Ratsversammlung diskutiert Veröffentlichung der Telefonliste des Jobcenters Kiel
Veröffentlicht: 20. März 2014 Abgelegt unter: Jobcenter Kiel, Ratsversammlung Stadt Kiel, Stadt Kiel | Tags: Ratsfrau Christina Musculus-Stahnke (FDP), Ratsherr Jan Wohlfahrt (CDU), Ratsherr Marcel Schmidt (Piratenpartei), Ratsherr Michael Schmalz (SPD), Ratsherr Rainer Kreutz CDU), Ratsherr Stefan Rudau (Die Linke) 9 KommentareIn der heutigen Ratsversammlung wurde der Antrag der Ratsfraktion DIE LINKE zur Veröffentlichung der Telefonliste des Jobcenters Kiel kontrovers debattiert.
Städtische Telefonnummern: Öffentlicher, als mancher Ratsherr glaubt
Ratsherr Stefan Rudau (DIE LINKE) löste gleich zu Beginn Erstaunen und empörte Zwischenrufe mit seinem Hinweis aus, DIE LINKE fordere eigentlich nur die Veröffentlichung bereits öffentlicher Information auf der Homepage des Jobcenters Kiel, denn das Städtische Telefonbuch der Stadt Kiel mit allen Durchwahlnummern auch der Mitarbeiter des Jobcenters Kiel sei für jedermann käuflich zu erwerben. Ratsherr Michael Schmalz (SPD) ließ sich in seiner Erwiderung zu der (später zurückgenommenen) Aussage hinreißen, die Ratsfraktion DIE LINKE verkaufe offenbar die Telefonlisten des Jobcenters Kiel in ihrem Fraktionsbüro. Der übliche Budenzauber also von Ratsleuten, die nicht einmal wissen, wo man das Städtische Telefonbuch erstehen kann. Wir wollen das Geheimnis lüften: Es ist käuflich zu erwerben bei dem Verlag, der es herausgibt und druckt (welch Wunder!), dem Verlag Schmidt-Römhild (http://www.schmidt-roemhild.de/). Zu finden unter „Shop“ und dann in der Sidebar unter „Adress- und Telefonbücher“ „Kiel“ auswählen, Preis 8,- €.
Von Feindbildern und Sabotage
Erstaunlich ist – trotz des allgemein niedrigen Niveaus der Debattenkultur in der Kieler Ratsversammlung – immer wieder, wie auf sozialpolitische Anträge der Fraktion DIE LINKE reagiert wird. Ratsherr Michael Schmalz konstatierte (ohne nähere Erläuterungen oder einen erkennbaren Zusammenhang), die LINKE stigmatisiere mit ihrem Antrag Hartz IV-Empfänger, Ratsherr Jan Wohlfahrt (CDU) setzte nach: Die Linke habe ein „Feindbild Jobcenter“ und wolle dessen „Arbeit sabotieren“. Hartz IV-Bezieher hätten ihre – so wörtlich – „Betreuer zugewiesen“, das reiche völlig. Bezieher von Leistungen nach dem SGB II unter Betreuung. Es fällt einem wenig dazu ein.
Sympathisch, aber leider unpraktikabel
Immerhin, Ratsfrau Musculus-Stahnke (FDP) hatte „Sympathie für den Antrag“, nur sei dieser leider unpraktikabel. Worauf diese Unpraktikabilität genau fußen soll, blieb indessen eher im Dunkeln. Dass zahlreiche Jobcenter in Deutschland das Callcenter der Bundesagentur für Arbeit gar nicht nutzen (vgl. die Antwort der Bundesregierung vom 13.03.2014) und – wie auch die Stadt Kiel selbst – ohne ein Callcenter auskommen, für die Bürger also direkt erreichbar sind und dennoch gute Arbeit leisten, scheint sich jedenfalls bis in die Kieler Ratsversammlung noch nicht herumgesprochen zu haben.
Wunderwaffe Datenschutz
Ein stets beliebtes Argument, wenn man etwas nicht so gern öffentlich machen möchte: Datenschutzrechtliche Bedenken. Ratsherrn Rainer Kreutz (CDU) fiel das zum Thema ein. Aber bei Dienstnummern von Behördenmitarbeitern? Weil auch die Vornamen im Telefonbuch stehen? Irgendwo hört es dann doch mal auf. Und wenn man denn schon datenschutzrechtliche Bedenken haben sollte, dann bitte auch bei dem frei käuflichen Telefonbuch der Stadt. Allerdings muss dann die Frage erlaubt sein, wie es einer freiheitlichen Gesellschaft zu Gesicht steht, wenn sich Behördenmitarbeiter hinter „Geheimnummern“ vor den eigenen Bürgern verstecken.
Kieler Piraten: Ein ganz spezieller Fall
Während die Bundespartei der Piraten die Telefonlisten der Jobcenter veröffentlicht hat, konnte Ratsherr Marcel Schmidt (Piratenpartei) nicht schnell genug beteuern, die Listen seien nicht von den Kieler Piraten veröffentlicht, diese lehnten eine Veröffentlichung natürlich strikt ab („Wir sind nicht dabei.“). Ob die Kieler Wähler der Piraten geahnt haben, was für Leichtmatrosen mit Plastiksäbelchen sie da in die Kieler Ratsversammlung gewählt haben?
Alles gut?
Bleibt zum Abschluss die Frage: Ist der Antrag der Ratsfraktion DIE LINKE berechtigt? Wir lassen andere sprechen:
„Handlungsbedarf wurde bei der Sicherstellung der telefonischen Erreichbarkeit gesehen.“ (Antwort der Bundesregierung (18/735) vom 13.03.2014 auf eine Kleine Anfrage Fraktion DIE LINKE)
„Zum Ende eines sehr intensiven Arbeitsjahres muss die Bürgerbeauftragte feststellen, dass dem Anspruch vieler hilfesuchender Bürgerinnen und Bürger nach einer umfassenden persönlichen Beratung durch die Sozialbehörden immer weniger nachgekommen wird. Eine zeitnahe und unbürokratische Klärung von Fragen und Sachverhalten ist daher oft nicht möglich. Dies führt zu Konflikten und Schwierigkeiten, die durch eine konsequente Ausrichtung der Behörden auf die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger vermieden werden könnte. So sind u.a. die Agenturen für Arbeit, die Familienkassen oder auch einige Jobcenter telefonisch oft nur über Servicecenter zu erreichen.“ (Pressemitteilung der Bürgerbeauftragten des Landes Schleswig-Holstein vom 27.12.2013)
Report aus Main vom 29.04.2014: Mitarbeiter von Jobcentern sind für ihre Kunden unerreichbar
Der Antrag der Ratsfraktion DIE LINKE wurde von SPD, Grünen, SSW, CDU, FDP und Piraten abgelehnt. Ratsherr Nonnsen von WIR in Kiel hat sich enthalten.
Die Video-Aufzeichnung der Erörterung des Antrages findet sich hier (die Diskussion geht weiter in Video 29).
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
So etwas sollte normal sein .. aber was ist in diesem Staat noch normal? Es liegt leider im Gutdünken der Sachbearbeiter der Jobcenter, ob sie ihre Telefonnummern, e-mail-Adressen und so weiter nennen möchten oder nicht.
Solle man denken, ja. Tatsächlich verändert sich unser Land schleichend: Die Sicherheitszäune um Parlamente, Gerichte und Behörden werden höher, Arbeitsagenturen und Jobcenter beauftragen Sicherheitsfirmen und verbarrikadieren sich hinter immer dickeren Mauern, der Bürgern wird mit Call-Centern und Info-Tresen auf Distanz gehalten. Vor einiger Zeit wurde tatsächlich einer Mandantin von mir grundlos der Zutritt zum Amtsgericht Kiel verwehrt, wo sie einen Berechtigungsschein für eine anwaltliche Beratung abholen wollte. Sie rief mich dann von draußen mit ihrem Handy an und ich konnte die Angelegenheit mit dem Amtsgericht Kiel klären. Trotzdem sind das Zustände, die schlicht nicht akzeptabel sind. Beim Amtsgericht Kiel war das zum Glück allerdings eine Ausnahme.
Neulich erhielt ich ein Schreiben vom Finanzamt. Auch hier fehlten die Angaben wie Ansprechpartner (Sachbearbeiter), die Durchwahlnummer, die Unterschrift etc. Zum Ende hin verabschiedete sich eine Organisationseinheit mit den Worten: „Ihr Finanzamt“.
Wer auch immer sich dort als Unbekannter versteckt und sein Unwesen treibt, bekam prompt eine Antwort mit der Begrüßungsformel zurück: Sehr geehrte(r) Anonymous-Aktivist!
Nach wie vor fehlt mir die Überzeugungskraft juristische „Personen“ als neue Erdenbürger begrüßen zu dürfen. Ich möchte gerne wissen, weshalb sie solche Angst vor uns haben. Irgendetwas stimmt da nicht 😉
Hallo Helge, hallo LeserInnen,
vielen Dank für den Hinweis, dass das Telefonbuch für 8,– € käuflich erworben werden kann
bei dem Verlag Schmidt-Römhild.
Ich bin entsetzt über das Verhalten der beiden Ratsleute der PIRATEN.
Helge, so wie du das beschrieben hast, trifft es voll zu, ich zitiere, den Absatz habe ich
eingefügt, vielen Dank:
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„Kieler Piraten: Ein ganz spezieller Fall
Während die Bundespartei der Piraten die Telefonlisten der Jobcenter veröffentlicht hat, konnte Marcel Schmidt (Piratenpartei) nicht schnell genug beteuern, die Listen seien nicht von den Kieler Piraten veröffentlicht, diese lehnten eine Veröffentlichung natürlich strikt ab: “Wir sind nicht dabei.” Ob die Kieler Wähler der Piraten geahnt haben, was für
Leichtmatrosen mit Plastiksäbelchen
sie da in die Kieler Ratsversammlung gewählt haben?“
Zitatende
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Gruß
Björn Nickels
Tja, die Kieler Piraten. Leider hat die Ratsversammlung gestern insgesamt einen neuerlichen kulturellen Tiefpunkt erreicht. Der 1. Stellvertretende Vorsitzende des Ratsversammlung, Robert Vollborn (CDU), sah sich genötigt, nach den „Auftritten“ von Ratsherrn Dr. Traulsen, Ratsherrn Stadelmann und Bürgermeister Todeskino (die außer dem argumentum ad hominem wenig beherrschen) zur Ordnung aufzurufen: „Wir haben hier Äußerungen erlebt, die an der Grenze zur Respektlosigkeit lagen.“ Das war höflich formuliert. Stadtpräsident Tovar schwieg zuvor zu den verbalen Ausfällen seiner Genossen. Es war ein nur noch peinliches Trauerspiel.
Na, dann mal einen Erfahrungsbericht:
Oh Wunder, eine mögliche Zusage auf eine Stelle. Dazu musste was mit dem „Betreuer“ des JC VORHER geklärt werden.
Also angerufen, das berühmte Callcenter erreicht. Dort konnte man mir nicht weiter helfen, sagte einen „zeitnahen“ Rückruf des Betreuers zu. Dieser erfolgte aber NICHT.
Nochmal angerufen und um einen Termin beim Betreuer gebeten. Antwort: Das müsse ich an der Info-Theke des JC persönlich machen.
Klasse, Fahrkarte zum JC mal eben 3,60 € (und retour dito, denn Sozialticket hat´s bei uns nicht). Sprich, ich „darf“ mal eben 7,20 € berappen, damit ich einen TERMIN beim Betreuer bekomme. Und zum Termin fallen dann nochmal 7,20 € an. Sind mal eben 14,20 € … als „Hartzy“ hat man´s ja.
Ach ja … den Termin bekam ich dann 14 Tage in der Zukunft … und da war die mögliche Arbeitsstelle dann schon weg. Also 14,40 € für nix und wieder nix.
Aber Politiker sehen ein Problem mit dem Datenschutz bzw. bezeichnen eine direkte telefonische Erreichbarkeit als unpraktikabel.
Leider sind das die Erfahrungen, die auch viele meiner Mandanten machen. Und das wird wohl so bleiben, so lange die Politik die Probleme der Menschen ignoriert.
Für schwachsinnige Sachbearbeiter einfach mal beim Amtsgericht eine gerichtliche Betreuung beantragen. 🙂 Fördert die Motivation. Könnte man auch für Ratsmitglieder in Kiel beantragen.
Die Sachbearbeiter der Jobcenter möchte ich in Schutz nehmen. In der Kieler Ratsversammlung habe ich allerdings so manches erlebt, was an der Zurechnungsfähigkeit einiger Akteure dort berechtigte Zweifel aufkommen lässt.