Umgangskosten: Keine Bagatellgrenze von 10 %
Veröffentlicht: 30. Juli 2014 Abgelegt unter: Mehrbedarfe | Tags: BSG Urteil vom 4.6.2014 B 14 AS 30/13 R, Mehrbedarf § 21 Abs. 6 SGB II 4 KommentareNach § 21 Abs. 6 SGB II haben Hartz IV-Empfänger einen Anspruch auf Leistungen für einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen und besonderen Bedarf. In Betracht kommen etwa Leistungen für Pflege- und Hygieneartikel, die aus gesundheitlichen Gründen laufend benötigt werden, die Kostenübernahme für Putz- bzw. Haushaltshilfen für körperlich stark beeinträchtigte Personen oder Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts bei getrennt lebenden Eltern. Nach den „Fachlichen Hinweisen“ der Bundesagentur für Arbeit zu § 21 SGB II in der aktuellen Fassung wird ein Bedarf indessen erst anerkannt, wenn er in der Summe 10 Prozent der maßgeblichen Regelleistungen (bei einer alleinstehenden Person also derzeit 39,10 €) übersteigt. Bei geringeren Mehraufwendungen sei es den Leistungsberechtigten zumutbar, einen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch Einsparungen in einem anderen Lebensbereich auszugleichen.
Diese Verwaltungspraxis hat das Bundessozialgericht (BSG) in einer aktuellen Entscheidung nun für rechtswidrig erklärt. Nach Auffassung des BSG ist eine Rechtsgrundlage für die Annahme einer allgemeinen Bagatellgrenze nicht zu erkennen. Insbesondere scheide eine Heranziehung der 10 %-Regelung für die Rückzahlung von Darlehen nach § 42a SGB II aus. Denn bei einem Darlehen haben die Leistungsberechtigten das Geld vorher vom Jobcenter erhalten, dass sie dann an dieses zurückzahlen müssen, während es ihnen bei einer Bagatellgrenze vorenthalten würde, obwohl sie darauf einen Anspruch haben.
(BSG, Urteil vom 4.6.2014, B 14 AS 30/13 R)
Erstveröffentlichung in HEMPELS 07/2014
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Fachliche Hinweise zu § 21 Abs. 6, Rz. 21.34 (Bagatellgrenze):
(3) Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Regelbedarfe als pauschaler Gesamtbetrag gewährt werden, ist es einer leistungsberechtigten Person vorrangig zumutbar, einen höheren Bedarf in einem Lebensbereich durch geringere Ausgaben in einem anderen Lebensbereich auszugleichen. Die Leistungsberechtigten haben in ihrem Ausgabeverhalten das Eintreten unregelmäßig anfallender Bedarfe zu berücksichtigen (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 4). Dies kann bei besonderen Bedarfen, die in der Summe 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigen, jedenfalls erwartet werden. Im Übrigen ist eine Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich.
(4) Eine leistungsberechtigte Person hat alle Möglichkeiten zur Reduzierung ihrer Aufwendungen für besondere Bedarfe zu nutzen; so ist z. B. bei den Kosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts auf günstige Verkehrsmittel und Inanspruchnahme von Fahrpreisermäßigungen zu verweisen.
(5) Wird Erwerbseinkommen erzielt, so bleibt dieses auch bei der Berechnung von Leistungen für besondere laufende Bedarfe in Höhe des Erwerbstätigenfreibetrags nach § 11b Abs. 3 außer Betracht. Der Freibetrag bei Erwerbstätigkeit ist weiterhin von dem monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit abzusetzen. Die leistungsberechtigte Person ist wegen ihres Sonderbedarfs nicht auf die Verwendung des Erwerbstätigenfreibetrags zu verweisen.
Gut, dass das Bundessozialgericht (BSG) festgestellt hat, dass es bei bestimmten Bedarfen
der Leistungsberechtigten keine Bagatellgrenze von 10 % des maßgebenden Regelsatzes gibt.
Bei ca. 4,80 € pro Person für Essen (bei 1 Person) kommt es auf jeden EURO an.
Solche Fachlichen Weisungen der Bundesagentur für Arbeit kann sich auch nur die
„Beamtenschaft“ ausdenken.
Dieses Urteil des Bundessozialgerichtes v. 04.06.2014 zugunsten des Leistungsberechtigten zeigt wieder einmal deutlich, was es, zumindestens in Bezug auf diesen Punkt (Umgangsrecht), mit den Fachlichen Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit (BA) auf sich
hat und wo diese hingehören; nämlich in die T____e.
Da sitzen hochbezahlte BeamtInnen bei der BA. Vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts
vom 9. Februar 2010 (siehe Zitat Medieninformation Nr. 13/14 der Pressestelle des Bundes-
sozialgerichts v. 4. Juni 2014) haben diese wohl noch nicht gehört.
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http://juris.bundessozialgericht.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bsg&Art=ps&Datum=2014&nr=13420&pos=0&anz=13
BUNDESSOZIALGERICHT – Pressestelle –
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Kassel, den 4. Juni 2014
Medieninformation Nr. 13/14
Keine Bagatellgrenze von 10 % des Regelbedarfs für die Umgangskosten mit Kind
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Dass der Kläger, wie alle Eltern, die Arbeitslosengeld II beziehen, grundsätzlich Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen der Kosten des Umgangsrechts mit seiner von ihm getrennt lebenden Tochter hat, ergibt sich aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09 ua – BVerfGE 125, 175) und dem daraufhin vom Gesetzgeber geschaffenen § 21 Abs 6 SGB II.
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Was passiert jetzt eigentlich mit Anträgen der Leistungsberechtigten, die in der Vergangenheit vor Ort in den Jobcentern „mündlich“ abgeschmettert wurden, weil die MitarbeiterInnen sich auf die Fachlichen Hinweise berufen haben?
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Die Leistungsberechtigten können jetzt m. E. Überprüfungsanträge rückwirkend ab 01.01.2013 (2013) stellen, oder?
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Es sei hier noch allgemein erwähnt, dass mann/frau unter Umständen Anspruch auf einen schriftlichen Bescheid hat, wenn Zitat aus dem Sozialgesetzbuch 10 (SGB X):
http://www.gesetze-im-internet.de/sgb_10/__33.html
§ 33 Bestimmtheit und Form des Verwaltungsaktes
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2) Ein Verwaltungsakt kann schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Ein mündlicher Verwaltungsakt ist schriftlich oder elektronisch zu bestätigen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht und der Betroffene dies unverzüglich verlangt.
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Es bleibt bei mir ein (tiefes) Mißtrauen den genannten Behörden gegenüber.
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