Jobcenter muss Rechtsanwaltskosten auch dann erstatten, wenn dieser Mandanten keine Kostenrechnung gestellt hat
Veröffentlicht: 6. Dezember 2014 Abgelegt unter: RA-Kosten | Tags: Bundessozialgericht Urteil vom 02.12.2014 B 14 AS 60/13 R 5 KommentareNach wohl überwiegender Auffassung der Kammern am SG Kiel (etwa SG Kiel, Urteil vom 26.03.2013, S 38 AS 278/10) können im Falle eines erfolgreichen Widerspruchsverfahrens die durch die Mandatierung eines Rechtsanwalts entstandenen Kosten nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X erst geltend gemacht werden, nachdem dem Mandanten die Kosten von seinem Rechtsanwalt nach § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG tatsächlich in Rechnung gestellt worden sind (unter Hinweis auf LSG NRW, Beschluss vom 20.04.2012, L 19 AS 26/12 B). Dies soll auch für den Fall geltend, dass die Mandanten beratungshilfeberechtigt sind und es dem Rechtsanwalt standesrechtlich eigentlich untersagt ist, seinen Mandanten eine Gebührenrechnung zu stellen, § 49a BRAO (zur Kritik hier und hier). Dieser formalistischen Rechtsprechung, die hier immer für unzutreffend erachtet wurde, hat das BSG nun (endlich) einen Riegel vorgeschoben.
Der Sachverhalt
Die Beteiligten stritten über die Erstattung von Kosten des Widerspruchsverfahrens. Der Kläger, der von dem Beklagten laufend Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II bezog, machte die Übernahme von Energieschulden bei dem Beklagten geltend und schaltete zur Interessenwahrnehmung einen Rechtsanwalt ein. Im Ergebnis wurde dem Widerspruch des Klägers vollständig abgeholfen. Anschließend übersandte der Klägerbevollmächtigte an den Beklagten eine Gebührenrechnung, in der unter Nennung der Angelegenheit und der Aufschlüsselung der Gebühren nach den Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) eine Gesamtsumme von 309,40 Euro berechnet wurde. Der Beklagte ergänzte den Widerspruchsabhilfebescheid dahingehend, dass er die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig erklärte und setzte sodann die zu erstattenden Kosten auf 0,00 Euro fest. Zur Begründung heißt es, es sei nicht nachgewiesen, dass erstattungsfähige Kosten für die Einschaltung eines Rechtsanwalts entstanden seien, da keine Kostenrechnung des Rechtsanwalts vorliege, die dieser gegenüber seinem Mandanten erstellt habe. Die Klage hatte in den beiden Instanzen Erfolg. Das LSG hat das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage auf Erstattung der Anwaltskosten durch das Beklagte Jobcenter bejaht. Der Beklagte habe auch bereits die Entscheidung getroffen, dass die Kosten dem Grunde nach erstattungsfähig seien. Die Höhe der geltend gemachten Kosten sei aufgrund der qualifizierten Abrechnung des Klägerbevollmächtigten zwischen den Beteiligten ebenfalls nicht streitig. Zur Entscheidung stehe allein die Frage, ob dem Kläger wegen des Fehlens der formalen Voraussetzungen nach § 10 RVG Kosten nicht entstanden seien. Dies sei zu verneinen, denn der Schutzzweck des § 10 RVG betreffe nur das Innenverhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt, nicht jedoch das Außenverhältnis gegenüber einem erstattungspflichtigen Dritten.
