Doppelmieten bei Umzug: In der Regel vom Jobcenter zu übernehmen!

Jeder Hartz IV-Bezieher in Kiel, der während des Leistungsbezuges umziehen musste, wird das „Merkblatt zur Wohnungsanmietung und Umzug“ des Jobcenters Kiel kennen, in dem lange Zeit in Fettdruck nachzulesen war:

„Vermeiden Sie doppelte Mietzinszahlungen. Diese gehen immer zu ihren Lasten.“

Diese Auskunft wird von den meisten Integrationsfachkräften leider bis heute an den „Kunden“ gebracht.

Zwischenzeitlich scheinen sich beim Jobcenter Kiel allerdings Zweifel eingeschlichen zu haben. In dem aktuellen Merkblatt heißt es nämlich seit kurzem:

„Vermeiden Sie doppelte Mietzinszahlungen. Diese gehen in der Regel zu ihren Lasten.“

Lernprozesse sind oft langwierig und schwierig. Besonders bei Behörden.

Nach ständiger Rechtsprechung gilt: Die durch einen notwendigen oder durch das Jobcenter veranlassten Umzug entstandenen doppelten Mietbelastungen sind grundsätzlich von der Behörde zu übernehmen (etwa SG Schleswig vom 22.05.2007- S 3 AS 363/07 ER m.w.N.).

Die 25. Kammer des Sozialgerichts Schleswig hat sich in seiner Entscheidung vom 26.08.2010 – S 25 AS 185/08 – mit der Frage der Übernahmefähigkeit von Doppelmieten sehr ausführlich auseinander gesetzt:

„Gemäß § 22 Abs. 3 SGB II können Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger übernommen werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann.Die geltend gemachte Mietzinszahlung für die alte Wohnung der Kläger für den Monat April 2007 ist als Wohnungsbeschaffungskosten im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. Dabei handelt es sich zudem um angemessene und notwendige Wohnungsbeschaffungskosten. Die nach § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II erforderliche vorherige Zusicherung hat die Beklagte mit Datum vom 29.01.2007 erteilt. Ein Ermessen der Beklagten bezüglich der Übernahme der Mietkosten für die alte Wohnung der Kläger für den Monat April bestand nicht.

Das Tatbestandsmerkmal der Wohnungsbeschaffungskosten ist nach Auffassung der Kammer weit auszulegen, so dass nicht nur die eigentlichen Kosten des Umzugs, wie Transportkosten, Kosten für eine Hilfskraft, die erforderlichen Versicherungen, Benzinkosten und Verpackungsmaterial erfasst sind, sondern auch alle sonstigen notwendigen angemessenen Aufwendungen, die mit einem Unterkunftswechsel verbunden sind. Damit fällt auch die hier geltend gemachte doppelte Mietzinszahlungen für die alte Wohnung für den Monat April un­ter das Merkmal der Wohnungsbeschaffungskosten, soweit sie angemessen ist (vgl. auch Lang/Link in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn. 83; Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 22 Rn. 109, 114; BSG, Urteil vom 16.12.2008, B 4 AS 49/07 R; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.01 .2007, L 5 B 1221/06 AS ER, L 5 B 1222/06 AS PKH; SG Frankfurt, Beschluss vom 19.01 .2006, S 48 AS 21/06 ER, jeweils zitiert nach juris).

Das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit folgt aus der systematischen Zusammenschau der Vorschrift des § 22 Abs. 3 SGB II mit der restlichen Vorschrift. Nach § 22 Abs. 1 SGB II können Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Kosten nur dann erbracht werden, wenn diese angemessen sind. Da es sich bei Wohnungsbeschaffungskosten um Unterkunftskosten im weitesten Sinne handelt, bzw. diese eng mit der Deckung des Unterkunftsbedarfs zusammenhängen, dürfen auch diese erst recht nur in einem angemessenen Umfang übernahmefähig sein.

Doppelte Mietzahlungen sind daher bei Wohnungswechsel nur dann zu übernehmen, wenn sie unvermeidbar und angemessen sind. Dies aber ist vorliegend der Fall. Doppelte Mietzinszahlungen von zumindest einem Monat sind zur Überzeugung der Kammer bei einem Wohnungswechsel schon im Regelfall unvermeidbar. Dies beruht vor allem auf der Überlegung, dass bei vielen Wohnungswechseln der nahtlose Übergang von einer Wohnung in die andere nicht möglich ist. Oftmals sind noch Mieten für die alte Wohnung aufzubringen, obwohl auch schon Mieten für die neue Wohnung fällig werden. Dies hängt in erster Linie damit zusammen, dass zur Vermietung angebotene Wohnungen oft schon ab dem nächsten oder übernächsten Monat angemietet werden müssen, gleichzeitig aber, wie auch bei den Klägern, Kündigungsfristen von regelmäßig drei Monaten einzuhalten sind (SG Schleswig, Beschluss vom 22.05.2007, S 3 AS 363/07 ER). Verschärft wurde das Problem zudem im Fall der Kläger dadurch, dass die Wohnung den anerkannten Mietobergrenzen des Leistungsträgers entsprechen musste, günstige Wohnungen gerade in diesem Preissegment aber oft sehr begehrt sind.

Die Kammer geht zudem aber auch im vorliegenden konkreten Fall davon aus, dass die angefallenen doppelten Mietkosten unvermeidbar und angemessen waren. Der Kläger zu 1) hat sich nachweislich darum bemüht, einen Nachmieter für die alte Wohnung zu finden. Er hat Anzeigen bei den Kieler Nachrichten, dem Kieler Express und im Internet geschaltet, in denen er seine alte Wohnung zur Vermietung angeboten und einen Nachmieter gesucht hat. Entsprechende Nachweise hat er zumindest im Verfahren vorgelegt. Er hat dem alten Vermieter sein Einverständnis der Weitergabe seiner Telefonnummer an Interessenten erklärt und hat mit seinem neuen Vermieter darüber gesprochen, ob er die neue Wohnung auch erst später anmieten könne. Der Vermieter der neuen Wohnung hat jedoch erklärt, dass nur eine Anmietung bereits zum 01.04.2007 möglich sei. Die Kammer sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern zur Last gelegt werden müsste, dass ihre Bemühungen nicht zum Erfolg geführt haben. Soweit die Beklagte vorgetragen hat, dass ihr das Gespräch als Bemühung für eine spätere Anmietung nicht ausreiche, teilt die Kammer diese Auffassung nicht. Es ist nach Auffassung der Kammer als lebensnah anzusehen, dass ein Vermieter seine Wohnung zum nächstmöglichen Zeitpunkt vermieten möchte und eine Wohnung nicht für einen Nachmieter freihält, wenn er in der Zwischenzeit die Wohnung anderweitig vermie­ten kann. Welche weiteren Bemühungen die Kläger dem neuen Vermieter gegenüber hätte unternehmen sollen, ist der Kammer nicht ersichtlich und wurde von der Beklagten auch nicht vorgetragen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Kläger nicht auf eigenen Wunsch die Wohnung gewechselt haben, sondern sich nach der Senkungsaufforderung der Beklagten umgehend um eine kostengünstige Wohnung bemüht haben. So stand auch in der Senkungsaufforderung, dass sich die Kläger umgehend um eine preiswerte Wohnung bemühen sollten. Dann aber darf nach Auffassung der Kammer den Klägern jetzt nicht vorgehalten werden, dass sie noch bis August Zeit gehabt hätten, eine kostengünstigere Wohnung zu finden, zumal es auch bei einer späteren Anmietung zur gleichen Problematik des Entste­hens einer Doppelmiete hätte kommen können, da wie bereits dargelegt, selten ein nahtloser Übergang von der einen in die andere Wohnung stattfinden dürfte. Weiterhin hat die Beklagte der Anmietung der Wohnung zugestimmt, obwohl sie damit rechnen musste, dass es zu den doppelten Mietkosten kommt, schließlich lag ihr der alte Mietvertrag mit der Kündigungsfrist vor Abgabe der Zusicherung vor und sie wusste auch, dass die neue Wohnung ab April angemietet werden sollte.

Weiterhin geht die Kammer davon aus, dass es eine vorherige Zusicherung für die Übernahme der Umzugs- bzw. Wohnungsbeschaffungskosten durch die Beklagte gegeben hat. Nach Überzeugung der Kammer hat die Beklagte die Zustimmung zur Übernahme der Umzugs- und Wohnungsbeschaffungskosten vor Anmietung der neuen Wohnung am 31 01.2007 (vgl. BI. 189 der Verwaltungsakte) erteilt. Nach Auffassung der Kammer kommt es hier nicht darauf an, ob es sich dabei schon um eine konkrete Zusicherung zur Übernahme der doppelten Mietzahlungen gehandelt hat, oder lediglich um eine abstrakte Zusicherung der Übernahme von Umzugs- und Wohnungsbeschaffungskosten. Hier spricht zwar bereits Einiges dafür, dass die Übernahme der doppelten Mietzinszahlungen als konkret zugesichert angesehen werden kann, da das Risiko der doppelten Mietzinszahlung der Beklagten bereits bei Erteilung der Zusicherung bekannt war. Dass der Beklagten die Problematik bekannt sein musste, ist aus einem Aktenvermerk ersichtlich, indem von einer eventuell anfallenden doppelten Mietzahlung bereits die Rede ist und der sich in der Akte vor der Erteilung der Zusicherung befindet (vgl. BI 186 der Verwaltungsakte).

Ob es sich aber tatsächlich um eine konkrete Zusicherung handelte, kann letztlich dahinstehen, denn selbst, wenn es sich nur um eine abstrakte Zusicherung handelt, reicht diese im vorliegenden Fall aus, da die abstrakte Zusicherung für alle Kosten gelten muss, die angemessen sind und damit auch für die als angemessen anzusehende doppelte Mietzinszahlung.

Ein Ermessen der Beklagten bezüglich der Übernahme der doppelten Mietzinszahlung besteht nach Auffassung der Kammer nicht. Zwar deutet der Wortlaut des § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II darauf hin, dass die Zusicherung der Übernahme der Wohnungsbeschaffungskosten im Ermessen des Leistungsträgers stehen könnte. Auch § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II deutet als „Soll“-Vorschrift darauf hin, dass bei atypischen Fällen, die gerade nicht von der „Soll“- Regelung erfasst werden, Ermessen auszuüben ist. Allerdings sind kaum Gründe denkbar, die außer den in § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB lt genannten Umständen dazu führen könnten, eine Zusicherung zu erteilen. Insofern ist von einem Kompetenz-,,Kann“ auszugehen. Wenn eine Zusicherung nach § 22 Abs. 3 S. 2 SGB II, wie vorliegend, erteilt wurde, ist die Übernahme angemessener Wohnungsbeschaffungskosten zwingend (Lang/Link in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn. 87; Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 22 Rn. 104).” Das Urteil im Volltext findet sich hier.

Richtig müsste der Satz im Merkblatt des Jobcenters Kiel mithin lauten:

„Vermeiden Sie doppelte Mietzinszahlungen. Unvermeidbare Doppelmieten gehen zu Lasten des Jobcenters Kiel.“

Bis dahin ist es aber wohl noch ein längerer Weg.

Tipp für Betroffene: Unternehmen Sie alles, um die Entstehung von Doppelmieten bei einem Umzug zu vermeiden, indem Sie

• das alte Mietverhältnis sofort kündigen, nachdem Sie den neuen Mietvertrag unterschrieben haben bzw. ein verbindliches schriftliches Mietangebot für die neue Wohnung in den Händen halten,

• Ihren alten Vermieter schriftlich (Nachweis für Jobcenter!) auffordern, schnellstmöglich nach einem Nachmieter zu suchen,

• selbst aktiv nach einem Nachmieter ab dem Zeitpunkt der Anmietung der neuen Wohnung suchen, etwa

– durch einen Aushang im nahegelegen Supermarkt, an schwarzen Brettern usw. (Nachweis für Jobcenter durch Foto fertigen!) oder

– kostenlose Anzeige im Internet (z.B. www.wohnung-jetzt.de; www.mein-wohnungsmarkt.de; www.studenten-wg.de; www.wg-gesucht.de usw.).

Haben Sie diese Eigenbemühungen unternommen und ließen sich doppelte Mietkosten trotzdem nicht vermeiden, ist das Jobcenter auf jeden Fall verpflichtet, die Miete für die neue Wohnung und die Miete der alten Wohnung bis zur Neuvermietung bzw. dem Ende des Mietverhältnisses zu übernehmen.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7


7 Kommentare on “Doppelmieten bei Umzug: In der Regel vom Jobcenter zu übernehmen!”

  1. […] Rechtslage sagt jedoch etwas anderes. Hierauf weist RA. Hildebrandt ausführlich hin: “Haben Sie diese Eigenbemühungen unternommen und ließen sich doppelte […]

  2. […] ein Urteil mit Verweis auf weitere Urteile http://openjur.de/u/431865.html# Und hier noch was: https://sozialberatung-kiel.de/2011/0…-ubernehmen-2/ __________________ Gesetzliche Betreuerin, zusätzlich Beistand für Alg 2 Empfänger, […]


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