Beratungshilfe für Beratung im Anhörungsverfahren nach § 55 OwiG

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Amtsgericht Kiel (Photo: Helge Hildebrandt)

Mit Beschluss vom 16.06.2015 hatte eine Rechtspflegerin am AG Kiel den Antrag auf Beratungshilfe für die – im Ergebnis erfolgreiche – Vertretung einer Betroffenen Hartz-IV-Empfängerin im Rahmen des Anhörungsverfahrens nach § 55 OwiG wegen einer angeblich begangenen Ordnungswidrigkeit nach § 63 Abs. 1 Nr. 6 SGB II abgelehnt und zur Begründung ausgeführt:

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Beratungshilfegesetz kann Beratungshilfe gewährt werden, wenn keine anderen Möglichkeiten zur Verfügung stehen, deren Inanspruchnahme dem Rechtssuchenden zuzumuten ist, und wenn nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 BerHG die Wahrnehmung der Rechte nicht mutwillig ist.

Dem Antragsteller stand eine andere zumutbare Möglichkeit für eine Hilfe im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG zur Verfügung, nämlich die Inanspruchnahme der Beratung durch das Jobcenter, zu welcher diese nach § 14 SGB 1 verpflichtet ist. Im Antrag- und im Anhörungsverfahren ist – anders als im Widerspruchsverfahren – die Beratung durch die Behörde eine andere zumutbare Möglichkeit für eine Hilfe im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG (vgl. Beschluss AG Halle (Saale) vom 17.05.2011, 103 11695/11, juris).

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 30. Juni 2009 (Az. 1 BvR 470/09, juris) entschieden, dass es im Anhörungsverfahren dem Rechtssuchenden zumutbar ist, die Beratung der Behörde in Anspruch zu nehmen, insbesondere da die Behörde – anders als im Widerspruchsverfahren – noch keine belastende Entscheidung getroffen hat.

Dadurch, dass das Jobcenter bislang keine schriftliche rechtsmittelfähige Entscheidung in dieser Angelegenheit getroffen hat, besteht darüber hinaus derzeit kein nachweisbares konkretes Rechtsproblem. Erst wenn das Jobcenter die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes durch Beschluss einstellt, besteht ein konkretes Rechtsproblem bei dem sich die Frage stellt, ob die Einlegung eines Rechtsmittels sinnvoll wäre.

In der Gesamtbetrachtung war daher der Antrag auf Beratungshilfe zurückzuweisen.

In einem weiteren Beschluss führte die Rechtspflegerin ergänzend aus:

Auch das anwaltliche Schreiben beinhaltet lediglich einen Tatsachenvortrag. Warum dieses die Antragstellerin nicht selbst hätte vortragen können, erschließt sich der Unterzeichnerin nicht.

Beratungshilfe ist im übrigen regelmäßig zu versagen, wenn sich die anwaltliche Tätigkeit im wesentlichen auf allgemeine Hilfe wie Schreib- und Lesehilfe und/oder auf Hilfe zur Überwindung von Verständnis- oder Sprachschwierigkeiten beschränkt (Schoreit/Groß, Beratungshilfe/Prozesskostenhilfe, 9. Auflage, RdNr. 13 zu §1 BerHG).

Gegen den Beschluss habe ich mit Schriftsatz vom 19.06.2015 und 30.06.2015 Erinnerung eingelegt, der mit Richterbeschluss vom 04.08.2015 stattgegeben wurde. Das Gericht führt in seinem Beschluss u.a. aus:

Anders als im dortigen Verfahren [Anm.: BVerfG, Beschluss vom 30.06.2009, 1 BvR 470/09] war hier die Inanspruchnahme der anhörenden Behörde keine andere zumutbare Hilfe. Dort ging es um eine Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X, also um eine Anhörung vor Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes. Hier wurde die Antragstellerin gemäß § 55 OwiG angehört, ihr wurde also eine sanktionsbewehrte Ordnungswidrigkeit vorgeworfen. In dieser Situation ist dem Rechtsuchenden der Verweis auf die Informations- und Fürsorgepflichten der ermittelnden Behörde nicht mehr zumutbar. Zwar ist die Behörde gehalten, auch entlastende Umstände zu ermitteln, die Anhörung nach § 55 OwiG findet jedoch nur statt, wenn die Verwaltungsbehörde einen begründeten Anfangsverdacht annimmt. Die Behörde war hier also bereits repressiv tätig. Auch ein bemittelter Rechtssuchender würde in einem solchen Fall nicht erst bis zum Erlass eines Bußgeldbescheides zuwarten.

Die Vertretung in diesem Mandat erfolgte im Übrigen pro bono, da – was zu kritisieren ist – das Gesetz Vertretungshilfe u.a. im Ordnungswidrigkeitsrecht ausschließt, § 2 Abs. 2 Satz 2
BerHG.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt