Eigenbeteiligung an den Schülerbeförderungskosten nur 5 €

Günter Havlena  / pixelio.de

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Der zuständige Leistungsträger (zu den Zuständigkeiten in Kiel mehr hier) übernimmt unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten für Schülermonatsfahrkarten. Weil man diese nicht nur für den Schulweg, sondern auch für andere Fahrten etwa in der Freizeit nutzen kann, wurde von vielen Leistungsträgern ein „zumutbarer Eigenanteil“ angerechnet. In Kiel betrug dieser für Schüler bis 17 Jahren 10 € und ab 18 Jahren 15 € monatlich (vgl. die Arbeitshinweise der Stadt Kiel). Ab 01.08.2013 werden bundesweit einheitlich pauschal 5 € angerechnet (§ 28 Abs. 4 Satz 2 SGB II n.F.). Im begründeten Einzelfall kann ein anderer Betrag festgesetzt werden.

Für den Zeitraum vor dem 01.08.2013 hat die 30. Kammer am SG Kiel mit Urteil vom 06.08.2013, S 30 AS 1532/11 entschieden, dass der von der Stadt Kiel je nach Alter des Schülers auf 10 € bzw. 15 € festgesetzte Eigenbeitrag zu hoch bemessen war und eine Kostenbeteiligung von lediglich 5 € für rechtmäßig erachtet. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt:

„Nach einer Wortlautauslegung und auch nach einer Auslegung nach Sinn und Zweck der Regelung des § 28 Abs. 4 SGB II ist davon auszugehen, dass die Berücksichtigung einer Eigenbeteiligung der Leistungsberechtigten an sich nicht zu beanstanden ist. § 28 Abs. 4 SGB II formuliert, dass ein Anspruch besteht, soweit es der leistungsberechtigten Person nicht zugemutet werden kann, die Aufwendungen aus dem Regelbedarf zu bestreiten. Dass der Gesetzgeber diese Formulierung wählte, spricht dagegen, dass er eine Regelung derge­stalt treffen wollte, dass Rechtsfolge nur entweder die volle Übernahme der Beförderungs­kosten oder gar keine Übernahme der Beförderungskosten sein könne. Für den Fall, dass entweder gar kein Anspruch bestehe oder nur eine Übernahme der kompletten Beförderungskosten hätte erfolgen sollen, hätte er nicht die Formulierung „soweit“ sondern eine Be­dingungsformulierung wie „falls“ oder „wenn“ wählen können. Die Formulierung „soweit“ er­möglicht zumindest nach dem Wortlaut auch eine anteilige Kostenbeteiligung des Leistungs­berechtigten Diese Auslegung der Norm wird durch die Novellierung der Regelung § 28 Abs. 4 SGB II mit Gültigkeit ab dem 01.08.2013 gestützt. Ab dem 01.08.2013 ist der Regelung des § 28 Abs. 4 SGB II ein Satz 2 eingefügt. Dieser wird lauten, dass als zumutbare Eigen­leistungen in der Regel ein Betrag in Höhe von 5,00 EUR monatlich anzusetzen ist. Ohne Umformulierung der Norm im Übrigen wird also eine zumutbare Eigenleistung der Höhe nach bestimmt. Der Gesetzgeber unterstreicht durch die Änderung, dass die Regelung des § 28 Abs. 4 SGB II (ab dem 01.08.2013: § 28 Abs. 4 Satz 1 SGB II) auch einen Anspruch auf eine partielle Kostenübernahme unter Berücksichtigung einer Eigenbeteiligung regelt.

