Bürgerbeauftragte: Hartz IV-Reform völlig unzureichend
Veröffentlicht: 21. Juli 2016 Abgelegt unter: Landtag, Sanktionen, Sonstiges 5 KommentareDie Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten, Samiah El Samadoni, zeigt sich enttäuscht von der jetzt beschlossenen SGB II-Änderung. „Die Gesetzesänderung enthält zwar einzelne positive Punkte. Unbefriedigend ist aber, dass trotz vieler konstruktiver Vorschläge so wenig umgesetzt wurde. Damit ist auch das Hauptanliegen dieser Reform, das Recht zu vereinfachen, nicht erfüllt worden“, sagte die Bürgerbeauftragte heute (Donnerstag) in Kiel.
Der Bundesrat hat am 8. Juli 2016 dem 9. Änderungsgesetz SGB II zugestimmt. Mit dem Gesetzentwurf sollten zahlreiche Regelungen des SGB II vereinfacht und neu strukturiert werden. „Leider bringt auch die jetzt beschlossene Gesetzesänderung des SGB II nicht die von Vielen geforderten Verbesserungen und Vereinfachungen, weder für die Bürger noch für die Verwaltung“, kritisierte El Samadoni. „Stattdessen wird das Gesetz zum Nachteil der Leistungsempfänger verschärft und zudem noch bürokratischer durch zusätzliche komplizierte Regelungen.“
Der Bewilligungszeitraum wird zwar auf 12 Monate verlängert und die Gesamtangemessenheitsgrenze bei den Kosten für Unterkunft und Heizung eingeführt, wie die Bürgerbeauftragte forderte. Das schafft mehr Flexibilität bei der Wahl der Wohnung und insbesondere können höhere Bruttokaltmieten zum Beispiel bei energetisch saniertem Wohnraum durch geringere Heizkosten ausgeglichen werden. Aber grundlegende Probleme und Themen wie die Sanktionen für unter 25-Jährige und die Verpflichtung, eine vorzeitige Altersrente mit Abschlägen ab dem 63. Lebensjahr in Anspruch zu nehmen, bleiben trotz verfassungsmäßiger Bedenken bestehen. El Samadoni fordert weiterhin, dass diese Regelungen abgeschafft werden.
Auch die Probleme im Zusammenhang mit der sogenannten temporären Bedarfsgemeinschaft wurden nicht gelöst. Diese entsteht, wenn getrennt lebende Eltern abwechselnd das Umgangsrecht mit ihren Kindern ausüben. Die temporäre Bedarfsgemeinschaft ist bisher nicht im Gesetz geregelt, sondern ein Konstrukt der Rechtsprechung. Sie besteht für die Zeit des Aufenthalts beim anderen Elternteil. Bezieht der überwiegend betreuende Elternteil Leistungen nach dem SGB II, sieht die Rechtsprechung des BSG vor, dass der Sozialgeldanspruch bei dieser Bedarfsgemeinschaft gekürzt wird.
Die dadurch entstehenden Probleme und Komplikationen durch Rückforderungen oder gar Verhinderungen des Umgangsrechtes aus finanziellen Gründen könnten nach Ansicht der Bürgerbeauftragten durch einen Umgangsmehrbedarf gelöst werden. Dieser könnte dann gewährt werden, wenn sich das Kind beim getrennt lebenden Elternteil aufhält, ohne dass die Leistungen des anderen Elternteils gekürzt werden.
Quelle: Pressemitteilung Nr. 153 / 21. Juli 2016
Wohl dem bzw. der Hartz IV – Empfängerin, die einen Bewilligungsbescheid über 12 Monate erhält.
Ich erhalte nach wie vor als Hartz IV- Empfänger Bewilligungsbescheide über 6 Monate.
Ob das daran liegt, dass ich eine selbst bewohnte Eigentumswohnung habe und seit
über 8 Jahren mit Rechtsbeistand einen Rechtsstreit bzgl. Kosten der Unterkunft mit dem Jobcenter Kiel führe, weiß ich nicht.
Auf jeden Fall sind alle meine Kosten dem Jobcenter Kiel bekannt, so daß es eigentlich aus
meiner Sicht keinen Grund gibt mir nur jeweils 6-monatige Bewilligungsbescheide zu übersenden.
(Zum Verständnis: Meine Eigentumswohnung (1 Person) ist inkl. Tilgungsrate so teuer
wie 1 Mietwohnung, also ca. 342,50 € plus Heizung. Jedoch zahlt das Jobcenter Kiel
die Tilgungsrate nicht, so daß ich nur ca. 230,– € plus Heizung erhalte. Ich begehre,
wie gesagt seit über 8 Jahren Gerichtsverhandlungen darüber, das der Gleichheitsgrundsatz
gem. Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland angewendet werden soll, gleiche Höhe der Zahlungen für die Wohnung, egal ob Mieter oder Eigentümer).
Ich wiederhole, alle Kosten sind dem Amt im voraus bekannt, so dass es aus meiner Sicht keinen Grund zur nur 6-monatigen Leistungsbewilligung gibt.
Würde das Amt 12 Monate bewilligen, würde es nur zu 50 % der Klagen kommen …
Zum Bewilligungszeitraum:
Mit dem 9. Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung:
Der Bewilligungszeitraum wird in der Regel auf 12 Monate verlängert – § 41 Abs. 3 SGB II. Die Änderung spielt keine große Rolle, da die meisten Jobcenter mittlerweile vom Regelbewilligungszeitraum abweichen und oftmals schon jetzt standardmäßig
für 12 Monate bewilligen. Nachteile sind damit nicht verbunden.
Der Bewilligungszeitraum soll weiterhin 6 Monate umfassen, wenn die Bewilligung vorläufig ist oder eine Kostensenkungsaufforderung wegen unangemessener Unterkunftskosten ergangen ist. (Vgl. Bernd Eckhardt in Sozialrecht Justament 3/2016 S. 32 f. – http://www.sozialrecht-justament.de/.)
§ 41 Abs. 3 SGB II (n.F.)
(3) Über den Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ist in der Regel für ein Jahr zu entscheiden (Bewilligungszeitraum). Der Bewilligungszeitraum soll insbesondere in Fällen regelmäßig auf sechs Monate verkürzt werden, in denen
1. über den Leistungsanspruch vorläufig entschieden wird (§ 41a) oder
2. die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung unangemessen sind.
Die Festlegung des Bewilligungszeitraumes erfolgt einheitlich für die Entscheidung über die
Leistungsansprüche aller Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft.
http://tacheles-sozialhilfe.de/startseite/tickerarchiv/d/n/2038/
Sehr geehrter Herr Voigt,
vielen Dank für die Aufklärung bzgl. Bewilligungsvoraussetzungen, wann diese weiterhin
6 Monate umfassen soll, ich zitiere von Ihrem Beitrag hier:
„Der Bewilligungszeitraum soll weiterhin 6 Monate umfassen, wenn die Bewilligung vorläufig ist oder eine Kostensenkungsaufforderung wegen unangemessener Unterkunftskosten ergangen ist. (Vgl. Bernd Eckhardt in Sozialrecht Justament 3/2016 S. 32 f. – http://www.sozialrecht-justament.de/.)“
Zitatende!
Mir ist natürlich klar, dass mein „Fall“ (Hartz IV und selbst genutztes Wohneigentum) ein
Sonderfall ist. Aber mein Bewilligungsbescheid ist weder a) vorläufig noch b) habe ich
jemals eine Kostensenkungs-Aufforderung vom Amt erhalten.
So mußte ich gestern für meinen aktuellen Bewilligungsbescheid á 6 Monate wieder Klage
inkl. Prozeßkostenhilfe-Antrag (PKH-Antrag) beim Sozialgericht (SG) Kiel einreichen und so ca. zum 18 ten Mal meinen kompletten Hausstand abkopieren wg. Voraussetzungsprüfung PKH (PKH hieß bis 1980 „Armenrecht“).
Wenn ich einen Bewilligungsbescheid á 12 Monate erhalten hätte, wäre dies nicht nötig gewesen.
Aber das übt ja auch (Anwendung aktueller Bürosoftware usw.) inkl. Strukturierung des Tages
(Humor).
Mir tun bloß die ganzen Bäume leid, die für das ganze Kopierpapier gefällt werden müssen.
Viele Grüße an alle LeserInnen
Björn Nickels
Schon im alten § 41 SGB II war eine Bewilligung für 12 Monate möglich, wenn sich Änderungen beim Leistungsberechtigten nicht abzeichnen. Dieses „Umschreiben“ des Paragraphen ist keine Rechtsvereinfachung, sondern Makulatur.
Auch ich bekomme jeweils für 6 Monate eine Bewilligung und mein letzter Änderungsbescheid hat immerhin 38 satte Seiten Umfang 🙂
Die eigentliche „Rechtsvereinfachung“ finden wir im § 34 SGB II.
Sollte der § 31 durch das jetzt erneute Einreichen der Richtervorlage durch das SG Gotha gekippt werden, heißen Sanktionen dann nicht mehr Sanktionen, sondern „sozialwidriges Verhalten“ laut § 34 SGB II …
Und die „Rechtsvereinfachungen“, die die Bürgerbeauftragte von Kiel so in der Fülle vermisst, sind darin gleich mit erhalten:
Selbst „fiktives Einkommen“ kann dann nach einer Ermessensentscheidung einer Sachbearbeitung dem Delinquenten für 4 Jahre in 30%-Raten in einem Rutsch, sprich ein Verwaltungsakt, in Abzug gebracht werden. Das verdeutlicht auch die neue „sozialdemokratische Verwaltungs-Ökonomie“ …
Zur Klarstellung: Unter „fiktiven Einkünften“ werden Einkünfte verstanden, die dem Leistungsberechtigten als „bare Mittel“ nicht zur verfügung stehen, vgl. etwa hier: http://sozialrechtsexperte.blogspot.de/2011/08/hartz-iv-kennt-kein-fiktives-einkommen.html
Was Lutz hier meint, ist: Ein Ersatzanspruch tritt künftig auch dann ein, wenn durch das sozialwidrige Verhalten die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. Damit wird eine zusätzliche Sanktion eingeführt, denn neben der dreimonatigen Kürzung des ALG II nach § 31 SGB II muss der Betroffene künftig auch das ALG II erstatten, welches er und die anderen Mitglieder seiner BG weniger erhalten hätten, wenn er z.B. einen angebotenen Job angenommen hätte. Das bedeutet eine erhebliche Erhöhung des Drucks auf Arbeitslose, sowie eine massive Verschärfung des Sanktionrechts (so zutreffend http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/die-geplanten-hartz-iv-aenderungen-in-der-uebersicht-361781.php)
Allerdings: „Die Vorschrift dient vorrangig der (Wieder-)Herstellung des in § 2 Abs. 1 festgeschriebenen Grundsatzes des Nachrangs sämtlicher Leistungen nach dem SGB II in Fällen, in denen zwar SGB II-Leistungen rechtmäßig erbracht worden sind, die Hilfebedürftigkeit jedoch schuldhaft verursacht wurde. Die Ersatzpflicht nach § 34 ist auf begründete und eng zu fassende Ausnahmefälle begrenzt.“ https://www.arbeitsagentur.de/web/wcm/idc/groups/public/documents/webdatei/mdaw/mdq2/~edisp/l6019022dstbai377979.pdf?_ba.sid=L6019022DSTBAI377982