Ergänzendes zu der rückwirkenden Anerkennung der neuen Kieler Mietobergrenzen ab 01.01.2013

Wappen KielFür Leistungsbezieher nach dem SGB II und SGB XII, die (bisher) zu ihrer Miete hinzu zahlen, dokumentieren wir an dieser Stelle den Redebeitrag des Sozialdezernenten Gerwin Stöcken (SPD) in der Ratsversammlung vom 10.07.2014 im vollen Wortlaut, mit dem ergänzende Aussagen zur rückwirkenden Anerkennung der neuen Mietobergrenzen ab 01.01.2013 getroffen werden.

„Herr Stadtpräsident, meine Damen und Herren,

wir legen Ihnen mit dieser geschäftlichen Mitteilung die Auswirkungen des Urteils des Landessozialgerichts zu den Mietobergrenzen und dem schlüssigen Konzept [dar].

Und zunächst einmal will ich vorwegstellen: Wir gehören zu den wenigen Städten in Deutschland – unter anderem München – die ein gerichtlich anerkanntes schlüssiges Konzept haben. Das ist nämlich gar nicht so einfach, nicht etwa deshalb, weil wir uns auf dem Wohnungsmarkt nicht auskennen, sondern weil wir unser Auskennen auch noch mit statistischen Auswertungen so unterlegen müssen, dass die Gerichte eine abstrakt angemessene Mietobergrenze wahrnehmen können. Deswegen sind wir richtig stolz, dass wir das hinbekommen haben, und jetzt mittlerweile Rechtssicherheit eingetreten ist.

Auch wenn wir hier über abstrakt angemessene Mietobergrenzen sprechen, geht es doch immer um das Wohnen für jeden Einzelnen. Und es muss angemessen sein, die Menschen müssen angemessen wohnen können und überall in der Stadt eine Wohnung finden können. Wir bei der Stadt und gemeinsam mit dem Jobcenter arbeiten daran, dass wir diesen Überblick haben: Gibt es eigentlich genügend Wohnungen in dieser Stadt? Und die jetzt neu formulierte Mietobergrenze plus die Steigerung bei den Nebenkosten führt dazu, dass es Kostensteigerungen gibt. Die ist ausgewiesen in der Tabelle, und wir müssen jetzt aufpassen, dass wir Betriebskostennachzahlungen in Betriebskostenvorauszahlungen umwandeln. Das setzt voraus, dass wir jeden Mietvertrag, dass jeder seinen Mietvertrag daraufhin überprüft, dass der Vermieter auch die richtigen Nebenkosten beschrieben hat. Wenn uns das gelingt, sollte diese Veränderung weitestgehend kostenminimierend oder kostenneutral organisierbar sein, weil wir heute schon große Betriebskostennachzahlungen am Ende Jahres haben, weil der Vermieter eben nicht ordentlich kalkuliert hat, und es dem Mieter anschließend in Rechnung stellt. Deswegen ist es wichtig, dass wir jetzt dem Jobcenter schon heute die Erlaubnis geben, schon mit diesen Mietobergrenzen zu verfahren, damit wir diese ganzen Umsetzungsschritte machen können. Wir werden die Richtlinien entsprechend überarbeiten, und all die Themen, die hier eine Rolle spielen, entsprechend aufnehmen, damit wir dann auch eine abstrakt angemessene Mietobergrenze im schlüssigen Konzept haben und eine daraus abgeleitete Richtlinie.

Insofern habe ich den Antrag der Linken nicht verstanden, weil wir genau das sagen: Wir arbeiten die Dinge jetzt ab, Stück für Stück, wann immer ein Antrag angefasst wird, wann immer eine Akte angefasst wird, gucken wir: Müssen wir hier bis 2013 rückwirkend auch Nachzahlungen vornehmen? Ich würde der Ratsversammlung abraten davon, die Formulierung auch in dem neuen Antrag zu übernehmen, denn die Ratsversammlung bewilligt diese Kosten nicht. Die Ratsversammlung setzt das Jobcenter in die Lage, entsprechende Bewilligungen aussprechen zu können. Bitte lassen Sie uns dabei bleiben: Das Jobcenter setzt für uns das SGB II um, und wir schreiben in den Richtlinien fest, wie es dies machen soll. Wir bewilligen aber nicht aus der Ratsversammlung heraus Kosten. Das ist mir ganz wichtig, hier zu erwähnen.

Wir haben im Bundestag die Diskussion gehabt um den Mindestlohn. Und ich habe mir mal die Mühe gemacht ihnen zu sagen: Was bedeutet dieser Mindestlohn eigentlich auch für uns in Kiel, wenn der so umgesetzt wird? Und dazu müssen Sie wissen: Die neue Mietobergrenze für eine einzelne Person ist 332,00 €, wenn die Betriebskosten richtig berechnet sind, plus etwa 60,00 € Heizkosten, habe ich mal so überschlagen, 382,00 € Regelsatz [Anm.: seit 01.01.2014 391,00 €], sind 774,00 €, die monatlich zu zahlen sind. Wenn jemand arbeiten geht und 160 Stunden im Monat, das ist etwa eine Vollzeitstelle, mit 8,50 € Geld verdient, dann kommen dazu noch Freibeträge, von 100,00 € + 180,00 €, also von 280,00 €, ungefähr Überschlag, so das er einen Anspruch von 1.054,00 € hat. Der Nettolohn bei 8,50 € ist 1.013,92 €, wenn ich dem Gehaltsrechner des Internets glaube, mag auch ein bisschen mehr, mag auch ein bisschen weniger sein. Sie sehen also, dass die Mietentwicklung in Kiel ausmacht, ob man mit dem Mindestlohn, der irgendwo festgelegt wird, auskömmlich in Kiel leben kann. Und deswegen ist es mir so wichtig, immer darauf hinzuweisen, nicht etwa, weil ich den Menschen Geld wegnehmen will, sondern ich will dafür sorgen, dass die Kostenentwicklung in Kiel sich nicht so entwickelt, dass man von einem gesetzlich festgelegten Mindestlohn allein gar nicht leben kann, sondern man muss immer noch mal Geld dazu kriegen.

Das ist mir wichtig, und deswegen auch meine Bitte, auch an der anderen Stelle dafür zu sorgen, nicht zu meinen, mit mehr Geld habe ich schon Sozialpolitik gemacht. Sondern nur dann, wenn wir die Dinge so übereinander bringen, dass die Dinge funktionieren können, dann haben wir ordentliche Sozialpolitik gemacht.

Ich glaube, dass wir mit der geschäftlichen Mitteilung die Voraussetzungen legen, dass die Ratsversammlung diese Wirkung dieses Urteils wirklich gründlich prüfen und studieren kann und dann die richtigen Ableitungen treffen kann. Heute oder Morgen schon Geld in die Hand zu nehmen, halte ich für falsch, denn wir werden alles tun, es wird so sein, dass jeder seinen Anspruch ohne Antrag durchsetzen kann. Auch das ist mir wichtig, hier öffentlich zu sagen: Es muss niemand einen Antrag stellen. Wenn jemand das machen möchte, kann er es gerne tun. Es muss niemand einen Antrag stellen. Alle halbe Jahr wird jede Akte angefasst, alle halbe Jahr wird überprüft: Sind Nachzahlungen zu leisten? Und dann werden sie gewährt. Niemand muss einen Anwalt beauftragen, um diese Ansprüche durch anwaltliche Vertretung durchzusetzen. Das wird das Jobcenter aus eigener Veranlassung tun. Und es wird ein wenig dauern, auch das ist wichtig zu wissen, dass wir das jetzt nicht beschleunigen können, weil im Jobcenter gerade die Software umgestellt wird, von A2LL, sie wissen, dieses Programm, das nicht so gut funktioniert, in Allegro, und in diese Situation würde jetzt auch dieses fallen, und deswegen kann es nur so sein, wie wir das hier in der geschäftlichen Mitteilung geschrieben haben. Auch wenn der Zeitraum 01.01.2015 erreicht ist, werden wir trotzdem das Jobcenter bitten, und anweisen, auch nachträglich zu bewilligen.

Das ist zu dieser geschäftlichen Mitteilung ergänzend zu sagen. Ich danke für die Aufmerksamkeit und hoffe, dass wir dann so verfahren können, danke.“

Der Videomitschnitt findet sich hier. Dank für das Lektorat an Björn Nickels.

Anmerkungen

Die Ergänzungen zur geschäftlichen Mitteilung sind zu begrüßen. Mit ihr werden die wesentlichen aus der Sicht von Leistungsbeziehern und ihren Beratern noch offenen Fragen beantwortet.

Nach hiesiger Einschätzung kann davon ausgegangen werden, dass die Stadt und das Jobcenter Kiel – auch nach Ablauf der Überprüfungsfristen zum 01.01.2015 – rückwirkend ab 01.01.2013 Leistungen für die Unterkunft auf der Grundlage der neuen Mietobergrenzen nachzahlen werden. Diese Beurteilung beruht auf zwei Erwägungen: Zum einen scheinen Stadt und Jobcenter Kiel das Gerechtigkeitsproblem erkannt zu haben, welches darin bestünde, nur jenen Leistungsberechtigten, die rechtzeitig einen Überprüfungsantrag stellen, Unterkunftskosten in rechtmäßiger Höhe nachzuzahlen. Zum anderen wäre der politische Flurschaden eines Wortbruches wohl um ein Vielfaches höher als der monetäre „Gewinn“ für die Stadt Kiel durch eingesparte Sozialleistungen in letztlich doch geringer Höhe.

Für die Anwaltschaft bleibt die Situation indes schwierig. Rechtsansprüche, die sich notfalls auch auf dem Rechtswege durchsetzen lassen, begründen die Positionierungen der Stadt nicht. Deswegen ist jeder Rechtsanwalt – auch haftungsrechtlich – auf der „sicheren Seite“, wenn er seinen Mandanten dazu rät, doch lieber vorsorglich für alle Fälle einen Überprüfungsantrag zu stellen. Aufgrund der nunmehr geklärten Rechtslage scheint eine anwaltliche Vertretung indessen nicht mehr erforderlich. Mandanten sollten über die Rechtslage aufgeklärt sowie auf die Möglichkeit eines formlosen Überprüfungsantrages, welcher einer Begründung nicht mehr bedürfen sollte, hingewiesen werden. Im Regelfall sollte es damit sein Bewenden haben können.

Ratsherrn Stefan Rudau von der Ratsfraktion DIE LINKE ist an dieser Stelle für seinen Antrag zu danken. Ohne sein beharrliches Nachbohren wäre dieses wichtige Thema nicht erörtert und die entsprechenden Klarstellungen seitens der Stadt so nicht getroffen worden.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt