Wohnkosten ab dem Tag der Antragstellung!

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Es war ein Dauerstreit zwischen Jobcentern und Leistungsberechtigten: Wur­de im laufenden Monat ein Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt, so waren die Mitarbeiter der Behörden – stets besorgt um das Wohlergehen der „Solidargemeinschaft der Steuerzahler“, dafür aber umso weniger um das ihrer „Kunden“ – oft höchst erfindungsreich wenn es darum ging, die Übernahme der Mietkosten für den ersten Monat des Leistungsbezuges abzulehnen. Erfolgte etwa die Antragstellung nach dem dritten Werktag eines Monats und war die Miete noch nicht bezahlt, so wurde die Kostenübernahme mit der Begründung abgelehnt, die Miete sei nach den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) am dritten Werktag fällig gewesen. Es handele sich nun um Schulden, die leider nicht übernommen werden könnten. War die Miete demgegenüber vor Antragstellung schon bezahlt, so wurde argumentiert, im Zeitpunkt der Stellung des ALG II-Antrages sei ein „Bedarf“ nicht mehr gegeben. Die Miete sei ja schon bezahlt. Die Ablehnungen waren natürlich stets rechtswidrig, denn nach § 41 SGB II werden auch Leistungen für Unterkunft und Heizung für jeden Kalendertag des Leistungsbezuges anteilig erbracht.

Seit dem 01.01.2011 regelt nun § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II, dass der Antrag auf ALG II auf den ersten Tag des Monats der Antragstellung zurückwirkt, so dass es zukünftig zu keinem Streit mehr zwischen Behörde und Leistungsberechtigten kommen sollte. Betroffene, denen im Jahr 2010 im ersten Monat der Antragstellung keine Miete gezahlt wurde, sollten die Ablehnungsentscheidung unbedingt gemäß § 44 SGB X überprüfen lassen. (Zur Rechtslage bis 31.12.2010 etwa Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26.10.2007, L 8 AS 587/07)

Erstveröffentlichung in Hempels 06/2011

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7


Neuerung beim Kindergeld zum 01.01.2012!

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Nach bisherigem Recht erhielten Eltern für ihre volljährigen Kinder kein Kindergeld (§ 2 Abs. 2 Sätze 2 bis 10 BKGG) beziehungsweise keinen Kinderfreibetrag (§ 32 Abs. 4 Sätze 2 bis 10 EStG) mehr, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag von 8.004 € pro Jahr überstiegen.

Neuregelung bei Erstausbildung

Diese Einkommensprüfung fällt zum 01.01.2012 ersatzlos weg: Kinder unter 25 Jahren, die sich in einer ersten Berufsausbildung oder in einem Erststudium befinden, werden ab 2012 unabhängig von ihren Einkünften stets als Kind berücksichtigt.

Neuregelung bei Zweitausbildung

Zukünftig soll eine Erwerbstätigkeit aber nur bis zum Abschluss der ersten Berufsausbildung oder des Erststudiums eines Kindes außer Betracht bleiben. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung bzw. eines Erststudiums besteht die widerlegbare Vermutung, dass das Kind in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten und daher nicht mehr zu berücksichtigen ist. Diese Vermutung kann zukünftig allerdings durch den Nachweis widerlegt werden, dass

(1) das Kind sich in einer weiteren Berufsausbildung oder einem weiteren Studium befindet und

(2) keiner „schädlichen“ Erwerbstätigkeit nachgeht.

Ausgehend von einer Regelarbeitszeit von 40 Wochenstunden ist nach neuem Recht eine Erwerbstätigkeit unschädlich, wenn die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 20 Stunden beträgt. Unschädlich sind zudem ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis.

Begünstigter Personenkreis

Von dieser Neuregelung profitieren vor allem Eltern von Kindern in bezahlten Ausbildungsgängen wie etwa Azubis im dritten Lehrjahr oder Kinder, die während ihres Studiums Ferien- oder Nebenjobs annehmen oder etwa eine Halbweisenrente beziehen. Begünstigt sind zukünftig ferner Ausbildungsgänge an Abendschulen oder Fernuniversitäten, die neben einer (Vollzeit-)Erwerbstätigkeit ohne eine vorhergehende Berufsausbildung durchgeführt werden.

Weiterführende Links:

http://gesetzgebung.beck.de/news/steuervereinfachungsgesetz-2011

BT-Drucks. 17/5125, S. 41

http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2010/12/2010-12-09-steuervereinfachung.html

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Wegfall des Kontopfändungsschutzes ab 01.01.2012!

Zum 01.01.2012 wird der alte Kontenpfändungsschutz, der bisher noch parallel zum neuen Kontenpfändungsschutz auf dem P-Konto bestand, ersatzlos wegfallen. Es wird dann nur noch einen Pfändungschutz für gepfändete Konten geben, die zu diesem Zeitpunkt in ein P-Konto umgewandelt worden sind. Die Stellung eines Pfändungsschutzantrages nach § 850l ZPO (= § 850k a.F. ZPO) beim zuständigen Amtsgericht ist für alle anderen Konten dann nicht mehr möglich.

Wegfall der 14-Tage Schutzfrist nach § 55 SGB I

Gravierende Änderungen ergeben sich auch für Bezieher von Sozialleistungen: Sowohl der bisherige 14-tägige Pfändungsschutz nach § 55 SGB I als auch das Verrechnungsverbot von Sozialleistungen bei überzogenen Girokonto fallen weg bzw. werden erheblich eingeschränkt. Weiterhin werden Altpfändungen durch den Wegfall bestehender Freigabebeschlüsse gemäß § 850l ZPO (= § 850k a.F. ZPO) wieder in vollem Umfang aufleben, wenn nicht entsprechende Umwandlungen in P-Konten erfolgt sind.

Gepfändete Konten bis spätestens Dezember 2011 in P-Konten umwandeln

Alle Schuldner mit gepfändeten Konten, die ihr Konto noch nicht in ein P-Konto umgewandelt haben, sollten daher unbedingt spätestens im Dezember 2011 handeln und ihr Girokonto in ein P-Konto umwandeln.

Mehr Infos zu diesem Thema gibt es im Forum Schuldnerberatung.

Infos und Materialien – u.a. Musterbescheinigungen für die Banken – finden sich hier:

http://www.infodienst-schuldnerberatung.de/schuldnerberatung/rubriken/arbeitshilfen/2011/arbeitshilfen-p-konto.html

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7


Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts!

(c) Gerd Altmann / pixelio.de

Leben Eltern gemeinsamer Kinder getrennt, kann der hilfebedürftige Elternteil, bei dem die Kinder nicht leben, grundsätzlich vom Jobcenter die Erstattung der ihm für die Fahrten zu seinen Kindern entstandenen Kosten verlangen. Übernommen werden entweder die tatsächlichen Kosten für Bus und Bahn oder bei Nutzung eines Pkw pauschal 20 Cent je Entfernungskilometer der kürzesten Straßenverbindung (siehe dazu die Diskussion in den Kommentaren). Die Anspruchsgrundlage findet sich seit Juli 2010 in § 21 Abs. 6 SGB II.

SG Kiel: Fahrten zur Schule sind keine Fahrten zur Mutter

In einem Beschluss vom 24.08.2011 hat das Sozialgericht Kiel nun die Auffassung vertreten, dass der Vater, der seine Tochter nach deren Aufenthalt bei ihm nicht direkt zur Mutter zurückbringt, sondern sogleich zu der – nur 500 Meter vom Wohnort der Mutter gelegenen – Schule, für diese Fahrten keine Kostenerstattung verlangen könne, weil es sich nicht um besondere trennungsbedingte Kosten handeln würde. Das ist unzutreffend: Die Fahrten sind nur deswegen erforderlich, weil die Tochter nicht beim Vater lebt. Denn würde die Tochter beim Vater leben, würde sie natürlich auch am Wohnort des Vaters – und nicht der Mutter – zur Schule gehen. Die Fahrtkosten sind damit allein durch die Trennung bedingt.

SG Kiel: 12 € Fahrtkosten weichen nicht erheblich vom durchschnittlichen Bedarf ab

Die vom Gericht im Grundsatz anerkannten verbleibenden Fahrtkosten von 12 € im Monat für die Fahrten direkt zur Mutter sind nach Auffassung des Gerichts so gering, dass diese nicht als erheblich vom durchschnittlichen Bedarf abweichend anerkannt werden könnten. Vergegenwärtigt man sich indessen, dass im Regelsatz für eine alleinstehende Personen lediglich 22,78 € für Fahrtkosten vorgesehen sind, ist die These des Gerichts, wonach rund 53 % höhere Kosten nicht erheblich vom Durchschnitt abweichen sollen, gleichfalls nur schwer nachvollziehbar.

(SG Kiel, Beschluss vom 24.08.2011, S 33 AS 232/11 ER)

Erstveröffentlichung in HEMPELS 10/2011

Nachtrag 03.12.2014: Im Hauptsacheverfahren hat nun die 32. Kammer am SG Kiel mit Urteil vom 24.06.2014, S 32 AS 462/11, grundsätzlich anders entschieden: Es sei „gänzlich unerheblich“, ob der Kläger seine Tochter zur Schule oder zur Mutter gebracht bzw. von dort abgeholt habe. Die 32. Kammer hat 20 Cent je „Entfernungskilometer“ zwischen Wohnort und Tochter berücksichtigt, allerdings wegen des erst nach der Entscheidung des SG mit Entscheidungsgründen veröffentlichten Urteils des BSG vom 04.06.2014,  B 14 AS 30/13 R, welches die tatsächlich gefahren Kilometer als Umgangskosten anerkennt, die Berufung zugelassen.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Arbeitslosigkeit im August 2011: 3.957.257!

Allmonatlich macht sich die Partei DIE LINKE die Mühe, die tatsächliche Zahl der Arbeitslosen in Deutschland zu errechnen. Da sich diese Zahlen in der Presse praktisch nicht finden lassen, vielmehr die offiziellen Verlautbarungen der Bundesregierung bzw. der Bundesagentur für Arbeit brav verbreitet werden, soll an dieser Stelle auf die Informationsseite hingewiesen werden.

Tatsächliche Arbeitslosigkeit im August 2011: 3.957.257
Offizielle Arbeitslosigkeit: 2.944.686
Nicht gezählte Arbeitslose: 1.012.571

Nicht gezählte Arbeitslose aufgeschlüsselt:
Älter als 58, beziehen Arbeitslosengeld I und/oder ALG II: 357.448
Ein-Euro-Jobs (Arbeitsgelegenheiten): 197.459
Fremdförderung: 59.066
Beschäftigungsphase Bürgerarbeit: 10.864
Berufliche Weiterbildung: 157.680
Eignungsfeststellungs- und Trainingsmaßnahmen (z.B. Bewerbungstraining) 48
Aktivierung und berufliche Eingliederung (z. B. Vermittlung durch Dritte): 144.585
Beschäftigungszuschuss (für schwer vermittelbare Arbeitslose): 13.698
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen: 1.006
Kranke Arbeitslose (§126 SGB III): 70.717

Quellen: Bundesagentur für Arbeit: Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland. Monatsbericht August 2011, Seite 67. Die dort aufgeführte Altersteilzeit sowie Gründungszuschüsse und sonstige geförderte Selbstständigkeit haben wir in der Tabelle nicht berücksichtigt. Die dort ebenfalls aufgeführten älteren Arbeitslosen, die aufgrund verschiedener rechtlicher Regelungen (§§ 428 SGB III, 65 Abs. 4 SGB II, 53a Abs. 2 SGB II u.a.) nicht als arbeitslos zählen, sind enthalten in der Gruppe Älter als 58, beziehen Arbeitslosengeld I oder ALG II. Diese große Gruppe der älteren ALG -Bezieher, die nicht als arbeitslos gelten, ist nicht vollständig im Monatsbericht ausgewiesen, sondern mit Stand März 2011 in einer Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit abgefragt worden.

Quelle + aktuelle Zahlen: http://www.die-linke.de/index.php?id=5008

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Rückforderung von Betriebskostenguthaben!

Zahlen Bezieher von Leistungen nach dem SGB II aus ihrem Regelsatz oder Einkommen zu ihrer Miete hinzu, so steht ihnen ein etwaiges Betriebskostenguthaben in Höhe ihrer monatlichen Zuzahlungen zur Miete x 12 Monate zu. Das Jobcenter darf das Betriebskostenguthaben in dieser Höhe weder zurückfordern noch darf dieses auf die Leistungen für die Unterkunft angerechnet werden (vgl. dazu den Beitrag Leistungsberechtigten steht bei Mietzuzahlung Betriebskostenguthaben zu!).

Hat der Grundsicherungsträger im Abrechnungszeitraum unterkunftsbezogene Leistungen in Höhe der tatsächlich geschuldeten Miete erbracht, stehen Betriebskostenguthaben indessen grundsätzlich dem Jobcenter zu. Folgende vier Fallkonstellationen sind zu unterscheiden:

1) Guthaben, die vor dem Leistungsbezug entstanden (angespart) sind aber in der Zeit des Leistungsbezuges zufließen, sind leistungsmindernd zu berücksichtigen.

2) Nachzahlungen, die vor dem Leistungsbezug durch retrospektiv zu geringe Vorauszahlungen entstanden sind und in der Zeit des Leistungsbezuges fällig werden, sind vom Jobcenter zu übernehmen.

3) Guthaben, die im Leistungsbezug entstanden (angespart) sind und nach Beendigung des Leistungsbezuges vom Vermieter ausgezahlt werden, kann der (ehemalige) Leistungsberechtigte behalten.

4) Nachzahlungen, die im Leistungsbezug durch retrospektiv zu geringe Vorauszahlungen entstanden sind und nach Beendigung des Leistungsbezuges fällig werden, sind von dem (ehemaligen) Leistungsberechtigen zu zahlen und müssen nicht etwa vom Jobcenter erstattet werden.

Gesetzliche Grundlage

§ 22 Abs. 3 SGB II normiert, dass Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für die Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen mindern, wobei  Rückzahlungen, die sich auf die Haushaltsenergie beziehen (Haushaltsstrom, Kochgas), außer Betracht zu bleiben haben.

Grund der Regelung

§ 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F. (= § 22 Abs. 3 SGB II n.F.) ist mit dem „Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20.07.2006“ mit Wirkung vom 01.08.2006 in das SGB II eingefügt worden, um zuvor bestehende Anrechnungsprobleme zu beseitigen. Vor der Einfügung der Vorschrift wurden Rückzahlungen als Einkommen angerechnet. Dies führte zum einen dazu, dass ein Versicherungspauschbetrag von 30 € bzw. Versicherungskosten in der tatsächlichen Höhe von der Rückzahlung abgesetzt werden mussten, zum anderen dazu, dass von den Betriebskostenrückzahlungen im Regelfall der Bund, hier die Bundesagentur für Arbeit, profitierte (Anrechnung der Guthabenbeträge auf die vom Bund finanzierten Regelleistungen), obwohl die Kosten der Unterkunft zu über 70 % von den Kommunen aufgebracht worden waren. Beides sollte mit der Einführung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II vermieden werden (vgl. BT-Drs. 16/1696, Seite 26).

Unterkunftsbezogene Erstattungen

§ 22 Abs. 3 SGB II erfasst Rückzahlungen und Guthaben, die „dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind“. Erfasst werden damit neben Heiz- und Betriebskostenguthaben auch Überzahlungen von Unterkunftsleistungen (etwa die Rücküberweisung einer vom Grundsicherungsträger versehentlich doppelt gezahlten Miete). Die Auskehrung einer im Vermögen des Leistungsberechtigten stehenden Mietkaution bewirkt hingegen lediglich eine Vermögensumwandlung unter Aufhebung einer Verwertungssperre, auf die § 22 Abs. 3 SGB II keine Anwendung findet.

„Rückzahlungen“ und „Guthaben“ bzw. „Gutschriften“

Das Gesetz unterscheidet zwischen Rückzahlungen und Guthaben/Gutschriften. Weder in den Gesetzesmaterialien noch in der einschlägigen Kommentarliteratur findet sich allerdings eine nähere Bestimmung dazu, was unter „Rückzahlungen“ und „Guthaben“ bzw. „Gutschriften“ zu verstehen ist.

Nach Ansicht etwa des LSG BW (Urt. v. 20.01.2010, L 3 AS 3759/09) oder des LSG NRW (Urt. v. 22.09.2009, L 6 AS 11/09) sind unter Rückzahlungen die tatsächlichen Zahlungen an den Leistungsberechtigten (bar oder durch Kontogutschrift) zu verstehen. Ein Guthaben sei demgegenüber bereits bei einem positiven Saldo im Abrechnungskonto des Vermieters zur Entstehung gelangt. Für die Entstehung eines Guthabens genüge damit eine Forderung, die gegenüber einem anderen (hier dem Vermieter) geltend gemacht werden könne. Auch der semantische Gehalt des Wortes „Gutschrift“ setze keine Zahlung an den Mieter/Leistungsberechtigten voraus, sondern allein die schriftliche Fixierung bzw. Eintragung eines Guthabens als eines bestehenden Anspruchs eines Anderen.

Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Bereits semantisch bereitet die Definition der LSG BW und NRW Bauchschmerzen. Ein Konto“guthaben“ entsteht durch eine Habenbuchung auf einem Konto, die „Gutschrift“. Im allgemeinen Sprachgebrauch entsteht das Kontoguthaben durch Gutschrift auf dem Konto des Kontoinhabers. Dagegen ist die bloße Erfassung des Rückzahlungsanspruches des Mieters/Leistungsberechtigten als „Haben-Buchung“ im Mieterkonto kein „Gutschrift“, sondern lediglich die Erfassung eines Saldo-Postens in der Buchhaltung des Vermieters. Zudem wird verkannt, dass sich aus dem systematischen Zusammenhang der Tatbestandsmerkmale „Guthaben“ und „Gutschrift“  mit dem Tatbestandsmerkmal „Rückzahlung“ ergibt, dass dem Leistungsberechtigten tatsächlich etwas zugeflossen sein muss. Mit einer Gutschrift in diesem Sinne und damit mit einer Rückzahlung vergleichbar ist daher nur eine entsprechende Buchung auf dem Bankkonto des Mieters/Leistungsberechtigten (so zutreffend SG Neubrandenburg, Urt. v. 27.09.2010, S 11 AS 960/07 Rn. 19 unter Hinweis auf SG Bremen, Beschluss v. 01.12.2009, S 23 AS 2179/09 ER; SG Schleswig, Urt. v. 30.11.2009, S 4 AS 1044/07 = NZS 2010, 458; ähnlich LSG Hamburg, Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08).

Dieses Normverständnis entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung des § 22 Abs. 3 SGB II, nach dem nur dann von einem aufwendungsmindernden Guthaben ausgegangen werden kann, wenn dem Leistungsberechtigten dieses Guthaben tatsächlich auch zur Verfügung steht (LSG Hamburg, Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08; SG Schleswig, Urt. v. 30.11.2009, S 4 AS 1044/07 = NZS 2010, 458; SG Bremen, Beschluss v. 01.12.2009, S 23 AS 2179/09 ER; SG Neubrandenburg, Urt. v. 27.09.2010, S 11 AS 960/07; SG Kiel, Beschluss v. 09.11.2010, S 34 AS 564/10 ER sowie v. 20.12.2010, S 36 AS 666/10 ER (beide nicht veröffentlicht).

In folgenden Fällen scheidet nach alledem eine bedarfsmindernde Direktanrechnung nach § 22 Abs. 3 SGB II aus:

1) (Noch) keine Auszahlung des Guthabens.

2) Vermieterseitige Aufrechnung mit eigenen Forderungen (ausstehende Mieten, Mietkaution; SG Neubrandenburg, Urt. v. 27.09.2010, S 11 AS 960/07). Dann aber ggf. Anrechnung als Einkommen (LSG Hamburg, Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08), str.

3) Auskehrung an Dritte/Ziehung zur Insolvenzmasse im Verbraucherinsolvenzverfahren (ggf. Anrechnung als Einkommen).

In folgenden Fällen ist eine bedarfsmindernde Direktanrechnung nach § 22 Abs. 3 SGB II demgegenüber möglich:

1) Barauszahlung an den Mieter/Leistungsberechtigten.

2) Überweisung auf das Bankkonto des Mieters/Leistungsberechtigten.

Sonderfall: Mieterseitige Verrechnung mit Monatsmiete

Ein Sonderfall stellt m.E. die mieterseitige Verrechnung mit einer Monatsmiete dar. In diesem Fall erfolgt weder eine Rückzahlung noch eine Gutschrift auf das Konto des Mieters/Leistungsberechtigten, sondern der Vermieter mindert die Miete (i.d.R.) für einen Monat um den Guthabenbetrag. Beispiel: Die monatliche Miete beträgt 500,00 € brutto warm. Der Vermieter hat ein Guthaben von 300,00 € errechnet und fordert deswegen im Folgemonat von seinem Mieter nur 200,00 € Miete.

Teilweise wird vertreten, entscheidend sei, ob der tatsächliche Einkommenszufluss zumindest für eine logische Sekunde dem Hilfebedürftigen zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes zur Verfügung stehe, was beispielsweise der Fall wäre, wenn der Hilfebedürftige und sein Vermieter eine Vereinbarung über die Verrechnung des Guthabens treffen, also nicht nur einseitig vom Vermieter aufgerechnet wird (dargestellt von SG Neubrandenburg, Urt. v. 27.09.2010, S 11 AS 960/07, Rn. 25 unter Hinweis auf SG Reutlingen, Urt. v. 10.06.2009, S 2 AS 1472/08, Rn. 27).

Nach hier vertretene Auffassung bedarf es dieser juristischen Klimmzüge nicht. Mangels „Rückzahlung“ oder „Gutschrift“ des Guthabens scheidet eine Anwendung des § 22 Abs. 3 SGB II nach seinem eindeutigen Wortlaut aus (wie hier SG Neubrandenburg, Urt. v. 19.01.2011, S 11 AS 386/08; dies sieht das Jobcenter Kiel jetzt offenbar auch so und hat deswegen etwa im Verfahren S 34 AS 504/11 ER mit Schriftsatz vom 04.11.2011 der Beschwer abgeholfen).

Allerdings besteht im Verrechnungsmonat ein um den Guthabenbetrag verminderter Unterkunftskostenbedarf. Dies weiß der Mieter/Leistungsberechtigte auch oder hätte es jedenfalls wissen müssen, so dass m.E. einer Rückforderung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X im Verrechnungsmonat nichts im Wege steht.

Zeitpunkt der bedarfsmindernden Direktanrechnung

Die größten Schwierigkeiten bereitet in der Praxis die zutreffende Bestimmung des Monats der bedarfsmindernden Direktanrechnung des Guthabens auf die Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft, die ausschließlich ab Beginn des nächsten Monats nach der Rückzahlung oder der Gutschrift erfolgen darf (systemwidrige Abweichung vom Zuflussprinzip). Dies mögen einige Beispiele verdeutlichen:

1) Der Leistungsberechtigte erhält am 20.10.2011 seine Betriebskostenabrechnung und reicht diese am 24.10.2011 beim Jobcenter ein. Das Guthaben wird am 27.10.2011 auf dem Konto des Leistungsberechtigen gutgeschriebenen. Eine bedarfsmindernde Direktanrechnung im November ist nicht mehr möglich, weil die Leistungen bereits um den 23. eines jeden Monats angewiesen werden.

2) Der Leistungsberechtigte erhält am 10.10.2011 seine Betriebskostenabrechnung und reicht diese am 15.10.2011 beim Jobcenter ein. Das Jobcenter rechnet das Guthaben im November an. Das Guthaben wird erst am 03.11.2011 auf dem Konto des Leistungsberechtigen gutgeschriebenen. Die bedarfsmindernde Direktanrechnung im November ist damit rechtswidrig.

Bereits diese zwei Beispiele verdeutlichen, dass es letztlich reiner Zufall ist, ob dem Leistungsträger eine rechtmäßige Direktanrechnung gelingt. Mit anderen Worten: Bei § 22 Abs. 3 SGB II bzw. der Vorgängerregelung handelt es sich um eine gesetzgeberische Fehlleistung ersten Ranges. Lediglich in den überaus seltenen Fällen, in denen die Vermieter den Zeitpunkt der Guthabenauskehrung in der Nebenkostenabrechnung festlegen und einen großzügig bemessenen Zeitraum zwischen Rechnungserstellung und Auszahlung des Guthabens bestimmen, kann eine Direktanrechnung im Einzelfall vorhersehbar gelingen.

Hohes Prozess(kosten)risiko der Jobcenter

Die Jobcenter haben im laufenden Verwaltungsverfahren die Pflicht, den Zuflusszeitpunkt des Guthabens zutreffend zu ermitteln, § 20 SGB X. Hierzu müssen sich die Jobcenter letztlich den Zahlungseingang durch Vorlage von Kontoauszügen der Leistungsberechtigten nachweisen lassen. Tun sie dies nicht und stellt sich erst im Klageverfahren heraus, dass der Zuflussmonat von ihnen unzutreffend bestimmt worden ist, können sich die Behörden nicht mit dem Argument gegen ihre Pflicht zur Tragung der Prozesskosten wehren, der Zuflussnachweis sei ihnen erst im laufenden Klageverfahren bekannt geworden (SG Kiel, rechtliche Hinweise vom 13.10.2011 im Klageverfahren S 33 AS 1273/10). Die Leistungsträger wären daher gut beraten, immer dann, wenn der Zuflusszeitpunkt nicht sicher ermittelt wurde, von der bedarfsmindernden Direktanrechnung im Folgemonat Abstand zu nehmen und Betriebskostenguthaben über (§ 22 Abs. 3 SGB II i.V.m.) § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 oder 4 SGB X zurückzufordern.

Offene Fragen

Soweit die Bewilligungsentscheidung nach § 22 Abs. 3 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X (systemwidrig) im Monat nach dem Guthabenzufluss aufgehoben wird, dürfte allerdings regelmäßig weder ein Wissen noch ein auf besonderer Sorgfaltswidrigkeit beruhendes Nichtwissen des Leistungsberechtigen um die zu hohe Leistungsbewilligung anzunehmen sein, da nach dem (als bekannt vorauszusetzenden) Zuflussprinzip mit einem teilweisen Wegfall des Leistungsanspruches lediglich im Zuflussmonat und nicht dem Folgemonat des Zuflusses zu rechnen sein dürfte.

Möglich ist m.E. aber auch eine Rückforderung über § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X im Monat des Zuflusses des Guthabens. Mit dem LSG Hamburg (Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08) ist davon auszugehen, dass lediglich die bedarfsmindernde Direktanrechnung im Folgemonat zu erfolgen hat. Eine generelle Rückverlegung des Anrechnungsmonats ist der Vorschrift des § 22 Abs. 3 SGB II indessen weder zu entnehmen noch begründet sich eine solche Interpretation aus den Motiven des Gesetzgebers.

In Betracht kommt weiter eine verschuldensunabhängige Rückforderung über  § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X als Einkommen im Zuflussmonat. Dies setzt dann allerdings voraus, dass man mit dem LSG Hamburg (Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08) § 22 Abs. 3 SGB II nicht als „abschließende Sonderregelung der leistungsrechtlichen Wirkungen der erfassten Rückzahlungen und Guthaben“ versteht (so aber Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 22 Rn. 113). In diesem Fall wäre dann allerdings i.d.R. die Versicherungspauschale von 30 € in Abzug zu bringen.

Einzelfälle

BSG, Urt. v. 22.03.2012, B 4 AS 139/11 R (Terminsbericht): Auch wenn eine Person (hier die Tochter des Klägers), die im Abrechnungszeitraum nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft war, sich an den Betriebskosten beteiligt hat, ist ein Guthaben leistungsmindernd zu berücksichtigen, selbst wenn dieses mit einer Forderung (hier der Tochter) belastet war.

Regelung im SGB XII (insbesondere Grundsicherung im Alter)

Gutschriften aus Strom- oder Betriebskostenvorauszahlungen, die infolge zu hoher Vorauszahlungen entstanden sind, wurden bislang als Einkommen auf die Grundsicherungsleistungen angerechnet. § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII in der Fassung ab 01.04.2011 regelt nun: „Einkünfte aus Rückerstattungen, die auf Vorauszahlungen beruhen, die Leistungsberechtigte aus dem Regelsatz erbracht haben, sind kein Einkommen“. Von § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII werden erfasst:

  • Alle Guthabenerstattungen, die aus Vorauszahlungen für Leistungen beruhen beruhen, die ihrer Natur nach aus dem Regelsatz zu bestreiten sind (vor allem Strom).
  • Alle Guthabenerstattungen, die aus Vorauszahlungen für Leistungen beruhen beruhen, die zwar ihrer Natur nach vom Leistungsträger zu erbringen sind, zu denen der Leistungsberechtigte aber hinzu zahlen muss, weil die tatsächlichen Kosten nicht anerkannt werden (etwa Zuzahlung zu den Betriebskosten bei einer Bruttokalt-Mietobergrenze, Zuzahlung zu den Heizkosten wegen (angeblich) unwirtschaftlichem Heizverhalten). Hier gilt wie oben bereits dargelegt:  Guthaben in Höhe der monatlichen Zuzahlungen zur Miete/Heizkosten x 12 Monate stehen dem Leistungsberechtigten und nicht dem Grundsicherungsträger zu.

Weiterführende Infos auf dieser Seite:

Jobcenter Kiel ändert seine Verwaltungspraxis bei der Rückforderung von Betriebskostenguthaben

Übernahme von Betriebskostennachzahlungen bei Anerkennung der tatsächlichen Miete im Abrechnungszeitraum!

Leistungsberechtigten steht bei Mietzuzahlung Betriebskostenguthaben zu!

Zur Abtretung von Nebenkostenguthaben

Nachtrag 16.06.2018: Zu 01.08.2016 wurde § 22 Abs 3 SGB II um den Halbsatz „Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht“ ergänzt. Damit ist die Rechtslage in dem hier dargestellten Sinne vom Gesetzgeber geändert worden. Die Neuregelung ist nicht für Zeiträume vor dem 01.08.2016 anwendbar, vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2018, B 14 AS 22/17 R.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt


Landesrechnungshof: Kosten der Unterkunft in 80 % der Fälle falsch berechnet!

Mindestens 80 % aller Fälle, die von 2005 bis Mitte 2008 die kommunalen Leistungen für Unterkunft und Heizung nach SGB II betrafen, sind fehlerhaft bearbeitet worden. Dies ist das vorsichtig hochgerechnete Ergebnis einer Stichprobenprüfung, die der LRH in den Kreisen durchgeführt hat. Berücksichtigt wurden dabei nur Fehler, die sich finanziell ausgewirkt haben. Die hochgerechneten finanziellen Nachteile betrugen 44 Mio. € für die öffentlichen Haushalte.

(weiterlesen: Kommunalbericht 2011 des Landesrechnungshof Schleswig-Holstein).

Was der Landesrechnungshof übersieht und wodurch all seine Berechnungen praktisch Makulatur werden: Nahezu alle Mietobergrenzentabellen der kommunalen Träger in Schleswig-Holstein hielten einer gerichtlichen Prüfung nicht stand (kein „schlüssiges Konzept“ im Sinne der Rechtsprechung des BSG). Die Sozialgerichte errechneten – bei Vorliegen qualifizierter Mietspiegel anhand der Mittelwerte bestimmter Mietspiegelfelder, sonst unter Rückgriff auf die Tabelle zu § 12 WoGG – deutlich höhere Mietobergrenzen.

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7


Kiel: Soziale Politik statt „Grüner“ Politik!

Kiel: Protestplakat gegen Stadtgrün-Verkauf durch SPD und Grüne

Mit dem Argument, durch die Gewerbeansiedlung würden neue Arbeitsplätze geschaffen, opferte die Stadt Kiel 17 Hektar Grünfläche im Innenstadtbereich. Warnungen von Seiten des Einzelhandels, bei gleichbleibender Kaufkraft werde es lediglich zu Verlagerungen zu Lasten inhabergeführten Kleinbetriebe und damit schlimmstenfalls sogar zu einem Verlust sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze kommen, sind in den Wind gesprochen, sinnvolle Einzelhandelskonzepte nicht in Sicht.

Schrebergärten haben neben ihrer ökologischen Bedeutung als grüne Lungen der Stadt und attraktive Naherholungsgebiete auch eine ganze Reihe sozialer Funktionen. Deswegen und weil den Autoren persönlich das Vorgehen der Stadt ärgert, sollen dem Thema auf dieser Website einige Zeilen gewidmet werden.

„Armengärten“ zur Selbstversorgung

Seit Ende der 1820er Jahre entstanden u.a. in den Herzogtümern Schleswig und Holstein sogenannte „Armengärten“. Ziel war es, dem Hunger und der Verarmung entgegenzuwirken. 1830 folgte in Kiel die „Gesellschaft freiwilliger Armenfreunde“ dem Beispiel. Auf dem „Prüner Schlag“ wurden Parzellen aus städtischem Besitz mit der bis heute gültigen Größe von 400 Quadratmeter ausgewiesen und für geringe Pacht vergeben. Sie dienten der Selbstversorgung. Nach Ansicht der Armenfreunde war es auch besser, am Sonntagnachmittag im Garten zu arbeiten, statt im Wirtshaus zu sitzen. Die Anlage von Kleingartenkolonien war eine von vielen Maßnahmen, um Anfang des 19. Jahrhunderts des Armenproblems Herr zu werden. Die von dem Leipziger Arzt D. M. Schreber (1808 – 1861) initiierte Kleingartenbewegung begann erst später, ließ die Armengärten jedoch bald zu „Schrebergärten“ werden. (Quelle: Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Stichwort „Armengärten„)

Diese ihre ursprüngliche Funktion haben Kleingärten bis heute nicht verloren. Sie ermöglichen es Familien, sich kostengünstig und gesund mit Lebensmitteln aus dem eigenen Garten zu versorgen. Aber vielleicht ist ja genau das im Jahre 2011 politisch gar nicht mehr gewollt. „Sozial ist, was Arbeit schafft!“ ist allenthalben zu hören. Und mit Arbeit ist nicht etwa Gartenarbeit gemeint, sondern der 400-Euro-Job im Billig-Discounter.

Kleingärten als Orte sozialen Zusammentreffens

Kleingärten haben aber auch unter einem anderen Gesichtspunkt eine sozialintegrative Funktion. Häufig sind hier, zum Teil über Generationen hinweg, nachbarschaftliche Strukturen gewachsen. Man kennt sich, hilft sich gegenseitig im Garten, tauscht sich mit angebautem Obst und Gemüse aus oder sitzt einfach nur zu einem „Klönschnack“ beisammen. Kein „Ersatzgarten“ wird diese gewachsenen Strukturen ersetzen können. Ältere Schrebergärtner werden ohnehin nicht noch einmal an einem anderen Ort anfangen, sich einen neuen Garten aufzubauen.

Kleingärten als Lernstätten

Bereits in der Antike haben Platon, Sokrates und Epikur mit ihren Schülern Gärten angelegt, um eine inspirierende Umgebung für Philosophie, Dichtung und Wissenschaft zu schaffen. In unserer Zeit erlebt die Schulgartenbewegung in Deutschland eine Renaissance. Und dies nicht ohne Grund, denn es muss aufhorchen lassen, wenn Schüler der 5 Klasse in Befragungen vermuten, ein Huhn würde ungefähr sechs Eier am Tag legen und zur Begründung auf die Verpackungsgröße in den Supermärkten verweisen oder etwa mutmaßen, Erbsen wüchsen im Wasser, weil sie im wassergefüllten Glas zu kaufen sind. In Gärten können Kinder früh etwas lernen über Gärtnern ohne Gift, Kompostierung, artgerechte Tierhaltung, Artenschutzmaßnahmen wie zum Beispiel den Bau von Nisthilfen für Vögel, Insekten und Fledermäusen sowie gesunde Ernährung.

Innovations-Schlusslicht Kiel

Während in anderen Städten „urbane Landwirtschaft“ erprobt und innerstädtischen Brachflächen in „Community Gardens“ verwandelt werden, gehen in Kiel die Uhren unter Rot/Grün rückwärts: Stadtnahe Gartenanlagen werden in Gewerbeflächen für Billigmärkte verwandelt, den Gärtnern werden zum Ausgleich Gartenparzellen angeboten, die sich allenfalls noch mit dem Auto erreichen lassen. Wirklich grüne Politik sieht anders aus. Da verwundert es kaum, dass der umweltpolitische Sprecher der Kieler „Grünen“ Björn Sander aus Protest gegen die Entscheidung seiner Fraktion zurückgetreten ist. Seine lesenswerte Begründung findet sich hier. Eine Historie der Kieler Kahlschlagpolitik hat der Kleingärtnerverein Kiel e.V. von 1897 zusammengestellt, aktuelles zum Thema Möbelkraft findet sich hier.

Weiterführende links zum Thema Möbelkraft:

http://kgv-kiel1897.de/

http://kg-kiel.bund.net/

http://www.möbelmachtamwestring.de/

https://kielkontrovers.wordpress.com/

http://www.kn-online.de/suche/?typ=theme&such=m%F6bel%20kraft&searchressort=

http://linx.sozialismus-jetzt.de/index.php?option=com_content&view=article&id=354:wie-moebel-kraft-heuert-und-feuert

Rede von Ratsherrn Jansen (Die Linke). Rhetorisch und inhaltlich einer der seltenen Höhepunkte in der Kieler Ratsversammlung.

http://www.kiel.de/rathaus/ratsversammlung/video/index.php?film_nr=012

Und hier geht es zur Petition gegen die Möbel Kraft Ansiedlung auf dem Gartengelände:

http://www.petitiononline.de/petition/gegen-moebelkraft-in-kiel/515

Rechtsanwalt Helge Hildebrandt