Jobcenter muss Fahrtkosten zur Waldorfschule übernehmen

(c) Kurt F. Domnik / pixelio.de

Schulpflichtige Kinder, deren Eltern von ALG II leben und die für den Besuch der „nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsgangs“ auf einen Schuldbus angewiesen sind, erhalten vom Jobcenter ihre tatsächlichen Fahrtkosten abzüglich eines Eigenanteils von 5 € erstattet. Einer Schülerin aus Husum, die die Grundschule einer privaten Waldorfschule in Flensburg besuchte, lehnte das Jobcenter die Übernahme ihrer Buskosten mit der Begründung ab, sie könne auch in Husum eine Grundschule besuchen, die sie zu Fuß erreichen könne. Das Sozialgericht Schleswig und das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht bestätigten die Entscheidung des Jobcenters. Das Bundessozialgericht gab nun der Schülerin Recht.

Die Waldorfschule in Flensburg nämlich war für die Schülerin die „nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsgangs“. Denn die Waldorfschule in Flensburg weist gegenüber den näher gelegenen öffentlichen Grundschulen in Husum einen „eigenständigen Bildungsgang“ auf. Zur Ausfüllung des Begriffs des „Bildungsgangs“ kann nämlich nicht allein auf die Schulart „Grundschule“ zurückgegriffen werden. Vielmehr ist auf das Profil der Grundschule abzustellen, soweit hieraus eine besondere inhaltliche Ausgestaltung des Unterrichts folgt, die nicht der näher gelegenen Schule entspricht. Diese besondere Profilbildung belegen im Hinblick auf die von der Schülerin besuchten Waldorfschule schon die besonderen Anforderungen, die für den Erwerb der allgemeinbildenden Schulabschlüsse an Waldorfschulen nach Schleswig-Holsteinischem Landesrecht gelten.

(BSG, Urteil vom 05.07.2017, B 14 AS 29/16 R)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 11/2017

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


3 Kommentare on “Jobcenter muss Fahrtkosten zur Waldorfschule übernehmen”

  1. Katrin Jahn sagt:

    Kleine Anmerkung: Die 5 € Eigenanteil sind nur dann zu zahlen, wenn das Kind die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen kann, ohne auf dem Schulweg zu sein. Für einen Bus, der nur morgens in Richtung Schule und Nachmittags die Kinder nach Hause fährt, sind die 5 € Eigenanteil nicht fällig.

    • Das setzt voraus, dass es vor Ort keinen ÖPNV gibt. Mag sein, dass es Regionen in Deutschland gibt, wo das der Fall ist. Können Sie Urteile für ihre Rechtsauffassung benennen? Denn immerhin: Der Eigenanteil von 5,- € wird ja damit begründet, im Regelsatz sei ein Bedarf für Mobilität enthalten. Diese Bedarsfposition ist aber ganz unabhängig davon enthalten, ob es vor Ort tatsächlich Busse gibt, die genutzte werden können (so wie ein Anteil für Kinobesuche im Regelsatz enthalten ist, auch wenn das letzte Kino vor Ort die Pforten geschlossen hat). Kurzum: Ich mache mal einige Fragezeichen hinter Ihre Aussage.

  2. Der Gesetzgeber hat diese BSG-Rechtsprechung jetzt in § 28 Abs. 4 SGB II in Gesetzesform gegossen (Geltende Fassung ab 01.09.2019):

    „(4) Bei Schülerinnen und Schülern, die für den Besuch der nächstgelegenen Schule des gewählten Bildungsgangs auf Schülerbeförderung angewiesen sind, werden die dafür erforderlichen tatsächlichen Aufwendungen berücksichtigt, soweit sie nicht von Dritten übernommen werden. Als nächstgelegene Schule des gewählten Bildungsgangs gilt auch eine Schule, die aufgrund ihres Profils gewählt wurde, soweit aus diesem Profil eine besondere inhaltliche oder organisatorische Ausgestaltung des Unterrichts folgt; dies sind insbesondere Schulen mit naturwissenschaftlichem, musischem, sportlichem oder sprachlichem Profil sowie bilinguale Schulen, und Schulen mit ganztägiger Ausrichtung.“


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