Kein ALG II bis zum tatsächlichen Ausbildungsbeginn

(c) Gerd Altmann / pixelio.de

In meinem Beitrag „ALG II trotz Immatrikulation“ habe ich die Rechtsauffassung vertreten, Studenten und Auszubildende könnten in dem Zeitraum nach ihrer Immatrikulation (und damit grundsätzlichen BAföG-Förderungsfähigkeit) bis zum Tag des tatsächlichen Ausbildungsbeginns ALG II beziehen. Zur Begründung hatte ich auf eine Entscheidung des BSG (Urteil vom 28.03.2013, B 4 AS 59/12 R, Rn. 19 f.) zum Regelungsbereich SGB II/ALG II verwiesen. Dort hat das BSG ausgeführt:

„[19] Der Bescheid vom 5. 9. 2005 war bereits im Zeitpunkt seines Erlasses insoweit rechtswidrig, als der Beklagte über den tatsächlichen Beginn der Ausbildung am 25. 8. 2005 hinaus SGB II-Leistungen gewährt hat. Ab diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin keinen Anspruch auf Leistungen mehr, weil der Anspruchsausschluss nach § 7 Abs 5 S 1 SGB II eingriff. Nach § 7 Abs 5 S 1 SGB II (idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24. 12. 2003, BGBl I 2954) haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des BAföG oder der §§ 60 bis 62 SGB III dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Eine Ausnahme hiervon galt nach § 7 Abs 6 SGB II aF nur für bestimmte Gruppen von Auszubildenden, zu denen die Klägerin nicht gehörte.“

Aus der recht klaren Formulierung „über den tatsächlichen Beginn der Ausbildung am 25.08.2005 hinaus“ hatte ich geschlossen, dass im Umkehrschluss bis zum tatsächlichen Ausbildungsbeginn ALG II zu Recht bewilligt worden ist. Auch in der folgenden Rz. 20 stellt das BSG auf den Tag des Beginns des tatsächlichen Besuchs („besuchte“) der Ausbildungsstätte bzw. den „Ausbildungsbeginn am 25.08.2005“ (Rz. 28) ab.

Das Sozialgericht Kiel hat diese Rechtsfrage unter Bezugnahme auf den Wortlaut des Gesetzes nun anders entschieden und ausgeführt (SG Kiel, Urteil vom 15.02.2017, S 37 AS 347/15):

„Die Klägerin nahm am 29. September 2014 eine schulische Ausbildung auf, die dem Grunde nach förderungsfähig nach dem BAföG war. Sie hatte daher keinen Anspruch auf die ausgezahlten Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II für September 2014; auch wenn sie für diesen Monat keine Leistungen nach dem BAföG erhalten hat. Nach § 15b Abs. 1 BAföG gilt die Ausbildung im Sinne des Gesetzes als mit dem Anfang des Monats aufgenommen, in dem Unterricht oder Vorlesungen tatsächlich begonnen werden. Korrespondierend hierzu wird nach § 15 BAföG die Ausbildungsförderung vom Beginn des Monats an geleistet, in dem die Ausbildung aufgenommen wird; frühestens jedoch vom Beginn des Antragsmonats an. Das SGB II knüpft den Ausschluss in § 7 Abs. 5 SGB II an eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung nach dem BAföG an und gerade nicht an die tatsächliche Leistungsgewährung. (vgl. hierzu Gutachten des Deutschen Vereins, Lebensunterhaltssicherung beim Übergang vom SGB II zum BAföG, G 1-14 vom18.08.2014, S. 2 (…).“

Dem Sozialgericht Kiel ist einzuräumen, dass der Wortlaut des § 15b Abs. 1 BAföG recht eindeutig ist und sich das BSG in der Entscheidung B 4 AS 59/12 R mit der hier strittigen Rechtsfrage nicht auseinandergesetzt, sondern vielmehr den SGB II-Ausschluss (erst) mit dem Tag des tatsächlichen Ausbildungsbeginns schlicht vorausgesetzt hat. Wie das SG Kiel jetzt auch LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 17.9.2018, L 6 AS 111/16 (siehe auch in den Kommentaren).

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


7 Kommentare on “Kein ALG II bis zum tatsächlichen Ausbildungsbeginn”

  1. Wie ist die Rechtslage, wenn Förderungshöchstdauer BAFÖG für das Studium erreicht und kein Darlehen aufgrund nicht erfolgter Meldung zum Examen gewährt wird ? Es müsste eigentlich SGB II-Leistungen geben.

  2. […] Rechtsanwalt Helge Hildebrandt bei Sozialberatung […]

  3. Heidi Rosenstein sagt:

    Lieber Herr Hildebrandt,
    vielen Dank für Ihren tollen Blog, der mir schon oft weiter helfen konnte. Mich würde nun interessieren, ob ich die obigen Ausführungen richtig verstanden habe: Ich bin über 30Jahre und daher nicht mehr BaföG berechtigt und derzeit beziehe ich ALG II. Ich werde mich am 15.08. für das Studium einschreiben. Am 01.10. ist Semesterbeginn, ab 09.10. Vorlesungsbeginn. Gehe ich nun richtig in der Annahme, dass ich bis 30.09. Anspruch auf Hartz 4 habe?
    Vielen Dank für Ihre Ausführungen.
    Mit freundlichen Grüßen,
    Heidi

    • Richtig, da das Studium als solches ab 01.10.2017 dem Grunde nach förderungsfähig ist. Ausnahme: Es handelt sich um ein „offizielles“ Teilzeitstudium. Dann können Sie auch während des Studiums ALG II beziehen.

  4. LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 17.9.2018 – L 6 AS 111/16: Der Leistungsausschluss für Studierende nach § 7 Abs. 5 SGB II setzt mit Semesterbeginn ein. Er wirkt zurück, wenn die Immatrikulation tatsächlich zu einem späteren Zeitpunkt erfolgt.

    „Zutreffend hat der Beklagte den Ehemann diesen Grundsätzen entsprechend auch für den gesamten Monat September 2013 als nach § 7 Abs. 5 SGB II in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung (a.F.; jetzt vergleichbar mit § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II) von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen „aus der Berechnung herausgenommen“, obwohl der Zulassungsbescheid zum Hochschulstudium ihm frühestens am 2. September 2013 bekannt gegeben worden ist und die Immatrikulation erst später, zu einem nicht mehr genau bestimmbaren Zeitpunkt zwischen dem 2. und dem 16. September 2013 erfolgt ist. Allerdings ist den gesetzlichen Bestimmungen nicht ausdrücklich zu entnehmen, wann der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II a.F. einsetzt. Nach dieser Vorschrift haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.

    Die Rückwirkung des Leistungsausschlusses auf den Beginn des Fachsemesters – hier entsprechend der dem Ehemann der Klägerin erteilten Immatrikulationsbescheinigung auf den 1. September 2013 – ergibt sich allerdings aus dem Sinn und Zweck der Regelung. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 5 SGB II dient dem Zweck, eine versteckte Ausbildungsförderung auf der zweiten Ebene zu verhindern (BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 – B 4 AS 67/08 R, juris Rn. 13; vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 17. Februar 2015 – B 14 AS 25/14 R – SozR 4-4200 § 7 Nr 40, juris Rn. 21; vgl. auch G. Becker in: Eicher/Luik, SGB II, 4. Aufl. 2017, § 7 Rn. 185). Deshalb ist maßgeblich für die zeitliche Begrenzung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 5 SGB II a.F. der Zeitraum, für den bei Vorliegen der individuellen Fördervoraussetzungen BAföG-Leistung gewährt werden könnten.

