Nebenkostenübernahme nur für aktuell bewohnte Wohnung?
Veröffentlicht: 1. Oktober 2015 Abgelegt unter: Nebenkostennachforderungen | Tags: Betriebskostenübernahme durch Jobcenter, BSG Urteil vom 25.06.2015 B 14 AS 40/14 R, Nebenkostenübernahme durch Jobcenter 7 KommentareBisher gab es bei Betriebskostenguthaben und -Nachzahlungen für Hartz IV-Bezieher eine einfach und gerechte Regel: Betriebskostenguthaben aus Zeiten vor dem Leistungsbezug, die im Leistungsbezug ausgezahlt werden, werden auf den ALG II Anspruch angerechnet, Betriebskostennachforderungen vom Jobcenter übernommen. Begründet wurde dies mit dem Bedarfdeckungsgrundsatz. Umgekehrt werden Nebenkostenguthaben, die aufgrund von Leistungen des Jobcenters im Leistungsbezug entstanden sind, aber – etwa nach einer Arbeitsaufnahme – nach Beendigung überwiesen werden, nicht vom Jobcenter zurückgefordert, Nachzahlungen müssen dafür aber auch selbst getragen werden.
Von dieser vernünftigen Regelung ist das Bundessozialgericht nun ohne Not abgewichen und hat entschieden, dass Nebenkostennachforderungen vom Jobcenter nur für die aktuell bewohnte Wohnung übernommen werden müssen, nicht jedoch für eine nicht mehr bewohnte Wohnung dann, wenn die Nachforderung zu einem Zeitpunkt fällig geworden ist, zu dem die Wohnung nicht mehr bewohnt wurde. Begründet wird diese rational kaum nachvollziehbare Entscheidung vom BSG damit, die Nichtübernahme beeinträchtige das Grundbedürfnis Wohnen nicht, da die Übernahme nicht dem Erhalt der aktuell bewohnten Unterkunft diene. Leistungsbezieher sollten aufgrund dieser neuen Rechtsprechung darauf achten, dass der Vermieter die Nebenkostenabrechnung noch zu einer Zeit erstellt, zu der die Wohnung bewohnt wird.
BSG, Urteil vom 25.06.2015, B 14 AS 40/14 R
Erstveröffentlichung in HEMPELS 09/2015
Update 30.03.2017
Der 14. Senat des BSG ist mit seinem Urteil vom 30.03.2017 (B 14 AS 13/16 R) von seiner verfehlten Rechtsprechung nun ein gutes Stück weit wieder abgerückt:
„Grundsätzlich sind nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II nur die angemessenen, tatsächlichen Aufwendungen für die aktuell bewohnte Wohnung zu übernehmen, weil nur dies der Sicherung der Unterkunft dient. Nicht bezahlte Aufwendungen für frühere Wohnungen sind Schulden; diese werden nur ausnahmsweise übernommen (§ 22 Abs 8 SGB II). Vorliegend ist jedoch eine Ausnahme zu machen, weil die Klägerinnen durchgehend schon zum Zeitpunkt der tatsächlichen Entstehung der Nachforderung bis zu deren Geltendmachung und Fälligkeit im Leistungsbezug nach dem SGB II standen. Würde die Nachforderung nicht übernommen, würde dies faktisch wie eine Umzugssperre wirken, weil Alg II‑Empfänger bei unzureichenden Nebenkostenvorauszahlungen dem Risiko, Schulden zu machen, ausgesetzt wären. Besteht vor und nach dem Umzug ein Rechtsverhältnis zu demselben Vermieter oder Energielieferanten, können weitere Streitigkeiten bei den Abrechnungen in den Folgejahren auftreten, hinsichtlich deren das Jobcenter die Leistungsberechtigten zu beraten hätte. Zudem mindert eine Nebenkostenerstattung unabhängig von der Frage eines vorangegangenen Umzugs nach § 22 Abs 3 SGB II die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung.
Auf den Grund für den Umzug kommt es entgegen der Ansicht des Beklagten daher nicht an, zumal vorliegend eine Zusicherung für den Umzug seitens des Beklagten vorlag. Dass die Nachforderung an M ‑ den früheren Lebensgefährten der Klägerin zu 1 ‑ adressiert war, steht der anteiligen Übernahme nicht entgegen, da für Nachforderungen ebenso wie für laufende Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung grundsätzlich vom Kopfteilprinzip auszugehen ist.“
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt