Zusammenwohnendes Paar muss im Probejahr nicht füreinander einstehen
Veröffentlicht: 18. Dezember 2025 Abgelegt unter: Bedarfsgemeinschaften Hinterlasse einen KommentarLeben Partner so zusammen, wie es für eine beginnende Partnerschaft typisch ist, liegen darin noch keine gewichtigen Umstände, die vor Ablauf eines Jahres auf das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft schließen lassen.
Im zugrunde liegenden Fall begehrte ein 52jähriger Arbeitsloser im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Jobcenters, ihm ab dem 8. September 2025 Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhaltes nach dem SGB II (Bürgergeld) ohne Anrechnung des Einkommens seiner Lebenspartnerin zu gewähren, mit der er zum 1. April 2025 in eine gemeinsame Wohnung gezogen war.
Das Sozialgericht Lübeck lehnte seinen Antrag ab, das Landessozialgericht (LSG) gab ihm in zweiter Instanz Recht. Zwar können bei Partnern, die kürzer als ein Jahr zusammenwohnen, besondere Umstände die Annahme einer Bedarfsgemeinschaft begründen. Derart gewichtige Umstände, die auf eine gefestigte und qualifizierte Partnerschaft schließen lassen, lagen hier aber nicht vor.
Die Aspekte, die das Sozialgericht herangezogen hatte, waren nach Auffassung des LSG lediglich Ausfluss der partnerschaftlichen Beziehung des Antragstellers mit seiner Partnerin, die von diesen auch gar nicht bestritten wurde. Aus dem bloßen Bestehen einer Partnerschaft könne nach der gesetzgeberischen Konzeption in § 7 Abs. 3 Nr. 3 c, Absatz 3 a SGB II aber nicht schon auf das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft geschlossen werden.
So sei der gemeinsame Abschluss eines Mietvertrages, die fehlende Trennung des Haushaltes hinsichtlich Lebensmitteln und Hygieneprodukten, die Benutzung von Kraftfahrzeugen, die im Eigentum des anderen stehen sowie die wechselseitige Tätigung von Zahlungen im Zusammenhang mit dem gemeinsamen Wohnen auch bei reinen Wohngemeinschaften und in noch nicht gefestigten Paarbeziehungen nicht unüblich.
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 29.10.2025, L 3 AS 163/25 B ER
Erstveröffentlichung in HEMPELS 12/2025
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Kein Alleinstehendenregelsatz bei Zusammenleben mit Asylbewerber
Veröffentlicht: 3. Mai 2023 Abgelegt unter: Ausländer, Bedarfsgemeinschaften, Regelsatz Hinterlasse einen KommentarEine Ehefrau muss den geringeren Sozialleistungssatz für Verheiratete bzw. Paare in einer Wohnung auch dann hinnehmen, wenn ihr Ehemann die niedrigeren Leistungen für Asylbewerber bezieht.
Die erwerbsgeminderte Ehefrau bezog seit August 2015 zusammen mit ihren vier minderjährigen Kindern ALG II (jetzt Bürgergeld). Ende Januar 2017 zog ihr Ehemann in den Haushalt, der Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Höhe von damals 318 € (aktuell 330,00 € für Paare in einer Wohnung) monatlich erhielt. Das Jobcenter bewilligte der Ehefrau daraufhin nur noch die um 10 % abgesenkten Leistungen nach der Regelbedarfsstufe 2 in Höhe von monatlich 368 € (jetzt 502 €) anstatt 409 € (jetzt 451 €) nach der Regelbedarfsstufe 1. Aufgrund der gegenüber ALG II/Bürgergeld niedrigeren Asylbewerberleistungen hatte die Familie 50 € weniger zur Verfügung als ein Ehepaar, bei dem beide Partner ALG II/Bürgergeld beziehen. Aus diesem Grunde begehrte die Ehefrau weiterhin Leistungen wie eine Alleinstehende.
Ihre Klage vor dem Bundessozialgericht hatte keinen Erfolg. Da Ehepaare und Partner aus einem gemeinsamen Topf wirtschaften können und so Einsparpotenziale insbesondere im Bereich Lebensmittel, Energie und Wohnungsinstandhaltung sowie Nachrichtenübermittlung haben, kann der höhere Regelbedarf für Alleinstehende nicht mehr beansprucht werden. Dies gilt auch bei sogenannten gemischten Bedarfsgemeinschaften, bei denen unterschiedliche Sozialleistungen – hier Sozialgeld und die um 50 € geringeren Asylbewerberleistungen – gewährt werden. Denn auch für den Bereich Hausrat, der in den Grundleistungsbedarf nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nicht als Geldleistungsbetrag eingeflossen ist und daher wesentlich zur Differenz des ausgezahlten monatlichen Betrags führt – können im Bedarfsfall gesondert Geld- oder Sachleistungen erbracht werden.
BSG, Urteil vom 15.02.2023, B 4 AS 2/22 R
Erstveröffentlichung in HEMPELS 4/2023
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Arbeit lohnt sich auch für Rentner mit Ehefrau im ALG II-Bezug
Veröffentlicht: 1. August 2022 Abgelegt unter: Bedarfsgemeinschaften, Einkommensanrechnung, Jobcenter Kiel 2 KommentareLebt von zwei Ehepartnern der eine von ALG II und der andere von einer Rente und zusätzlichem Erwerbseinkommen, so ist von den Erwerbseinkommen ein Freibetrag entsprechend § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII in Höhe von 30 % (höchstens jedoch 50 % der Regelbedarfsstufe 1 von derzeit 449 €) abzusetzen.
In dem vom Gericht entschiedenen Fall lebte der Ehemann von seiner Altersrente und zusätzlichem Erwerbseinkommen aus einer geringfügigen Beschäftigung. Seine etwas jüngere Ehefrau war arbeitslos und bezog ALG II beim Jobcenter Kiel. Das Jobcenter gewährte auf das Erwerbseinkommen des Ehemannes lediglich einen Freibetrag von 30,00 € (die sog. Versicherungspauschale) und rechnete das sog. überschießende Einkommen des Ehemannes – also den Teil seiner Rente und seines Arbeitseinkommens, der über seinen eigenen existenzsicherungsrechtlichen Bedarf hinausgeht – auf den ALG II-Anspruch seiner Ehefrau an.
Rechtswidrig, entschied das Sozialgericht Kiel. Zwar scheide eine Bereinigung des Einkommens der Ehemannes nach den Grundsätzen des SGB II aus, weil dieser aufgrund des Überschreitens der Altersgrenze nach dem SGB II nicht (mehr) „leistungsberechtigt“ im Sinne von § 11b Abs. 2 und 3 SGB II sei. Auch eine Einkommensbereinigung nach den Regeln der Altersgrundsicherung (§ 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII) scheide in direkter Anwendung aus, weil der Ehemann selbst nicht hilfebedürftig sei und deswegen keinen Anspruch auf Altersgrundsicherung habe. Diese vom Gesetzgeber nicht gewollte sog. „planwidrige Regelungslücke“ sei indessen mit dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Grundgesetz nicht vereinbar und deswegen durch eine analoge Anwendung der Freibetragsregelung des § 82 Abs. 3 Satz 1 SGB XII zu schließen.
Durch den höheren Freibetrag des Ehemannes – hier waren es rund 100 € – waren bei der Ehefrau 100 € weniger auf ihren ALG II-Anspruch anzurechnen, sie erhielt also 100 € mehr ALG II.
Sozialgericht Kiel, Beschluss vom 02.02.2022, S 43 AS 5/22 ER
Erstveröffentlichung in HEMPELS 7/2022
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Hartz IV: Zum Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft bei Partnern
Veröffentlicht: 3. Juli 2022 Abgelegt unter: Bedarfsgemeinschaften | Tags: § 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II, § 7 Abs. 3a Nr. 1 und 3 SGB II, Hartz IV Bedarfsgemeinschaft kürzer als ein Jahr, Hartz IV Bedarfsgemeinschaft Verlöbnis, Hartz IV Bedarfsgemeinschaft Zusammenleben mit Kindern Hinterlasse einen KommentarZiehen unverheiratete Partner in einer Wohnung zusammen und ist einer von ihnen erwerbslos und auf ALG II angewiesen, ist vom Jobcenter zu prüfen, ob zwischen beiden eine sog. Bedarfsgemeinschaft besteht mit der Folge, dass das Einkommen des erwerbstätigen Partners bei dem Anspruch des ALG II-leistungsberechtigten Partner zu berücksichtigen ist. Das ist nach den Worten des Gesetzes dann der Fall, wenn beide in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenleben, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen (§ 7 Abs. 3 Nr. 3 c SGB II). Dieser Wille kann vom Jobcenter u.a. vermutet werden, wenn Partner bereits länger als ein Jahr zusammenleben oder Kinder im Haushalt zusammen versorgt werden (§ 7 Abs. 3a Nr. 1 und 3 SGB II). Aber auch dann, wenn Partner kürzer als ein Jahr zusammenleben, kann eine Bedarfsgemeinschaft angenommen werden, wenn besonders gewichtige Umstände die Annahme einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft rechtfertigen. Als Indiz hierfür kann ein Verlöbnis mit Austausch von Ringen als Ausdruck eines Heiratswunsches in Betracht kommen. Ist es zwischenzeitlich allerdings zu einer Lösung des Verlöbnisses mit einem temporären Auszug gekommen, belegt dies, dass die Partner doch noch eine gewissen Zeit benötigen, um herauszufinden, ob sie willens und in der Lage sind, dauerhaft füreinander einzustehen und Verantwortung füreinander zu übernehmen. Kinder werden in einem Haushalt nicht schon dann „versorgt“, wenn lediglich mit Kindern in einem gemeinsamen Haushalt zusammengelebt wird. Auch kleinere und alltägliche Handlungen wie das Mitdecken des Tisches auch für die Kinder des Partners, das Mitwaschen der Kleidung, gelegentliches Aufpassen auf die Kinder, Fahrten zu Schule oder die gemeinsame Freizeitgestaltung reichen nicht aus. Die Vermutungsregelung lösen nur besonders intensive Versorgungsleistungen wie etwa eine überwiegende Versorgung oder die maßgebliche Mitwirkung bei der Pflege aus.
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 29.03.2022, L 3 AS 29/22 B ER
Erstveröffentlichung in HEMPELS 6/2022
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Schwangerschaft macht noch kein Kind
Veröffentlicht: 1. August 2017 Abgelegt unter: Bedarfsgemeinschaften | Tags: § 7 Abs. 3a Nr. 2 SGB II, Bedarfsgemeinschaft Schwangerschaft Ein Kommentar
(c) Gerd Altmann / pixelio.de
Ziehen künftige Eltern bereits vor der Geburt ihres ersten Kindes zusammen und lebt einer der zukünftigen Eltern von Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV), so werden die zukünftigen Eltern häufig schon vor der Geburt ihres Kindes ab dem Tage ihres Zusammenzuges als so genannte Bedarfsgemeinschaft behandelt. Folge: Der verdienende zukünftige Elternteil muss den anderen ab dem Tage des Zusammenzuges finanziell bis zur Grenze seiner eigenen Hilfebedürftigkeit unterhalten. Hintergrund dieser weit verbreiteten Praxis ist die Regelung in § 7 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 3a Nr. 2 SGB II. Danach kann das Jobcenter das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft vermuten, wenn Eltern „mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben“. Dieses „Zusammenleben“ wird von vielen Jobcenter auch bereit schon vor der Geburt des Kindes angenommen.
Das Landessozialgericht Hamburg hat dieser Praxis bereits früh widersprochen und entschieden, dass die Vermutungsregel des § 7 Abs. 3a Nr. 2 SGB II – Zusammenleben mit einem gemeinsamen Kind – nicht dahingehend ausgelegt werden kann, dass diese bereits bei Bestehen einer Schwangerschaft eingreift, da dies in klarem Widerspruch zum Wortlaut der Norm steht.
(LSG Hamburg, Beschluss vom 28.01.2008, L 5 B 21/08 ER AS)
Erstveröffentlichung in HEMPELS 7/2017
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Hartz IV: Zankapfel Bedarfsgemeinschaft
Veröffentlicht: 6. Januar 2014 Abgelegt unter: Bedarfsgemeinschaften | Tags: ALG II Bedarfsgemeinschft, § 7 Abs. 3 a SGB II, Hartz IV Bedarfsgemeinschft, SG Kiel 18.11.2013 S 35 AS 355/13 ER 8 KommentareMit Beschluss vom 18.11.2013 hat das Sozialgericht Kiel im Verfahren S 35 AS 355/13 ER einige wichtige Hinweise zur Beurteilung des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft für den Fall gegeben, dass keiner der Vermutungstatbestände nach § 7 Abs. 3 a SGB II vorliegt.
Kein Indiz für das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft sind danach Angaben im ALG II Antrag zum Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft, wenn das Jobcenter bereits im Rahmen der Antragsstellung ohne hinreichende Prüfung von einer Bedarfsgemeinschaft ausgeht und durch Ausgabe entsprechender Antragsunterlagen eine vorzeitige Weichenstellung vornimmt.
Auch der Umstand, dass ein gemeinsamer Mietvertrag mit gesamtschuldnerischer Haftung im Sinne von § 421 BGB abgeschlossen wurde, rechtfertigt für sich nicht die Annahme eine Einstehensgemeinschaft, wenn sich die Partner der Bedeutung und Tragweite einer gesamtschuldnerischen Haftung nicht bewusst waren und der Grund für den gemeinsamen Vertragsschluss die Absicherung des zuziehenden Partners vor einem unfreiwilligen Wohnungsverlust ist, welcher nachvollziehbar ist und auch einem weit verbreiteten Sicherheitsbedürfnis von Mietern entspricht (a.A. wohl LSG NRW, Beschluss vom 29.05.2012, L 12 AS 1409/11). Auch das weitergehende Motiv, sicherzustellen, dass die Antragstellerin in dem Haus verbleiben kann, falls dem Partner berufsbedingt etwas zustößt, ist nach Auffassung des Gerichts „eher Ausfluss eines respektvollen weil umsichtigen Umgangs miteinander, als dass hieraus valide Rückschlüsse auf ein aktives gegenseitiges füreinander Einstehen in jeder Lebens- und insbesondere auch Notlage gezogen werden könnten.“
Zuletzt waren auch die partielle Aufgabe von Privatsphäre und weitere Unterstützungshandlungen bei der Haushaltsführung und Nahrungszubereitung sowie die beabsichtigte Ermöglichung der Berufsausübung im Haus in diesem Fall als Nothilfe zu werten, die nicht zu der Annahme einer Verantwortung- und Einstehensgemeinschaft führen konnte.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt




