Kein Anspruch auf Mehrbedarf für den Erwerb von FFP2-Masken im sozialgerichtlichen Eilverfahren
Veröffentlicht: 17. März 2021 Abgelegt unter: Abweichende Leistungserbringung, Corona-Pandemie, Jobcenter Kiel, Mehrbedarfe | Tags: Hartz IV FFP2-Masken, Mehrbedarf § 21 Abs. 6 SGB II FFP2-Masken, SG Kiel Beschluss vom 16.03.2021 S 35 AS 35/21 ER, SGB II FFP2-Masken 14 Kommentare
Sozialgericht Kiel
Mit Beschluss vom 16.03.2021 hat die 35. Kammer am SG Kiel zum Aktenzeichen S 35 AS 35/21 ER einen Antrag auf Erlass einer Einstweiligen Anordnung auf Verpflichtung des Jobcenters Kiel zur vorläufigen Erbringung eines Mehrbedarfs für den Erwerb von FFP2-Masken abgelehnt, weil es derzeit keinen Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) für den Erlass einer Regelungsanordnung sieht.
In Abweichung zu der bislang zu diesem Thema veröffentlichten Rechtsprechung verneint die 35. Kammer am SG Kiel nicht den Anordnungsanspruch mit der Begründung, es bestünde bereits keine „Rechtspflicht“ zum Tragen von FFP2-Masken (oder vergleichbar schützender Masken), sondern erkennt einen grundsätzlichen Mehrbedarf für den Erwerb von FFP2-Masken für einen möglichst weitreichenden Schutz aller Menschen sowie einen möglichst weitreichenden Eigenschutz an und folgt damit im Ergebnis der hiesigen Rechtsauffassung (hinterlegt im ersten Kommentar im Kommentarbereich).
Die 35. Kammer am SG Kiel verneint indessen (derzeit) das Vorliegen eines Anordnungsgrundes (Eilbedürftigkeit), weil es aus den im Beschluss näher dargelegten Gründen grundsätzlich nur einen (Mehr-) Bedarf für lediglich 8 Masken im Monat (im vorliegenden Fall 16 Masken im Monat) sieht, welcher mit 12 € im Monat (für 16 Masken) zu decken sei. Für diesen potentiellen Mehrbedarf bis zur erwartbaren Auskehrung der zusätzlichen Mittel in Höhe von 150,00 € aus dem sog. Sozialschutz-Paket III gemäß § 70 SGB II im Mai 2021 – also für lediglich gut zwei Monate – sieht das Gericht keinen Anordnungsgrund für den Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung. Anders sei diese Rechtsfrage allerdings zu beantworten, wenn die Leistungen aus dem sog. Sozialschutz-Paket III im Mai 2021 nicht ausgezahlt würden und der Mehrbedarf von 12 € im Monat deswegen über einen längeren Zeitraum hinweg fortbestehe.
Nachtrag 20.03.2021: In der Sache ähnlich hat am 18.03.2021 jetzt auch die 31. Kammer am SG Kiel zum Aktenzeichen S 31 AS 21/21 ER entschieden, wobei die 31. Kammer einen Anordnungsanspruch – also einen vermutlichen Anspruch des Antragstellers auf Mehrleistungen zur Selbstausstattung mit FFP2-Masken – aufgrund der Vorerkrankung des Antragstellers angenommen hat.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Zur Frage, ob ein Mehrbedarfsanspruch eine „Rechtspflicht“ zum Tragen von FFP2-Masken voraussetzt, hatte ich in diesem Verfahren ausgeführt:
„Nach einer – allerdings nur summarischen – Durchsicht der erstinstanzlichen Rechtsprechung zur Frage eines Mehrbedarfsanspruches auf FFP2-Masken (womit hier auch Masken mit einem vergleichbaren Schutzniveau gemeint sein sollen) nach § 21 Abs. 6 SGB II stellt die bislang veröffentliche Rechtsprechung darauf ab, ob eine rechtliche Verpflichtung zum Tragen von FFP2-Masken besteht. Diese rechtliche Verpflichtung suchen – soweit hier ersichtlich – alle Sozialgerichte in den Landesverordnungen zum Infektionsschutzgesetz, während das SG Karlsruhe a.a.O. diese in § 223 ff. StGB findet (Seite 17/51 ff.).
Diese diskursive Verengung führt nach diesseitiger Rechtsauffassung bereits im Ansatz auf eine schiefe Bahn und im Ergebnis zu rechtsfehlerhaften Begründungen. Denn ein grundsicherungsrechtlich relevanter (Mehr)Bedarf besteht nicht erst dann, wenn diesem eine Rechtspflicht korrespondiert. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 21 Abs. 6 SGB II, in dem von einem im Einzelfall unabweisbaren, besonderen Bedarf die Rede ist, nicht aber von einem durch Rechtsvorschriften grundierten Bedarf. Diese Erkenntnis ermöglicht weiter ein Blick auf die in der Rechtsprechung und Verwaltung anerkannten Mehrbedarfe nach § 21 Abs. 6 SGB II. So besteht etwa zur Verwendung bestimmter Pflege- und Hygieneartikel, nicht erstattungsfähiger Medikamente, erhöhter Warmwasserkosten wegen erhöhtem Pflegaufwandes, erhöhter Mobilitätskosten wegen Behinderung, der Inanspruchnahme der Dienstleistungen einer Putz- und Haushaltshilfe, der Kosten bei Umgangsrechtswahrnehmung, der Kosten für Schulmaterialien wie Schulbüchern, einem internetfähigen PC mit Drucker und Software oder der Anschaffung von Bekleidung in Über- bzw. Untergröße keine Rechtspflicht, sondern schlicht eine im tatsächlichen wurzelnde Notwendigkeit, wenn ein Leistungsberechtigter nach dem SGB II unter den üblichen herrschenden Bedingungen in Deutschland am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können soll.
Nach Angaben des RKI vom 11.03.2021 hat die „dritte Welle“ in Deutschland gerade begonnen. Die Fallzahlen steigen wieder. Die Bundesweite 7-Tage-Inzidenz gibt das RKI stand 12.03.2021 mit 72,4 an, die für Schleswig-Holstein mit 48,0. Die vom Gericht zu beantwortende Frage dürfte mithin lauten: Gibt es in dieser Situation vernünftige und nachvollziehbare Gründe dafür, dass sich (und andere) auch ein Leistungsberechtigter nach dem SGB II mit wirksamen Masken schützen möchte?“
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Hinweis:
ebenso SG Osnabrück, Beschlüsse v. 10.03.2021 – S 50 AS 39/21 ER, S 50 AS 51/21 ER; SG Reutlingen, Beschluss vom 09.03.2021 -S 4 AS 376/21 ER –rechtskräftig und Beschluss vom 10.03.2021 -S 7 AS 410/21 ER – noch nicht rechtskräftig; SG Oldenburg, Beschluss v. 08.03.2021 – S 37 AS 48/21 ER; SG Karlsruhe, Beschlüsse v. 03.03.2021 – S 4 AS 470/21 ER, S 18 AS 469/21 ER, S 3 AS 472/21 ER, S 17 AS 471/21 ER; SG Dresden, Beschluss v. 01.03.2021 – S 29 AS 289/21 ER n. v. ; SG Mannheim, Beschluss v. 25.02.2021 – S 7 AS 301/21 ER ( n. v. ); SG München, Beschluss v. 22.02.2021 – S 52 AS 127/21 ER; SG München, Beschluss v. 10.02.2021 – S 37 AS 98/21 ER; SG München,Beschluss vom 2. Februar 2021 – S 13 AS 104/21 ER ( n. v. ); SG Lüneburg, Beschluss vom 10.02.2021 – S 23 AS 13/21 ER; zum SGB XII: SG München, Beschluss v. 03.02.2021 – S 46 SO 29/21 ER;
a. Auffassung: SG Karlsruhe, Beschluss v. 11.02.2021 – S 12 AS 213/21 ER – Hartz-IV-Mehrbedarf um kalendermonatlich 129,- EUR durch FFP2-Masken – Wöchentlich 20 FFP2-Masken für Hartz-IV-Empfänger,
sowie ganz aktuell Beschluss der 12. Kammer des SG Karlsruhe – S 12 AS 565/21 ER ( Zitat aus Juris: „Eine verfassungs- und bundesgesetzeskonforme Gewährleistung sozialer Teilhabe erfordert es mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zumindest bis 30.04.2021 weiterhin, Arbeitsuchenden unter den Bedingungen der Corona-Pandemie durchschnittlich wöchentlich 20 neue Mund-Nasen-Schutz-Masken entsprechend den Anforderungen der Standards FFP2 (DIN EN 149:2001), KN95, N95 oder eines vergleichbaren Standards ohne Ausatemventil zur Verfügung zu stellen (Fortsetzung von: SG Karlsruhe,11.02.2021, S 12 AS 213/21 ER).“
Das Entscheidende an dem Beschluss des SG Kiel ist wie gesagt, dass das Gericht den Mehrbedarf nicht von einer „Rechtspflicht“ zum Tragen von FFP2-Masken abhängig macht. Das machen alle SG – auch Karlsruhe -, und das verwundert aus den von mir dargelegten Gründen schon etwas und ist eigentlich nur mit der üblichen „Abschreiberitis“ vieler Gericht zu erklären. Beim SG Karlsruhe treibt das dann ja auch bizarre Blüten:
Seite 17/51: „Die baden-württembergische CoronaVO regelt insofern nicht speziell oder abschließend, welcher Art von MNBen es an welchen Örtlichkeiten bedarf. Der grundsicherungsrechtliche Bedarf richtet sich daneben stattdessen auch nach den bundesgesetzlichen Maßstäben in §§ 223 ff. StGB.“
Seite 18/51: „Vor diesem bundesgesetzlichen Hintergrund wäre die Landesregierung nicht befugt gewesen, durch den Erlass einer baden-württembergischen Infektionsschutzverordnung solche Handlungen für Baden-Württemberg zu erlauben, die als Körperverletzungen nach dem bundesweit einheitlich geltenden Strafgesetzbuch bereits verboten sind.“
Usw. usf. Das ist schon alles recht abenteuerlich in der Begründung. Was es ja gar nicht sein müsste.
So sehe ich das auch. Diese ebenso – Verzeihung – bescheuerte wie verbreitete Rechtsprechung „nur was vorgeschrieben ist, ist notwendig“ wegzukriegen, ist ein großer Erfolg. Haben die Richter, die sowas verkünden, noch nie davon gehört, dass Grundsicherungsleistungen die Menschenwürde im Sinne eines diskriminierungsfreien Lebens sichern soll? Dass der Maßstab nicht gesetzliche Zwänge sind, sondern, was ein 1) vernünftig handelnder und 2) Vermögender in derselben Situation tun würde? Soll so Leute, genannt mündige Bürger, geben, die von sich aus vernünftige Selbst- und Fremdschutzmaßnahmen treffen, auch wenn es was kostet und ohne darauf zu warten, dass ihnen das vorgeschrieben wird. De facto nehmen sich solche SG die selbsternannten „Querdenker“, die Argumenten unzugänglich sind und nur auf staatlichen Druck reagieren, zum Maßstab. Das kann’s wirklich nicht sein.
Auch das das Gericht hier ausdrücklich auf das übliche „Handwaving“ der Art „das muss eben irgendwo eingespart werden“ ohne konkret im Fall des Ast darzulegen wo das möglich ist oder – noch schöner – imaginäre Gründe erfindet nach der Devise „wenn weniger Umgang miteinander ist, muss das ja wohl irgendwo irgendwie hinreichend billiger sein“, ist ein toller Erfolg.
Dass es aktuell noch keine Kohle gegeben hat, tut dem keinen Abbruch.
Gratulation. Weiter so! Per aspera ad astra!
Ich habe eine Frage zu dem Sozialrechtsbeschluss Sozialgericht (SG) Kiel
S 31 AS 21/21 ER:
Dort steht sinngemäß, bzw. so verstehe ich das, dass der Antragsteller einen monatlichen Anspruch auf 14,13 € pro Monat (Risikopatient) für FFP2 Masken hat. Da dieser Betrag so „niedrig“ ist (so ca. 3 Tage Lebensmittel), ist eine Ablehnung erfolgt. (Da der eingeklagte Betrag über 750,– € ist, hat der Antragsteller das Recht, Beschwerde beim LSG Schleswig-Holstein einzureichen.)
