Kein ALG II für EU-Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus der Arbeitsuche ableitet
Veröffentlicht: 6. Oktober 2015 Abgelegt unter: EU-Bürger 3 KommentareIn der Folge des Urteils des EuGH vom 15.09.2015 (C-67/14) hat das SG Kiel mit Beschluss vom 02.10.2015 zum Aktenzeichen S 35 AS 185/15 ER die vorläufige Gewährung von ALG II für einen EU-Ausländer abgelehnt und zur Begründung ausgeführt:
Eine vorläufige Leistungsgewährung kommt schließlich nicht gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Satz l Nr. 1 SGB III in Betracht. Danach ist dem Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Möglichkeit eröffnet, Leistungen der Grundsicherung vorläufig zu gewähren, wenn die Vereinbarkeit einer Vorschrift des SGB II mit höherrangigem Recht, von der die Entscheidung über den Antrag abhängt, Gegenstand eines Verfahrens bei dem Bundesverfassungsgericht oder dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist. Das ist in Bezug auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht (mehr) der Fall. Denn der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in der Sache Alimanovic mit Urteil vom 15. September 2015 zum Az. C-67/14 Folgendes entschieden:
Ist ein Unionsbürger, dem ein Aufenthaltsrecht als Erwerbstätiger zustand, unfreiwillig arbeitslos geworden, nachdem er weniger als ein Jahr im Aufnahmeland gearbeitet hatte, und stellt er sich dem zuständigen Arbeitsamt zur Verfügung, behält er seine Erwerbstätigeneigenschaft und sein Aufenthaltsrecht für mindestens sechs Monate. Während dieses gesamten Zeitraums kann er sich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz berufen und hat Anspruch auf Sozialhilfeleistungen. Wenn ein Unionsbürger im Aufnahmemitgliedsstaat noch nicht gearbeitet hat oder wenn der Zeitraum von sechs Monaten abgelaufen ist, darf ein Arbeitssuchender nicht aus dem Aufnahmemitgliedsstaat ausgewiesen werden, solange er nachweisen kann, dass er weiterhin Arbeit sucht und eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden. In diesem Fall darf der Aufnahmemitgliedsstaat jedoch jegliche Sozialleistungen verweigern.
Der letztere Fall ist hier gegeben. Denn der Antragsteller hat in der Bundesrepublik Deutschland noch nicht gearbeitet, so dass der in § 7 Abs. 1 Satz 2 N. 2 SGB II normierte Leistungsausschluss greift und ausgehende von der EuGH-Rechtsprechung nicht europarechtswidrig ist.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Sehr geehrter Herr Hildebrandt, werden Sie denn gegen das Urteil vorgehen? Mein Freund ist auch EU-Ausländer und wir stehen vor der gleichen Problematik, daher interessiert mich ob das Gericht in Kiel da richtig liegt.
In dem Verfahren habe ich nicht vertreten. Ob die Kollegin beabsichtigt, Beschwerde gegen die Entscheidung des SG Kiel einzulegen, kann ich nicht sagen. In der Sache halte ich die Entscheidung für vertretbar. In Fachkreisen wird das EuGH-Urteil freilich auch kritisiert (dazu hier in den Kommentaren: https://sozialberatung-kiel.de/2015/09/15/eugh-alg-ii-fuer-arbeit-suchende-eu-buerger-nur-nach-verlust-des-arbeitsplatzes-fuer-maximal-6-monate/). Das Gericht hätte zudem auch die Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses mit dem GG prüfen können (und müssen). Dies ist nicht geschehen. Insofern handelt es sich vielleicht um ein etwas (zu) schlanken Beschluss.
Arbeitshilfe SGB II und Unionsbuerger_Innen zum Alimanovic Urteil
„Die Strategie des Trüffelschweins“ erstellt von Claudius Voigt, GGUA:
http://www.migration.paritaet.org/start/publikationen/
Hier geht es direkt zum Text:
https://tinyurl.com/nt5sutp (PDF)
Weitere Informationen zum Thema EU-Zuwanderung unter: http://www.migration.paritaet.org/themen/schwerpunktthemen/eu-zuwanderung/