„Wahlpflicht“ zwischen Grundsicherung und Wohngeld oder: Befreiung vom Rundfunkbeitrag nach § 4 Abs. 6 S. 2 RBStV!
Veröffentlicht: 11. Dezember 2020 Abgelegt unter: Rundfunkbeitrag | Tags: Befreiung vom Rundfunkbeitrag, Wohngeld Befreiung vom Rundfunkbeitrag 4 Kommentare
(c) Bernd Kasper / pixelio.de
Mein Berliner Kollege Herr Rechtsanwalt Kai Füsslein weist unter der Überschrift „„Wahlpflicht“ zwischen Grundsicherung und Wohngeld oder: Müssen Armutsrentner noch ärmer werden?“ auf ein interessantes Problem hin: Werden Grundsicherungsbezieher nach dem SGB XII (vor allem Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) auf das nach Meinung vieler SGB XII-Grundsicherungsträger vorrangige Wohngeld verwiesen, weil dieses geringfügig höher als Leistungen der Grundsicherung ist, kann es passieren, dass sich die Betroffenen unter dem Strich mit Wohngeld dennoch schlechter stehen als mit Grundsicherungsleistungen, und zwar dann, wenn das Wohngeld weniger als 17,50 € mehr ist, als es die Grundsicherungsleistungen wären. Der Grund: Wohngeldbezieher können sich – anders als Bezieher von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII – nicht gemäß § 4 Abs. 1 RBStV vom Rundfunkbeitrag befreien lassen – der aktuell bei 17,50 € liegt.
Eine Lösung dieses offensichtlichen Gerechtigkeitsproblems – der Wohngeldbezieher hat durch die Pflicht zur Zahlung des Rundfunkbeitrages weniger als der Grundsicherungsbezieher, oder, mit anderen Worten: Das Existenzminimum des Wohngeldbeziehers ist nicht mehr sichergestellt – verfolgt mein Berliner Kollege, indem er vor Gericht um Grundsicherungsleistungen für seine Mandanten streitet und – zutreffend – darauf hinweist, dass Wohngeld im Regelungsbereich des SGB XII keine vorrangig zu beantragende Sozialleistung ist.
Es gibt für dieses Problem allerdings auch noch eine andere Lösung. Diese findet sich im Rundfunkbeitragsstaatsvertrag (RBStV), genauer: In § 4 Abs. 6 Satz 1 und 2 RBStV:
„Unbeschadet der Beitragsbefreiung nach Absatz 1 hat die Landesrundfunkanstalt in besonderen Härtefällen auf gesonderten Antrag von der Beitragspflicht zu befreien. Ein Härtefall liegt insbesondere vor, wenn eine Sozialleistung nach Absatz 1 Nr. 1 bis 10 in einem durch die zuständige Behörde erlassenen Bescheid mit der Begründung versagt wurde, dass die Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschreiten. In den Fällen von Satz 1 gilt Absatz 4 entsprechend.“
Der Haken liegt hier allerdings in Folgendem: Obwohl § 4 Abs. 6 Satz 1 und 2 RBStV nur ein Beispiel für einen Härtefall benennt („insbesondere“) – übrigens eines, das aufgrund von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in den RBStV Eingang gefunden hat (Beschluss vom 30.11.2011, 1 BvR 665/10 und 1 BvR 3269/08) – behandeln die Landesrundfunkanstalten die Härtefallklausel so, als käme eine Befreiung ausschließlich und nur in diesem (Beispiels-) Fall in Betracht und legen diesen zudem maximal streng aus: Sie verlangen die Vorlage eines „durch die zuständige Behörde erlassenen Bescheid“, der Grundsicherungsleistungen „mit der Begründung versagt“, (…) „dass die Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschreiten“. Dieser Nachweis lässt sich indessen nicht mit dem Wohngeldbescheid führen, sondern nur mit dem (ablehnenden) Grundsicherungsbescheid. Und genau hier liegt das Problem: Die Grundsicherungsämter werden diese fiktive SGB XII-Bedarfsberechnung nur höchst ungern vornehmen (weil die viel Arbeit macht) oder (bei Beziehern von Wohngeld) unter Hinweis auf den Wohngeldbezug schlicht ablehnen.
Allerdings dürfte der Weg über eine Gebührenbefreiung nach der Härtefallregelung in § 4 Abs. 6 Satz 1 und 2 RBStV immer noch der einfachere Weg sein. Es ist zudem auch der finanziell günstigere für Leistungsbezieher, denn bei Wohngeld mit Rundfunkgebührenbefreiung bleibt unter dem Strich mehr als bei den (geringeren) Grundsicherungsleistungen mit Gebührenbefreiung.
Begründung des NDR vom 11.12.2020, mit der ein Rentnerehepaar im Wohngeldbezug (15,- € Wohngeld) heute von der Rundfunkbeitragspflicht befreit wurde:
Norddeutscher Rundfunk lehnt fristgerecht gestellte Befreiungsanträge ab
Veröffentlicht: 10. Februar 2015 Abgelegt unter: Rundfunkbeitrag | Tags: Befreiung vom Rundfunkbeitrag, Rundfunkbeitrag ALG II, Rundfunkbeitrag Hartz IV 9 KommentareDie Probleme mit dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) reißen nicht ab. Gab es in der Vergangenheit bereits Unverständnis darüber, dass der Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio Personen zur Beitragszahlung heranzieht, die zum 01.01.2013 aufgrund der neuen Haushaltsabgabe erstmals zur Beitragszahlungen verpflichtet sind, obwohl diese nachweisen konnten, dass bei ihnen seit dem 01.01.2013 die Befreiungsvoraussetzungen – etwa wegen Bezuges von ALG II – vorgelegen haben, werden nun auch fristgerecht für zukünftige Zeiträume gestellte Befreiungsanträge rechtswidrig abgelehnt.
Eine ALG II-Bezieherin aus Kiel hatte am 13.01.2015 mit dem dafür vorgesehenen Formular einen Antrag auf Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für den Zeitraum 01.02.2015 bis 31.07.2015 gestellt. Der Antrag, welchem sie den Befreiungsnachweis des Jobcenters Kiel vom 17.12.2014 beigefügt hatte, wurde vom NDR mit Bescheid vom 27.01.2015 abgelehnt. Zur „Begründung“ heißt es in dem Ablehnungsbescheid:
„Rechtsgrundlage für diese Entscheidung ist Art. 4 Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland vom 31.08.1991 (GVOBl. 1991, S. 619) – zuletzt geändert durch 15. Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge vom 15. – 21.12.2012 (GVOBl. 2011, S 345).“
Einmal abgesehen davon, dass ein schriftlicher Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen ist (§ 39 VwVfG) und die Angabe der als maßgeblich erachteten Rechtsgrundlage keinesfalls genügt, Art. 4 des Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland aufgehoben wurde und sich die entscheidenden Befreiungstatbestände seit dem 01.01.2013 in Art. 1 des 15. Staatsvertrags zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge, dem „Rundfunkbeitragsstaatsvertrag“, befinden, wäre auch die Angabe der zutreffenden Rechtsvorschrift – § 4 Abs. 4 RBStV – wünschenswert gewesen. Nach dieser Vorschrift gilt:
“Die Befreiung oder Ermäßigung beginnt mit dem Ersten des Monats, zu dem der Gültigkeitszeitraum des Bescheids beginnt, wenn der Antrag innerhalb von zwei Monaten nach dem Erstellungsdatum des Bescheids nach Absatz 7 Satz 2 gestellt wird. Wird der Antrag erst zu einem späteren Zeitpunkt gestellt, so beginnt die Befreiung oder Ermäßigung mit dem Ersten des Monats, der der Antragstellung folgt. Die Befreiung oder Ermäßigung wird für die Gültigkeitsdauer des Bescheids befristet. Ist der Bescheid nach Absatz 7 Satz 2 unbefristet, so kann die Befreiung oder Ermäßigung auf drei Jahre befristet werden, wenn eine Änderung der Umstände möglich ist, die dem Tatbestand zugrunde liegen.”
Danach lagen die Befreiungsvoraussetzungen in diesem Fall eindeutig vor: Der Befreiungsantrag wurde mit Zugang beim Beitragsservice am 20.01.2015 gestellt. Das Erstelldatum des Bescheides war der 17.12.2014, so dass der Befreiungsantrag noch bis zum 17.02.2015 hätte gestellt werden können. Die Antragstellung erfolgte am 20.01.2015 also fristgerecht, eine Befreiung für den Zeitraum 01.02.2015 bis 31.07.2015 hätte ausgesprochen werden müssen.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt