Wohnraummehrbedarf zur Wahrnehmung des Umgangsrechts

(c) Gerd Altmann / pixelio.de

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Das Sozialgericht Kiel hat entschieden, dass ein arbeitsloser Vater, welcher an 55 Tagen im Jahr sein Umgangsrecht mit seinen beiden Kindern ausübt, einen Anspruch auf eine größere Wohnung und damit auch höhere Leistungen für die Unterkunft hat.

Der Vater hatte bewusst eine größere Wohnung angemietet und dies dem Jobcenter Kiel gegenüber damit begründet, dass sich seine Kinder regelmäßig bei ihm aufhalten und er deswegen einen erhöhten Unterkunftsbedarf habe. Das Jobcenter folgte dieser Argumentation nicht und erkannte lediglich die Mietobergrenze für einen Einpersonenhaushalt mit bis zu 50 qm in Höhe von 316,00 € bruttokalt (rückwirkend ab 01.01.2013 jetzt 332,00 €) an.

Das Sozialgericht Kiel hat dem Vater im Eilverfahren sodann einen Anspruch auf unterkunftssichernde Leistungen für eine Wohnung mit 65 qm (= 408,20 €) zugesprochen. Die Kinder hielten sich nämlich in einem zeitlichen Umfang bei ihrem Vater auf, der es rechtfertige, entsprechend den vom Bundessozialgericht entwickelten Grundsätzen zur sogenannten „temporären Bedarfgemeinschaft“ einen erhöhten Wohnraumbedarf anzuerkennen. Zwar sei höchstrichterlich noch nicht geklärt, ob und in welchem Umfang eine „temporäre Bedarfsgemeinschaft“ auch im Bereich der Unterkunftskosten zu berücksichtigen sei. Der Gesetzgeber habe aber in § 22 b Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB II zum Ausdruck gebracht, dass ein erhöhter Wohnraumbedarf wegen der Ausübung eines Umgangrechts zu berücksichtigen sei.

Sozialgericht Kiel, Beschluss vom 09.04.2014, S 38 AS 88/14 ER

Erstveröffentlichung in HEMPELS 12/2014

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


8 Kommentare on “Wohnraummehrbedarf zur Wahrnehmung des Umgangsrechts”

  1. H Heitmann sagt:

    Ja Ja Ja,

    das liebe Thema Umgangsrecht und Wohnraumbedarf. Auch wir sind davon betroffen und haben den Streit mit dem zuständigen Jobcenter. Auf § 22 b Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 SGB II wurde hier auch verwiesen, nur sagt hier das Jobcenter klar, dass diese Satzung gar nicht zum tragen gekommen sei, bei den Beträgen für die Zusammensetzung der Mietobergrenzen im Kreis Pinneberg.

    Mal sehen wie nun das Jobcenter auf den Verweis auf das Urteil des SG Kiel reagiert.

    Achtung JC, es geht wieder lost 😉

    • In seinem Urteil vom 22.08.2012, B 14 AS 13/12 R hatte das BSG unter 23 zu § 22 b Abs. 3 SGB II ausgeführt:

      „Aus der Einführung von § 22b Abs 3 SGB II mit dem Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (RBEG) folgt entgegen der Auffassung der Kläger nichts anderes. Zwar ist hier – nach dem Verständnis des Gesetzgebers wohl in Ausfüllung des abstrakten Angemessenheitsmaßstabes aus § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II (vgl BT-Drucks 17/3404 S 100 linke Spalte) und im Hinblick auf die Erstreckungsregelung in § 35a Satz 1 SGB XII – als regelmäßiger Satzungsinhalt eine Regelung für Personen mit einem besonderen Bedarf für Unterkunft und Heizung, insbesondere mit erhöhtem Raumbedarf, Sonderregelungen vorgesehen. Es muss nach dem dargestellten Stufenverhältnis von abstrakter (wohnungsmarktbezogener) und konkreter (einzelfallbezogener) Angemessenheitsprüfung in § 22 Abs 1 SGB II aber bezweifelt werden, dass die abschließende Berücksichtigung besonderer Lebensumstände durch pauschale Erhöhung der Wohnfläche in einer Satzungsregelung denkbar und vom Gesetzgeber gewollt ist (ähnlich Groth in Groth/Luik/Siebel-Huffmann, Das neue Grundsicherungsrecht, 1. Aufl 2011, RdNr 372, der insoweit nur die Befugnis für eine „allgemeine Öffnungsklausel“ sieht). Aus der Gesetzesbegründung wird – anders als in der Begründung zur Regelung in § 22b Abs 1 Satz 3 SGB II – nicht erkennbar, dass insoweit eine bewusste Abkehr von der Rechtsprechung des BSG und insbesondere der gestuften Angemessenheitsprüfung beabsichtigt war (vgl BT-Drucks 17/3404 S 101, 102). Welche Rechtsfolgen sich hieraus für Satzungen ergeben, braucht nicht entschieden zu werden. Jedenfalls im Anwendungsbereich des § 22 Abs 1 SGB II ist der bisherigen Rechtsprechung sowohl zum SGB II also auch zum SGB XII, Besonderheiten in den Lebensumständen der Leistungsberechtigten nicht schon im Rahmen der abstrakten Angemessenheitsprüfung zu berücksichtigen, aus den genannten Gründen der Vorzug zu geben.“

      Allerdings ging es in diesem Fall um Wohnraummehrbedarf für Alleinerziehende (Mutter + Sohn = Wohnraummehrbedarf für 3 Personen). Anders als im Fall der temporären „Ausübung ihres Umgangsrechts“, in dem es darum geht, überhaupt Wohnraummehrbedarf wegen Kindern anzuerkennen, ging es hier um Mehrbedarf über die Kopfzahl hinaus. Im Übrigen setzt sich das BSG mit seinen sehr generellen Ausführungen m.E. etwas zu selbstbewusst über die Wertungen des Gesetzgebers hinweg. Aber gut, es gefiel Richtern noch nie, dass der Gesetzgeber mit einer Gesetzesänderung ganze Bibliotheken juristischer Literatur und Entscheidungssammlungen in Altpapier verwandeln kann.

      Ich jedenfalls halte das Argument des SG für zutreffend, das lautet: „Dies entspricht letztlich auch dem Willen des Gesetzgebers, was sich im Hinblick auf die Vorschrift des § 22b Abs. 3 S. 2 Nr. 2 SGB II zeigt, wonach kommunale Satzungen zur Bestimmung der Angemessenheit der Höhe der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach Maßgabe des § 22a SGB II einen erhöhten Raumbedarf wegen der Ausübung eines Umgangsrechts zu berücksichtigen haben.“

      • H Heitmann sagt:

        Erst einmal ein Gutes & Erfolgreiches 2015!

        Es mag ja sein, dass hier das Urteil des BSG (B 14 AS 13/12 R) Anwendung finden mag, doch wie Sie schon selbst eingebracht haben, hier handelt es sich um Alleinerziehende. Darauf verweist auch das Jobcenter bei der Argumentation.

        Ich denke mal, dass, wenn hier nicht explizit ein Urteil des BSG ergeht, so lange werden sich die Jobcenter dahingehend winden und wehren, gerade hier in S-H, entsprechend zusätzlichen Wohnraum anzuerkennen.

        Gegebenenfalls wäre mal Interessant auszuprobieren, wie es sich verhält, wenn gerade bei extremen Entfernungen der Umgangsberechtigte den am Wohnort des Kindes sein Umgangsrecht ausübt!

        • Vorab eine ganz dringende Bitte: Bitte auf Rechtschreibung und vor allem Interpunktion achten, damit Leser dieses Blogs die Kommentare leicht nachvollziehen können. Da ich Ihren Beitrag in seiner ursprünglichen Form nicht verstanden habe und deswegen jedenfalls nicht auszuschließen ist, dass es anderen Lesern auch so geht, habe ich mal redigiert und gestrichen, was ich gar nicht verstanden habe.

          Zwei Hinweise: Nach meinen Informationen erkennt das Jobcenter im begründeten Einzelfall Wohnraummehrbedarf an. In diesem Verfahren reichten der Behörde die 55 Tage im Jahr nicht – was mir prinzipiell nicht gänzlich unvertretbar erscheint. Die Entfernung spielt bei tatsächlich ausgeübtem und nachgewiesenem Umgang für die Frage eines etwaigen Wohnraummehrbedarfs keine Rolle. Hier ist die Frage, in welchem Umfang Fahrtkosten anerkannt werden können. Zu dieser Frage gibt es (divergierende) Rechtsprechung.

  2. Vgl jetzt auch BSG, Urteil vom 17.02.2016, B 4 AS 2/15 R, Rn. 21 f.:

    [21] Soweit dem umgangsberechtigten Elternteil gerade wegen der Wahrnehmung des Umgangsrechts zusätzliche oder höhere Wohnkosten entstehen, stellen diese – ebenso wie andere ihm entstehende Kosten im Zusammenhang mit dem Umgangsrecht, beispielsweise Fahrtkosten (vgl dazu BSG Urteil vom 18. 11. 2014 – B 4 AS 4/14 R – BSGE 117, 240 = SozR 4—4200 § 21 Nr 19 – RdNr 13 ff; BSG Urteil vom 11. 2. 2015 – B 4 AS 27/14 R – zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4—4200 § 21 Nr 21 vorgesehen – RdNr 17 ff) einen zusätzlichen Bedarf des umgangsberechtigten Elternteils dar (so etwa Behrend in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 21 RdNr 114; Behrend jM 2014, 22, 28 f; noch offen gelassen BSG Urteil vom 2. 7. 2009 – B 14 AS 36/08 R – BSGE 104, 41 = SozR 4—4200 § 22 Nr 23 – RdNr 25; BSG Urteil vom 12. 6. 2013 – B 14 AS 50/12 R – SozR 4—4200 § 7 Nr 35 – RdNr 19). Besteht wegen der Wahrnehmung des Umgangsrechts etwa ein zusätzlicher Wohnraumbedarf, kann dieser im Rahmen der konkreten Angemessenheit der Unterkunfts- und Heizaufwendungen nach § 22 Abs 1 S 1 iVm S 3 SGB II zu berücksichtigen sein (vgl nur Knickrehm/Hahn in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl 2015, § 22 SGB II, RdNr 23 aE; Krauß in Hauck/Noftz, Stand X/2012, K § 22 SGB II, RdNr 126; Behrend in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 21, RdNr 114).

    [22] Diese grundsätzliche Zuordnung wird durch die zum 1. 4. 2011 eingeführten Satzungsregelungen (§§ 22a ff SGB II; eingefügt durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. 3. 2011 – BGBl I 453) indirekt bestätigt. § 22b Abs 3 S 1 SGB II bestimmt, dass bei Erlass einer Satzung über die angemessenen Wohnkosten für Personen mit einem besonderen Bedarf für Unterkunft und Heizung eine Sonderregelung getroffen werden soll. Als Beispiel für einen solchen besonderen Bedarf wird ausdrücklich auch ein erhöhter Raumbedarf wegen der Ausübung des Umgangsrechts genannt (§ 22b Abs 3 S 2 Nr 2 SGB II). Zwar handelt es sich insoweit nur um eine normative Vorgabe für die Inhaltsgestaltung der Satzung nach § 22a SGB II, nach der die Länder die Kreise und kreisfreien Städte durch Gesetz ermächtigen oder verpflichten können, durch Satzung zu bestimmen, in welcher Höhe Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet angemessen sind. Auch ist der Raumbedarf nur eine Hilfsgröße für die Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten. Dass die Neuregelung einen erhöhten Raumbedarf insbesondere für Personen anerkennen will, die wegen der Ausübung des Umgangsrechts zusätzliche Wohnfläche bereithalten, weist jedoch indiziell darauf hin, dass der Gesetzgeber diesen Bedarf dem umgangsberechtigten Elternteil und dessen Unterkunftsbedarf zuordnet. Dies gilt unabhängig davon, ob ein solcher Bedarf bei der Festlegung der abstrakten Angemessenheitsgrenze berücksichtigt werden darf, wie es die Festlegung in einer Satzung nahelegt (nur bei realitätsgerechter Ermittlung BSG Urteil vom 17. 10. 2013 – B 14 AS 70/12 R – BSGE 114, 257 = SozR 4—4200 § 22a Nr 1 – RdNr 35), oder Teil der Prüfung der konkreten Angemessenheit ist (siehe BSG Urteil vom 11. 12. 2012 – B 4 AS 44/12 R – RdNr 14). Denn hier steht nur die Bedarfszuordnung im Zentrum der Betrachtung und nicht die konkrete Bedarfsermittlung.

    http://lexetius.com/2016,686

  3. Siehe jetzt aber BSG, Urteil vom 29.08.2019, B 14 AS 43/18 R (Terminbericht Nr. 37/19):

    „Bei der Ermittlung der konkreten Angemessenheit sind trotz des durch Art 6 Abs 1, 2 GG geschützten Umgangsrechts von Eltern und Kind nicht grundsätzlich höhere Unterkunftskosten oder Flächenbedarfe des umgangsberechtigten Elternteils anzuerkennen. Vielmehr ist eine Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung ua der Ausgestaltung des Umgangsrechts, des Alters des Kindes, der Lebenssituation und der Wohnverhältnisse des umgangsberechtigten Elternteils erforderlich. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Entscheidung des LSG, das Umgangsrecht des alleinstehenden Klägers mit seiner damals vierjährigen Tochter werde auch in einer maximal 50 qm großen Wohnung ermöglicht, nicht zu beanstanden.“

    • H. Heitmann sagt:

      Na Top. Da wird dem System erstmal wieder Tür und Tor geöffnet
      und dem Antragsteller bzw. Umgangsberechtigten wieder der Klageweg gewiesen!
      Aber eigentlich darf es niemanden mehr verwundern, dass wirklich nichts leichter wird sondern nur mehr und höhere Steine in Weg gelegt werden!


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