Die Entscheidung des BSG
Die Revision des beklagten Jobcenters gegen die Entscheidung LSG NRW war nicht erfolgreich. Der Kläger hat einen Kostenerstattungsanspruch in Höhe von 309,40 Euro gegen das beklagte Jobcenter. Der angefochtene Bescheid des Beklagten ist rechtswidrig, soweit dort die zu erstattenden Kosten auf 0,00 Euro festgesetzt wurden. Das Rechtsschutzbedürfnis für die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist gegeben, denn der Kläger ist bereits dadurch beschwert, dass die zu erstattenden Kosten auf 0,00 Euro statt auf 309,40 Euro festgesetzt worden sind, ohne dass es darauf ankommt, ob der Beklagte bei Vorlage einer an den Kläger gerichteten Gebührenrechnung die Kosten in der beantragten Höhe erstattet hätte. Die Voraussetzungen für einen Kostenerstattungsanspruch nach § 63 Abs 1 SGB X liegen vor. Das beklagte Jobcenter hatte bereits die Entscheidung getroffen, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war und dass die Kosten dem Grunde nach erstattungsfähig sind. Die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen ist aufgrund der qualifizierten Abrechnung des Klägerbevollmächtigten in dem an den Beklagten gerichteten Antrag auf Kostenfestsetzung nicht streitig. Über diese aus § 63 Abs 1 und 2 SGB X folgenden Voraussetzungen hinaus bestehen keine weiteren formalen Voraussetzungen für den Kostenerstattungsanspruch nach erfolgreichem Widerspruch. Insbesondere kann aus der Tatsache, dass keine an den Kläger gerichtete Berechnung nach § 10 RVG vorliegt, nicht gefolgert werden, dass Kosten nicht entstanden seien. Der Schutzzweck des § 10 RVG betrifft nur das Innenverhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt, nicht jedoch das Außenverhältnis gegenüber einem erstattungspflichtigen Dritten. Dieser kann somit nicht einwenden, wegen eines Verstoßes gegen § 10 RVG nicht zur Zahlung verpflichtet zu sein.
Bundessozialgericht, Urteil vom 02.12.2014, B 14 AS 60/13 R
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Die haben sich schon so dran gewöhnt, dass Leistungsempfänger alles und jedes vorzulegen haben. Sogar Vertragsverhältnisse mit Dritten, das Postgeheimnis, das Vertrauensverhältnis zum Arzt, alles dieses sind für Jobcenter Mitarbeiter belanglose Rechtsgüter.
Wer hilft denn den Klägern solche Aufstellungen zu bekommen: “ Die Höhe der geltend gemachten Aufwendungen ist aufgrund der qualifizierten Abrechnung des Klägerbevollmächtigten in dem an den Beklagten gerichteten Antrag auf Kostenfestsetzung nicht streitig!
Gilt equal pay auch für frei gewählte „Verteidiger“?
Na, Anwälte wissen schon, wie sie abrechnen müssen.
Interessant finde ich auch BSG, Urteil vom 18.09.2014 – B 14 AS 5/14 R
Das Jobcenter ( JC ) muss für den Rechtsschutz eines Hartz-IV-Klägers zahlen.
Leitsatz (Autor)
1. Legen SGB II Bezieher mit Hilfe eines Sozialverbandes erfolgreich Widerspruch gegen einen Bescheid des Jobcenters ein, muss die Behörde die angefallenen Kosten erstatten. Das Jobcenter darf die Verbände nicht mit einer eigenen festgelegten Pauschalgebühr für das Widerspruchsverfahren abspeisen.
