicht bei juris) zu Grunde lag: Dort hatte der Rechtsanwalt lediglich ein Ratenzahlungsangebot unterbreitet, aber keine Rechtsausführungen gemacht, sodass mangels Erforderlichkeit der Vertretung weder eine Geschäftsgebühr noch eine Vergleichsgebühr festgesetzt werden konnte.

    9

    Vorliegend hingegen ist die Berechnung im Antrag vom 10. Oktober 2011 aus den dargestellten Gründen zutreffend, sodass die Vergütung antragsgemäß festzusetzen ist.


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