„Wahlpflicht“ zwischen Grundsicherung und Wohngeld oder: Befreiung vom Rundfunkbeitrag nach § 4 Abs. 6 S. 2 RBStV!

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Mein Berliner Kollege Herr Rechtsanwalt Kai Füsslein weist unter der Überschrift „„Wahlpflicht“ zwischen Grundsicherung und Wohngeld oder: Müssen Armutsrentner noch ärmer werden?“ auf ein interessantes Problem hin: Werden Grundsicherungsbezieher nach dem SGB XII (vor allem Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) auf das nach Meinung vieler SGB XII-Grundsicherungsträger vorrangige Wohngeld verwiesen, weil dieses geringfügig höher als Leistungen der Grundsicherung ist, kann es passieren, dass sich die Betroffenen unter dem Strich mit Wohngeld dennoch schlechter stehen als mit Grundsicherungsleistungen, und zwar dann, wenn das Wohngeld weniger als 17,50 € mehr ist, als es die Grundsicherungsleistungen wären. Der Grund: Wohngeldbezieher können sich – anders als Bezieher von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII – nicht gemäß § 4 Abs. 1 RBStV vom Rundfunkbeitrag befreien lassen – der aktuell bei 17,50 € liegt.

Eine Lösung dieses offensichtlichen Gerechtigkeitsproblems – der Wohngeldbezieher hat durch die Pflicht zur Zahlung des Rundfunkbeitrages weniger als der Grundsicherungsbezieher, oder, mit anderen Worten: Das Existenzminimum des Wohngeldbeziehers ist nicht mehr sichergestellt – verfolgt mein Berliner Kollege, indem er vor Gericht um Grundsicherungsleistungen für seine Mandanten streitet und – zutreffend – darauf hinweist, dass Wohngeld im Regelungsbereich des SGB XII keine vorrangig zu beantragende Sozialleistung ist.

Es gibt für dieses Problem allerdings auch noch eine andere Lösung. Diese findet sich im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV), genauer: In § 4 Abs. 6 Satz 1 und 2 RBStV:

„Unbeschadet der Beitragsbefreiung nach Absatz 1 hat die Landesrundfunkanstalt in besonderen Härtefällen auf gesonderten Antrag von der Beitragspflicht zu befreien. Ein Härtefall liegt insbesondere vor, wenn eine Sozialleistung nach Absatz 1 Nr. 1 bis 10 in einem durch die zuständige Behörde erlassenen Bescheid mit der Begründung versagt wurde, dass die Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschreiten. In den Fällen von Satz 1 gilt Absatz 4 entsprechend.“

Der Haken liegt hier allerdings in Folgendem: Obwohl § 4 Abs. 6 Satz 1 und 2 RBStV nur ein Beispiel für einen Härtefall benennt („insbesondere“) – übrigens eines, das aufgrund von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in den RBStV Eingang gefunden hat (Beschluss vom 30.11.2011, 1 BvR 665/10 und 1 BvR 3269/08) – behandeln die Landesrundfunkanstalten die Härtefallklausel so, als käme eine Befreiung ausschließlich und nur in diesem (Beispiels-) Fall in Betracht und legen diesen zudem maximal streng aus: Sie verlangen die Vorlage eines „durch die zuständige Behörde erlassenen Bescheid“, der Grundsicherungsleistungen „mit der Begründung versagt“, (…) „dass die Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschreiten“. Dieser Nachweis lässt sich indessen nicht mit dem Wohngeldbescheid führen, sondern nur mit dem (ablehnenden) Grundsicherungsbescheid. Und genau hier liegt das Problem: Die Grundsicherungsämter werden diese fiktive SGB XII-Bedarfsberechnung nur höchst ungern vornehmen (weil die viel Arbeit macht) oder (bei Beziehern von Wohngeld) unter Hinweis auf den Wohngeldbezug schlicht ablehnen.

Allerdings dürfte der Weg über eine Gebührenbefreiung nach der Härtefallregelung in § 4 Abs. 6 Satz 1 und 2 RBStV immer noch der einfachere Weg sein. Es ist zudem auch der finanziell günstigere für Leistungsbezieher, denn bei Wohngeld mit Rundfunkgebührenbefreiung bleibt unter dem Strich mehr als bei den (geringeren) Grundsicherungsleistungen mit Gebührenbefreiung.

Begründung des NDR vom 11.12.2020, mit der ein Rentnerehepaar im Wohngeldbezug (15,- € Wohngeld) heute von der Rundfunkbeitragspflicht befreit wurde:

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