2. Der Sozialverband kann vielmehr entsprechende Gebühren in seiner Satzung festlegen.
Quelle: http://tacheles-sozialhilfe.de/startseite/tickerarchiv/d/n/1742/
Was bei den Kosten, die etwa der SoVD seinen Mitglieder satzungsgemäß zusätzlich zu den Mitgliedsbeiträgen in Rechnung stellt, für die Betroffenen eine spürbare Entlastung ist. Dazu mehr hier:
https://sozialberatung-kiel.de/2012/07/25/sozialverband-deutschland-erhoht-kostenbeteiligung-fur-seine-mitglieder/
Schön wäre, wenn sich das BSG auch mal zu der Möglichkeit einer Beiordnung eines Rechtsanwalts In Klageverfahren trotz Mitgliedschaft des Mandanten in einem Sozialverband äußern würde. Dazu vertritt in Schleswig-Holstein fast jede Kammer eine andere Meinung (soweit ich sehen kann). Bejahend mit überzeugenden Argumenten etwa das Bayerische LSG vom 21.11.2008 zum Aktenzeichen L 18 B 796/08 R PKH:
„Die bloße Mitgliedschaft in einer Organisation im Sinne des § 73 Abs 2 Satz 2 Nr 5ff SGG stellt noch keine vermögenswerte Position dar, die zu einer Ablehnung der PKH führt (a.A. z.B. LSG Hamburg, Beschluss vom 21.01.2008 L 5 B 256/06 PKH Al, zitiert nach juris). Warum jemand einer der in § 73 Abs 2 Satz 2 Nr 5 ff SGG genannten Organisationen beitritt, mag vielerlei Gründe haben. Eine Verpflichtung als Mitglied einer solchen Organisation sich von dieser in einem Sozialrechtsstreit vertreten zu lassen, ergibt sich aus § 73a Abs 2 SGG nicht. Dort wird lediglich bestimmt, dass PKH nicht bewilligt wird, wenn der Beteiligte durch einen Bevollmächtigten einer der in § 73 Abs 2 Satz 2 Nr 5 bis 9 SGG genannten Organisationen vertreten wird.
PKH ist zu bewilligen obwohl die Klägerin zum Zeitpunkt der Bevollmächtigung des Rechtsanwaltes M. noch Mitglied des VdK gewesen ist. Zwar wird PKH gemäß § 73a Abs 2 SGG nicht bewilligt, wenn der Beteiligte durch einen Bevollmächtigten im Sinne des § 73 Abs 2 Satz 2 Nr 5 bis 9 SGG vertreten ist. In Fällen, in denen die Verbandsvertretung – wie vorliegend – einem Kläger Geld kostet, kann aber nicht ohne weiteres eine vermögenswerte Position angenommen werden, die vor Inanspruchnahme der PKH einzusetzen ist. Insoweit ist eine erweiternde Auslegung des § 73a Abs 2 SGG nicht gerechtfertigt; vielmehr erfolgt ein Ausschluss der Gewährung von PKH nach dem Wortlaut des § 73a Abs 2 SGG nur bei tatsächlich bestehender Verbandsver-tretung (BSG, Urteil vom 29.03.2007 SozR 4-1300 § 63 Nr 6). Die Klägerin hat daher die Wahl, ob sie sich – unter Gewährung von PKH – durch einen Rechtsanwalt oder – ohne Gewährung von PKH – durch einen kostenpflichtigen Bevollmächtigten im Sinne des § 73 Abs 2 Satz 2 Nrn 5 bis 9 SGG vertreten lassen will. Eine Ablehnung von PKH bei bestehender Verbandsmitgliedschaft in Fällen der vorliegenden Art würde zu einer Beeinträchtigung der Vereinigungsfreiheit führen. Die Grundrechtsgarantie des Art 9 Abs 1 Grundgesetz (GG) umfasst auch eine Gewährleistung der so genannten negativen Vereinigungsfreiheit, d.h. des Rechts, einem Verband nach freiem Belieben fernzubleiben und wieder auszutreten (Schmidt-Bleibtreu, Hofmann, Hopfau, GG, Kommentar 11. Auflage, Art 9 Rdnr 7 mwN). Art 9 GG bietet Schutz vor Beeinträchtigungen der vereinsmäßigen Betätigung. Dazu gehört auch das Verbot der staatlichen Behinderung des Beitritts oder Verbleibens in einem Verein (aaO Rdnr 13). Eine minderbemittelte Person müsste Mitglied des Verbandes bleiben, um eine Vertretung vor Gericht zu erhalten. Umgekehrt dürfte ein Minderbemittelter einem Verband nicht beitreten, um den Anspruch auf Bewilligung von PKH nicht zu verlieren. Das Bestehen einer Rechtsschutzversicherung ist mit einer Verbandszughörigkeit nicht zu vergleichen, da der Abschluss einer solchen Versicherung ausschließlich der Vertretung vor Gericht dient.“
https://sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/show.php?modul=esgb&id=85168