Kein ALG II bei bloß tatsächlichem Teilzeitstudium
Veröffentlicht: 24. Mai 2017 Abgelegt unter: Studenten 3 Kommentare
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Studenten sind vom Arbeitslosengeld II (ALG II) ausgeschlossen, wenn ihr Studium dem Grunde nach BAföG-förderungsfähig ist. Ein BAföG-Anspruch besteht für Studierende aber nur dann, wenn das Studium die Arbeitskraft des Studierenden im Allgemeinen voll in Anspruch nimmt. Für ein formelles Teilzeitstudium besteht deswegen kein BAföG-Anspruch, es kann aber ALG II beantragt werden. An der Universität in Kiel können etwa alle 2-Fächer-Bachelor und Masterstudiengänge sowie die 1-Fach-Bachelor- und Masterstudiengänge Biologie und Chemie in Teilzeit studiert werden. Voraussetzung ist jedoch, dass der Student entweder einer Erwerbstätigkeit von mehr als 18 Stunden pro Woche nachgeht, die Betreuung oder Pflege eines Kindes oder eines pflegebedürftigen nahen Angehörigen geleistet wird oder eine Behinderung oder chronische Erkrankung vorliegt, welche die Studierfähigkeit so herabsetzt, dass ein ordnungsgemäßes Vollzeitstudium ausgeschlossen ist (vgl. die Infos der CAU zum Teilzeitstudium).
Von einigen Landessozialgerichten wurde ein ALG-II-Anspruch auch bei einem bloß faktischen Teilzeitstudium angenommen, also wenn ein Vollzeitstudiengang tatsächlich – etwa aus persönlichen, familiären oder gesundheitlichen Gründen – nicht in Vollzeit studiert werden kann. Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht ist dieser Rechtsprechung nicht gefolgt. Nach Auffassung des Gerichts kommt es ausschließlich auf die von der Ausbildungsstätte vorgenommene Ausgestaltung der Ausbildung an und nicht auf die individuellen Verhältnisse des Auszubildenden, derentwegen tatsächlich nur in Teilzeit studiert werden kann.
(Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 15.12.2016, L 6 AS 223/16 B ER)
Erstveröffentlichung in HEMPELS 4/2017
Zum Verfahren siehe auch meinen ersten Kommentar in den Kommentaren.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Im erstinstanzlichen Verfahren wurde von mir vorgetragen:
„Nach § 7 Abs. 5 SGB II wäre die Antragstellerin von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, wenn ihr Studium dem Grunde nach BAföG förderungsfähig wäre. Da die Antragstellerin ihr Studium indessen als Teilzeitstudium durchführt bzw. durchführen muss, unterfällt ihr Studium dem Leistungsausschluss nach § 2 Abs. 5 Satz 1 BAföG.
Hiernach wird Ausbildungsförderung nur geleistet, wenn der Ausbildungsabschnitt mindestens ein Schul- oder Studienhalbjahr dauert und die Ausbildung die Arbeitskraft des Auszubildenden im Allgemeinen voll in Anspruch nimmt. Voll in Anspruch nimmt die Arbeitskraft des Auszubildenden eine Ausbildung dann, wenn sie nach den Ausbildungsbestimmungen oder der allgemeinen Erfahrung insgesamt 40 Wochenstunden erfordert (Teilziffer 2.5.2 BAföGVwV). Bei dem Besuch von Hochschulen wird in der Praxis der Förderungsämter unterstellt, dass die Ausbildung 40 Wochenstunden in Anspruch nimmt. Nach dem Studienplan der Antragstellerin ist von circa 19,56 Stunden Arbeitsbelastung pro Woche ausgehen. Das faktische Teilzeitstudium im Bachelorstudiengang „Öffentlichkeitsarbeit und Unternehmenskommunikation“ am Fachbereich Medien an der Fachhochschule Kiel erfüllt damit das abstrakte Förderkriterium des § 2 Abs. 5 Satz 1 BAföG nicht. Nach Tz. 2.5.2 BAföGVwV a.E. sind Teilzeitausbildungen indessen nicht förderungsfähig.
Dem steht auch nicht entgegen, dass die Antragstellerin aus den genannten gesundheitlichen und persönlichen Gründen mit ihrem Teilzeitstudium tatsächlich weitgehend ausgelastet ist. Im Rahmen des § 2 Abs. 5 Satz 1 BAföG kommt es nämlich nicht darauf an, ob die Leistungsfähigkeit der ALG II-Antragstellerin aus gesundheitlichen oder sonstigen Gründen möglicherweise mit einem Teilzeitstudium weitgehend oder voll ausgelastet ist und sie individuell zu einem Vollzeitstudium gar nicht in der Lage wäre. Denn der Leistungsausschluss nach § 2 Abs. 5 Satz 1 BAföG betrifft nicht die Förderung im konkreten Fall, sondern die abstrakte Förderungsfähigkeit. Es komme danach nicht darauf an, ob die einzelne Auszubildende nach ihren persönlichen Verhältnissen noch in der Lage ist, neben der Ausbildung ihre Arbeitskraft für eine andere Tätigkeit einzusetzen, sondern allein darauf, ob die Ausbildung als solche in Teilzeitform durchgeführt wird. Insofern sieht das Gesetz eine objektive Betrachtung vor (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vom 06.08.2014, L 18 AS 1672/13; BVerwG, Urteil vom 14.12.1994, 11 C 28/93, wo ausgeführt wird, dass die dort in Rede stehende Ausbildung der Klägerin zur staatlich anerkannten Heilpädagogin, wäre sie in Vollzeitform betrieben worden, nach § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BAföG in der dort maßgeblichen Fassung förderungsfähig gewesen wäre, die von ihr tatsächlich in Teilzeitform betriebene Ausbildung jedoch nicht, Rn. 10). Die abstrakte Betrachtungsweise des § 2 Abs. 5 BAföG entspricht der herrschenden Rechtsprechung (vgl. BVerwG a.a.O.; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06.08.2014, a.a.O.; Beschluss vom 01.08.2007, L 28 B 1098/07 AS ER; Beschluss vom 19.11.2007, L 14 B 1224/07 AS ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 09.06.2009, L 13 AS 39/09 B ER).
Gegen die hier vertretene Rechtsauffassung streitet auch nicht der Grundsatz, dass die Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II nicht dem Zweck dienen dürfen, gleichsam eine Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene sicherzustellen, nachdem die primär dafür vorgesehenen Leistungen nicht gewährt werden können und eine Ausbildung, die dem generellen Ausschluss nach § 2 Abs. 5 Satz 1 2. Halbsatz BAföG unterfällt, deshalb nicht förderungsfähig ist, weil der entsprechende Ausbildungsgang so gestaltet ist, dass er den Auszubildenden die Möglichkeit belässt, neben der Ausbildung eine Berufstätigkeit auszuüben und so ihren Lebensunterhalt zu sichern. In Fällen, in denen die Möglichkeit der Aufnahme einer den Lebensunterhalt (vollständig) sichernden Erwerbstätigkeit neben der Ausbildung nicht realisiert werden kann, sind dennoch bedürftigkeitsabhängige Leistungen zu gewähren. Denn mit Leistungen nach dem SGB II wird in Fällen einer in Teilzeit durchgeführten Ausbildung nicht in erster Linie die Ausbildung finanziert, sondern das Risiko der Erwerbslosigkeit abgedeckt, welches unabhängig von der nur in Teilzeit durchgeführten Ausbildung besteht. Unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit einer Arbeitsaufnahme im Sinne des § 10 SGB II könnten Leistungen dann nur unter den Voraussetzungen der §§ 31 ff. SGB II abgesenkt werden beziehungsweise ganz wegfallen (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 01.08.2007, L 28 B 1098/07 AS ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 09.06.2009, L 13 AS 39/09 B ER; Thüringer LSG, Beschluss vom 15.01.2007, L 7 AS 1130/06 ER).“
Im Beschwerdeverfahren wurde (im Wesentlichen) ergänzend ausgeführt:
„Das Sozialgericht Kiel beruft sich auf den Wortlaut des § 2 Abs. 5 BAföG, wonach Ausbildungsförderung nur geleistet wird, „wenn der Ausbildungsabschnitt mindestens ein Schul- oder Studienhalbjahr dauert und die Ausbildung die Arbeitskraft des Auszubildenden im allgemeinen voll in Anspruch nimmt.“ Hieraus folgert das Sozialgericht, dass der Studiengang als solcher („abstrakt“) die Arbeitskraft der Studierenden voll in Anspruch nehmen muss. Unerheblich sei es für die Förderungsfähigkeit demgegenüber, ob dies tatsächlich der Fall ist oder faktisch in Teilzeit studiert werde. Diese Frage indessen ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung der Sozialgerichte umstritten.
Die Kommentarliteratur zu § 2 Abs. 5 BAföG stützt die hier vertretene Rechtsauffassung.
So unterscheidet etwa Rothe/Blank, BAföG, 5. Aufl., 37 Lfg., Mai 2014, § 2 Rn. 31.1 f (beigefügt in Anlage 4) „abstrakt“ zwischen (formellem) Vollzeitausbildung und Teilzeitstudium und erklärt das Teilzeitstudium – was unstreitig ist – als nicht BAföG-förderungsfähig (Rn. 31.1).
Von dem Erfordernis einer (formellen) Vollzeitausbildung ist nach Rothe/Blank a.a.O. Rn. 31.2 indessen die Frage zu unterscheiden, ob die Ausbildung die Arbeitskraft des Auszubildenden tatsächlich voll in Anspruch nimmt, was etwa bei einer Beurlaubung oder einer Ausbildung, die 60 % der regulären Wochenarbeitszeit in Anspruch nimmt, weil daneben erzieherische oder Betreuungsaufgaben erfüllt werden, nicht der Fall sei. Als Grund für einen BAföG-Ausschluss eines solchen faktischen Teilzeitstudiums schon „dem Grunde nach“ wird auf die Intention des Gesetzgebers verwiesen, nur jene Auszubildenden zu fördern, denen wegen ihrer Ausbildung die finanziellen Mittel fehlen, eigene Einkünfte zu erzielen. Deswegen stünde, so wörtlich, § 2 Abs. 5 „S. 1 Hs. 2 [BAföG] einer Förderung entgegen, wenn der Ausbildungsgang so gestaltet ist, dass er dem Auszubildenden im Allgemeinen die Möglichkeit belässt, neben der Ausbildung eine Berufstätigkeit auszuüben […]“.
Entgegen der Rechtsauffassung des Sozialgerichts soll der Zusatz in § 2 Abs. 5 S. 1 Hs. 2 BAföG, wonach die Ausbildung die Arbeitskraft des Auszubildenden „im Allgemeinen“ voll in Anspruch nehmen muss, lediglich klarstellen, „dass Ferienzeiten oder kurzfristige, vom Auszubildenden nicht zu vertretende Verminderungen der Unterrichts-, Praktikums- oder Vor- und Nachbereitungszeiten nicht einer Förderung entgegen stehen“ (Rothe/Blank a.a.O. Rn. 31.2, Seite 47 oben).
Der von der Beschwerdeführerin gewählte Bachelorstudiengang „Öffentlichkeitsarbeit und Unternehmenskommunikation“ am Fachbereich Medien der Fachhochschule Kiel ist aber gerade eine Studiengang, der den Studenten „im Allgemeinen die Möglichkeit belässt, neben der Ausbildung eine Berufstätigkeit auszuüben“. Dies bestätigt die Fachhochschule Kiel in ihrem in Anlage 5 beigefügten Schreiben vom 01.09.2016, in welchem u.a. ausgeführt wird:
„In der Prüfungsordnung ist jedoch nicht vorgeschrieben, dass die Studierenden in einer bestimmten Zeit eine vorgeschriebene Anzahl von Modulen absolviert haben müssen. Es ist somit möglich, dass die Studierenden das Studium verlängern und nach eigenem Ermessen Module verschieben. Dies ist kein Exmatrikulationsgrund. Für Studierende, die bereits arbeiten, sich selbst finanzieren müssen oder schon Familie haben, ist dieser Schritt häufig unumgänglich, um Überhaupt studieren zu können.“
Trotzdem das SH LSG einräumen muss, dass „eine wohl herrschende Meinung“ eine vom SH LSG abweichende Auffassung vertritt (Seite 4 letzter Absatz des Beschlusses), sah sich das SH LSG nicht einmal in der Lage, PKH zu bewilligen. Das mag hier unkommentiert stehen bleiben, denn es spricht für sich.
Die Begründung des SH LSG ist zudem dünn. Die Auffassung des SH LSG vertritt auch das LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 29.09.2015, L 31 AS 2074/15 B ER, mit einer juristisch fundierteren und sorgfältigeren Begründung und wird an diesem Thema Interessierten deswegen zur Lektüre empfohlen.
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Weil ich das Problem der Finanzierung meines Studiums umgehen wollte, entschied ich mich für einen anderen Weg: Nach dem Abitur machte ich zunächst ein FSJ in einem Krankenhaus in meinem Heimatort. Danach absolvierte ich eine Ausbildung in der Wohlfahrt mit Spezialisierung auf Altenpflege. Hierbei konnte ich gutes Geld verdienen und einige Kontakte knüpfen. Nachdem ich 1 Jahr lang in einem Altenpflegeheim gearbeitet hatte, arrangierte ich mit meinen Vorgesetzten das Studium. Sie halfen mir bei der Auswahl der Uni, der Finanzierung und Planung. Einfach toll! Ich kann jedem empfehlen, diesen Weg genauso zu gehen, wie ich. LG Juana