Keine Beratungshilfe für die Vertretung in einem Mietsenkungsverfahren – manchmal
Veröffentlicht: 19. November 2019 Abgelegt unter: Beratungshilfe 3 Kommentare
Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)
Mit Beschluss vom 18.11.2019, Aktenzeichen 7 UR II 2226/19, hat das Amtsgericht Kiel in einem Richterbeschluss die nachträgliche Beratungshilfegewährung für die anwaltliche Beratung und Vertretung im Rahmen eines laufenden Mietsenkungsverfahren abgelehnt. Zur Begründung führt das Gericht aus, es fehle in diesen Fällen noch an einer rechtlichen Betroffenheit der Rechtsuchenden, weil eine „belastende Entscheidung“ der Behörde – in diesen Fällen der Bewilligungsbescheid, mit dem nur noch die abgesenkte Miete anerkannt wird – noch nicht vorliegt. Eine kostenbewusste Rechtsuchende hätte in dieser Situation die Entscheidung des Sozialleistungsträgers abgewartet, um sodann Widerspruch gegen die Entscheidung einzulegen und im Erfolgsfall ihre Kosten gegenüber dem Sozialleistungsträger geltend machen zu können, § 64 SGB X (so etwa BVerfG, Beschluss vom 07.02.2012, 1 BvR 804/11, Rn. 13).
Diese Entscheidung verwundert, weil es in dem vorliegenden Fall (anders als in der vom AG Kiel zitierten Entscheidung BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 09.01.2012, 1 BvR 2852/11, wo zudem die Prüfung behördenseitig noch gar nicht abgeschlossen war) um relativ schwierige rechtliche Fragen gegangen ist, die ohne fachkundigen juristischen Rat von den Rechtsuchenden nicht hätten beantwortet werden können (siehe das hiesige Schreiben an das Jobcenter Kiel in den Kommentaren). Zudem verkennt das Gericht, dass anwaltliche Beratung auch in einem laufenden Mietsenkungsverfahren erforderlich sein kann, um später nicht mehr zu reparierende Fehler – etwa bei der Dokumentation von Suchbemühungen – zu vermeiden. Zudem ließe sich füglich darüber streiten, ob Beratungshilfe schon immer dann abgelehnt werden sollte, wenn deren Ablehnung gerade noch keine Grundrechtsverletzung ist (Grundrecht auf Rechtswahrnehmungsgleichheit, Art. 3 Abs. 1 i.V. mit Art. 20 Abs. 1 und 3 GG) – und nichts anderes prüft das BVerfG ja.
Für die anwaltliche Praxis bedeutet diese Entscheidung, dass der Anwalt Rechtsuchenden in Mietsenkungsverfahren raten muss, bei dem zuständigen Amtsgericht vor dem Aufsuchen eines Rechtsanwalts einen Berechtigungsschein zu beantragen (§ 6 Abs. 1 BerHi). Wird dieser erteilt, was durchaus vorkommt, kann das Amtsgericht im Rahmen der Kostenfestsetzung später die Festsetzung von Beratungshilfe nicht mehr ablehnen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 22.5.2007, 8 W 169/07). Wird der Berechtigungsschein nicht erteilt, hat der Rechtsuchende die Wahl, entweder den Anwalt selbst zu bezahlen oder den Bewilligungsbescheid, mit dem nur noch die Mietobergrenze anerkannt wird, abzuwarten, und alsdann einen Anwalt aufzusuchen. Im Sinne einer vernünftigen Rechtspflege ist das alles nicht, aber offenbar so gewollt.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Hiesiges Schreiben vom 22.05.2019 im Rahmens des Mietsenkungsverfahrens:
„Mir liegt Ihre Mietsenkungsaufforderung vom 21.12.2018 zur Stellungnahme vor.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Mietobergrenze für einen Dreipersonenhaushalt nach hiesigen Informationen bei 533,00 € und nicht 533,50 € bruttokalt liegt, vgl. Kieler Ratsversamm-lung, Drucksache 0153/2019 vom 21.03.2019.
Nach zwischenzeitlich gefestigter Rechtsprechung (vgl. BSG, Urteil vom 25.04.2018, B 14 AS 14/17 R; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 23.11.2018, L 3 AS 175/16, rechtskräftig; SG Kiel, Beschlüsse vom 11.08.2016, S 43 AS 185/16 ER und 30.11.2016, S 39 AS 289/16 ER) ist zur Bestimmung der Angemessenheit der Unterkunft im Regelungsbereich des SGB II nicht auf die Anzahl der Mitglieder eines Haushalts, sondern der Bedarfsgemeinschaft ab-zustellen. Denn die Frage der Angemessenheit kann stets nur im Hinblick auf den Leistungsberechtigten nach dem SGB II und den mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen beantwortet werden (ausdrücklich BSG a.a.O.). Nur für diesen Personenkreis ergeben sich im Hinblick auf die Angemessenheit Begrenzungen (st. Rspr. vgl. nur BSG, Urteil vom 18.06.2008, B 14/11 b AS 61/06; zu § 6a BKGG vgl. auch BSG, Urteil vom 09.03.2016, B 14 KG 1/15 R). Lebt ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter nicht mit anderen Personen in einer Bedarfsgemeinschaft, ist demnach bei der Bestimmung der angemessenen Aufwendungen der Unterkunft nach der Produkttheorie allein auf ihn als Einzelperson abzustellen (vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2008, B 14/11 b AS 61/06 R). Dies gilt auch für den Fall, dass zwar alle Bewohner einer Familie angehören, dazu gehörende Kinder aber deshalb nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehören, weil sie über bedarfsdeckendes Einkommen verfügen (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht a.a.O.). Dies ist bei der Tochter ______________ der Fall gewesen, die bislang von BAföG, Kindergeld und Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung gelebt hat.
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies: Die Bruttokaltmiete liegt derzeit bei 654,25 € bruttokalt. Hiervon entfallen nach der sog. Kopfteilmethode 2/3, mithin 436,17 € bruttokalt, auf die aus Frau ______________ und ihren Sohn _______ bestehende Bedarfsgemeinschaft. Die Mietobergrenze für eine Zweipersonenbedarfsgemeinschaft liegt aktuell bei 421,50 €. Nach den Richtlinien der Stadt Kiel ist eine Überschreitung bis maximal 10 % unbeachtlich, d.h. bis zu einer Bruttokaltmiete von 463,65 € erfolgt keine Mietsenkungsaufforderung.
Zu beachten ist im Übrigen, dass (wohl, hier steht eine eingehende Prüfung noch aus) die auf die kalten Betriebskosten entfallenden Vorauszahlungen zu hoch angesetzt werden, wofür prima facie die Hohe Betriebskostenerstattung im Dezember 2018 spricht. Die tatsächliche Bruttokaltmiete dürfte also bei weniger als 654,25 € liegen.
Ich bitte vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen um Prüfung und Mitteilung, ob an der Mietsenkungsaufforderung festgehalten wird.“
„KOSTENBEWUSSTE“ Jobcenter und Sozialleistungsträger beraten vollumgänglich und richtig. Weiterhin bearbeiten sie Anträge zeitnah und innerhalb der gesetzlichen Fristen. Außerdem erfolgten die Zahlungen umgehend und fristgerecht.
„Sozial schwach sind diejenigen, die den Armen aus der Armut helfen könnten, es aber nicht tun.“
Heribert Prantl
Eine gleichlautende Ablehnung habe ich zu meinem Aktenzeichen 194/18 vom AG Kiel, Beschluss vom 13.11.2019, 7 UR II 5121/18 erhalten. Dort hatte ich im Rahmen des Mietsenkungsverfahrens für meine Mandantin ausgeführt:
Ich bitte um Prüfung Ihrer Mietsenkungsaufforderung vom 17.10.2018 nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II. Zur Begründung führe ich wie folgt aus:
1. Leben Bezieher von ALG II in einer nach den Vorgaben ihrer Stadt oder Gemeinde zu teuren Wohnung, sind sie verpflichtet, ihre Unterkunftskosten – in der Regel durch Umzug – auf ein angemessenes Maß zu senken. Allerdings sind auch zu hohe Mietkosten so lange anzuerkennen, wie es den Leistungsberechtigten nicht möglich oder nicht zumutbar ist, ihre Unterkunftskosten zu senken, § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II.
Unzumutbar ist ein Umzug auch dann, wenn ALG II-Bezieher ihr „soziales Umfeld“ aufgeben müssen, um eine kostenangemessene Wohnung zu finden. Bei der Bestimmung des maßgeblichen Suchumfeldes sind persönliche Umstände wie etwa das nähere soziale und schulische Umfeld minderjähriger schulpflichtige Kinder, Alleinerziehender oder gesundheitlich eingeschränkter Menschen zu beachten.
In einer aktuellen Entscheidung hat das Schleswig-Holsteinische LSG entschieden, dass es einem 14-Jährigen, der seine Schule gerade erst gewechselt hat, nicht zuzumuten ist, allein zur Senkung der Unterkunftskosten ein weiteres Mal die Schule zu wechseln oder aus einem weit entfernten Kieler Stadtteil mit dem Bus zur Schule zu fahren. In einer weiteren Entscheidung befand das Schleswig-Holsteinische LSG, dass eine alleinerziehenden Mutter mit drei Kindern derzeit auf eine Wohnung im Stadtteil Friedrichsort oder im Nahbereich hierzu angewiesen ist, welche der Bindung an ihr persönliches Umfeld Rechnung trägt (BSG, Urteil vom 20.08.2012, B 14 AS 13/12 R; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 01.06.2018, L 6 AS 86/18 B ER und Beschluss vom 04.07.2018, L 6 AS 105/18 B ER).
Nach der zitierten Rechtsprechung des BSG (B 14 AS 13/12 R, Rn. 33: „Ist das Vorliegen solcher Umstände im Ausgangspunkt – wie hier angesichts des Alters des Klägers und der Alleinerziehung durch die Klägerin – ohne Weiteres aktenkundig, sind sie vom Träger der Grundsicherung wie von den Gerichten im Einzelnen aufzuklären und die sich daraus ergebenden Konsequenzen von Amts wegen zu beachten.“) ist bereits im Rahmen der Kostensenkungsaufforderung eine individuelle Bestimmung des Suchumfeldes vorzunehmen.
Im Fall einer alleinerziehenden Mutter hat das Schleswig-Holsteinisches LSG in seinem Beschluss vom 01.06.2018, L 6 AS 86/18 B ER, zur Bestimmung des Suchumfeldes ausgeführt:
„Nach Ansicht des Senats ist ausreichend glaubhaft gemacht, dass die Antragsteller derzeit auf eine Wohnung im Stadtteil Friedrichsort oder im Nahbereich dazu angewiesen sind, die der Bindung an ihr persönliches Umfeld Rechnung trägt. Bei einem Wohnungswechsel in entferntere Stadtteile würde ein Rückgriff auf die bestehende Infrastruktur verloren gehen. Hierdurch würde sich die Situation der Antragsteller deutlich verschlechtern. Die Antragstellerin zu 1) absolviert seit Ende Februar 2018 eine Umschulung bei der Dekra. Sie hat dort eine werktägliche Anwesenheitspflicht von 8.00 bis 15.00 Uhr. Als alleinerziehende Mutter ist sie vor allen in dieser Zeit auf die Unterstützung Dritter angewiesen. Dies ist durch die gut vernetzte Nachbarschaft – in der die Antragsteller seit ca. zehn Jahren leben – gewährleistet. So werden die Kinder regelmäßig ein paar Mal im Monat morgens von den Nachbarn betreut. Die Nachbarn springen ein, wenn die Antragstellerin zu 1) Hilfe braucht. Es bestehen bei schlechtem Wetter Fahrgemeinschaften zur Schule der Antragsteller oder zum Fußballverein des Antragstellers zu 3). Zudem besuchen die Antragsteller zu 3) und 4) nach dem Unterricht die betreute Grundschule ihrer Schule.
Die meisten der ohnehin nicht zahlreichen Wohnungen die der Antragsgegner im vorliegenden Verfahren benannt hat oder die die Antragsteller im Rahmen ihrer Suche ermitteln konnten, liegen in den Stadtteilen Kiel-Gaarden oder Kiel-Mettenhof. Bei einem Umzug in eine solche Wohnung wäre den Antragstellern aufgrund der Ent¬fernung ein Rückgriff auf ihr soziales Umfeld nicht mehr möglich. Die derzeitige Nachbarschaft wäre nur durch lange Busfahrten mit mehrmaligen Umsteigen zu erreichen. Die einzigen zwei Wohnungen im näheren Umfeld der Antragsteller sind zumindest nicht größenangemessen.“
2. Meine Mandantin ist als alleinerziehende Mutter einer achtjährigen Tochter in der Ausbildung. Sie ist in die Wohnung im ___________________ Kiel gezogen, weil nur 800 Meter bzw. 10 Fußminuten entfernt in der _________straße 94/96, _______ Kiel die Oma, welche ihre Urenkelin regelmäßig betreut, damit die Enkelin ihre Ausbildung erfolgreich absolvieren kann. Auch die Mutter me-ner Mandantin, __________, wohnt in unmittelbarer Nähe in der _____________straße ____, _____ Kiel.
Ein gewöhnlicher Tag sieht bei meiner Mandantin und ihrer Tochter ______ derzeit wie folgt aus:
– Um 6.45 Uhr verlässt meine Mandantin die Wohnung, um mit dem Bus zur Arbeit bzw. Berufsschule zu fahren.
– Um circa 7.30 Uhr verlässt Tochter ____ die Wohnung und macht sich auf den Weg zu ihrer Schule im _____________ Kiel, die 550 Meter oder 7 Gehminuten von der Wohnung entfernt ist. Der Unterricht geht in der Regel bis 13.00 Uhr
– Am Montag, Dienstag und Donnerstag besucht _______ nach der Schule den Hort, der sich in den Räumen der Schule befindet. Anschließend geht sie zu Ihrer Urgroßmutter oder Oma.
– Am Mittwoch und Freitag geht _______ nach der Schule ab 13.00 Uhr zu Urgroßmutter oder Oma.
– Meine Mandantin arbeitet an vier Tagen in der Woche bis circa 18.00 Uhr und ist mit dem Bus erst gegen 19.30 Uhr zu hause.
– An einem Tag in der Woche geht meine Mandantin zur Berufsschule, die um 14.15 Uhr bzw. 14.45 Uhr endet, so dass sie etwas früher nach hause kommen kann.
______ fährt noch nicht allein mit dem Bus. Sie legt alle Wegstrecken zu Fuß zurück.
Es liegt mithin auf der Hand, dass meine Mandantin bei der Erziehung und Versorgung ihrer Tochter ______ zwingend auf die Unterstützung durch ihre Mutter und Großmutter in ihrem unmittelbaren Nahumfeld angewiesen ist. Auch in den „Richtlinien für die Angemessenheit von Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II und § 35 SGB XII“ erkennt die Landeshauptstadt Kiel unter II.5.c ausdrücklich an, dass eine Aufforderung, die Unterkunftskosten zu senken „unzumutbar“ im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II sein kann und deswegen unterbleiben soll, wenn Leistungsberechtigte wichtige Unterstützung des bestehenden Umfeldes bei der Verrichtung alltäglicher Dinge erhalten sowie auch bei intensive sozialen Bindungen. Beides ist nach dem vorstehenden Darlegungen bei meiner Mandantin der Fall.
Weiter wird darauf aufmerksam gemacht, dass meine Mandantin im Juni/Juli 2019 ihre Ausbildung beenden wird. Es liegt nahe, dass meine Mandantin in der Folge aus dem Leistungsbezug ausscheiden wird. Auch vor diesem Hintergrund scheint eine Ansenkung der Übernahme der vollen Miete ab 1. Mai 2019 nicht angemessen.
Ich bitte vor dem Hintergrund des geschilderten Sachverhalts um Mitteilung, ob an der Mietsenkungsaufforderung vom 17.10.2018 festgehalten wird.
3. Sollte an der Mietsenkungsaufforderung festgehalten werden, wird darauf hinzuweisen, dass das „soziale Umfeld“ der achtjährigen Tochter individuell zu bestimmen ist (vgl. BSG, Urteil vom 22.08.2012, B 14 AS 13/12 R). Eine solche Bestimmung ist bisher vollständig unterblieben und wäre nunmehr nachzuholen.