Eine Auslegung nach Sinn und Zweck der Leistungen nach § 28 Abs. 4 SGB II in Relation zu dem Regelbedarf nach § 20 SGB II ermöglicht ebenfalls eine Anrechnung. Unstreitig profi­tiert ein Leistungsberechtigter auch über den Schulweg hinaus davon, wenn er ein Monatsti­cket erhält, mit dem er auch zu anderen Zeiten und zu anderen Zwecken innerhalb eines bestimmten Bezirkes mobil ist. Insofern gibt es eine partielle Doppeldeckung des Bedarfes an Mobilität. Unstreitig finden sich die Kosten für die Mobilität im Übrigen in dem Regelbedarf wieder. Nach § 20 Abs. 5 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1, Nr. 3 (Jugendliche vom Beginn des 15. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres) Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch sind im Jahr 2011 in der Abteilung 7 (Verkehr) Kos­ten in Höhe von monatlich 12,62 EUR regelbedarfsrelevant. Die Kammer hatte nunmehr zu klären, in welcher Höhe eine Eigenbeteiligung angemessen ,ist, um auf der einen Seite eine partielle Doppeldeckung des Bedarfes an Mobilität zu vermeiden, und auf der anderen Seite der Pauschalierung des Systems des Regelbedarfes gerecht zu werden. Anknüpfungspunkt für die Festlegung der Höhe der Eigenbeteiligung ist der unbestimmte Rechtsbegriff der „Zumutbarkeit“, der in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Ein Betrag in Höhe von monatlich 10,00 EUR ist bei einem Regelbetragsanteil von monatlich 12,62 EUR zu hoch bemessen sein. Dies folgt insbesondere aus dem Gesichtspunkt, dass das System der Pauschalierung des Regelbedarfes den Leistungsberechtigten eine Dispositionsmöglich­keit einräumt. Es muss sichergestellt werden, dass Leistungsberechtigte nicht nahezu gänz­lich ihrer Dispositionsbefugnis enthoben werden. Dies ist bei einer Eigenbeteiligung in Höhe von monatlich 10,00 EUR jedoch der Fall. Mit monatlich 2,62 EUR verbliebe den Kläger ein zu geringer Betrag für alle Verkehrsausgaben jenseits von Busfahrten im Stadtgebiet Kiel — wie zum Beispiel Kosten für Fernfahrten oder aber auch Kosten für das Vorhalten eines Fahrrades — um noch von einer Dispositionsmöglichkeit sprechen zu können. Insofern war der Betrag der Eigenbeteiligung niedriger festzusetzen. Zur genauen Bestimmung der Hohe hielt es die Kammer für angezeigt, auf die gesetzgeberische Entscheidung, die mit Wirkung ab dem 01.08.2013 in Kraft tritt, abzustellen. Ab dem 01.08.2013 ist der Regelung des § 28 Abs. 4 SGB II ein Satz 2 eingefügt. Dieser wird lauten, dass als zumutbare Eigenleistungen in der Regel ein Betrag in Höhe von 5,00 EUR monatlich anzusetzen ist. Im Gesetzesentwurf des Bundesrates ist zur Begründung ausgeführt:

In der Praxis erweist sich der Verwaltungsaufwand für die Ermittlung des von den Schülerinnen und Schülern zumutbar zu tragenden Eigenanteils an der Schülerbeför­derung als außergewöhnlich kompliziert. Ausgangspunkt für die Ermittlung der Höhe der Eigenbeteiligung sind die Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 nach § 28 SGB XII (EVS 2008), dort die regelbedarfsrelevanten Verbrauchs­ausgaben nach der Abteilung 7 (Verkehr). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die korrespondierenden Anteile der Regelleistung auch die Mobilitätsbedarfe befriedigen sollen, die neben den Aufwendungen für den Weg zur Schule bestehen (persönliche Kontakte, Besuche von Angehörigen, Wahrnehmung von Freizeitangeboten). Die Schwierigkeit bei der Ermittlung des zumutbaren Eigenanteils bei der Schülerbeförderung nach § 28 Absatz 4 SGB II liegt darin, dass zum einen zu berücksichtigen ist, ob nur die Kosten für die Schülerbeförderung entstehen oder das Angebot des Perso­nennahverkehrs nur eine Fahrkarte vorsieht, die auch für andere Zwecke verwendet werden kann. Im zweitgenannten Fall kommt es weiter darauf an, wie weit das da­durch erschlossene Mobilitätsfeld reicht. Neben diesen objektiven Gegebenheiten kommt aber auch noch die subjektive Bedarfslage zum Tragen, nämlich die Frage, in welchem Umfang die Leistungsberechtigten davon nicht abgedeckte Mobilitätsbedar­fe haben. Da es an normativen Vorgaben fehlt und auch die EVS 2008 hier nicht weiter hilft, ist es ein Gebot der verwaltungspraktischen Handhabbarkeit, für den Regel­fall einen Wert ansetzen zu können, der eine gleichmäßige Handhabung sichert und dem Kriterium der Zumutbarkeit in angemessenem, aber auch ausreichendem Maße Rechnung trägt. Aus der Erfahrung der Verwaltungspraxis der kommunalen Träger ergibt sich dabei ein Durchschnittswert von 5 Euro monatlich, der regelmäßig als zu­mutbar gelten kann und bei der Rechtsanwendung zu Grunde zu legen ist. Dem Ge­sichtspunkt besonderer örtlicher oder persönlicher Verhältnisse wird dadurch Rech­nung getragen, dass in Fallen, die von der Regel abweichen, eine andere Festset­zung des Eigenanteils möglich.“ (BT-Drs. 17/12036, S. 7 f)

Der Betrag in Höhe von 5,00 EUR monatlich ist im Einzelfall des Klägers zumutbar. Dem Kläger ist durch den Erwerb der Monatskarte der Preisstufe II eine Mobilität praktisch im gesamten Stadtgebiet der Landeshauptstadt Kiel ermöglicht. Besonderheiten im Mobilitätsbe­darf zeigten sich im Fall des Klägers nicht. Der Betrag ist Hohe von monatlich 5,00 EUR ist daher angemessen, um auf der einen Seite die durch das Monatsticket entstehende Mobilität des Klägers über die Schülerbeförderung hinaus zu berücksichtigen und auf der anderen Seite eine gewisse Dispositionsbefugnis, die das System des pauschalierten Regelbedarfes gewähren soll, zu erhalten.“

Hinweise für Betroffene

Eltern, deren Kinder bis zum 01.08.2013 10 € bzw. 15 € monatlich zu den Schülerbeförderungskosten zuzahlen mussten, können noch bis zum 31.12.2013 eine Überprüfungsantrag für den Zeitraum 01.01.2012 bis 31.07.2013 stellen und für diesen Zeitraum von 19 Monaten eine Nachzahlung von 190 € bzw. 95 € einfordern.

Anderer Ansicht:

SG Kassel, Urteil vom 03.08.2012, S 10 AS 958/11: Eine Reduzierung der erstattungsfähigen Kosten der Schülerbeförderung um einen im Regelsatz enthaltenen Teilbetrag scheidet so lange aus, bis der Gesetzgeber einen solchen konkreten Absatzbetrag festgelegt hat.

LSG Westfalen, Beschluss vom 10.10.2012, L 12 AS 172/12: Die Anrechnung der im Regelbedarf angesetzten Verbrauchsausgaben für Verkehr auf einen etwaigen Anspruch gem. § 28 Abs. 4 SGB II ist rechtmäßig.

SG Chemnitz, Urteil vom 30.03.2012, S 22 AS 5853/11: Das Gericht geht dabei nach § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. 287 der Zivilprozessordnung (ZPO) davon aus, dass bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 50 v. H. und ab Beginn des 15. Lebensjahres 75 v.H. der nach § 6 RBEG bedarfsrelevanten Anteile der Gruppe 7 (Verkehr) als zumutbarer Eigenanteil nach § 28 Absatz 4 SGB II bei auch privat zu nutzender Monatskarte zu berücksichtigen sind.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


2 Kommentare on “Eigenbeteiligung an den Schülerbeförderungskosten nur 5 €”

  1. Björn sagt:

    Hallo Helge, hallo LeserInnen,

    dies ist wieder ein sehr interessantes Urteil.

    Besonders wichtig ist auch dein (Helge Hildebrandt) wichtiger Hinweis, dass die Betroffenen
    einen Überprüfungsantrag gem. § 44 SGB X stellen können bzw. sollten, da es für insgesamt
    19 Monate (01.01.2012 – 31.07.2013) eine Nachzahlung von 190,– € bzw. 95,– € einfordern sollten.

    195,– € bzw. 90,– € sind verdammt viel Geld, wenn man bedenkt, wie schon in einem anderen Kommentar geschrieben, der Hartz IV-Regelsatz für einen Erwachsenen bei einem
    1-Personenhaushalt in Bezug auf Lebensmittel u. Getränke PRO TAG bei

    4,77 €

    liegt.

    Unglaublich ist, dass es wieder ein Gerichtsurteil geben mußte (für die Zeit bis zum 31.07.2013), damit die Leistungsberechtigten (Bedürftigen) nur das zahlen bzw. abgezogen
    bekommen, was sie lt. Gericht auch selbst aufbringen müssen.

    Gruß

    Björn


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