Tilgungsraten bei Eigentumswohnung vom Jobcenter zu übernehmen

Sozialgericht Kiel

Mit Urteil vom 21.02.2012 hat das Sozialgericht Kiel erneut entschieden, dass bei selbst genutztem Wohneigentum auch die Tilgungsraten bis zur Höhe der angemessenen Kosten einer vergleichbaren Mietwohnung vom Jobcenter nach § 22 Abs. 1 SGB II übernommen werden müssen. Zur Begründung hat die 40. Kammer zutreffend – wenngleich auch sehr knapp – ausgeführt:

„Die Kammer geht hier weiter davon aus, dass sich die Angemessenheit der Unterkunftskosten für Mieter und Wohnungseigentümer nach einheitlichen Kriterien richtet. Grundsätzlich zählen zu den Kosten der Unterkunft alle die Unterkunft sichernden Aufwen­dungen (Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 22 Rn. 16). Dazu gehören neben den Zinsen, die im Rahmen eines Darlehens anfallen, das zur Finanzierung einer Ei­gentumswohnung aufgenommen worden ist (Lang/Link, a.a.0., Rn. 26), auch die Tilgungs­anteile im Rahmen der Finanzierung, soweit diese angemessen im Sinne von § 22 SGB II sind (BSG, Urteil vom 18. Juni 2008, B 14/11 b AS 67/06 R, Rn. 23). Weitere Voraussetzung für die (anteilige) Obernahme des Tilgungsanteils ist ferner, dass der Hilfebedürftige ge­zwungen wäre, ohne die Übernahme der Finanzierungskosten seine Wohnung aufzugeben (BSG, a.a.0.).

Dies ist vorliegend der Fall. Die kalten Unterkunftskosten des Klägers sind bis zur Höhe von monatlich EUR 301,50 bzw. EUR 308,50 angemessen. Ausweislich des vorgelegten Schrei­bens der finanzierenden Bausparkasse vom 04.08.2010 an den Antragsteller ist diese nicht bereit, den monatlichen Zahlbetrag zu stunden oder herabzusetzen. Hieraus wird hinrei­chend deutlich, dass die finanzierende Bank auf Einhaltung des vereinbarten Zahlungspla­nes einschließlich der Zahlung des vereinbarten Tilgungsanteils besteht.

Der gegen die vom BSG in der Entscheidung vom 18.06.2010 vertretene Auffassung vorgebrachten Kritik, dass so letztlich Vermögensaufbau zu Gunsten von Hilfeempfängern betrieben werde, wird nicht gefolgt. Zum einen geht die Kammer mit dem BSG davon aus, dass das Spannungsverhältnis zwischen Vermögensaufbau durch Grundsicherungsleistungen einerseits und der existenzsichernde Funktion der Grundsicherungsleistungen andererseits zumindest dann zugunsten eines gewissen Vermögensaufbaus bei dem Hilfeempfänger auf­zulösen ist, wenn ohne die (anteilige) Obernahme der Tilgungsleistung ein Verlust der Woh­nung als räumlichem Lebensmittelpunkt, der besonderen Schutz genießt, droht. Denn sollte sich ein solches Verlustszenario realisieren, hatte der Hilfebedürftige sodann mutmaßlich wieder als Mieter – einen Anspruch auf Übernahme der angemessen Unterkunftskosten, also in Kiel bis zur Höhe von EUR 308,50 bruttokalt. Zum anderen spricht auch das Gebot der Gleichbehandlung von hilfebedürftigen Mietern und Wohnungseigentümern für eine Einbe­ziehung von Tilgungsleistungen (vgl. hierzu BSG, a.a.0., Rn. 29).“

Das Urteil im Volltext findet sich hier: SG Kiel, Urteil vom 21.2.2012, S 40 AS 490/10

Weitere Urteile vom selben Tage mit gleichem Tenor und identischer Begründung: S 40 AS 550/11, S 40 AS 770/11, S 40 AS 1720/11.

Einschränkende Auslegung contra legem

Nach hiesiger Rechtsauffassung gehört die Behauptung, Sozialleistungen dürften bei allen (nur nicht bei den Hilfebedürftigen selbst) zu einer Vermögensmehrung führen, zu einer der sonderbarsten Argumentationslinien, die das deutsche Sozialrecht zu bieten hat, und die weder mit dem Gesetz noch rational zu begründen ist, sondern sich allein auf die Existenz entsprechender höchstrichterlicher Präjudizien stützen lässt – denen im Recht freilich ein ganz eigenes, eigentümliches Gewicht zukommt.

