Sozialamt muss nahtlosen Übergang in den ALG II-Bezug sicherstellen

Im Januar 2018 hatte ich an dieser Stelle darüber berichtet, dass Jobcenter bei Zweifeln an der Erwerbsfähigkeit ihrer Kunden die Bewilligung von ALG II nicht einfach ablehnen und diese auf Leistungen nach dem SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsunfähigkeit, Hilfe zum Lebensunterhalt) verweisen dürfen, sondern so lange weiter ALG II gewähren müssen, bis der gegebenenfalls zuständige Leistungsträger die Leistungsgewährung tatsächlich aufgenommen hat. Denn kein Hilfebedürftiger darf allein wegen ungeklärter Zuständigkeitsfragen ohne existenzsichernde Leistungen verbleiben.

Das Sozialgericht Kiel hat die Verpflichtung zur nahtlosen Leistungserbringung nun auch für den umgekehrten Fall bestätigt: Hält ein SGB XII-Sozialleistungsträger (hier die Stadt Kiel) einen Leistungsberechtigten für erwerbsfähig, darf er diesem nicht einfach die SGB XII-Leistungen verweigern, sondern muss diese so lange weitergewähren, bis das gegebenenfalls zuständige Jobcenter die ALG II-Zahlungen tatsächlich aufnimmt. Dabei trifft die Verpflichtung zur Einleitung der Feststellung der Erwerbsminderung durch den Rentenversicherungsträger insbesondere auch nicht das Jobcenter, sondern gemäß § 45 SGB XII den SGB XII-Träger. Etwas anderes folgt auch nicht aus § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II, da diese Regelung nicht den Fall betrifft, in dem ein Hilfebedürftiger bereits Leistungen nach dem SGB XII erhält. Zuletzt weist das Sozialgericht darauf hin, dass für die Feststellung der Erwerbsfähigkeit auch nicht zwingend ein Gutachten des Rentenversicherungsträgers einzuholen ist, wenn kein Widerspruchsberechtigter nach § 44a Abs. 1 Satz 1 SGB II den Feststellungen des medizinischen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit widerspricht.

SG Kiel, Beschluss vom 16.10.2019, S 26 SO 23/19 ER (rechtskräftig)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 02/2020

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


2 Kommentare on “Sozialamt muss nahtlosen Übergang in den ALG II-Bezug sicherstellen”

  1. Willy Voigt sagt:

    Dazu hier die Leitsätze von Dr. Manfred Hammel, Caritasverband für Stuttgart e.V:

    Die Wahrscheinlichkeit einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung gemäß § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit § 41 Abs. 3 SGB XII kann aus einem mehr als zehnjährigen Bezug von Leistungen nach den §§ 27 ff. SGB XII, während dem der Sozialhilfeträger keine Feststellungen zum Leistungsvermögen und zur Dauer der Erwerbsminderung des Antragstellers tätigte, folgen.

    § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI („Befristung“) ist hier analog heranziehbar.

    § 45 SGB XII („Feststellung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung“) hat ebenfalls Gültigkeit, wenn ein Antragsteller Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt gemäß den §§ 27 ff. SGB XII bezieht, da ansonsten diese Norm keinen Anwendungsbereich hätte. Bei einer Leistungsberechtigung nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII in Verbindung mit den §§ 41 ff. SGB XII bedarf es keiner Feststellung des Umfangs der Erwerbsfähigkeit mehr.

    Wenn die dauerhaft volle Erwerbsminderung wahrscheinlich ist, und der Antragsteller bereits seit ca. zehn Jahren Leistungen nach den §§ 27 ff. SGB XII erhält, dann kann diese Person nicht auf Leistungen gemäß den §§ 19 ff. SGB II verwiesen werden, und es gelangt § 44a Abs. 1 Satz 7 SGB II gerade auch mangels eines vorherigen Bezugs von Alg II nicht zur Anwendung.

    Wenn zwischen sämtlichen beteiligten Sozialleistungsträgern ein Konsens zum Übergang eines Antragstellers in das Hilfesystem des SGB XII besteht, bedarf es keines Gutachtens des zuständigen Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechend § 44a Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB II.


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