    Dies ist vorliegend nach Maßgabe der ausbildungsförderungsrechtlichen Bestimmungen der Zeitraum seit 1. September 2013. Denn nach § 15 Abs. 1 Halbsatz 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) wird Ausbildungsförderung vom Beginn des Monats an geleistet, in dem die Ausbildung begonnen wird. § 15 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 BAföG stellt überdies klar, dass Ausbildungsförderung für die Dauer der Ausbildung – einschließlich der unterrichts- und vorlesungsfreien Zeit – geleistet wird, so dass es für den Leistungsausschluss insoweit nicht darauf ankommt, dass der Ehemann der Klägerin zu 1. bis zur tatsächlichen Immatrikulation der Hochschule noch nicht angehört und tatsächlich die Ausbildung auch noch nicht aufgenommen hatte.

    Mit dieser Auslegung setzt sich der Senat auch nicht in Widerspruch zu Rechtssätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Dieses hatte in seiner Entscheidung vom 22. August 2012 – B 14 AS 197/11 R, juris Rn. 17 f. grundsätzlich auf den „Besuch“ der Ausbildungsstätte als Voraussetzung für die Förderungsfähigkeit der Ausbildung dem Grunde nach abgestellt und in Anlehnung an höchstrichterliche verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1978 – V C 41.77 – BVerwGE 57, 21, juris Rn. 12 ff.) festgestellt, dass ein Auszubildender eine Ausbildungsstätte (nur) besucht, solange er dieser organisationsrechtlich angehört und die Ausbildung an der Ausbildungsstätte tatsächlich betreibt.

    Daraus kann mit Rücksicht auf den konkreten Fall nicht abgeleitet werden, dass der Ehemann der Klägerin zu 1. für den Zeitraum zwischen dem 1. September 2013 und dem Tag der Einschreibung noch Arbeitslosengeld II hätte beanspruchen können. Die BSG-Entscheidung betraf die Frage des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 5 SGB II a.F. für die Dauer eines Urlaubssemesters. In diesem Kontext sind auch die ergangenen Rechtssätze zu sehen. Entscheidend stellt damit auch die höchstrichterliche Rechtsprechung auf den jeweiligen Ausbildungsabschnitt ab. Auch daran gemessen ist der Ehemann der Klägerin zu 1. vom 1. September 2013 an von SGB-II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen gewesen, weil er sich für das Wintersemester 2013/14 immatrikuliert hat, der Hochschule daher mit (Rück-)Wirkung vom 1. September 2013 angehört und sein Studium im Wintersemester 2013/14 auch tatsächlich betrieben hat.“

  5. Sozialgericht Augsburg, Urteil vom 26. Juni 2020, S 7 AL 319/18:

    https://www.dgbrechtsschutz.de//recht/sozialrecht/arbeitslosigkeit/themen/beitrag/ansicht/arbeitslosigkeit/kein-stopp-des-arbeitslosengeldes-nach-immatrikulation/details/anzeige/

    Kein Stopp des Arbeitslosengeldes (ALG I) nach Immatrikulation

    Leitsatz Dr. Manfred Hammel

    Die Vermutungswirkung des § 139 Abs. 2 Satz 1 SGB III greift bei einer Immatrikulation für ein Hochschulstudium zwar grundsätzlich ein, wird aber entsprechend § 139 Abs. 2 Satz 2 SGB III widerlegt, wenn in der ersten Zeit (hier: vom 01.09.2018 bis zum 19.09.2018) an dieser Ausbildungsstätte keinerlei (Lehr-) Veranstaltungen stattgefunden haben, d. h. der Auszubildende dort keinen Verpflichtungen nachzukommen hatte. Während dieser Eingangsphase ist der Antragsteller an der Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nicht gehindert.

    Eine Verfügbarkeit nach § 139 SGB III kann anerkannt werden, wenn antragstellerseitig die Glaubhaftmachung erfolgt, dass vor dem Beginn der Lehrveranstaltungen keine Beanspruchung durch das Studium erfolgt.


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