Da § 22 Abs. 1 SGB II keine Differenzierung im Hinblick auf die Art und Weise (der Finanzierung) der Unterkunft vornimmt, verstößt die Nichtanerkennung einzelner Kosten – wie hier der Finanzierungskosten, soweit diese auf Tilgungsleistungen entfallen – gegen geltendes Recht.

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Frage der Nichtberücksichtigung von Tilgungsleistungen im Gesetzgebungsverfahren zur letzten SGB II-Novelle ausführlich erörtert wurde. In seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur BT Drucks. 17/3958 (Seiten 1, 9, 13, 14) schlug der Bundesrat vor, Tilgungsleistungen ausdrücklich aus dem Katalog der KdU-Leistungen auszuschließen. Diesem Vorschlag ist die Bundesregierung in ihrer Unterrichtung (BR, BT Drucks. 17/3982 zu BT Drucks. 17/3958, Seiten 1, 7, 8) nicht gefolgt. Zur Begründung hat die Bundesregierung ausgeführt:

Zu Dreifachbuchstabe bbb

Der Bundesrat schlägt abweichend von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor, Tilgungsleistungen für ein Eigenheim zukünftig nicht mehr als Unterkunftsbedarf anzuerkennen. Im Übrigen soll die Gewährung eines Darlehens für mit einem Eigenheim in Zusammenhang stehende Aufwendungen von einer dinglichen Sicherheit abhängig gemacht werden dürfen.

Die Bundesregierung unterstützt den Vorschlag soweit die dingliche Sicherung des gewährten Darlehens vorgeschlagen wird. Im Übrigen lehnt sie den Vorschlag ab.

Der Ausschluss von Tilgungsleistungen für ein Eigenheim vom Bedarf für die Unterkunft lässt abweichend von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts keinen Raum für die Gewährung eines Zuschusses in Härtefällen. Bei bereits bestehenden Schulden birgt die Gewährung eines Darlehens die Gefahr einer Verschuldensspirale. Soweit die Gewährung eines Darlehens für mit der Wohnung in Zusammenhang stehende Aufwendungen von einer dinglichen Sicherung abhängig gemacht werden dürfen soll, kann einer Änderung zugestimmt werden. Die dingliche Sicherheit (z. B. Bestellung einer Hypothek) sollte dann aber im Regelfall gefordert werden.

Der Gesetzgeber hat mithin die Möglichkeit, Tilgungsleistungen aus dem Leistungsumfang der Zuwendungen für die Unterkunft zu entnehmen, gesehen, erwogen und sich bewusst gegen eine entsprechende Änderung des § 22 SGB II entschieden. Vor dem Hintergrund dieser klaren gesetzgeberischen Entscheidung ist die These, Tilgungsleistungen dürften, da zur Vermögensbildung bei dem Leistungsberechtigten beitragend, nicht übernommen werden, nicht (mehr) vertretbar.

Vermögensbildung auch im Wohngeldrecht

Zu Recht ist das BSG der Behauptung, Sozialleistungen dürften nicht zur Vermögensbildung bei Leistungsberechtigten beitragen, bereits in seinem Urteil vom 18. Juni 2008 (a.a.O. Rz. 29) mit Hinweis auf den Lastenzuschuss im Wohngeldrecht – bei welchem es sich auch um eine Sozialleistung handelt – entgegen getreten und hat – ohne das Glaubensbekenntnis von der verbotenen Vermögensmehrung bei Leistungsberechtigten freilich endgültig über Bord zu werfen – zutreffend ausgeführt:

„Ausgehend vom Ziel des Gesetzgebers, die Beibehaltung der Wohnung zu ermöglichen, so lange dies zu Lasten der Allgemeinheit mit vertretbaren Kosten (angemessene Kosten der Unterkunft) verbunden ist, spricht auch das Gebot der Gleichbehandlung von hilfebedürftigen Mietern und Wohnungseigentümern für eine Einbeziehung von Tilgungsleistungen. Eine Ausformung dieses Gebots lässt sich auch dem Wohngeldrecht entnehmen. Der Bezugnahme auf das Wohngeldrecht kann in diesem Zusammenhang nicht entgegen gehalten werden, dass dessen Grundsätze für die Bestimmung der Angemessenheit der Unterkunftskosten nicht maßgebend seien (vgl. BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 3, RdNr 18). Entscheidend ist hier, dass sowohl die Leistungen für KdU nach § 22 SGB II als auch das Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz (WoGG) der Sicherung des Wohnens dienen. Alg II- und Sozialgeldempfänger nach dem SGB II sind nur deshalb aus dem Kreis der Wohngeldberechtigten (§ 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 WoGG) ausgeschlossen, weil Leistungen für die KdU nach § 22 SGB II den angemessenen Wohnbedarf umfassend sicherstellen. Nach § 6 Abs 1 WoGG wird aber bei Eigentumswohnungen als „Belastung“ diejenige „aus dem Kapitaldienst und aus der Bewirtschaftung“ zugrunde gelegt. Zum Kapitaldienst zählt dort neben den Darlehenszinsen ua auch die Tilgungsverpflichtung (Stadler/Gutekunst/Dietrich/Fröba, Wohngeldgesetz, Stand: April 2008, § 6 RdNr 37 ff). Hieraus wird zudem deutlich, dass die Übernahme von Tilgungsleistungen in einem steuerfinanzierten Sicherungssystem nicht notwendig ausgeschlossen ist.“

Situation im Kreis Plön

Während das Jobcenter Kiel die Übernahme von Tilgungsraten bei selbstgenutzem Wohneigentum generell ablehnt, werden Tilgungsraten vom Jobcenter Plön in Umsetzung der Rechtsprechung des BSG in der Regel übernommen. In den Handlungsanweisungen des Kreises Plön ist unter Nr. 3 nachzulesen:

„Die zu Mietwohnungen entwickelten Grundsätze gelten auch, soweit Leistungsberechtigte ein selbst genutztes Hausgrundstück bzw. eine selbst genutzte Eigentumswohnung von angemessener Größe im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II bewohnen. Diese rein vermögensrechtliche Schutzvorschrift wirkt sich nicht auf die Höhe der nach § 22 SGB II zu übernehmenden Unterkunftskosten aus.

§ 22 SGB II sieht ohne Differenzierung danach, ob der Wohnbedarf durch Eigentum oder Miete gedeckt wird, Leistungen für Unterkunft und Heizung bis zur Grenze der Angemessenheit vor. Nach dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG ist für die Angemessenheit der Kosten eines Eigenheimes wie bei einer Mietwohnung die anerkannte Wohnraumgröße für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau und den Aufwendungen für eine Wohnung dieser Größe mit unterem Wohnstandard zu Grunde zu legen.

Daher ist bei Wohneigentum zunächst zu ermitteln, wie hoch die angemessenen Unterkunftskosten (Nettokaltmiete zzgl. Nebenkosten) bei einem Mietobjekt liegen würden. Bis zur Summe dieser angemessenen Kosten sind die tatsächlichen Aufwendungen zu berücksichtigen. Zu den Unterkunftskosten für selbst genutztes Wohneigentum zählen dabei alle notwendigen Ausgaben, die bei der Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung abzusetzen sind; § 7 Abs. 2 der Verordnung zu § 82 SGB XII findet insoweit entsprechende Anwendung.

Wenn diese Ausgaben die angemessenen Unterkunftskosten einer vergleichbaren Mietwohnung nicht übersteigen, können auch Tilgungsleistungen bis zu der angemessenen Höhe übernommen werden (BSG-Urteil vom 18.06.2008, B 14/11b AS 67/06 R). Erforderlich für die Übernahme von Tilgungsleistungen ist aber, dass diese zur Erhaltung des Wohneigentums unvermeidbar sind. Der Hilfebedürftige muss deshalb vor einer Inanspruchnahme staatlicher Leistungen alles unternehmen, um die Tilgungsverpflichtung während des Bezugs von Grundsicherungsleistungen so niedrig wie möglich zu halten. Die vom BSG ins Auge gefasste darlehensweise Übernahme unvermeidlicher Tilgungsleistungen, die die angemessenen Kosten einer Mietwohnung übersteigen, dürfte nur in sehr seltenen Einzelfällen in Betracht kommen, nämlich dann, wenn ein Ende der Leistungsberechtigung durch eine absehbare Arbeitsaufnahme hinreichend wahrscheinlich ist.“

Eine einheitliche Anwendung von Bundesrecht sieht anders aus.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


7 Kommentare on “Tilgungsraten bei Eigentumswohnung vom Jobcenter zu übernehmen”

    • ck sagt:

      Typisch, daß die Behördenmafia aus Beton-Württemberg so geurteilt hat und gut, daß ihr endlich eine vom BSG reingesemmelt wurde. Hoffentlich klagen sich jetzt die andern Wohneigner ihre KdU incl Tilgung ein. Den Mietern wurden die ja schon seit je zugestanden – in Form des Tilgungsanteils ihrer Kaltmiete. Nur daß dieser an die Wohnraumbesitzer ging. Also Umverteilung von unten nach oben und Vermögensmehrung aus Sozialtransfer. Endlich kann mit dieser verfassungswidrigen Ungleichbehandlung Schluß gemacht werden.

      • Ich habe in einer der letzten Verhandlungen vor dem SG Schleswig zum Thema Übernahme von Tilgungsleistungen bei selbstgenutztem Wohneigentum versucht herauszufinden, woran es liegt, dass dieses Thema – auch bei Richtern und Schöffen – solche Emotionen auslöst.

        Denn es lässt aufhorchen, wenn Richter in der mündlichen Verhandlung oder auch außerhalb des Protokolls äußern, sie hätten schließlich auch keine Eigentumswohnung und sähen nicht ein, warum „der Steuerzahler“ für Hartz IV-Empfänger die Eigentumswohnung finanzieren soll.

        Auf meine Frage direkt an einen Schöffen, warum dieser Bedenken an einer Vermögensbildung bei Leistungsberechtigten nach dem SGB II durch Sozialleistungen habe, nicht jedoch etwa bei Privat Capitel Fonds, die zunehmend den Wohnungsbestand in Deutschland aufkaufen (besonders den privatisierten ehemaligen kommunalen Wohnungsbestand!), die Häuser verfallen lassen und die Mieteinahmen ins Ausland transferieren, wurde mir gesagt, der Unterschied sei darin zu sehen, dass diese Anleger eben für ihr Geld „gearbeitet“ hätten, die Leistungsberechtigten aber (jedenfalls solange sie im Leistungsbezug seien) nicht (mehr).

        Abers stimmt das? Nehmen wir an, ein Investor kauft kreditfinanziert einen Häuserblock in Kiel, lässt diesen über eine Verwaltung vermieten und refinanziert so seine Investitionen. Hat dieser Investor für irgendetwas gearbeitet? Oder bildet er ausschließlich Vermögen mit Steuermitteln? Die Frage zu stellen heißt, sie zu beantworten.

        Eigentlich haben solche Diskurse in einem Gerichtssaal nichts verloren. Es hat allein um die Frage zu gehen, ob Tilgungsleistungen zu den notwenigen Kosten der Unterkunft gehören oder keine notwenigen Kosten der Unterkunft sind, sondern Vermögensmehrung bei dem Leistungsberechtigten. Dies Frage lässt sich leicht beantworten: Kosten der Unterkunft sind alle Kosten, die zu erbringen sind, um die Wohnung zu erhalten. Dabei spielt es weder eine Rolle, ob die Wohnung der öffentlichen Hand, Privaten oder dem Leistungsberechtigten selbst gehört und es ist rechtlich auch vollkommen unerheblich, ob die Wohnung bereits lastenfrei ist oder nicht und was der Vermieter mit seinem Geld macht. Weil aber nach hiesigen Erfahrungen außerrechtliche Erwägungen in diesen Verfahren letztlich streitentscheidend sind, ist hierüber zu sprechen.

  1. Frau J. Wirth sagt:

    Soeben eine Erörterung am LSG gehabt wg. Wohnkosten (Tilgungsraten, die seit 2000 für den Um- und Ausbau unseres von Oma geschenkten Häuschens anfallen). Man wolle mir entgegenkommen, falls ich noch Rechnungen über Instandhaltungsmaßnahmen aus dem anhängigen Zeitraum 2008/09 hätte, aber die monatl. Tilgungsrate würde nicht übernommen, da dabei der Vermögensbildungsaspekt im Vordergrund stehe. Und selbst wenn das Gericht mir „Recht geben“ würde (!?!), würde ja die Beklagte in Revision gehen. Als ich erkennen ließ, dass ich anderenfalls auch zum BSG gehen würde, teilte mir die Richterin mit, dass mir in diesem Fall und wenn ich die Revision am LSG nicht fallen lasse, die Kosten des laufenden Verfahrens auferlegt würden!!!???!!! Die Urteile von Kiel interessieren gar nicht – weil – Kiel ist ja sooo weit weg. Ich bin entsetzt…


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