Heißt das denn, dass der Antragsteller, wenn er keine Beschwerde beim LSG einreichen möchte (ich wiederhole der Antragsteller könnte das wegen Überschreitung der 750,- € Grenze), denn in ein „normales“ Widerspruchsverfahren gehen kann, wenn nach bereits eingereichtem Überprüfungsantrag die Monatsfrist noch nicht rum ist?
Nach möglicher Ablehnung des Widerspruchs würde dann ja „normale“ Klage (keine Eilrechtschutzverfahren) erfolgen. Angenommen der Bewilligungsbescheid wäre vom 01.01. – 31.12.2021, würde denn das mögliche Widerspruch- und Klageverfahren für’s ganze Jahr 2021 gelten oder nur bis zum 01.05.2021, denn da gibt es ja die „fürstliche“ Summe Einmalzahlung 150,-€.
Fragen über Fragen …
Da in beiden Antragsverfahren ein Mehrbedarfsanspruch für den Erwerb von FFP2-Masken dem Grunde nach (und der Höhe nach in Höhe von 12,00 € bzw. ca. 14,00 € monatlich) vom Gericht bejaht wurde, haben Widerspruchs- und ggf. Klageverfahren in der Hauptsache in diesem Umfange Aussicht auf Erfolg.
Ob aufgrund des nun verabschiedeten Sozialschutz-Paketes III ab Mai 2021 weiterhin ein Anspruch besteht, dürfte eher zweifelhaft sein. Sollte die Pandemie und damit die Notwendigkeit zum Tragen eines geeigneten Mund-Nasenschutzes deutlich über den Mai 2021 hinaus weiterhin bestehen, stellt sich allerdings die Frage, ob der Anspruch nicht irgendwann auch wieder auflebt. Diesbezüglich wäre sicherlich auch nachzulesen, welche Mehrkosten mit den 150,00 € aus dem Sozialschutzpaket III bzw. § 70 SGB II i.d.F. ab 01.04.2021 („Leistungsberechtigte, die für den Monat Mai 2021 Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld haben und deren Bedarf sich nach Regelbedarfsstufe 1 oder 2 richtet, erhalten für den Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 30. Juni 2021 zum Ausgleich der mit der COVID-19-Pandemie in Zusammenhang stehenden Mehraufwendungen eine Einmalzahlung in Höhe von 150 Euro. Satz 1 gilt auch für Leistungsberechtigte, deren Bedarf sich nach Regelbedarfsstufe 3 richtet, sofern bei ihnen kein Kindergeld als Einkommen berücksichtigt wird.) nach den Vorstellungen des Gesetzgebers zu bestreiten sind.
Zu überlegen ist m.E. auch, seit wann der Mehrbedarfsanspruch eigentlich besteht. Denn immerhin leben wir seit März 2020 in pandemischen Zeiten und der Zeitraum ab 01.01.2020 wäre noch bis zum 31.12.2021 überprüfbar, vgl. § 40 Abs. 1 SGB II, § 44 SGB X. Hier wird eineserseits zu berücksichtigen sein, dass der führende deutsche Virologe Christian Drosten sehr früh darauf hinwies, dass das Tragen sog. Altagsmasken sicherlich aus Gründen der „Höflichkeit“ eine gute Idee ist und diese auch Tröpfchen abfangen, allerdings auch die Gefahr bergen, deren Träger in einer trügerischen Sicherheit zu wägen, denn letztlich schützten diese Masken vor den eigentlich gefährlichen Aerosolen nicht, anderseits FFP-2 Masken in Deutschland eben eine sehr lange Zeit tatsächlich gar nicht verfügbar waren, d.h. ein etwaiger tatsächlich durchaus bestehender Bedarf faktisch gar nicht gedeckt werden konnte.
In der Gesetzesbegründung bzw. „Formulierungshilfe“ zu § 70 SGB II finden sich i.Ü. nachfolgende Hinweise:
„3. Einmalzahlung aus Anlass der COVID-19-Pandemie
Die Einmalzahlung ist mit keiner speziellen Verwendungsvorgabe verbunden. Berechtigt sind alle erwachsenen Personen, die im festgelegten Auszahlungsmonat einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld haben, leistungsberechtigt nach dem Dritten oder Vierten Kapitel SGB XII oder nach dem AsylbLG sind, oder ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt als fürsorgerische Leistung der Sozialen Entschädigung nach dem BVG beziehen. Ein besonderer Antrag ist nicht erforderlich; der einmalige Zusatzbedarf gilt als vom Haupt- bzw. Weiterbewilligungsantrag umfasst bzw. wird von Amts wegen erbracht. Auch auf eine Konkretisierung oder einen Nachweis der Mehraufwendungen im Einzelfall kann wegen der derzeitigen Lebensumstände verzichtet werden. Von einem allgemeinen pandemiebedingten Zusatzbedarf ist auszugehen. Eine Berücksichtigung der jeweiligen Bedarfe in Mehrpersonen-Bedarfsgemeinschaften nach den Maßstäben des § 9 Absatz 2 Satz 3 SGB II erfolgt nicht.“
Konkretes findet sich also nicht.
Danke für die Aufklärung, Helge (Hildebrandt). Das SG Kiel hat ja im Falle von Beschluss S 31 AS 21/21 ER gesagt, zumindest verstehe ich das so, dass wegen ca. 14 € mtl. für den Zeitraum Eingang Eilgerichtsantrag beim Gericht am 25.02.2021 bis einschl. 30.04.2021 (ab 01.05.2021 gibt es ja die „150 €“) der Antragsteller Anspruch auf – wie gesagt – ca. 14 € mtl. hätte. Nimmt man den mtl. Betrag x 2 (Monate März und April 2021) plus 4 Tage im Februar 2021 kommt man auf ca. 30,- € insgesamt. Also sind dem Sozialgericht Kiel 30,- € (umgerechnet ca. 6 Tage Lebensmittel) zu wenig für einen positiven Eilrechtsbeschluss? Oder habe ich da etwas falsch verstanden?
Richtig verstanden. Eine „Faustformel“ war lange: Ab 10 % vom Regelsatz wird es „eilig“. Bei einem Alleinstehenden-Regelbedarf von aktuell 446,- € wären das also 44,60 €. 14,- € sind davon recht weit entfernt. Sicher kommt es aber immer auf die Umstände des Einzelfalles an, etwa:
– Wie lange dauert die Bedarfsunterdeckung an (drei Jahre bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache oder nur ein bis zwei Monate, hier etwa weil die Leistungen nach § 70 SGB II n.F. kommen?
– Hat der Leistungsberechtigte weitere atypische und unvermeidbare Kosten wie Aufrechnungen, Zuzahlung zur Miete aus dem Regelsatz etc.? Da können auch mal weitere 15,- € dazu führen, es es „eilt“.
Der Vors. RiLSG Essen, Dr. Jens Blüggel, schreibt in seiner Besprechung zu SG Lüneburg, 23. Kammer, Beschluss vom 10.02.2021 – S 23 AS 13/21 ER: „Somit richtet sich der Anspruch auf einen Mehrbedarf für Masken ab dem 01.04.2021, sofern dieser Mehrbedarf in den Zeitraum von Januar bis Juni 2021 fällt, nach § 70 SGB II, der als spezielle Regelung § 21 Abs. 6 SGB II vorgeht.“ https://www.juris.de/jportal/portal/t/zbe/page/homerl.psml?nid=jpr-NLSR000003121&cmsuri=%2Fjuris%2Fde%2Fnachrichten%2Fzeigenachricht.jsp
Ja, so steht es in § 70 SGB II n.F. (und diese Norm regelt den Mehrbedarfsanspruch natürlich spezieller):
„Leistungsberechtigte, die für den Monat Mai 2021 Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder Sozialgeld haben und deren Bedarf sich nach Regelbedarfsstufe 1 oder 2 richtet, erhalten für den Zeitraum vom 1. Januar 2021 bis zum 30. Juni 2021 zum Ausgleich der mit der COVID-19-Pandemie in Zusammenhang stehenden Mehraufwendungen eine Einmalzahlung in Höhe von 150 Euro. (…)“
Von § 70 SGB II n.F. nicht erfasst sind damit Leistungsberechtigte, die zum 30.04.2021 aus dem Leistungsbezug nach dem SGB II ausscheiden und – wohl relevanter – ab 01.07.2021 stellt sich die Frage nach einem Mehrbedarfsanspruch gemäß § 21 Abs. 6 SGB II aller Wahrscheinlichkeit nach erneut – es sei den, es gibt ein Sozialschutzpaket IV mit weiteren 150,- € für den Zeitraum 01.07.2021 bis 31.12.2021.
Die 12. Kammer des SG Karlsruhe hält an ihrer Ansicht fest, dass ein Bedarf von 20 FFP2-Masken wöchentlich besteht.
Darüber hinaus übt es deutliche Kritik an der geplanten Einmalzahlung von 150 EUR, § 70 SGB II n.F.
SG Karlsruhe, Beschl. v. 11.03.2021 – S 12 AS 565/21 ER
Verfassungswidrigkeit Sozialschutz-Paket III wegen COVID-19-Pandemie – Einmalzahlung
Auszug:
„Ferner wird das Grundrecht aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Ab. 1 GG auch verletzt, weil der beschlossene Entwurf des § 70 SGB II in seiner geplanten Gestalt ohne hinreichenden Grund für die bereits in den Leistungsmonaten Januar 2021 bis April 2021 gegebenen Mehrbedarfe lediglich eine nachträgliche Leistungsgewährung im Mai 2021 vorsieht, obgleich es sodann wegen des zwischenzeitlichen Zeitablaufs evidenter Maßen schon zu spät sein wird, die Leistungen noch zweckentsprechend einzusetzen.“
„Des Weiteren verletzt der geplante § 70 SGB II den Anspruch auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums für die Monate Januar 2021 bis April 2021 sowie Juni 2021 auch deswegen, weil in aus einem nicht verfassungslegitimen Grund die Leistungsgewährung existenzsichernder Mittel nicht nur vom Ausmaß der aktuellen Hilfebedürftigkeit abhängen soll, sondern auch davon, ob diese zu einem späteren bzw. früheren Zeitpunkt – nämlich: im Mai 2021 – vorliegen wird.“
„Nach alldem ist aufgrund der evidenten Verfassungswidrigkeit des geplanten § 70 SGB II auch über den Zeitpunkt des mutmaßlichen Inkrafttretens – den 01.04.2021 – hinaus im sozialgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren die bisherige Anspruchsgrundlage des § 21 Abs. 6 SGB II heranzuziehen und nach dessen Maßgabe Mehrbedarfsleistungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie zuzusprechen.“
Weiter: https://dejure.org/dienste/vernetzung/rechtsprechung?Gericht=SG%20Karlsruhe&Datum=2021-03-11&Aktenzeichen=S%2012%20AS%20565%2F21
Im Hauptverfahren ist nicht nur bei >750 Beschwerde gegeben, sondern auch um ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden. Das ist zum einen angesichts der divergierenden RSpr so, aber auch, weil der Regelbedarf selbst geprüft werden müsste. Da Masken grundsätzlich im Regelbedarf sind, kann nicht auf die isolierte Prüfung nur eines Mehrbedarfs verwiesen werden.
Ich habe mal gekürzt. In der gebotenen Kürze deswegen auch meinerseits: Es geht hier um Eilverfahren, und dort gilt: Das Gericht kann die Beschwerde nur zulassen, wenn der Beschwerdewert 750 € übersteigt, vgl. § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i.V.m. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG (nach ganz h.M. nimmt § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG nur § 144 Abs. 1 SGG und nicht auch § 144 Abs. 2 SGG in Bezug, vgl. etwa Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 172 Rn. 6g). FFP2-Masken mögen zukünftig im Regelbedarf Berücksichtigung finden, im aktuellen Regelbedarf/Regelsatz habe sie dies nicht, weil es – als die Verbrauchsstichproben gezogen wurden – schlicht noch keine Corona-Pandemie gab und niemand Masken trug.