Rückforderung von ALG II: 56 % der Leistungen für die Unterkunft dürfen i.d.R. nicht zurückgefordert werden!

Dieser Beitrag gibt die Rechtslage bis 31.12.2016 wieder. Zum 01.01.2017 wurde die Vorschrift ersatzlos gestrichen! Eine Synopse findet sich hier.

Weil die Vorschrift auch sechs Jahre nach ihrer Einfügung in das SGB II einigen Mitarbeitern des Jobcenters Kiel noch immer nicht recht vertraut zu sein scheint, weise ich an dieser Stelle noch einmal auf folgende Regelung hin:

§ 40 Abs. 4 SGB II [ab 01.08.2016: Abs. 9; ab 01.01.2017 aufgehoben]„Abweichend von § 50 des Zehnten Buches sind 56 Prozent der bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft nicht zu erstatten. Satz 1 gilt nicht in den Fällen des § 45 Absatz 2 Satz 3 des Zehnten Buches, des § 48 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 und 4 des Zehnten Buches sowie in Fällen, in denen die Bewilligung lediglich teilweise aufgehoben wird.“

Werden Leistungen nach dem SGB II – etwa aufgrund einer Arbeitsaufnahme – zurückgefordert, dürfen von den Leistungen für die Unterkunft 56 Prozent der erbrachten Leistungen nicht zurückgefordert werden.

Wichtig: Die Vorschrift bezieht sich nur auf die Leistungen für die Unterkunft, also nicht

• auf die Regelleistungen und

• Leistungen für Heizung und Warmwasser!

Die Vorschrift ist eine Folge des Wegfalls des Wohngeldes für ALG II-Empfänger. Als Kompensation für diesen Wegfall soll der Teil der Unterkunftskosten, der durchschnittlich der Leistung des Wohngeldes für frühere Empfänger der Sozialhilfe entsprach, nicht zurückerstattet werden müssen.

Wichtig: Die Vorschrift gilt gemäß Satz 2 nicht, wenn die Leistungen

• nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 bis 3 SGB X von Anfang an – durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt wurden,- die Bewilligung auf Angeben beruht, die vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtig oder unvollständig gemacht wurden oder –  die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung dem „Leistungsberechtigten“ bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war oder

• nach § 48 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X im laufenden Leistungsbezug – aufgrund vorsätzlicher oder grob fahrlässiger leistungsrelevanter Änderungen der (wirtschaftlichen) Verhältnisse nicht mitgeteilt wurden oder – der Betroffene wusste oder grob sorgfaltswidrig nicht wusste, dass der Anspruch ganz oder teilweise weggefallen ist.

Weiter findet die Regelung, wonach Unterkunftskosten in Höhe von 56 Prozent der Unterkunftsleistungen nicht zurückgefordert werden können, in Fällen, in denen die Bewilligung lediglich teilweise aufgehoben wird, keine Anwendung. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Regelung bestehen nicht (BSG, Urteil vom 02.12.2014, B 14 AS 56/13 R).

Wichtig:

• Eine „teilweise“ Aufhebung liegt nicht vor, wenn für einzelne Monate des i.d.R. sechsmonatigen Bewilligungsabschnittes Leistungen zurückgefordert werden.

• Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift findet die 56 Prozent-Regelung keine Anwendung bei einer teilweisen Aufhebung innerhalb eines Kalendermonates. Diese Regelung ist auf den ersten Blick nicht leicht nachvollziehbar (kritisch etwa Conradis a.a.O., Rn. 25), macht aber durchaus Sinn: Der Zweck der Regelung des § 40 Abs. 4 SGB II besteht darin, bei einer Rückforderung von ALG II (pauschal) einen finanziellen Ausgleich für nicht beantragtes Wohngeld zu schaffen. Werden die Leistungen nach dem SGB II indessen nicht vollständig zurückgefordert, besteht kein Grund für einen solchen Ausgleich, weil ja noch ein Teil ALG II gezahlt worden ist. Eine solche – wiederum pauschale – Reglung zu treffen, liegt im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt