BSG: Kein Mehrbedarfsanspruch zum Erwerb eines Computers nach bis zum 31.12.2020 geltender Rechtslage

Bundessozialgericht in Kassel

Entgegen der Rechtsprechung vieler Sozial- und Landessozialgerichte (vgl. etwa auch Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 11.01.2019, L 6 AS 238/18 B ER) hat das BSG mit Urteil vom 12.05.2021 zum Aktenzeichen B 4 AS 88/20 R einen Anspruch von Schülern im Leistungsbezug nach dem SGB II gegenüber ihren Jobcentern auf Gewährung eines einmaligen Mehrbedarfes für die Anschaffung eines Computers aus § 21 Abs. 6 SGB II in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung abgelehnt.

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin, die unter anderem im Dezember 2016 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bezog, besuchte im Schuljahr 2016/2017 die 5. Klasse einer niedersächsischen Oberschule, deren Unterrichtskonzept den Einsatz eines Tablet-Computers vorsah. Im Dezember 2016 kaufte die Klägerin das von ihrer Schule vorgegebene Tablet für 380 Euro. Im Februar 2017 beantragte die Klägerin die Erstattung der Kosten für das Tablet, was der Beklagte ablehnte.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat das Sozialgericht das beklagte Jobcenter antragsgemäß verurteilt, der Klägerin 380 Euro als Härtefallmehrbedarf zu gewähren. Auf die vom Sozialgericht zugelassene Berufung hat das Landessozialgericht die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen eines Härtefallmehrbedarfs (§ 21 Abs. 6 SGB II a.F.) seien nicht erfüllt. Auch die Voraussetzungen des § 73 SGB XII lägen nicht vor. Hiergegen wendete sich die Klägerin mit ihrer vom Landessozialgericht zugelassenen Revision an das Bundessozialgericht.

Der 4. Senat am Bundessozialgericht hat die Revision der Klägerin nun zurückgewiesen. Die Kosten für das Tablet wurden danach zu Recht nicht als Mehrbedarf berücksichtigt. Die Voraussetzungen des § 21 Abs. 6 SGB II in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung für einen Härtefallmehrbedarf lagen nach Ansicht des Bundessozialgerichts nicht vor. Bei den Kosten für den Kauf des Tablets handelte es sich danach nicht um einen laufenden Bedarf. Der Bedarf sei vielmehr nur einmalig im Zeitpunkt des Kaufs des Tablets entstanden. Die auch von vielen Sozial- und Landessozialgerichten angenommene analoge Anwendung des § 21 Abs. 6 SGB II komme nicht in Betracht.

Anmerkungen:

In § 21 Abs. 6 II n.F. ist ein Mehrbedarfsanspruch für ab dem 01.01.2021 entstehende einmalige Bedarfe jetzt ausdrücklich geregelt (vgl. BT-Drucksache 19/24034 Seite 35 f. Ziffer 5 Nr. 3 c). Die Vorschrift lautet: „Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.“

Ein Darlehen für die Anschaffung eines Computers ist dabei aufgrund der hohen Anschaffungskosten regelmäßig nicht „zumutbar“ im Sinne von § 21 Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 SGB II n.F. (BT-Drucksache a.a.O. a.E.). Hierzu wird in den aktuellen Weisungen der BA (Weisung 202102001 vom 01.02.2021 – Mehrbedarfe für digitale Endgeräte für den Schulunterricht) ausgeführt: „Soweit den betreffenden Schülerinnen und Schülern von ihrer jeweiligen Schule digitale Endgeräte nicht zur Verfügung gestellt werden, besteht ein einmaliger unabweisbarer besonderer Bedarf, der über den Regelbedarf hinausgeht. Dieser Bedarf ist aufgrund seiner Höhe auch nicht über ein Darlehen nach § 21 Absatz 6 SGB II i. V. m. § 24 Absatz 1 SGB II zu decken. Der Bedarf ist daher in diesen Fällen durch einen Zuschuss zu decken.“

Erheblich negative Auswirkungen hat die Entscheidung des Bundessozialgerichts für diejenigen Schüler und Schülerinnen, die noch im (Corona-) Jahr 2020 für den Erwerbe eines digitalen Endgerätes für das Homeschooling oder in den Jahren davor, weil die Schule einen Rechner erfordert hat, Leistungen nach § 21 Abs. 6 SGB II a.F. in sozialgerichtlichen Eilverfahren erstritten haben. Soweit die Jobcenter den Mehrbedarf nur vorbehaltlich einer anderslautenden Entscheidung in der Hauptsache (ruhend gestelltes Widerspruchsverfahren, Klageverfahren) erbracht haben, droht in den Hauptsacheverfahren nun eine Zurückweisung, verbunden mit einem Erstattungsverlangen der Jobcenter. Vor dem Hintergrund der allenthalben beklagten Benachteiligung der aktuellen Schülergeneration durch coronabedingten Unterrichtsausfall, der besonders Schüler aus einkommensschwachen Haushalten trifft, ist die Entscheidung des BSG rechtspolitisch sicherlich ein verheerendes und arg aus der Zeit gefallenes Signal.

Es wäre wünschenswert, wenn die Jobcenter auf die Rückforderung für vor dem 01.01.2021 erbrachte Leistungen für digitale Endgeräte verzichten würden. Dass diese Mehrbedarfe nach dem politischen Willen des Gesetzgebers anerkannt werden sollten, bestätigt die Gesetzesänderung zum 01.01.2021. Die Bedarfslage war aber jedenfalls im Corona-Jahr 2020 keine andere.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht: Anspruch auf Laptop oder Tablet im Home-Schooling für jedes einzelne Kind der Bedarfsgemeinschaft

Während einer coronabedingten Schulschließung haben Schüler*innen, die Arbeitslosengeld II beziehen, einen Anspruch auf die Anschaffungskosten für ein internetfähiges Endgerät.

Der Anspruch besteht grundsätzlich für jedes in einem Haushalt lebende Kind, sofern es auf die Benutzung eines Computers für die Teilnahme am Schulunterricht angewiesen ist. Die Bewilligung eines Darlehens durch das Jobcenter, das dann in monatlichen Raten zurückzuzahlen wäre, ist nicht ausreichend. Allerdings ist der Bedarf gedeckt, wenn die Schule für die Zeit des Distanzlernens ein Leihgerät zur Verfügung stellt. So hat es das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht am 18. März 2021 im Rahmen eines Eilverfahrens entschieden (Aktenzeichen L 3 AS 28/21 B ER).

Antragstellerinnen waren drei Mädchen, die gemeinsam mit ihrer alleinerziehenden Mutter Leistungen vom Jobcenter beziehen. Zwei der Kinder, es sind Zwillinge, gehen in den 4. Jahrgang der Grundschule, allerdings in unterschiedliche Klassen. Die ältere Schwester ist 16 Jahre alt und besucht die Abschlussklasse einer Gemeinschaftsschule. Die Grundschule hatte den beiden Viertklässlerinnen angeboten, ihnen gemeinsam ein IPad zu leihen. Die Mutter der Kinder fand das nicht ausreichend. Sie war außerdem der Auffassung, dass die Kinder die Geräte auch weiterhin benötigen würden, wenn die Schule wieder im Präsenzunterricht stattfinde.

Der 3. Senat des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts hat zwar grundsätzlich ein Leihgerät der Schule für die Zeit während des Lockdowns für ausreichend angesehen, da nur für das Distanzlernen ein Endgerät zwingend erforderlich sei. Für das Home-Schooling müsse aber jedes Schulkind der Bedarfsgemeinschaft ein eigenes Gerät nutzen können, so dass hier grundsätzlich ein Anspruch auf mindestens ein weiteres Gerät bestanden hätte. Im konkreten Fall war aber zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das Gericht schon das Eilbedürfnis weggefallen, da alle Antragstellerinnen die Schule schon wieder im Präsenzunterricht besuchen konnten. Der Anspruch könnte aber erneut entstehen, falls es nach den Osterferien zu einem weiteren Lockdown kommen sollte.

Der Beschluss ist rechtskräftig.

Quelle: Pressemitteilung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 26.03.2021

Der Volltext findet sich hier: Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 18.03.2021, L 3 AS 28/21 B ER


Geld vom Jobcenter für die Anschaffung eines Computers – nur wie viel?

(c) Kurt F. Domnik / pixelio.de

Im Mai 2019 hatte ich in diesem Blog berichtet, dass das Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht (SH LSG) einem Schüler in seinem Beschluss vom 11.01.2019, L 6 AS 238/18 B ER Leistungen nach § 21 Abs. 6 SGB II für die Anschaffung eines internetfähigen Laptops einschließlich Software und Drucker in Höhe von 600,00 € zugesprochen hat.

Die 40. Kammer am SG Kiel hat in ihrem (rechtskräftigen) Beschluss vom 21.10.2019 zum Aktenzeichen S 40 AS 260/19 ER den Anspruch der dortigen 20jähigen Klägerin nach einer „vorgenommenen eigenen Internetrecherche“ nun auf 350,00 € bestimmt.

Betroffenen, die einen Anspruch auf Kosten für einen internetfähigen Rechner gerichtlich durchsetzen wollen, ist zu raten, den Betrag entweder in das Ermessen des Gerichts zu stellen oder Anschaffungskosten von über 750,- € (z.B. 751,- €) geltend zu machen, um in die Berufung bzw. Beschwerde zum SH LSG gehen zu können (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) – wo es dann wohl weiterhin 600,00 € geben dürfte.

Zu dem Beschluss der 40. Kammer ist für den aufmerksamen Leser anzumerken, dass es in diesem Verfahren weder einen „Antragsteller zu 2)“ gab noch die Antragstellerin im Alter zwischen 6 und 14 Jahren war (so dass der für Datenverarbeitungsgeräte und Software im Rahmen des Regelbedarfsermittlungsgesetzes 2017 [RBEG 2017] für Erwachsene veranschlage Wert von 2,52 € monatlich vom Gericht zu benennen gewesen wäre, der sich dann auch nicht auf Seite 66, sondern auf Seite 44 der BT-Drucksache 18/9984 findet). Das Sozialgericht hat hier offenbar in weiten Teilen einfach die Entscheidung des SH LSG vom 11.01.2019 kopiert. Man lerne daraus: Es gibt nicht nur Copy-and-paste-Verwaltungsakte von Behörden, sondern auch Copy-and-paste-Beschlüsse von Gerichten.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Geld vom Jobcenter für die Anschaffung eines Computers

(c) Kurt F. Domnik / pixelio.de

Schüler im Leistungsbezug nach dem SGB II haben unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch gegenüber ihrem Jobcenter auf Gewährung eines einmaligen Mehrbedarfes für die Anschaffung eines Computers aus § 21 Abs. 6 SGB II. Nach dieser Vorschrift wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit ein im Einzelfall unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht.

Die Anschaffung eines Computers – hier eines Laptops – war „unabweisbar“, weil dieser ausweislich einer entsprechenden Schulbescheinigung von dem Antragsteller, der in die 8. Klasse geht, für Recherchen und das Anfertigen von Texten im Unterricht benötigt wird sowie die Präsentation mittels Laptops sogar fester Bestandteil der Schulabschlussprüfung ist. Die Anschaffungskosten konnten auch nicht durch die Zuwendung Dritter gedeckt oder durch Ansparungen aus dem Regelsatz bestritten werden, da für PC und Software nur 2,28 € im Monat im Regelsatz von Kindern zwischen 6 und 14 Jahren berücksichtigt sind. Auch ein Ratenkauf hat das Gericht ausgeschlossen, da ein solcher – vorliegend auch wegen weiterer Abzahlungsverpflichtungen – zu einer Unterschreitung des Existenzminimums geführt hätte. Der Laptop war auch nicht aus der Schulbedarfspauschale finanzierbar. Seine Anschaffung stellte zuletzt auch einen „laufenden Bedarf“, da er über einen längeren Zeitraum benötigt wird, auch wenn die Kosten nur einmalig beim Kauf entstehen. Die maximalen anerkennungsfähigen Anschaffungskosten hat das Gericht mit 600,00 € bestimmt.

(Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 11.01.2019, L 6 AS 238/18 B ER)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 4/2019

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt