Keine Vollstreckung aus erstinstanzlichen Urteilen in Mietobergrenzenverfahren
Veröffentlicht: 21. August 2013 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft | Tags: Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Beschluss vom 20.12.2012 L 6 AR 39/12 AS ER 3 KommentareBekommt ein Kläger in der ersten Instanz vor dem Sozialgericht höhere Kosten für seine Unterkunft nach § 22 SGB II oder § 35 SGB XII zugesprochen und legt der Grundsicherungsträger gegen dieses Urteil Berufung zum Landessozialgericht (LSG) ein und zahlt die zugesprochenen (höheren) Leistungen vorerst nicht nach, so kann der Kläger aus dem erstinstanzlichen Urteil in der Regel nicht die Vollstreckung betreiben. Das Schleswig-Holsteinische LSG hat hierzu in seinem Beschluss vom 20.12.2012, L 6 AR 39/12 AS ER, ausgeführt:
„Zwar ist es bei der Gewährung von Grundsicherungsleistungen auch nach der Auslegung von § 154 Abs. 2 SGG im Hinblick auf existenzsichernde Leistungen (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 20. Dezember 2012 – L 6 AS 326/12 B – ), den Leistungsempfängern grundsätzlich nicht zuzumuten, mit der Vollstreckung den Abschluss des gesamten Instanzenzuges abzuwarten, vorliegend geht es jedoch um verhältnismäßig geringe Beträge hinsichtlich der kalten Betriebskosten im Rahmen der Kosten der Unterkunft, die weit überwiegend in der Vergangenheit tatsächlich angefallen und schon von der Klägerin bezahlt wurden. Es kommt hinzu, dass die Entscheidung des Sozialgerichts Kiel in Abweichung zu der bisher ständigen Rechtsprechung des 11. Senates des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts zum schlüssigen Konzept bei der Ermittlung der Unterkunftskosten in der Stadt Kiel ergangen ist und auch nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22. August 2012 (B 14 AS 13/12 R) zum Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. Dezember 2011 – L 11 AS 97/10 -, das nach wie vor nicht im Volltext vorliegt, die Kriterien für eine zutreffende Bestimmung des kalten Betriebskosten im Rahmen eines schlüssigen Konzepts der Kosten der Unterkunft bei einem qualifizierten Mietspiegel völlig offen sind. Auch im Hinblick auf die große quantitative Bedeutung der Verfahren, die von der Rechtsprechung betroffen sein könnten, ist es dem Beklagten nicht zuzumuten, die Leistungen für die Kosten der Unterkunft nach Maßgabe der Entscheidung des Sozialgerichts vorläufig zu berechnen und auszuzahlen.“
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Auf Deutsch.
Solange das Verfahren nicht abgeschlossen ist, also BSG oder BVerfG, bekomme ich aus dem Regelbedarf gezahlte KdU nicht zurück und muss sie weiterhin bezahlen?
Das LSG nennt im konkreten Fall drei Voraussetzungen:
1) Mietdifferenz bezahlt (also keine keine Schulden, Drohung Zwangsräumung usw.)
2) Abweichung der SG-Entscheidung von der Rspr. des LSG.
3) Unklare Rechtslage, weil BSG Entscheidung des LSG aufgehoben hat und Urteilsgründe noch nicht bekannt.
Es handelt sich hier also schon um eine besondere Situation.
Hallo Helge, hallo LeserInnen,
Helge, wieder ein sehr interessantes Urteil.
Wer das Glück hat, endlich nach 2,3 oder 4 Jahre ? eine mündliche Verhandlung in erster Instanz vor seinem Sozialgericht zu haben, kann das Urteil (z.B. eine Nachzahlung) nicht
vollstrecken, wenn das Jobcenter Berufung vor dem Landessozialgericht eingelegt hat.
Das ist leider so.
Hier noch ein kleiner Hinweis, in einem anderen Kommentar von mir habe ich bereits daraufhin hingewiesen:
Bei den Kosten der Unterkunft (KdU) müssen die Leistungsberechtigten (Bedürftigen)
z.B. häufig pro Monat 30-50 € ? bei einem 1-Personenhaushalt von ihrem Hartz IV-Regelsatz „abzweigen“, um ihre Wohnung „durchzubringen“. Bei einem Mehrpersonenhaushalt natürlich
entsprechend mehr. Wenn auch noch zusätzlich Kinder beteiligt sind, wird es finanziell erheblich knapper.
Es geht also ums soziokulturelle Existenzminimum, ein jahrelanges Warten auf die mündliche
Verhandlung ist den Betroffenen in der Regel nicht zuzumuten, deswegen sollte frau/mann
überlegen, ob er/sie nicht zur normalen Klage eine Eilrechtsschutzklage (ER-Klage) einreichen sollten. Das bedeutet, die RichterInnen der Sozialgerichte entscheiden „im Schnelldurchgang“ vorläufig, z. B. innerhalb von 2-6 Wochen je nach Dringlichkeit. Die mündliche Verhandlung ist dann später.
Gestatten Sie zum Abschluss noch den Hinweis, dass die langen Verfahrensdauern vor den
Sozialgerichten nicht das Verschulden der RichterInnen ist, diese können auch nicht mehr als arbeiten und müssen die Hartz IV-Gesetze „ausbaden“.
Gruß
Björn