Linke Ratsfraktion fordert höhere Mietobergrenzen für unter 25jährige
Veröffentlicht: 7. Februar 2014 Abgelegt unter: Jobcenter Kiel, Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen, Stadt Kiel | Tags: Mietobergrenzen Hartz 4 Kiel, Mietobergrenzen U 25 Kiel 2 Kommentare
Wie berichtet, ist nach den derzeitigen Richtlinien der Landeshauptstadt Kiel zu den Regel-Höchstbeträgen für anzuerkennende Mieten (Mietobergrenzen) in der Leistungsgewährung von Hilfen nach dem SGB II und dem SGB XII in ihrer aktuellen Fassung vom 13.12.2012 bei unter 25jährigen Beziehern von Leistungen nach dem SGB II ohne abgeschlossene Berufsausbildung eine Miete bis maximal 224 € inklusive Heizkosten anzuerkennen, mit einer abgeschlossenen Ausbildung werden die Mietobergrenzen zugrunde gelegt, die auch für über 25jährige gelten. Dies Praxis wurde von einigen Kammern am SG Kiel für rechtswidrig erklärt.
Die Ratsfraktion DIE LINKE fordert deshalb, die in den Richtlinien der Landeshauptstadt Kiel enthaltenen Sonderregelungen für Jugendliche und junge Erwachsene ersatzlos zu streichen. Der Antrag findet sich hier.
Vergleichbare Sonderregelungen für U 25 haben in Schleswig-Holstein etwa der Kreis Rendsburg-Eckernförde, der Kreis Plön und die Stadt Neumünster.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt und Ratsherr Stefan Rudau
Jobcenter Plön wendet die Mietobergrenzen des eigenen Kreises nicht an
Veröffentlicht: 6. Februar 2014 Abgelegt unter: Jobcenter Plön, Mietobergrenzen | Tags: 190/13, Kosten der Unterkunft Kreis Plön, Mietobergrenzen Kreis Plön 4 KommentareWie berichtet, hat der Kreis Plön mit Wirkung zum 01.11.2013 neue Mietobergrenzen erlassen, weil die bisherigen Obergrenzen von den Gerichten als rechtswidrig verworfen worden waren mit der Folge, dass deutlich höhere Mieten nach § 12 WoGG zuzüglich eines Sicherheitszuschlages von 10 % anzuerkennen waren (vgl. Tabelle).
Auf einen Überprüfungsantrag für den Zeitraum 01.08.2013 bis 31.03.2014 wurden nun einem von mir vertretenen Mandanten mit Bescheid vom 05.02.2014 dennoch Unterkunftskosten nach § 12 WoGG zuzüglich des 10 %-Sicherheitszuschlages bewilligt. Während der Kreis Plön nach seinen Richtlinien eine Bruttokaltobergrenze von 318,00 € für angemessen erklärt, bewilligte das Jobcenter Plön 363,00 €.
Noch verwirrender: In einem Klageverfahren will das Jobcenter Plön die erst ab 01.11.2013 geltenden neuen Obergrenzen schon für den davor liegenden Zeitraum August und September 2013 zugrunde legen. Was ist bloß los im Jobcenter Plön?
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Zur Nutzung von Bildern von Pixelio
Veröffentlicht: 5. Februar 2014 Abgelegt unter: Sonstiges 2 KommentareWie Spiegel Online gestern berichtet hat, hat das Landgericht Köln (14 O 427/13) entschieden, dass Webseitenbetreiber, die kostenlose Bilder von Pixelio für die eigenen Website nutzen, den Urhebervermerk direkt in die Bilddatei einfügen müssen.
In dem Urteil heißt es nach Angaben von Spiegel Online dazu, der Nutzer hätte „in diesem Fall entweder technische Möglichkeiten ergreifen müssen, um eine solche isolierte Anzeige und Auffindbarkeit über eine Internetsuchmaschine gänzlich zu unterbinden oder aber den Urhebervermerk im Bild selbst anbringen müssen, wie es nach dem eigenen Kenntnisstand der Kammer auch mit einer Standardbildbearbeitungssoftware jedem durchschnittlichen Internetnutzer ohne weiteres möglich ist.“
Spiegel Online weist weiter darauf hin, dass ein Nutzer von Google+ bemerkt hat, dass auf der Website des Landgerichts Köln – offenbar erst kurze Zeit vor dem Urteilsspruch – die Bilder entsprechend bearbeitet worden sind und nun den Hinweis auf den Urheber direkt im Bild tragen. Das hat schon mehr als nur ein Geschmäckle und es darf mit Fug bezweifelt werden, dass es die Richter am LG Köln höchstpersönlich waren, denen die Kennzeichnung im Bild – um den bornierten Duktus aufzugreifen – „ohne weiteres möglich“ war. Zumal darauf hingewiesen wird, dass es das LG Köln mit der Urhebernennung bei den auf der eigenen Website verwendeten Bildern doch nicht so genau zu nehmen scheint. “Die Bürger von Schilda” lassen grüßen.
In seiner Stellungnahme merkt die pixelio media GmbH an, dass das Urteil aus Sicht des Unternehmens aus mehreren Gründen unrichtig ist: Die Nutzungsbedingungen fordern eine Urheberbenennung am Bild selbst oder am Seitenende, soweit dies technisch möglich ist – aber gerade nicht im Bild. Zu einer Urheberbenennung „am Bild oder am Seitenende“ besteht bei einer isolierten Darstellung des Bildes im Browser durch direkten Aufruf der Bild-URL technisch keine Möglichkeit, so das diese von den Nutzungsbedingungen auch nicht gefordert wird. Weiter weist Pixelio darauf hin, dass eine Einfügung des Quellennachweises direkt „im Bild“ bei denjenigen Bildern nicht zulässig ist, welche vom Fotografen nur mit einem eingeschränkten Bildbearbeitungsrecht freigegeben worden sind. Die weiteren Ausführungen können auf der Seite von Pixelio nachgelesen werden.
Mehr zum Thema:
http://www.ra-plutte.de
heise.de: Kommentar zu Pixelio und den Bildhinweis-Abmahnungen: Von wegen lizenzfrei
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
„Bild“: Jobcenter Kiel will Hartz-IV-Empfänger auf Waffen und Drogen kontrollieren lassen
Veröffentlicht: 30. Januar 2014 Abgelegt unter: Jobcenter Kiel 29 Kommentare
Nach einem Bericht der „Bild“-Zeitung in der heutigen Donnerstags-Ausgabe wollen mehrere Jobcenter in Kiel Hartz IV-Empfänger und andere Besucher durch Sicherheitsdienste auf Waffen und Drogen kontrollieren lassen. Schon mehrfach sollen Mitarbeiter in den Kieler Jobcentern attackiert worden sein.
Mehr Infos:
Focus.de vom 30.01.2014: Angst vor Attacken – Jobcenter kontrollieren auf Drogen und Waffen
Kieler Nachrichten vom 31.01.2014: Jobcenter sucht Sicherheitsdienst
Kieler Nachrichten/dpa vom 01.02.2014: Nach Stellenausschreibung in Kiel – Piraten fordern Abrüstung in Jobcentern
Sozialpolitische Forderungen der Kieler Linken
Veröffentlicht: 28. Januar 2014 Abgelegt unter: Ratsversammlung Stadt Kiel, Stadt Kiel 2 Kommentare
Im Rahmen der Beratungen zum städtischen Haushalt für 2014 hat der Fraktionsvorsitzende der Ratsfraktion DIE LINKE in der Kieler Ratsversammlung, Heinz Wieser, am 12.12.2013 sozialpolitische Forderungen für Kiel bekräftigt. Die Rede soll hier im Auszug wiedergegeben werden:
Forderung nach dem Wiederaufbau eines städtischen Wohnungsbestandes
„Es gibt so einiges an Gründen für uns, ihren Haushalt abzulehnen. Ich will ihnen aber zwei Punkte benennen, die ich für entscheidender halte. Zuerst: Ihre kategorische Ablehnung einen städtischen Wohnungsbestand aufzubauen. Das ist ein Fehler mit verheerenden Folgen für die Entwicklung des Kieler Wohnungsmarktes. Ihre Weigerung ist auch nicht nachzuvollziehen, sind doch Investitionen in den eigenen Wohnungsbestand durchaus rentierlich und würden zu den Investitionen gehören, die die Kommunalaufsicht bereit wäre vor die berühmte Klammer zu ziehen. Mit eigenen Wohnungen hat eine Kommune Gestaltungsmöglichkeiten und, das ist vielleicht wichtiger, Einfluss auf die Mietpreisentwicklung.
Wenn sie schon bereit sind zuzugeben, dass der Verkauf der KWG ein großer Fehler war – ich weiß, sie hören das nicht gerne – aber, wenn sie das schon öffentlich zugeben, dann ist es umso unverständlicher, dass sie nicht bereit sind, diesen Fehler zu korrigieren. Wir wissen, dass man es nicht von heute auf morgen realisieren kann, dass die Stadt auf dem Markt wieder eine Rolle spielt. Das wird dauern. Sicher. Aber man muss doch zumindest damit beginnen, um sukzessive auf dem Wohnungsmarkt wieder ein einflussnehmender Akteur zu werden.
Sie geben 80 Mio. EUR pro Jahr, ein Zehntel des Gesamthaushaltes als KdU an die freie Wohnungswirtschaft, jeden Monat 6,5 Mio. EUR. Dieser Betrag wird durch einen eigenen Wohnungsbestand natürlich nicht kleiner. Aber die Stadt würde partizipieren als Besitzerin eigener Wohnungen. Dass sie diese städtische Einnahmemöglichkeit einfach ignorieren, ist vollkommen unverständlich. Sie beklagen lautstark kaum Möglichkeiten zu haben, die städtischen Einnahmen zu erhöhen. Hier bietet sich eine Gelegenheit. Natürlich ist der Besitz von Wohnungen auch mit Kosten verbunden, das wissen wir auch. Eine städtische Wohnungsbaugesellschaft könnte aber, je nach Größe des Wohnungsbestandes, beträchtliche Mittel zum Haushalt beitragen. Ihre Weigerung hier wirtschaftlich aktiv zu werden, macht ihre Bemühungen die Einnahmesituation der Stadt verbessern zu wollen, nicht gerade glaubwürdiger und ist im Grunde ignorant und verantwortungslos.“
Forderung nach einem Mobilitätsticket
„Der zweite entscheidende Punkt unserer Ablehnung ist ihre permanente Weigerung, die Mobilität von Bürgerinnen und Bürgern mit geringem Einkommen finanziell zu unterstützen. Was denken sie, warum wir die Einführung eines Mobilitätstickets so vehement und penetrant fordern? Weil wir kein Interesse an anderen Politikthemen haben? Nein, ganz bestimmt nicht. Der Grund ist ein ganz einfacher. Die Menschen, die mit wenig Geld auskommen müssen, brauchen so ein Ticket. Und zwar dringend. Ganz dringend. Mobilität ist heutzutage ein wichtiger Bestandteil der gesellschaftlichen Teilhabe. Wer sich in der Stadt nicht bewegen kann, ist sozusagen nicht mit dabei. So einfach, so schlimm. Die Stadt unterhält Kultureinrichtungen, Beratungsstellen, vieles mehr, was löblich und sinnvoll ist. Aber erreichen auch alle Menschen diese Angebote? Nein. Und das ist das Problem. Grenzen sie die Menschen nicht aus.
Ausgrenzung und die Verweigerung der Teilhabe ist das gemeinste was man Menschen, vor allem Kindern, antun kann.
Ich habe im Zusammenhang mit dem Wohnungsmarkt hier schon einmal die Landespastorin Thobaben zitiert, die sagte, man könne die Versorgung mit Wohnraum nicht allein dem Markt überlassen. In Gesprächen mit dem KDA, das ist, wenn sie so wollen, die Gewerkschaft der Kirchen und kirchlichen Einrichtungen, es ging dabei um Arbeitnehmerrechte und die sogenannte Armutsindustrie, habe ich festgestellt, dass wir in Analyse und Forderungen vieles gemeinsam hatten. Auf mein Resümee: “Ihr seid ja richtig links.“ bekam ich die Antwort: „ Ja, nein, wir nennen das aber nicht links, wir nennen das nah am Menschen.“
An die Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten hier im Raum: Bauen sie bezahlbaren Wohnraum, helfen sie Menschen mit geringem Einkommen am Leben in unserer Stadt teilhaben zu können. Erinnern sie sich ihrer Geschichte und machen sie es besser als ihre Genossinnen und Genossen der Bundesebene:
… machen sie eine Politik, die nah am Menschen ist.“
Die gesamte Haushaltsrede findet sich hier: http://www.linksfraktion-kiel.de/
Telefonlisten der Jobcenter
Veröffentlicht: 22. Januar 2014 Abgelegt unter: Informationsfreiheit 7 Kommentare
Die Piratenpartei Deutschland hat die Telefonlisten mit den Durchwahlnummern der Sachbearbeiter von zur Zeit 134 Jobcentern veröffentlicht. Damit setzt sie das Transparenz-Projekt von Harald Thomé fort, der das Kostenrisiko für Rechtsverfahren nicht mehr tragen mochte, die ihm von mehreren Jobcentern angedroht wurden. Harald Thomé entschied sich am 8. Januar 2014, das Projekt aufzugeben. Die Piratenpartei führt es nun weiter, denn als Partei kann sie nach eigener Aussage den Einschüchterungsversuchen von Jobcentern gelassener entgegentreten als eine Einzelperson.
Die Telefonliste findet sich hier, ein Bericht auf Spiegel Online hier.
Eine nette Idee: Rechtsanwalt Thomas Lange: Verklagt mich doch
Siehe auch: Bürgerbeauftragte: Bürger klagen über mangelnde Erreichbarkeit und unzureichendes Beratungsangebot der Behörden
Nachtrag 02.02.2014 (heutiger Newsletter von Harad Thomé): Piratenpartei setzt das Telefonlistentransparenzprojekt fort
Auch unter 25jährige haben Anspruch auf volle Miete
Veröffentlicht: 22. Januar 2014 Abgelegt unter: Jobcenter Kiel, Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: Mietobergrenze Jugendliche Kiel, Mietobergrenze junge Erwachsene Kiel, Mietobergrenze U 25 Kiel, Mietobergrenzen Jobcenter Kiel 2013, Mietobergrenzen Kiel 2013 11 Kommentare
Nach den Richtlinien der Landeshauptstadt Kiel ist bei unter 25jährigen Beziehern von Leistungen nach dem SGB II ohne abgeschlossene Berufsausbildung eine Miete bis maximal 224 € inklusive Heizkosten anzuerkennen, mit einer abgeschlossenen Ausbildung werden die Mietobergrenzen zugrunde gelegt, die auch für über 25jährige gelten.
Diese vom Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht bislang bestätigte Praxis haben mehrere Kammern am Sozialgericht Kiel zu Recht für rechtswidrig erklärt. Die Praxis der Stadt orientiere sich an den Regelungen zum BAföG-Recht. Die Möglichkeit für Studenten, nach § 27 Abs. 3 SGB II vom für sie örtlich zuständigen Jobcenter einen Zuschuss zu ihren angemessenen Aufwendungen für ihre Unterkunft zu erhalten, die vom BAföG nicht gedeckt sind, zeige indessen, dass eine an den BAföG-Regelungen orientierte Bemessung der Mietobergrenzen für junge Erwachsenen sinnwidrig ist. Denn der Anspruch auf ergänzende Leistungen zur Deckung des durch das BAföG ungedeckten Teils der Unterkunfts- und Heizkosten wurde gerade ins SGB II aufgenommen, weil die BAföG-Sätze nicht immer ausreichend sind, um das soziokulturelle Existenzminimum zu gewährleisten. Die Unterkunftssätze, die im Leistungsrecht des BAföG gewährt werden, stellten ausdrücklich nur einen pauschalierten Zuschuss zu den Unterkunftskosten dar, die regelmäßig nicht zum Bestreiten der tatsächlichen Kosten ausreichen. Auch unter 25jährige haben deswegen einen Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung in der Höhe, in der diese auch über 25jährigen zustehen.
(SG Kiel, Urteil vom 26.11.2013, S 30 AS 767/10; SG Kiel, Beschluss vom 9.8.2013, S 31 AS 251/13 ER – rechtskräftig)
Erstveröffentlichung in HEMPELS 01/2014
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Zur Kostengrundentscheidung nach § 63 SGB X
Veröffentlicht: 22. Januar 2014 Abgelegt unter: RA-Kosten | Tags: § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X, SG Kiel S 36 AS 1459/13 Hinterlasse einen KommentarNach wohl überwiegender Auffassung der Kammern am SG Kiel (etwa SG Kiel, Urteil vom 26.03.2013, S 38 AS 278/10) können im Falle eines erfolgreichen Widerspruchsverfahrens die durch die Mandatierung eines Rechtsanwalts entstandenen Kosten nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X erst geltend gemacht werden, nachdem dem Mandanten die Kosten von seinem Rechtsanwalt nach § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG tatsächlich in Rechnung gestellt worden sind (unter Hinweis auf LSG NRW, Beschluss vom 20.04.2012, L 19 AS 26/12 B). Dies soll auch für den Fall geltend, dass die Mandanten beratungshilfeberechtigt sind und es dem Rechtsanwalt standesrechtlich eigentlich untersagt ist, seinen Mandanten eine Gebührenrechnung zu stellen, § 49a BRAO (zur Kritik hier).
In seinen rechtlichen Hinweisen vom 10.01.2014 hat die 36. Kammer am SG Kiel im Verfahren S 36 AS 1459/13 dargelegt, dass diese Rechtsprechung sich nach vorläufiger Einschätzung des Gerichts nur auf die Geltendmachung des Gebührenanspruches, nicht jedoch auf die Kostengrundentscheidung nach § 63 SGB X bezieht:
„Da es sich bei der Kostengrundentscheidung nach § 63 SGB X um einen den Sozialleistungsbezieher belastenden Verwaltungsakt handelt, kann dieser auch angegriffen werden, ohne dass eine konkret bestehende Kostenlast nachgewiesen werden muss. Es wäre nach vorläufiger Einschätzung der Kammer allenfalls denkbar, bei nicht bestehender Belastung mit Kosten ein fehlendes allgemeines Rechtsschutzbedürfnis anzunehmen. Dies wäre aber wohl nur dann gerechtfertigt, wenn eine Zahlungsverpflichtung oder anderweitige Belastung mit Kosten auch in der Zukunft gänzlich auszuschließen wäre. Dies dürfte vorliegend nicht der Fall sein.“
Die Mandanten bleiben in einem Rechtsstreit, in dem es um die Kostengrundentscheidung nach § 63 SGB X geht, auch dann aktivlegitimiert, wenn sich der Rechtsanwalt von seinen Mandanten in der Vollmacht „sämtliche Kostenerstattungsansprüche gegen den o.g. Anspruchsgegner“ hat abtreten lassen:
„Diese Abtretung erfasst aber – unabhängig von der Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung im Rahmen einer Formularvollmacht – nach vorläufiger Einschätzung nur die Geltendmachung eines (feststehenden) Erstattungsanspruches, gegebenenfalls ein- schließlich des Höhenstreits, nicht jedoch die Kostengrundentscheidung.“
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Grüne, SPD, SSW und CDU für Laubenabriss
Veröffentlicht: 16. Januar 2014 Abgelegt unter: Stadt Kiel | Tags: Möbel Kraft Kiel, Prüner Schlag Kiel 4 KommentareMit ihrem Antrag „Laubenabriss stoppen!“ in der heutigen Ratsversammlung hat die Ratsfraktion DIE LINKE die Kieler Ratsversammlung dazu aufgefordert, sich aus Respekt vor dem von über 10.000 Kieler Bürgern angestrebten Bürgerentscheid für den Erhalt der zweitältesten Gartenanlage Deutschlands für eine störungsfreie Durchführung des Bürgerentscheides einzusetzen und die Verwaltung aufzufordern, die erteilte Genehmigung zum Abriss der Gartenlauben auf dem „Prüner Schlag“ zu widerrufen, jedenfalls aber die Firma Krieger (Möbel Kraft) aufzufordern, trotz erteilter Abrissgenehmigung keine Gartenlauben abzureißen und die Durchführung des Bürgerentscheides abzuwarten.
Grüne, SPD, SSW und CDU haben diesen Antrag geschlossen abgelehnt und sich damit für eine völlige Zerstörung der Kleingartenanlage „Prüner Schlag“ noch vor dem Bürgerentscheid, der am 23.03.2014 durchgeführt werden wird, ausgesprochen. Wer von Politikern Respekt vor dem Willen der Bürger erwartet, Bürgerentscheide für ein hohes Gut hält und von der Stadt Kiel einen fairen Umgang mit seinen Bürgern einfordert, kann dabei auf Grüne, SPD, SSW und CDU nicht setzen.
Dem Antrag der LINKEN Ratsfraktion haben die Ratsfraktionen der FDP und der Piraten sowie WIR IN KIEL und die NPD zugestimmt.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Wir fordern Respekt für den ersten Bürgerentscheid Kiels
Veröffentlicht: 14. Januar 2014 Abgelegt unter: Stadt Kiel 3 KommentareSehr geehrter Herr Bürgermeister Peter Todeskino,
Kiel hatte für mich bisher das Image einer weltoffenen, lebenswerten Stadt am Meer. Dieses Image wird nun massiv gestört durch die Geschehnisse im Zusammenhang mit dem ersten Bürgerentscheid* in der Geschichte der Stadt. Wir sehen täglich Bilder von intakten Gartenlauben, die wenig später zu Trümmerhaufen zusammengeschoben wurden, von tiefen Baggerspuren in Gärten und abgesägten Hecken; diese massiven Eingriffe haben nichts mehr mit der „Verkehrssicherung“ zu tun, von der Sie gesprochen haben.
Für das geplante Möbelzentrum mit Möbel Kraft und Sconto gibt es keinen rechtskräftigen Bebauungsplan. Sie setzen damit einen Vorentwurf um, der ohne Bürger- oder Ratsbeteiligung entstanden ist. Ich fordere Sie daher dringend auf, unverzüglich mit den Initiatoren des Bürgerbegehrens, dem Kleingärtnerverein und dem Investor Krieger Gespräche über eine einvernehmliche Lösung bezüglich der Verkehrssicherungsmaßnahmen aufzunehmen. Es besteht sonst die Gefahr, dass Ihr Vorgehen als Strategie der vollendeten Tatsachen wahr genommen wird und dass damit im Endeffekt der 1. Kieler Bürgerentscheid von einem „Grünen“ Bürgermeister torpediert wird.
Mit freundlichen Grüßen,
Ulrike Hunold
* Bürgenentscheid: Ja zum Planungsstopp zu Möbel Kraft und Sconto auf dem 17.2ha großen Kleingartengelände am Westring. Info unter http://ttkielblog.wordpress.com
Petition unterzeichnen: Link zur Petition
Petition zum Rücktritt von Bürgermeister Peter Todeskino: Link zur Petition
RTL Nord vom 13.01.2014: Kieler Kleingärtner wehren sich gegen Möbel Kraft
Sat1.Regional vom 23.01.2014: Streit um geplante Möbel Kraft-Filiale in Kiel
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Kiel: Soziale Politik statt “Grüner” Politik!
Jobcenter Kiel: Von Dumpinglöhnen keine Kenntnis
Veröffentlicht: 10. Januar 2014 Abgelegt unter: Dumpinglöhne, Jobcenter Kiel, Ratsversammlung Stadt Kiel, Stadt Kiel 12 Kommentare
Wie berichtet, klagen Jobcenter in einigen Kommunen vorenthaltenes Arbeitsentgelt aus übergegangenem Recht von Arbeitgebern ein, die sittenwidrige Löhne gezahlt haben. Die Kieler Ratsfraktion DIE LINKE hat dies zum Anlass genommen, beim Jobcenter Kiel nachzufragen:
1. Hat das Jobcenter Kiel Kenntnis von gezahlten Dumpinglöhnen an Kieler Leistungsberechtigte nach dem SGB II?
2. Wird die Frage zu 1. bejaht, bitte ich um Beantwortung nachstehender Fragen:
a) In wie vielen Fällen ist das Jobcenter straf- bzw. arbeitsrechtlich gegen in Kiel ansässige Arbeitgeber vorgegangen (Angaben bitte differenziert nach Jahren)?
b) Ab welchem Stundenlohn geht das Jobcenter Kiel von einem sittenwidrigen Lohn aus?
c) Wie hoch waren die gezahlten Löhne in den vom Jobcenter Kiel beanstandeten Fällen?
Auf die Fragen hat das Jobcenter Kiel mit Schreiben vom 06.01.2014 nun mitgeteilt:
Zu Ihren Fragen können wir folgende Auskünfte geben:
1. Nein.
2. b) Es gelten die gesetzlichen Regelungen.
Ergänzend möchten wir lhnen erläutern, dass das Jobcenter Kiel bei jeder Antragstellung von Aufstockern seit 2005 grundsätzlich auf die Einhaltung der ortsüblichen Löhne der Branchen achtet, um die tatsächliche Hilfebedürftigkeit und vorrangige Leistungen festzustellen. Zudem werden in der Erstberatung durch die lntegrationsfachkräfte bereits bestehende Arbeitsverhältnisse auf ihre Substanz, Tragfähigkeit und Ausbaufähigkeit überprüft. Seit 2005 gab es im Jobcenter Kiel weniger als 10 Verdachtsfälle. Nach interner Prüfung der Bereiche Ordnungswidrigkeiten oder Arbeitsgeberservice lag hierbei keine Sittenwidrigkeit vor.
Soweit das Jobcenter Kiel auf die Frage, ab welchem Stundenlohn es von einem sittenwidrigen Lohn ausgeht, auf die „gesetzlichen Regelungen“ verweist, ist darauf hinzuweisen, dass es „gesetzliche Regelungen“ darüber, ab wann ein Lohn sittenwidrig ist, gar nicht gibt. Vor dem Hintergrund dieser unzutreffenden rechtlichen Annahme darf angezweifelt werden, dass eine sorgfältig Prüfung durch das Kieler Jobcenter derzeit in jedem Fall erfolgt. Unklar ist auch, inwieweit das Jobcenter Kiel „bestehende Arbeitsverhältnisse auf ihre Substanz, Tragfähigkeit und Ausbaufähigkeit“ überprüfen will. Ein Arbeitsverhältnis ist tragfähig, solange das Unternehmen den vereinbarten oder tarifvertraglichen Lohn bezahlen kann. Auf die „Substanz“ des Arbeitsverhältnisses – was immer damit gemeint sein mag – kommt es jedenfalls nicht an, solange der Arbeitgeber den Lohn zahlt und ob eine Arbeitsverhältnis „ausbaufähig“ ist, wird sich nicht an den Wünschen einer Behörde festmachen lassen, sondern an der Auftragslage des jeweiligen Unternehmens.
Von einer sittenwidrigen Vergütung wird im Allgemeinen gesprochen, wenn das gezahlte Entgelt nicht einmal 2/3 der üblichen tariflichen Vergütung erreicht. Liegt eine vertragliche Lohnvereinbarung unterhalb der so ermittelten Grenze und klagt der Arbeitnehmer hiergegen vor dem Arbeitsgericht, wird der Arbeitgeber im Regelfall verurteilt, die tarifliche Vergütung zu bezahlen. Das Vorenthalten von Arbeitsentgelt ist gemäß § 266a StGB strafbar. Betroffene Geringverdiener aus Kiel, die meinen, das ihnen gezahlte Gehalt könnte sittenwidrig sein und ihren Lohn mit ALG II aufstocken, werden gebeten, sich an die Ratsfraktion DIE LINKE in Kiel, Rathaus, Fleethörn 9 – 13, 24099 Kiel, Telefon: (0431) 901 – 2542, Email: post@linksfraktion-kiel.de zu wenden oder die Kommentarfunktion in diesem Blog zu nutzen.
RA Helge Hildebrandt / Florian Jansen, Geschäftsführer der Kieler Ratsfraktion DIE LINKE
Keine hälftige Anrechnung der Widerspruchsgebühr auf die Gebühr für ein gerichtliches Eilverfahren
Veröffentlicht: 8. Januar 2014 Abgelegt unter: RA-Kosten 2 KommentareAuch nach dem neuen Vergütungsrecht sind für Verfahren ab dem 01.08.2013 Rechtsanwaltsgebühren für ein Widerspruchsverfahren nicht zur Hälfte auf den Vergütungsanspruch für ein anschließendes sozialgerichtliches Antragsverfahren anzurechnen.
In Teil 3 Vorbemerkung 3, dort Abs. 4 VV RVG ist seit 01.08.2013 geregelt:
(4) Soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach Teil 2 {außergerichtliches Verfahren, Widerspruchsverfahren} entsteht, wird diese Gebühr zur Hälfte, bei Wertgebühren jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Bei Betragsrahmengebühren beträgt der Anrechnungsbetrag höchstens 175,00 €. Sind mehrere Gebühren entstanden, ist für die Anrechnung die zuletzt entstandene Gebühr maßgebend. Bei einer Betragsrahmengebühr ist nicht zu berücksichtigen, dass der Umfang der Tätigkeit im gerichtlichen Verfahren infolge der vorangegangenen Tätigkeit geringer ist. Bei einer wertabhängigen Gebühr erfolgt die Anrechnung nach dem Wert des Gegenstands, der auch Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist.
Das Jobcenter Kiel hatte die Auffassung vertreten, dass im neuen Kostenrecht bei der Festsetzung von Kosten in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auch Kosten eines Widerspruchsverfahrens zu berücksichtigen seien, welches in „derselben Angelegenheit“ geführt worden sei.
Dem bin ich mit Schriftsatz vom 13.11.2013 (Az. 209/13) entgegengetreten und habe u.a. ausgeführt:
Bei dem Antragsverfahren S 34 AS 284/13 ER dürfte es sich bereits nicht um denselben Gegenstand wie bei dem Widerspruchsverfahren W 2613/13 handeln, denn bei einem Eilverfahren ist neben der materiellen Rechtslage stets auch das besondere Erfordernis der Eilbedürftigkeit zu prüfen. Ein Verfahren zum Erlass einer einstweiligen Anordnung stellt damit eine Rechtsschutzform dar, die eigenen Entscheidungsmaßstäben folgt und somit nicht auf ein vorangegangenes Verwaltungsverfahren aufbaut (SG Schleswig, Beschluss vom 28.02.2012, S 4 SF 67/09 E). Mit dieser Begründung hat auch die Kostenkammer am SG Kiel in gefestigter Rechtsprechung Nr. 3102 VV RVG anstatt Nr. 3103 VV RVG a.F. für anwendbar erklärt. (…)
Für dieses Ergebnis spricht weiter, dass die Gebühr für ein außergerichtliches Verfahren nicht auf zwei (mögliche) gerichtliche Verfahren – ein Antrags- und ein Hauptsacheverfahren – angerechnet werden kann.
Dieser Auffassung hat sich das SG Kiel mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 30.12.2013, S 34 AS 284/13 ER angeschlossen und ausgeführt:
Die Rechtsauffassung hinsichtlich der Nichtanrechnung der Geschäftsgebühr wird auch vom Kostenbeamten geteilt. Für die weitere Begründung wird auf den Schriftsatz des Antragstellers vom 13.11.2013 verwiesen.
Weiter war die Gebühr in diesem Fall nicht die „zuletzt entstandene Gebühr“, denn das Widerspruchsverfahren wurde (wenngleich nur kurze Zeit) nach dem Eilverfahren aufgenommen.
Fraglich – allerdings für dieses Verfahren rechtlich unerheblich – war die Frage, ob die „zuletzt entstandene Gebühr“ vor einem gerichtlichen Verfahren nicht stets die Beratungshilfegebühr ist, welche für die Beratung über die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels – hier also eines sozialgerichtlichen Verfahrens – entsteht.
Wie hier auch SG Kiel, Kostenfestsetzungsbeschluss vom 03.02.2014, S 38 AS 372/13 ER (hiesiges Az. 198/13).
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Hartz IV: Zankapfel Bedarfsgemeinschaft
Veröffentlicht: 6. Januar 2014 Abgelegt unter: Bedarfsgemeinschaften | Tags: ALG II Bedarfsgemeinschft, § 7 Abs. 3 a SGB II, Hartz IV Bedarfsgemeinschft, SG Kiel 18.11.2013 S 35 AS 355/13 ER 8 KommentareMit Beschluss vom 18.11.2013 hat das Sozialgericht Kiel im Verfahren S 35 AS 355/13 ER einige wichtige Hinweise zur Beurteilung des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft für den Fall gegeben, dass keiner der Vermutungstatbestände nach § 7 Abs. 3 a SGB II vorliegt.
Kein Indiz für das Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft sind danach Angaben im ALG II Antrag zum Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft, wenn das Jobcenter bereits im Rahmen der Antragsstellung ohne hinreichende Prüfung von einer Bedarfsgemeinschaft ausgeht und durch Ausgabe entsprechender Antragsunterlagen eine vorzeitige Weichenstellung vornimmt.
Auch der Umstand, dass ein gemeinsamer Mietvertrag mit gesamtschuldnerischer Haftung im Sinne von § 421 BGB abgeschlossen wurde, rechtfertigt für sich nicht die Annahme eine Einstehensgemeinschaft, wenn sich die Partner der Bedeutung und Tragweite einer gesamtschuldnerischen Haftung nicht bewusst waren und der Grund für den gemeinsamen Vertragsschluss die Absicherung des zuziehenden Partners vor einem unfreiwilligen Wohnungsverlust ist, welcher nachvollziehbar ist und auch einem weit verbreiteten Sicherheitsbedürfnis von Mietern entspricht (a.A. wohl LSG NRW, Beschluss vom 29.05.2012, L 12 AS 1409/11). Auch das weitergehende Motiv, sicherzustellen, dass die Antragstellerin in dem Haus verbleiben kann, falls dem Partner berufsbedingt etwas zustößt, ist nach Auffassung des Gerichts „eher Ausfluss eines respektvollen weil umsichtigen Umgangs miteinander, als dass hieraus valide Rückschlüsse auf ein aktives gegenseitiges füreinander Einstehen in jeder Lebens- und insbesondere auch Notlage gezogen werden könnten.“
Zuletzt waren auch die partielle Aufgabe von Privatsphäre und weitere Unterstützungshandlungen bei der Haushaltsführung und Nahrungszubereitung sowie die beabsichtigte Ermöglichung der Berufsausübung im Haus in diesem Fall als Nothilfe zu werten, die nicht zu der Annahme einer Verantwortung- und Einstehensgemeinschaft führen konnte.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Das neue Antragsformular für die Beratungshilfe
Veröffentlicht: 3. Januar 2014 Abgelegt unter: Beratungshilfe | Tags: Antragsformular Beratungshilfe 2014, Beratungshilfe 2014, Beratungshilfeformular 2014, Formular Beratungshilfe 2014 10 KommentareAm 19.12.2013 hat der Bundesrat die „Verordnung zur Verwendung von Formularen im Bereich der Beratungshilfe“ (BerHFV) mit einigen Änderungen versehen verabschiedet. Die BerHFV ist am 09.01.2014 im Bundesgesetzblatt verkündet worden und damit in Kraft getreten. Ab dem 09.01.2014 muss daher das neue Formular verwendet werden. Im Rahmen des Entwurfs für das Beratungshilfeformular hat die Bundesrechtsanwaltskammer eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen gemacht (Stellungnahme Nr. 21/2013), von denen das Bundesjustizministerium einige aufgegriffen hat. So wird etwa – wie bisher – nur nach dem Beruf und der Erwerbstätigkeit und nicht auch nach dem Bildungsabschluss des rechtsuchenden Antragstellers gefragt. Die für die Praxis wichtigsten Neuerungen sollen hier kurz dargestellt werden.
Andere Möglichkeiten kostenloser Beratung
Unter B ist für eine positive Beratungshilfeentscheidung an zweiter Stelle zu erklären: „In dieser Angelegenheit besteht für mich nach meiner Kenntnis keine andere Möglichkeit, kostenlose Beratung und Vertretung in Anspruch zu nehme.“ Entfallen ist die bisherige beispielhafte Aufzählung „(z.B. als Mitglied eines Mietervereins, einer Gewerkschaft oder einer anderen Organisation)“, welche sich jetzt nur noch in dem „Hinweisblatt zum Antrag auf Beratungshilfe“ befindet. Möglichkeiten für eine kostenlose Beratung sind:
- Bei Mitgliedschaft in einem Mieterverein (etwa dem Kieler Mieterverein) der Mieterverein für das Rechtsgebiet Mietrecht.
- Bei Mitgliedschaft in einem Sozialverband (etwa dem SoVD oder dem VDK) der entsprechende Verband für das Rechtsgebiet Sozialrecht.
- Bei Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft (etwa Verdi) die Gewerkschaft für die Rechtsgebiete Arbeitsrecht und ggf. Sozialrecht.
Keine andere Möglichkeit für eine kostenlose Beratung sind demgegenüber:
- Die öffentliche Rechtsberatung im Kieler Rathaus, denn hier wird im Regelfall eine einkommensabhängige Verwaltungsgebühr erhoben. Diese liegt zwischen 5 € und 26 €. Ausnahme: Sozialleistungsempfängerinnen und Sozialleistungsempfänger erhalten Gebührenbefreiung bei Beratungen im Arbeits-, Miet-, Erb- und Familienrecht sowie in Pfändungssachen. Allerdings wird hier nur Beratung gewährt, so das bei Vertretungsbedarf im Arbeits-, Miet-, Erb- und Familienrecht sowie in Pfändungssachen auch für diese Rechtsgebiete die öffentliche Rechtsberatung keine „andere Möglichkeit“ im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHiG ist.
- Das Büro der Bürgerbeauftragten, denn Bürgerinnen und Bürger führen eine Petition (vgl. §§ 2 und 3 Bürgerbeauftragtengesetz), wenn sie sich an die Bürgerbeauftragte wenden. Das in der Verfassung verankerte Petitionsrecht beruht ausnahmslos auf Freiwilligkeit. Aus diesem Grund kann das Führen einer Petition nicht Voraussetzung für die Gewährung von Beratungshilfe sein (mehr hier, eine Stellungnahme der Bürgerbeauftragten zum Thema findet sich hier).
- Die Möglichkeit, sich durch einen Rechtsanwalt unentgeltlich oder gegen Vereinbarung eines Erfolgshonorars beraten oder vertreten zu lassen, ist ebenfalls keine andere Möglichkeit der Hilfe im Sinne des von § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHiG, vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 BerHiG.
Da das Formular ausdrücklich auf die Kenntnis des Rechtsuchenden abstellt, kann m.E. auch eine objektiv falsche Erklärung (etwa wenn der Antragsteller nicht weiß, dass seine Gewerkschaft auch im Sozialrecht Beratung und Vertretung anbietet) nicht zum nachträglichen Widerruf der Bewilligung führen. Hier ist es Aufgabe der Rechtspfleger bzw. Rechtsanwälte, konkret nachzufragen – und Aufgabe des Rechtsuchenden, gegebenenfalls Erkundigungen einzuholen, soweit er sich auf Nachfrage nicht sicher ist, welche kostenlosen Beratungs- und Vertretungsmöglichkeiten er hat.
Vollständige Angaben bei ALG II-Bezug
Während Bezieher von Leistungen nach dem SGB XII bei Vorlage eines gültigen Bewilligungsbescheides nach wie vor keine weiteren Angaben zu ihrem Einkommen und Vermögen machen müssen soweit das Gericht nicht etwas anderes anordnet, müssen Bezieher von Leistungen nach dem SGB II (ALG II) ab 01.01.2014 das Beratungshilfeformular vollständig ausfüllen. Die Angaben müssen gegebenenfalls (etwa durch Vorlage von Kontoauszügen) glaubhaft gemacht werden, wenn das Gericht dies verlangt. Aus diesem Grunde sollten Bezieher von Leistungen nach dem SGB II zur Beantragung eines Berechtigungsscheins bei dem für sie zuständigen Amtsgericht bzw. – wenn sie sich direkt an den Rechtsanwalt wenden – zum ersten Beratungstermin bei ihrem Rechtsanwalt Nachweise zu allen Angaben ihres Einkommens oder Vermögens mitbringen, die sich nicht bereits aus dem ALG II-Bescheid ergeben (vor allem einen aktuellen Kontoauszug, ggf. das Sparbuch usw.).
Angaben zum Vermögen
Unter F wird von den meisten Beziehern von Leistungen nach dem SGB II nur das Girokonto anzugeben sein, weil anderes „Vermögen“ nicht vorhanden ist. Hier ist der aktuelle Kontostand im Zeitpunkt der Beratung anzugeben und sinnvoller Weise durch einen Kontoauszug nachzuweisen. Auch dann, wenn sich das Konto im Minus befindet, sollte das Konto immer angegeben werden. Wer Barvermögen von mehr 2.600 € (+ 256 € für jede Person, der Unterhalt gewährt wird) hat, erhält keine Beratungshilfe. Angegeben werden muss nun unter F auch, ob Eigentum an einem Kfz besteht. Eigentümer ist derjenige, der das Fahrzeug gekauft hat und an den dieses zivilrechtlich übereignet worden ist, nicht also notwendig der Fahrzeughalter. Ein vom Antragsteller oder einem Familienmitglied selbst genutztes angemessenes Fahrzeug ist dann nicht als Vermögenswert zu berücksichtigen, wenn dieses zur Sicherung einer angemessenen Lebensgrundlage dient. Zur Beurteilung der „Angemessenheit“ kann m.E. auf die Rechtsprechung des BSG zu § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II zurückgegriffen werden, wonach eine Kraftfahrzeug bis zu einem Verkehrswert von 7.500,00 € grundsätzlich als „angemessen“ zu gelten hat (BSG, Urteil vom 06.09.2007, B 14/7b AS 66/06 R). Zur Sicherung eines angemessenen Lebensstandards soll ein in diesem Sinne angemessenes Kraftfahrzeug nach den „Ausfüllhinweisen“ nur dienen, wenn das Fahrzeug „für die Berufsausbildung oder Berufsausübung benötigt wird“. Bei ALG II-Beziehern folgt der Schutz demgegenüber aus der Erwerbsobliegenheit und dem hieraus folgenden Flexibilitätserfordernis, welches Grund für den Vermögensschutz in § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB II ist. Bei Beziehern von Leistungen nach dem SGB XII sind Angaben zum Vermögen regelmäßig nicht erforderlich, so dass sich Fragen zum Vermögensschutz eines Pkw nicht stellen, solange das Amtsgericht nicht nachfragt. Im SGB XII ist das selbstgenutzte „angemessene“ Kraftfahrzeug (dazu SG Augsburg, Urteil vom 15.09.2011, S 15 SO 73/11: 7.500 € + nicht ausgeschöpfter Vermögensfreibetrag) im Übrigen nur geschützt, wenn der Antragsteller oder ein Familienmitglied etwa aufgrund einer Gehbehinderung auf das Fahrzeug angewiesenen ist. In Kiel wird eine Verwertung von Kraftfahrzeugen im Regelungsbereich SGB XII zudem grundsätzlich nicht verlangt, wenn der Verkehrswert nicht mehr als 2.600 € beträgt (auch wenn zusätzlich Barvermögen in Höhe von 2.600 € vorhanden ist). Wie in diesen Fällen bei der Gewährung von Beratungshilfe zukünftig entschieden werden wird, bleibt abzuwarten.
Zahlungsverpflichtungen und sonstige Belastungen
Neu und zugleich hauptverantwortlich dafür, dass das neue Beratungshilfeformular nun drei anstatt wie bisher zwei Seiten lang ist, sind die Angaben zu „Zahlungsverpflichtungen und sonstigen Belastungen“. Die erste Frage („Haben Sie … Zahlungsverpflichtungen?“) ist unsinnig, weil jeder Antragsteller irgendwelche Zahlungsverpflichtungen hat. Bei ALG II-Bezug kommt es in der Regel nicht darauf an, etwa Kreditraten, die bei der Beratungshilfegewährung (nach mir nicht verständlicher Wertung des Gesetzgebers) einkommensmindernd zu berücksichtigen sind, anzugeben. Im Regelfall sollte daher die Frage „Haben Sie … Zahlungsverpflichtungen?“ mit ja beantwortet werden und der Satz angefügt werden: „Die üblichen, wie Mietzahlung, Telefon etc.“ Angaben in der Tabelle dürften regelmäßig entbehrlich sein (eine Ausnahme gilt möglicherweise bei sog. Aufstockern, die ALG II nur noch in ganz geringer Höhe beziehen). Mir ist indes kein Fall bekannt, in dem bei einem ALG II-Bezieher die Voraussetzungen der Beratungshilfe aufgrund der Einkommensverhältnisse nicht vorlagen (a.A. ein Rechtspfleger am AG Kiel).
4-Wochen-Frist zur Antragstellung
Wird der Anwalt unmittelbar aufgesucht (also nicht zuvor ein Berechtigungsschein beim örtlich zuständigen Amtsgericht beantragt), muss der Antrag zukünftig zwingend innerhalb von 4 Wochen ab Beginn der Beratung/Vertretung gestellt werden, § 6 Abs. 2 BerHiG.
Hinweise für die Praxis
Aufgrund der neuen deutlich umständlicheren Beratungshilfepraxis sollten Rechtsuchende vor einer anwaltlichen Beratung grundsätzlich einen Berechtigungsschein bei dem für sie zuständigen Amtsgericht beantragen. So haben sie die Sicherheit, dass ihnen tatsächlich Beratungshilfe gewährt wird und der Rechtsanwalt ist von der ggf. zeitraubenden Prüfung des Vorliegens und Nachweises der Beratungshilfevoraussetzungen befreit. Eine Ausnahme gilt für alte, kranke oder gehbehinderte Rechtssuchende bzw. solche, die einen weiten Weg zum zuständigen Amtsgericht auf sich nehmen müssten oder auch in besonders eiligen Fällen. Zur Beantragung eines Berechtigungsscheins bei dem für sie zuständigen Amtsgericht sollten Rechtsuchende unbedingt mitnehmen:
- Ihre Personalausweis.
- Ihren Bewilligungsbescheid (ALG II/Grundsicherung), Wohngeldbescheid und/oder Einkommensnachweis.
- Lückenlose Kontoauszüge der letzten 4 Wochen bis aktuell und ggf. Nachweise über sonstige Konten/Sparbücher etc.
- Soweit keine Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II oder SGB XII bezogen werden oder zwar Grundsicherungsleistungen bezogen werden, aber die tatsächliche Miete über der im Bescheid anerkannten Miete liegt und über zusätzliches Einkommen verfügt wird: Sicherheitshalber den aktuellen Mietvertrag oder eine Mietbescheinigung (wenn der Mietvertrag schon älter und nicht mehr aktuell ist).
- Im Einzelfall und soweit erforderlich Nachweise zu sonstigen Belastungen (kostenaufwendige Ernährung, Zahlungsverpflichtungen etc.).
Weiterführende Infos:
Haufe Online Redaktion, Neues Prozesskosten- und Beratungshilferecht
juris.de: Reform der Prozesskostenhilfe zum 01.01.2014
reno-heute.de: Reform der Prozesskostenhilfe tritt zum 1.1.2014 in Kraft
Christina Hofmann, BRAK-Mitteilungen 6/2013, S. 269 f. (in der pdf-Datei ab S. 29)
Mitteilung der BRAK vom 23. Dezember 2013, Neue PKH- und BerH-Formulare (mit Links auf alle BR-Drucks.)
Assessorin Sabine Reckin, Wann der Staat jetzt noch Rechtsrat finanziert – und was Anwälte wissen sollten, Anwaltsblatt 12/2013, Seite 889 – 893.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Bürgerbeauftragte: Bürger klagen über mangelnde Erreichbarkeit und unzureichendes Beratungsangebot der Behörden
Veröffentlicht: 27. Dezember 2013 Abgelegt unter: Landtag 11 Kommentare
Kiel (SHL) Zum Ende des Jahres stellt die Bürgerbeauftragte, Birgit Wille, fest: Immer mehr Bürgerinnen und Bürgern wird die notwendige persönliche Beratung durch Behörden vorenthalten. Die Bürgerbeauftragte kritisiert die schlechte Erreichbarkeit und das mangelnde Beratungsangebot der Behörden.
Zum Ende eines sehr intensiven Arbeitsjahres muss die Bürgerbeauftragte feststellen, dass dem Anspruch vieler hilfesuchender Bürgerinnen und Bürger nach einer umfassenden persönlichen Beratung durch die Sozialbehörden immer weniger nachgekommen wird. Eine zeitnahe und unbürokratische Klärung von Fragen und Sachverhalten ist daher oft nicht möglich. Dies führt zu Konflikten und Schwierigkeiten, die durch eine konsequente Ausrichtung der Behörden auf die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger vermieden werden könnte.
So sind u.a. die Agenturen für Arbeit, die Familienkassen oder auch einige Jobcenter telefonisch oft nur über Servicecenter zu erreichen. Andere Behörden, wie beispielsweise die Deutsche Rentenversicherung Nord, fahren ihre Beratungsangebote in der Fläche deutlich zurück. In Schleswig-Holstein sind z. B. die Beratungsstellen in Itzehoe oder Eutin geschlossen worden. ,,Es ist offensichtlich, dass hier aus Kostenerwägungen die Service- und Beratungsangebote zurückgefahren werden“, so Birgit Wille.
Zudem ist immer stärker zu beobachten, dass die Ratsuchenden auf Broschüren und Internetseiten verwiesen werden. Nach Ansicht der Bürgerbeauftragten ist ,,Beratung aber mehr als eine gepflegte Internetseite“. Sie erwartet, dass sich Behörden wieder verstärkt an den Interessen der Hilfebedürftigen orientieren und das persönliche Beratungsgespräch die Regel wird. Darüber hinaus hält sie ein Eingreifen des Gesetzgebers für erforderlich und plädiert nochmals dafür, ein Recht auf ,,Gute Verwaltung“ in die Landesverfassung aufzunehmen.
Quelle: Pressemitteilung 138/2013
Hartz IV: Anspruch auf außerschulische Lerntherapie bei Dyskalkulie
Veröffentlicht: 13. Dezember 2013 Abgelegt unter: Bildungs- und Teilhabepaket | Tags: § 28 Abs. 5 SGB II, Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II bei Dyskalkulie, Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II nicht nur vorübergehender Förderbedarf 12 KommentareDas Sozialgericht Schleswig hat mit Beschluss vom 11.12.2013 (S 22 AS 177/13 ER) einem 9jährigen Schüler mit festgestellter Dyskalkulie Leistungen für eine angemessene Lernförderung nach § 28 Abs. 5 SGB II zugesprochen. Auch die Kosten einer nicht nur vorübergehenden Lerntherapie sind demzufolge nach dem Bildungs- und Teilhabepaket übernahmefähig. Das Gericht hat hierzu ausgeführt:
„Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Sache ist eilbedürftig, da die Gefahr besteht, dass der Antragsteller das Klassenziel nicht erreicht. Die Tatsache, dass eine automatische Versetzung in die nächsthöhere Jahrgangsstufe erfolgt, steht dem nicht entgegen, da die Diskrepanz zwischen den geforderten und den vom Antragsteller tatsächlich erbrachten Leistungen ohne entsprechende Lernunterstützung durch den nicht therapiebegleitet erfolgenden Wechsel in die nächsthöhere Klasse nur noch weiter wachsen wird. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass bei ihm eine Dyskalkulie besteht, wodurch für ihn der mathematische Lernvorgang erheblich erschwert wird. Laut psychodiagnostischem Befundbericht der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und – psychotherapie des HELIOS Klinikum Schleswig vom 17. Oktober 2013 bedarf der Antragsteller zur Verbesserung seiner Rechenfertigkeiten der besonderen individuellen Förderung. Eilbedürftigkeit besteht auch deshalb, weil sich die bei dem Antragsteller bestehende schulische Situation bereits so auswirkt, dass er z.B. bei Mathearbeiten unter Bauchschmerzen leidet. (…)
Die Lernförderung ist geeignet und erforderlich im Sinne des § 28 Abs. 5 SGB II, da schulische Angebote nach der Einschätzung des Gerichts nicht ausreichen, dem Antragsteller die Chance zu vermitteln, das Lernziel der dritten Klasse zu erreichen. Hierfür reicht der reguläre Förderunterricht nicht aus. Es bedarf vielmehr hier einer Lernförderung durch Übernahme der Kosten für außerschulische Lerntherapie im Bereich der Dyskalkulie. Der Antragsteller hat glaubhaft gemacht, dass die von der Therapeutin Frau H. angebotene Lerntherapie mit Hilfe der Kieler Zahlenbilder Wege zur Behandlung der Dyskalkulie und damit für den Antragsteller die Chance eröffnet, wieder Anschluss an den schulischen Mathematikunterricht zu bekommen.
Der Eignung und Erforderlichkeit der Lernförderung steht hier nicht entgegen, dass der Förderbedarf des Antragstellers nicht nur vorübergehend besteht. Zwar soll nach der Gesetzesbegründung Lernförderung in der Regel nur kurzfristig notwendig sein, um vorübergehende Lernschwächen zu beheben. In Ausnahmefällen kann jedoch eine nur vorübergehende Lernschwäche zumindest auch dann angenommen werden, wenn der Förderbedarf das gesamte Schuljahr oder darüber hinaus besteht (so jedenfalls das Sozialgericht Itzehoe, Beschluss vom 3. April 2012, S 11 AS 50/12 ER und das Sozialgericht Kiel, Beschluss vom 22. August 2013, S 10 AS 156/13 ER).“
Wie hier auch:
Sozialgericht Stade, Beschluss vom 22.11.2012, S 28 AS 781/12 ER
Sozialgericht Braunschweig, Urteil vom 08.08.2013, S 17 AS 4125/12
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 26.03.2014, L 6 AS 31/14 B
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Neue Mietobergrenzen im Kreis Plön seit 1.11.2013
Veröffentlicht: 10. Dezember 2013 Abgelegt unter: Jobcenter Plön, Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: Kosten der Unterkunft Kreis Plön 2013, Mietobergrenzen Kreis Plön 2013 5 KommentareSeit dem 01.11.2013 gelten im Kreis Plön die nachfolgenden Mietobergrenzen. Die Werte sollen künftig alle zwei Jahre aktualisiert werden.
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Bruttokaltmieten Stand 1.11.2013 |
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Wohnungs-markttyp |
1 Person (bis 50 qm) |
2 Personen (50 bis 60 qm) |
3 Personen (60 bis 75 qm) |
4 Personen (75 bis 85 qm) |
5 Personen (größer als 85 qm)* |
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MWE |
MWE |
MWE |
MWE |
MWE |
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|
I |
|
319,50 |
392,40 |
495,00 |
512,55 |
557,65 |
|
II |
|
357,00 |
436,80 |
526,50 |
601,80 |
627,95 |
|
III |
|
318,00 |
400,80 |
481,50 |
553,35 |
618,45 |
|
IV |
|
329,50 |
403,80 |
489,00 |
542,30 |
619,40 |
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* bezogen auf 95 qm Quelle: Mietwerterhebung Kreis Plön 2013 |
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Wohnungsmarkttyp I: Amt Bokhorst-Wankendorf, Amt Preetz-Land, Amt Selent/Schelsen, Bönebüttel
Wohnungsmarkttyp II: Amt Schrevenborn, Stadt Schwentinental
Wohnungsmarkttyp III: Amt Großer Plöner See, Amt Lütjenburg, Amt Probstei
Wohnungsmarkttyp IV: Stadt Plön, Stadt Preetz
Ob diese Werte einer gerichtlichen Prüfung standhalten werden, bleibt Abzuwarten. Entscheidungen in Eilverfahren sind hier noch nicht bekannt.
Weitere Infos (mit weiteren Links)
Kreis Plön will Mietobergrenzen neu regeln
Offizielle Tabelle
Vergleich WoGG + 10 % (Rechtsprechung SG Kiel) mit neuen MOG
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Vorsicht mit den Buchungsnachweisen des Jobcenters Kiel
Veröffentlicht: 5. Dezember 2013 Abgelegt unter: Jobcenter Kiel | Tags: A2LL Jobcenter Kiel, Buchungsnachweise Jobcenter Kiel, Mietzahlungen Jobcenter Kiel 2 Kommentare
Es ist ein Problem, das so manchem Kunden des Jobcenters Kiel vertraut sein dürfte: Das Jobcenter soll die Miete direkt an den Vermieter zahlen, damit die Mietzahlungen auch „sichergestellt“ sind. Viele Vermieter wünschen das so auch ausdrücklich, wenn sie wissen, dass ihre Mieter die Miete vom Jobcenter bezahlt bekommen. Doch dann meldet sich der Vermieter überraschend und teilt unter Bezugnahme auf seine Buchungskonten mit, dass das Jobcenter die Miete nicht gezahlt hat. Der irritierte Kunde spricht also bei seinem Jobcenter vor und erhält dort nicht selten die Auskunft, die Miete sei sehr wohl an den Vermieter überwiesen worden. Zum Nachweis wird dem Kunden meistens ein „ALG II Online“-Ausdruck mit den (angeblich) „Ausgezahlten Buchungen“ in die Hand gedrückt und die Mietzahlung mit Textmarker noch einmal zur Verdeutlichung markiert. So gewappnet marschiert der Kunde also wieder zu seinem Vermieter, der – leidgeprüft – nur noch die Augen verdreht und – wie mir jüngst per Email erklärt – mitteilt:
„Die Zahlung vom Jobcenter am 24.05.2013 ist nie bei uns eingegangen. Den Nachweis [gemeint ist der A2LL-Ausdruck] finde ich überflüssig, da wir solche Belege schon öfter hatten und diese nicht stimmten.“
Diese Aussage stammt von einem großen Kieler Vermieter mit einem Wohnungsbestand von über 9.000 Wohnungen in Kiel. Das spricht dafür, dass es sich hier nicht um einen Einzelfall handelt. Betroffenen ist zu raten, sich mit der Aussage und auch den „Nachweisen“ des Jobcenters, ihre Miete sei angeblich an den Vermieter gezahlt worden, nicht abspeisen zu lassen. Auch wenn es Zeit und Mühe bedeutet, musste das Jobcenter nach einigem Hin- und Her schlussendlich in allen hier bekannten Fällen einräumen: Es stimmt, wir haben die Miete doch nicht überwiesen.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Hartz IV: Jugendbett als Erstausstattung
Veröffentlicht: 3. Dezember 2013 Abgelegt unter: Abweichende Leistungserbringung | Tags: § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II, BSG Urteil vom 23.5.2013 B 4 AS 79/12 R, Jugendbett als Erstausstattung 5 KommentareIn einem aktuellen Urteil hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass es sich bei der erstmaligen Beschaffung eines „Jugendbettes“ – nachdem das Kind dem „Kinderbett“ entwachsen war – um eine angemessene Erstausstattung für die Wohnung im Sinne des § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II handelt.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der 2007 geborene Kläger beantragte im Jahre 2010 beim Jobcenter ein Jugendbett als Erstausstattung. Das lehnte zunächst das Jobcenter und dann auch das angerufene Sozialgericht sowie das Landessozialgericht (LSG) ab. Das LSG argumentierte, bei dem angeschafften Bett handele es sich nicht um eine Erstausstattung, denn es sei bereits ein Bett für den Kläger vorhanden gewesen. Das neue Bett habe grundsätzlich dieselbe Funktion wie das nicht mehr passende Kinderbett. Beide dienten zum Schlafen. Der Bedarf nach einem neuen Bett sei lediglich wegen des Wachsens der Klägers entstanden, es handele sich deswegen um eine bloße sog. „Ersatzbeschaffung“ wie etwa bei einem kaputt gegangen Möbelstück, das durch ein neues ersetzt werde. Die Kosten seien deshalb aus dem Regelsatz zu bestreiten. Diese Argumentation verwarf das BSG nun.
Bei der Anschaffung eines Jugendbettes handelt es sich nach der Entscheidung des BSG im Regelfall um eine Erstausstattung im Sinne von § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II. Ein für den Kläger geeignetes Bett war, nachdem er dem „Gitterbett“ entwachsen war, nicht mehr vorhanden. Das „Gitterbett“ sei zwar nicht „untergegangen“. Der Kläger benötige jedoch erstmals in seinem Leben ein seiner Körpergröße angepasstes größeres Bett. Bei dem Jugendbett handele es sich damit um ein Aliud gegenüber dem Gitter- oder Kinderbett. Anders wäre die Lage nach Ansicht des BSG lediglich zu beurteilen, wenn der Kläger bereits über ein im Kleinkindalter angeschafftes Jugendbett verfügen, dieses jedoch etwa in der Pubertät nicht mehr seinen geschmacklichen Vorstellungen entsprechen würde. Dann handele es sich bei einem neuen Jugend- oder Erwachsenenbett um eine Ersatzbeschaffung, die tatsächlich Ersatz für einen bereits vorhandenen und geeigneten Einrichtungsgegenstand ist (BSG, Urteil vom 23.5.2013, B 4 AS 79/12 R, Rz. 15).
Erstveröffentlichung in HEMPELS 11/2013
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Kiel: Neues Konzept zur Berechnung der Kieler Mietobergrenzen
Veröffentlicht: 26. November 2013 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen, Stadt Kiel 13 Kommentare
In der Sitzung des Ausschusses für Soziales, Wohnen und Gesundheit am 28.11.2013 wird die Landeshauptstadt Kiel die Grundlagen ihres neuen Konzepts zur Berechnung der angemessenen Kosten der Unterkunft für Bezieher von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII vorstellen (Drs. 982/2013, Anlage Erläuterung zur „Adamschen Formel“ und „Idealmodel“). Mit der konkreten Erarbeitung eines „schlüssigen Konzepts“ im Sinne des Rechtsprechung des BSG wurde die Firma F+B Forschung und Beratung mit Sitz in Hamburg beauftragt, die allerdings – anders, als in der Geschäftlichen Mitteilung nachzulesen – nicht nur die Kieler Mietspiegel 2010 und 2012, sondern auch den Kieler Mietspiegel 2008 erstellt hat.
Vom 6. Senat des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts war in der mündlichen Verhandlung vom 04.07.2013 vor allem beanstandet worden, dass die Feldbesetzungszahlen des Kieler Mietspiegels keine Rückschlüsse auf das tatsächliche Verhältnis von Wohnraum der jeweiligen Lage, Größe, Baualter und Ausstattung zulassen. Kritisiert wurde – wie zuvor schon vom BSG in seinem Urteil vom 22.08.2012 zu den Kieler Mietobergrenzen (B 14 AS 13/12 R) – zudem die Berechnung der maximal anzuerkennenden kalten Betriebskosten durch die Stadt Kiel.
Zukünftig soll die Feldbelegung der einzelnen Mietspiegelfelder durch Gewichtungsfaktoren ersetzt werden, welche aus einer Auswertung der Mietwohnungs-Grundgesamtheit von 82.100 Mietwohnungen in Kiel gewonnen werden sollen. Damit versucht die Stadt, die Vorgaben des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts umzusetzen. Ob es allerdings eine methodisch überzeugende Lösung ist, zur Berechnung von Netto-Mietobergrenzen die Spannenwerte von Wohnraum einer repräsentativen Stichprobe (Mietspiegel 2012: 2006 Wohnungen), der innerhalb der letzten vier Jahr neu vermietet bzw. bei dem die Miete erhöht wurde, nach Faktoren zu gewichten, die aus einer Mietwohnungsgrundgesamtheit aller am Markt vorhanden 82.100 Wohnungen gezogen wurden, darf bezweifelt werden, da hier zwei vollkommen unterschiedliche Größen in ein Verhältnis gesetzt werden.
Uneingeschränkt zu begrüßen ist, dass die Stadt das „Idealmodell“ verwirft, welches der ehemalige 11. Senat am Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht wohl hauptsächlich deswegen entwickelt hat, um der von der ersten Instanz favorisierten Berechnung nach der Adamschen Formel ein eigenes Modell entgegensetzen zu können. Ideal war an diesem Konzept allerdings nur dessen Name.
Zustimmung verdient auch der Ansatz zur Bestimmung der kalten Betriebskosten, mit dem der zuerst von Seiten der Anwaltschaft (mehr hier m.w.N.) und später auch dem SG Kiel sowie letztlich auch dem BSG (B 14 AS 13/12 R) geäußerten Kritik an der bisherigen Berechnung nach dem unteren Drittel nunmehr Rechnung getragen wird.
Zur Fragestellung der tatsächlichen Verfügbarkeit von Wohnraum innerhalb der abstrakten Angemessenheitsgrenzen hat der für den Regelungsbereich SGB II ehemals zuständige 11. Senat am Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht die Auffassung vertreten, zum Nachweis einer konkreten Unterkunftsalternative („konkrete Angemessenheit“) durch die Jobcenter sei es hinreichend, wenn zu Beginn des ersten Monats der Kostenabsenkung Wohnraum in „ausreichender Zahl“ vorhanden sei, wobei der 11. Senat ohne erkennbare Begründung 10 innerhalb der jeweiligen Mietobergrenze anzumietende Wohnungen für ausreichend erachtet hat (Urteil vom 11.04.2011, L 11 AS 123/09 und L 11 AS 126/09). Später stellte der 11. Senat (Urteil vom 6. Dezember 2011, L 11 AS 97/10) die Rechtmäßigkeitsvoraussetzung der „tatsächlichen Verfügbarkeit“ von kostenangemessenem Ersatzwohnraum mangels in Deutschland herrschender „allgemeiner Wohnungsnot“ infrage und erwog, auf dieses Merkmal ganz zu verzichten. Vor dem Hintergrund dieser rational kaum mehr nachvollziehbaren Rechtsprechung ist der Ansatz der Stadt, durch eine fortwährende Wohnungsmarktbeobachtung sicherzustellen, dass Wohnraum innerhalb der städtischen Angemessenheitsgrenzen anmietbar ist, der weitaus vernünftigere Weg. Allerdings ist in diesem Zusammenhang von der Stadt auch zu fordern, dass sie – wie es auch der Kreis Plön getan hat – die Anzahl der Leistungsbezieher benennt, die derzeit – gegebenenfalls notgedrungen – in einer zu teuren Wohnung wohnen und aus ihren Regelsätzen zu ihrer Miete hinzuzahlen müssen. Nur wenn diese Zahlen bekannt sind, lässt sich sagen, ob in Kiel tatsächlich genügend Wohnraum innerhalb der Mietobergrenzen für alle Bezieher von Transferleistungen verfügbar ist.
Das von der Stadt Kiel avisierte Verfahren, das neue Konzept zur Berechnung der Kieler Mietobergrenzen vor einer Beschlussfassung durch die Ratsversammlung erst dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht vorzulegen, ist richtig (mehr hier), genauso wie der Verzicht auf den Erlass einer Satzung nach § 22 a SGB II (dazu grundsätzlich hier), welche die materielle Frage nach der zutreffenden Bestimmung der angemessenen Höhe der Kieler Mietobergrenzen nicht beantwortet, dafür aber zahlreiche neue rechtliche Fragen aufgeworfen hätte.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Mietobergrenzen-Moratorium
Veröffentlicht: 13. November 2013 Abgelegt unter: Jobcenter Kiel, Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: Mietobergrenzen Jobcenter Kiel 6 Kommentare
In aktuellen Mietobergrenzenverfahren, in denen eine zu hohe Miete erstmals auf die derzeit maßgebliche Mietobergrenze abgesenkt werden soll, setzt das Jobcenter Kiel seit kurzem die Mietsenkungsverfahren aus, soweit die Überschreitung nicht zu hoch ist. Grund hierfür sind die Bemühungen der Stadt Kiel, im Arbeitskreis Mietobergrenzen eine gerichtsfeste Neubestimmung der Kieler Mietobergrenzen vorzunehmen. Mit einer Vorstellung der Ergebnisse im Sozialausschuss der Landeshauptstadt Kiel ist voraussichtlich im Februar 2014 zu rechnen. Die Mietobergrenzen dürften moderat angehoben werden.
Betroffenen, die derzeit aufgefordert sind, ihre Miete zu senken, aber noch keine neue Wohnung innerhalb der derzeit für sie gültigen Mietobergrenze finden konnten, ist zu raten, das Jobcenter Kiel um Aussetzung des Mietobergrenzenverfahrens zu bitten. Da das Jobcenter Kiel eine Überschreitung der maßgeblichen Mietobergrenzen von bis zu 10 % grundsätzlich toleriert, ohne ein Mietobergrenzenverfahren einzuleiten, dürfte ein Aussetzungsantrag bei einer Überschreitung der jeweiligen Mietobergrenze in Höhe von 10 % bis 20 % aller Wahrscheinlichkeit nach Aussicht auf Erfolg haben.
Der Stadt Kiel ist dringend zu raten, ihre neuen Berechnungen in einem der „MOG-Musterverfahren“ dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht zur Prüfung vorzulegen und die neuen Obergrenzen erst nach einem positiven Votum des Landessozialgerichts der Kieler Ratsversammlung zur Beschlussfassung zu übergeben. Jedes andere Vorgehen birgt die Gefahr, dass auch die neuen Berechnungen den Anforderungen, welche die Gerichte an ein sog. „schlüssiges Konzept“ anlegen, erneut nicht genügen könnten. Dies gilt es im Interesse einer pressant herzustellenden Rechtssicherheit zu vermeiden.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Bei langer Arbeitslosigkeit Anspruch auf Weiterbildung
Veröffentlicht: 1. November 2013 Abgelegt unter: Eingliederungsleistungen | Tags: ALG II Leistungen zur Eingliederung nach § 16 SGB II, Hartz IV Förderung beruflicher Weiterbildung, Hartz IV Leistungen zur Eingliederung 6 KommentareNach Zeiten lang andauernder Arbeitslosigkeit kann eine Aktualisierung sukzessiv entwerteter Berufsqualifikationen im Einzelfall nur noch durch die Finanzierung spezifischer Zusatzausbildungen durch das Jobcenter erfolgen.
Der Kläger, ein studierter Sozialpädagoge, hatte sich rund vier Jahre erfolglos um eine Beschäftigung in seinem erlernten Beruf bemüht. Weil in vielen Stellenanzeigen Bewerber mit einer sozial-psychiatrischen Zusatzausbildung gesucht wurden, beantragte er beim Jobcenter Kiel eine entsprechende Weiterbildung durch Ausgabe eines Bildungsgutscheins. Dies lehnte das Jobcenter mit der Begründung ab, der Kläger habe keine feste Einstellungszusage eines Arbeitgebers vorlegen können und man sei auch – entgegen allen vorgelegten fachkundlichen Stellungnahmen – nicht davon überzeugt, dass der Erwerb von Zusatzqualifikationen die Berufschancen des Klägers steigere.
Rechtswidrig, entschied das Sozialgericht Schleswig vier Jahre später – und verurteilte die Behörde unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts dazu, neu über den Antrag des Klägers zu entscheiden. Initiativbewerbungsverlangen seien im Fall des Klägers nicht zielführend, da er sich bereits bei allen in Frage kommenden Arbeitgebern beworben habe. Nur mit einer Zusatzausbildung könne der Kläger in Marktnischen vordringen sowie im Rahmen von mit der Zusatzausbildung verbundenen Praktika aktualisierte Kontakte zu möglichen Arbeitgebern aufbauen. Da diese zentralen Ermessensgesichtspunkte von dem beklagten Jobcenter nicht hinreichend gewürdigt worden seien, stelle sich die Ablehnung als rechtswidrig dar.
(SG Schleswig, Urteil vom 22.3.2013, S 9 AS 1059/09)
Erstveröffentlichung in HEMPELS 10/2013
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Jobcenter klagen vorenthaltenes Arbeitsentgelt ein
Veröffentlicht: 30. Oktober 2013 Abgelegt unter: Dumpinglöhne, Sonstiges | Tags: Jobcenter gegen Minilöhne, Jobcenter klagen gegen sittenwidrige Niedriglöhne, Jobcenter klagt erfolgreich gegen Lohndumping 5 KommentareKlagen der Jobcenter Oberspreewald-Lausitz und Elbe-Elster beschäftigen derzeit das Arbeitgericht Cottbus. Es geht um sittenwidrige Löhne. Die Jobcenter machen Arbeitsentgelt der Arbeitnehmer nach § 115 SGB X aus übergegangenem Recht geltend. Die Arbeitnehmer hatten neben ihrem geringen Entgelt Sozialleistungen bezogen. Das Arbeitsgericht hat zu entscheiden, ob das Arbeitsentgelt so gering war, dass von einem sittenwidrigen Lohn gesprochen werden muss und die Jobcenter daher den Arbeitgeber „subventionierten“.
Von einer sittenwidrigen Vergütung wird im Allgemeinen gesprochen, wenn das gezahlte Entgelt nicht einmal 2/3 der üblichen tariflichen Vergütung erreicht. Das Vorenthalten von Arbeitsentgelt ist gemäß § 266a StGB strafbar. Die Staatsanwaltschaft Cottbus wurde daher vom Arbeitsgericht über die anhängigen Klagen informiert.
In 3 Fällen ist ein öffentlicher Arbeitgeber, das Amt Plessa, betroffen. Dort soll ein kalkulatorischer Stundenlohn von 1,92 € gezahlt worden sein, so das Jobcenter Elbe-Elster. Dies entspräche gerade einmal 22,3 % der geringsten tariflichen Vergütung. Die betroffenen Arbeitnehmer waren im Jahr 2012 befristet für die anfallenden Pflege- und Erhaltungsarbeiten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in der Gemeinde Hohenleipisch für 3 Tage in der Woche mit je 4 Stunden angestellt.
Auch das Arbeitsgericht Eberswalde hatte bereits die auffallend niedrigen Löhne von 1,59 €, 1,65 € und 2,72 € eines uckermärkischen Pizza-Lieferservice für sittenwidrig erklärt. Damit war eine Klage des Jobcenters Uckermark erfolgreich. Der Arbeitgeber wurde verurteilt, rund 11.000 Euro Aufstockungsleistungen an das Jobcenter zurückzuzahlen (2 Ca 428/13, Kurzmitteilung).
Quellen:
Pressemitteilung des Arbeitsgerichts Cottbus vom 06.09.2013
Badische Zeitung: Jobcenter gegen Minilöhne
Berliner Morgenpost: 165 Euro Monatslohn – Jobcenter verklagt Firma im Spreewald
rbb-online: Jobcenter klagt erfolgreich gegen Lohndumping
Süddeutsche.de: Jobcenter klagen gegen sittenwidrige Niedriglöhne
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
50plus Kernig doch nicht so erfolgreich?
Veröffentlicht: 24. Oktober 2013 Abgelegt unter: 50PlusKERNig Kiel 3 Kommentare
Noch vor rund eineinhalb Jahren hatten die Jobcenter Kiel, Neumünster und Rendsburg-Eckernförde ambitionierte Ziele: In dem Gemeinschaftsprojekt 50plus KERNig sollten 3.200 Kunden über 50 betreut werden, von denen 1.100 im Jahr erfolgreich in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vermittelt werden sollten. Seit dem offiziellen Start des Projekts im März 2011 sollten im Dezember 2011 angeblich bereits 800 Bewerber über 50 durch die Mitarbeiter des Projekts in Arbeit gebracht worden sein. In den Kieler Nachrichten vom 10.12.2011 fragte Jürgen Küppers seinerzeit mit vernehmlichem Erstaunen “Wo sind denn die vielen Jobs?” So recht glauben mochte die Zahlen schon damals niemand (zur Kritik mehr hier).
In der Sitzung des Jobcenter-Beirats vom 29.05.2013 teilte der Geschäftsführer des Jobcenters Kiel nun mit:
“Das Projekt 50+Kernig stellt sich zunehmend als problematisch dar, da es sich meist um Langzeitarbeitslose handelt, die nicht von der Arbeitsmarktentwicklung profitieren.“
Wenn man diesen Satz liest, reibt man sich schon die Augen. Als langzeitarbeitslos gilt, wer ein Jahr oder länger arbeitslos ist, § 18 Abs. 1 SGB III. Die Voraussetzungen erfüllt der ganz überwiegende Teil der Bezieher von Leistungen nach dem SGB II. Was also haben die Projektverantwortlichen erwartet? Das Projekt 50+Kernig stellt sich schlicht deswegen als “problematisch” dar, weil die Ansprechpartner zentral in Kiel und nicht “vor Ort” sitzen (also da, wo die potentiellen Arbeitgeber sitzen könnten), die meist neuen Mitarbeiter schlecht geschult waren, ihre Kunden nicht kannten, die erforderlichen Unterlagen nicht hatten und schlicht keine Beratungs- und Vermittlungsleistungen anbieten konnten, die nicht auch die “ganz normale” Integrationsfachkraft im Angebot hatte. Kurzum: Es war Verschwendung von Steuergeldern. Nicht mehr, aber leider auch nicht weniger.
Mehr zum Thema auf dieser Seite:
50plus KERNig: 800 neue Jobs oder nur 800 neue Arbeitsverträge für die Statistik?
Umfrage: “50Plus KERNig” aus der Sicht von Teilnehmern!
Förderrichtlinie für Teilnehmer am Projekt 50plus KERNig!
Ältere haben schlechte Jobchancen
Ältere Arbeitslose am Markt fast chancenlos
BT-Drucksache 17/13298 – Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Thema Schlussfolgerungen aus der Evaluation der zweiten Programmphase des Bundesprogramms „Perspektive 50plus – Beschäftigungspakte in den Regionen“
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Kreis Plön will Mietobergrenzen neu regeln
Veröffentlicht: 21. Oktober 2013 Abgelegt unter: Jobcenter Plön | Tags: Kosten der Unterkunft Kreis Plön, Mietobergrenzen Kreis Plön 8 Kommentare
Mangels rechtskonform bestimmter Mietobergrenzen legen die Sozialgerichte für den Kreis Plön seit geraumer Zeit die Werte der Wohngeldtabelle zuzüglich eines „Sicherheitszuschlages“ von 10 % zugrunde. Um wieder zu rechtssicheren Mietobergrenzen zu kommen, hat die Verwaltung des Kreises Plön Ende 2012 die Firma Analyse & Konzepte mit der Durchführung einer Mietwerterhebung, die diese Anforderungen erfüllen soll, beauftragt. Inzwischen hat Analyse & Konzepte ihre Arbeiten abgeschlossen. Die Ergebnisse werden am 23.10.2013 dem Ausschuss für Gleichstellung, Gesundheit und Soziales zur Kenntnisnahme vorgelegt. In Plön wurde bisher bei 17 % der Bedarfsgemeinschaften die Miete nicht in voller Höhe anerkannt, in Ascheberg sogar bei 30 % der Bedarfsgemeinschaften.
Präsentation der wesentlichen Ergebnisse der Mietwerterhebung Kreis Plön 2013
Mehr zum Thema auf dieser Seite:
Mietobergrenzen des Jobcenters Plön nach wie vor rechtswidrig
Mietobergrenzen: 10 % Sicherheitszuschlag auch bei den Tabellenwerten zu § 12 WoGG
Zu Analyse & Konzepte:
Kritik am KdU-Gutachten der „Analyse & Konzepte“ 2013 für Göttingen
Angebliches schlüssiges Konzept nach BSG und wie man dies widerlegen kann
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
ALG II für Schüler bei BAföG-Ausschluss
Veröffentlicht: 10. Oktober 2013 Abgelegt unter: Leistungen für Auszubildende | Tags: ALG II für Schüler, ALG II statt BAföG, § 2 Abs. 1a BAföG, § 2 Abs. 1a Nr. 1 BAföG, § 7 Abs. 5 SGB II, § 7 Abs. 6 Nr. 1 SGB II, Hartz IV statt BAföG, Schleswig-Holsteinisches LSG Beschluss vom 17.10.2013 L 6 AS 185/13 B ER, SG Kiel Beschluss vom 10.10.2013 S 30 AS 337/13 ER Ein KommentarGrundsätzlich erhalten Auszubildende, deren Ausbildung u.a. im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) dem Grunde nach förderungsfähig ist, kein ALG II, § 7 Abs. 5 SGB II. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz regelt u.a. § 7 Abs. 6 Nr. 1 SGB II: ALG II ist zu gewähren, wenn der BAföG-Anspruch nach § 2 Abs. 1a BAföG ausgeschlossen ist. Letzteres ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 2 Abs. 1a Nr. 1 BAföG der Fall, wenn der Schüler entweder bei seinen Eltern wohnt oder zwar nicht bei seinen Eltern wohnt, aber von der Wohnung der Eltern aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte erreichbar wäre. Wird Schüler-BAföG mit der Begründung abgelehnt, der nicht bei seinen Eltern lebende Schüler könne, würde er bei seinen Eltern leben, von dort aus einen gleichwertige Ausbildungsstätte erreichen, so kann der Schüler anstatt Schüler-BAföG ALG II beantragen. Gründe, die Vorschrift gegen ihren Wortlaut restriktiv auszulegen, sind nicht erkennbar. Hierzu hat das SG Kiel, Beschluss vom 10.10.2013, S 30 AS 337/13 ER, ausgeführt:
„Der Kammer sind nach einer summarischen Prüfung keine Gründe dafür ersichtlich, die Vorschrift des 7 Abs. 6 Nr. 1 SGB II gegen ihren Wortlaut – etwa nach Sinn und Zweck der Regelung – auszulegen und für das Eingreifen der Rückausnahme das engere Tatbestandsmerkmal des Lebens im elterlichen Haushalt einzuführen. Vielmehr führt das Vorliegen der Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a BAföG und damit der Leistungsausschluss nach dem BAföG zur Anwendung der Rückausnahme nach 7 Abs. 6 SGB II (mit weiteren Nachweisen: SG Kassel, Beschluss vom 08.0[5].2009, S 6 AS 75/09 ER, Rdnr. 46, zitiert nach juris; ebenso: Thie, LPK-SGB II, 5. Auflage, § 7, Rdnr. 116; ausdrücklich offen gelassene LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24.01.2008, L 26 B 60/08 AS ER, L 26 B 61/08 AS PKH, Rdnr. 7, zitiert nach juris). Insbesondere greift das Argument, dass durch Leistungen der Grundsicherung nicht eine Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene, sichergestellt werden dürfe, in dieser Konstellation nicht durch. Die Bestimmungen des BAföG werden hier gerade nicht zweckwidrig unterlaufen, sondern die Leistungsgewährung im Sinne des Gesetzgebers im Falle des 2 Abs. 1a BAföG nach § 7 Abs. 6 SGB II auf den Grundsicherungsträger übertragen. Nach dem SGB II gibt es auch keinen Grundsatz, dass Leistungen an erwerbsfähige Leistungsberechtigte nicht zu zahlen sind, wenn sie bereits längere Zeit vor Antragstellung – hier aus nachvollziehbaren sozialen Gründen – einen eigenen Haushalt begründet haben. Auch ein Wertungswiderspruch zwischen der Regelung des § 7 Abs. 6 SGB II und weiteren Regelungen des SGB II ist aus diesem Grunde nicht ersichtlich. Nach alledem sind der Kammer keine Gründe für eine einschränkende Auslegung gegen den Gesetzeswortlaut ersichtlich.“
Das Jobcenter Plön hat gegen den Beschluss des SG Kiel Beschwerde beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingelegt, welcher mit hiesigem Schriftsatz vom 15.10.2013 entgegen getreten wurde. Mit Beschluss vom 17.10.2013, L 6 AS 185/13 B ER, hat das SH LSG die Beschwerde des Jobcenters Plön zurückgewiesen und ergänzend nachfolgende Hinweise gegeben:
„Das Bundessozialgericht hat bereits im Jahr 2009 geklärt, dass ein Auszubildender, der nicht bei seinen Eltern wohnt, nicht aus diesem Grunde von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen ist (BSG, Urteil vom 21. Dezember 2009 – B 14 AS 61/08 R, zitiert nach juris Rn.13 ff.). Es ist zwar zutreffend, dass der Personenkreis, dem der Antragstellers angehört, nach der gesetzgeberischen Wertung im BAföG von Leistungen zur Ausbildungsförderung ausgeschlossen werden soll, wenn er nicht bei seinen Eltern wohnt, obwohl er von der Wohnung seiner Eltern aus eine entsprechende zumutbare Ausbildungsstätte erreichen könnte. Dies führt jedoch – zumal entgegen dem Wortlaut des Gesetzes – nicht zu einem vergleichbaren Leistungsausschluss im Grundsicherungsrecht, zumal im SGB II jedenfalls seit dem 1. April 2006 auch spezifische Regelungen geschaffen worden sind, die denkbare finanzielle Anreize für junge Hilfebedürftige, während eines Schulbesuchs aus dem Haushalt der Eltern auszuziehen, beseitigt haben. Dazu gehören die Leistungsabsenkungen sowohl bei den Regelbedarfen als auch bei den Kosten der Unterkunft. Im vorliegenden Verfahren bestehen allerdings keine Anhaltspunkte für eine solche Leistungskürzung, da der Antragsteller gemäß der Bescheinigung des Jugend- und Sozialdienstes des Kreises ____________ im Alter von 16 Jahren völlig unabhängig von der vorliegenden Ausbildung Mitte 2007 u.a. wegen des Entzugs des Sorgerechts für die Mutter in eine Pflegefamilie gegeben worden ist. Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Amt für Ausbildungsförderung insbesondere im Widerspruchsbescheid vom 9. September 2013 zur Versagung von Leistungen nach dem BAföG auf die besondere soziale Situation des Antragstellers hingewiesen hat, die im Förderungssystem des BAföG nicht berücksichtigt werden könne. Allerdings hätten die Jobcenter im Rahmen des SGB II die Möglichkeit, soziale Gesichtspunkte – wie sie vorliegend durch den Jugend- und Sozialdienst des Kreises ___________ bestätigt worden seien – bei der Gewährung von Leistungen zu berücksichtigen, weshalb sich der Antragsteller mit dem zuständigen Jobcenter in Verbindung setzen solle. Hintergrund der – auch nach Auffassung des Senats zutreffenden – Ausführungen des Amtes für Ausbildungsförderung ist, dass die in § 2 Abs. 1a Satz 2 BAföG vorgesehene Rechtsverordnung der Bundesregierung über die Gewährung von Ausbildungsförderung auch in den Fällen, in denen die Verweisung des Auszubildenden auf die Wohnung der Eltern aus schwerwiegenden sozialen Gründen unzumutbar ist, nach wie vor nicht verabschiedet ist und daher allein die räumliche Entfernung zwischen Wohn- und Ausbildungsort als Entscheidungsgrundlage nach dem BAföG dienen kann (vgl. etwa Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. März 2013 – 12 A 2601/11, zitiert nach juris Rn. 32 f.).
Auch dieser Gesichtspunkt spricht für eine Leistungsberechtigung des Antragstellers nach dem SGB II durch das System der Grundsicherung, das, anders als das BAföG mit seinen insgesamt pauschalierten und nicht durchgehend bedarfsdeckenden Leistungen, die konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen hat (vgl. such BSG, a.a.0., Rn. 19).
Da die Beschwerde in der Sache zurückzuweisen ist, kann offenbleiben, ob durch die zwischenzeitliche Bewilligung von vorläufigen Leistungen mit Bescheid des Antraggegners vom 15. Oktober 2013 auf der Grundlage von § 43 Abs.1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) ohne Hinweis auf das vorliegende Eilverfahren nicht ein eigenständiger Rechtsgrund für den Leistungsanspruch des Antragstellers geschaffen worden ist, der das Rechtsschutzbedürfnis des Antragsgegners für die Beschwerde entfallen lässt.“
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Grundsicherung muss Eigenanteil der Zahnbehandlung übernehmen
Veröffentlicht: 10. Oktober 2013 Abgelegt unter: Krankenversicherung | Tags: Grundsicherung Eigenanteil der Zahnbehandlung, SG Itzehoe Urteil vom 19.12.2012 S 15 SO 123/11 Ein KommentarDas Sozialgericht Itzehoe hat den Kreis Pinneberg verurteilt, einem Bezieher von Leistungen der Grundsicherung im Alter die Kosten für seinen Eigenanteil zur Zahnbehandlung zu zahlen.
Der 76jährige Kläger ist bei der Central Krankenversicherung im Standard-Tarif privat krankenversichert. Die Kosten eines erforderlich gewordenen Zahnersatzes waren im Tarif der Central nicht im vollen Umfange erstattungsfähig, so dass der spätere Kläger bei dem Grundsicherungsträger die Übernahme seines Eigenanteils beantragte. Der Kreis Pinneberg lehnte dies ab.
Rechtswidrig, entschied das Sozialgericht Itzehoe, denn der privat versicherte Kläger habe einen Anspruch auf zahnärztliche Behandlung im Umfang des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Da der Kläger einen Zahnersatz gewählt habe, dessen Kosten die GKV vollständig hätte übernehmen müssen, waren die unzureichenden Leistungen der privaten Krankenversicherung (PKV) vom Grundsicherungsträger auf die Höhe der GKV-Leistungen aufzustocken. Andernfalls, so argumentierte das Gericht, könne nämlich keine Gleichbehandlung bei der Befriedigung der Bedarfe zwischen behandlungsbedürftigen Grundsicherungsempfängern, die in der GKV versichert sind, und denjenigen, die in der PKV krankenversichert sind, hergestellt werden.
(SG Itzehoe, Urteil vom 19.12.2012, S 15 SO 123/11)
Erstveröffentlichung in HEMPELS 09/2013
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Prämienzahlungen für hohe Sanktionierungsquoten
Veröffentlicht: 25. September 2013 Abgelegt unter: Sanktionen 8 KommentareDie Berliner Zeitung berichtete schon am 10.09.2013, dass die Geschäftsführer von Jobcentern Prämienzahlungen von bis zu 4.000 € im Jahr für besonders hohe Sanktionierungsquoten erhalten. Der Bericht findet sich hier, ein weiterer hier.
Krankenkassen erlassen Beitragsschulden – Antragsfrist 31.12.2013!
Veröffentlicht: 21. September 2013 Abgelegt unter: Krankenversicherung, Schulden | Tags: Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung, Gesetzliche Krankenversicherung Säumniszuschläge Säumniszuschlag, GKV Säumniszuschläge Säumniszuschlag, Krankenkasse Erlass Beitragsschulden, Krankenversicherung Erlass Beitragsschulden, PKV Notfalltarif, Private Krankenversicherung Notfalltarif 5 KommentareDas „Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung“ trat am 1. August 2013 in Kraft. Durch das Gesetz werden Versicherten in bestimmten Fällen die Beitragsschulden erlassen. In der gesetzlichen Krankenversicherung werden die Säumniszuschläge von 5 Prozent auf 1 Prozent reduziert. In der privaten Krankenversicherung wird ein Notlagentarif für säumige Beitragszahler eingeführt. Den Rest des Beitrags lesen »
Stadt Kiel lässt Mietobergrenzen neu berechnen
Veröffentlicht: 19. September 2013 Abgelegt unter: Mietobergrenzen, Ratsversammlung Stadt Kiel 6 Kommentare
Auf Antrag der Ratsfraktion DIE LINKE teilte Stadtrat Möller in der heutigen Ratsversammlung mit, dass das Institut F+B Forschung und Beratung GmbH, das seit dem Jahre 2008 auch den Kieler Mietspiegel erstellt, mit der Erarbeitung eines sog. „schlüssigen Konzeptes“ zur gerichtsfesten Bestimmung der Kieler Mietobergrenzen beauftragt worden ist. Das Konzept wird nach seiner Erstellung im Sozialausschuss der Landeshauptstadt Kiel vorgestellt werden.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Eigenbeteiligung an den Schülerbeförderungskosten nur 5 €
Veröffentlicht: 17. September 2013 Abgelegt unter: Bildungs- und Teilhabepaket | Tags: Eigenbeitrag Monatskarte, Eigenbeitrag Schülerbeförderung, Eigenbeitrag Schülerbeförderungskosten, Eigenbeteiligung Kosten der Schülerbeförderung, Eigenbeteiligung Monatskarte, Eigenbeteiligung Schülerbeförderung, Eigenbeteiligung Schülerbeförderungskosten, SG Kiel Urteil vom 06.08.2013 S 30 AS 1532/11 2 KommentareDer zuständige Leistungsträger (zu den Zuständigkeiten in Kiel mehr hier) übernimmt unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten für Schülermonatsfahrkarten. Weil man diese nicht nur für den Schulweg, sondern auch für andere Fahrten etwa in der Freizeit nutzen kann, wurde von vielen Leistungsträgern ein „zumutbarer Eigenanteil“ angerechnet. In Kiel betrug dieser für Schüler bis 17 Jahren 10 € und ab 18 Jahren 15 € monatlich (vgl. die Arbeitshinweise der Stadt Kiel). Ab 01.08.2013 werden bundesweit einheitlich pauschal 5 € angerechnet (§ 28 Abs. 4 Satz 2 SGB II n.F.). Im begründeten Einzelfall kann ein anderer Betrag festgesetzt werden.
Für den Zeitraum vor dem 01.08.2013 hat die 30. Kammer am SG Kiel mit Urteil vom 06.08.2013, S 30 AS 1532/11 entschieden, dass der von der Stadt Kiel je nach Alter des Schülers auf 10 € bzw. 15 € festgesetzte Eigenbeitrag zu hoch bemessen war und eine Kostenbeteiligung von lediglich 5 € für rechtmäßig erachtet. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt:
„Nach einer Wortlautauslegung und auch nach einer Auslegung nach Sinn und Zweck der Regelung des § 28 Abs. 4 SGB II ist davon auszugehen, dass die Berücksichtigung einer Eigenbeteiligung der Leistungsberechtigten an sich nicht zu beanstanden ist. § 28 Abs. 4 SGB II formuliert, dass ein Anspruch besteht, soweit es der leistungsberechtigten Person nicht zugemutet werden kann, die Aufwendungen aus dem Regelbedarf zu bestreiten. Dass der Gesetzgeber diese Formulierung wählte, spricht dagegen, dass er eine Regelung dergestalt treffen wollte, dass Rechtsfolge nur entweder die volle Übernahme der Beförderungskosten oder gar keine Übernahme der Beförderungskosten sein könne. Für den Fall, dass entweder gar kein Anspruch bestehe oder nur eine Übernahme der kompletten Beförderungskosten hätte erfolgen sollen, hätte er nicht die Formulierung „soweit“ sondern eine Bedingungsformulierung wie „falls“ oder „wenn“ wählen können. Die Formulierung „soweit“ ermöglicht zumindest nach dem Wortlaut auch eine anteilige Kostenbeteiligung des Leistungsberechtigten Diese Auslegung der Norm wird durch die Novellierung der Regelung § 28 Abs. 4 SGB II mit Gültigkeit ab dem 01.08.2013 gestützt. Ab dem 01.08.2013 ist der Regelung des § 28 Abs. 4 SGB II ein Satz 2 eingefügt. Dieser wird lauten, dass als zumutbare Eigenleistungen in der Regel ein Betrag in Höhe von 5,00 EUR monatlich anzusetzen ist. Ohne Umformulierung der Norm im Übrigen wird also eine zumutbare Eigenleistung der Höhe nach bestimmt. Der Gesetzgeber unterstreicht durch die Änderung, dass die Regelung des § 28 Abs. 4 SGB II (ab dem 01.08.2013: § 28 Abs. 4 Satz 1 SGB II) auch einen Anspruch auf eine partielle Kostenübernahme unter Berücksichtigung einer Eigenbeteiligung regelt.
Eine Auslegung nach Sinn und Zweck der Leistungen nach § 28 Abs. 4 SGB II in Relation zu dem Regelbedarf nach § 20 SGB II ermöglicht ebenfalls eine Anrechnung. Unstreitig profitiert ein Leistungsberechtigter auch über den Schulweg hinaus davon, wenn er ein Monatsticket erhält, mit dem er auch zu anderen Zeiten und zu anderen Zwecken innerhalb eines bestimmten Bezirkes mobil ist. Insofern gibt es eine partielle Doppeldeckung des Bedarfes an Mobilität. Unstreitig finden sich die Kosten für die Mobilität im Übrigen in dem Regelbedarf wieder. Nach § 20 Abs. 5 SGB II i.V.m. § 6 Abs. 1, Nr. 3 (Jugendliche vom Beginn des 15. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres) Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch sind im Jahr 2011 in der Abteilung 7 (Verkehr) Kosten in Höhe von monatlich 12,62 EUR regelbedarfsrelevant. Die Kammer hatte nunmehr zu klären, in welcher Höhe eine Eigenbeteiligung angemessen ,ist, um auf der einen Seite eine partielle Doppeldeckung des Bedarfes an Mobilität zu vermeiden, und auf der anderen Seite der Pauschalierung des Systems des Regelbedarfes gerecht zu werden. Anknüpfungspunkt für die Festlegung der Höhe der Eigenbeteiligung ist der unbestimmte Rechtsbegriff der „Zumutbarkeit“, der in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Ein Betrag in Höhe von monatlich 10,00 EUR ist bei einem Regelbetragsanteil von monatlich 12,62 EUR zu hoch bemessen sein. Dies folgt insbesondere aus dem Gesichtspunkt, dass das System der Pauschalierung des Regelbedarfes den Leistungsberechtigten eine Dispositionsmöglichkeit einräumt. Es muss sichergestellt werden, dass Leistungsberechtigte nicht nahezu gänzlich ihrer Dispositionsbefugnis enthoben werden. Dies ist bei einer Eigenbeteiligung in Höhe von monatlich 10,00 EUR jedoch der Fall. Mit monatlich 2,62 EUR verbliebe den Kläger ein zu geringer Betrag für alle Verkehrsausgaben jenseits von Busfahrten im Stadtgebiet Kiel — wie zum Beispiel Kosten für Fernfahrten oder aber auch Kosten für das Vorhalten eines Fahrrades — um noch von einer Dispositionsmöglichkeit sprechen zu können. Insofern war der Betrag der Eigenbeteiligung niedriger festzusetzen. Zur genauen Bestimmung der Hohe hielt es die Kammer für angezeigt, auf die gesetzgeberische Entscheidung, die mit Wirkung ab dem 01.08.2013 in Kraft tritt, abzustellen. Ab dem 01.08.2013 ist der Regelung des § 28 Abs. 4 SGB II ein Satz 2 eingefügt. Dieser wird lauten, dass als zumutbare Eigenleistungen in der Regel ein Betrag in Höhe von 5,00 EUR monatlich anzusetzen ist. Im Gesetzesentwurf des Bundesrates ist zur Begründung ausgeführt:
In der Praxis erweist sich der Verwaltungsaufwand für die Ermittlung des von den Schülerinnen und Schülern zumutbar zu tragenden Eigenanteils an der Schülerbeförderung als außergewöhnlich kompliziert. Ausgangspunkt für die Ermittlung der Höhe der Eigenbeteiligung sind die Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 nach § 28 SGB XII (EVS 2008), dort die regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben nach der Abteilung 7 (Verkehr). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die korrespondierenden Anteile der Regelleistung auch die Mobilitätsbedarfe befriedigen sollen, die neben den Aufwendungen für den Weg zur Schule bestehen (persönliche Kontakte, Besuche von Angehörigen, Wahrnehmung von Freizeitangeboten). Die Schwierigkeit bei der Ermittlung des zumutbaren Eigenanteils bei der Schülerbeförderung nach § 28 Absatz 4 SGB II liegt darin, dass zum einen zu berücksichtigen ist, ob nur die Kosten für die Schülerbeförderung entstehen oder das Angebot des Personennahverkehrs nur eine Fahrkarte vorsieht, die auch für andere Zwecke verwendet werden kann. Im zweitgenannten Fall kommt es weiter darauf an, wie weit das dadurch erschlossene Mobilitätsfeld reicht. Neben diesen objektiven Gegebenheiten kommt aber auch noch die subjektive Bedarfslage zum Tragen, nämlich die Frage, in welchem Umfang die Leistungsberechtigten davon nicht abgedeckte Mobilitätsbedarfe haben. Da es an normativen Vorgaben fehlt und auch die EVS 2008 hier nicht weiter hilft, ist es ein Gebot der verwaltungspraktischen Handhabbarkeit, für den Regelfall einen Wert ansetzen zu können, der eine gleichmäßige Handhabung sichert und dem Kriterium der Zumutbarkeit in angemessenem, aber auch ausreichendem Maße Rechnung trägt. Aus der Erfahrung der Verwaltungspraxis der kommunalen Träger ergibt sich dabei ein Durchschnittswert von 5 Euro monatlich, der regelmäßig als zumutbar gelten kann und bei der Rechtsanwendung zu Grunde zu legen ist. Dem Gesichtspunkt besonderer örtlicher oder persönlicher Verhältnisse wird dadurch Rechnung getragen, dass in Fallen, die von der Regel abweichen, eine andere Festsetzung des Eigenanteils möglich.“ (BT-Drs. 17/12036, S. 7 f)
Der Betrag in Höhe von 5,00 EUR monatlich ist im Einzelfall des Klägers zumutbar. Dem Kläger ist durch den Erwerb der Monatskarte der Preisstufe II eine Mobilität praktisch im gesamten Stadtgebiet der Landeshauptstadt Kiel ermöglicht. Besonderheiten im Mobilitätsbedarf zeigten sich im Fall des Klägers nicht. Der Betrag ist Hohe von monatlich 5,00 EUR ist daher angemessen, um auf der einen Seite die durch das Monatsticket entstehende Mobilität des Klägers über die Schülerbeförderung hinaus zu berücksichtigen und auf der anderen Seite eine gewisse Dispositionsbefugnis, die das System des pauschalierten Regelbedarfes gewähren soll, zu erhalten.“
Hinweise für Betroffene
Eltern, deren Kinder bis zum 01.08.2013 10 € bzw. 15 € monatlich zu den Schülerbeförderungskosten zuzahlen mussten, können noch bis zum 31.12.2013 eine Überprüfungsantrag für den Zeitraum 01.01.2012 bis 31.07.2013 stellen und für diesen Zeitraum von 19 Monaten eine Nachzahlung von 190 € bzw. 95 € einfordern.
Anderer Ansicht:
SG Kassel, Urteil vom 03.08.2012, S 10 AS 958/11: Eine Reduzierung der erstattungsfähigen Kosten der Schülerbeförderung um einen im Regelsatz enthaltenen Teilbetrag scheidet so lange aus, bis der Gesetzgeber einen solchen konkreten Absatzbetrag festgelegt hat.
LSG Westfalen, Beschluss vom 10.10.2012, L 12 AS 172/12: Die Anrechnung der im Regelbedarf angesetzten Verbrauchsausgaben für Verkehr auf einen etwaigen Anspruch gem. § 28 Abs. 4 SGB II ist rechtmäßig.
SG Chemnitz, Urteil vom 30.03.2012, S 22 AS 5853/11: Das Gericht geht dabei nach § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. 287 der Zivilprozessordnung (ZPO) davon aus, dass bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres 50 v. H. und ab Beginn des 15. Lebensjahres 75 v.H. der nach § 6 RBEG bedarfsrelevanten Anteile der Gruppe 7 (Verkehr) als zumutbarer Eigenanteil nach § 28 Absatz 4 SGB II bei auch privat zu nutzender Monatskarte zu berücksichtigen sind.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Hausverwaltung des Kieler Grundeigentümervereins GmbH macht Kasse
Veröffentlicht: 11. September 2013 Abgelegt unter: Mietrecht 3 KommentareImmer wieder muss der Kieler Mieterverein sich mit unzulässigen Praktiken im Umfeld der Wohnungsvermittlung auseinandersetzen. So ist es eine beliebte Masche vieler Vermieter und Hausverwaltungen, sogenannte „Vertragsausfertigungsgebühren“ zu verlangen, wenn Mieter eine Wohnung anmieten. Dabei ist diese Form der Gewinnmaximierung kraft Gesetzes unzulässig.
Sie stellt nämlich einen Verstoß gegen das Wohnungsvermittlungsgesetz dar und ist deswegen nichtig. § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Gesetzes schließt derartige Gebühren aus, wenn der Mietvertrag über Wohnräume abgeschlossen wird, deren Eigentümer, Verwalter, Mieter oder Vermieter der Wohnungsvermittler ist. Das Gesetz verbietet sogar Vergütungen für Nebenleistungen wie Einschreibgebühren, Schreibgebühren oder Auslagenerstattungen. Diese Rechtslage ist durch etliche Gerichtsentscheidungen bestätigt worden (z. B. LG Hamburg 307 S 144/08 vom 05.03.2009 und AG Hamburg 23a C 286/99 vom 09.11.1999).
Jetzt ist die Hausverwaltung des Kieler Grundeigentümervereins – die gewerblich unterwegs ist – ins Visier des Mietervereins geraten. Dem Mieterverein liegt die Fotokopie eines Formulars der Hausverwaltung vor, in dem Mieter sich verpflichten sollen, in Abhängigkeit von der Größe des Objektes „Aufwendungen mit einer einmaligen Kostenpauschale“ zwischen 25 € und 250 € zu bezahlen. Bei Haus und Grund darf man voraussetzen, dass die Rechtslage bekannt ist. Und tatsächlich weiß eine betroffene Mieterin zu berichten, dass die Hausverwaltung die zu Unrecht gezahlten Gebühren sofort zurückbezahlt hat, nachdem sie anwaltlich dazu aufgefordert worden war. Deswegen bezeichnet der Mieterverein diese Form der Geldbeschaffung als besonders kritikwürdig.
Der Kieler Mieterverein fordert aus diesem Grunde die Hausverwaltung des Kieler Grundeigentümervereins auf, diese Form des Abkassierens sofort einzustellen und zu Unrecht vereinnahmte Mieterwechselgebühren freiwillig zurückzuzahlen. Betroffenen Mietern rät der Kieler Mieterverein, diese Gebühren zurückzufordern. Nach der Erfahrung des Mietervereins geschieht dies wegen der eindeutigen Rechtslage jedenfalls bei unverjährten Rückforderungsansprüchen in der Regel komplikationslos.
Verantwortlich: Jochen Kiersch, Kiel
Quelle: www.kieler-mieterverein.de
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Gierige Vermieter: Das Geschäft mit der „Mietvertragsausfertigungsgebühr“!
Höhere Regelsätze ab dem Jahr 2014
Veröffentlicht: 4. September 2013 Abgelegt unter: Regelsatz | Tags: Mehrbedarf Warmwasser 2014, Mehrbedarf Warmwasseraufbereitung 2014, Regelbedarf 2014, Regelbedarf ab 01.01.2014, Regelbedarfsstufen 2014, Regelbedarfsstufen ab 01.01.2014, Regelsätze 2014, Regelsätze ab 01.01.2014, Tabelle neue Regelbedarfsstufen 2014, Tabelle neue Regelsätze 2014, Tabelle Regelbedarfsstufen 2014, Tabelle Regelsätze 2014 6 KommentareDie Bundesregierung hat am 4. September 2013 eine Erhöhung der Regelbedarfe für Bezieher von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II (ALG II / Hartz IV) sowie für Bezieher von Leistungen der nach dem SGB XII (vor allem Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung) zum 1. Januar 2014 um 2,27 % beschlossen. Die beschlossene Rechtsverordnung bedarf noch der Zustimmung des Bundesrats.
Die Regelsätze werden jährlich überprüft und fortgeschrieben. Das ist im Gesetz über die Ermittlung von Regelbedarfen (RBEG) und § 20 Abs. 5 SGB II und § 28 SGB XII festgelegt.
Die Fortschreibung der Regelbedarfe wird aus einem Mischindex errechnet. Dieser setzt sich zu 70 Prozent aus der regelsatzrelevanten Preisentwicklung und zu 30 Prozent aus der Nettolohnentwicklung zusammen. Für 2014 liegt die Veränderung des Mischindexes für Juli 2012 bis Juni 2013 gegenüber dem Vorjahreszeitraum zugrunde.
Das Statistische Bundesamt ermittelt sowohl die Preisentwicklung regelbedarfsrelevanter Güter und Dienstleistungen wie auch die Entwicklung der Nettolöhne und -gehälter.
Nachfolgender Tabelle sind die künftigen Leistungen, die bisherigen Leistungen (zum Vergleich) sowie der Mehrbedarf für dezentrale Warmwasseraufbereitung (Strom- oder Gasboiler zur Gebrauchswarmwasseraufbereitung, mehr dazu hier) zu entnehmen:
|
Leistungen bis 31.12.2013 |
Leistungen ab 01.01.2014 |
Mehrbedarf für Warmwasser** |
|
| Regelbedarfsstufe 1 (alleinstehende oder alleinerziehende Leistungsberechtigte) |
382 € (+ 8 €)* |
391 € (+ 9 €) |
2,3 % = 8,99 € |
| Regelbedarfsstufe 2 (volljährige PartnerIn innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft) |
345 € (+ 8 €) |
353 € (+ 8 €) |
2,3 % = 8,12 € |
| Regelbedarfsstufe 3 (18 bis einschließl. 24-jährige Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft) |
306 € (+ 5 €) |
313 € (+ 7 €) |
2,3 % = 7,20 € |
| Regelbedarfsstufe 4 (Jugendliche von 14 bis einschließl. 17 Jahre) |
289 € (+ 4 €) |
296 € (+ 7 €) |
1,4 % = 4,14 €
|
| Regelbedarfsstufe 5 (Kinder von 6 bis einschließl. 13 Jahre) |
255 € (+ 4 €) |
261 € (+ 6 €) |
1,2 % = 3,13 €
|
| Regelbedarfsstufe 6 (Kinder unter 6 Jahre) |
224 € (+ 4 €) |
229 € (+ 5 €) |
0,8 % = 1,79 €
|
Quelle: Bundesregierung
* Veränderungen zum Vorjahr 2012
** Rundung nach § 41 Abs. 2 SGB II
Weitere erhöhte Mehrbedarfe und Barbeträge
Mit der Anhebung der Regelbedarfe steigen zudem die Mehrbedarfe und die Barbeträge für Bewohnerinnen und Bewohner von stationären Einrichtungen. Voll erwerbsgeminderte Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII, deren Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen „G“ enthält, erhalten einen Mehrbedarf in Höhe von 17 % ihrer Regelbedarfsstufe. Leistungsbezieher, die Eingliederungshilfe erhalten, bekommen einen Mehrbedarf in Höhe von 35 % ihrer Regelbedarfsstufe. Entsprechend den erhöhten Regelbedarfsstufen steigen auch die Mehrbedarfe für Schwangere, Alleinerziehende sowie für Kranke, die eine kostenaufwändige Ernährung benötigen (vgl. § 21 Abs. 2 bis 6 SGB II). Auch die Höhe des Barbetrags (sog. Taschengeld in stationären Einrichtungen) verändert sich ab dem 01.01.2014. Er beträgt 27 % des Regelbedarfs der Regelbedarfsstufe 1 von dann 391 €, also 105,57 €.
Weitere Infos:
Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom 04.09.2013, Drucks. 673/13
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Hartz IV: Brille als Sonderbedarf
Veröffentlicht: 1. September 2013 Abgelegt unter: Mehrbedarfe | Tags: Brille Sonderbedarf § 21 Abs. 6 SGB II, Hartz IV Brille, Hartz IV Sehschwäche, LSG NRW Urteil vom 12.06.2013 L 7 AS 138/13 B 2 KommentareNach einer Entscheidung des Landessozialgerichts NRW können die Kosten für die Anschaffung einer zum Ausgleich einer Sehschwäche erforderlichen Brille gemäß § 24 Abs. 1 SGB II grundsätzlich nur darlehensweise übernommen werden, da es sich bei den Anschaffungskosten um einen einmaligen Bedarf handelt.
Etwas anders kann jedoch dann gelten, wenn aufgrund der besonderen Sachlage – im Falle des Klägers einer chronischen Augenerkrankung, die zu einer kontinuierlichen Verschlechterung seiner Sehkraft führt – eine wiederkehrende Anpassung der Sehschärfe notwendig ist. In derart gelagerten Fällen kann es sich bei der Anschaffung einer Brille um einen regelmäßig wiederkehrenden Sonderbedarf handeln, dessen Kosten vom Grundsicherungsträger nach § 21 Abs. 6 SGB II als Zuschuss zu übernehmen sind.
Ein anspruchsbegründender laufender Bedarf liegt jedenfalls dann vor, wenn der besondere Bedarf – Anpassung der Sehschärfe – im sechsmonatigen Bewilligungsabschnitt nicht nur einmalig, sondern bei prognostischer Betrachtung voraussichtlich mehrfach auftritt.
Unter Berücksichtigung der jeweiligen Eigenart des Bedarfs kann ein laufender Bedarf aber auch angenommen werden, wenn er zwar häufiger auftritt, nicht jedoch zwingend in jedem Bewilligungsabschnitt gegeben ist, aber wegen der Höhe der damit verbundenen Aufwendungen nicht über die Darlehensregelung des § 24 Abs. 1 SGB II erfasst werden kann.
(LSG NRW, Urteil vom 12.06.2013, L 7 AS 138/13 B – rechtskräftig)
Erstveröffentlichung in HEMPELS 08/2013
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Bürgerbeauftragte ruft Hartz IV-Empfänger aus dem Kreis Stormarn zur Überprüfung ihrer SGB II-Bescheide auf
Veröffentlicht: 23. August 2013 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Landtag, Mietobergrenzen | Tags: Mietobergrenzen Kreis Storman 6 Kommentare
Kiel (SHL) Die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten Birgit Wille empfiehlt Empfängern von Grundsicherung für Arbeitsuchende (Hartz IV) und Sozialhilfe im Kreis Stormarn, ihre Bewilligungsbescheide überprüfen zu lassen, sofern ihre Kosten für die Unterkunft seit dem 01. Januar 2012 nicht vollständig durch das Jobcenter/Sozialamt übernommen wurden.
Hintergrund sind Beschlüsse des Sozialgerichts Lübeck, wonach die im Kreis Stormarn angewendeten ,,Mietrichtwerte“ nicht auf einem sog. ,,Schlüssigen Konzept“ beruhen und deshalb angezweifelt werden. Das Gericht wendet daher hilfsweise die für den Bürger durchweg günstigeren Werte der Wohngeldtabelle zuzüglich eines Sicherheitsaufschlages in Höhe von 10 % an.
Leider werden jedoch viele betroffene Bürgerinnen und Bürger über die für sie günstige Situation nicht ausreichend informiert. Das Jobcenter bzw. Sozialamt wird nach Kenntnis der Bürgerbeauftragten derzeit nur dann tätig, wenn konkrete Anträge oder Widersprüche bei den Behörden eingehen. Dieses abwartende Verhalten ist aus Sicht von Birgit Wille sehr bedauerlich und so nicht weiter hinnehmbar.
Die Bürgerbeauftragte ruft Betroffene daher auf, ihre Bescheide aktiv zu überprüfen und ihre Rechte wahrzunehmen. Sie verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Möglichkeit, beim zuständigen Leistungsträger einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X zu stellen, um so eine rückwirkende Überprüfung der berücksichtigten Wohnkosten bis zum 01. Januar 2012 zu erwirken. Der Bürgerbeauftragten sind bereits mehrere Fälle bekannt, in denen betroffenen Familien auf diesem Wege mehrere hundert Euro zurückerstattet wurden.
In einem Schreiben an Landrat Plöger hat die Bürgerbeauftragte auf diesen Missstand hingewiesen und dringliche Abhilfe gefordert.
Quelle: Schleswig-Holsteinischer Landtag, Pressemitteilung 95/2013
Bürgerbegehren: Mehr Begeisterung für Demokratie!
Veröffentlicht: 22. August 2013 Abgelegt unter: Stadt Kiel | Tags: Bürgerbegehren Möbel Kraft Kiel Hinterlasse einen KommentarAnlässlich des Starts des Bürgerbegehrens gegen die Planung zum Bau von Möbelkraft fordert die LINKE SPD, CDU und Piraten auf, mehr Begeisterung für Demokratie zu entwickeln. Ratsherr Wieser: „Seit Jahren versuchen wir‚ mehr Begeisterung für Kommunalpolitik zu wecken, und wenn BürgerInnen sich dann einbringen, schlägt ihnen die geballte Verachtung von SPD, CDU und Piratenfraktion entgegen. Selbst wenn man für den Bau von Möbel Kraft in Kiel ist, sollte man den Willen der BürgerInnen, sich aktiv in die Kommunalpolitik einzumischen, begrüßen! Die LINKE zumindest unterstützt das Bürgerbegehren und wünscht den Initiatoren viel Erfolg!“
In der aktuellen Stunde der heutigen Sitzung der Ratsversammlung zum Bürgerbegehren gegen die Planung zum Bau von Möbelkraft waren sich LINKE, FDP und Grüne einig. Unabhängig von durchaus unterschiedlichen politischen Einstellungen zum Bau von Möbel Kraft (die LINKE ist als einzige Gegner des Vorhabens) begrüßten die genannten Fraktionen das demokratische Engagement der Initiatoren und forderten auch SPD, CDU und Piratenfraktion auf, dass Bürgerbegehren ernst zu nehmen. Damit stießen sie jedoch auf taube Ohren. Die CDU bekräftigte lediglich ihr Festhalten an dem Bauvorhaben und ging auf das Bürgerbegehren überhaupt nicht ein, die Piraten lehnten das Bürgerbegehren als „Verhinderungsanliegen“ ab und Herr Dr. Traulsen führte für die SPD aus, er halte dieses Bürgerbegehren für sinnlos und fügte verächtlich an: „Die sollen mal erstmal ihr Stimmenquorum schaffen“ – erst danach sei die SPD bereit, sich den BürgerInnen in einer politischen Diskussion zu stellen.“
Florian Jansen
Bürgerbegehren gegen Möbel Kraft am 16.8.2013 gestartet (mit der Unterschriftenliste zum Download)
Kiel: Soziale Politik statt “Grüner” Politik!
Kiel Kontovers: Bürgerbegehren in Kiel und die Piraten
Keine Vollstreckung aus erstinstanzlichen Urteilen in Mietobergrenzenverfahren
Veröffentlicht: 21. August 2013 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft | Tags: Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Beschluss vom 20.12.2012 L 6 AR 39/12 AS ER 3 KommentareBekommt ein Kläger in der ersten Instanz vor dem Sozialgericht höhere Kosten für seine Unterkunft nach § 22 SGB II oder § 35 SGB XII zugesprochen und legt der Grundsicherungsträger gegen dieses Urteil Berufung zum Landessozialgericht (LSG) ein und zahlt die zugesprochenen (höheren) Leistungen vorerst nicht nach, so kann der Kläger aus dem erstinstanzlichen Urteil in der Regel nicht die Vollstreckung betreiben. Das Schleswig-Holsteinische LSG hat hierzu in seinem Beschluss vom 20.12.2012, L 6 AR 39/12 AS ER, ausgeführt:
„Zwar ist es bei der Gewährung von Grundsicherungsleistungen auch nach der Auslegung von § 154 Abs. 2 SGG im Hinblick auf existenzsichernde Leistungen (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 20. Dezember 2012 – L 6 AS 326/12 B – ), den Leistungsempfängern grundsätzlich nicht zuzumuten, mit der Vollstreckung den Abschluss des gesamten Instanzenzuges abzuwarten, vorliegend geht es jedoch um verhältnismäßig geringe Beträge hinsichtlich der kalten Betriebskosten im Rahmen der Kosten der Unterkunft, die weit überwiegend in der Vergangenheit tatsächlich angefallen und schon von der Klägerin bezahlt wurden. Es kommt hinzu, dass die Entscheidung des Sozialgerichts Kiel in Abweichung zu der bisher ständigen Rechtsprechung des 11. Senates des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts zum schlüssigen Konzept bei der Ermittlung der Unterkunftskosten in der Stadt Kiel ergangen ist und auch nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22. August 2012 (B 14 AS 13/12 R) zum Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. Dezember 2011 – L 11 AS 97/10 -, das nach wie vor nicht im Volltext vorliegt, die Kriterien für eine zutreffende Bestimmung des kalten Betriebskosten im Rahmen eines schlüssigen Konzepts der Kosten der Unterkunft bei einem qualifizierten Mietspiegel völlig offen sind. Auch im Hinblick auf die große quantitative Bedeutung der Verfahren, die von der Rechtsprechung betroffen sein könnten, ist es dem Beklagten nicht zuzumuten, die Leistungen für die Kosten der Unterkunft nach Maßgabe der Entscheidung des Sozialgerichts vorläufig zu berechnen und auszuzahlen.“
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Wohnungserstausstattung: In Kiel gibt es Möbelgutscheine statt Geld
Veröffentlicht: 18. August 2013 Abgelegt unter: Abweichende Leistungserbringung, Jobcenter Kiel | Tags: § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II, Jobcenter Kiel Möbelbörse, Kiel Möbelbörse, SG Kiel Beschluss vom 15.03.2010 S 35 AS 145/10 ER 2 KommentareEntsteht erstmals ein Bedarf an einer Wohnungsausstattung – z.B. nach Trennung oder Scheidung, Auszug aus der elterlichen Wohnung, Zuzug aus dem Ausland, nach Haftentlassung, Wohnungsbrand, Aufenthalt in einem Frauenhaus oder bei Erstanmietung von zuvor Wohnungslosen – besteht nach § 24 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II (vormals § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II) grundsätzlich ein Anspruch auf zusätzliche Leistungen für die Erstausstattung einer Wohnung.
Diese Leistungen werden als Zuschuss und nicht als Darlehen und auch für einzelne fehlende Einrichtungsgegenstände gewährt. Nach wohl überwiegender Rechtsprechung der Sozialgerichte Schleswig und Kiel kann der Zuschuss für „kleinen Hausrat“ (z.B. Geschirr, Handtücher, Haushaltsgeräte, Lampen, Gardinen usw.) mit einer Pauschale in Höhe von 250 Euro (sog. Hausratspauschale) abgegolten werden.
In Kiel kann das Jobcenter den zusätzlichen Bedarf an Möbeln („großer Hausrat“) auch durch einen Gutschein für gebrauchte Möbel bei der Möbelbörse der Stadtmission abdecken. Ein Verweis auf gebrauchte Möbel ist grundsätzlich zulässig (vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 57).
Für die Praxis bedeutet dies, dass in Kiel – anders als in vielen anderen deutschen Städten – aufgrund der nach Auffassung der Gerichte guten Ausstattung der hiesigen Möbelbörsen mit Gebrauchtmöbeln Geldleistungen für den Erwerb preisgünstiger neuer Möbel in der Regel nicht verlangt werden könne (SG Kiel, Beschluss vom 15.03.2010, S 35 AS 145/10 ER, hiesiges Az. 084/10).
Erstveröffentlichung in HEMPELS 05/2010
Anmerkungen zur Kieler Möbelbörse
Die Arbeit der Kieler Möbelbörse ist kritisch zu sehen. In der anwaltlichen Beratung wurde vielfach berichtet, dass in der Möbelbörse zwischen sog. Selbstzahlern und Kunden, die mit einem Bezugsschein eines Sozialleistungsträgers vorsprechen, unterschieden würde. So wurde etwa einem jungen Mandanten, nachdem dieser für seine sehr kleine Einzimmerwohnung ein passendes Möbelstück gefunden hatte, gesagt, das betreffende Möbelstück sei nichts für ihn, es könne nur von „Selbstzahlern“ erworben werden.
Update: Seit 01.05.2016 auch in Kiel Geldleistungen statt Sachleistungen für die Erstausstattung der Wohnung
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Bürgerbegehren gegen Möbel Kraft am 16.8.2013 gestartet
Veröffentlicht: 17. August 2013 Abgelegt unter: Stadt Kiel | Tags: Bürgerbegehren Möbel Kraft, Bürgerbegehren Möbel Kraft Kiel, Bürgerbegehren Möbelkraft, Bürgerbegehren Möbelkraft Kiel, Möbel Kraft Kiel 4 KommentareAls erstes Bürgerbegehren in der Geschichte Kiels zu einer Bauleitplanung hat am 16.8.2013 mit dem Sammeln der für das Herbeiführen eines Bürgerentscheides erforderlichen 7.797 Unterschriften begonnen. Ziel des Bürgerbegehrens ist, den geplanten Bau des Möbelmarktzentrums (MÖBEL KRAFT und Sconto) auf dem Kieler Kleingartengelände Prüner Schlag/ Brunsrade am Westring zu verhindern. Weitere Informationen gibt es hier:
http://www.buergerbegehren-kiel.de
http://ttkielblog.wordpress.com/ bzw. http://www.möbelmachtamwestring.de/
Presseerklärung Bürgerbegehren vom 17.8.2013
Unterschriftenliste Bürgerbegehren gegen MK
Hinweise zum Bürgerbegehren gegen Möbel Kraft (Flyer)
Kiel: Soziale Politik statt “Grüner” Politik!
SHZ vom 20.8.2013: Bürgerbegehren – Drei Kieler kämpfen gegen Möbel Kraft
Neues Deutschland vom 26.10.2011: Möbel-Gigant statt Armengärten
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Neumünster regelt Unterkunftskosten für Grundsicherungsbezieher neu
Veröffentlicht: 16. August 2013 Abgelegt unter: Jobcenter Neumünster, KdU-Satzung, Kosten der Unterkunft | Tags: Kosten der Unterkunft Neumünster, Mietobergrenzen Neumünster, Satzung Kosten der Unterkunft Neumünster 14 Kommentare
Als erste Kommune in Schleswig-Holstein will die Stadt Neumünster in einer kommunalen Unterkunftssatzung nach § 22a ff. SGB II regeln, bis zu welcher Höhe die Mieten von Beziehern von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II (Hartz IV) und SGB XII (vor allem Grundsicherung im Alter) zukünftig übernommen werden sollen. Je nach Haushaltsgröße steigen die Sätze für Miete, Nebenkosten und Heizkosten danach um 13 bis 29 € im Monat.
Hintergrund: Wie viele andere Kommunen und Kreise verfügte die Stadt Neumünster bisher über kein sog. schlüssiges Konzept zur Bestimmung der Mietobergrenzen im Sinne der Rechtsprechung des BSG. In der Folge legten die Gericht in Klageverfahren die weit höheren Werte der Tabelle zu § 12 WoGG zuzüglich eines Sicherheitszuschlages von 10 % zugrunde (mehr dazu hier).
Gegenüber der bisherigen Unterkunftsrichtlinie wurden die Wohnflächenzahlen um 5 qm für jede Haushaltsgröße abgesenkt: Für Einpersonenhaushalte von 50 qm auf 45 qm, für einen Zweipersonenhaushalt von 60 qm auf 55 qm usw. Der Absenkung der anzuerkennenden Quadratmeterzahlen steht eine Anhebung der maximal anzuerkennenden Bruttowarmmiete pro Quadratmeter gegenüber, so dass es insgesamt zu geringfügigen Steigerungen kommen wird.
Über den Antrag wird die Ratsversammlung von Neumünster am 27.08.2013 beschließen.
Mehr Infos:
Holsteinischer Courier vom 16.08.2013: Sozialhilfe: Mieten dürfen höher sein
Holsteinischer Courier vom 16.08.2013 (Kommentar): Zu den Mietobergrenzen der Sozialhilfe
Antrag KdU-Satzung Neumünster
KdU-Satzung Neumünster – Entwurf
Website Stadt Neumünster, Ratsvorgang
Nachtrag 23.08.2013: Der Beschluss der Ratsversammlung über die Unterkunftssatzung wurde vertagt. Der Sozialausschuss beantragte ein Sondersitzung zum Thema, weil SPD und CDU durch eine Anhebung der Mietobergrenzen Mietsteigerungen befürchten. Mehr dazu hier:
Holsteinischer Courier vom 23.08.2013: Angemessene Mieten: Sozialausschuss will Sondersitzung
Nachtrag 01.11.2013: Holsteinischer Courier vom 01.11.2013: Sozialausschuss – Grünes Licht für höhere Sozialmieten
Nachtrag 15.11.2013: Holsteinischer Courier vom 15.11.2013: Strittig: Die Kosten der Unterkunft
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Zur Kostenerstattung bei erfolgreichen Widerspruchsverfahren, Teil 2
Veröffentlicht: 16. August 2013 Abgelegt unter: RA-Kosten | Tags: § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG, § 49 a BRAO, § 63 SGB X, Hartz IV Anwaltskosten Widerspruchsverfahren, Schmwellengebühr Nr. 2400 VV RVG Ein KommentarIn einer aktuellen Entscheidung vom 23.04.2013 hat das SG Kiel, Urteil vom 23.04.2013, S 38 AS 1418/10, zur Bemessung der Betragsrahmengebühr nach Nr. 2400 VV RVG ausgeführt:
„Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist. Dies ist vorliegend jedoch nicht ersichtlich. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sind zumindest als durchschnittlich anzusehen. Der Routinefall auf dem Gebiet des Sozialrechts ist danach die Darlegung eines Anspruchs auf Leistungen mittels Subsumtion unter die Tatbestandsmerkmale der einschlägigen Rechtsvorschriften, aber ohne umfangreichere Beweiswürdigung und eingehende Auseinandersetzung mit Rechtsprechung und Literatur. In einer Anfechtungssituation wäre dies die vergleichbare Begründung, warum die Voraussetzungen der Rechtsgrundlage, auf die sich der Leistungsträger stutzt, nicht vorliegen (BSG, a.a.O.= BSG, Urteil vom 1. Juli 2009, B 4 AS 21/09 R). Die ausführliche Widerspruchsbegründung vom 21. Juli 2010 erfüllt diese Voraussetzungen. Die Kläger haben hierin dargelegt, weshalb die Voraussetzungen für die Entziehung der zuvor bewilligten Leistungen nach § 66 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) nicht vorlagen. Entgegen der Ansicht des Beklagten waren diese Ausführungen auch notwendig. Der Umstand, ob der Vermieter die Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2008 bereits erstellt hatte oder nicht, war ohne Belang für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Entziehungsentscheidung. Es lagen keinerlei Anhaltspunkte vor, die den Schluss, dass die Betriebskostenabrechnung gerade Einfluss auf die Höhe der für August 2010 bewilligten Leistungen haben würde. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger sind weit unterdurchschnittlich. Insofern tritt jedoch auf Grund der für sie Überdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit eine Kompensation beider Kriterien ein.“
Interessant sind die Ausführungen zur Kostenentscheidung:
„Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Obwohl die Kläger in der Hauptsache voll obsiegt haben, entspricht es billigem Ermessen, dass der Beklagte ihnen keine Kosten zu erstatten hat. Den Klägern sind erst durch die Rechnungsstellung ihres Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 22. April 2013 Kosten für das isolierte Widerspruchsverfahren entstanden, die nach § 63 Abs. 1 und 2 SGB X erstattungsfähig sind. Der Bescheid vom 3. August 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. August 2010 war danach bis zu diesem Zeitpunkt, insbesondere bis zur letzten behördlichen Entscheidung, nicht in die Kläger belastender Weise rechtswidrig, da den Klägern vor der Rechnungsstellung keine Aufwendungen entstanden waren, die der Beklagte zu ersetzen gehabt hätte.“
Die späte Rechnungsstellung ist in diesem Verfahren auf die Rechtsauffassung des Verfassers dieses Beitrages zurückzuführen, dergemäß ein Rechtsanwalt seinem beratungshilfeberechtigten Mandanten eigentlich keine Rechnung stellen darf, § 49 a BRAO (ausführlich dazu hier). In diesem Verfahren wurde die Gebührenrechnung nach Bekanntwerden der Rechtsauffassung einiger Kammern am SG Kiel zur Notwenigkeit der Rechnungsstellung kurz vor der Verhandlung auch noch an den beratungshilfeberechtigten Mandanten gemäß § 10 Abs 1 Satz 1 RVG „mitgeteilt“. Für das Klageverfahren wurde PKH bewilligt.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Zur Kostenerstattung bei erfolgreichen Widerspruchsverfahren
Veröffentlicht: 14. August 2013 Abgelegt unter: RA-Kosten | Tags: § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG, § 49a BRAO, § 9 BerHG, Kostenerstattung § 63 SGB X, SG Kiel Urteil vom 26.03.2013 S 38 AS 278/10 21 KommentareSoweit der Widerspruch erfolgreich ist, hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
Nach dieser Regelung steht der Aufwendungserstattungsanspruch dem Widerspruchsführer zu. Aufwendungen hat der Widerspruchsführer, der einen Rechtsanwalt beauftragt hat, möglicherweise in Gestalt von Rechtsanwaltskosten. Rechtsanwaltskosten entstehen dem Widerspruchsführer aber nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz erst, nachdem der Rechtsanwalt ihm seine Gebühren in Rechnung gestellt hat, § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG.
Liegen – wie im Sozialrecht regelmäßig der Fall – bei dem Mandanten die Beratungshilfevoraussetzungen vor, ist der Rechtsanwalt (standesrechtlich) nach § 49a BRAO allerdings verpflichtet, zu den Bedingungen der Beratungshilfe zu arbeiten. Mit anderen Worten: Er darf von seinem Mandanten die gesetzliche Vergütung gar nicht einfordern und also ihm grundsätzlich auch keine entsprechende Rechnung stellen.
Eine Lösung bietet hier die Regelung in § 9 BerHG. Danach hat die Behörde, soweit sie (nach § 63 SGB X) verpflichtet ist, dem Rechtssuchenden die Kosten der Wahrnehmung seiner Rechte zu ersetzen, die gesetzliche Vergütung für die Tätigkeit des Rechtsanwalts zu erstatten. Dieser Zahlungsanspruch geht dabei nach § 9 Satz 2 BerHG auf den Rechtsanwalt über. Der gesetzliche Forderungsübergang erfolgt im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Kostengrundentscheidung der Behörde nach § 63 SGB X.
Dies hat zur Folge, dass der Rechtsanwalt gegenüber der Behörde einen eigenen Anspruch aus § 63 SGB X geltend macht. Er muss deswegen seinen beratungshilfeberechtigten Mandanten keine Rechnung stellen. Bei Streit über die Höhe der Gebühren legt der Rechtsanwalt in eigenem Namen Widerspruch gegen den Kostenfestsetzungsbescheid ein und kann im Erfolgsfall auch Kostenerstattung für seinen Aufwand im Widerspruchsverfahren über die Kostenentscheidung verlangen (BSG, Urteil vom 20. 11. 2001 – B 1 KR 21/00 R). Klagt der Rechtsanwalt seine Kosten gerichtlich ein, so handelt es sich für diesen um ein gerichtskostenpflichtiges Verfahren.
Ein anderer Ansatz bestünde darin, bei Vorliegen der Beratungshilfevoraussetzungen wegen § 49a BRAO auf eine Rechnungsstellung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG zu verzichten. Die Rechtsfrage, ob die Erstattung von Rechtsanwaltskosten (ggf. auch bei bei beratungshilfeberechtigten Widerspruchsführern) für ein isoliertes Widerspruchsverfahren die Übersendung der Kostennote durch den Rechtsanwalt nicht nur an den Widerspruchsgegner, sondern zunächst an den Auftraggeber erfordert, ist bisher in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, weswegen das SG Kiel in seinem Urteil vom 26.03.2013 im Verfahren S 38 AS 278/10 die Berufung zugelassen hat. Ob der Rechtsanwalt dann einen eigenen Anspruch geltend macht oder einen Anspruch des von ihm vertretenen Mandanten, hängt maßgeblich von der Frage ab, zu welchem Zeitpunkt der Forderungsübergang nach § 9 Satz 2 BerHG eintritt und ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall erfüllt sind: Bereits bei Vorliegen der Beratungshilfevoraussetzungen, bei Unterschrift unter den Beratungshilfeantrag, bei Vorliegen eines Berechtigungsscheins des Amtsgerichts oder erst bei Abrechnung der Beratungshilfe. Auch diese Frage dürfte bisher nicht als geklärt gelten.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Ratsfraktion Die Linke fordert Sachstandsbericht zu den Kieler Mietobergrenzen
Veröffentlicht: 14. August 2013 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen, Ratsversammlung Stadt Kiel | Tags: Mietobergrenzen Jobcenter Kiel, Mietobergrenzen Kiel 2 Kommentare
Die Ratsfraktion Die Linke fordert die Verwaltung auf, zur Ratsversammlung spätestens im September 2013 (mit einem Zwischenbericht zur Sitzung des Ausschusses für Soziales, Wohnen und Gesundheit im August 2013) einen schriftlichen Bericht über den Bearbeitungsstand der Entwicklung eines eigenen sog. „schlüssigen Konzeptes“ zur Berechnung der Kieler Mietobergrenzen für Empfänger von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII vorzulegen. Der Antrag samt Fragenkatalog findet sich hier.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Aufhebungsbescheid muss auch Änderungsbescheide nennen
Veröffentlicht: 12. August 2013 Abgelegt unter: Rückforderung von Sozialleistungen | Tags: BSG Urteil vom 29.11.2012 B 14 AS 196/11 R 12 KommentareEine Erstattung zu Unrecht erbrachter ALG-II-Leistungen kann das Jobcenter nur verlangen, soweit es die Leistungsbewilligung für den Erstattungszeitraum vollständig aufgehoben hat. Dies setzt voraus, dass das Jobcenter nicht nur die Bewilligungsbescheide für die in der Regel halbjährlichen Leistungszeiträume aufhebt, sondern auch sämtliche Änderungsbescheide, die für den Zeitraum, für den Leistungen nach dem SGB II zurückgefordert werden sollen, erlassen worden sind. Werden nicht sämtliche Änderungsbescheide im Aufhebungsbescheid genannt, so ist eine Aufhebung dieser Bescheide nicht verfügt und diese sind bestandskräftig. Die Aufhebung der ursprünglichen Bewilligungsbescheide für die Zeiträume, in denen die nicht aufgehobenen Änderungsbescheide Gültigkeit erlangt haben, geht damit ins Leere und eine Rückforderung der ALG-II-Leistungen für die entsprechenden Monate nach § 50 SGB X scheidet aus.
(BSG, Urteil vom 29.11.2012, B 14 AS 196/11 R, Rz. 19)
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Änderungen im Bildungs- und Teilhabepaket ab 1.8.2013
Veröffentlicht: 1. August 2013 Abgelegt unter: Bildungs- und Teilhabepaket | Tags: Änderungen Bildungs- und Teilhabepaket 2013, § 28 SGB II, § 28 SGB II Klassenfahrt Schulausflug, Kosten der Schülerbeförderung nach § 28 SGB II, Schülerbeförderungskosten § 28 SGB II 2 KommentareAb dem 01.08.2013 können manche Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets einfacher und schneller beantragt werden. Ein Teil der Änderungen betreffen zwar nur die Verwaltung, von einigen Änderungen profitieren indes auch die Leistungsberechtigten – allerdings in geringem Umfange:
Schülermonatsfahrkarte
Der zuständige Leistungsträger (zu den Zuständigkeiten in Kiel mehr hier) übernimmt die Kosten für die Schülermonatsfahrkarte. Weil man diese nicht nur für den Schulweg, sondern auch für andere Fahrten etwa in der Freizeit nutzen kann, wurde von vielen Leistungsträgern ein „zumutbarer Eigenanteil“ angerechnet. In Kiel betrug dieser für Schüler bis 17 Jahren 10 € und ab dem 18 Jahren 15 € monatlich. Zukünftig werden bundesweit einheitlich pauschal 5 € angerechnet (§ 28 Abs. 4 Satz 2 SGB II n.F.). Im begründeten Einzelfall kann ein anderer Betrag festgesetzt werden.
Bei Klassenfahrt und Schulausflug auch Geldleistung
Bisher durfte der Leistungsträger dem leistungsberechtigten Kind für Klassenfahrten und Schulausflüge nicht einfach den erforderlichen Geldbetrag zur Verfügung stellen, sondern musste mit dem „Anbieter“ – etwa dem Busunternehmen oder der Jugendherberge – direkt abrechnen. Wenn es aber gar keinen solchen Anbieter gab (etwa wenn Fahrten von den Eltern organisiert wurden), gestaltete sich eine Kostenübernahme häufig schwierig. Um das zu verhindern und sicherzustellen, dass die Kinder auch wirklich teilnehmen können, kann der Bedarf in diesen Fällen nun auch durch eine Geldleistung gedeckt werden (§ 29 Abs. 1 Satz 2 SGB II n.F.)
Antragsrückwirkung bei Leistungen nach § 27 Abs. 7 SGB II
Für die Teilhabe an bestimmten Aktivitäten erhalten Kinder aus einkommensschwachen Familien 10 € monatlich (§ 28 Abs. 7 SGB II). Da Leistungen nach nach § 28 Abs. 2, Abs. 4 bis 7 SG II gemäß § 37 Abs. 1 SGB II gesondert zu beantragen sind, wurden die Leistungen erst ab dem Monat der Antragstellung erbracht. Ab 01.08.2013 wirkt der Antrag auf Leistungen nach § 27 Abs. 7 SGB II nun auf den Beginn des aktuellen ALG-II-Bewilligungszeitraumes zurück (§ 37 Abs. 2 Satz 3 SGB II n.F.).
10 € dürfen auch für Anschaffungen verwendet werden
Bisher konnte der Teilhabe-Betrag von 10 € monatlich nur für den Mitgliedsbeitrag in Vereinen, Musikschulen usw. verwendet werden. Häufig scheiterte die Teilhabe von Kindern aus Einkommensschwachen Familien aber daran, dass zum Fußballspielen auch Sportschuhe und zum Musizieren ein Instrument gehört. Diese notwendige Ausstattung, die Kinder zum Mitmachen brauchen, kann jetzt auch mit den 10 € monatlich finanziert werden (§ 28 Abs. 7 Satz 2 SGB II). Dabei geht der Gesetzgeber von der Annahme aus, dass „die Teilnahme an solchen Aktivitäten (…) häufig so organisiert ist, dass durch ehrenamtliches Engagement die Unterrichtung kostenfrei angeboten werden kann“ (BT-Drucksache 17/12036, Seite 7 zu Buchstabe b (Absatz 7)).
Bei Vorleistung nachträgliche Kostenerstattung möglich
Für die Bildungs- und Teilhabeleistungen gilt nach § 30 SGB II n.F. nunmehr: Verweigerte der Leistungsträger die Bewilligung rechtswidrig oder ist säumig und geht der Leistungsberechtigte deswegen durch Selbstzahlung in Vorleistung, ist der Leistungsträger zur nachträglichen Kostenerstattung verpflichtet, wenn die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung zur Deckung der Bedarfe im Zeitpunkt der Selbsthilfe vorlagen und die Teilhabeleistungen als Sach- und Dienstleistungen nicht zu erreichen waren. War es dem Leistungsberechtigen nicht möglich, rechtzeitig einen Antrag zu stellen, gilt dieser als im Zeitpunkt der Selbstvornahme gestellt.
Bewertung
Hatte sich der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. bei den Schülerbeförderungskosten noch ganz gegen einen Eigenbeitrag ausgesprochen (dazu mehr hier), so sieht die Neuregelung jetzt eine pauschale Eigenbeteiligung von 5 € vor. Das ist vertretbar – indes auch gewohnt kleinlich, fast möchte man sagen: Peinlich.
Ungelöst bleibt das Problem, dass mit 10 € monatlich eine Teilhabe am „sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft“ kaum möglich ist. Dass der Gesetzgeber nun generös erlaubt, die 10 € monatlich anstatt für den Musikunterricht alternativ auch für den Erwerb einer Geige oder eines Klaviers ansparen zu dürfen, wenn – wie angeblich „häufig so organisiert“ – der Musikunterricht „durch ehrenamtliches Engagement (…) kostenfrei angeboten werden kann“, bedeutet nichts anderes als einen Offenbarungseid des Sozialstaates, der auf das ehrenamtliche Engagement einzelner verweist, anstatt seinem genuinen Bildungsauftrag gerecht zu werden. Und es zeigt einmal mehr, welchen Stellenwert Kinder und Bildung in diesem Land haben. Das Kunst- Musik- und Sportlehrer natürlich nicht bezahlt werden, sondern ehrenamtlich arbeiten – für den Gesetzgeber offenbar eine Selbstverständlichkeit.
Weitere Informationen:
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Zahl der Versorgungssperren in Kiel konstant hoch
Veröffentlicht: 29. Juli 2013 Abgelegt unter: Stadtwerke Kiel AG, Stromsperren | Tags: Kiel Stromsperren, Kiel Versorgungssperren, Stadtwerke Kiel Stromsperren, Stadtwerke Kiel Versorgungssperren Hinterlasse einen KommentarAuf eine Anfrage der Ratsfraktion Die Linke teilten die Stadtwerke Kiel mit Schreiben vom 18.07.2013 mit, dass in Kiel im Jahre 2012 1.823 Stromsperren, 53 Gassperren und 26 Trinkwassersperren umgesetzt worden sind. Fernwärmeanschlüsse würden grundsätzlich nicht gesperrt. Eine Sperrung der Trinkwasserversorgung erfolge nur in seltenen Ausnahmefällen, beispielsweise wenn eine Kontaktaufnahme zu den Kunden überhaupt nicht möglich sei. Grundsätzlich seien in Kiel in der Summe etwa 900 Zähler gesperrt. Diese Zahl sei in den letzten Jahren konstant geblieben.
Umstritten ist in der Rechtsprechung, ob bei Zahlungsrückständen für eine Versorgungsleistung (etwa Fernwärme) die Unterbrechung einer anderen Versorgungsleistung (z.B. Strom) umgesetzt werden darf. Das Amtsgericht Kiel hat diese Frage jüngst in rechtlichen Hinweisen verneint (rechtliche Hinweise im Verfahren 120 C 96/13; so auch VG Freiburg, Beschluss vom 04.09.2014, 4 K 1748/14 zu Versorgern in öffentlicher Hand).
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Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Volle Unterkunftskosten bei Sanktion eines Familienmitglieds
Veröffentlicht: 25. Juli 2013 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Sanktionen | Tags: BSG Urteil vom 23.05.2013 B 4 AS 67/12 R 3 KommentareFällt der Mietkostenanteil für ein Mitglied einer Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaft (BG) aufgrund einer Sanktionierung weg, so ist dessen Mietanteil als notwendige Kosten der Unterkunft (KdU) bei den anderen Mitgliedern der BG vom Jobcenter anzuerkennen.
In dem vom BSG entschiedenen Fall lebte eine Mutter mit ihren zwei Söhnen in einer BG zusammen. Die Mietkosten wurden in der tatsächlichen Höhe anteilig zu je 1/3 bei jedem Familienmitglied anerkannt. Nach vorangegangener Entziehung der Regelleistungen wurden mit weiterer Sanktion einem der Söhne auch die unterkunftssichernden Leistungen vollständig entzogen, so dass der Bedarfsgemeinschaft 1/3 der Leistungen für die Unterkunft fehlten.
Die Klage der Mutter und ihres nichtsanktionierten Sohnes auf Leistungen für die Unterkunft in voller Höhe – also auch des Mietanteils des sanktionierten Sohnes – hatte in allen Instanzen Erfolg. Denn infolge des tatsächlichen Wegfalls des KdU-Anteils des Sohnes haben sich die von den Familienangehörigen zu tragenden tatsächlichen Aufwendungen für die Wohnung erhöht. Dieser Bedarf ist nach § 22 Abs. 1 SGB II vollständig zu übernehmen. Die Vorschrift enthält insbesondere keine Begrenzung dergestalt, dass bei Nutzung einer Wohnung durch mehrere Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nur anteilige KdU übernommen werden. Eine faktische „Mithaftung“ für ein nach dem SGB II sanktioniertes Fehlverhalten eines Familienmitgliedes sieht das SGB II nicht vor.
(BSG, Urteil vom 23.05.2013, B 4 AS 67/12 R)
Erstveröffentlichung in HEMPELS 07/2013
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Quo vadis, Jobcenter Pinneberg?
Veröffentlicht: 18. Juli 2013 Abgelegt unter: Jobcenter Pinneberg | Tags: ALG II Ratgeber Jobcenter Pinneberg 7 Kommentare
Leitungswasser trinken und Möbel verkaufen: Das Jobcenter Pinneberg hat in einer an Geschmacklosigkeit nur schwer zu überbietenden Broschüre Spartipps für Hartz-IV-Empfänger veröffentlicht. Ebenfalls pikant ist, dass sich manche Tipps so lesen, als ob sie für Grundschulkinder verfasst wurden. Einige Passagen wie etwa die folgende klingen zudem schlichtweg bösartig: Als Sylvia ein Sechserpack Selter in den Einkaufswagen hieven will, hält Martina sie zurück. Martina: „Wusstest du eigentlich, dass Leitungswasser oft eine bessere Qualität hat als Mineralwasser?“ Sylvia: „Aber es schmeckt nicht so gut. Martina: „Vielleicht müsst ihr euch nur daran gewöhnen. Bei Getränken könntet ihr eine Menge sparen.“ „Ben trinkt nichts außer Cola“, erwidert Sylvia skeptisch. „Jetzt wohl schon“, erwidert Lara und grinst. Der Vize-Chef der Bundesagentur für Arbeit lobt die Broschüre dennoch als „tollen Ratgeber“. Die Broschüre hat eine kontroverse Diskussion und ein Rauschen im Blätterwald ausgelöst. Hier einige der rauschenden Blätter:
Die Welt: Hartz-IV-Empfänger sollen Vegetarier werden
Hamburger Abendblatt: Broschüre: Hartz-IV-Empfänger sollen Vegetarier werden
Hamburger Abendblatt: Kritik an Pinneberger Jobcenter-Broschüre
SHZ: Bundesagentur verteidigt Tipps für Hartz-IV-Empfänger
SHZ: Hartz-IV-Broschüre – Billige Effekthascherei
SHZ: Streit um Hartz-IV-Comic
SHZ: „Kritiker haben die nicht richtig gelesen“
taz: Passgenauer Paternalismus – Wie viel ist zu viel?
taz: Gastbeitrag: Staatsdoktrin Sanktionsterror
Focus: Broschüre des Jobcenters: „Auf Fleisch verzichten, weniger heizen“
Focus: „Wirklich dämlich, da wird Hartz IV als die Chance des Lebens verkauft“
Rheinische Post Online: Jobcenter sorgt mit Spar-Ratgeber für Aufregung
N24: Zynische Tipps für Hartz-IV-Empfänger
web.de: Hartz IV: bizarre Spartipps vom Jobcenter Pinneberg
junge Welt: Ratgeberschmiede des Tages: Jobcenter Pinneberg
Lübecker Nachrichten Online: Ratgeber: Hartz-IV-Empfänger sollen Leitungswasser trinken
der Freitag: Jobcenter: Bezieher sollen Möbel verkaufen
gegen-hartz.de: Jobcenter: Hartz 4 Bezieher sollen Möbel verkaufen
gegen-hartz.de: Pinneberger Hartz IV Ratgeber voller Rechtsfehler
dpa/Kieler Nachrichten: Arbeitsagentur verteidigt Spar-Tipps für Hartz-IV-Empfänger
Der „Ratgeber“ findet sich hier: jobcenter-kreis-pinneberg.de
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Haus & Grund erhebt Wohnungsdaten
Veröffentlicht: 9. Juli 2013 Abgelegt unter: Mietrecht 2 KommentareKiel, den 08.07.2013
Hausverwaltung des Kieler Grundeigentümervereins erhebt Wohnungsdaten
Die Hausverwaltung des Kieler Grundeigentümervereins GmbH hat viele – vermutlich alle – Haushalte der von ihr verwalteten Wohnungen angeschrieben mit der Bitte, wichtige Daten zur Wohnungsausstattung für die neue EDV beizusteuern. Die Hausverwaltung folgt damit dem Vorbild großer Wohnungsunternehmen. Der Kieler Mieterverein weist darauf hin, dass Mieter selbstverständlich nicht verpflichtet sind, das entsprechende Formular auszufüllen. Die Rückmeldung der Daten an die Hausverwaltung ist auch nicht ohne Risiken. Zum einen erleichtert eine gut sortierte Datenbank natürlich auch „automatische Mieterhöhungen“ mit der Folge, dass zum Beispiel nach dem Erscheinen eines neuen Mietspiegels auf Knopfdruck noch am selben Tage die Mieterhöhungen rausgehen können. Zum anderen berücksichtigt das Formular eigene Investitionen des Mieters nur unzulänglich. Damit wären aber Missverständnissen über den tatsächlichen Mietwert einer Wohnung Tür und Tor geöffnet, wenn Mieter in nennenswertem Umfang Küchen, Bäder, Fußböden oder andere Wohnungsbestandteile auf eigene Kosten erneuert und verbessert haben. Damit laufen Mieter Gefahr, auf höhere Mieten in Anspruch genommen zu werden als es dem tatsächlichen Wert der Wohnung entspricht. Und schließlich wäre die mit Mieterhilfe angefütterte Datenbank vermutlich ohne weiteres in der Lage, jederzeit für jede Wohnung und in Sekundenschnelle festzustellen, ob bei der aktuellen Miethöhe Spielraum nach oben besteht, was auch ohne neuen Mietspiegel eine Mieterhöhung nach sich ziehen kann. Kurz gesagt: Der Kieler Mieterverein rät zu großer Vorsicht.
Verantwortlich: Jochen Kiersch, Kiel
Quellen:
https://www.kieler-mieterverein.de
https://www.facebook.com/pages/Kieler-Mieterverein-eV
Mietobergrenzen: Stadt Kiel unter Zugzwang
Veröffentlicht: 4. Juli 2013 Abgelegt unter: Mietobergrenzen | Tags: Jobcenter Kiel Mietobergrenzen, Mietobergrenzen in Kiel, Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht 4 KommentareIn der heutigen Verhandlung über die Kieler Mietobergrenzen hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht dem Jobcenter Kiel bzw. der Stadt Kiel aufgegeben, ein eigenes sog. „schlüssiges Konzept“ zur Bestimmung der Mietobergrenzen in Kiel zu erarbeiten. Ein konkretes Datum, bis zu dem ein solches Konzept vorliegen muss, hat das Gericht nicht vorgegeben. Sollte die Stadt kein eigenes schlüssiges Konzept entwerfen, welches einer gerichtlichen Überprüfung anhand der Maßstäbe des BSG standhält, wird das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht die Werte der Wohngeldtabelle zuzüglich eines Sicherheitszuschlages von 10 % (dazu mehr hier) zugrunde legen. In diesem Fall könnten auf die Stadt ganz erhebliche Mehrkosten zukommen, die weit über jenen Kosten liegen, die für die Stadt durch die Anerkennung der Rechtsprechung am SG Kiel zu erwarten gewesen wären und sich nachfolgender Tabelle entnehmen lassen (ohne Gewähr):
| Anzahl der im Haushalt lebenden Personen | Anzuerkennende Wohnungsgröße (in qm) | Mietobergrenzen bruttokalt nach Mietspiegel 2012 (gültig ab 1.1.2013) nach neuer Berechnung des SG Kiel mit durchschnittlichen BK von 1,91 €/qm | Werte nach der Wohngeldtabelle (Mietstufe 5) zuzüglich 10 % Sicherheitszuschlag |
| 1 | bis 50 | 345,50 € |
423,50 € |
| 2 | 50-60 | 414,60 € |
514,80 € |
| 3 | 60-75 | 501,75 € |
611,60 € |
| 4 | 75-85 | 581,40 € |
713,90 € |
| 5 | 85-95 | 649,80 € |
818,70 € |
| 6 | 95-105 | 718,20 € |
915,50 € |
| 7 | 105-115 | 786,60 € |
1.012,30 € |
| Mehrbetrag für jedes weitere Familienmitglied | 10 | 68,40 € |
96,80 € |
Die Mietobergrenzen, welche die Stadt derzeit anerkennt, finden sich in dieser Tabelle (ganz unten).
SHZ: Scharfe Kritik an Kieler Hartz-IV-Konzept
SHZ: Hartz-IV: Sozialgericht verhandelt über 70 Cent
Mietobergrenze Kiel – Es bewegt sich was!
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht verhandelt Kieler Mietobergrenzen
Veröffentlicht: 3. Juli 2013 Abgelegt unter: Mietobergrenzen 3 KommentareAm Donnerstag den 04.07.2013 verhandelt der 6. Senat des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts zwei von derzeit insgesamt 48 Berufungsverfahren, in denen es um die zutreffende Bestimmung der Kieler Mietobergrenzen geht. Rund 38.000 Bezieher von Hartz IV, Grundsicherung oder Hilfe zum Lebensunterhalt beziehen nach Angaben der SHZ in Kiel derzeit Leistungen für die Unterkunft nach dem SGB II und SGB XII.
Betroffen sind von der Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vor allem die Empfänger von ALG II, die einen Teil ihrer Miete selbst aufbringen, d.h. aus ihren Regelleistungen oder zusätzlichem Einkommen zahlen müssen. Wie viele Leistungsberechtigte das sind, kann die Stadt offiziell angeblich nicht sagen (dies müsse „händisch ermittelt“ werden, zur Kritik mehr hier).
In der Vergangenheit hatte das Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht gegen seine Entscheidungen zu den Kieler Mietobergrenzen die Revision stets nicht zugelassen, um seine Rechtsprechung, die vor dem Bundessozialgericht erkennbar keinen Bestand haben konnte, einer höchstrichterlichen Überprüfung zu entziehen. Diese Praxis hatte sowohl in der Anwaltschaft – aber auch bei einem Teil der Richterschaft an den Sozialgerichten – für Empörung gesorgt.
Eher zufällig wurde die Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts zu den Kieler Mietobergrenzen dann doch noch in einem Revisionsverfahren, in dem es im Kern um Wohnraummehrbedarf für Alleinerziehende ging, einer revisionsrechtlichen Überprüfung unterzogen und das Urteil des des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts u.a. wegen Verkennung der Maßstäbe zur Bestimmung der abstrakt angemessenen kalten Betriebskosten zur erneuten Verhandlung an das LSG zurückverwiesen (mehr hier).
Mehr Infos:
Presseinformation des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Können rechtswidrig begünstigende Sanktionen Rechte verletzen?
Veröffentlicht: 2. Juli 2013 Abgelegt unter: Sanktionen | Tags: SG Kiel Urteil vom 13.06.2013 S 35 AS 205/11 3 KommentareEine interessante und – soweit ersichtlich – in der Rechtsprechung und Kommentarliteratur bisher noch nicht behandelte Rechtsfrage hatte das Sozialgericht Kiel am 13.06.2013 zu entscheiden:
Bei einem wiederholten Meldeversäumnis regelte die bis zum 31.12.2010 geltende Vorschrift des § 31 Abs. 2, Abs. 3 Satz 3 SGB II a.F. eine stufenweise Erhöhung des Minderungsbetrages (erste Sanktion 10 % , zweite 20 % usw.; Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 31 Rz. 100: „Wiederholungstäterzuschlag“). Versehentlich hatte das Jobcenter Kiel diese Regelung zugunsten des späteren Klägers dergestalt angewandt, dass es auch die zweite Meldepflichtverletzung „nur“ mit 10 % des Regelsatzes sanktionierte. Der Kläger wandte sich gegen die Sanktionierung, konnte einen wichtigen Grund, der seinen Meldeverstoß hätte rechtfertigen können, indes nicht nachweisen.
Das Gericht hob den zweiten Sanktionsbescheid dennoch auf, weil die Rechtsfolge – Sanktion in Höhe von 20 % und nicht lediglich in Höhe von 10 % – nicht im Ermessen des Jobcenters gestanden hat. Die Frage, ob der Kläger, der durch die zwar rechtswidrige, ihn aber jedenfalls finanziell begünstigende Sanktionsentscheidung überhaupt beschwert war und damit ein Rechtsschutzinteresse an der Klage hatte (vgl. § 54 Abs. 1 SGG), bejahte das Gericht mit der folgenden Erwägungen:
„Durch diese rechtswidrige Verwaltungsentscheidung ist der Kläger auch in seinen Rechten verletzt, denn das vom Gesetzgeber seinerzeit angestrebte Ziel, durch das wirtschaftliche Druckmittel der Staffelung der Sanktionsfolgen eine Verhaltensänderung herbeizuführen (Berlit aaO. Rn. 2 mwN.), konnte durch die ausgesprochene Sanktion so nicht erreicht werden.“
Das Gericht statuiert damit ein „Recht auf Sanktionen“ von Leistungsbeziehern, damit ihnen nicht die Chance zu einer Verhaltensänderung genommen wird. Eine originelle, allerdings auch etwas zweischneidige Argumentation – freilich mit erfreulichen Folgen für den Kläger in diesem Verfahren.
Bewertung
Die 35. Kammer am SG Kiel hat die Anforderungen an eine rechtmäßige Sanktionsentscheidung mit diesem Urteil erheblich erhöht. Auch fehlerhaft begünstigende Entscheidungen verletzen Betroffene danach in ihren Rechten und sind deswegen aufzuheben. Konsequenterweise muss dies dann nicht nur für die Staffelungsregelung in § 31 Abs. 2, Abs. 3 Satz 3 SGB II a.F. gelten, sondern für jede rechtswidrige begünstigende Sanktion. Besteht gleichsam ein „Recht auf Sanktion in der richtigen Höhe“, so könnten etwa Sanktionen, die eine Minderung auf der Grundlage geltender Regelsätze verhängen und an zum Jahreswechsel angehobene Regelsätze nicht angepasst werden (was der Regelfall ist), zukünftig rechtswidrig werden und aufzuheben sein.
SG Kiel, Urteil vom 16.06.2013, S 35 AS 205/11
Nachtrag 08.07.2013: Das Jobcenter Kiel hat heute gegen die Nichtzulassung der Berufung Nichtzulassungsbeschwerde beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht eingelegt.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Änderungen bei Prozesskosten- und Beratungshilfe bestätigt
Veröffentlicht: 29. Juni 2013 Abgelegt unter: Beratungshilfe, Prozesskostenhilfe 3 KommentareDie Änderungen bei der Prozesskosten- und Beratungshilfe werden, wenn der Bundesrat dem Gesetzesentwurf am 05.07.2013 wie zu erwarten zustimmt, zum 01.01.2014 wirksam. Eine Kurzmitteilung findet sich hier, eine Zusammenfassung der Änderungen hier, eine sehr lesenswerte Bewertung dazu hier sowie sämtliche Gesetzgebungsmaterialien hier. Der Bundestag hat verschiedene Vorschläge der Bundesregierung nicht aufgegriffen. Die Änderungen lassen sich knapp wie folgt zusammenfassen:
- Die bisherigen Freibeträge bleiben erhalten.
- Die Ratenhöchstzahlungsdauer von 48 Monaten bleibt unangetastet.
- Die Beiordnung von Rechtsanwälten in familienrechtlichen Verfahren wird nicht eingeschränkt.
- Die Möglichkeit der nachträglichen Stellung eines Antrages auf Beratungshilfe durch den beauftragten Rechtsanwalt bleibt erhalten, allerdings muss der Antrag innerhalb einer Frist von 4 Wochen nach Beginn der Beratungstätigkeit gestellt werden, § 6 Abs. 2 BerHi n.F.
- Ein Rechtsmittel für die Staatskasse gegen Bewilligungsentscheidungen wird es weiterhin geben.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Jobcenter Kiel stellt Dienstanweisungen online
Veröffentlicht: 28. Juni 2013 Abgelegt unter: Informationsfreiheit, Jobcenter Kiel | Tags: § 11 IFG, § 11 Informationsfreiheitsgesetz, § 50 Abs. 4 SGB II 3 Kommentare
Nach Hinweis der Kieler Ratsfraktion Die Linke auf § 11 IFG hat das Jobcenter Kiel einen Teil seiner Dienstanweisungen im Internet veröffentlicht, die hier abrufbar sind. Dank an das Jobcenter Kiel auf diesem Wege, dass gleich die Dienstanweisungen selbst und nicht lediglich eine Übersicht der vorhandenen Dienstanweisungen veröffentlicht wurden.
Zum download für Interessierte in anderen Kommunen:
Schreiben an das Jobcenter Kiel vom 17.06.2013
Antwort des Jobcenters Kiel vom 25.06.2013
Nachtrag 13.07.2013:
Harald Thomé vom Tacheles e.V. schreibt in seinem heutigen Newsletter:
5. Jobcenter Kiel veröffentlicht nach Aufforderung in Bezug auf das IFG Dienstanweisungen
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Nach Hinweis der Kieler Ratsfraktion Die Linke auf § 11 IFG hat das Jobcenter Kiel einen Teil seiner Dienstanweisungen im Internet veröffentlicht, die hier abrufbar sind. Diese Herangehensweise der Linken scheint mir sehr sinnvoll und sollte quer durch die Republik von verschiedensten Organisationen gefordert werden.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Auf der Suche nach den durchschnittlichen Kieler Betriebskosten, Teil 3
Veröffentlicht: 19. Juni 2013 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen Hinterlasse einen KommentarIn ihrem „Methodenbericht“ zum Kieler Mietspiegel 2012 weist das seit einigen Jahren mit der Erstellung des qualifizierten Kieler Mietspiegels beauftragte Institut F+B darauf hin, dass nicht alle nach der Betriebskostenverordnung umlagefähigen Betriebskosten in jedem Gebäude anfallen und deswegen die Summe aller einzelnen durchschnittlichen Betriebskostenpositionen von 1,91 €/qm nicht den tatsächlichen durchschnittlichen Kieler Betriebskosten entspricht, die F+B für einfache Wohnungen bis 45 qm in Kiel mit 1,48 €/qm (arithmetisches Mittel) errechnet. Bildet der Wert von 1,48 €/qm möglicherweise „die Wirklichkeit“, also die Gegebenheiten auf dem Kieler Mietwohnungsmarkt, ausreichend ab? Einige kritische Fragen drängen sich auf:
Nicht alle Betriebskosten finden sich in Betriebskostenabrechnungen
Nach eigenen Angaben von F+B wurden zur Erstellung des Betriebskostenspiegels 2012 „auch die Daten der Betriebskostenabrechnungen der Jahre 2010 und 2011 bei den Mietern und Vermieter erhoben“ („Methodenbericht“ Seite 22). In den Betriebskostenabrechnungen finden sich indessen nur diejenigen Betriebskosten, die vom Vermieter gegenüber seinem Mieter abgerechnet werden, nicht jedoch die Betriebskosten, die – wie in Kiel bei Frisch- und Abwasser (ca. 0,45 €/qm) oder den Kosten der dezentralen Warmwasseraufbereitung nicht selten der Fall – direkt von den Versorgungsunternehmen gegenüber den Mieter abgerechnet werden (mehr hier). Diese Kosten haben – jedenfalls schreibt F+B das so – offenkundig im Kieler Betriebskostenspiegel 2012 keine Berücksichtigung gefunden. Damit wären die Berechnungen wenig aussagekräftig.
Nicht alle nach BetrKV umlagefähigen Betriebskosten berücksichtigt
Entgegen der Aussage im Methodenbericht Seite 23 wurden von F+B offenbar auch nicht alle nach Betriebskostenverordnung umlagefähigen Betriebskosten erhoben und ausgewertet. So finden sich in der Tabelle von F+B etwa nicht die Kosten des Betriebs der Einrichtungen für die Wäschepflege (§ 2 Nr. 16 BetrKV) sowie auch keine Angaben zu den „sonstigen Betriebskosten“ (§ 2 Nr. 17 BetrKV), worunter etwa die Kosten der Wartung von Rauchmeldern, die in allen Wohnungen anfallen (vgl. § 49 Abs. 4 Satz 4 LBO: Regelmäßig übernimmt der Eigentümer die Wartung und legt diese Kosten sodann auf den Mieter um; zur Zulässigkeit der Umlage als Betriebskosten LG Magdeburg, Urteil vom 27.09.2011, 1 S 171/11), zu subsumieren wären.
Grundlagendaten
Letztlich hat F+B bisher auch lediglich eine Zahl mitgeteilt, die sich nicht weiter überprüfen lässt. Ob dies ausreichend ist und nicht jedenfalls die Grundlagendaten (zu diesem Erfordernis etwa BSG Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 50/10 R, BSG, Urteil vom 13.04.2011, B 14 AS 85/09 R) vorzulegen sind, ist zumindest eine Überlegung wert.
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht kann Kieler Mietobergrenzen nicht bestimmen
Auf der Suche nach den durchschnittlichen Kieler Betriebskosten
Auf der Suche nach den durchschnittlichen Kieler Betriebskosten, Teil 2
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Hartz IV: Kann ein VW-Bus Unterkunft sein?
Veröffentlicht: 19. Juni 2013 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft | Tags: BSG Urteil vom 17.6.2010 B 14 AS 79/09 R, LSG Rheinland-Pfalz Beschluss vom 7.3.2013 L 3 AS 69/13 B ER 2 KommentareFür einen mit einer Schlafstelle eingerichteten und auch zur Unterbringung der sonstigen Habe genutzten VW-Bus mit Anhänger muss ein Jobcenter nach Auffassung des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz keine Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 SGB II leisten. Anders als bei einem Wohnmobil, welches in einer Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) als Unterkunft anerkannt worden ist, stelle ein VW-Bus keine Unterkunft dar, weil eine Privatsphäre darin nicht gewährleistet sei.
Die Entscheidung des LSG Rheinland-Pfalz ist nach hiesiger Auffassung mit der Rechtsprechung des BSB nicht in Einklang zu bringen. Unter einer Unterkunft ist nach der Rechtsprechung des BSG „jede Einrichtung oder Anlage zu verstehen, die geeignet ist, vor den Unbilden des Wetters bzw. der Witterung zu schützen, und eine gewisse Privatsphäre (einschließlich der Möglichkeit, private Gegenstände zu verwahren) gewährleistet.“ Es ist nicht erkennbar, warum ein Wohnmobil und ein Wohnwagen diese Voraussetzungen erfüllen sollen, ein VW-Bus hingegen nicht. Bei der Definition von „Privatsphäre“ – bereits das Wort legt dies nahe, das BSG forderte zudem lediglich ein „gewisses“ Maß – ist zudem richterliche Zurückhaltung geboten, um dem Umstand heterogener Konzeptionen von Privatsphäre in der Gesellschaft in der gebotenen Weise Rechnung zu tragen.
(BSG, Urteil vom 17.6.2010, B 14 AS 79/09 R – Wohnmobil; LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 7.3.2013, L 3 AS 69/13 B ER – VW-Bus)
Erstveröffentlichung in HEMPELS 05/2013
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Aus aktuellem Anlass: Hilfe für Flutopfer
Veröffentlicht: 14. Juni 2013 Abgelegt unter: Sonstiges | Tags: Hilfe für Flutopfer, Hilfe für Hochwasserbetroffene, Hilfe für Hochwasseropfer Ein KommentarAus gegebenen Anlass einige Hinweise für Betroffene des Hochwassers. Hinweise für Betroffene außerhalb von Schleswig-Holstein – wo vor allem der Kreis Lauenburg betroffen ist – finden sich unter „Kommentare“.
Auf der Suche nach den durchschnittlichen Kieler Betriebskosten, Teil 2
Veröffentlicht: 11. Juni 2013 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: Jobcenter Kiel, Mietobergrenzen Jobcenter Kiel, Mietobergrenzen Kiel Hinterlasse einen KommentarDie Höhe der nach § 22 SGB II und § 35 SGB XII maximal zu übernehmenden Mieten (Mietobergrenzen) bestimmen sich in Kiel nach den durchschnittlichen Nettokaltmieten im Marktsegment der einfach ausgestatteten Wohnungen (unteres Drittel, dazu Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 06.12.2011, L 11 AS 97/10, Kurzbesprechung hier) zuzüglich kalter Betriebskosten in „angemessener“ Höhe.
BSG: Betriebskostenspiegel
Nach der Rechtsprechung des BSG (etwa Urteil vom 22.08.2012, B 14 AS 13/12 R, Rz. 27 – zum Kieler Mietspiegel) ist es zulässig, dort, wo statistische Daten zur Bestimmung „angemessener“ Betriebskosten gerade im unteren Wohnsegment nicht vorliegen, auf bereits vorliegende Daten aus örtlichen Betriebskostenspiegeln und dabei auf die sich daraus ergebenden Durchschnittswerte zurückzugreifen. Für die Landeshauptstadt Kiel werden beginnend ab dem Jahre 1992 alle zwei Jahre qualifizierte Mietspiegel im Sinne von 558d BGB erstellt, welche auch einen Betriebskostenspiegel enthalten. Die Betriebskostenspiegel weisen seit 2006 folgende durchschnittliche Betriebskosten aus:
Mietspiegel 2006: 1,93 €/qm
Mietspiegel 2008: 1,89 €/qm
Mietspiegel 2010: 1,77 €/qm
Mietspiegel 2012: 1,91 €/qm
Schleswig-Holsteinisches LSG: Unteres Drittel
Diese durchschnittlichen Betriebskosten, welche eine Mehrheit der Kammern am SG Kiel ihren Mietobergrenzenberechnungen zutreffend zugrunde legt, weichen deutlich von den Berechnungen des Schleswig-Holsteinischen LSG ab, welches auf der Grundlage etwa des Betriebskostenspiegels 2006 zu einem Wert von 1,37 €/qm gelangt (SH LSG a.a.O.). Obgleich dass BSG dem Schleswig-Holsteinischen LSG bescheinigt hat, mit seiner Rechtsprechung habe „das LSG die Maßstäbe zur Bestimmung der abstrakt angemessenen kalten Betriebskosten verkannt“ (BSG, Urteil vom 22.08.2012, B 14 AS 13/12 R, Rz. 26), beabsichtigt das Schleswig-Holsteinische LSG, an seiner unzutreffenden Rechtsprechung mit ausgetauschter Begründung festzuhalten (mehr hier).
Ausgangspunkt des Schleswig-Holsteinischen LSG wie auch einiger verbliebener Kammern am SG Schleswig ist nach wie vor die – freilich verfehlte – Annahme, bei Wohnungen im untereren Marktsegment seien notwendig auch die Betriebskosten geringer. Bereits das BSG (a.a.O. Rz. 28) hat zutreffend darauf hingewiesen, dass „gerade bei größeren Wohnanlagen, die in Großstädten auch den Wohnungsmarkt im unteren Marktsegment zumindest mitprägen, (…) typischerweise sämtliche Kosten nach § 556 Bürgerliches Gesetzbuch“ anfallen.
Tatsächliche Durchschnittswerte der KWG
Dies belegen auch die konkreten, von mir bei einem großen Kieler Vermieter ermittelten Zahlen: Unter der KWG werden rund 9.400 Wohnungen verwaltet. Die KWG hat auch heute noch überdurchschnittlich viele Mieter, die im Grundsicherungsbezug leben (1999 rund 50 % , vgl. die Pressemitteilung des Kieler Mietvereins vom 30.06.1999) und stellt damit genau jenen Wohnraum zur Verfügung, auf den das Schleswig-Holsteinische LSG zur Berechnung der durchschnittlichen Betriebskosten gerade im unteren Wohnsegment abstellen möchte. Für ihren gesamten Wohnungsbestand hat die KWG folgende durchschnittliche Betriebskosten ermittelt:
2008: 1,79 €/qm
2010: 1,78 €/qm
Dabei ist zur berücksichtigen, dass gerade im KWG-Bestand bei vielen Wohnungen Frisch- und Abwasserkosten von den Mietern über separate Versorgungsverträge direkt mit den Stadtwerken Kiel AG abgerechnet werden, die mit weiteren rund 0,45 €/qm in die Berechnung der durchschnittlichen Betriebskosten einzustellen sind (vgl. Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung Nr. 170 vom 29.04.2011: 440,99 € / 12 Monate / 80 Quadratmeter = 0,4593 €/qm).
Fazit
Die tatsächlichen durchschnittlichen Betriebskosten von rund 9.400 Kieler Wohnungen im unteren Marktsegment belegen, dass die Betriebskosten bei einfachen, den grundlegenden Bedürfnissen entsprechenden Wohnungen nicht geringer, sondern – unter Berücksichtigung der Wasserkosten – sogar über den durchschnittlichen Betriebskosten in Kiel liegen. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, denn gerade die Wohnungen, die in den 70iger Jahren als Sozialwohnungen errichtet wurden, verfügen häufig über pflege- und damit kostenintensive Außenanlagen, Aufzüge und aufgrund ihrer Größe Hausmeistereien. Diese Kosten werden von der Vermieterseite als Betriebskosten auf die Mieter umgelegt. Es bleibt zu hoffen, dass sich das Schleswig-Holsteinische LSG dieser im Grunde einfachen Erkenntnis nicht weiterhin verschließen wird.
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht kann Kieler Mietobergrenzen nicht bestimmen
Auf der Suche nach den durchschnittlichen Kieler Betriebskosten
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
ALG II trotz Immatrikulation
Veröffentlicht: 30. Mai 2013 Abgelegt unter: Studenten | Tags: ALG II trotz Einschreibung, ALG II trotz Immatrikulation, § 7 Abs. 5 SGB II, BSG 22.03.2012 B 4 AS 102/11 R, Hartz IV trotz Einschreibung, Hartz IV trotz Immatrikulation, SG Mainz 09.08.2012 S 4 AL 314/10 24 KommentareEs entspricht der gängigen Praxis des Jobcenters Kiel, ALG II erst ab dem Zeitpunkt der nachgewiesenen Exmatrikulation zu bewilligen und die Zahlungen von ALG II ab dem Zeitpunkt der Immatrikulation einzustellen. Diese ständige Verwaltungspraxis ist rechtswidrig.
ALG II nach Abschluss der Ausbildung
Nach § 7 Abs. 5 SGB II erhalten Auszubildende, deren Ausbildung u.a. im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) dem Grunde nach förderungsfähig ist, kein ALG II. Auszubildender ist, wer sich in einer Ausbildung befindet. Die Ausbildung – und damit zugleich auch die Förderungsfähigkeit nach BAföG – endet mit dem Bestehen der Abschlussprüfung, § 15 b Abs. 3 Satz 1 BAföG. Ab dem Tag nach der Prüfung besteht mithin – unabhängig von der bestehenden Immatrikulation – ein ALG II-Anspruch (zur Berechnung § 41 SGB II). Denn neben einer organisatorischen Zugehörigkeit zur Universität ist das „tatsächliche Betreiben“ der Ausbildung Voraussetzung der Förderungsfähigkeit nach BAföG (BSG, Urteil vom 22.03.2012, B 4 AS 102/11 R, Rz. 16 f. m.w.N.; BSG, Urteil vom 22.08.2012, B 14 AS 197/11 R, Rz. 17) und es entspricht auch dem semantischen Gehalt des Wortes „Ausbildung“, dass tatsächlich gelernt wird.
ALG II vor Beginn der Ausbildung
Nichts anders gilt für den Zeitraum nach der Immatrikulation aber vor dem Beginn der Einführungsveranstaltungen. Auch hier kann nicht allein auf die Immatrikulation abgestellt werden. Entscheidend ist vielmehr, wann das Studium tatsächlich aufgenommen wird (BSG, Urteil vom 28.03.2013, B 4 AS 59/12 R, Rn. 19 f. zum Regelungsbereich SGB II/ALG II; a.A. SG Kiel, Urteil vom 15.02.2017, S 37 AS 347/15). Bis zu diesem Zeitpunkt steht auch ein eingeschriebener Student dem Arbeitsmarkt wie ein normaler Arbeitsloser zur Verfügung (vgl. SG Mainz, Pressemitteilung vom 09.08.2012 zum Aktenzeichen S 4 AL 314/10 zum Regelungsbereich SGB III/ALG I; BSG, Urteil vom 08.04.2013, B 11 AL 137/12 B zum ALG I; LSG Hessen, Urteil vom 26.06.2013, L 6 AL 186/10 sowie die Pressemitteilung des Hessischen Landessozialgericht zum Urteil vom 21.09.2012, L 7 AL 3/12 zum ALG I).
Kein ALG II in vorlesungsfreier Zeit
Anders verhält es sich freilich in der vorlesungsfreien Zeit zwischen zwei Semestern eines laufenden Studiums. Hier ist davon auszugehen, dass sich ein eingeschriebener Student auch in dieser Zeit seinem Studium widmet und sich damit in der „Ausbildung“ befindet (SG Mainz a.a.O.).
Mehr zum Thema ALG II und Studium:
Darlehensweises ALG II zur Ermöglichung des Studienabschlusses
Kein ALG II bis zum tatsächlichen Ausbildungsbeginn
Nachtrag 28.09.2014: Die o.g. Urteile des BSG sind jetzt in den Fachlichen Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu § 7 SGB II eingearbeitet.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Amtsgericht Kiel verweist Rechtsuchende erneut an das Büro der Bürgerbeauftragten
Veröffentlicht: 8. Mai 2013 Abgelegt unter: Beratungshilfe | Tags: Amtsgericht Kiel Beratungshilfe, Beratungshilfe AG Kiel, Beratungshilfe Amtsgericht Kiel 4 KommentareErneut häufen sich in der anwaltlichen Beratung offenbar die Fälle, in denen Rechtssuchenden vom Amtsgericht Kiel der Zugang zur Beratungshilfe unter Hinweis auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer Beratung durch das Büro der Bürgerbeauftragten verunmöglicht wird.
Aktueller Fall
In einem aktuellen Fall hatte ein Rechtsuchender heute beim Amtsgericht Kiel vorgesprochen, weil das Jobcenter Kiel ohne Angabe von Gründen zum 01.05.2013 kein ALG II gezahlt hatte. Zahlreiche Anrufe beim Jobcenter Kiel hatten weder zu einer Klärung der Angelegenheit noch überhaupt zu einer Reaktion seitens des Jobcenters Kiel geführt. Die Angelegenheit war nicht nur wegen der erheblichen Bedarfsunterdeckung besonders eilbedürftig, sondern auch deswegen, weil Raten für den Hauskredit mangels Kontodeckung nicht abgebucht werden konnten und deswegen – wie bereits einmal in der Vergangenheit geschehen – die Kündigung des Kreditvertrages drohte. Trotz telefonischer Erläuterung der Bedeutung der Angelegenheit sowie dem Hinweis auf die zusätzliche Geltendmachung eines Amtshaftunganspruches nach Art. 34 GG, § 839 BGB lehnte die zuständige Rechtspflegerin die Gewährung von Beratungshilfe unter anderem unter Hinweis auf Beratungsmöglichkeiten beim Büro der Bürgerbeauftragten ab.
Verweis an Bürgerbeauftragte kein unbekannter Ablehnungsgrund
Bereits im Jahre 2009 wurde mit dieser Begründung in zahlreichen Fällen Beratungshilfe abgelehnt. So ist etwa in einem Beschluss des AG Kiel vom 18.11.2009 zum Aktenzeichen 7 II 6210/09 nachzulesen:
„Voraussetzung für die Gewährung von Beratungshilfe ist unter anderem, dass nicht andere Möglichkeiten für eine Hilfe zur Verfügung stehen, deren Inanspruchnahme dem Rechtssuchenden zuzumuten ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG).
Der Antragsteller hätte sich an die Bürgerbeauftragte der Stadt Kiel wenden könne, welche nach Maßgabe des Gesetzes über die Bürgerbeauftragte oder den Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein (BüG) vom 15.01.1992, GVOBl. Schl.-H. 1992 S. 42, eine vorrangige Möglichkeit im Sinne des § 1 Abs. 2 BerHG darstellt. Die Bürgerbeauftragte hat die Aufgabe, alle Hilfesuchenden in sozialen Angelegenheiten zu informieren und zu beraten sowie ihre Anliegen gegenüber Behörden zu vertreten. Über den Einzelfall hinaus kann die Bürgerbeauftragte im Rahmen ihrer Berichtspflicht Änderungen oder Ergänzungen gesetzlicher Regelungen vorschlagen.
Die Bürgerbeauftragte und ihre Mitarbeiter sind berechtigt, zur Erfüllung ihrer Aufgaben von Behörden und Dienstellen des Landes Auskünfte einzuholen, Akten anzufordern und Stellungsnahmen zu erbitten. Sie haben Zugang zu allen Behörden, Dienstellen und Einrichtungen des Landes. Der Verweis an die Bürgerbeauftragte ist einfachrechtlich gut vertretbar. Daran ändert auch der Vortrag des Antragstellervertreters nichts.
Die Antragstellerin hat jedoch die zur Verfügung stehenden Hilfsmöglichkeiten nicht genutzt. Der in Anspruch genommene Antragstellervertreter hat im Rahmen der Prüfung der Gewährung von Beratungshilfe nicht auf die Möglichkeit verwiesen.
Vor diesem Hintergrund war der Antrag auf Beratungshilfe zurückzuweisen.“
Bei dieser Ablehnungsbegründung handelte es sich 2009 bei einer Rechtspflegerin um einen Textbaustein, mit dem mehr oder weniger freihändig Beratungshilfe in sozialrechtlichen Angelegenheiten verwehrt wurde.
Bürgerbeauftragte kritisiert Praxis des AG Kiel als rechtswidrig
Und dies, obwohl die Bürgerbeauftragte bereits mit Schreiben vom 04.09.2009 auf die ihrer Auffassung nach rechtswidrige Ablehnungspraxis hingewiesen hatte:
„Seit geraumer Zeit erhalte ich Hinweise aus der Anwaltschaft, dass die Gewährung von Beratungshilfe im Bereich des Amtsgerichts Kiel davon abhängig gemacht wird, dass vorher eine Beratung durch die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein erfolgt. Über einen aktuellen Fall wurde ich von der (…) informiert.
Grundsätzlich begrüße ich es natürlich, wenn die Einrichtung der Bürgerbeauftragten empfohlen wird, um kompetente Hilfe, Beratung und Unterstützung zu erhalten. Ich möchte jedoch darauf aufmerksam machen, dass Bürgerinnen und Bürger eine Petition führen (vgl. §§ 2 und 3 Bürgerbeauftragtengesetz), wenn sie sich an die Bürgerbeauftragte wenden. Das in der Verfassung verankerte Petitionsrecht beruht ausnahmslos auf Freiwilligkeit. Aus diesem Grund bin ich der Auffassung, dass das Führen einer Petition nicht Voraussetzung für die Gewährung von Beratungshilfe sein kann.
Ich bitte Sie daher, Ihre Ansicht zu überdenken. Für Erläuterungen in einem persönlichen Gespräch stehe ich gern zur Verfügung.“
Nach hiesigen Informationen hat das AG Kiel auf das Schreiben der Bürgerbeauftragten nie reagiert.
Fazit
Immer wieder lehnen insbesondere neue Rechtspfleger Beratungshilfe unter Hinweis auf die Bürgerbeauftragte ab, obwohl den betroffenen Rechtspflegern bekannt sein müsste, dass dieser Ablehnungsgrund rechtlich nicht haltbar ist.
Mit ein wenig Nachdenken müsste den betroffenen Rechtspflegern eigentlich auch klar werden, dass die zwei Mitarbeiter des Büros der Bürgerbeauftragten, die (u.a.!) in Hartz-IV-Angelegenheiten beraten und für ganz Schleswig-Holstein zuständig sind, nicht die Arbeit der gesamten im Sozialrecht tätigen Rechtsanwaltschaft übernehmen können (und sollen). Sicher ließe sich im Gesundheitswesen viel Geld einsparen, wenn alle Patienten mit Zahnproblemen an einen Zahnarzt in Schleswig-Holstein verwiesen würden, alle Schleswig-Holsteiner mit Magenproblemen zu einem Internisten gingen usw. Nur würde dabei das Gesundheitswesen zugrunde gehen. Rechtspfleger, die das Recht pflegen sollen, sollten sich deswegen an der Zugrunderichtung der Rechtspflege nicht beteiligen. Tun sie es doch, haben sie ihren Beruf verfehlt.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht kann Kieler Mietobergrenzen nicht bestimmen
Veröffentlicht: 26. April 2013 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: BSG Urteil vom 22.08.2012 B 14 AS 13/12 R, Mietobergrenzen Jobcenter Kiel, Mietobergrenzen Kiel, Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Beschluss vom 26.04.2013 L 6 AS 73/13 B ER 16 KommentareMit Beschluss vom 26.04.2013 im Verfahren L 6 AS 73/13 B ER hat es der 6. Senat am Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht für unmöglich erklärt, ohne weitere Ermittlungen eine Bestimmung der in der Stadt Kiel „angemessen“ Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 SGB II vorzunehmen. Wörtlich hat das Gericht ausgeführt:
„Eine abschließende Prüfung des Anordnungsanspruchs ist vorliegend nicht möglich, weil hierfür weitere Ermittlungen zu den angemessenen Unterkunftskosten zu tätigen sind. Soweit sich die Antragstellerinnen zur Begründung ihres Antrages auf einen Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 11. Januar 2013 (S 34 AS 4/13 ER) beziehen, ist zu beachten, dass die Entscheidung der 34. Kammer des Sozialgerichts Kiel in Abweichung zu der bisher ständigen Rechtsprechung des 11. Senats des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts zum schlüssigen Konzept bei der Ermittlung der Unterkunftskosten in der Stadt Kiel ergangen ist und auch nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22. August 2012 — B 14 AS 13/12 R — zum Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 6. Dezember 2011 – L 11 AS 97/10 – die Kriterien für eine zutreffende Bestimmung der kalten Betriebskosten im Rahmen eines schlüssigen Konzepts der Kosten der Unterkunft bei einem qualifizierten Mietspiegel erst von den Instanzgerichten zu entwickeln sind. Maßgeblich wird dabei vor allem die Auswertung von Detaildaten sein, die im Ergebnis nach einer veränderten Berechnung auch zu einem vergleichbaren Wert wie bisher führen könnten. Das BSG hat nicht das Ergebnis beanstandet, sondern die Berechnung und die Berechnungsmethode, sodass sich aus der Entscheidung kein konkreter Wert für die kalten Betriebskosten in Kiel ableiten lässt.“
Das Schleswig-Holsteinische LSG verkennt dabei, dass das BSG in seinem Urteil vom 22.08.2012 zu den Kieler Mietobergrenzen (B 14 AS 13/12 R) die bisherige Rechtsprechung des SH LSG zu den angemessenen Betriebskosten als „aus revisionsrechtlicher Sicht zu beanstanden“ gerade verworfen und genau für den Fall, dass statistische Detaildaten für eine gegebenenfalls abweichende Bestimmung üblicher Betriebskosten gerade im unteren Wohnungssegment nicht vorliegen, entschieden hat, dass auf die durchschnittlichen Betriebskosten des Kieler Mietspiegels zurückgegriffen werden muss „um mit ausreichender Sicherheit zu gewährleisten, dass in jedem Marktsegment – auch in dem in Bezug zu nehmenden unteren Segment – eine genügende Anzahl an Mietverhältnissen zu diesem Preis vorhanden ist.“
Im Einzelnen hatte das BSG in dem vorbenannten Urteil zur Betriebskostenberechnung des Schleswig-Holsteinischen LSG ausgeführt:
„Rz. 25
c) Wegen des dritten Schritts zur Bildung einer abstrakt angemessenen Referenzmiete, also der Festlegung eines abstrakt angemessenen Quadratmetermietpreises, ist schon die Bestimmung der kalten Betriebskosten als notwendiger Bestandteil dieses Wertes (vgl BSG Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 50/10 R – SozR 4-4200 § 22 Nr 42) durch das LSG aus revisionsrechtlicher Sicht zu beanstanden, wie die Kläger zutreffend rügen. Ob die Ermittlungen zum abstrakt angemessenen Quadratmeterpreis im Übrigen den oben zitierten Anforderungen der Rechtsprechung des BSG entsprechen (wovon die Beteiligten übereinstimmend ausgehen), braucht im derzeitigen Stand des Verfahrens nicht abschließend entschieden zu werden. Das LSG wird nach Zurückverweisung des Rechtsstreits den Wert insgesamt erneut zu bestimmen haben.
Rz. 26
Nach der Auffassung des LSG, die sich im Einzelnen nicht dem vorliegenden Urteil, sondern (lediglich) seinem Urteil vom 11.4.2011 – L 11 AS 123/09 (zitiert nach juris) – entnehmen lässt, errechnet sich der Wert für die kalten Betriebskosten aus den durchschnittlichen „Grundbetriebskosten“ (Grundsteuer, Müllabfuhr, Entwässerung, Wasserversorgung, Hausbeleuchtung sowie die Sach- und Haftpflichtversicherung), wie sie sich aus der dem Mietspiegel der Landeshauptstadt Kiel 2006 angefügten Quelle „Durchschnittliche Betriebskosten in Euro pro Quadratmeter und Monat im Mai 2006“ ergeben (= 1,09 Euro), zuzüglich eines Drittels der Differenz zwischen diesen Kosten und dem Durchschnittswert aus allen Betriebskostenarten (der zusätzlich Kosten für Straßen- und Gehwegreinigung, Hausreinigung, Gartenpflege, Schornsteinreinigung, Hauswart, Gemeinschaftsantenne/Kabelanschluss, Schneebeseitigung, die Wartung der Heizungsanlage und der Warmwassergeräte sowie für den Aufzug enthält = 1,93 Euro). So ergebe sich ein abstrakt angemessener Wert von 1,37 Euro (1,09 Euro zuzüglich 1/3 von 0,84 Euro). Damit hat das LSG die Maßstäbe zur Bestimmung der abstrakt angemessenen kalten Betriebskosten verkannt.
Rz. 27
Bei Bestimmung der abstrakt angemessenen kalten Betriebskosten im Vergleichsraum kommt es nicht darauf an, ob existenzsicherndes Wohnen in (gedachten) Wohnungen möglich ist, in denen der in den vom LSG genannten Betriebskostenarten (insbesondere Kosten für Straßen- und Gehwegreinigung, Hausreinigung, Gartenpflege und Schneebeseitigung durch Dritte, Gemeinschaftsantenne/Kabelanschluss und Aufzug) zum Ausdruck kommende Wohnungsstandard nicht gewährleistet ist. Es geht vielmehr darum „die Wirklichkeit“, also die Gegebenheiten auf dem Mietwohnungsmarkt des Vergleichsraums abzubilden (vgl nur BSG Urteil vom 17.12.2009 – B 4 AS 27/09 R – SozR 4-4200 § 22 Nr 27 RdNr 21). Dort wo statistische Daten zur Bestimmung gerade im unteren Wohnsegment nicht vorliegen, ist es zulässig, auf bereits vorliegende Daten aus Betriebskostenübersichten (und dabei vorrangig auf örtliche Übersichten) zurückzugreifen und dabei auf die sich daraus ergebenden Durchschnittswerte. Eine weitergehende Gewichtung hat der Senat dagegen nicht vorgenommen, weil nicht erkennbar ist, welche zuverlässigen (weitergehenden) Aussagen sich hieraus ableiten lassen sollten (BSG Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 50/10 R – SozR 4-4200 § 22 Nr 42 RdNr 34). Die Heranziehung von Durchschnittswerten aus allen Mietverhältnissen ergibt zwar einen Wert, der – weil er den gesamten Mietmarkt erfasst – in der Tendenz höher liegt, als dies bei Auswertung nur des Teilsegments der Fall wäre, auf das Leistungsberechtigte nach dem SGB II zu verweisen sind. Sofern eine entsprechend differenzierte Datenlage aber nicht vorliegt und also eine Auswertung des Teilsegments mit vernünftigem Aufwand ausscheidet, ist eine solche Vergröberung erforderlich, um mit ausreichender Sicherheit zu gewährleisten, dass in jedem Marktsegment – auch in dem in Bezug zu nehmenden unteren Segment – eine genügende Anzahl an Mietverhältnissen zu diesem Preis vorhanden ist.
Rz. 28
Diesen Rückschluss erlaubt der vom LSG gewählte Wert für sich genommen nicht. Gerade bei größeren Wohnanlagen, die in Großstädten auch den Wohnungsmarkt im unteren Marktsegment zumindest mitprägen, fallen typischerweise sämtliche Kosten nach § 556 Bürgerliches Gesetzbuch an. Wird eine fiktive Wohnung mit bestimmten prozentualen Abschlägen zugrunde gelegt, um dem einfachen, im unteren Marktsegment liegenden Wohnungsstandard Rechnung zu tragen, so bedarf es konkreter Feststellungen, dass es im räumlichen Vergleichsbereich Unterkunftsalternativen zu der insofern berechneten abstrakt angemessenen Miete in einer bestimmten Häufigkeit gibt. Es reicht zur Begründung von Abschlägen nicht aus, dass mit gewisser Wahrscheinlichkeit tatsächlich Wohnungen mit entsprechend niedrigeren kalten Betriebskosten vermietet werden (vgl bereits zur Bildung von Abschlägen bei einem qualifizierten Mietspiegel BSG Urteil vom 13.4.2011 – B 14 AS 106/10 R – SozR 4-4200 § 22 Nr 46 RdNr 24). Eine Datengrundlage, die die Annahme des LSG stützt, im in Bezug zu nehmenden Wohnungssegment fielen tatsächlich regelmäßig nur Kosten in dieser Höhe an, ist bislang aber nicht ersichtlich.“
Fazit
Nachdem über Jahre eine revisionsrechtliche Überprüfung der schleswig-holsteinischen Mietobergrenzenrechtsprechung im Wege der Nichtzulassung der Revision zum BSG verhindert wurde, wird nun das einzige Urteil des BSG zu dieser Rechtsfrage von der zweiten Instanz weitestgehend ignoriert. Mit der Rechtsprechung einer Mehrheit der Kammern am SG Kiel sowie der Rechtsprechung des BSG ist deswegen weiterhin davon auszugehen, dass – solange statistisch belastbare Daten zur Bestimmung angemessener Betriebskosten gerade im sog. unteren Wohnsegment nicht vorliegen, und dies ist ganz offenkundig der Fall, sonst hätte das Schleswig-Holsteinische LSG auf diese Daten zurückgegriffen – die durchschnittlichen Kieler Betriebskosten des amtlichen Betriebskostenspiegels 2012 zugrundezulegen sind. Das BSG hat im Übrigen bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass „bei größeren Wohnanlagen, die in Großstädten auch den Wohnungsmarkt im unteren Marktsegment zumindest mitprägen, (…) typischerweise sämtliche Kosten nach § 556 Bürgerliches Gesetzbuch“ anfallen. Vor diesem Hintergrund werden etwaige zukünftige Berechnungen des Schleswig-Holsteinischen LSG äußerst kritisch zu prüfen sein. Der augenscheinlich unbedingte Wille des Schleswig-Holsteinischen LSG, seine alte, vom BSG verworfene Rechtsprechung mit ausgetauschter Begründung fortzuführen, ist jedenfalls schwer zu übersehen.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Zur aktuellen Mietobergrenzenrechtsprechung am SG Kiel
Veröffentlicht: 25. April 2013 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: Kieler Mietobergrenzen, Mietobergrenzen Jobcenter Kiel, Mietobergrenzen Kiel, SG Kiel Beschluss vom 23.04.2013 S 33 AS 113/13 ER 2 KommentareEs gibt einen beliebten Spruch über Juristen: Frage zwei Juristen nach ihrer Meinung, und du erhältst drei Antworten. Wer derzeit beim Sozialgericht Kiel anfragt, wie hoch etwa die maßgebliche Mietobergrenze bruttokalt für einen Einpersonenhaushalt in Kiel ist, hat gute Chancen, vier Antworten zu erhalten: 316,00 €, 327,50 €, 338,50 € oder 345,50 €. Auch im achten Jahre seit Inkrafttreten von „Hartz IV“ ist es der Rechtsprechung damit nicht im Ansatz gelungen, ein akzeptiertes „schlüssiges Konzept“ zur Berechnung der Kieler Mietobergrenzen zu entwickeln. Streitig ist derzeit vor allem (wieder) die zutreffende Betriebskostenberechnung.
Grundlage: Betriebskostenspiegel der Stadt Kiel
Einigkeit besteht in der Richterschaft wohl noch insoweit, als mangels anderweitiger belastbarer Daten auf die Werte des Betriebskostenspiegels im amtlichen Kieler Mietspiegel 2012 zurückzugreifen ist und hier mit der Rechtsprechung des BSG von den durchschnittlichen Betriebskosten – derzeit 1,91 €/qm – ausgegangen werden muss (vgl. speziell zu Kiel BSG, Urteil vom 22.08.2012, B 14 AS 13/12 R, Rz. 25-28).
Nichtberücksichtigung von Kabelanschlusskosten?
Gehen eine Mehrheit der Kammern am SG Kiel im Grundsatz zutreffend davon aus, dass alle im Betriebskostenspiegel benannten Betriebskostenpositionen bei der Berechnung der durchschnittlichen Kieler Betriebskosten Berücksichtigung finden müssen (1,91 €/qm= MOG 345,50 € für eine Person), wird von zwei Kammer am SG Kiel die Rechtsauffassung vertreten, bei der Berücksichtigung der durchschnittlichen Betriebskosten in Kiel müssten die durchschnittlichen Kosten für Gemeinschaftsantennen und Kabelanschlüsse in Höhe von 16 Cent/qm unberücksichtigt bleiben, so dass die Mietobergrenze für einen Einpersonenhaushalt bei 338,50 € bruttokalt liegen müsse. Mit diesem Rechenansatz meint etwa die die 33. Kammer in ihrem Beschluss vom 23.04.2013 zum Aktenzeichen S 33 AS 113/13 ER (nicht rechtskräftig), sich auf die Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 19.02.2009, B 4 AS 48/08 R, stützen zu können. Wörtlich führt die Kammer auf Seiten 6 f. ihres Beschlusses aus:
„Das BSG führt in diesem Urteil insbesondere aus, dass monatliche Grundgebühren für die Nutzung eines Breitbandkabelanschlusses zwar ihrer Art nach erstattungsfähige Kosten der Unterkunft sind, wenn der Hilfebedürftige sie kraft Mietvertrages zu tragen hat und es sich um angemessene Aufwendungen handelt, nicht jedoch, wenn das Fernsehen bereits anderweitig technisch gewährleistet ist.“
Dies nun ist schlicht falsch. In dem zitierten Urteil hat das BSG entschieden, dass auch die Kosten für einen Kabelanschluss erstattungsfähig sind, soweit die Verpflichtung zur Zahlung mietvertraglich begründet worden ist (Rz. 19). Nur wenn eine Verpflichtung zur Zahlung durch den Mietvertrag nicht begründet wurde und der nach dem SGB II leistungsberechtigte Mieter den Breitbandanschluss aufgrund seines freiwilligen Entschlusses nutzt, ist zu prüfen, ob der vorhandene Kabelanschluss der einzige technische Zugang zum Fernsehen ist (Rz. 20), was etwa dann nicht der Fall ist, wenn ein Empfang des terrestrischen Digitalfernsehens über DVB-T möglich ist. Die Frage, ob Kosten für einen Kabelanschluss als Unterkunftskosten erstattungsfähig sind, wenn der Kabelanschluss der einzige technische Zugang zum Fernsehen ist, hat das BSG ausdrücklich offen gelassen (bejahend SG Itzehoe, Urt. v. 25.6.2012, S 16 AS 279/10 – Berufung beim SH LSG – L 13 AS 134/12 – anhängig).
Die von der 33. Kammer am SG Kiel vorgenommene Nichtberücksichtigung der Betriebskostenposition „Gemeinschaftsantenne/Kabelanschluss“ wäre folglich nur dann zutreffend, wenn feststünde, dass sämtliche in den Betriebskostenspiegel 2012 eingeflossenen Grundlagendaten zur Kostenposition „Gemeinschaftsantenne/Kabelanschluss“ nicht mietvertraglich geschuldet waren, sondern freiwillig erfolgten. Einfachste Überlegungen hätten die 33. Kammer zu dem Ergebnis kommen lassen können, dass dies nicht der Fall sein kann, vielmehr das Gegenteil naheliegend ist: Der Betriebskostenspiegel beruht auf einer Auswertung von Mietverträgen und Betriebskostenabrechnungen. Die ermittelten 16 Cent je Quadratmeter dürften daher den Durchschnitt der Kosten für „Gemeinschaftsantenne/Kabelanschluss“, die mietvertraglich geschuldet werden, beziffern, während die tatsächlichen durchschnittlichen Kosten unter Einbeziehung eigener von Mietern mit Anbietern von Breitbandkabelanschlüssen geschlossener Verträge noch gar nicht in den ermittelten durchschnittlichen 16 Cent Berücksichtigung gefunden haben dürften.
Letztlich kann diese Frage allerdings auch dahingestellt bleiben. Denn so lange nicht feststeht, dass die Betriebskostenposition „Gemeinschaftsantenne/Kabelanschluss“ mit durchschnittlich 16 Cent/qm vollständig auf Nutzungsverträgen beruht, welche auf einem freiwilligen Entschluss der befragten Mieter fußen – und hierfür ist weder etwas ersichtlich noch hat das Gericht (in Verkennung der Rechtsprechung des BSG) hierzu überhaupt entsprechende Ermittlungen angestellt -, können diese bei der Berechnung der durchschnittlichen Betriebskosten nicht unberücksichtigt bleiben.
Fazit
Mit der Mehrheit der Kammern am SG Kiel ist daher bis auf Weiteres von nachfolgenden Mietobergrenzen auszugehen:
| Anzahl der im Haushalt lebenden Personen | Anzuerkennende Wohnungsgröße (in qm) | Mietobergrenzen bruttokalt nach Mietspiegel 2012 (gültig ab 1.1.2013) nach Berechnung der Stadt Kiel mit BK von 1,32 €/qm | Mietobergrenzen bruttokalt nach Mietspiegel 2012 (gültig ab 1.1.2013) nach neuer Berechnung des SG Kiel mit durchschnittlichen BK von 1,91 €/qm |
| 1 | bis 50 | 316,00 € |
345,50 € |
| 2 | 50-60 | 379,20 € |
414,60 € |
| 3 | 60-75 | 457,50 € |
501,75 € |
| 4 | 75-85 | 531,25 € |
581,40 € |
| 5 | 85-95 | 593,75 € |
649,80 € |
| 6 | 95-105 | 656,25 € |
718,20 € |
| 7 | 105-115 | 718,75 € |
786,60 € |
| Mehrbetrag für jedes weitere Familienmitglied | 10 | 62,50 € |
68,40 € |
Auf der Suche nach den durchschnittlichen Kieler Betriebskosten
Wann Jobcenter Kabelanschlussgebühren übernehmen müssen
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Ist § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II verfassungswidrig?
Veröffentlicht: 10. April 2013 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: § 22 SGB II, Kosten der Unterkunft, SG Dresden Urteil vom 25.01.2013 S 20 AS 4915/11, SG Leipzig 15.02.2013 S 20 AS 2707/12, SG Mainz Urteil vom 08.06.2012 S 17 AS 1452/09, SG Mainz Urteil vom 22.10.2012 S 17 SO 145/11 7 KommentareIn einem aktuellen Urteil vom 15.02.2013 zum Aktenzeichen S 20 AS 2707/12 hat das SG Leipzig entschieden, dass die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts in seinem Hartz-IV-Urteilen vom 09.02.2010 (Az. 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) genügt, da die Vorschrift nicht hinreichend bestimmt genug festlege, in welcher Höhe Leistungsberechtigten nach dem SGB II Leistungen für die Unterkunft zustehen. Deswegen sei § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II verfassungskonform dahin auszulegen, dass grundsätzlich die tatsächlichen Wohnungskosten zu übernehmen sind.
Eine Beschränkung auf die „angemessenen“ Unterkunftskosten könne derzeit „nur als eine Art Korrektiv dienen, nämlich dann, wenn die Unterkunftsverhältnisse bzw. -kosten in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den sonstigen Lebensumständen des Alg-II-Empfängers stehen. Mit anderen Worten: Das Maß ist überschritten, wenn Empfänger von Sozialleistungen in Luxusunterkünften wohnen.“
Das SG Leipzig beschreitet damit in konsequenter Umsetzung der Rechtsprechung des BVerfG einen völlig neuen Weg bei der Bestimmung der im SGB II zu übernehmenden Unterkunftskosten. Es bleibt abzuwarten, wie das Sächsische Landessozialgericht im Berufungsverfahren entscheiden wird.
Wie das SG Leipzig haben bereits entschieden:
SG Mainz, Urteil vom 08.06.2012, S 17 AS 1452/09:
„3. Die Kammer konkretisiert den Angemessenheitsbegriff deshalb nach Maßgabe des Grundsatzes der verfassungskonformen Auslegung in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II lediglich Kosten der Unterkunft sind, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum liegen.“
SG Mainz, Urteil vom 22.10.2012, S 17 SO 145/11:
„3. Die Kammer konkretisiert den Angemessenheitsbegriff deshalb nach Maßgabe des Grundsatzes der verfassungskonformen Auslegung in der Weise, dass unangemessen im Sinne des § 35 Abs. 2 S. 1 SGB XII lediglich Kosten der Unterkunft sind, die deutlich über den üblichen Unterkunftskosten für der Größe und Struktur nach vergleichbare Haushalte im geografischen Vergleichsraum liegen.“
SG Dresden, Urteil vom 25.01.2013, S 20 AS 4915/11:
„Solange keine den Vorgaben des BVerfG genügende Regelung über die Ermittlung der Angemessenheit der Bedarfe der Unterkunft im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zur Verfügung steht, erscheint es der Kammer angezeigt, in diesem Zusammenhang auf die vom Gesetzgeber in einem dem vom BVerfG verlangten nahekommenden Verfahren errechneten Werte der Tabelle in § 12 Abs. 1 WoGG zurückzugreifen und diese um einen maßvollen Zuschlag von 10 % zu erhöhen (vgl. BSG, Urteil vom 11. Dezember 2012 – B 4 AS 44/12 R, Rn. 19).“
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Darlehen vom Jobcenter für die Kosten von Ausweispapieren
Veröffentlicht: 9. April 2013 Abgelegt unter: Abweichende Leistungserbringung, Darlehen | Tags: Ausweiskosten Hartz IV, Ausweiskosten Jobcenter, § 24 Abs. 1 SGB II, Darlehen vom Jobcenter 5 KommentareInsbesondere für aufenthaltsberechtigte Ausländer, welche ihre Ausweispapiere bei den für sie zuständigen Konsulaten ihrer Heimatstaaten beantragen müssen, ist die Erstellung neuer Pässe teilweise mit erheblichen Kosten verbunden. Da diese Kosten nicht fortlaufend, sondern in größeren Abständen nur einmalig entstehen, scheidet die Anerkennung eines Härtefallmehrbedarf durch das Jobcenter nach § 21 Abs. 6 SGB II grundsätzlich aus.
Das Jobcenter kann allerdings seit dem 01.01.2011 in Höhe der notwendigen Kosten der Ausweiserstellung ein Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II gewähren. Nach dieser Vorschrift kann im Einzelfall für einen von den SGB II-Regelleistungen umfassten und nach den Umständen unabweisbaren Bedarf, der von den Leistungsberechtigen aus vorhandenen Mitteln nicht gedeckt werden kann, ein Darlehen gewährt werden. Da seit dem 01.01.2011 unter der Position „sonstige Dienstleistungen“ ein monatlicher Betrag von 0,25 € für Ausweispapiere in den Regelleistungen berücksichtigt wird (BT-Drucks. 17/3404, S. 64), sind die Kosten für einen Ausweis grundsätzlich von den ALG II-Regelleistungen „umfasst“. Der Bedarf ist auch „unabweisbar“, weil in Deutschland eine Ausweispflicht besteht. Voraussetzung ist zuletzt, dass die Kosten aus baren Mitteln nicht erbracht werden können. Das Darlehen wird nach § 42a Abs. 2 SGB II ab dem auf die Auszahlungen folgenden Monat in Höhe von 10 % der maßgeblichen Regelleistungen durch Einbehalt vom ALG II getilgt.
(zum Thema LSG BW, Urteil vom 21.10.2011, L 12 AS 2597/11; LSG NRW, Beschluss vom 25.02.2011, L 19 AS 2003/10 B)
Erstveröffentlichung in HEMPELS 03/2013
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Erhöhte Anforderungen an die Eilbedürftigkeit bei bestandskräftig gewordenen Sanktionsbescheiden
Veröffentlicht: 27. März 2013 Abgelegt unter: Eilverfahren, Sanktionen | Tags: SG Kiel Beschluss vom 27.03.2013 S 30 AS 80/13 ER Ein KommentarWird ein belastender Bescheid wie etwa ein Sanktionsbescheid nach §§ 31 ff. SGB II bestandskräftig, weil innerhalb der Widerspruchsfrist kein Widerspruch erhoben wurde, und gelangt der Bezieher von ALG II erst danach – etwa aufgrund einer fachkundigen Beratung – zu dem Ergebnis, dass der Bescheid rechtswidrig ist, so kann der Bescheid nach § 44 SGB X einer Überprüfung unterzogen werden. Gleichzeitig kann im Wege einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG bei dem örtlich zuständigen Sozialgericht um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht werden. Das Gericht wird sodann prüfen, ob eine Anordnungsgrund (Eilbedürftigkeit) und ein Anordnungsanspruch (rechtlicher Anspruch auf die begehrte Maßnahme) vorliegen.
Genügt für die Eilbedürftigkeit im Regelfall eine Bedarfsunterdeckung von mindestens 10 % der maßgeblichen Regelleistungen – bei einer alleinstehenden Person mit einem Regelbedarf von 382,00 € also eine Bedarfsunterdeckung in Höhe von 38,20 € -, so sind nach Auffassung vieler Gerichte bei einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach Stellung eines Antrages auf Überprüfung eines bestandskräftigen Bescheides nach § 77 SGG besonders strenge Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes zu stellen.
In einem aktuellen Eilverfahren hat das SG Kiel (Beschluss vom 27.03.2013, S 30 AS 80/13 ER) zu dieser Frage ausgeführt:
„Erforderlich wäre insofern, dass massive Eingriffe in die soziale und wirtschaftliche Existenz mit erheblichen Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse dargelegt werden. Für deren Vorliegen bestehen hier keine Anhaltspunkte. Streitgegenstand ist der Zeitraum vom 15.03.2013 bis zum 31.03.2013. Die Minderung betrug für den gesamten Monat März € 122,20 und beträgt damit für den streitgegenständlichen Zeitraum ungefähr die Hälfte dieses Betrages. Die Antragstellerin hat zwar eine sanktionsfreie Gewährung ab Antragsteilung bis zu einem vom Gericht zu bestimmenden Zeitraum beantragt. Allerdings endet die Minderung laut Bescheid ohnehin mit Wirkung ab dem 01.04.2013, so dass allein diese Tage im März im Streit stehen. Die Minderungshöhe ist nicht derart hoch, dass die wirtschaftliche Existenz der Antragstellerin gefährdet scheint. Auch ansonsten sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die finanziellen Einbußen mit fortwirkenden Auswirkungen für die Antragstellerin sind. Hierfür ist der Gesamtbetrag, der über das Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zugesprochen werden könnte, deutlich zu gering. Es wäre der Antragstellerin unbenommen gewesen, bereits im Dezember 2012 Widerspruch gegen den Bescheid einzulegen und ein gerichtliches Eilverfahren zu einem früheren Zeitpunkt anhängig zu machen. Da sie dies nicht getan hat, hat sich der Maßstab für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes modifiziert und die wirtschaftliche Bedeutung reduziert.“
Beurteilung und Hinweise für Betroffene
Die unterschiedlichen Maßstäbe bei der Beurteilung des Vorliegens eines Anordnungsgrundes je nachdem, ob der inkriminierte Bescheid in Bestandskraft erwachsen ist oder nicht, ergeben sich jedenfalls nicht unmittelbar aus dem Gesetz. Häufig wird die Hinnahme eines (rechtswidrigen) belastenden Bescheides ihren Grund in dem Vertrauen des Leistungsberechtigten auf die Rechtmäßigkeit behördlichen Verwaltungshandelns sowie der zunächst nicht stattgehabten rechtlichen Beratung haben. Zum Vorwurf wird man dies dem Leistungsberechtigten sicherlich nicht machen können, so dass der Hinweis auf die Möglichkeit der rechtzeitigen Widerspruchseinlegung zwar nicht unzutreffend, aber eben auch kein ganz überzeugendes Argument für das Anlegen unterschiedlicher Maßstäbe bei der Beurteilung eines Anordnungsgrundes ist.
Da diese Rechtsprechung akzeptiert werden muss, ist Adressaten belastender Bescheide wie etwa Sanktionsbescheiden dringlichst zu raten, diese sofort und erforderlichenfalls auch unter Zuhilfenahme fachkundigen Rates prüfen zu lassen. Bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines Minderungsbescheides sollte gegen diesen innerhalb der Monatsfrist Widerspruch erhoben und – da der Widerspruch gegen einen Sanktionsbescheid nach § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung hat – gegebenenfalls nach Ablauf einer angemessenen Abhilfefrist ein Eilantrag nach § 86b Abs. 2 SGG bei dem örtlich zuständigen Sozialgericht gestellt werden.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Mietobergrenzen: 10 % Sicherheitszuschlag auch bei den Tabellenwerten zu § 12 WoGG
Veröffentlicht: 21. März 2013 Abgelegt unter: Jobcenter Plön, Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: Mietobergrenzen Kreis Plön, SG Kiel Beschluss vom 21.03.2013 S 35 AS 85/13 ER 16 Kommentare
In einem aktuellen Eilverfahren vor dem Sozialgericht Kiel (Beschluss vom 21.03.2013, S 35 AS 85/13 ER – rechtskräftig) hat das Jobcenter Plön erstmals explizit eingeräumt, dass der Kreis Plön über kein schlüssiges Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG (etwa Urteil vom 22.09.2009, B 4 AS 18/09 R) verfügt und die vom Jobcenter Plön zugrunde gelegten Mietobergrenzen damit rechtswidrig sind. Obwohl dem Jobcenter Plön die Rechtswidrigkeit seiner Mietobergrenzen bekannt ist, wendet es diese weiterhin an und fordert Leistungsberechtigte auf, ihre Unterkunftskosten auf diese rechtswidrigen Obergrenzen abzusenken. Das Jobcenter Plön wendet damit zum Nachteil der Hilfebedürftigen das Recht bewusst falsch an.
Streitig: 10 % Sicherheitszuschlag auf die Werte der Wohngeldtabelle?
In dem Eilverfahren streitig war zwischen den Beteiligten allein, ob die Antragstellerin die Regelhöchstfrist ausschöpfen muss, damit auch ein Anordnungsgrund (Eildürftigkeit) bejaht werden kann (verneinend zu Recht das SG Kiel a.a.O., Seite 3), sowie, ob der Sicherheitszuschlag von 10 % (dazu BSG, Urt. v. 22.03.2012, B 4 AS 16/11 R, Rn. 22) auch auf die seit dem 01.01.2009 geltenden Werte der Tabelle zu § 12 WoGG anzuwenden ist.
Jobcenter Plön
Das Jobcenter Plön hatte sich auf den Standpunkt gestellt, die seit dem 01.01.2009 geltenden Tabellenwerte zu § 12 WoGG seien im Vergleich zu den zuvor geltenden Werten nach § 8 WoGG a.F. bereits um 10 % erhöht worden. Eine (weitere) Erhöhung der Tabellenwerte nach § 12 WoGG um einen „Sicherheitszuschlag“ sei insbesondere vor dem Hintergrund des Fehlens von Hinweisen, dass die Werte zu niedrig seien und damit das Existenzminimum gefährdet sei, nicht vertretbar.
Absenkung der Mietstufen zu beachten
Dieser Argumentation ist grundsätzlich entgegen zu halten, dass zwar die entsprechenden Werte für die Wohngeldberechnung zum 01.01.2009 um 10% angehoben worden sind. Gleichzeitig wurden aber die Mietstufen von 421 Gemeinden mit jeweils mehr als 10.000 Einwohnern und 59 Landkreisen teilweise drastisch abgesenkt. Damit fiel die allseits erhoffte Steigerung der Wohngeldleistungen wesentlich geringer aus (mehr hier). Dies gilt auch für den Kreis Plön. Nach der Tabelle zu § 8 WoGG galt für den Kreis Plön die Mietstufe IV, mithin eine Bruttokaltobergrenze von 325,00 € (Mietstufen aus Wohngeldbroschüre 2001, Seite 103). Seit dem 01.01.2009 gilt für das Amt Schrevenborn (Kreis Plön) die Mietstufe III und damit nach § 12 WoGG ein Höchstbetrag von 330,00 € bruttokalt. Das ist eine Differenz von 5,00 € und nicht 10 %, wie vom Jobcenter Plön behauptet. Bedenkt man ferner, dass seit 2009 die Mieten und Betriebskosten erheblich – und zwar weit über 5,00 € – gestiegen sind, so wird schnell erkennbar, dass der Sicherheitszuschlag aus den zutreffenden Erwägungen des BSG auch hinsichtlich der Wohngeldtabelle zu § 12 WoGG berechtigt und auch erforderlich ist, zumal dieser – worauf das SG Kiel im Ergebnis zutreffend hinweist – einer ganz anderen Zwecksetzung folgt.
BSG: Sicherheitszuschlag gewährleistet tatsächliche Anmietbarkeit
Das SG Kiel ist in seinem Beschluss vom 21.03.2013 im Ergebnis der Rechtsauffassung der Antragsteller gefolgt und hat sich zur Begründung (wörtlich) auf BSG, Urt. v. 22.03.2012, B 4 AS 16/11 R, Rn. 22, bezogen. Dabei hat das SG allerdings das entscheidende Argument des BSG für den Sicherheitszuschlag übersehen (Rz. 21 a.E.): Übersteigt die tatsächliche Miete den in § 8 WoGG bzw. jetzt § 12 WoGG festgesetzten Betrag, bleibt der übersteigende Teil lediglich bei der Wohngeldberechnung außer Betracht, die Wohnung kann aber trotzdem angemietet werden. Die im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II angemessene Miete muss hingegen gewährleisten, dass zu dem als angemessen erachteten Wert tatsächlich Wohnraum vorhanden und damit anmietbar ist. Leider hat das SG Kiel auch übersehen, dass die Tabelle zu § 12 WoGG zwar noch eine rechte Spalte hat, die Rede von dem Rückgriff auch die „rechte Spalte“ der Wohngeldtabelle nach § 12 WoGG allerdings keinen Sinn mehr macht, denn es gibt – nachdem die Baualtersdifferenzierung in der alten Tabelle zu § 8 WoGG entfallen ist – nur noch eine Spalte mit Höchstbeträgen. Damit kann aber auch nur noch auf die eine (verbliebene) Spalte zurückgegriffen werden.
Fazit: Der Sicherheitszuschlag von 10 % ist nach der Rechtsprechung der 35. Kammer am SG Kiel auch den Höchstbeträgen der Tabelle zu § 12 WoGG zuzuschlagen. Für den Kreis Plön ergeben sich damit höhere Mietobergrenzen als jene, die vom Jobcenter Plön in ständiger Verwaltungspraxis bis heute zugrunde gelegt werden. Eine Tabelle mit den rechtmäßigen Obergrenzen findet sich hier:
Mietobergrenzen des Jobcenters Plön nach wie vor rechtswidrig
Nachtrag 27.04.2013: Diese Rechtsfrage ist nun beim BSG anhängig:
B 4 AS 87/12 R
Vorinstanz: LSG Stuttgart, L 3 AS 5600/11
Zur Höhe des Sicherheitszuschlags bei Rückgriff auf die Tabellenwerte der Wohngeldtabelle zu § 12 Abs 1 WoGG im Rahmen der Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten iS des § 22 Abs 1 S 1 SGB 2.
Nachtrag 12.12.2013: Das BSG hat im Verfahren B 14 AS 87/12 R heute entschieden, dass die Einbeziehung des Sicherheitszuschlages von 10 % auch im Fall der Heranziehung von § 12 WoGG zu erfolgen hat (Terminbericht Nr. 59/13 unter 4., siehe in den Kommentaren)
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Übernahme von Kosten der privaten Krankenversicherung nur bis zum halben Basistarif
Veröffentlicht: 5. März 2013 Abgelegt unter: Krankenversicherung | Tags: ALG II halber Basistarif, ALG II private Krankenversicherung, B 14 AS 11/12 R, B 4 AS 108/10 R, Hartz IV halber Basistarif, Hartz IV private Krankenversicherung 4 KommentareBereits mit Urteil vom 18.1.2011 zum Aktenzeichen B 4 AS 108/10 R hatte der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) entschieden, dass die Kosten einer privaten Krankenversicherung eines Hartz-IV-Beziehers jedenfalls bis zur Höhe des halben Basistarifs in der gesetzlichen Krankenversicherung (seit 1.1.2013: Höchstbeitrag 610,31 € durch zwei = 305,16 €) vom Jobcenter übernommen werden müssen. Weil der vom Kläger zu tragende Beitrag zu seiner privaten Krankenversicherung in diesem Fall deutlich unterhalb des damaligen hälftigen Basistarifs lag, musste das BSG nicht entscheiden, ob der Zuschussbetrag generell auf die Höhe des halben Basistarifs zu beschränken ist (vgl. BSG a.a.O. Rz. 20).
In einem aktuellen Urteil vom 16.10.2012 hat der 14. Senat des BSG im Verfahren B 14 AS 11/12 R nun entschieden, dass privat versicherten Hartz-IV-Beziehern kein Anspruch auf Übernahme ihrer Beiträge zu einer privaten Krankenversicherung über den halben Basistarif von derzeit 305,16 € hinaus zusteht, da es hierfür an einer Rechtsgrundlage fehlt. Grundsätzlich sei dem Kläger ein Wechsel in den Basistarif seiner privaten Krankenversicherung auch zumutbar gewesen, auch wenn ihm später eine Rückkehr in den alten Tarif gegebenenfalls nicht mehr möglich sei. Die über den halben Basistarif hinausgehenden Kosten einer privaten Krankenversicherung können nach Auffassung des BSG auch nicht als angemessene Kosten einer Versicherung nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB vom Einkommen eines Hartz-IV-Beziehers abgesetzt werden.
Erstveröffentlichung in HEMPELS 02/2013
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Freibeträge nach § 11b SGB II vom Monatseinkommen abzusetzen
Veröffentlicht: 15. Februar 2013 Abgelegt unter: Einkommensanrechnung | Tags: Einkommensanrechnung ALG II, Einkommensanrechnung § 11b SGB II, Einkommensanrechnung Hartz IV 20 KommentareEs gibt Rechtsfragen, die spannend sind. Und solche, die es nicht sind. In letztere Kategorie fällt die Rechtsfrage, ob die Freibeträge nach § 11b SGB II auf das monatliche Erwerbseinkommen zu gewähren sind oder – fließen etwa zwei Monatsgehälter zufällig einmal in einem Monat zu – nur für den Monat des Zuflusses.
Sowohl aus dem Gesetzeswortlaut – § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II spricht von „monatlich abzusetzen“ und § 11b Abs. 3 Satz 1 SGB II von „von dem monatlichen Einkommen (…) abzusetzen“ – als auch aus der Natur der Freibeträge als pauschalierter Werbungskosten, die erwerbstätigkeitsbedingte Mehrausgaben kompensieren sollen und deswegen (natürlich) je Monat der Erwerbstätigkeit zu gewähren sind, ließe sich eigentlich leicht die Erkenntnis gewinnen, dass die Freibeträge nach § 11b SGB II für jeden Monat der Erwerbstätigkeit zu gewähren sind.
Nicht so jedoch für das Jobcenter Plön. Nachdem es mit seinem Ansinnen, die Freibeträge nur für den Zuflussmonat zu gewähren, bereits vor dem Sozialgericht Schleswig gescheitert war (Urteil vom 12.09.2011, S 3 AS 1273/09), legte es gegen diese Entscheidung Berufung ein. Im heutigen Verhandlungstermin vor dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht im Verfahren L 6 AS 91/11 nahm das Jobcenter Plön nun – nachdem dem Prozessvertreter die Erfolgsaussichten auch noch einmal durch das Schleswig-Holsteinische LSG (allerdings unter unzutreffendem Hinweis auf BSG, B 14 AS 43/07 R, Rz. 34, wo sich zu der strittigen Frage keinerlei Hinweise finden) vor Augen geführt worden waren und man durchblicken ließ, eine Revision (entgegen dem Wunsch des SG) nicht zulassen zu wollen – die Berufung zurück. Viel Lärm um nichts also wieder einmal.
Ausführliche Begründungen zum Thema finden sich in den Entscheidungen LSG BW, Urteil vom 09.08.2007, L 7 AS 5695/06 und SG Berlin, Urteil vom 18.01.2012, S 55 AS 30011/10 (Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen).
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Zur Rechtmäßigkeit von Stromsperren
Veröffentlicht: 13. Februar 2013 Abgelegt unter: Stromsperren | Tags: AG Kiel Urteil vom 16.01.2013 108 C 108/12, § 19 Abs. 2 StromGVV 7 KommentareBisher hatten der 92 Jahre alte Beklagte und seine 76jährige, schwer an Krebs erkrankte und deswegen zu 80% schwerbehinderte Ehefrau ihre Stromrechnung stets beglichen. Bis im November 2011 unerwartet die Ölheizung in ihrem kleinen Siedlungshaus ausfiel. Verschiedene von den Eheleuten beauftragte Firmen sahen sich nicht in der Lage, den alten Heizkessel zu reparieren. Aus diesem Grunde entschieden sich die Eheleute dazu, zwei mit Strom betriebene Radiatoren zu kaufen. Mit diesen beheizten sie über den Winter 2011/2012 ihr Haus. Erfahrungswerte über die zu erwartenden Stromkosten konnten die Eheleute aufgrund fehlender Erfahrungen mit derartigen Geräten nicht haben. Bisher zahlten sie Abschläge für Strom in Höhe von monatlich 70,00 €.
Mit der Jahresabrechnung 2012 setzte die spätere Klägerin, die E.ON Hanse Vertrieb GmbH, den Abschlag für Strom von 70,00 € um 202,00 € auf 272,00 € ab April 2012 herauf und forderte zugleich eine Nachzahlung in Höhe von 2.943,42 €. Da die Eheleute diesen Betrag nicht auf einmal zahlen konnten, baten sie um die Einräumung einer Ratenzahlungsmöglichkeit. Hierzu erklärte sich E.ON Hanse bereit, verlangte aber monatliche Raten von 750,- € – welche die Eheleute nicht aufzubringen vermochten. Eine Ratenzahlungsvereinbarung kam deswegen nicht zustande.
In der Folge zahlten die Eheleute den neuen Abschlag in Höhe von 272,00 € und leisteten darüber hinaus – wenngleich nicht immer regelmäßig – weitere Zahlungen von zuletzt 228,00 € monatlich zur Rückführung der aufgelaufenen Schulden.
Das allerdings interessierte E.ON Hanse nicht. Nachdem der Stromversorger im August 2012 erfolglos versucht hatte, die Stromversorgung zu unterbrechen, ließ er durch seine Rechtsanwälte im September 2012 Klage auf Zutrittsgewährung und Duldung der Stromunterbrechung vor dem Amtsgericht Kiel erheben.
Voraussetzungen für eine Stromsperre
Wann eine Stromunterbrechung gerechtfertigt ist, regelt § 19 Abs. 2 StromGVV:
„(2) Bei anderen Zuwiderhandlungen, insbesondere bei der Nichterfüllung einer Zahlungsverpflichtung trotz Mahnung, ist der Grundversorger berechtigt, die Grundversorgung vier Wochen nach Androhung unterbrechen zu lassen und den zuständigen Netzbetreiber nach § 24 Abs. 3 der Niederspannungsanschlussverordnung mit der Unterbrechung der Grundversorgung zu beauftragen. Dies gilt nicht, wenn die Folgen der Unterbrechung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung stehen oder der Kunde darlegt, dass hinreichende Aussicht besteht, dass er seinen Verpflichtungen nachkommt. Der Grundversorger kann mit der Mahnung zugleich die Unterbrechung der Grundversorgung androhen, sofern dies nicht außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung steht. Wegen Zahlungsverzuges darf der Grundversorger eine Unterbrechung unter den in den Sätzen 1 bis 3 genannten Voraussetzungen nur durchführen lassen, wenn der Kunde nach Abzug etwaiger Anzahlungen mit Zahlungsverpflichtungen von mindestens 100 Euro in Verzug ist. Bei der Berechnung der Höhe des Betrages nach Satz 4 bleiben diejenigen nicht titulierten Forderungen außer Betracht, die der Kunde form- und fristgerecht sowie schlüssig begründet beanstandet hat. Ferner bleiben diejenigen Rückstände außer Betracht, die wegen einer Vereinbarung zwischen Versorger und Kunde noch nicht fällig sind oder die aus einer streitigen und noch nicht rechtskräftig entschiedenen Preiserhöhung des Grundversorgers resultieren.“
Entscheidung des Amtsgerichts Kiel
In vorliegendem Fall standen die Folgen der Unterbrechung der Stromversorgung außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung und es bestand zudem auch hinreichende Aussicht darauf, dass die Eheleute ihren vertraglichen Verpflichtungen nachkommen würden.
Unverhältnismäßigkeit der Stromunterbrechung
Die Folgen der Unterbrechung der Stromversorgung stehen außer Verhältnis zur Schwere der Zuwiderhandlung, wenn die für den Kunden mit der Versorgungsunterbrechung verbundenen Schwierigkeiten ein Ausmaß erreichen, welches auch in Anbetracht der Tatsache, dass sich der Kunde vertragswidrig verhält, als unangemessen angesehen werden müssen (Morell, GasGVV, Kommentar, 2. Aufl. 2009, F § 19 Rz. 38).
Dies war vorliegend zu bejahen. Die Versorgungsschulden beruhten auf einer unerwarteten und unverschuldeten Nachzahlung und nicht etwa auf nicht geleisteten Abschlagszahlungen. Die Eheleute glichen die Rückstände auch nicht etwa deswegen nicht aus, weil sie nicht zahlungswillig waren, sondern weil die Nachzahlung eine Höhe hatte, in welcher die Eheleute nicht leistungsfähig waren.
Eine Versorgungsunterbrechung ist hier aber auch deswegen unverhältnismäßig, weil der Beklagte und seine Frau ohne Stromversorgung weder Licht haben noch Mahlzeiten zubereiten noch das Haus beheizen können. Für den hoch betagten Beklagten und seine schwerkranke Ehefrau wäre durch eine Versorgungsunterbrechung die Gefahr zu besorgen gewesen, dass diese ernsthaft Schaden an Leib und Leben genommen hätten.
Hinreichende Aussicht auf Zahlung der Rückstände
Selbst eine an sich verhältnismäßige Stromsperre ist rechtswidrig, wenn der Kunde darlegt, dass hinreichende Aussicht besteht, dass er seinen Verpflichtungen nachkommt (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 2 StromGVV: „oder“). Eine hinreichende Aussicht in diesem Sinne ist anzunehmen, wenn für die Erwartung, der Kunde werde seinen vertraglichen Pflichten sowohl hinsichtlich der Rückstände als auch der laufenden Verpflichtungen nachkommen, konkrete und objektiv nachprüfbare Tatsachen sprechen (Morell a.a.O., Rz. 44).
So lag es hier. Der Eheleute zahlten nicht nur seit April 2012 den neuen Abschlag in Höhe von immerhin 272,00 €, sondern leisten darüber hinaus auch erhebliche Zahlungen auf den Nachforderungsbetrag, bei welchem es sich mir zuletzt 228,00 € monatlich – auch in Anbetracht der Höhe des Nachzahlungsbetrages – nicht um „kleine Raten“ handelt, die gegebenenfalls nicht ausreichend wären (dazu Morell a.a.O. m.w.N.).
AG Kiel, Urteil vom 16.01.2013, 108 C 108/12 (nicht rechtskräftig)
Anspruch gegen Sozialleistungsträger auf Darlehen
Eine hinreichende Aussicht darauf, dass Kunden ihren vertraglichen Verpflichtungen nachkommen werden, kann sich auch daraus ergeben, dass diese – ein entsprechend geringes Einkommen vorausgesetzt – einen Anspruch gegen den zuständigen Sozialleistungsträger auf darlehensweise Übernahme ihrer Stromschulden aus § 42 Satz 2 Nr. 4 i.V.m. § 36 Abs. 1 SGB XII bzw. bei ALG II-Bezug aus § 22 Abs. 8 SGB II haben, denn die Nichtversorgung mit Strom stellt nach ständiger Rechtsprechung der Sozialgerichte eine der Obdachlosigkeit vergleichbare Notlage dar, weil eine Wohnung ohne Strom nach den heutigen Lebensgewohnheiten nicht mehr zweckentsprechend genutzt werden kann. Dies gilt umso mehr, wenn mit Strom zugleich auch geheizt werden muss.
Voraussetzung für einen Anspruch auf Schuldenübernahme ist nach der Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts (Beschluss vom 13.01.2012, L 3 AS 233/11) allerdings, dass der Leistungsberechtigte zuvor alle Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft hat. Hierzu gehört es nach Auffassung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts auch, zunächst die Erfolgsaussichten einer zivilgerichtlichen einstweiligen Verfügung gegen den sperrenden Energieversorger zu prüfen und bei hinreichender Erfolgsaussicht zunächst den Zivilrechtsweg zu beschreiten. Zivilrechtlicher Rechtsschutz – auch in Gestalt der Abwehr eine Klage auf Duldung einer Stromsperre – ist nach der Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts mithin vorrangig vor sozialgerichtlichem Rechtsschutz.
Weiterführende Infos:
Zum Anspruch auf Darlehen bei Stromschulden
Kieler Mieterverein: Rabiate Stadtwerke
Dirk Berendes, Zum Anspruch auf Übernahme von Energieschulden nach § 34 Abs. 1 SGB XII und § 22 Abs. 5 SGB II, in: info also 4/2008, S. 151-154.
taz vom 23.01.2013: Acht Jahre ohne Strom
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Streichung von KiTa-Beiträgen für Hartz IV-Empfänger geplant
Veröffentlicht: 30. Januar 2013 Abgelegt unter: Landtag | Tags: Kindergartengebühren Kiel, Kindergartengebühren Schleswig-Holstein, Kita-Gebühren, Kita-Gebühren Kiel, Kita-Gebühren Schleswig-Holstein 4 Kommentare
Hartz IV-Empfäger in Schleswig-Holstein könnten bald landesweit von den Beiträgen für Kindertagesstätten befreit werden. Die Regierungsparteien haben dazu einen Entwurf zur Änderung des Kindertagesstättengesetzes in den Landtag eingebracht, der die ersatzlose Streichung des § 25 Abs. 3 Satz 7 des Kindertagesstättengesetzes vorsieht (Drucks. 18/436). § 25 Abs. 3 Satz 6 und 7 des Kindertagesstättengesetzes lauten:
„Für die Berechnung dürfen die Bedarfsgrenzen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII nicht unterschritten werden. Hierbei sind abweichend von § 28 SGB XII 85% der Regelsätze zu berücksichtigen.“
Mit der Änderung würde ein alter Beschluss der SPD-Regierung unter Ministerpräsidentin Heide Simonis aus dem Jahre 2005 (Drucks. 15/ 3649, Seite 10 f.) aufgehoben werden, mit welchem bei der Berechnung der Belastungsgrenze nicht der volle Regelsatz, sondern nur 85 % des Regelsatzes nicht unterschritten werden darf. Die beabsichtigte Korrektur dieser sozialpolitischen Fehlleistung ist ausdrücklich zu begrüßen.
Nachtrag 29.05.2013: Der Gesetzesentwurf wurde am 29.05.2013 in zweiter Lesung verabschiedet. Zur Debatte siehe Plenarprotokoll 18/27 vom 29.05.2013, Seiten 2183 bis 2195.
Bürgerbeauftragte: „Streichung von KiTa-Beiträgen für Hartz IV-Empfänger
überfällig“, PM vom 29.01.2013
www.kita-vergleich.com: Schleswig-Holstein absoluter Negativ-Spitzenreiter bei Kita-Gebühren
Gebührensatzung der Landeshauptstadt Kiel vom 14.05.2005
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Monitor: Kein Recht für Arme – Bundesregierung will Prozesskostenhilfe kürzen
Veröffentlicht: 29. Januar 2013 Abgelegt unter: Prozesskostenhilfe 9 KommentareVer.di: Der Zugang zur Beratungs- & Prozesskostenhilfe soll noch stärker eingeschränkt werden. Betroffen würden insbesondere Frauen, prekär Beschäftigte und Erwerbslose sein – also genau diejenigen, die auf Rechtshilfen angewiesen sind. Für die Aufrechterhaltung eines freien Zugangs zum Rechtsstaat wollen wir deswegen erneut eine Unterschriftenaktion machen.
Petition zur Sache:
Der Deutsche Bundestag möge beschließen: Die Beratungs- und Prozesskostenhilfe für HARTZ IV-Betroffene soll NICHT eingeschränkt werden. Ein Gesetzentwurf des Justizministeriums will den Zugang zur Beratungs- und Prozesskostenhilfe für Menschen, die von Hartz IV abhängig oder generell über ein geringes Einkommen verfügen, deutlich einschränken. Der Entwurf, der mittlerweile von der schwarz-gelben Bundesregierung überarbeitet wurde, liegt bereits dem Bundesrat und dem Bundestag vor.
Quelle: Deutscher Bundestag – Petition
Quelle: Der Sozialticker
Zum Gesetzgebungsverfahren:
http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP17/470/47084.html
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
BSG: Maßstäbe für die Zumutbarkeit eines Umzugs bei alleinerziehenden ALG II-Empfängern
Veröffentlicht: 12. Januar 2013 Abgelegt unter: Jobcenter Kiel, Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: angemessene Unterkunftskosten Kiel, B 14 AS 13/12 R, B 4 AS 44/12 R, BSG Urteil vom 11.12.2012 B 4 AS 44/12 R, BSG Urteil vom 22.08.2012 B 14 AS 13/12 R, Kieler Mietobergrenzen, Kosten der Unterkunft Kiel, Mietobergrenzen Hartz 4 Kiel, Mietobergrenzen Hartz IV Kiel, Mietobergrenzen in Kiel, Mietobergrenzen Jobcenter Kiel, Mietobergrenzen Kiel 2012, Neue Mietobergrenzen Kiel 2012 6 KommentareIn den hier seit heute vorliegenden Urteilsgründen im Verfahren B 14 AS 13/12 R, in dem es um die zutreffende Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten alleinerziehender Eltern nach § 22 SGB II geht, hat das BSG einige wichtige Hinweise für die zukünftige Verfahrensweise bei Gerichten und Behörden gegeben, die sich kurz wie folgt zusammenfassen lassen:
Individuelle Lebensumstände zu berücksichtigen
Persönliche Lebensumstände wie etwa das nähere soziale und schulische Umfeld minderjährige schulpflichtiger Kinder, alleinerziehender, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen bzw. der sie betreuenden Familienangehörigen sind im Rahmen der Prüfung der sog. „konkreten Angemessenheit“ zu berücksichtigen und können zu einer Einschränkung der Obliegenheit zur Senkung der unangemessener Kosten der Unterkunft aufgrund subjektiver Unzumutbarkeit im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II führen (Rz. 20, 21).
Entgegen den Ausführungen des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts (SH LSG) kommen nicht nur gesundheitliche Gründe in Betracht, wenn es um die Gründe für die „Unzumutbarkeit“ von Kostensenkungsmaßnahmen (insbesondere durch Umzug) geht. Es können vor dem Hintergrund des Art. 6 GG insbesondere die besonderen Belange von Eltern und Kindern solche beachtenswerten Gründe darstellen.
So ist auf das soziale und schulische Umfeld minderjähriger schulpflichtiger Kinder Rücksicht zu nehmen. Ebenso ist die Situation von Alleinerziehenden dahin zu prüfen, ob sie zur Betreuung ihrer Kinder auf eine besondere Infrastruktur angewiesen sind, die bei einem Wohnungswechsel in entferntere Ortsteile möglicherweise verlorenginge und im neuen Wohnumfeld nicht ersetzt werden könnte. Schon fast mahnend – aber freilich völlig berechtigt ob der bisweilen „rubusten“ Urteile schleswig-holsteinischer Sozialgerichte – schließt das BSG mit dem Appell: „Auch Angehörige unterer Einkommensschichten, die nicht auf Transferleistungen angewiesen sind, werden sich bei der Frage nach Kosteneinsparungen von diesen Gedanken leiten lassen.“ (Rz. 30)
Rechtsfolge: Eingeschränktes Suchumfeld
Liegen derartige Unzumutbarkeitsgründe vor, folgt daraus jedoch im Regelfall kein Schutz der kostenunangemessenen Wohnung als solcher, sondern ihr Vorliegen schränkt lediglich das Suchumfeld auf das „nähere örtliche Umfeld“ ein. Als Anhaltspunkte zur Bestimmung dieses „näheren örtlichen Umfeldes“ kommt dabei etwa der bisherige Schulweg schulpflichtiger Kinder in Betracht (Rz. 31). Bei Alleinerziehenden ist insbesondere zu prüfen, inwiefern die regelmäßige Nachmittagsbetreuung von Schulkindern an das nähere Umfeld geknüpft ist.
Abstrakte Wohnungsgröße
Auch wenn die Wohnflächen für Alleinerziehende mit Kindern nicht grundsätzlich zu erhöhen sind, sondern sich an der Zahl der im Haushalt lebenden Personen orientieren (Rz. 16 bis 19, 23), kommt allerdings „der Verweis auf Wohnungen, die die abstrakt angemessene Wohnfläche wesentlich unterschreiten, nicht in Betracht“ (Rz. 32). Dies wird man als Hinweis darauf deuten dürfen, dass sich das BSG der Ansicht des SH LSG, eine Wohnfläche von 44 qm sei für eine alleinerziehende Mutter mit einem Kind ausreichend groß (Rz. 7 a.E.), zu Recht nicht wird anschließen mögen.
Anspruch schulpflichtiger Kinder auf eigenes Zimmer?
Ob jedem schulpflichtigen Kind ein eigenes Zimmer zuzubilligen ist und von daher nur Wohnungen mit einer bestimmten Raumzahl konkret zumutbar sind, hat das BSG „im derzeitigen Verfahrensstand“ offen gelassen. Jedenfalls müssen Größe und Zuschnitt einer Wohnung einen gewissen Rückzugsraum für das Schulkind wie für den erwachsenen Elternteil ermöglichen (Rz. 32).
Fehlende Sachverhaltsaufklärung durch Jobcenter und Sozialgerichte
Zu Recht weist das BSG – nicht ohne deutlich vernehmbaren kritischen Unterton – darauf hin, dass bei offenkundigem Vorliegen von Anhaltspunkten für das mögliche Vorliegen von Unzumutbarkeitsgründen („wie hier angesichts des Alters des Klägers und der Alleinerziehung durch die Klägerin ohne weiteres aktenkundig“) die gegen einen an sich zulässigen Verweis auf das gesamte Kieler Stadtgebiet als Suchumfeld sprechen Umstände sowohl vom Träger der Grundsicherung als auch von den Gerichten von Amts wegen im Einzelfall aufzuklären gewesen wären (Rz. 33).
Verfahren und Beweislasten
Erst wenn die individuellen Umstände zutreffend erfasst und berücksichtigt und die daraus folgenden Obliegenheiten zur Kostensenkung an diese Umstände angepasst worden sind, müssen Leistungsberechtigte im Prozess darlegen, weshalb Kostensenkungsbemühungen gleichwohl keinen Erfolg hatten (Rz. 33).
Das klingt einleuchtend. Allerdings fällt es schwer sich vorzustellen, wie diese Anforderungen rückwirkend erfüllt werden sollen. Das Jobcenter Kiel hat im Rahmen des standardisierten Textbaustein-Mietsenkungsverfahrens im Jahre 2008 die individuellen Lebensumstände der alleinerziehenden Klägerin und ihres Sohnes nicht von Amts wegen geprüft und berücksichtigt und deswegen die daraus folgenden Obliegenheiten zur Kostensenkung auch nicht an diese Umstände angepasst, indem es etwa das Suchumfeld eingegrenzt und geprüft hätte, ob es in diesem (kleineren) Suchumfeld innerhalb der Angemessenheitsgrenzen verfügbaren Ersatzwohnraum gegeben hat. Das lässt sich im Nachhinein nicht reparieren. Das Mietsenkungsverfahren nach § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II war damit rechtswidrig. Die Folge kann nur sein, dass das Mietsenkungsverfahren gegebenenfalls erneut – und nun rechtmäßig – durchgeführt wird und die tatsächlichen Unterkunftskosten bis zu einem Umzug oder einer rechtmäßigen Absenkung anerkannt werden.
Sonstiges in Kürze
Im übrigen enthält das Urteil nachfolgende Entscheidungen bzw. – soweit unstreitig – Hinweise:
– Die abstrakte Wohnfläche bestimmt sich nach den Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau, da „Leistungsberechtigte nach dem SGB II zumindest Teil der Zielgruppe der sozialen Wohnraumförderung sind“ (Rz. 16).
– Wohnraumförderungsrechtliche Sonderreglungen etwa für Alleinerziehende sind im Rahmen der abstrakten Angemessenheitsprüfung nach § 22 Abs.1 Satz 1 SGB II nicht zu berücksichtigen (Rz. 17 bis 19).
– Grundsätzlich ist das gesamte Kieler Stadtgebiet sog. „Vergleichsraum“, auf den sich Wohnungssuchende verweisen lassen müssen (Rz. 24), es sei denn, das Suchumfeld ist aufgrund besonderer persönlicher Umstände des Leistungsberechtigten auf das “nähere örtliche Umfeld” beschränkt (s.o.).
– Bei der Festlegung abstrakter Mietobergrenzen sind die durchschnittlichen Betriebskosten zugrunde zu legen (Rz. 25 bis 28).
Das Urteil findet sich im Volltext hier:
BSG, Urteil vom 22.08.2012, B 14 AS 13-12 R
sowie nun auch auf der Seite des BSG.
Der Fragenkatalog des Schleswig-Holsteinischen LSG zur Bestimmung des individuellen Suchumfeldes des damals 9jährigen Sohnes findet sich hier.
Nachtrag 15.02.2013: Dem Urteil der 14. Senats vom 22.08.2012, B 14 AS 13/12 R, hat sich hinsichtlich des abstrakt nicht bestehenden Wohnraummehrbedarfs Alleinerziehender nun auch der 4. Senat des BSG in seinem Urteil vom 11.12.2012, B 4 AS 44/12 R, angeschlossen.
Weiterführende Infos auf dieser Seite:
Auf der Suche nach den durchschnittlichen Kieler Betriebskosten
BSG: Kein Wohnraummehrbedarf für Alleinerziehende
BSG: Berechnung der Kieler Mietobergrenzen rechtswidrig
Neue Mietobergrenzen in Kiel ab Januar 2013
34. Kammer am SG Kiel: Neue Berechnung der Kieler Mietobergrenzen
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Mietobergrenzen des Jobcenters Plön nach wie vor rechtswidrig
Veröffentlicht: 27. Dezember 2012 Abgelegt unter: Jobcenter Plön, Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: Kosten der Unterkunft Kreis Plön, Kosten der Unterkunft Plön, Mietobergrenzen Kreis Plön, Mietobergrenzen Plön Hinterlasse einen Kommentar
Der Kreis Plön verfügt noch immer nicht über ein sog. schlüssiges Konzept im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur rechtmäßigen Bestimmung von Mietobergrenzen von ALG II- und Grundsicherungsbeziehern. In einem aktuellen Klageverfahren hat das Jobcenter Plön auf die rechtlichen Hinweise des Sozialgerichts Kiel erneut ein Klageanerkenntnis abgegeben.
Sind Mietobergrenzen von den Kommunen nicht nachvollziehbar berechnet, sind die Obergrenzen von den Gerichten festzulegen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 17.12.2009, B 4 AS 50/09 R, Rn. 27) kann hierzu notfalls auf die Werte der Wohngeldtabelle des Wohngeldgesetzes (WoGG) zuzüglich eines „maßvollen“ Sicherheitszuschlages von 10 % (erstmals eindeutig BSG, Urt. v. 22.03.2012, B 4 AS 16/11 R, Rn. 22) zurückgegriffen werden. Nach der Wohngeldtabelle gilt für den Kreis Plön die Mietstufe III, für die Gemeinden Plön und Preetz die Mietstufe IV. Nach der Tabelle zu § 12 WoGG gelten danach, abhängig von der Personenzahl, folgende Höchstbeträge bruttokalt (Grundmiete mit Betriebskosten, vgl. § 9 WoGG):
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Personen |
Kreis Plön, Mietstufe III |
Zuzüglich 10 % Sicherheits-zuschlag |
Gemeinden Plön und Preetz Mietstufe IV |
Zuzüglich 10 % Sicherheits-zuschlag |
|
1 |
330 € |
363,00 € |
358 € |
393,80 € |
|
2 |
402 € |
442,20 € |
435 € |
478,50 € |
|
3 |
479 € |
526,90 € |
517 € |
568,70 € |
|
4 |
556 € |
611,60 € |
600 € |
660,00 € |
|
5 |
638 € |
701,80 € |
688 € |
756,80 € |
|
Mehrbetrag pro Person |
77 € |
84,70 € |
83 € |
91,30 € |
Diese Werte liegen deutlich über den vom Jobcenter Plön anerkannten Mietobergrenzen nettokalt (reine Grundmiete ohne kalte Betriebskosten) gemäß den Handlungsanweisung des Kreises Plön, Stand 01.08.2009 (eigene Berechnung ohne Gewähr):
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Personen |
Stufe 1 |
Stufe 2 |
|
1 (bis 50 qm) |
229,50 € |
238,50 € |
|
2 (bis 60 qm) |
284,40 € |
321,00 € |
|
3 (bis 75 qm) |
315,00 € |
368,25 € |
|
4 (bis 85 qm) |
374,85 € |
437,75 € |
|
5 (bis 95 qm) |
399,00 € |
469,30 € |
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Mehrbetrag pro Person 10 qm |
n.B. |
n.B. |
Die Stufe 1 umfasst dabei die Ämter Großer Plöner See, Preetz-Land, Bokhorst-Wankendorf, Selent-Schlesen, Lütjenburg und Probstei außer den Gemeinden Laboe und Schönberg. Stufe 2 gilt für die Kreisstadt Plön, Stadt Preetz, Stadt Schwentinental, Amt Schrevenborn, Gemeinde Laboe und Schönberg.
Darüber hinaus erkennt das Jobcenter Plön die (kalten) Betriebskosten grundsätzlich in der tatsächlichen Höhe an. Dies gilt auch für die Heizkosten, soweit keine Anhaltspunkte für ein unwirtschaftliches Heizverhalten vorliegen (Handlungsanweisung Seiten 3 bis 5).
Anmerkungen
Ein Vergleich der Werte der Wohngeldtabelle mit den Werten der Mietobergrenzentabelle des Jobcenters Plön zeigt, dass im Wohngeldrecht deutlich höhere Bruttokaltmieten zugrunde gelegt werden als im Regelungsbereich des SGB II und SGB XII durch das Jobcenter Plön, auch wenn bei den Werten des Jobcenters Plön zu berücksichtigen ist, dass die kalten Betriebskosten zusätzlich anerkannt werden. Von den Gerichten wird für diese Ungleichbehandlung in diesem Zusammenhang (aber auch im Kontext der Beurteilung der Anwendbarkeit anderer Regelungen aus dem Wohnraumförderungsrecht im SGB II und SGB XII – etwa zum Wohnraummehrbedarf) regelmäßig ins Felde geführt, bei dem „Personenkreis“ der Wohngeldempfänger handele es sich um einen gänzlich anderen als bei ALG II- oder Grundsicherungsbeziehern. Diese These indessen ist offenkundig falsch. Bei dem Kreis der heutigen ALG II-Bezieher handelt es sich in Wahrheit zu einem erheblichen Teil um ehemalige Wohngeldbezieher. Diese Erkenntnis ermöglicht ein einfacher Blick auf die Entwicklung der Zahlen der Wohngeldberechtigten bei Inkrafttreten des SGB II: Mit der Einführung von Hartz IV im Jahre 2005 sank die Zahl der Haushalte mit Wohngeldunterstützung von 3,5 Millionen Haushalten im Jahre 2004 auf 691.000 Haushalte im Jahre 2006, weil viele Bedürftige nun ALG II beantragen mussten. Rund die Hälfte der heutigen ALG II-Bezieher sind mithin ehemalige Wohngeldberechtigte, die angebliche so unterschiedlichen „Personenkreise“ sind tatsächlich ein gutes Stück weit identisch (wie hier jetzt auch BSG, Urteil vom 22.08.2012, B 14 AS 13/12 R, Rz. 16: „Leistungsberechtigte nach dem SGB II zumindest Teil der Zielgruppe der sozialen Wohnraumförderung“). Auch vor diesem Hintergrund spricht viel dafür, die Mietobergrenzen im SGB II und SGB XII in Kommunen ohne qualifizierten Mietspiegel an den Werten der Wohngeldtabelle zu orientieren.
Aktuelles zum Thema:
Bürgerbeauftragte: „Wohnen darf nicht zum Luxus werden“ (Presseinformation vom 27.12.2012)
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Zur Absetzung von Unterhaltszahlungen bei ALG II-Bezug
Veröffentlicht: 19. Dezember 2012 Abgelegt unter: Einkommensanrechnung, Unterhalt | Tags: § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II, Einkommensanrechnung bei Unterhaltsverpflichtungen, Einkommensanrechnung Hartz IV Grundsicherung, Hartz IV + Unterhalt, Hartz IV und Unterhalt 3 KommentareGemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II sind “Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag” vom Einkommen abzusetzen (vgl. dazu grundlegend BSG, Urteil vom 09.11.2010, B 4 AS 78/10 R; mehr zum Thema hier).
Problem: Erst Nachweis, dann Absetzung vom Einkommen
In der Praxis bereitet es immer wieder Schwierigkeiten, dass der Unterhaltsschuldner dem Jobcenter die Zahlung des Unterhalts erst nachweisen muss, damit das Jobcenter die tatsächlichen Zahlungen vom Einkommen absetzt. Zur tatsächlichen Zahlung des Unterhalts ist der Unterhaltsschuldner häufig aber erst in der Lage, nachdem eine Absetzung vom Einkommen erfolgt ist. Aus diesem Grund hatte ich in einem Eilverfahren vor dem SG Itzehoe vorgetragen:
„Wie eingangs dargelegt, ist der Antragsteller solange nicht in der Lage, seinen Unterhaltsverpflichtungen nachzukommen, wie die Antragsgegnerin die titulierten Unterhaltszahlungen nicht bei der Einkommensanrechnung berücksichtigt. Es besteht mithin ein notwendiger Zusammenhang zwischen der tatsächlichen Leistung des Unterhalts als Voraussetzung der Absetzungsfähigkeit und der tatsächlichen Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtung bei der Einkommensanrechnung durch das Jobcenter. Ohne das eine ist das andere nicht möglich. Um diesen Knoten zu durchschlagen, besteht keine andere Möglichkeit, als dass die Antragsgegnerin zunächst den Unterhalt in der titulieren Höhe vom Einkommen des Antragstellers absetzt und sodann der Antragsteller – hierzu nun erst in der Lage – den Unterhalt in Höhe von 272,00 € zahlt und diese tatsächliche Zahlung der Antragsgegnerin nachweist.“
Dieser Rechtsauffassung ist die 24. Kammer am SG Itzehoe in ihrem Kostenbeschluss vom 18.12.2012 (unter gleichzeitiger Gewährung von Prozesskostenhilfe) nicht beigetreten. Das Gericht hat zur Begründung ausgeführt:
„Das Gericht neigt der Ansicht zu, dass der Antragsgegner vor der Absetzung des Unterhaltsbetrages nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II einen Nachweis über dessen tatsächliche Zahlung verlangen durfte (vgl. Geiger in LPK-SGB II, § 11b Rn. 22). Der Umstand, dass – wie auch hier erfolgt – eine unverzügliche Neuberechnung und Nachzahlung erfolgen muss, dürfte dies auch als zumutbar erscheinen lassen.“
SG Itzehoe, Beschluss vom 17.12.2012, S 24 AS 246/12 ER
Beurteilung und Hinweise für Betroffene
Die Rechtsauffassung des SG Itzehoe ist vertretbar, solange – wie in diesem Verfahren tatsächlich durch das Jobcenter Steinburg auch umgesetzt – eine kurzfristige Neuberechnung der Leistungen unter Absetzung der nachgewiesenen Unterhaltszahlungen erfolgt. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass dies leider nicht bei allen Grundsicherungsträgern ohne Weiteres vorausgesetzt werden kann.
Betroffenen Unterhaltsschuldnern ist vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung zu raten, den Unterhalt am Monatsanfang zu zahlen und umgehend einen Zahlungsnachweis beim Jobcenter einzureichen. Das Jobcenter ist dann gehalten, eine unverzügliche Neuberechnung vorzunehmen, weil die ALG II-Leistungen aufgrund der Unterhaltsleistung natürlich nicht bis zum Monatsende ausreichen. Sollte eine Neuberechnung nicht kurzfristig erfolgen, ist notfalls bei dem zuständigen Sozialgericht um Eilrechtsschutz nachzusuchen.
Mehr zum Thema auf dieser Seite:
Titulierte Unterhaltszahlungen sind bei Hartz IV vom Einkommen abzusetzen!
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Neue Mietobergrenzen in Kiel ab Januar 2013
Veröffentlicht: 22. November 2012 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen, Stadt Kiel | Tags: Miethöchstbeträge Jobcenter Kiel 2012, Miethöchstbeträge Jobcenter Kiel 2013, Mietkosten Jobcenter Kiel, Mietobergrenzen in Kiel, Mietobergrenzen Jobcenter Kiel 2012, Mietobergrenzen Kiel 2012, Mietobergrenzen Kiel 2013, Mietspiegel Kiel 2012 6 KommentareFür Empfänger von Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV) und SGB XII (u.a. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) gelten nach Berechnung der Landeshauptstadt Kiel ab dem 01.01.2013 nachfolgende neue Mietobergrenzen:
| Anzahl der im Haushalt lebenden Personen | Anzuerkennende Wohnungsgröße (in m2) | Mietobergrenzen bruttokalt nach Mietspiegel 2010 (gültig ab 1.12.2010) | Mietobergrenzen bruttokalt nach Mietspiegel 2012 (gültig ab 1.1.2013) |
| 1 | bis 50 | 308,50 | 316,00 |
| 2 | 50-60 | 370,20 | 379,20 |
| 3 | 60-75 | 451,50 | 457,50 |
| 4 | 75-85 | 504,90 | 531,25 |
| 5 | 85-95 | 564,30 | 593,75 |
| 6 | 95-105 | 623,70 | 656,25 |
| 7 | 105-115 | 683,10 | 718,75 |
| Mehrbetrag für jedes weitere Familienmitglied | 10 | 59,40 | 62,50 |
In der Beschlussvorlage heißt es zu den Antrag:
„Auf Grund der Neuerstellung des Kieler Mietspiegels 2012 sind auch die Regel-Höchstbeträge für anzuerkennende Mieten (Mietobergrenzen) in der Leistungsgewährung von Hilfen nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) und dem Sozialgesetzbuch XII (SGB XII) anzupassen.
Wie bereits bei der letzten Berechnung der Mietobergrenzen (Beschluss der Ratsversammlung am 24.11.2011, Drucksache 0730/2011) ist unter Zugrundelegung der vom Landesozialgericht Schleswig anerkannten Berechnungsmethode mathematisch der Mietwert ermittelt worden, der dem unteren Drittel aller im Kieler Mietspiegel 2012 erfassten Wohnungen entspricht.
Der zu berücksichtigende Betriebskostenanteil beträgt unter Zugrundelegung der aktuellen Berechnung des Landessozialgerichts auf Grundlage des Kieler Mietspiegels 2012 1,32 € pro m².
In den laufenden Verfahren erfolgt die Anpassung der Leistungen nach dem SGB II und SGB XII schrittweise im Rahmen der „laufenden Bearbeitung“ oder bei Bearbeitung eines Überprüfungsantrags nach § 44 SGB X. Es erfolgt in jedem Einzelfall eine rückwirkende Anpassung zum 01.01.2013.“
Es ist darauf hinzuweisen, dass die von der Stadt Kiel ermittelten neuen Mietobergrenzen nicht mit der derzeitigen Rechtsprechung des Sozialgerichts Kiel im Einklang stehen. Nach der Berechnung des Sozialgerichts Kiel, welches die durchschnittlichen Betriebskosten von 1,91 €/qm zugrunde legt, errechnen sich nachfolgende Mietobergrenzen (eigene Berechnung ohne Gewähr):
| Anzahl der im Haushalt lebenden Personen | Anzuerkennende Wohnungsgröße (in qm) | Mietobergrenzen bruttokalt nach Mietspiegel 2012 (gültig ab 1.1.2013) nach Berechnung der Stadt Kiel mit BK von 1,32 €/qm | Mietobergrenzen bruttokalt nach Mietspiegel 2012 (gültig ab 1.1.2013) nach neuer Berechnung des SG Kiel mit durchschnittlichen BK von 1,91 €/qm |
| 1 | bis 50 | 316,00 € |
345,50 € |
| 2 | 50-60 | 379,20 € |
414,60 € |
| 3 | 60-75 | 457,50 € |
501,75 € |
| 4 | 75-85 | 531,25 € |
581,40 € |
| 5 | 85-95 | 593,75 € |
649,80 € |
| 6 | 95-105 | 656,25 € |
718,20 € |
| 7 | 105-115 | 718,75 € |
786,60 € |
| Mehrbetrag für jedes weitere Familienmitglied | 10 | 62,50 € |
68,40 € |
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Kieler Mietspiegel 2012
Veröffentlicht: 20. November 2012 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen, Stadt Kiel | Tags: Mietspiegel Kiel 2012 Hinterlasse einen Kommentar
In der Ratsversammlung am 13.12.2012 wird der Mietspiegel 2012 beschlossen werden, der in der Folge zum 01.01.2013 in Kraft treten wird. Die Beschlussvorlage findet sich hier, die Mietspiegeltabelle hier. Anhand der Werte des Mietspiegels sowie der Werte des Betriebskostenspiegels errechnen sich u.a. die Mietobergrenzen, die ab dem 01.01.2013 für Empfänger von Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV) und SGB XII (u.a. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) gelten. Eine Berechnung der Mietobergrenzen folgt hier in Kürze.
Einen besonderen Service stellt der Kieler Mieterverein mit einem Mietspiegel bereit, auf dem sich die Mietpreisveränderungen – Anstieg (rot) oder Senkung (grün) gegenüber dem Mietspiegel 2010 – ablesen lassen. Diese Tabelle findet sich hier.
Eine Bewertung der Stadt Kiel ist hier abrufbar, die Tabelle mit den durchschnittlichen Betriebskosten nach dem Mietspiegel 2012 hier.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Auf der Suche nach den durchschnittlichen Kieler Betriebskosten
Veröffentlicht: 18. November 2012 Abgelegt unter: Jobcenter Kiel, Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen, Stadt Kiel | Tags: Mietobergrenzen Jobcenter Kiel, Mietobergrenzen Stadt Kiel 2 Kommentare
Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Bestimmung der maximal angemessenen Betriebskosten entgegen der bisherigen Rechtsprechung der schleswig-holsteinischen Sozialgerichte keine Gewichtung vorzunehmen, sondern für die in die Berechnung der Mietobergrenze einfließenden Betriebskosten auf die Addition der Durchschnittswerte für alle Posten abzustellen, die auch in der Betriebskostenverordnung genannt werden. Diese Werte für die einzelnen Betriebskostenarten können dabei den Übersichten in qualifizierten Mietspiegeln nach § 558 d BGB oder – soweit Mietspiegel nicht vorhanden sind – auch den Übersichten der örtlichen Interessenverbände entnommen werden (so jetzt auch die 34. Kammer am SG Kiel).
Die durchschnittlichen Betriebskosten je Betriebskostenart finden sich auf Seite 6 des Kieler Mietspiegels 2010 (gültig vom 01.12.2010 bis 31.12.2012) und sind in nachstehender Tabelle wiedergegeben:
| Grundsteuer | 0,20 |
| Müllabfuhr | 0,22 |
| Entwässerung | 0,19 |
| Straßen-/ Gehwegreinigung (sofern nicht im Posten Hauswart enthalten) | 0,03 |
| Wasserversorgung | 0,18 |
| Hausbeleuchtung (bzw. Strom allgemein) | 0,05 |
| Sach- und Haftpflichtversicherung | 0,14 |
| Hausreinigung (sofern nicht im Posten Hauswart enthalten) | 0,13 |
| Gartenpflege (sofern nicht im Posten Hauswart enthalten) | 0,10 |
| Schornsteinreinigung (sofern nicht im Posten Heizkosten enthalten) | 0,02 |
| Hauswart | 0,11 |
| Gemeinschaftsantenne/Kabelanschluss | 0,12 |
| Schneebeseitigung (sofern nicht im Posten Hauswart enthalten) | 0,03 |
| Wartung der Heizungsanlage | 0,03 |
| Wartung der Warmwassergeräte | 0,08 |
| Aufzug | 0,14 |
| Summe | 1,77 |
Diesen Durchschnittswert von 1,77 €/qm legt etwa auch die 34. Kammer am SG Kiel ihrer Berechnung der Mietobergrenze von 335,00 € (Grundmiete inklusive kalter Betriebskosten) für einen Einpersonenhaushalt zugrunde.
Betriebskosten und Heizkosten: Versuch einer Begriffsklärung
Fraglich ist, ob die Kosten für die Wartung einer Heizungsanlage bei der Ermittlung der Angemessenheitsgrenzen im Sozialrecht ohne Weiteres den Unterkunftskosten zugeschlagen werden können. Während in § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sowie § 35 Abs. 4 SGB XII zwischen Leistungen für die Unterkunft (Grundmiete zuzüglich kalter Betriebskosten) und Heizung unterschieden wird, kennt das Mietrecht nur die Grundmiete und die Betriebskosten, wobei im Mietrecht zu den Betriebskosten auch die Heizkosten sowie die Heiznebenkosten (z.B. die Wartungskosten der Heizungsanlage) gezählt werden (vgl. § 2 Nr. 4 BetrKV). In der Praxis werden die kalten Betriebskosten (außer den Heiznebenkosten) in der Regel in der „Betriebskostenabrechnung“ und die Heiz- und Heiznebenkosten in der „Heizkostenabrechnung“ zusammengefasst (vgl. § 7 Abs. 2 HeizkostenV) und beide Kostenarten unter dem Oberbegriff „Nebenkostenabrechnung“ jährlich abgerechnet.
Praxis der Grundsicherungsträger
Das Jobcenter Kiel sowie die Sozialleistungsträger der Landeshauptstadt Kiel erkennen die kalten Unterkunftskosten (Grundmiete zuzüglich kalter Betriebskosten) bis zur Höhe der sog. Mietobergrenzen an und legen dabei die vereinbarte Grundmiete sowie die Betriebskosten nach den „Betriebskostenabrechnungen“ (also i.d.R. ohne die Heiznebenkosten) zugrunde und erkennen als Heizkosten die Heizkostenabschläge nach den „Heizkostenabrechnungen“ (also i.d.R. die Verbrauchskosten zuzüglich der Heiznebenkosten wie etwa den Wartungskosten für die Heizungsanlage) an.
Folgen für die Berechnung von Mietobergrenzen
Würden die Kosten für die Wartung der Heizungsanlage in die Berechnung der Mietobergrenzen (Leistungen für die Unterkunft) einfließen, würden diese Kosten in Fällen, in denen nur die Mietobergrenze anerkannt wird, letztlich doppelt berücksichtigt werden, nämlich einmal bei den (angemessen) Unterkunftskosten und ein weiteres Mal bei den Heizkosten (als mit abgerechnete Heiznebenkosten in der Heizkostenabrechnung). Aus diesem Grunde sind die Kosten der Wartung einer Heizungsanlage bei der Bestimmung der durchschnittlichen Betriebskosten im Rahmen der Berechnung der Mietobergrenzen nicht zu berücksichtigen. Aufgrund der geringen Kosten von nur 0,03 €/qm wirkt sich dies indes kaum aus. Anstatt 1,77 €/qm sind 1,74 €/qm zu berücksichtigen. Bei einem Einpersonenhaushalt führt dies auf der Berechnungsrundlage von 50 qm gegenüber der bisherigen Berechnung der 34. Kammer am SG Kiel zu einer Mietobergrenze von 333,50 € (anstatt 335,00 €), also zu einer Differenz von 1,50 €.
Kosten der Wartung von Warmwassergeräten
Die Kosten für die Wartung von Warmwassergeräten (Boiler, Durchlauferhitzer) kann nach § 2 Nr. 5 c) BetrKV auf den Mieter abgewälzt werden. Soweit dies mietvertraglich geschehen ist, werden diese Kosten vom Vermieter als (kalte) Betriebskosten regelmäßig in der „Betriebskostenabrechnung“ und nicht in der „Heizkostenabrechnung“ abgerechnet und sind daher bei der Berechnung maximal angemessener Betriebskosten im Rahmen der Berechnung der Mietobergrenzen (maximal angemessenen Grundmiete zuzüglich maximal angemessene Betriebskosten) zu berücksichtigen.
Erklärendes zur Betriebskostentabelle des Kieler Mietervereins
Einige Verwirrung hat hier und in einer Gerichtsverhandlung jüngst die Betriebskostenaufstellung des Kieler Mietervereins gestiftet. Zu der Tabelle des Kieler Mietervereins ist anzumerken, dass es sich hierbei nicht um Werte aus eigenen Erhebungen des Kieler Mietervereins handelt, sondern um die Werte aus den jeweiligen amtlichen Kieler Mietspiegeln. Die Tabelle unterscheidet sich von der Tabelle in den Mietspiegeln lediglich in zwei Punkten, (1) der abweichenden Reihenfolge der aufgeführten einzelnen Betriebskostenarten sowie (2) in dem Fehlen der Zeilen „Wartung der Heizungsanlage“ und „Wartung der Warmwassergeräte“. Grund für Letzteres ist, dass nach Auffassung des Kieler Mietervereins diese Kostenpositionen nicht den Betriebskosten, sondern den Heizkosten zuzuordnen sind. Dem kann jedenfalls für die Kosten der „Wartung der Warmwassergeräte“ aufgrund des zuvor Gesagten nicht beigetreten werden.
Weiterführende Infos:
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Wann Jobcenter Kabelanschlussgebühren übernehmen müssen
Veröffentlicht: 13. November 2012 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft | Tags: Kabelanschlussgebühren Jobcenter, Kabelfernsehen Jobcenter, Kabelgebühren ALG II, Kabelgebühren Hartz IV, Kabelgebühren Jobcenter, SG Itzehoe Urteil vom 25.06.2012 S 16 AS 279/10 Ein KommentarDie Gebühren für einen Kabelanschluss sind vom Jobcenter zu übernehmen, wenn der vorhandene Kabelanschluss der einzige Zugang zum Fernsehen ist, etwa weil der Vermieter die Anbringung einer Satellitenschüssel untersagt hat und ein Empfang mittels eines DVB-T-Receivers technisch nicht möglich ist. Dies entschied das Sozialgericht Itzehoe mit Urteil vom 25.06.2012. Das BSG hatte diese Rechtsfrage in seinem Urteil vom 19.02.2009 (B 4 AS 48/08 R, Rz. 19, 20) ausdrücklich offen gelassen. Das Berufungsverfahren gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe ist derzeit beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht unter dem Aktenzeichen L 3 AS 134/12 (jetzt: L 13 AS 134/12) anhängig.
SG Itzehoe, Urt. v. 25.6.2012, S 16 AS 279/10
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Stell Dir vor es ist Wahl …
Veröffentlicht: 11. November 2012 Abgelegt unter: Stadt Kiel | Tags: Bürgermeisterwahl Kiel 2012, OB-Wahl Kiel 2012 7 Kommentare… und kaum einer geht hin: 31,9 % der Wahlberechtigten haben bei der Stichwahl zur Wahl der Kieler Oberbürgermeisterin am 11.11.2012 den Weg zur Wahlurne gefunden. 17,0 % der Wahlberechtigten sprachen sich für die SPD-Kandidatin Susanne Gaschke aus, 14,4 % für Gert Meyer von der CDU, 0,4 % der Wahlberechtigten gaben eine ungültige Stimme ab. Mehr als zwei Drittel der Wahlberechtigten (68,2 %) konnte offenkundig keiner der beiden Kandidaten überzeugen, denn sie enthielten sich ihrer Stimme.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Ratsversammlung zur Neuberechnung der Kieler Mietobergrenzen
Veröffentlicht: 8. November 2012 Abgelegt unter: Mietobergrenzen, Stadt Kiel | Tags: Aktuelle Stunde Ratsversammlung Kiel, Mietspiegel Kiel 2012, Ratsversammlung Stadt Kiel 8. November 2012 Hinterlasse einen Kommentar
Auf Antrag der Ratsfraktion DIE LINKE vom 05.10.2012 hat sich die Kieler Ratsversammlung in ihrer heutigen Sitzung in Rahmen einer aktuellen Stunde mit der Frage der verzögerten Beschlussfassung über den Mietspiegel 2012 beschäftigt.
Hintergrund: In der Vergangenheit wurden die Mietspiegel, die für die Landeshauptstadt Kiel alle zwei Jahre erstellt werden, stets in der Novembersitzung der Ratsversammlung beschlossen und traten zum 1. Dezember des jeweiligen Jahres in Kraft. An den Werten des jeweils aktuellen Kieler Mietspiegels orientieren sich auch die Mietobergrenzen, bis zu denen Mieten von Beziehern von Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV) und SGB XII (u.a. Grundsicherung im Alter) maximal übernommen werden.
Ratsherr Jansen (DIE LINKE) bat in seinem Redebeitrag um eine Erläuterung für die verzögerte Beschlussfassung und wies zugleich darauf hin, dass die Werte des Mietspiegels 2012 bereits durchgesickert seien. Er zeigte sich verwundert, dass der Selbstverwaltung die Zahlen noch nicht offiziell bekannt gegeben worden sind. Jansen wies in diesem Zusammenhang auf die hohe Bedeutung hin, die eine zeitnahe Anpassung der Mietobergrenzen für Bezieher von Transferleistungen habe. Nach einem Bericht der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung vom 08.11.2012 sei in Kiel allein im zweiten Quartal die Zahl der Zwangsräumungen um 30 % gestiegen.
DIE LINKE spreche „diskutable Punkte“ an, räumte Stadtrat Adolf-Martin Möller ein, aber der Ball möge doch bitte flach gehalten werden: In Kiel herrsche „keine akute Wohnungsnot und es werden auch keine Leute auf die Straße gesetzt“. Bisher existiere nur der „Entwurf“ eines Mietspiegels 2012, es handele sich bis jetzt um einen bloßen „Vorschlag“, der noch diskutiert werden müsse. Der Mietspiegel, so Möller, werde aber in der Dezembersitzung der Ratsversammlung eingebracht. Abschließend betonte Möller die Kostenlast der Kommune: 82 Mio. € zahle die Stadt jährlich für die Unterkunft von Transferleistungsbeziehern, nach Abzug des Bundesanteils verbleibe ein Kostenanteil für die Kommune von rund 60 Mio. €.
Ratsherr Rudau (DIE LINKE) widersprach Möller: In „der wachsenden Stadt“ Kiel bestünde Wohnungsnot. Hierüber würde in den Medien auch fortlaufend berichtet. Jeden Monat, den die Mietobergrenzen zu spät angepasst würden, verlören die Leistungsberechtigten nach dem SGB II und SGB XII, die zu ihrer Miete zuzahlen müssten, „bares Geld“.
Ratsherr Jenning von der Direkten Demokratie wies auf die Ursachen des „gewaltigen Wohnungsproblems“ hin: Nachdem die Stadt Kiel Ende der 90iger Jahre ihren kommunalen Wohnungsbestand praktisch vollständig verkauft habe, könne sie nun keinen Einfluss mehr auf die Mietpreisentwicklung nehmen.
In seinem abschließenden Redebeitrag warf Ratsherr Jansen (DIE LINKE) Stadtrat Möller blanken „Zynismus“ vor und stellte als Frage in den Raum: Warum erkläre die OB-Kandidatin Susanne Gaschke (SPD), dass das erste, was sie als OB machen würde, ein runder Tisch für sozialen und studentischen Wohnraum wäre, wenn es in Kiel doch angeblich gar keinen Mangel an preiswertem Wohnraum gebe?
Beurteilung
In der Tat kann die Aussage von Stadtrat Adolf-Martin Möller, in Kiel gebe es keine Wohnungsnot, nur verwundern. Fast täglich berichten die Kieler Nachrichten über die Schwierigkeiten von Studenten, Geringverdienern und Arbeitslosen, günstigen Wohnraum zu finden. Selbst das Amt für Wohnen und Grundsicherung klagt: „Immer mehr Haushalte finden nur mit Hilfe der Stadt eine bezahlbare Unterkunft“, und der Leiter des Amts für Wohnen und Grundsicherung Manfred Wagner erklärt in Bezug auf die Mietobergrenze für eine dreiköpfige Familie von maximal 541,50 € inklusive Betriebskosten: „Aber wer den Mietspiegel kennt, weiß, dass sie in Kiel für eine 75-Quadratmeter-Wohnung durchschnittliche 600 Euro warm ausgeben müsste.“ (Kieler Nachrichten vom 09.10.2012, Seite 20). Diese Ehrlichkeit täte auch einer Aktuellen Stunde in der Kieler Ratsversammlung gut. Stattdessen wurden die Probleme von der Verwaltung bagatellisiert und von SPD, CDU, Grünen und FDP totgeschwiegen – sie beteiligten sich nicht mit Redebeiträgen an der Diskussion über dieses brennende soziale Thema.
Weiterführende Infos:
Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag (sh:z) vom 08.11.2012 – Immer mehr wohnungslos
Informationen zur Situation im Kreis Segeberg:
Presseinformation der Linken Kreistagsfraktion vom 03.11.2012
Nachtrag 10.11.2012:
Rund 4000 Bürger protestieren gegen hohe Mieten
Hamburger Bündnis Mieten Wahnsinn stoppen
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Kieler Oberbürgermeisterwahl 2012
Veröffentlicht: 28. Oktober 2012 Abgelegt unter: Stadt Kiel | Tags: Bürgermeisterwahl Kiel 2012, OB-Wahl Kiel 2012 3 KommentareDie Kieler haben gewählt: 15,3 % der Wahlberechtigten sprachen sich für die SPD-Kandidatin Susanne Gaschke aus, 13,8 % für Gert Meyer von der CDU, 4,9 % für den Grünen Andreas Tietze, 0,9 % für den Einzelkandidaten Jan Barg und 0,6 % für den ebenfalls parteilosen Matthias Cravan. 0,3 % der Wahlberechtigten gaben eine ungültige Stimme ab. Rund zwei Drittel der Wahlberechtigten (64,2 %) konnte offenkundig keiner der Kandidaten überzeugen, denn sie enthielten sich ihrer Stimme.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Verwarnungen durch das Jobcenter
Veröffentlicht: 16. Oktober 2012 Abgelegt unter: Ordnungswidrigkeiten | Tags: Bußgeld Hartz IV, Bußgeld wegen Mitwirkungspflichtverletzung, Ordungswidrigkeit Hartz IV, Verwarnung durch das Jobcenter, Verwarnung wegen Mitwirkungspflichtverletzung 9 KommentareLeistungsberechtigte nach dem SGB II (Hartz IV) haben umfangreiche Mitwirkungspflichten. Hierzu zählen neben der Anzeige- und Bescheinigungspflicht bei Arbeitsunfähigkeit nach § 56 SGB II sowie der Meldepflicht nach § 59 SGB II insbesondere die Mitwirkungspflichten nach §§ 60 ff. SGB I. Von besonderer praktischer Relevanz ist hier die Pflicht Leistungsberechtigter nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I, alle Änderungen in ihren Verhältnissen, die für den Leistungsanspruch erheblich sind, von sich aus unverzüglich mitzuteilen. Für den Leistungsanspruch erheblich ist insbesondere die Erzielung von Einkünften (Einkommen, Erbschaften, Schenkungen, Gewinne etc.). Werden Einkünfte von dem Leistungsberechtigten vorsätzlich nicht unverzüglich mitgeteilt, so kann dies als Ordnungswidrigkeit nach § 63 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 SGB II mit einem Bußgeld von bis zu 5.000 € geahndet werden, bei Fahrlässigkeit mit bis zu 2.500 € (§ 17 Abs. 2 OWiG). Die Änderung in den Verhältnissen muss unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, mitgeteilt werden. Die Bundesagentur für Arbeit geht davon aus, dass leistungserhebliche Sachverhalte grundsätzlich am ersten Tage mitgeteilt werden müssen, an dem dies möglich ist. Ausnahmen sollen etwa gelten bei Vorstellungsgesprächen, Krankheit, wichtigen familiären Verpflichtungen, einem Trauerfall etc. Ist eine schriftliche Anzeige nach spätestens drei Tagen eingegangen, gilt die Änderung als unverzüglich und damit rechtzeitig mitgeteilt. Bei geringfügig später zugehenden Mitteilungen soll aber eine Einstellung nach § 47 OWiG in Betracht kommen können (vgl. DH BA zu § 63 SGB II, Rz. 63.42). Das Jobcenter Kiel räumt nach hiesigen Erfahrungen längere Fristen zur Einreichung ein, wobei eine Woche nicht überschritten werden sollte. Ein Ermittlungsverfahren wegen Sozialleistungsbetruges wird in der Regel eingeleitet, wenn das Jobcenter von dritter Seite (etwa über einen automatisierten Datenabgleich) von nicht mitgeteiltem Erwerbseinkommen Kenntnis erhält.
| Wichtig: Leistungsberechtigte sollten leistungsrelevante Änderungen in ihren Verhältnissen dem Jobcenter stets unverzüglich mitteilen. Die Mitteilung sollte unbedingt schriftlich und unter Beifügung entsprechender Nachweise erfolgen. Da insbesondere beim Jobcenter Kiel nach wie vor eine nicht unbeträchtliche Zahl eingereichter Unterlagen verloren gehen, sollten sich Leistungsberechtigte den Eingang unbedingt mit Eingangsstempel und Unterschrift vom Jobcenter bestätigen lassen, denn der Leistungsberechtigte trägt im Streitfall die Beweislast dafür, dass und wann er dem Jobcenter die Änderungen mitgeteilt hat. |
Verwarnung wegen einer geringfügigen Ordnungswidrigkeit
Bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten sieht § 56 Abs. 1 OWiG die Möglichkeit einer Verwarnung mit oder ohne Verwarnungsgeld vor. Gemäß § 56 Abs. 2 OWiG ist eine Verwarnung nur wirksam, wenn der Betroffene nach Belehrung über sein Weigerungsrecht mit ihr einverstanden ist und – soweit erhoben – das Verwarnungsgeld zahlt.
Keine wirksame Verwarnung ohne Zustimmung
Das Einverständnis des Betroffenen ist notwendige Voraussetzung für die Wirksamkeit der Verwarnung, bei welcher es sich um einen sog. zustimmungsbedürftigen Verwaltungsakt handelt (Gürtler in Göhler, OWiG, 15. Aufl. 2009, § 56 Rz. 21, vor § 56 Rz. 6). Weigert sich der Betroffene, die Verwarnung anzunehmen, so ist über die Beschuldigung im Bußgeldverfahren zu entscheiden (Gürtler a.a.O., § 56 Rz. 22). Ist die Verwarnung ausgesprochen worden, aber nicht wirksam, etwa, weil das Einverständnis des Betroffenen fehlt, so hat eine förmliche Rücknahme der Verwarnung (und ggf. eine Erstattung des Verwarnungsgeldes) zu erfolgen. Insbesondere hindert auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes die Rücknahme des Verwarnungsangebotes nicht, wenn die Verwarnung mangels Annahme nicht wirksam geworden ist (Gürtler a.a.O., Rz. 38 m.w.N.).
| Wichtig: Eine nicht berechtigte Verwarnung sollte auf keinen Fall angenommen werden, auch dann nicht, wenn diese ohne die Erhebung eines Verwarnungsgeldes ausgesprochen worden ist. Denn aktenkundige Verwarnungen werden im Falle etwaiger weiterer Ordnungswidrigkeitsvorwürfe bei der Ermessensausübung hinsichtlich einer Verfolgung und der Höhe einer Geldbuße regelmäßig berücksichtigt. So kann es dann etwa heißen: „Nachdem wir Sie am 13.3.2011 und 23.5.2012 bereits verwarnt haben, war nunmehr die Verhängung einer Geldbuße in Höhe von 100 € auszusprechen.“ |
Rechtsschutz
Wurde die Verwarnung – etwa durch Bezahlung des Verwarnungsgeldes – angenommen, kann diese nur noch in beschränktem Umfang angefochten werden. Ein Anfechtungsgrund ist etwa anzunehmen, wenn keine Belehrung über das Weigerungsrecht erfolgte oder das Einverständnis infolge arglistiger Täuschung, Drohung oder Zwang abgegeben worden ist. Die Anfechtung kann indessen nicht darauf gestützt werden, es habe keine Ordnungswidrigkeit vorgelegen oder das Verwarnungsgeld entspreche nicht den Richtlinien (Gürtler a.a.O., Rz. 33). Die Anfechtung erfolgt im Wege eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG.
Gegen eine angenommene Verwarnung ohne Verwarnungsgeld sind nur Gegenvorstellung und Aufsichtsbeschwerde möglich (Gürtler a.a.O., Rz. 35 m.w.N.).
Wurde die Verwarnung nicht angenommen, bedarf es nach dem oben Gesagten grundsätzlich keines Rechtsschutzes, weil das Einverständnis Wirksamkeitsvoraussetzung für die Verwarnung ist. Verlangt die Behörde trotz Nichtvorliegens der Zustimmung dennoch das Verwarnungsgeld oder nimmt sie die Verwarnung ohne Verwarnungsgeld rechtswidrig nicht zurück, gelten die vorbenannten Rechtsschutzmöglichkeiten (Anfechtung bzw. Gegenvorstellung und Aufsichtsbeschwerde).
Bisherige Praxis des Jobcenters Kiel
Wie hier aus mehreren Verfahren bekannt ist, ist den Mitarbeitern des Jobcenters Kiel die Rechtslage bei Verwarnungen nicht geläufig.
In einem aktuellen Fall wurde ein Betroffener mit Schreiben des Jobcenters Kiel vom 15.08.2012 wegen einer angeblich vom ihm begangenen Ordnungswidrigkeit kostenfrei verwarnt. Der Betroffene Leistungsberechtigte sollte seine Wasserrechnung der Stadtwerke vom 27.10.2011, aus welcher ein Guthaben hervorgingt, erst im April 2012 beim Jobcenter Kiel eingereicht haben.
Mit Schreiben vom 23.08.2012 war der Betroffene der Verwarnung entgegen getreten und hat diese nicht angenommen. Zur Begründung hatte er dargelegt, er kenne seine Pflichten sehr genau und habe alle Abrechnungen zeitnah einige Tage nach deren Erhalt beim Jobcenter eingereicht. Allerdings müsse er praktisch jede Jahresabrechnung mehrere Male beim Jobcenter Kiel einreichen, weil eingereichte Unterlagen dort häufig verloren gingen oder verlegt würden. Deswegen habe er die Stadtwerkeabrechnung vom 27.10.2011 kurz nach Erhalt per Einschreiben beim Jobcenter Kiel eingereicht, im Januar nochmals mit einfachem Brief geschickt und ein drittes Mal am 14.04.2012 persönlich abgegeben und sich den Empfang mit Stempel des Jobcenters Kiel bescheinigen lassen. Abschließend hat der Betroffene das Jobcenter Kiel noch einmal ausdrücklich aufgefordert, die Verwarnung zurückzunehmen.
Mit Schreiben vom 27.08.2012 hatte das Jobcenter Kiel dem Betroffenen mitgeteilt, eine Rücknahme der ausgesprochenen Verwarnung sehe das Ordnungswidrigkeitengesetz nicht vor, so dass der Aufforderung des Betroffenen leider nicht entsprochen werden könne. Auch eine weitere Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt sei nicht möglich, weil das Verfahren mit der Erteilung der Verwarnung endgültig abgeschlossen sei. Das Schreiben des Betroffen würde aber zum Ermittlungsvorgang genommen.
Mit Schreiben vom 19.09.2012 hatte der Betroffene dem Jobcenter daraufhin mitgeteilt, dass die vom Jobcenter getätigten Aussagen sachlich und rechtlich unzutreffend seien und erneut deutlich gemacht, dass er die Verwarnung vom 15.08.2012 nicht anerkenne und das Jobcenter zur Rücknahme der Verwarnung aufgefordert.
Mit Schreiben vom 27.09.2012 hat das Jobcenter daraufhin noch einmal ausgeführt, dass das Ordnungswidrigkeitengesetz die Rücknahme einer ausgesprochenen Verwarnung nicht vorsehe. Die Rücknahme derselben sei aus diesem Grunde „und auch aus logischen Gründen gar nicht möglich.“ Das Verfahren sei daher abgeschlossen. Der Betroffene möge bitte auch die Archivierungspflichten der öffentlichen Verwaltung bedenken. Eine Rücknahme der Verwarnung können somit „aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen leider nicht erfolgen.“
Erst nach Einschaltung eines Rechtsanwalts hat das Jobcenter Kiel nach ausführlicher Darlegung der Sach- und Rechtslage mit Schreiben vom 04.10.2012 das eingeleitete Ermittlungsverfahren eingestellt und die Verwarnung vom 15.08.2012 (endlich) zurückgenommen.
Mehr zum Thema Ortungswidrigkeiten und Hartz IV auf dieser Seite:
Freispruch: Keine Mitwirkungspflichten außerhalb des Leistungsbezuges!
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
34. Kammer am SG Kiel: Neue Berechnung der Kieler Mietobergrenzen
Veröffentlicht: 4. Oktober 2012 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen, Stadt Kiel | Tags: angemessene Unterkunftskosten Kiel, Kieler Mietobergrenzen, Kosten der Unterkunft Kiel, Mietobergrenzen Hartz 4 Kiel, Mietobergrenzen Hartz IV Kiel, Mietobergrenzen in Kiel, Mietobergrenzen Jobcenter Kiel, Mietobergrenzen Kiel 2012, Neue Mietobergrenzen Kiel 2012, Sozialgericht Kiel Urteil vom 18.09.2012 S 34 AS 1204/11 3 KommentareMit Urteil vom 18.09.2012 hat die 34. Kammer am Sozialgericht Kiel im Verfahren S 34 AS 1204/11 entschieden, dass der Berechnung der Kieler Mietobergrenzen die durchschnittlichen Betriebskosten nach den Erhebungen zum Kieler Mietspiegel zugrunde zu legen sind. Damit folgt das Gericht nunmehr einer hier seit geraumer Zeit vertretenen Auffassung sowie der neueren Rechtsprechung des BSG, wobei darauf hinzuweisen ist, dass die Urteilsbegründung im Verfahren B 14 AS 13/12 R zu den Kieler Mietobergrenzen noch nicht vorliegt. Zur Begründung hat die 34. Kammer am Sozialgericht Kiel ausgeführt:
„Allerdings hält die Kammer nicht mehr an der vormals vertretenen Auffassung fest, dass auch für die Betriebskosten eine Gewichtung vorzunehmen ist. Die Kammer schließt sich vielmehr der Überlegung des BSG vom 19.10.2010 (a.a.O.) an, dass für die in die Berechnung der Mietobergrenze einfließenden Betriebskosten auf die Addition der Durchschnittswerte für alle Posten abzustellen ist, die auch in der Betriebskostenverordnung genannt werden und dass diese Werte den (nichtamtlichen) Übersichten in Mietspiegeln oder Übersichten der Örtlichen Interessenverbände entnommen werden können.
Dabei ist nicht auf den Betriebskostenspiegel Schleswig-Holstein abzustellen. Dieser ist nach eigenen Aussagen des Herausgebers – des Deutschen Mieterbundes – nicht auf hinreichend valides Datenmaterial zurückzuführen. Vielmehr ist auf die Übersicht in Tabelle 1 des Kieler Mietspiegels zurückzugreifen. Die Daten wurden von dem Forschungsinstitut, F+B Forschung und Beratung erhoben und ausgewertet. Die Ergebnisse beruhen auf einer Auswertung einer ausreichend großen Anzahl von Betriebskostenabrechnungen (1.366 im Jahr 2008 und 1.424 im Jahr 2010).
Es ist auch tatsächlich nicht ersichtlich, dass eine Gewichtung der Durchschnittswerte das tatsächliche Bild im grundsicherungsrechtlich relevanten Bereich einfacher Lage und Ausstattung zutreffender widerspiegelt als die Addition aller Durchschnittswerte. Die stichprobenartige Umfrage des Gerichts bei den örtlichen Wohnungsgesellschaften und bei dem Kieler Mieterverein hat ergeben, dass keine zuverlässige Aussage darüber erfolgen kann, dass für Wohnungen im unteren Preissegment oder Wohnungen einfachen Standards bestimmte Betriebskosten anfallen oder gerade nicht anfallen. Der Umstand, dass es möglicherweise zu einer doppelten Berücksichtigung von Posten kommt, wenn alle Durchschnittswerte für den Hauswart, die Gehwegreinigung, die Hausreinigung, die Gartenpflege und die Schneebeseitigung addiert werden, ist hinzunehmen, da im Zweifel der mehr begünstigende Wert in die Bestimmung des abstrakt angemessenen Mietobergrenze einzufließen hat (BSG, Urteil vom 19.10.2010, a.a.O. bei juris Rn 32, insbesondere BSG, Urteil vom 20.12.2011, Az. B 4 AS 19/11 R bei juris Rn 21 und 25 für die Bestimmung der Grenze für die Nettokaltmiete).
Ferner ist nicht unzweifelhaft davon auszugehen, dass ein Hauswart keine weiteren betriebskostenrelevanten Aufgaben hat als die in § 2 Nr. 2 bis 10 Betriebskostenverordnung genannten und nach § 2 Nr. 14 letzter Halbsatz von einer doppelten Abrechnung ausgeschlossenen Aufgaben. Die Posten der Nr. 2 bis 10 tauchen in der Übersicht über die durchschnittlichen Betriebskosten auf. Die übrigen Aufgaben des Hauswarts im Sinne des § Nr. 14 (u.a. allgemeine Präsenz: Derckx, Sonstige Betriebskosten, WuM 2005, S. 690 bis 695 mit Nachweisen) und weitere – dann möglicherweise von § 2 Nr. 17 erfasste – Aufgaben des Hauswarts (Reinigung der Lichtschachte und Abflussrohre, die direkt in den Mietbereich laufen: Derckx, Sonstige Betriebskosten WuM 2005, 5. 690 bis 695 mit Nachweisen) sind dann mit der Berücksichtigung des Durchschnittswertes für „Hauswart“ in Höhe von 0,11 EUR auch erfasst.
Die Addition der Durchschnittswerte der Betriebskostenpositionen in der Tabelle 1 des Kieler Mietspiegels 2010 ergibt einen Wert in Höhe von 1,77 EUR pro Quadratmeter.
Aus der Addition des Nettokaltmietpreises in Höhe von 4,93 EUR und des Betriebskostenpreises in Höhe von 1,77 EUR – jeweils pro Quadratmeter – ergibt sich ein Bruttokaltmietpreis in Höhe von 6,70 € pro Quadratmeter. Bezogen auf eine angemessene Wohnungsgröße von 50 qm errechnet sich eine Mietobergrenze für einen Ein-Personen-Haushalt in Höhe von 335,00 EUR.“
In der folgenden Tabelle sind die Mietobergrenzen nach der bisherigen Berechnungsmethode der schleswig-holsteinischen Sozialgerichte (Berücksichtigung nur des unteren Drittels der Betriebskostenspanne) sowie nach der neuen Berechnungsmethode, die mit der Rechtsprechung des BSG im Einklang steht (Berechnung unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Betriebskosten) nachzulesen:
| Anzahl der im Haushalt lebenden Personen | Anzuerkennende Wohnungsgröße (in qm) | Mietobergrenzen nach Mietspiegel 2010, gültig vom 1.12.2010 bis 30.11 2012, nach bisheriger Berechnung mit 1,24 €/qm BK | Mietobergrenzen nach Mietspiegel 2010, gültig vom 1.12.2010 bis 30.11 2012, nach neuer Berechnung mit 1,77 €/qm BK |
| 1 | bis 50 | 308,50 € | 335,00 € |
| 2 | 50-60 | 370,20 € | 402,00 € |
| 3 | 60-75 | 451,50 € | 491,25 € |
| 4 | 75-85 | 504,90 € | 549,95 € |
| 5 | 85-95 | 564,30 € | 614,65 € |
| 6 | 95-105 | 623,70 € | 679,35 € |
| 7 | 105-115 | 683,10 € | 744,05 € |
| Mehrbetrag für jedes weitere Familienmitglied | 10 | 59,40 € | 64,70 € |
Informativ sind in diesem Zusammenhang auch die ermittelten Nettokaltmieten (Angebotsmieten, Grundmieten ohne Nebenkosten) der großen Online-Portale:
http://www.wohnungsboerse.net/mietspiegel-Kiel/8179
http://www.immobilienscout24.de/de/immobilienbewertung/immobilienpreise.jsp
http://www.miet-check.de/mietspiegel_Kiel.php
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Wann das Jobcenter Mietschulden übernimmt
Veröffentlicht: 1. Oktober 2012 Abgelegt unter: Schulden | Tags: Übernahme von Mietschulden Hartz IV, § 28 Abs. 8 SGB II Übernahme Mietschulden, Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Beschluss vom 29.03.2012 L 3 AS 28/12 B, X Übernahme von Mietschulden ALG II 3 KommentareGrundsätzlich steht die darlehensweise Übernahme von Mietschulden eines Hartz-IV-Beziehers im Ermessen der Behörde. Nach § 22 Abs. 8 SGB II können solche Schulden übernommen werden, sofern dies zum Erhalt seiner Wohnung oder einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Mietschulden sollen dann übernommen werden, wenn andernfalls Obdachlosigkeit droht. In einer aktuellen Entscheidung hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht dargelegt, welche Umstände für und welche gegen eine Mietschuldenübernahme sprechen.
So spielt die Höhe des Mietrückstandes eine Rolle: Geringere Rückstände müssen eher übernommen werden als sehr hohe Mietschulden. Auch bei älteren oder behinderten Menschen ist über eine Schuldenübernahme eher großzügig zu entscheiden. Ein wichtiger Gesichtspunkt ist auch, ob der Hilfesuchende erstmalig oder wiederholt Mietrückstände hat auflaufen lassen sowie, ob er sich ernsthaft selbst bemüht hat, die Notsituation abzuwenden und die Rückstände auszugleichen, etwa über eine Ratenzahlungsabmachung mit dem Vermieter. Eine Mietschuldenübernahme scheidet dagegen in der Regel aus, wenn der Hilfesuchende die Mietzahlungen bewusst nicht geleistet und er darauf vertraut oder sogar spekuliert hat, das Jobcenter werde die Mietrückstände schon übernehmen. Wenn Mietschulden dadurch entstanden sind, dass der Hilfebedürftige seine Leistungen für die Unterkunft nicht an seinen Vermieter weitergeleitet sondern zweckwidrig für andere Dinge ausgegeben hat, so kommt eine Schuldenübernahme nur dann in Betracht, wenn sich der Hilfesuchende nachweislich auch um die Anmietung einer anderen Wohnung bemüht hat.
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 29.03.2012, L 3 AS 28/12 B
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Höhere Regelsätze ab dem Jahr 2013
Veröffentlicht: 30. September 2012 Abgelegt unter: Mehrbedarfe, Regelsatz | Tags: Mehrbedarf Warmwasser 2013, Mehrbedarf Warmwasseraufbereitung 2013, Regelbedarf 2013, Regelbedarf ab 01.01.2013, Regelbedarfsstufen 2013, Regelbedarfsstufen ab 01.01.2013, Regelsätze 2013, Regelsätze ab 01.01.2013, Tabelle neue Regelbedarfsstufen 2013, Tabelle neue Regelsätze 2013, Tabelle Regelbedarfsstufen 2013, Tabelle Regelsätze 2013 26 KommentareDie Bundesregierung hat am 19. September 2012 eine Erhöhung der Regelbedarfe für Bezieher von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II (ALG II / Hartz IV) sowie für Bezieher von Leistungen der nach dem SGB XII (vor allem Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung) zum 1. Januar 2013 um 2,26% beschlossen. Die beschlossene Rechtsverordnung bedarf noch der Zustimmung des Bundesrats auf seiner Sitzung am 12.10.2012, welche allerdings als bloße Formsache gilt.
Die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen ist gesetzlich festgeschrieben. Sie erfolgt jährlich und richtet sich nach statistischen Berechnungen. Dabei wird ein sog. Misch-Index zugrunde gelegt. Der Index orientiert sich an der bundesdurchschnittlichen Preisentwicklung und der Nettolohnentwicklung. Ab 2014 soll diese Berechnung durch die „laufende Wirtschaftsrechnung“ als Berechnungsgrundlage für die Regelsätze abgelöst werden.
Nachfolgender Tabelle sind die künftigen Leistungen, die bisherigen Leistungen (zum Vergleich) sowie der Mehrbedarf für dezentrale Warmwasseraufbereitung (Strom- oder Gasboiler zur Gebrauchswarmwasseraufbereitung, mehr dazu hier) zu entnehmen:
|
Leistungen bis 31.12.2012 |
Leistungen ab 01.01.2013 |
Mehrbedarf für Warmwasser** |
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| Regelbedarfsstufe 1 (alleinstehende oder alleinerziehende Leistungsberechtigte) |
374 € (+ 10 €)* |
382 € (+ 8 €) |
2,3 % = 8,79 € |
| Regelbedarfsstufe 2 (volljährige PartnerIn innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft) |
337 € (+ 9 €) |
345 € (+ 8 €) |
2,3 % = 7,94 € |
| Regelbedarfsstufe 3 (18 bis einschließl. 24-jährige Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft) |
299 € (+ 8 €) |
306 € (+ 5 €) |
2,3 % = 7,04 € |
| Regelbedarfsstufe 4 (Jugendliche von 14 bis einschließl. 17 Jahre) |
287 € |
289 € (+ 4 €) |
1,4 % = 4,05 €
|
| Regelbedarfsstufe 5 (Kinder von 6 bis einschließl. 13 Jahre) |
251 € |
255 € (+ 4 €) |
1,2 % = 3,06 €
|
| Regelbedarfsstufe 6 (Kinder unter 6 Jahre) |
219 € (+ 4 €) |
224€ (+ 4 €) |
0,8 % = 1,79 €
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* Veränderungen zum Vorjahr 2011
** Rundung nach § 41 Abs. 2 SGB II
Weitere erhöhte Mehrbedarfe und Barbeträge
Mit der Anhebung der Regelbedarfe steigen zudem die Mehrbedarfe und die Barbeträge für Bewohnerinnen und Bewohner von stationären Einrichtungen. Voll erwerbsgeminderte Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII, deren Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen „G“ enthält, erhalten einen Mehrbedarf in Höhe von 17 % ihrer Regelbedarfsstufe. Leistungsbezieher, die Eingliederungshilfe erhalten, bekommen einen Mehrbedarf in Höhe von 35 % ihrer Regelbedarfsstufe. Entsprechend den erhöhten Regelbedarfsstufen steigen auch die Mehrbedarfe für Schwangere, Alleinerziehende sowie für Kranke, die eine kostenaufwändige Ernährung benötigen (vgl. § 21 Abs. 2 bis 6 SGB II). Auch die Höhe des Barbetrags (sog. Taschengeld in stationären Einrichtungen) verändert sich ab dem 01.01.2012. Er beträgt 27 % des Regelbedarfs der Regelbedarfsstufe 1 von dann 382 €, also 103,14 €.
Weitere Infos: Höhere Regelsätze ab dem Jahr 2014
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BSG: Berechnung der Kieler Mietobergrenzen rechtswidrig
Veröffentlicht: 23. August 2012 Abgelegt unter: Mietobergrenzen, Stadt Kiel | Tags: B 14 AS 13/12 R, Mietobergrenzen Kiel Ein Kommentar
Bereits an verschiedenen Stellen hatte ich darauf hingewiesen, dass die Berechnung der abstrakt angemessenen Betriebskosten anhand der Werte des Mietspiegels der Landeshauptstadt Kiel durch die schleswig-holsteinischen Sozialgerichte nicht mit der Rechtsprechung des BSG zu einem sog. „schlüssigen Konzept“ in Einklang zu bringen ist. In einer aktuellen Entscheidung vom 22.08.2012 (B 14 AS 13/12 R) hat das BSG dies nun erstmals ausdrücklich bestätigt und ausgeführt: „Die Feststellungen des LSG zum abstrakt angemessenen Quadratmeterpreis ließen dagegen vor allem in Bezug auf die kalten Betriebskosten kein schlüssiges Konzept erkennen.“ (Terminbericht Nr. 43/12 vom 23.08.2012)
Um eine erneute Klageflut zu vermeiden, wären die Gerichte in Schleswig-Holstein gut beraten, möglichst kurzfristig ihre Betriebskostenrechtsprechung zu überdenken und diese an den bereits zahlreich vorliegenden Hinweisen des BSG zu orientieren, wonach die durchschnittlichen Betriebskosten in einer Gemeinde zugrunde zu legen sind und nicht ein – letztlich aus der Luft gegriffenes – „unteres Drittel„. Die Stadt Kiel wiederum täte gut daran, bei der zum 01.12.2012 ohnehin anstehenden Neuberechnung der Kieler Mietobergrenzen bereits mit den durchschnittlichen Betriebskosten zu rechnen, um völlig überflüssige neuerliche Klageverfahren zu vermeiden.
Stadt Kiel sichert Neuberechnung der Kieler Mietobergrenzen zu
In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Ratsfraktion DIE LINKE vom 20.09.2012 hat die Stadt Kiel die Neuberechnung der Kieler Mietobergrenzen für Bezieher von Leistungen nach dem SGB II und SGB XII unmittelbar nach Inkrafttreten des Kieler Mietspiegels 2012 zugesagt. Die Anpassung der Leistungen für die Unterkunft nach dem SGB II und SGB XII soll schrittweise im Rahmen der laufenden Fallbearbeitung erfolgen oder nach Stellung eines entsprechenden Überprüfungsantrages nach § 44 SGB X. In jedem Einzelfall soll eine rückwirkende Anpassung ab 01.12.2012 (Inkrafttreten des Kieler Mietspiegels 2012) vorgenommen werden.
Kommunale Unterkunftssatzung nicht vor 2014
In Hinblick auf die Möglichkeit, eine kommunale Unterkunftssatzung für den Bereich des Landeshauptstadt Kiel zu erlassen (mehr hier), soll nach einem Interfraktionellen Antrag der SPD-Ratsfraktion sowie der Ratsfraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN zunächst die Entwicklung in anderen schleswig-holsteinischen Gemeinden abgewartet werden. Beobachtet werden soll insbesondere, ob die kommunalen Unterkunftssatzungen sich als geeignet erweisen
1. mehr Rechtssicherheit zu schaffen,
2. zur Vermeidung von mietpreiserhöhenden Wirkungen beizutragen,
3. die Verfügbarkeit von Wohnraum des einfachen Standards zu verbessern,
4. unterschiedliche Vermietergruppen zu berücksichtigen,
5. sozial ausgeglichene Strukturen in den Stadtteilen und Quartieren zu schaffen und zu erhalten sowie
6. Anreize für ökonomische und ökologische Steuerungsinstrument zu schaffen.
Das sind hohe Erwartungen. Ob eine kommunale Unterkunftssatzung mehr Rechtssicherheit schafft, erscheint eher fraglich (mehr dazu hier). Die Bestimmung angemessener Unterkunftskosten und damit die Ausfüllung eines unbestimmten Rechtsbegriffs im Sozialrecht ist jedenfalls kein zulässiges und auch kein geeignetes Instrument zur Wohnungsmarktpolitik. Mietobergrenzen bedarfsgefährdend gering anzusetzen – wie es die Landeshauptstadt Kiel jahrelang gemacht hat – um so „zur Vermeidung mietpreiserhöhender Wirkungen beizutragen“, war nicht nur rechtswidrig, sondern Sozialleistungsträger und Stadt ließen sich auch von sachfremden Erwägungen leiten: Die Angemessenheitsgrenzen zeichnen die Mietpreisentwicklungen auf einem freien Wohnungsmarkt nach. Sie sind nicht dazu da, diesen zu beeinflussen oder gar maßgeblich zu steuern. Wie durch kommunale Unterkunftssatzungen die „Verfügbarkeit von Wohnraum des einfachen Standards verbessert“ werden soll, ist ebenfalls nicht recht nachvollziehbar. Fehlt dieser Wohnraum, muss er geschaffen werden. Das kann durch Sozialwohnungsbau geschehen. Auch dadurch, für preisgünstigen Wohnraum keine Abrissgenehmigungen zu erteilen (die Stadt macht für gewöhnlich freilich das Gegenteil, mehr hier). Oder durch den Erhalt eines kommunalen Wohnungsbestandes (in Kiel Ende der 90er Jahre von SPD-Oberbürgermeister Norbert Gansel verscherbelt, zur Kritik mehr hier). Bestimmt aber nicht durch die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe. Soweit der Antrag vorschlägt, „unterschiedliche Vermietergruppen zu berücksichtigen“, erschließt sich auch hier nicht, was damit gemeint sein soll. Das angebliche Anliegen, „sozial ausgeglichene Strukturen in den Stadtteilen und Quartieren zu schaffen und zu erhalten“, ist löblich. Leider hat aber gerade eine sozialdemokratische Stadtverwaltung durch die rigorose Umsetzung der Mietobergrenzenverfahren maßgeblich dazu beigetragen, dass Transferleistungsbezieher verstärkt in die Problemstadtteile Gaarden und Mettenhof ziehen mussten, weil sich nur noch in diesen Quartieren „kostenangemessener Wohnraum“ finden ließ. Im Politikersprech der SPD-Bündnis 90/DIE GRÜNEN-Ratsleute nennt sich das freilich sehr viel gefälliger „Umwandlung passiver Tranferleistungen (Leistungen für die Unterkunft) in aktive Beschäftigungsförderung“ (vgl. etwa Drs. 0852/2008 oder Drs. 0651/2012). Sozialleistungsansprüche als Jongliermasse der Kommunalpolitik. Schlimmer konnte es eigentlich nicht kommen.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
BSG: Kein Wohnraummehrbedarf für Alleinerziehende
Veröffentlicht: 22. August 2012 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: B 14 AS 13/12 R, Wohnraum-Mehrbedarf Alleinerziehende, Wohnraummehrbedarf für Alleinerziehende 11 KommentareDer 14. Senat des Bundessozialgerichts hat am 22. August 2012 auf die Revision einer Klägerin aus Kiel im Verfahren B 14 AS 13/12 R, in der es um die Frage geht, ob bei der Ermittlung der gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II angemessenen Unterkunftskosten die in Kiel geltende Wohnflächengrenze bei Alleinerziehung eines sechsjährigen Kindes zu erhöhen ist, das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts (SH LSG) aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
Keine Erhöhung der abstrakten Obergrenzen für Alleinerziehende
Im Termin hat das Gericht ausgeführt, dass kein Grund ersichtlich sei, die abstrakten Angemessenheitsgrenzen für Alleinstehende zu erhöhen. Entsprechend bestünde kein Grund, die fehlende Umsetzung der Bestimmungen des VwV-SozWo 2004 zu beanstanden.
Fehlende Feststellungen zur Zumutbarkeit eines Umzugs
Zu prüfen sei allerdings, ob im konkreten Fall ein Umzug zumutbar gewesen sei, dies insbesondere im Hinblick auf die bestehenden Betreuungsangebote und einen gegebenenfalls notwendigen Schulwechsel des Kindes. Zu einer Beurteilung fehlten indes die erforderlichen Ermittlungen des SH LSG, so dass das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war.
Fehlerhafte Berechnung der kalten Betriebskosten durch das SH LSG
Von erheblicher Bedeutung für die Berechnung der Mietobergrenzen in Kiel sind die Ausführungen des 14. Senates am BSG zu der Berechnung der kalten Betriebskosten durch die Gerichte in Schleswig-Holstein. Deren Berechnungen (unteres Drittel) sei fehlerhaft. Weiteres Ausführungen hat das BSG in der mündlichen Verhandlung allerdings nicht gemacht. Hier bleibt die Begründung des Urteils abzuwarten. Auch insofern erfolgte eine Zurückweisung.
Beurteilung
Soweit das Gericht einen Wohnraummehrbedarf für Alleinstehende ablehnt, ist diese Entscheidung zu bedauern. Es bleibt zu hoffen, dass sie nicht zu einer Änderung der Verwaltungspraxis in jenen Kommunen führt, welche einen Mehrbedarf für Alleinerziehende derzeit vorsehen. Für den Bericht aus dem heutigen Termin gilt mein Dank meiner Kollegin Frau Rechtsanwältin Claudia Bärtschi aus Kassel, die den Verhandlungstermin für mich in Untervollmacht wahrgenommen hat. Für das Jobcenter Kiel ist zu dem Verhandlungstermin im Übrigen niemand erschienen.
Nachtrag: Terminbericht Nr. 43/12 vom 23.08.2012
„3) Die Revisionen der Kläger waren im Sinne der Aufhebung und Rückverweisung der Sache an das LSG begründet. Auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des LSG konnte nicht beurteilt werden, ob die Kläger höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung beanspruchen können. Das LSG ist in Umsetzung der Rechtsprechung des BSG zutreffend davon ausgegangen, dass als abstrakt angemessene Wohnungsgröße für einen Zweipersonenhaushalt hier eine Wohnfläche von 60 qm zu berücksichtigen ist. Wohnraumförderrechtliche Sonderregelungen, die auf persönliche Lebensverhältnisse Bezug nehmen, sind bei der Bestimmung der Wohnungsgröße für die abstrakte Angemessenheitsprüfung nicht zu berücksichtigen. Dies gilt auch im Hinblick auf Regelungen, die in Schleswig-Holstein die Vergabe von Wohnungen an Alleinerziehende bis zu einer Größe von 70 qm zulassen. Die Feststellungen des LSG zum abstrakt angemessenen Quadratmeterpreis ließen dagegen vor allem in Bezug auf die kalten Betriebskosten kein schlüssiges Konzept erkennen. Auch die Frage, ob es den Klägern möglich und zumutbar war, im örtlichen Vergleichsraum eine angemessene Wohnung anzumieten (konkrete Angemessenheit), konnte aufgrund der Feststellungen des LSG nicht abschließend beantwortet werden. Es war vor allem nicht zu erkennen, dass die angefochtenen Bescheide den schützenswerten Belangen der Klägerin zu 1 als alleinerziehender Mutter im Hinblick auf die Betreuungsmöglichkeiten ihres Kindes und dem sozialen und schulischen Umfeld des Klägers zu 2 hinreichend Rechnung getragen haben.
SG Schleswig – S 8 AS 1388/08 –
Schleswig-Holsteinisches LSG – L 11 AS 97/10 –
Bundessozialgericht – B 14 AS 13/12 R -“
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Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 06.12.2011, L 11 AS 97/10: Kein Wohnraummehrbedarf für Alleinerziehende!
SG Schleswig lehnt erneut Wohnraummehrbedarf für Alleinerziehende ab!
Pressemeldungen zu der Entscheidung des BSG im Verfahren B 14 AS 13/12 R:
Kein Wohnflächen-Bonus für Alleinerziehende Hartz-IV-Empfänger, AFP VOM 22.8.2012
ARD-Morgenmagazin – Neue Urteile zu Hartz IV – Wolfgang Büser, Rechtsexperte, 30.08.2012
ARD-MORGENMAGAZIN – SERVICE 30.08.2012
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Hartz IV: Wohnraummehrbedarf für Alleinerziehende?
Veröffentlicht: 21. August 2012 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: BSG B 14 AS 13/12 R, Schleswig-Holsteinisches LSG L 11 AS 97/10 3 KommentareDer 14. Senat des Bundessozialgerichts wird am 22. August 2012 über sechs Revisionen aus dem Bereich Grundsicherung für Arbeitssuchende (ALG II) entscheiden, darunter über eine Revision einer Klägerin aus Kiel, in der es um die Frage geht, ob bei der Ermittlung der gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II angemessenen Unterkunftskosten die in Kiel geltende Wohnflächengrenze bei Alleinerziehung eines sechsjährigen Kindes zu erhöhen ist.
Terminvorschau Nr. 43/12
3) 11.45 Uhr – B 14 AS 13/12 R 1. J.L., 2. A.L. ./. Jobcenter Kiel
Die Kläger begehren die Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) als Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Die im Jahre 1967 geborene Klägerin zu 1. und ihr im Jahre 1999 geborener Sohn (Kläger zu 2.), den sie allein erzieht, leben gemeinsam in einer öffentlich geförderten, 79,63 qm großen Wohnung in Kiel. Für die Wohnung war ab dem 1.8.2008 monatlich eine Bruttokaltmiete in Höhe von 471,59 Euro sowie eine Heizkostenpauschale in Höhe von 62 Euro zu zahlen. Der Beklagte wies die Kläger darauf hin, dass die von ihnen geltend gemachten KdU die Angemessenheitsgrenze überstiegen. Für zwei Personen könne nur eine Bruttokaltmiete von 373 Euro zuzüglich Heizkosten anerkannt werden. Ab dem 1.11.2008 berücksichtigte er monatliche Kosten für Unterkunft und Heizung lediglich noch in Höhe von 437 Euro.
Die hiergegen gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat zur Begründung angeführt, die angemessene Wohnungsgröße betrage nach den für Schleswig-Holstein maßgebenden Verwaltungsvorschriften bei Haushalten mit zwei Personen 60 qm. Ein Wohnflächenmehrbedarf von 10 qm wegen Alleinerziehung, der im Rahmen der sozialen Wohnraumförderung anzuerkennen sei, könne bei den KdU nicht berücksichtigt werden. Der abstrakt angemessene Quadratmeterpreis sei aus dem Kieler Mietspiegel abzuleiten. Die tatsächlichen Kosten der Kläger überstiegen die sich hieraus ergebende angemessene Referenzmiete.
Mit der hiergegen gerichteten Revision rügen die Kläger eine fehlerhafte Anwendung des § 22 SGB II. Soweit die Bestimmungen über die soziale Wohnraumförderung Sonderregelungen für bestimmte Personen (etwa Alleinerziehende) enthielten, seien diese auch im Rahmen des SGB II anzuwenden.
SG Schleswig – S 8 AS 1388/08 –
Schleswig-Holsteinisches LSG – L 11 AS 97/10 –
Vollständige Terminvorschau: Terminvorschau 43/12 vom 15.08.2012
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SG Schleswig lehnt erneut Wohnraummehrbedarf für Alleinerziehende ab!
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Von Hamburger Kaufleuten und schleswig-holsteinischen Kostenprüfungsbeamten
Veröffentlicht: 28. Juli 2012 Abgelegt unter: RA-Kosten 2 KommentareNach § 195 BGB verjähren auch Ansprüche auf Prozesskostenhilfe des beigeordneten Rechtsanwaltes innerhalb von drei Jahren. Die Verjährungseinrede muss allerdings erhoben werden. Ob sich der Anspruchsgegner – hier die Staatskasse in Gestalt des Kostenprüfungsbeamten – auf Verjährung beruft oder – etwa, weil er dies für unehrenhaft hält, zumal der Inhaber des verjährten Anspruches schließlich die volle Gegenleistung erbracht hat – hierauf verzichtet, muss dieser selbst entscheiden.
Unter Hamburger Kaufleuten gilt bis heute: Ein standesbewusster Kaufmann beruft sich nicht auf Verjährung. Es ist eine Frage der Ehre und des eigenen Rufes, ob man sich auf Verjährung beruft oder nicht. Ein redlicher Kaufmann überlegt sich stets sehr genau, ob er die Einrede der Verjährung erhebt und seinen Kunden über die Klinge barbiert.
Schleswig-Holsteinische Kostenprüfungsbeamte sind leider keine Hamburger Kaufleute und die Staatskasse legt augenscheinlich eher weniger Wert auf Ruf und Ehre, und so sei jedem Kollegen empfohlen, auch bei Vergütungsansprüchen gegen die Staatskasse sorgsam die Verjährungsfristen im Blick zu behalten.
SG Schleswig, Beschluss vom 19.07.2012, S 25 AS 95/08 ER
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Sozialverband Deutschland erhöht Kostenbeteiligung für seine Mitglieder
Veröffentlicht: 25. Juli 2012 Abgelegt unter: Sozialverbände | Tags: SoVD Kostenbeteiligung, Sozialverband Deutschland (SoVD) Landesverband Schleswig-Holstein e.V., Sozialverband Deutschland Kostenbeteiligung 2 KommentareNach ständiger Rechtsprechung des BSG (z.B. B 8 SO 35/09 B) muss ein Mitglied einer Vereinigung seine satzungsmäßigen Rechte auf kostenlose Prozessvertretung ausschöpfen. Der satzungsmäßige Anspruch auf kostenlosen Rechtsschutz gehört zum Vermögen der Rechtsuchenden, so dass dieser nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung aus seinem Vermögen aufzubringen. Rechtsuchende müssen sich also grundsätzlich zwischen der Mitgliedschaft in einem Sozialverband und der Möglichkeit zur Inanspruchnahme eines Rechtsanwaltes auf Prozesskostenhilfebasis entscheiden (vgl. etwa Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 06.09.2010 , L 7 AS 532/10 B PKH); Beschluss vom 22.11.2010, L 7 AS 486/10 B PKH).
Kostenbeteiligung beim Sozialverband Deutschland
Seit dem 01.03.2012 müssen Mitglieder des Sozialverbandes Deutschland e.V. (SoVD) gemäß der Leistungsordnung des SoVD nachfolgende Kostenbeteiligung zusätzlich zu ihren Mitgliedsbeiträgen zahlen, wenn sie die Leistungen des SoVD in Anspruch nehmen wollen:
4.3 Die Kostenbeteiligung ab dem 01.03.2012 für
Antragsverfahren beträgt 10,00 Euro
Vorverfahren (=Widerspruchsverfahren) beträgt 50,00 Euro
Klageverfahren 1. Instanz beträgt 100,00 Euro
Wenn bereits das Vorverfahren durch
den SoVD geführt wurde 80,00 Euro
Klageverfahren 2. Instanz beträgt 120,00 Euro
Wenn erstinstanzliches Verfahren
bereits durch den SoVD geführt wurde 90,00 Euro
Nichtzulassungsbeschwerde (NZB) 150,00 Euro
Revisionsverfahren beträgt 160,00 Euro
Wenn NZB vorausging und diese
durch den SoVD geführt wurde 120,00 Euro
http://www.sovd.de/fileadmin/downloads/informationen/pdf/leistungsordnung.pdf
Kostenbeteiligung beim Landesverband Schleswig-Holstein e.V.
Der Sozialverband Deutschland (SoVD) Landesverband Schleswig-Holstein e.V. hat aufgrund seiner Selbstständigkeit eine eigene Satzung und Leistungsordnung. Danach werden die Mitglieder seit dem 01.07.2012 zu folgenden Kostenbeteiligungen herangezogen:
Vorverfahren: 22,00 €
sozialgerichtliche Verfahren 1. Instanz: 34,00 €
sozialgerichtliche Verfahren 2. Instanz: 68,00 €
Dabei ist zu beachten, dass bei einen bestimmten Personenkreis (dazu zählen u.a. auch SGB II und SGB XII-Empfänger) nach Auskunft des SoVD Landesverband Schleswig-Holstein e.V. von einer Zahlung der Kostenbeteiligung abgesehen wird, vorausgesetzt die entsprechenden Leistungsbescheide werden vorgelegt. Die Satzung des SoVD Landesverband Schleswig-Holstein ist leider derzeit (Stand 04.09.2012) im Internet noch nicht veröffentlicht. Die Angaben beruhen auf einer Emailauskunft des SoVD Landesverband Schleswig-Holstein und konnten insofern bisher nicht überprüft werden.
Sozialverband oder Rechtsanwalt?
Aufgrund dieser – ganz erheblichen – Kostenbeteiligung zusätzlich zu den monatlichen Mitgliedsbeiträgen sollten Empfänger von Leistungen nach dem SGB II (ALG II) oder SGB XII (Grundsicherung) sorgsam abwägen, ob für sie der Weg über Beratungshilfe bzw. im gerichtlichen Verfahren Prozesskostenhilfe zur Inanspruchnahme der Vertretung durch einen Rechtsanwalt nicht die sinnvollere Alternative ist.
Zu bedenken ist hierbei, dass – die Erforderlichkeit einer anwaltlichen Vertretung vorausgesetzt – für die außergerichtliche Vertretung Beratungshilfe bewilligt werden kann und der Rechtsanwalt in erfolgreichen Widerspruchsverfahren seine Kosten gegen den erstattungspflichtigen Gegner (z.B. das Jobcenter) nach § 63 SGB X festsetzen lassen kann. Für die anwaltliche Vertretung in Gerichtsverfahren kann – die Erfolgsaussichten der Rechtswahrnehmung vorausgesetzt – Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt werden. Und auch hier gilt: Wird der Prozess gewonnen – und das ist ja der eigentliche Sinn der Prozessführung -, muss der Prozessgegner die Kosten des eigenen Rechtsanwaltes als notwendige Kosten der Rechtsverfolgung tragen. In Verfahren, bei denen die Erfolgsaussichten ungewiss sind, besteht zudem die Möglichkeit, sich vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit bis in die zweite Instanz (Landessozialgericht) selbst zu vertreten, da hier kein Anwaltszwang besteht. Auf diese Weise lässt sich – eine vernünftige anwaltliche Beratung vorausgesetzt – das Kostenrisiko weitestgehend ausschließen.
Weiterführende Links:
Achtung: VdK-Mitgliedschaft bewirkt Verlust des Anspruchs auf Prozesskostenhilfe
Jahreshauptversammlung / Unmut über Erhöhung der Beratungsbeiträge: Kritik am SoVD-Landesverband
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Jobcenter Kiel ändert seine Verwaltungspraxis bei der Rückforderung von Betriebskostenguthaben
Veröffentlicht: 20. Juli 2012 Abgelegt unter: Betriebskostenguthaben, Kosten der Unterkunft | Tags: ALG II Betriebskostenguthaben, § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII, Hartz IV Rückforderung von Betriebskostenguthaben, Jobcenter Kiel Betriebskostenguthaben, Jobcenter Kiel Miete 5 Kommentare
Zahlen Bezieher von Leistungen nach dem SGB II aus ihrem Regelsatz oder Einkommen zu ihrer Miete hinzu, weil die Miete nur in Höhe der sog. Mietobergrenze anerkannt wird, so steht ihnen ein etwaiges Betriebskostenguthaben in Höhe ihrer monatlichen Zuzahlungen zur Miete x 12 Monate zu. Das Jobcenter darf das Betriebskostenguthaben in dieser Höhe weder zurückfordern noch darf dieses auf die Leistungen für die Unterkunft angerechnet werden (vgl. dazu den Beitrag Leistungsberechtigten steht bei Mietzuzahlung Betriebskostenguthaben zu!).Jobcenter Kiel ändert Verwaltungspraxis
Beispiel
Die tatsächliche Bruttokaltmiete (Grundmiete zuzüglich kalter Betriebskosten) eines Einpersonenhaushaltes liegt bei 318,50 €. Von dieser Bruttokaltmiete erkennt das Jobcenter Kiel nur 308,50 € an. Der Leistungsberechtigte zahlt die Differenz von 10 € monatlich aus seinem Regelsatz oder anrechnungsfreiem Erwerbseinkommen dazu, mithin 120 € im Jahr. Im Jahr 2012 erhält der Leistungsberechtigte seine Betriebskostenabrechnung. Folgende Fallkonstellationen sind denkbar:
– Die Betriebskostenabrechnung schließt mit einem Guthaben von 120 € oder weniger. Dieses Guthaben wird vom Jobcenter nicht (mehr) zurückgefordert, sondern verbleibt dem Leistungsberechtigten. Denn ein Guthaben von bis zu 120 € beruht nicht auf Leistungen des Jobcenters für die Unterkunft (§ 22 SGB II), sondern auf eigenen Leistungen des Leistungsberechtigten aus seinem Regelsatz bzw. Einkommen.
– Die Betriebskostenabrechnung schließt mit einem Guthaben von mehr als 120 €. Der Betrag, der über 120 € hinausgeht, kann vom Jobcenter nach § 22 Abs. 3 SGB II im Folgemonat des Zuflusses (Gutschrift) leistungsmindernd berücksichtigt (d.h. auf den ALG II-Anspruch angerechnet) oder nach § 48 SGB X zurückgefordert werden. Von einem Guthaben in Höhe von z.B. 140 € stehen dem Jobcenter mithin 20 € zu.
– Die Betriebskostenabrechnung schließt mit einer Nachzahlung. Die Nachzahlung muss der Leistungsberechtigte aus eigenen Mitteln bestreiten, weil lediglich eine Mietobergrenze von 308,50 € anerkannt wird und die Übernahme einer Betriebskostennachzahlung die Anerkennung einer Bruttokaltmiete von mehr als 308,50 € monatlich bedeuten würde.
Verwaltungspraxis des Amts für Wohnen und Grundsicherung
Auch das Amt für Wohnen und Grundsicherung sowie das Amt für Familie und Soziales der Landeshauptstadt Kiel haben ihre bisherige Praxis der Anrechnung von Betriebskostenguthaben in sog. MOG-Fällen – also in Fällen, in denen nicht die tatsächliche Miete, sondern nur die Mietobergrenze anerkannt wird – geändert und setzen damit nunmehr auch die Rechtsprechung des SG Kiel um.
Für den Regelungsbereich des SGB XII (vor allem Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) ist darauf hinzuweisen, dass § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII in seiner ab dem 01.04.2011 gültigen Fassung nun ausdrücklich regelt, dass Zuflüsse aus Rückerstattungen, die auf Vorauszahlungen beruhen, die der Leistungsberechtigte aus seinem Regelsatz erbracht hat, nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind (vgl. dazu etwa Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl. 2012, § 82 Rn. 27 sowie zur Begründung BR-Drs. 661/10, S. 210). § 82 Abs. 1 SGB XII lautet:
(1) Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz. Einkünfte aus Rückerstattungen, die auf Vorauszahlungen beruhen, die Leistungsberechtigte aus dem Regelsatz erbracht haben, sind kein Einkommen. Bei Minderjährigen ist das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen, soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 34, benötigt wird.
Die Verwaltungspraxis des Amts für Wohnen und Grundsicherung sowie des Amts für Familie und Soziales der Landeshauptstadt Kiel verstieß mithin jedenfalls seit dem 01.04.2011 klar gegen geltendes Recht.
Überprüfungsantrag stellen
Wurden seit dem 01.01.2011 Betriebskostenguthaben in MOG-Fällen nach § 22 Abs. 3 SGB II rechtswidrig leistungsmindernd berücksichtigt (d.h. auf das ALG II angerechnet), so können Betroffene noch bis zum 31.12.2012 einen Antrag auf Überprüfung und Korrektur der rechtswidrigen Verwaltungsentscheidung nach § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 44 SGB X bzw. § 116a SGB XII i.V.m. § 44 SGB X stellen.
Wurden Betriebskostenguthaben in MOG-Fällen rechtswidrig nach § 43 ff. SGB X durch sog. Aufhebungs- und Erstattungsbescheide zurückgefordert, können diese nach § 44 SGB X zeitlich unbefristet überprüft werden. Die Regelung in § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X, wonach Sozialleistungen aufgrund einer Prüfung und Neubescheidung nur bis zu einem Zeitraum von einem Jahr – zuzüglich des Jahres der Antragstellung (Überprüfung in 2012 also für alle Bescheide, die ab 01.01.2011 erlassen wurden) – rückwirkend beansprucht werden können, ist in Rückforderungsangelegenheiten regelmäßig unbeachtlich, weil es hier nicht um die Beanspruchung von Leistungen nach dem SGB II geht.
Weiterführende Infos auf dieser Seite:
Rückforderung von Betriebskostenguthaben!
Leistungsberechtigten steht bei Mietzuzahlung Betriebskostenguthaben zu!
Zur Abtretung von Nebenkostenguthaben
Nachtrag 16.06.2018: Zu 01.08.2016 wurde § 22 Abs 3 SGB II um den Halbsatz „Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht“ ergänzt. Damit ist die Rechtslage in dem hier dargestellten Sinne vom Gesetzgeber geändert worden. Die Neuregelung ist nicht für Zeiträume vor dem 01.08.2016 anwendbar, vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2018, B 14 AS 22/17 R.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
34. Kammer am SG Kiel: Tilgungsraten bei Eigentumswohnung vom Jobcenter zu übernehmen
Veröffentlicht: 11. Juli 2012 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, selbstgenutztes Wohneigentum | Tags: ALG II Tilgungsraten selbstgenutztes Wohneigentum, Hartz IV Tilgungsraten selbstgenutztes Wohneigentum, SG Kiel Beschluss vom 11.07.2012 S 34 AS 214/12 ER Ein KommentarMit Beschluss vom 11.07.2012 hat nun auch die 34. Kammer am Sozialgericht Kiel im Verfahren S 34 AS 214/12 ER entschieden, dass bei selbst genutztem Wohneigentum auch die Tilgungsraten bis zur Höhe der angemessenen Kosten einer vergleichbaren Mietwohnung vom Jobcenter nach § 22 Abs. 1 SGB II übernommen werden müssen. Zur Begründung hat sich die 34. Kammer der hier bereits seit einiger Zeit vertretenen Rechtsauffassung (mehr hier) angeschlossen, wonach jedenfalls seit der letzten SGB II-Novelle, im Rahmen derer sich der Gesetzgeber gegen einen Ausschluss der Tilgungsleistungen aus dem Katalog der Unterkunftsleistungen entschieden hat, die generelle Nichtberücksichtigung von Tilgungsraten nicht mehr vertretbar ist. Zu diesem Punkt hat die 34. Kammer ausgeführt:
| „Die Kammer folgt nicht mehr der Ansicht des Antragsgegners, dass die Tilgungsrate bei der Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten keine Berücksichtigung finden könne.Der Wechsel beruht auf dem Umstand, dass der Bundesgesetzgeber sich auf Anfrage des Bundesrates dagegen entschieden hat, Tilgungsleistungen ausdrücklich aus dem Katalog der KdU-Leistungen auszuschließen (BT-Drs 17/3958 Seiten 13, 14 (vorgeschlagener Wortlaut und Begründung) und BT-Drs. 17/3982 Seiten 7, 8: Ablehnung des Vorschlags). Dieser erkennbare Wille des Gesetzgebers führt dazu, dass die Kammer es nicht mehr für dem Grunde nach unvereinbar mit dem System der Grundsicherung hält, dass die Übernahme von Tilgungsraten im Rahmen der Kosten der Unterkunft als Nebeneffekt zur Vermögensbildung führt. Ein grundsätzlicher Ausschluss von Vermögensbildung durch Sozialleistungen, wie ihn der Antragsgegner behauptet, würde die Regelung in § 3 Abs. 2 Wohngeldgesetz infrage stellen. Zum Anderen spricht auch das Gebot der Gleichbehandlung von leistungsberechtigten Mietern und Wohnungseigentümern für eine Einbeziehung von Tilgungsleistungen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 18.06 2008, B 14/11b AS 67/06 R, Rn. 29).Die Kammer geht im nächsten Schritt davon aus, dass sich die Angemessenheit der Unterkunftskosten für Mieter und Wohnungseigentümer nach einheitlichen Kriterien richtet. Grundsätzlich zählen zu den Kosten der Unterkunft alle die Unterkunft sichernden Aufwendungen (Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 22 Rn. 16). Dazu gehören neben den Zinsen, die im Rahmen eines Darlehens, das zur Finanzierung einer Eigentumswohnung aufgenommen worden ist, anfallen (Lang/Link,a.a.O., Rn. 26), auch die Tilgungsanteile im Rahmen der Finanzierung, soweit diese angemessen im Sinne von 22 SGB II sind (BSG, Urteil vom 18.06.2008, B 14/11b AS 67/08 R, Rn. 23). Weitere Voraussetzung für die (anteilige) Übernahme des Tilgungsanteils ist ferner, dass der Leistungsberechtigte gezwungen wäre, ohne die Übernahme der Finanzierungskosten seine Wohnung aufzugeben (BSG, a.a.O.).
Dies ist vorliegend der Fall. Die kalten Unterkunftskosten des Antragstellers sind bis zur Höhe von monatlich EUR 308,50 angemessen (s.o.). Ausweislich des mit der Antragsschrift vorgelegten Schreibens der finanzierenden Bausparkasse vom 04.08.2010 an den Antragsteller ist diese nicht bereit, den monatlichen Zahlbetrag zu stunden oder herabzusetzen. Hieraus wird hinreichend deutlich, dass die finanzierende Bank auf Einhaltung des vereinbarten Zahlungsplanes einschließlich der Zahlung des vereinbarten Tilgungsanteils besteht.“ |
Der Beschluss findet sich im Volltext hier:
SG Kiel, Beschluss v. 11.07.2012, S 34 AS 214/12 ER
Nachtrag 17.01.2013:
SG Kiel, Beschluss vom 11.01.2013, S 34 AS 4/13 ER
Für eine Übernahme von Tilgungsleistungen auch:
Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 03.05.2010, L 11 B 41/10 AS ER
(im Anschluss an BSG v. 18.06.2008, B 14/11b AS 67/06 R; SG Kiel, Beschluss vom 17.09.2010, S 37 AS 449/10 ER; SG Kiel, Beschluss vom 01.10.2010, S 40 AS 480/10 ER)
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Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Neues aus dem Sozialausschuss der Stadt Kiel
Veröffentlicht: 28. Juni 2012 Abgelegt unter: Jobcenter Kiel, KdU-Satzung, Stadt Kiel | Tags: Kommunale Satzungen für Kosten der Unterkunft, Sozialausschuss Stadt Kiel Ein Kommentar
Seit Frühjahr 2012 gibt es für Schleswig-Holstein eine KdU-Satzungsermächtigung, die es den Kommunen ermöglicht, durch Satzung die Höhe der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung regional zu bestimmen. Hierbei wurde für Schleswig-Holstein jedoch nicht von der Möglichkeit gemäß § 22a SGB II Gebrauch gemacht, auch eine Pauschalierung einzuführen.
Doch keine Unterkunftssatzung für Kiel?
Im Ausschuss für Soziales, Wohnen und Gesundheit kam dies am 31. Mai 2012 zur Sprache. Von Seiten der SPD wurde Sozialdezernent Möller gefragt, ob die Verwaltung beabsichtige, für die KdU eine Satzung zu erstellen, d.h. ob insofern die Mietobergrenze (MOG) geändert würde. Dies wurde durch Herrn Möller verneint. Ratsherr Schmalz (SPD) begrüßte dies mit dem Hinweis, die Stadt habe jetzt eine MOG, die den Vorgaben des Sozialgerichtes Schleswig bzw. Kiel folge. Grundlage sei der jeweilige Mietspiegel der Stadt. Insofern habe man Werte, mit denen man jetzt arbeiten könne. Die aktuelle MOG sei ja erst Anfang des Jahres durch die Ratsversammlung beschlossen worden und eine erneute Änderung sei nicht notwendig.
Bewertung
Ob diese Einstellung andauern wird, sei dahingestellt. Es kommt der OB-Wahlkampf, gleich gefolgt von der Kommunalwahl, das Thema ist zur Zeit also nicht angesagt, vor allem, da es mit einer Satzung für viele Betroffene zu Nachteilen kommen würde, so die Erfahrung aus anderen Bundesländern, die schon eine Satzungsermächtigung umsetzen. Demzufolge kommt es auch wieder zu vielen Prozessen beim Sozialgericht. Die SPD wird gegebenenfalls an ihre jetzige Aussage zu erinnern sein.
Wolfram Otto, Berater im Infoladen/Sozialberatung Hansastraße 48
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Kosten der Unterkunft aus Vermietersicht
Zur Übernahme doppelter Mietaufwendungen bei Umzug
Veröffentlicht: 16. Juni 2012 Abgelegt unter: Doppelmieten, Umzug | Tags: ALG II Doppelmiete Umzug, Hartz IV Doppelmieten Umzug, SG Dortmund 24.04.2012 S 29 AS 17/09 Hinterlasse einen KommentarIn einer aktuellen Entscheidung vom 24.04.2012 hat das SG Dortmund zum Az. S 29 AS 17/09 entschieden, dass das Jobcenter zu Übernahme doppelter Mietaufwendungen im Zuge eines vom ihm veranlassten Umzugs verpflichtet ist.
Das SG Dortmund ordnet die doppelten Mietaufwendungen zutreffend den Wohnungsbeschaffungskosten nach § 22 Abs. 6 SGB II (= § 22 Abs. 3 SGB II a.F.) zu, die nach vorherigen Zusicherung durch das Jobcenter übernommen werden können. Im vorliegenden Fall (Suche nach einer behindertengerechten Wohnung) ging das Gericht von einer Ermessensreduzierung auf Null aus: Zwar stünde die Übernahmeentscheidung grundsätzlich im Ermessen des Jobcenters („können“), dieses Ermessen sei vorliegend indes dahingehend reduziert, dass nur eine Übernahme als ermessensfehlerfrei erachtet werden könne. Denn zum einen sei behindertengerechter Wohnraum in Dortmund nur schwer zu finden, zum anderen habe das Jobcenter selbst die Zusicherung der Umzugskosten durch ein Umzugsunternehmen für ein Auftragsdatum erteilt, welches notwendig die Entstehung einer Doppelmiete impliziere.
Der Volltext der Entscheidung findet sich als PDF hier, die reinen Urteilsgründe auch hier. Die Entscheidung ist abgedruckt in Wohnungswirtschaft & Mietrecht 2012, S. 330 – 332.
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Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Tilgungsraten bei Eigentumswohnung vom Jobcenter zu übernehmen
Veröffentlicht: 8. Juni 2012 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, selbstgenutztes Wohneigentum | Tags: ALG II Tilgungsraten selbstgenutztes Wohneigentum, Hartz IV Tilgungsraten selbstgenutztes Wohneigentum, Sozialgericht Kiel Urteil vom 21.02.2012 S 40 AS 490/10 7 KommentareMit Urteil vom 21.02.2012 hat das Sozialgericht Kiel erneut entschieden, dass bei selbst genutztem Wohneigentum auch die Tilgungsraten bis zur Höhe der angemessenen Kosten einer vergleichbaren Mietwohnung vom Jobcenter nach § 22 Abs. 1 SGB II übernommen werden müssen. Zur Begründung hat die 40. Kammer zutreffend – wenngleich auch sehr knapp – ausgeführt:
| „Die Kammer geht hier weiter davon aus, dass sich die Angemessenheit der Unterkunftskosten für Mieter und Wohnungseigentümer nach einheitlichen Kriterien richtet. Grundsätzlich zählen zu den Kosten der Unterkunft alle die Unterkunft sichernden Aufwendungen (Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 22 Rn. 16). Dazu gehören neben den Zinsen, die im Rahmen eines Darlehens anfallen, das zur Finanzierung einer Eigentumswohnung aufgenommen worden ist (Lang/Link, a.a.0., Rn. 26), auch die Tilgungsanteile im Rahmen der Finanzierung, soweit diese angemessen im Sinne von § 22 SGB II sind (BSG, Urteil vom 18. Juni 2008, B 14/11 b AS 67/06 R, Rn. 23). Weitere Voraussetzung für die (anteilige) Obernahme des Tilgungsanteils ist ferner, dass der Hilfebedürftige gezwungen wäre, ohne die Übernahme der Finanzierungskosten seine Wohnung aufzugeben (BSG, a.a.0.).
Dies ist vorliegend der Fall. Die kalten Unterkunftskosten des Klägers sind bis zur Höhe von monatlich EUR 301,50 bzw. EUR 308,50 angemessen. Ausweislich des vorgelegten Schreibens der finanzierenden Bausparkasse vom 04.08.2010 an den Antragsteller ist diese nicht bereit, den monatlichen Zahlbetrag zu stunden oder herabzusetzen. Hieraus wird hinreichend deutlich, dass die finanzierende Bank auf Einhaltung des vereinbarten Zahlungsplanes einschließlich der Zahlung des vereinbarten Tilgungsanteils besteht. Der gegen die vom BSG in der Entscheidung vom 18.06.2010 vertretene Auffassung vorgebrachten Kritik, dass so letztlich Vermögensaufbau zu Gunsten von Hilfeempfängern betrieben werde, wird nicht gefolgt. Zum einen geht die Kammer mit dem BSG davon aus, dass das Spannungsverhältnis zwischen Vermögensaufbau durch Grundsicherungsleistungen einerseits und der existenzsichernde Funktion der Grundsicherungsleistungen andererseits zumindest dann zugunsten eines gewissen Vermögensaufbaus bei dem Hilfeempfänger aufzulösen ist, wenn ohne die (anteilige) Obernahme der Tilgungsleistung ein Verlust der Wohnung als räumlichem Lebensmittelpunkt, der besonderen Schutz genießt, droht. Denn sollte sich ein solches Verlustszenario realisieren, hatte der Hilfebedürftige sodann mutmaßlich wieder als Mieter – einen Anspruch auf Übernahme der angemessen Unterkunftskosten, also in Kiel bis zur Höhe von EUR 308,50 bruttokalt. Zum anderen spricht auch das Gebot der Gleichbehandlung von hilfebedürftigen Mietern und Wohnungseigentümern für eine Einbeziehung von Tilgungsleistungen (vgl. hierzu BSG, a.a.0., Rn. 29).“ |
Das Urteil im Volltext findet sich hier: SG Kiel, Urteil vom 21.2.2012, S 40 AS 490/10
Weitere Urteile vom selben Tage mit gleichem Tenor und identischer Begründung: S 40 AS 550/11, S 40 AS 770/11, S 40 AS 1720/11.
Einschränkende Auslegung contra legem
Nach hiesiger Rechtsauffassung gehört die Behauptung, Sozialleistungen dürften bei allen (nur nicht bei den Hilfebedürftigen selbst) zu einer Vermögensmehrung führen, zu einer der sonderbarsten Argumentationslinien, die das deutsche Sozialrecht zu bieten hat, und die weder mit dem Gesetz noch rational zu begründen ist, sondern sich allein auf die Existenz entsprechender höchstrichterlicher Präjudizien stützen lässt – denen im Recht freilich ein ganz eigenes, eigentümliches Gewicht zukommt.
Da § 22 Abs. 1 SGB II keine Differenzierung im Hinblick auf die Art und Weise (der Finanzierung) der Unterkunft vornimmt, verstößt die Nichtanerkennung einzelner Kosten – wie hier der Finanzierungskosten, soweit diese auf Tilgungsleistungen entfallen – gegen geltendes Recht.
Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang darauf, dass die Frage der Nichtberücksichtigung von Tilgungsleistungen im Gesetzgebungsverfahren zur letzten SGB II-Novelle ausführlich erörtert wurde. In seiner Stellungnahme zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur BT Drucks. 17/3958 (Seiten 1, 9, 13, 14) schlug der Bundesrat vor, Tilgungsleistungen ausdrücklich aus dem Katalog der KdU-Leistungen auszuschließen. Diesem Vorschlag ist die Bundesregierung in ihrer Unterrichtung (BR, BT Drucks. 17/3982 zu BT Drucks. 17/3958, Seiten 1, 7, 8) nicht gefolgt. Zur Begründung hat die Bundesregierung ausgeführt:
Zu Dreifachbuchstabe bbb
Der Bundesrat schlägt abweichend von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor, Tilgungsleistungen für ein Eigenheim zukünftig nicht mehr als Unterkunftsbedarf anzuerkennen. Im Übrigen soll die Gewährung eines Darlehens für mit einem Eigenheim in Zusammenhang stehende Aufwendungen von einer dinglichen Sicherheit abhängig gemacht werden dürfen.
Die Bundesregierung unterstützt den Vorschlag soweit die dingliche Sicherung des gewährten Darlehens vorgeschlagen wird. Im Übrigen lehnt sie den Vorschlag ab.
Der Ausschluss von Tilgungsleistungen für ein Eigenheim vom Bedarf für die Unterkunft lässt abweichend von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts keinen Raum für die Gewährung eines Zuschusses in Härtefällen. Bei bereits bestehenden Schulden birgt die Gewährung eines Darlehens die Gefahr einer Verschuldensspirale. Soweit die Gewährung eines Darlehens für mit der Wohnung in Zusammenhang stehende Aufwendungen von einer dinglichen Sicherung abhängig gemacht werden dürfen soll, kann einer Änderung zugestimmt werden. Die dingliche Sicherheit (z. B. Bestellung einer Hypothek) sollte dann aber im Regelfall gefordert werden.
Der Gesetzgeber hat mithin die Möglichkeit, Tilgungsleistungen aus dem Leistungsumfang der Zuwendungen für die Unterkunft zu entnehmen, gesehen, erwogen und sich bewusst gegen eine entsprechende Änderung des § 22 SGB II entschieden. Vor dem Hintergrund dieser klaren gesetzgeberischen Entscheidung ist die These, Tilgungsleistungen dürften, da zur Vermögensbildung bei dem Leistungsberechtigten beitragend, nicht übernommen werden, nicht (mehr) vertretbar.
Vermögensbildung auch im Wohngeldrecht
Zu Recht ist das BSG der Behauptung, Sozialleistungen dürften nicht zur Vermögensbildung bei Leistungsberechtigten beitragen, bereits in seinem Urteil vom 18. Juni 2008 (a.a.O. Rz. 29) mit Hinweis auf den Lastenzuschuss im Wohngeldrecht – bei welchem es sich auch um eine Sozialleistung handelt – entgegen getreten und hat – ohne das Glaubensbekenntnis von der verbotenen Vermögensmehrung bei Leistungsberechtigten freilich endgültig über Bord zu werfen – zutreffend ausgeführt:
„Ausgehend vom Ziel des Gesetzgebers, die Beibehaltung der Wohnung zu ermöglichen, so lange dies zu Lasten der Allgemeinheit mit vertretbaren Kosten (angemessene Kosten der Unterkunft) verbunden ist, spricht auch das Gebot der Gleichbehandlung von hilfebedürftigen Mietern und Wohnungseigentümern für eine Einbeziehung von Tilgungsleistungen. Eine Ausformung dieses Gebots lässt sich auch dem Wohngeldrecht entnehmen. Der Bezugnahme auf das Wohngeldrecht kann in diesem Zusammenhang nicht entgegen gehalten werden, dass dessen Grundsätze für die Bestimmung der Angemessenheit der Unterkunftskosten nicht maßgebend seien (vgl. BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 3, RdNr 18). Entscheidend ist hier, dass sowohl die Leistungen für KdU nach § 22 SGB II als auch das Wohngeld nach dem Wohngeldgesetz (WoGG) der Sicherung des Wohnens dienen. Alg II- und Sozialgeldempfänger nach dem SGB II sind nur deshalb aus dem Kreis der Wohngeldberechtigten (§ 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 WoGG) ausgeschlossen, weil Leistungen für die KdU nach § 22 SGB II den angemessenen Wohnbedarf umfassend sicherstellen. Nach § 6 Abs 1 WoGG wird aber bei Eigentumswohnungen als „Belastung“ diejenige „aus dem Kapitaldienst und aus der Bewirtschaftung“ zugrunde gelegt. Zum Kapitaldienst zählt dort neben den Darlehenszinsen ua auch die Tilgungsverpflichtung (Stadler/Gutekunst/Dietrich/Fröba, Wohngeldgesetz, Stand: April 2008, § 6 RdNr 37 ff). Hieraus wird zudem deutlich, dass die Übernahme von Tilgungsleistungen in einem steuerfinanzierten Sicherungssystem nicht notwendig ausgeschlossen ist.“
Situation im Kreis Plön
Während das Jobcenter Kiel die Übernahme von Tilgungsraten bei selbstgenutzem Wohneigentum generell ablehnt, werden Tilgungsraten vom Jobcenter Plön in Umsetzung der Rechtsprechung des BSG in der Regel übernommen. In den Handlungsanweisungen des Kreises Plön ist unter Nr. 3 nachzulesen:
„Die zu Mietwohnungen entwickelten Grundsätze gelten auch, soweit Leistungsberechtigte ein selbst genutztes Hausgrundstück bzw. eine selbst genutzte Eigentumswohnung von angemessener Größe im Sinne des § 12 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB II bewohnen. Diese rein vermögensrechtliche Schutzvorschrift wirkt sich nicht auf die Höhe der nach § 22 SGB II zu übernehmenden Unterkunftskosten aus.
§ 22 SGB II sieht ohne Differenzierung danach, ob der Wohnbedarf durch Eigentum oder Miete gedeckt wird, Leistungen für Unterkunft und Heizung bis zur Grenze der Angemessenheit vor. Nach dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG ist für die Angemessenheit der Kosten eines Eigenheimes wie bei einer Mietwohnung die anerkannte Wohnraumgröße für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau und den Aufwendungen für eine Wohnung dieser Größe mit unterem Wohnstandard zu Grunde zu legen.
Daher ist bei Wohneigentum zunächst zu ermitteln, wie hoch die angemessenen Unterkunftskosten (Nettokaltmiete zzgl. Nebenkosten) bei einem Mietobjekt liegen würden. Bis zur Summe dieser angemessenen Kosten sind die tatsächlichen Aufwendungen zu berücksichtigen. Zu den Unterkunftskosten für selbst genutztes Wohneigentum zählen dabei alle notwendigen Ausgaben, die bei der Berechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung abzusetzen sind; § 7 Abs. 2 der Verordnung zu § 82 SGB XII findet insoweit entsprechende Anwendung.
Wenn diese Ausgaben die angemessenen Unterkunftskosten einer vergleichbaren Mietwohnung nicht übersteigen, können auch Tilgungsleistungen bis zu der angemessenen Höhe übernommen werden (BSG-Urteil vom 18.06.2008, B 14/11b AS 67/06 R). Erforderlich für die Übernahme von Tilgungsleistungen ist aber, dass diese zur Erhaltung des Wohneigentums unvermeidbar sind. Der Hilfebedürftige muss deshalb vor einer Inanspruchnahme staatlicher Leistungen alles unternehmen, um die Tilgungsverpflichtung während des Bezugs von Grundsicherungsleistungen so niedrig wie möglich zu halten. Die vom BSG ins Auge gefasste darlehensweise Übernahme unvermeidlicher Tilgungsleistungen, die die angemessenen Kosten einer Mietwohnung übersteigen, dürfte nur in sehr seltenen Einzelfällen in Betracht kommen, nämlich dann, wenn ein Ende der Leistungsberechtigung durch eine absehbare Arbeitsaufnahme hinreichend wahrscheinlich ist.“
Eine einheitliche Anwendung von Bundesrecht sieht anders aus.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Zum Anspruch auf Darlehen bei Stromschulden
Veröffentlicht: 3. Juni 2012 Abgelegt unter: Schulden, Stromsperren | Tags: Antrag auf Darlehen wegen Stromschulden, § 22 Abs. 8 SGB II Stromschulden, § 22 Abs. 8 SGB II Stromsperre, Einstweilige Verfügung wegen Stromsperre, LSG NRW 22.02.2012 L 7 AS 1716/11 B, Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Beschluss vom 13.01.2012 L 3 AS 233/11 B, Stromsperre, Stromsperre Verweis auf Zivilrechtsweg 7 KommentareNach § 22 Abs. 8 SGB II können die Jobcenter Schulden übernehmen, wenn dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Schulden sollen übernommen werden, wenn andernfalls Wohnungslosigkeit droht.
Wohnungslosigkeit vergleichbaren Notlage
Nach der Rechtsprechung führt auch eine Stromsperre zu einer der Wohnungslosigkeit vergleichbaren Notlage, weil eine Wohnung ohne Strom nach den heutigen Lebensgewohnheiten nicht mehr zweckentsprechend genutzt werden kann. Voraussetzung für einen Anspruch auf Schuldenübernahme ist allerdings, dass der Leistungsberechtigte zuvor alle Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft hat. Hierzu gehört nach Auffassung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts auch, zunächst die Erfolgsaussichten einer zivilgerichtlichen einstweiligen Verfügung gegen den sperrenden Energieversorger zu prüfen und bei hinreichender Erfolgsaussicht zunächst den Zivilrechtsweg zu beschreiten.
Wer sich zu spät wehrt …
Selbst wenn diese Voraussetzungen vorliegen, sich der Grundsicherungsträger aber weigert, die Schulden darlehensweise zu übernehmen, kann dieser nach Ansicht des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts nicht in einem sozialgerichtlichen Anordnungsverfahren zur Schuldenübernahme verpflichtet werden, wenn der Leistungsberechtigte die Stromsperre bereits über einen längeren Zeitraum hingenommen hat. In diesem Fall fehlt es nach Auffassung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts an der erforderlichen Eilbedürftigkeit, weil der Leistungsberechtigte „bisher offenbar ohne Strom ausgekommen“ ist.
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 13.01.2012, L 3 AS 233/11 B
Bewertung und Tipps für Betroffene
Der Schluss von einer längeren Hinnahme einer Stromsperre darauf, der Rechtsuchende sei „bisher offenbar ohne Strom ausgekommen“, ist abwegig. Entweder führt eine Stromsperre zu einer der Obdachlosigkeit vergleichbaren Notlage oder sie tut es nicht. Wenn sie es aber tut – und auch das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht nimmt dies an -, dann begründet diese gleichermaßen das Vorliegen von Eilbedürftigkeit. Denn Notlagen lassen nicht nach und werden auch nicht erträglicher, indem sie andauern.
Tatsächlich sind die Gründe, eine Stromsperre „hinzunehmen“, vielgestaltig. Häufig wissen sich die Betroffenen schlechterdings lange nicht in der geeigneten Weise zu helfen. Und dies nicht ohne Grund, wie die – nicht ganz einfachen – zivilrechtlichen Erwägungen des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts belegen. Auch das Kostenrisiko (zivil- oder sozialgerichtlicher) Klagen hält viele Rechtsuchende – wiederum nicht ohne Grund, wie das vorliegende Beschwerdeverfahren zeigt, in dem die Antragstellerin nun ihre Anwaltskosten zu tragen haben wird – davon ab, um Rechtsschutz nachzusuchen. Dies verkennt das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht.
Betroffenen ist aufgrund der Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts zu raten, zunächst sorgfältig die Erfolgsaussichten eines Antrages auf eine einstweiligen Verfügung gegen den sperrenden Stromversorger zu prüfen, welcher beim Amtsgericht zu stellen ist. Die Voraussetzungen, unter denen ein Energieversorger zur Versorgungsunterbrechung berechtigt ist, finden sich für die Stromversorgung in § 19 StromGVV, für die Gasversorgung in § 19 GasGVV, für die Fernwärmeversorgung in § 33 AVBFernwärmeV und für die Wasserversorgung in § 33 AVBWasserV.
Zudem sollte aufgrund der – allerdings verfehlten – Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts eine Stromsperre nicht über einen längeren Zeitraum hingenommen werden, damit sich der Betroffene nicht dem Vorhalt ausgesetzt sieht, offenbar komme er auch ohne Strom in der Wohnung aus.
Rechtsprechung zum Thema
In einem aktuellen Beschluss vom 22.02.2012 hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (L 7 AS 1716/11 B) zum Thema Verweis auf den Zivilrechtsweg deutlich überzeugender ausgeführt:
„Es bedarf unter Berücksichtigung der Dauer und der nicht einzuschätzenden Erfolgsaussicht eines zivilrechtlichen Rechtsstreites der Prüfung, ob die Antragstellerin zumutbare Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft hat und inwieweit der Antragsgegner zu einer Beratung und Hilfestellung verpflichtet war (LSG NRW, Beschluss vom 02.04.2008 – L 7 B 251/07 AS ER; Hammel, info also 6/2011, 251 ff.; Berlit, a.a.O., Rn.194).
Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB II muss ein erwerbsfähiger Leistungsberechtigter alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung seiner Hilfebedürftigkeit ausschöpfen.
Entgegen der Rechtsauffassung des SG folgt daraus jedoch nicht, dass dieser hinsichtlich rückständiger Energiekosten stets auf zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz verwiesen werden darf. Denn nach der Rechtsauffassung mehrerer Zivilgerichte ist der Energieversorgungsträger zu einer Wiederaufnahme der unterbrochenen Energieversorgung erst dann verpflichtet, wenn zuvor die gesamten rückständigen Energiekosten getilgt worden sind (vgl. zur zivilrechtlichen Rechtslage Gotzen, ZfF 2007, S. 248, 249 f.).
Zudem entbindet eine Mitwirkungsobliegenheit des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten den Grundsicherungsträger nicht von seiner in § 17 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) begründeten Förderungspflicht. Der Verweis auf zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz bei Unverhältnismäßigkeit drohender Stromsperren (§ 19 Abs. 2 S. 2 StromGVV) erfordert regelmäßig konsequente Beratung und Unterstützung durch den Leistungsträger (Berlit, a.a.O.). Denn der Grundsicherungsträger muss dafür Sorge tragen, dass dem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten nur ein solches Maß an Mitwirkung abverlangt wird, das objektiv und subjektiv zumutbar ist. Dem entspricht es nicht, einen Leistungsberechtigten, dem es regelmäßig an Erfahrung auf dem Gebiet des zivilgerichtlichen Eilrechtsschutzes fehlt, pauschal und ohne das Angebot von (ggf. auch rechtsanwaltlicher) Beratung und Hilfestellung auf diese besondere Form des gerichtlichen Rechtsschutzes zu verweisen.“
Dank für den Hinweis an Willi 2 auf sozialrechtsexperte.blogspot.de.
Weitere Infos zum Thema:
Dirk Berendes, Zum Anspruch auf Übernahme von Energieschulden nach § 34 Abs. 1 SGB XII und § 22 Abs. 5 SGB II, in: info also 4/2008, S. 151-154.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Zur Übernahme von Kosten der Anfangsrenovierung im SGB II
Veröffentlicht: 25. Mai 2012 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft | Tags: ALG II Kosten Anfangsrenovierung, Hartz IV Kosten Anfangsrenovierung, Kosten Anfangsrenovierung 2 KommentareDie angemessenen Kosten, die für die Herrichtung und Bewohnbarmachung einer Wohnung erforderlich sind, sind als Bestandteil der Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs. 1 SGB II zu übernehmen, und zwar unabhängig davon, ob die Einzugsrenovierung mietvertraglich vereinbart wurde (BSG, Urt. v. 16.12.2008, B 4 AS 49/07 R, Rz. 24 ff.)
Einfacher Ausstattungsgrad
Ob die Einzugsrenovierung zur Herstellung der „Bewohnbarkeit“ der Wohnung erforderlich ist, richtet sich nach der o.a. Entscheidung des Bundessozialgerichts (Rz. 28) einerseits nach objektiven Kriterien, andererseits aber auch danach, ob die Kosten aus der vertretbaren Sicht des Leistungsberechtigten zu übernehmen waren. Insoweit hat eine Orientierung am „Ausstattungsstandard“ im unteren Wohnungssegment zu erfolgen (zum einfachen Ausstattungsgrad vgl. BSG, Urt. V, 7.11.2006 – B 7b AS 10/06 R). Hierzu gehört auch im unteren Wohnungssegment eine Ausstattung der Wohnung mit einem einfachen Wand- und Fußbodenoberbelag. Wird eine Wohnung ohne derartige Ausstattungsmerkmale übergeben, ist die Einzugsrenovierung im Regelfall als zur Herstellung dieser Ausstattung objektiv erforderlich anzusehen.
„Ortsüblichkeit“ der Einzugsrenovierung
Maßstab für die „Ortsüblichkeit“ der Einzugsrenovierung ist das untere Wohnungssegment (vgl. BSG Urt. v. 7.11.2006 – B 7b AS 10/06 R; B 7b AS 18/06 R; v. 18.6.2008 – B 14/7b AS 44/06 R). Es ist also zu ermitteln, ob es im räumlichen Vergleichsbereich der Üblichkeit entspricht, dass Wohnungen im unteren Wohnungssegment in unrenoviertem Zustand übergeben werden. Hieran fehlt es, wenn in nennenswertem Umfang renovierte Wohnungen vorhanden sind. Ist das der Fall, ist der Hilfebedürftige auf eine renovierte und auch ansonsten angemessene Wohnung zu verweisen.
„Ortsüblichkeit“ sog. Selbstrenoviererwohnungen in Kiel
Zu der Frage, ob die Vermietung sog. Selbstrenoviererwohnungen in Kiel im unteren Marktsegment üblich ist, hat der Kieler Mieterverein im Rahmen eines Klageverfahrens vor dem SG Schleswig sehr instruktiv Stellung genommen:
| “Mietvertragliche Vereinbarungen, die den Mieter zu einer Anfangsrenovierung oder zu Instandsetzungsarbeiten verpflichten, werden uns nur ganz ausnahmsweise zur Beurteilung vorgelegt. Derartige Klauseln sind echte Ausreißer. Von Ortsüblichkeit kann keine Rede sein.Anders verhält es sich mit den faktischen Notwendigkeiten. Unsere Kolleginnen und Kollegen berichten übereinstimmend, dass jedenfalls im unteren Marktsegment Wohnungen mit teils erheblichem Renovierungsaufwand angeboten werden, wobei es den Mietern freigestellt bleibt, diesen Aufwand selbst zu betreiben oder aber so einzuziehen, wie die Wohnung steht und liegt. Dies beschränkt sich nicht nur auf nötige Dekorationsarbeiten, sondern durchaus auch auf den Erhaltungszustand von Wohnungen. Dazu zählen insbesondere auch die Fußböden. Nach unserer Erfahrung ist es zwar eher selten, dass der blanke Betonfußboden oder Estrich angeboten wird – in vielen Fällen werden aber verbrauchte Fußböden angeboten mit dem Hinweis an die Wohnungssuchenden, sie müssten sich um einen neuen Teppich selber bemühen. Eigentlich ist dies die unangenehmere Variante, weil dazu meistens die bis dahin eingebauten Böden aufgenommen werden müssen, was häufig auf erhebliche Schwierigkeiten trifft, wenn diese verklebt sind. Wir betonen aber, dass es sich dabei formal um freiwillige Leistungen handelt, weil nur in den seltensten Fällen Mieter verpflichtet werden, bestimmte Arbeiten durchzuführen. Faktisch bleibt Mietern, die eine verwohnte Wohnung notgedrungen anmieten, in der Regel aber nichts anderes übrig, als selber aktiv zu werden. Hier spielt auch § 536 b BGB eine Rolle, der wegen Kenntnis Mietminderungs-, Schadensersatz- und Aufwendungsersatzansprüche weitgehend beschneidet. Möglich ist dies, weil das Marktsegment einfacher, kleiner und preiswerter Wohnungen unter einem erheblichen Druck steht. Auf der Internet-Seite www.kieler-mieterverein.de finden Sie die Rastertabelle des Kieler Mietspiegels. Wir haben die Mieten, die gegenüber dem Mietspiegel 2008 gestiegen sind, dort rot eingetragen, und diejenigen, die gesunken sind, in grün. Betrachtet man die Rastertabelle aus der Ferne so ergibt sich ein deutliches Muster. Kleine, alte und einfache Wohnungen sind gegenüber 2008 fast ausnahmslos deutlich teurer geworden, größere und besser ausgestattete haben fast ausnahmslos nachgegeben mit Ausnahme des hochpreisigen Segments großer Neubauwohnungen. Ein genauerer Blick zeigt im Übrigen, dass die kleinen Mietobjekte in einfacher Wohnlage zum Teil teurer sind als vergleichbare Mietobjekte in besserer Wohnlage. Dies ist nach unserer Erfahrung ein untrügliches Indiz für einen angespannten Teilmarkt, zurückzuführen auf eine erhöhte Fluktuationsrate. Wer dringend eine Wohnung benötigt, hat eine starke Neigung zu nehmen was kommt verbunden mit der Absicht, schnell wieder umzuziehen, wenn sich etwas Besseres findet. Dadurch sind die Wohnungen dieses Marktsegmentes gewissermaßen „ständig am Markt“. Die erhöhte Fluktuation trägt zur Verschlechterung des Zustandes derartiger Wohnungen beträchtlich bei.Ein Übriges tritt hinzu: Der größte Teil des Kieler Mietwohnungsbestandes ist in die Hand von Finanzinvestoren gefallen. Diese sind deutlich stärker renditeorientiert als die ursprünglichen Eigentümer. Bei den größeren Finanzinvestoren beobachten wir zwar ein verstärktes Renditedenken, aber dennoch das Interesse, Wohnungen marktgängig zu halten. Bei kleineren Finanzinvestoren beobachten wir eine äußerst bedenkliche Entwicklung zur kompromisslosen Ausbeutung von Wohnungsbeständen. Diese haben zum Teil abgewirtschaftete Wohnungsbestände aufgekauft und sind durchaus damit einverstanden, wenn sie überwiegend durch Transferleistungsbezieher bezogen werden. Damit sind kontinuierliche, sichere Einnahmen gewährleistet. Im Gegenzuge versuchen die kleineren Finanzinvestoren Ausgaben so gut es eben geht zu vermeiden, vorrangig im Bereich der Instandhaltung, aber auch bei Zahlungen an Energieversorger und Dienstleister. Auch diese Entwicklung nimmt deutlich zu.
Alles in allem konstatieren wir einen Trend, der durchaus in die Richtung geht, dass Wohnungen für Transferleistungsbezieher im Bereich der Mietobergrenzen in immer schlechterem Zustand und mit teils erheblichem Nachbesserungsbedarf übergeben werden. Wir bedauern allerdings sehr, dies nicht quantifizieren zu können. Wir bitten in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass Mietervereine naturgemäß nur mit stressgeneigten Vertragsverhältnissen konfrontiert sind und ihnen für eine Bewertung das Korrektiv unproblematischer oder sogar gutlaufender Mietverhältnisse fehlt.” |
Das Schreiben des Kieler Mietervereins vom 03.04.2012 findet sich zum Download hier
Entscheidung des SG / Tipp für Betroffene
Das Klageverfahren vor dem SG Schleswig endete mit einem Vergleich, in dem sich das Jobcenter Kiel verpflichtet hat, rund zwei Drittel der geltend gemachten Kosten der Anfangsrenovierung zu übernehmen. Bei einem Teil der Renovierungsarbeiten war nach Auffassung des Gerichts die Notwendigkeit der Anfangsrenovierung (Tapezieren und Streichen der Wände) nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden. Es ist deswegen jedem Leistungsberechtigten dringend zu raten, den Zustand seiner Wohnung vor der Renovierung akribisch auf Fotos festzuhalten. Leider nämlich muss konstatiert werden, dass jedenfalls ein Teil der Richter weder den Versicherungen der Leistungsberechtigten selbst noch deren benannten Zeugen geneigt ist, sonderlich Glauben zu schenken.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Kosten der Unterkunft aus Vermietersicht
Veröffentlicht: 22. Mai 2012 Abgelegt unter: KdU-Satzung, Kosten der Unterkunft | Tags: KdU-Satzung Sachsen, Kosten der Unterkunft Sachsen Hinterlasse einen KommentarDer Verband der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft e.V. Sachsen hat das Titelthema seiner Verbandszeitschrift VDW aktuell (1/2012, Seiten 4 bis 8) dem Problem der Kosten der Unterkunft in der Grundsicherung gewidmet. Unter dem Titel Kosten der Unvernunft – Die Wahrheit über die Kosten der Unterkunft schildern die Autoren anschaulich die Situation in Sachsen, der Autor dieses Hinweises nimmt auf Seite 8 kritisch zu der auch in Sachsen geplanten KdU-Satzungsermächtigung Stellung.
Download: http://www.vdw-sachsen.de/uploads/media/VDW_AKTUELL_1-2012_web.pdf
Weitere Beiträge zum Thema:
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Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Keine Gebührenreduzierung wegen Mittellosigkeit des Mandanten
Veröffentlicht: 20. Mai 2012 Abgelegt unter: RA-Kosten | Tags: RA-Gebühren Hartz IV, RA-Gebühren Sozialrecht, Rechtsanwaltsgebühren Hartz IV, Rechtsanwaltsgebühren Sozialrecht Hinterlasse einen KommentarIm Sozialrecht sind die Betragsrahmengebühren nach § 14 RVG unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisses des Auftraggebers zu bestimmen.
Unterdurchschnittliche Einkommensverhältnisse
Entgegen der ständigen Spruchpraxis am SG Kiel vermögen die unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers eine Herabbemessung der Mittelgebühr nicht zu rechtfertigen. Sind die Einkommensverhältnisse so schlecht, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung von Beratungs- und Prozesskostenhilfe erfüllt sind, wird aus diesem Umstand zurecht gefolgert, dass diese außer Betracht zu bleiben haben (vgl. Römermann in Hartung/Römermann/Schons, RVG, 2. Aufl., § 14 Rn. 38 m.w.N.), weil in solchen Verfahren bei ansonsten durchschnittlichen Anforderungen die Mittelgebühr nie erreicht werden könnte (vgl. LSG NRW, Beschl. v. 16.08.2006 – L 10 B 7/06 SB und Urteil v. 23.04.2007 – L 19 AS 54/06; Thüringer LSG Beschl. v. 05.04.2005 – L 6 B 8/05 SF).
BSG, Urt. vom 1.7.2009, B 4 AS 21/09 R
Im Ergebnis kommt das BSG (Urteil vom 01.07.2009, B 4 AS 21/09 R, Rz. 38 = BSGE 104, 30) zu demselben Ergebnis, wenn es ausführt: “In den allermeisten Fällen werden jedoch, wie hier, schlechte Einkommens- und Vermögensverhältnisse mit einer überdurchschnittlichen Bedeutung der Angelegenheit einhergehen, sodass eine Kompensation dieser Kriterien [Anm: der unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse] eintritt (vgl. hierzu OLG Thüringen, Beschluss vom 2. 2. 2005 – 9 Verg 6/ 04 = JurBüro 2005, 303, 305 f; Jungbauer in Bischof, RVG, 2. Aufl 2007, RdNr 72 mwN).“ Diese Rechtsprechung – welcher die Kostenkammer am SG Kiel anders als die Kostenkammer am SG Schleswig (zuletzt etwa SG Schleswig, Beschluss vom 03.05.2012, S 8 SF 64/10 E, hiesiges Az. 016/09) derzeit leider nicht folgt – ist vernünftig, denn die Bedeutung der Angelegenheit (die zumeist ohne größeres Nachdenken rein materiell bestimmt wird) steht in der Tat im Verhältnis der gegenläufigen Proportionalität bzw. negativen Korrelation zu den Einkommensverhältnissen.
Grundsätzliche Einwände gegen Einkommensberücksichtigung
Im Übrigen ist auf Folgendes hinzuweisen: Die Bestimmung des § 14 RVG betrifft – soweit „Einkommens- und Vermögensverhältnisse“ in Bezug genommen werden – ausschließlich das Verhältnis zwischen Auftraggeber und Rechtsanwalt. Grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind deswegen die wirtschaftlichen Verhältnisse eines erstattungspflichtigen Gegners (Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl. 2010, § 14 Rn.18 m.w.N.). Wird mithin die Festsetzung der außergerichtlichen Kosten gegen die Gegenseite beantragt, sind Ausführungen zu den „Einkommens- und Vermögensverhältnissen“ richtigerweise gar nicht anzustellen. Der tiefere Grund dafür, dass im Rahmen der anwaltlichen Gebührenfestsetzung bei Rahmengebühren auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des kostenschuldenden Mandanten im Blick behalten werden sollen, liegt in der Sozialpflichtigkeit anwaltlicher Tätigkeit, die etwa auch in der Verpflichtung, auf Beratungs- oder Prozesskostenhilfebasis tätig zu werden, ihren Ausdruck findet.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
BSG: Wohnungsgrößen bei Hartz IV wie im sozialen Wohnungsbau
Veröffentlicht: 16. Mai 2012 Abgelegt unter: KdU-Satzung, Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: B 4 AS 109/11 R, Gewos, Hartz IV Wohnungsgrößen Schleswig-Holstein, Kieler Wohnungsmarktkonzept 2007 5 KommentareDie angemessene Wohnungsgröße bestimmt sich im SGB II nach Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau. Dies bestätigte das BSG in seiner heutigen Sitzung im Verfahren B 4 AS 109/11 R erneut. Zur Begründung führt das Gerichts aus:
„Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, dass bei der Bestimmung der angemessenen Wohnfläche ab dem 1.1.2010 auf die in Nr. 8.2 der Wohnraumnutzungsbestimmungen des Landes Nordrhein-Westfalen festgesetzten Werte zurückzugreifen ist und mithin als angemessene Wohnungsgröße für einen Ein-Personen-Haushalt eine Wohnfläche von 50 m² zu berücksichtigen ist.
Zur Festlegung der angemessenen Wohnfläche ist nach der st.Rspr. der Grundsicherungssenate des BSG auf die Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau abzustellen. Maßgeblich sind dabei die im streitigen Zeitraum gültigen Bestimmungen. Dies sind nach den bindenden Feststellungen des LSG in Nordrhein-Westfalen Nr. 8.2 der Wohnraumnutzungsbestimmungen, die zum 1.1.2010 die Verwaltungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz ersetzt haben.
Dass der mit der Angemessenheitsprüfung verbundene Zweck im Rahmen des § 22 SGB II mit den Zwecken des sozialen Wohnungsbau nicht übereinstimmt, wird – wie der Senat bereits mit Urteil vom 22.9.2009 (B 4 AS 70/08 R) entschieden hat – durch den Rückgriff auf die von den Ländern erlassenen Vorschriften ohnehin bewusst in Kauf genommen. Insoweit kommt dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit eine überragende Bedeutung zu. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist auch nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber nicht von einer Veränderbarkeit der angemessenen Wohnflächen ausgegangen ist. Vielmehr sollte mit § 22 SGB II an die Sozialhilfepraxis angeknüpft werden. Der Rückgriff auf die Vorschriften zum sozialen Wohnungsbau entspricht gerade der sozialhilferechtlichen Praxis.“
Bundessozialgericht – B 4 AS 109/11 R – Terminbericht Nr. 28/12 (zur Terminvorschau Nr. 28/12)
Gegenwärtige Bedeutung für die Praxis
Das BSG hat erneut entschieden, dass die Grundsicherungsträger von den Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau nicht abweichen dürfen. Gemäß Nr. 8.5.5.1 der Verwaltungsvorschrift zur Sicherung von Bindungen in der sozialen Wohnraumförderung nach Wohnungsbindungsgesetz und Wohnraumförderungsgesetz (VwV-SozWo 2004), Amtsblatt Schleswig-Holstein 2004, S. 548, sind der Berechnung der Mietobergrenzen in Schleswig-Holstein mithin folgende Wohnflächengrößen zugrunde zu legen:
Alleinstehende bis zu 50 m²
mit 2 Personen 2 oder bis zu 60 m²
mit 3 Personen 3 oder bis zu 75 m²
mit 4 Personen 4 oder bis zu 85 m².
Für jede weitere haushaltsangehörige Person im Sinne des § 18 WoFG erhöht sich die angemessene Wohnungsgröße um einen Raum oder um 10 m² Wohnfläche.
Bedeutung für zukünftige kommunale Satzungen
Wie bereits berichtet, wurden die Kommunen in Schleswig-Holstein im April 2012 durch Landesgesetz ermächtigt, durch Satzung zu bestimmen, in welcher Höhe Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet angemessen sind. Gemäß § 22b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II ist in der Satzung auch zu bestimmen, welche Wohnfläche entsprechende der Struktur des örtlichen Wohnungsmarkts als angemessen anerkannt wird.
Bei der Bestimmung der Angemessenheitsgrenze kommt der als angemessen anzuerkennenden Wohnfläche als Faktor im Rahmen der Produkttheorie (angemessene Wohnungsgröße x angemessene Quadratmetermietzins = angemessene Miete) eine zentrale Bedeutung zu. Die Bezugnahme auf die „Struktur des örtlichen Wohnungsmarktes“ verweist nach des Gesetzesbegründung (BT Drucks. 17/3404, S. 101) auf die Wohnfläche, die auf dem örtlichen Wohnungsmarkt für Haushalte im Niedriglohnbereich ohne Transferleistungsbezug üblich sind:
| “Es sind Festlegungen zu der als angemessen anerkannten Wohnfläche in Abhängigkeit von der Anzahl der Haushaltsmitglieder (Satz 1 Nummer 1) zu treffen. Die kommunalen Träger sollen die ortsübliche Wohnfläche bei der Bestimmung der zu berücksichtigenden Bedarfe für Unterkunft und Heizung berücksichtigen. Die Festlegung angemessener Wohnflächen nach Satz 1 Nummer 1 orientiert sich an den Wohnflächen, die auf dem örtlichen Markt für Haushalte im Niedrigeinkommensbereich ohne Transferleistungsbezug üblich sind. In Ballungsräumen kann in der Regel davon ausgegangen werden, dass die von Personen im Niedrigeinkommensbereich bewohnten Wohnungen durchschnittlich kleiner sind als die Werte der aktuell maßgebenden Regelungen der Wohnungsbauförderung. Sind belastbare Daten hierzu nicht verfügbar, können der Festsetzung hilfsweise die landesrechtlichen Wohnraumförderbestimmungen zugrundegelegt werden (vergleiche dazu BSGE 97, 254 ff.).” |
Bezweckt ist nach der Gesetzesbegründung also eine Absenkung der nach der Rechtsprechung maßgebenden Regelungen der landesrechtlichen Wohnraumförderung jedenfalls in Ballungsräumen. Diesen Ansatz aufgreifend beabsichtigt die Landeshauptstadt Kiel nach hiesigen Informationen, die Wohnflächenobergrenze für Einpersonenhaushalte von 50 m² auf 45 m² abzusenken und so die Mietobergrenzen für diese Haushaltsgröße „durch die Hintertür“ um 10 % zu reduzieren.
Als Regelungsmaßstab für den (zwingenden) Regelungsgegenstand Wohnfläche kommen die „tatsächlichen Wohnverhältnisse im Niedrigeinkommensbereich auf dem örtlichen Wohnungsmarkt“ indessen nur in Betracht, wenn für deren Bestimmung belastbare Daten zur Verfügung stehen. Ist dies nicht der Fall, sind weiterhin die landesrechtlichen Wohnraumförderungsbestimmungen zugrunde zu legen.
Die Gewinnung belastbarer Daten über die tatsächliche Wohnsituation von Personen ohne Transferleistungsbezug setzt eine Bereinigung der Rohdaten voraus, bei der neben den Beziehern (ergänzender) Leistungen nach dem SGB II/SGB XII auch Auszubildende herauszurechnen sind, die nach § 7 Abs. 5 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossen, aber bei Bedürftigkeit auf andere Transferleistungssysteme (SGB III, BAföG) verwiesen sind. Das aus dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum abzuleitende Recht auf angemessene Wohnraumversorgung im Sinne einer normativen Mindestsicherungskomponente erfordert darüber hinaus die Prüfung der tatsächlichen Verfügbarkeit freien und damit anmietbaren Wohnraums. Jedenfalls bei einer systematischen Wohnraumunterversorgung (vgl. Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 22b, Rn. 10) lässt sich daher eine von den Wohnraumförderungsbestimmungen abweichende Flächenfestlegung nicht rechtfertigen.
Nach einer Studie des GEWOS Institut für Stadt-, Regional und Wohnforschung GmbH ergibt sich für die Stadt Kiel mittels einer näherungsweisen Berechnung des Bedarfs eine Anzahl von 62.200 Haushalten, die innerhalb der gesetzlichen Einkommensgrenzen der Wohnraumförderung Schleswig-Holstein liegen. Dem steht ein geschätztes Angebot von lediglich 39.000 preisgünstigen Wohnungen gegenüber. Die rechnerische Gegenüberstellung zeigt, dass der preisgünstige Wohnraum in Kiel derzeit außerordentlich knapp ist (Gewos, Kieler Wohnungsmarktkonzept 2007, Gewos Kurzbericht 2007, Seite 3). Ein Abweichen von den Wohnflächenfestlegungen in der VwV-SozWo 2004 ist in Kiel mithin – entgegen entsprechenden Absichten der Stadt – nicht zu rechtfertigen.
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Rechtsschutzmöglichkeiten nach Erlass kommunaler KdU-Satzungen!
KdU-Satzungsermächtigung für Schleswig-Holstein!
Aus fremder Feder:
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Zur Abtretung von Nebenkostenguthaben
Veröffentlicht: 14. Mai 2012 Abgelegt unter: Betriebskostenguthaben | Tags: Abtretung Betriebskostenguthaben, Abtretung Nebenkostenguthaben, ALG II Nebenkostenguthaben, Hartz IV Nebenkostenguthaben 4 KommentareIn seinem „Leitfaden für die Beratung von Bürgerinnen und Bürgern bei Wohnungsanmietung und Umzug“ sieht das Jobcenter Kiel als Regelfall noch immer vor, dass die Kunden ihre künftigen Guthaben aus Heiz,- Betriebs- und Wasserkosten an das Jobcenter Kiel abtreten sollen. Mandanten berichteten hier, dass die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II von einer Abtretungserklärung abhängig gemacht wurde.
Rechtliches zur Sicherungsabtretung
Bei der Sicherungsabtretung handelt es sich um ein Sicherungsmittel: Der Leistungsberechtigte (Sicherungsgeber/Zedent) tritt seine Forderung auf Auszahlung etwaiger zukünftiger Nebenkostenguthaben gegenüber dem Forderungsschuldner (Vermieter, Versorgungsunternehmen) an das Jobcenter (Sicherungsnehmer/Zessionar) nach §§ 398 ff. BGB ab.
In der der Sicherungsabtretung zugrunde liegenden und vom Jobcenter vorformulierten Sicherungsabrede geht das Jobcenter davon aus, dass ihm sämtliche Guthaben zustehen würden, und legt die Sicherungsabtretung deswegen beim potentiellen Forderungsschuldner (Vermieter, Versorgungsunternehmen) vor mit der Folge, dass ab diesem Zeitpunkt etwaige zukünftige Guthaben nicht mehr an den Leistungsberechtigten, sondern direkt an das Jobcenter ausgezahlt werden.
Der Leistungsberechtigte kann die Sicherungsabtretung selbst nicht rückgängig machen. Allein das Jobcenter als jetziger Forderungsinhaber kann die abgetreten Ansprüche auf Guthabenauskehrung wieder an den Leistungsberechtigten nach § 398 BGB rückabtreten. Hierauf hat der Leistungsberechtigte einen Anspruch, wenn der Sicherungszweck entfallen ist. Bestehen hierüber zwischen dem Jobcenter und dem Leistungsberechtigten unterschiedliche Auffassungen und verweigert das Jobcenter die Rückabtretung, kann der Leistungsberechtigte vor dem zuständigen Amtsgericht notfalls auf Rückabtretung klagen.
Der Sicherungszweck ist jedenfalls dann entfallen, wenn der Leistungsbezug beendet ist oder die Guthaben nicht (mehr) dem Jobcenter zustehen, etwa, weil ein Teil der Betriebskosten oder Heizkosten aus den Regelleistungen oder Erwerbseinkommen gezahlt wurde (vgl. dazu den Beitrag Rückforderung von Betriebskostenguthaben!).
Keine Pflicht zur Sicherungsabtretung
Entgegen anderslautender Auskünfte besteht keine Pflicht zur Abtretung zukünftiger Guthaben aus Betriebs- oder Heizkostenabrechnungen. Es existiert auch keine „Mitwirkungspflicht“ nach den §§ 56 bis 62 SGB II bzw. §§ 60 bis 67 SGB I, eine Abtretungserklärung zu unterschreiben (auch nicht zur Erlangung eines Mietkautionsdarlehens nach § 22 Abs. 6 Satz 3 i.V.m. § 42a Abs. 1 und 2 SGB II; unzutreffend daher die „Grundsätze über die Erbringung städtischer Leistungen“ der Stadt Kiel, S. 10). Es ist im Gegenteil gerade das Ziel des SGB II, das eigenverantwortliche Wirtschaften des Leistungsberechtigten mit den Leistungen nach dem SGB II zu erhalten und zu fördern.
Gefahren der Sicherungsabtretung
In der hiesigen Beratungspraxis ist immer wieder aufgefallen, dass die Jobcenter am Ende des Leistungsbezuges vergessen, die Abtretungserklärungen bei den Vermietern bzw. Versorgungsunternehmen zurückzuholen mit der Folge, dass teilweise über Jahre Guthaben anstatt an die ehemaligen Leistungsberechtigte weiter an die Jobcenter ausbezahlt wurden. Offenbar erfolgt in den Jobcentern insofern keine Zahlungseingangsüberwachung. Jedenfalls wurden die ehemaligen Leistungsberechtigten weder informiert noch wurden die Zahlungen an die Vermieter bzw. Versorgungsunternehmen zurückgegeben. Gerade bei kleineren Guthaben unter 100 € erfolgt auch auf Seiten der ehemaligen Leistungsberechtigten nicht immer eine Kontrolle der Zahlungseingänge, sodass die fehlende Rückabtretung zum Teil erst nach Jahren und dann meistens aufgrund eines höheren Guthabens auffiel.
Auch bei unterschiedlicher Auffassung darüber, wem ein Guthaben zusteht (s.o.) ist es ratsam, etwaige zukünftige Guthaben nicht abzutreten. Es liegt dann beim Jobcenter, vermeintliche Forderungen gegenüber dem Leistungsberechtigten geltend zu machen, anstatt das umgekehrt der Leistungsberechtigte gegenüber dem Jobcenter seine berechtigten Zahlungsforderungen durchsetzen muss.
Aus den genannten Gründen ist von einer Guthabenabtretung im Regelfall nachdrücklich abzuraten.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Kreis Segeberg: Mietobergrenzenverfahren ausgesetzt!
Veröffentlicht: 11. Mai 2012 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: KdU Kreis Segeberg, Kosten den Unterkunft Kreis Segeberg, Mietobergrenzen Kreis Segeberg Hinterlasse einen KommentarInfoarchiv Norderstedt | In der vergangenen Woche beschloss der Kreissozialausschuss Segeberg einstimmig die Aussetzung der Maßnahmen gegen Leistungsberechtigte bei den Kosten der Unterkunft (KdU).
Diesem Beschluss war eine monatelange Debatte um das von der Kreisverwaltung in Auftrag gegebene Gutachten zur Mietpreissituation im Kreis Segeberg vorausgegangen. Im Dezember letzten Jahres hatte DIE LINKE erstmalig scharfe Kritik an den gesenkten Mietobergrenzen geübt. Als dann in der Folge Leistungsbezieher vom Jobcenter aufgefordert wurden, sich auf der Grundlage der neuen Mietobergrenzen um eine günstigere Wohnung zu bemühen, zog das Thema schnell weitere Kreise.
Dabei spielte nicht nur die Aufforderung an sich eine Rolle, sondern auch die Art und Weise, die zu einer starken Verunsicherung der Leistungsbezieher führte. Mehrere soziale Beratungs- und Hilfsinstitutionen aus Norderstedt forderten daraufhin von der Landrätin und der Geschäftsführung des Jobcenters Erklärungen zum Zustandekommen des Gutachtens und dessen Inhalten sowie zum skandalösen Vorgehen des Jobcenters. Der Druck auf die Mitglieder des Kreissozialausschusses wurde durch die zunehmende öffentliche Kritik weiter erhöht. Kurz vor der entscheidenden Sitzung des Kreissozialausschusses kam es zusätzlich noch zu einer von allen Fraktionen der Norderstedter Stadtvertretung getragenen Resolution für die Absenkung der Mietobergrenzen. Hatten sich zuvor neben den LINKEN auch schon die CDU und Die GRÜNEN für eine Aussetzung des Verfahrens ausgesprochen, kam es nun auf der Sitzung des Kreissozialausschusses auch mit der SPD zu einem einstimmigen Beschluss: Bestandsschutz für alle Betroffenen und Einrichtung eines runden Tisches unter Einbeziehung aller Fraktionen, der Wohnungswirtschaft einschließlich der Genossenschaften. Ziel: In den nächsten sechs Monaten soll in einem transparenten Verfahren eine neue Richtlinie für die Kosten der Unterkunft erarbeitet werden.
Jetzt bleibt nur noch zu hoffen, dass das Jobcenter alle betroffenen Leistungsbezieher über diesen Beschluss schriftlich unterrichtet und ihre „Drohbriefe“ für gegenstandslos erklärt. Dieses Beispiel macht deutlich, was alles bewegt werden kann, wenn bestehenden Verhältnisse von unterschiedlichen Akteuren mit Nachdruck kritisiert werden.
Dank an Harald Thomé für den Hinweis in Harald´s Eck.
Weitere Infos zum Thema:
http://www.infoarchiv-norderstedt.org/kurzmeldungen/jobcenter-widerruft-drohbriefe.html-0
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Keine Zusatzgebühr für Pfändungsschutzkonto
Veröffentlicht: 5. Mai 2012 Abgelegt unter: Schulden | Tags: 19 U 238/11, Oberlandesgericht Frankfurt a.M.Urteil vom 28.03.2012 Az.: 19 U 238/11, P-Konto, Pfändungsschutzkonto, Pfändungsschutzkonto Gebühren, Pfändungsschutzkonto Zusatzgebühren, Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht Urteil vom 26. Juni 2012 Aktenzeichen 2 U 10/11, Zusatzgebühr P-Konto, Zusatzgebühr Pfändungsschutzkonto 13 KommentareWenn eine Bank ein Girokonto als Pfändungsschutzkonto (P-Konto) führt, darf sie dafür keine zusätzlichen Gebühren von ihren Kunden verlangen. Das geht aus einem Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt hervor. Nach Auffassung des Gerichts benachteiligen entsprechende Regelungen in den allgemeinen Geschäftsbedingungen die Kunden unangemessen und sind daher nichtig (Urteil vom 28.3.2012 – Az.: 19 U 238/11).
Das OLG gab mit dem grundlegenden Urteil der Klage einer Verbraucherschutzorganisation statt. Sie hatte sich dagegen gewandt, dass eine Bank für ein Pfändungsschutzkonto eine höhere Gebühr verlangte als für ein gewöhnliches Girokonto.
Seit Juli 2010 kann jeder Kunde verlangen, dass seine Bank das Girokonto als sogenanntes Pfändungsschutzkonto führt. Damit hat der Kunde automatisch einen Pfändungsschutz von knapp 1029 Euro: Bei einer nicht mehr zu stemmenden Verschuldung kann nur der darüber hinausgehende Betrag gepfändet werden.
Nach Schätzung von Experten gibt es in Deutschland inzwischen bereits etwa 500 000 dieser Pfändungsschutzkonten. Die Bank hatte argumentiert, dieses Konto führe zu einem höheren Verwaltungsaufwand, den sie dem Kunden in Rechnung stellen dürfe.
Während das Landgericht Frankfurt sich dieser Auffassung angeschlossen und die Klage abgewiesen hatte, gab das OLG den Verbraucherschützern Recht. Die Bank erfülle mit der Führung eines Pfändungsschutzkontos eine gesetzliche Pflicht, argumentierten die OLG-Richter. Daher dürfe sie für eine solche Leistung keine zusätzlichen Gebühren verlangen.
Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt a.M., Pressemitteilung zum Urteil vom 28.03.2012, Az.: 19 U 238/11
Das Urteil im Volltext findet sich hier bzw. hier.
Aus dem Gesetzgebungsverfahren
Dass P-Konten zu den allgemein üblichen Kontoführungspreisen anzubieten sind und die Führung nicht mit gesonderten Entgelten verbunden werden darf, hat der Gesetzgeber bereits in seiner Beschlussempfehlung und seinem Bericht vom 22. April 2009 (Bundestags-Drucksache 16/12714, S. 17) deutlich zum Ausdruck gebracht:
„Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Klauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen von Kreditinstituten, in denen für die Bearbeitung und Überwachung von Pfändungsmaßnahmen gegen Kunden von diesen ein besonderes Entgelt gefordert wird, unwirksam (BGHZ 141, 380). Ein Sonderentgelt für die Umstellung nach § 850k Abs. 7 Satz 2 ZPO-E ist mit dieser Rechtsprechung nicht vereinbar. Auch für die Führung des Pfändungsschutzkontos darf die Preisgestaltung der Banken jedenfalls das für ein allgemeines Gehaltskonto Übliche nicht übersteigen. Der Ausschuss geht davon aus, dass die Kreditwirtschaft ihren Beitrag dazu leisten wird, den Zugang ihrer Kunden zu Pfändungsschutzkonten nicht zu erschweren, zumal sie von den erheblichen Verbesserungen bei der Abwicklung von Pfändungen profitiert.“
Die instanzgerichtliche und obergerichtliche Rechtsprechung bestätigen diese Rechtsauffassung. Sie geht – wie der Gesetzgeber – durchgehend davon aus, dass die Erhebung eines gesonderten Kontoführungsentgelts durch Kreditinstitute nicht zulässig ist.
Nachtrag 5. Juli 2012: Urteil des Schleswig-Holsteinischen OLG
Mit seinem Urteil vom 26.06.2012 hat das Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht zum Aktenzeichen 2 U 10/11 entschieden, dass eine Bank in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen keine Zusatzgebühren für die Umwandlung eines allgemeinen Girokontos in ein Pfändungsschutzkonto (sogenanntes P-Konto) erheben darf. Mit den Urteil gab der 2. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts einer entsprechenden Klage des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbänden gegen eine Direktbank mit Sitz in Schleswig-Holstein statt. Die Pressemitteilung des Gerichts findet sich auf der Website des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts und ist von mir auch noch einmal als Kommentar auf dieser Seite hinterlegt.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Zur Beschränkung der Minderjährigenhaftung im SGB II
Veröffentlicht: 27. April 2012 Abgelegt unter: Rückforderung von Sozialleistungen | Tags: B 14 AS 153/10 R, Beschränkungen der Haftung Minderjähriger SGB II, BSG Urt. v. 07.07.2011 B 14 AS 153/10 R, Erstattung ALG II, Erstattung Hartz IV, Hartz IV Beschränkungen der Haftung Minderjähriger, Minderjährigenhaftung Rückforderung Jobcenter, Rückforderung ALG II, Rückforderung Hartz IV 37 KommentareNach der Konzeption des SGB II sind Leistungsansprüche als individuelle Ansprüche und nicht als ein Gesamtanspruch der Bedarfsgemeinschaft ausgestaltet. Dies hat zur Folge, dass bei Rückforderungsentscheidungen inhaltlich zwischen den einzelnen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft differenziert werden muss: Aufhebung und Rückforderung können sich nur auf den jeweils individuell zu Unrecht erbrachten Betrag richten.
Aufhebungs- und Erstattungsbescheide sind aus diesem Grunde grundsätzlich an den jeweiligen Betroffenen zu adressieren. Da minderjährige Kinder grundsätzlich von ihren Eltern vertreten werden, sind richtige Adressaten der Bescheide die Eltern der Kinder.
Ob und in welcher Höhe Bewilligungsbescheid zurückzunehmen bzw. aufzuheben sind, ist für jeden Leistungsempfänger in der Bedarfsgemeinschaft individuell zu prüfen. Als Rechtsgrundlage kommen die §§ 45 und 48 SGB X in Betracht.
Bei der Prüfung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides ist zu beachten, dass sich der vertretene minderjährige Leistungsberechtigte die Erklärung seiner Vertreter (Eltern) sowie dessen Kenntnis und Kennenmüssen bestimmter Umstände zurechnen lassen muss, §§ 164, 166 BGB. Ein Verschulden des Vertreters (Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit) wird regelmäßig dem Vertretenen zugerechnet, wenn ein gesetzlicher Vertreter (insbesondere die Eltern für ihre minderjährigen Kinder) gehandelt haben, § 278 BGB.
Die Rücknahme bzw. Aufhebung einer Bewilligungsentscheidung steht nicht im Ermessen des Grundsicherungsträgers (§ 40 Abs. 2 Nr. 2 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2 und 3 SGB III), so dass dieser nicht von einem der Aufhebung zwingend folgenden (§ 50 Abs. 1 SGB X) Erstattungsanspruch gegen ein Kind absehen kann.
Beschränkungen der Haftung Minderjähriger
Dem Erstattungsanspruch des Jobcenters gegen minderjährige Leistungsberechtigte gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X kann aber die Beschränkung der Minderjährigenhaftung entgegenstehen.
Der Gesetzgeber ist der vom BVerfG in seinem Beschluss vom 13.05.1986 (1 BvR 1542/84 – BVerfGE 72, 155 = NJW 1986, 1859) formulierten Aufforderung, in Wahrnehmung seiner Wächteramtes (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG) Regelungen zu treffen, die verhindern, dass Kinder mit durch ihre Eltern verursachten Schulden die Volljährigkeit erreichen, nachgekommen und hat durch das Minderjährigenhaftungsbeschränkungsgesetz vom 25.08.1998 mit Wirkung zum 01.01.1999 die Regelung des § 1629 a BGB in das Bürgerliche Gesetzbuch eingefügt.
Danach ist die Haftung des ehemaligen Minderjährigen und nun volljährig gewordenen für Verbindlichkeiten, die Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht mit Wirkung für den Minderjährigen begründet haben, beschränkt auf den Bestand des Vermögens des Minderjährigen bei Eintritt der Volljährigkeit. Diese in Ausführung der verfassungsrechtlichen Vorgaben erfolgte gesetzgeberische Entscheidung gilt mangels anderer Anhaltspunkte für die „Minderjährigenhaftung“ im SGB II entsprechend (zur Begründung vgl. BSG, Urt. v. 07.07.2011 – B 14 AS 153/10 R).
Der Haftungsbeschränkung steht nicht entgegen, dass diese nicht für Rechtsgeschäfte aus der Befriedigung persönlicher Bedürfnisse gilt (§ 1629a Abs. 2 Alt 2 BGB). Denn diese Regelung zielt entsprechend dem Begriff „persönliche Bedürfnisse“ nicht auf das durch das SGB II abgedeckte Existenzminimum ab, sondern auf Kleingeschäfte des täglichen Lebens seitens des Minderjährigen oder größere altersgerechte Anschaffungen wie ein Fahrrad oder einen Computer (BSG a.a.O. m.w.N.).
Die entsprechende Geltung der Haftungsbeschränkung nach § 1629 a BGB findet dabei nicht erst im Verwaltungsvollstreckungsverfahren Anwendung, weil schon der Erstattungsbescheid gegen das höherrangiges Verfassungsrecht verstößt (BSG a.a.O.).
Das bedeutet für die Praxis:
- Ist der Schuldner bei Erlass des Erstattungsbescheides noch nicht volljährig, ist der Erstattungsbescheid zum Zeitpunkt seines Erlasses zunächst rechtmäßig. Dies entspricht der § 1629 a BGB zugrunde liegenden unbeschränkten Haftung des Minderjährigen bis zum Eintritt der Volljährigkeit. Soweit aber bei Eintritt der Volljährigkeit das an diesem Tag bestehende pfändbare Vermögen hinter den (unter § 1629 a BGB fallenden) Verbindlichkeiten zurückbleibt, kommt die Haftungsbeschränkung zum Zuge. In diesem Fall besteht gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X ein Anspruch auf Aufhebung des Erstattungsbescheides (BSG a.a.O. m.w.N.).
- Tritt die Volljährigkeit nach Erlass des ursprünglichen Erstattungsbescheides, aber noch vor Abschluss des Widerspruchsverfahrens ein, ist zu beachten, dass bei (reinen) Anfechtungsklagen der maßgebende Zeitpunkt in der Regel die Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten behördlichen Entscheidung ist (vgl. nur Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl. 2008, § 54 RdNr. 33 m.w.N.). Sind zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen des § 1629 a BGB gegeben, wäre der Erstattungsbescheid von Anfang an rechtswidrig (BSG a.a.O.).
- Tritt die Volljährigkeit nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens ein, war der Erstattungsbescheid auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1629 a BGB rechtmäßig. In diesem Fall kann sich der volljährige Schuldner ab dem Zeitpunkt seiner Volljährigkeit im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung gegen die Durchsetzung der (Rest-)Forderung wehren oder m.E. einen Antrag nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X auf Aufhebung des Erstattungsbescheides ab dem Zeitpunkt seiner Volljährigkeit stellen.
- Der 4. Senat am BSG hat mit Urteil vom 18.11.2014 nun entschieden, dass es unerheblich ist, wenn das Jobcenter den Erstattungsbescheid erst nach dem Eintritt der Volljährigkeit erlässt, da das Jobcenter es andernfalls allein durch Abwarten erreichen könnte, dass ein junger Volljähriger die von ihm während seiner Minderjährigkeit bezogenen Leistungen entgegen § 1629a BGB erstatten müsste (B 4 AS 12/14 R).
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Hartz IV Regelsätze verfassungswidrig?
Veröffentlicht: 25. April 2012 Abgelegt unter: Regelsatz | Tags: Hartz IV Regelsatz, Hartz IV Regelsatz verfassungswidrig, Hartz IV Regelsatz Verfassungswidrigkeit, S 55 AS 9238/12, SG Berlin Beschluss vom 25. April 2012 S 55 AS 9238/12 15 KommentareNach Auffassung der 55. Kammer des Sozialgerichts Berlin verstoßen die Leistungen des SGB II gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Die Kammer hat daher dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Verfassungswidrigkeit des SGB-II-Regelbedarfs zur Prüfung vorgelegt. Zwar seien die Leistungen nicht evident unzureichend. Der Gesetzgeber habe bei der Festlegung des Regelsatzes jedoch seinen Gestaltungsspielraum verletzt. Die Referenzgruppe (untere 15 % der Alleinstehenden), anhand deren Verbrauchs die Bedarfe für Erwachsene ermittelt worden sind, sei fehlerhaft bestimmt worden. Die im Anschluss an die statistische Bedarfsermittlung vorgenommenen Kürzungen einzelner Positionen (Ausgaben für Verkehr, alkoholische Getränke, Mahlzeiten in Gaststätten und Kantinen, Schnittblumen u.s.w) seien ungerechtfertigt. Insbesondere habe der Gesetzgeber dabei den Aspekt der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben unzureichend gewürdigt. Im Ergebnis seien die Leistungen für einen Alleinstehenden um monatlich rund 36 Euro und für eine dreiköpfige Familie (Eltern und 16-jähriger Sohn) um monatlich rund 100 Euro zu niedrig bemessen. (SG Berlin, Beschluss vom 25. April 2012, S 55 AS 9238/12)
Deutschlandweit erster Vorlagebeschluss
Der Beschluss der 55. Kammer ist der deutschlandweit erste Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht, in dem es um die Klärung der Verfassungsmäßigkeit der neuen Regelsatzhöhe geht. Allein das Bundesverfassungsgericht ist befugt, ein Parlamentsgesetz für verfassungswidrig zu erklären.
Quelle: http://www.berlin.de/sen/justiz/gerichte/sg/presse/archiv/20120425.1035.369249.html
Tipp für Betroffene
Sollte das BVerfG die Regelsätze erneut für verfassungswidrig erklären, wird es dem Gesetzgeber eine angemessene Frist zur Neuberechnung setzen (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010, 1 BvL 1/09). Die neuen Regelsätze gelten dann für alle Leistungsberechtigen ab diesem Zeitpunkt. Eine rückwirkende Regelsatzerhöhung wird es – auch für Leistungsberechtigte, die sich mit Widerspruch und Klage gegen ihre Bewilligungsbescheide wenden – nicht geben. Aus diesem Grunde ist von Regelsatzklagen abzuraten. Es gilt, die bereits laufenden Klageverfahren abzuwarten.
Nachtrag 28.04.2012: Der Vorlagebeschluss des SG Berlin findet sich im Volltext jetzt hier:
Sozialgericht Berlin, Beschluss 25.04.2012, S 55 AS 9238/12
Nachtrag 12.07.2012: BSG, Urteil vom 12.07.2012, B 14 AS 153/11 R – Regelsätze nicht verfassungswidrig:
Terminbericht Nr. 40/12 (zur Terminvorschau Nr. 40/12)
3) Die Revision der Klägerin ist nur für die Zeit vom 1.1. bis 30.04.2011 zulässig. Für die Zeit vom 1.11. bis 31.12.2010 ist sie unzulässig, weil das LSG die Revision nur für die Zeit ab 1.1.2011 zugelassen und die Klägerin insoweit keine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt hat. Der Tenor des angefochtenen Urteils war aus verfahrensrechtlichen Gründen neu zu fassen, weil das LSG über den nach § 96 SGG einbezogenen Verwaltungsakt vom 26.3.2011 auf Klage und nicht auf Berufung hin zu entscheiden hatte.
In der Sache ist die Revision der Klägerin, soweit sie zulässig ist, unbegründet. Es bestand kein Anlass, das Verfahren nach Art 100 Abs 1 Satz 1 GG auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG zur Vereinbarkeit von § 19 Abs 1 Satz 1, § 20 Abs 1 und Abs 2 Satz 1 SGB II (neue Fassung) mit Art 1 Abs 1 GG in Verbindung mit Art 20 Abs 1 GG einzuholen. Die Höhe des Regelbedarfes für Alleinstehende ist vom Gesetzgeber für die Zeit ab 1.1.2011 nicht in verfassungswidriger Weise zu niedrig festgesetzt worden. Die in Teilen des Schrifttums sowie im Vorlagebeschluss des SG Berlin vom 25.4.2012 gegen die Verfassungsmäßigkeit vorgebrachten Argumente können nicht überzeugen.
SG Mannheim – S 1 AS 38/11 –
LSG Baden-Württemberg – L 12 AS 1077/11 –
Bundessozialgericht – B 14 AS 153/11 R –
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
KdU-Satzungsermächtigung für Schleswig-Holstein!
Veröffentlicht: 22. April 2012 Abgelegt unter: KdU-Satzung | Tags: Satzung § 22a Abs. 1 Satz 1 SGB II, Schleswig-Holstein Satzung Kosten der Unterkunft 8 Kommentare
Wie bereits berichtet, wurde den Ländern mit § 22a Abs. 1 Satz 1 SGB II n.F. die Möglichkeit eingeräumt, die Kreise und kreisfreien Städte durch Gesetz zu ermächtigen, die Angemessenheit der Höhe der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet durch Satzung zu bestimmen. Die Schleswig-Holsteinische Landesregierung beabsichtigt, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Aufgrund erheblicher Kritik an dem Gesetzesvorhaben von „Vertretern aus der Richterschaft“ verständigte sich der Sozialausschuss zunächst darauf, schriftliche Stellungnahmen einzuholen (siehe Niederschrift der 39. Sitzung des Sozialausschusses vom 09.02.2012, Seite 21), auf welche einen Blick zu werfen sich lohnt (die Stellungnahmen finden sich hier).
Stellungnahmen von Richtern
Richterin am BSG Sabine Knickrehm teilt eher knapp mit, sie sehe sich im Hinblick auf die grundgesetzlich verankerte Gewaltenteilung nicht in der Lage, in einem laufenden Gesetzgebungsverfahren eine Stellungnahme abzugeben, da nicht auszuschließen sei, dass sie als Richterin im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens Satzungen zu prüfen habe, die auf dem derzeit beratenen Gesetz beruhen (Umdruck 17/3704).
Derartige Bedenken scheinen Richter Siebel-Huffmann vom SG Schleswig sowie Richter Dr. Andy Groth vom SH LSG nicht zu haben. Obgleich auch bei ihnen nicht auszuschließen ist, dass sie als Richter kommunale KdU-Satzungen werden prüfen müssen bzw. sich im Rahmen einer Inzidenzkontrolle mit diesen zu befassen haben werden, nehmen beide Richter im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens sehr umfangreich Stellung. Im Hinblick auf die grundgesetzlich verankerte Gewaltenteilung erscheint dies umso bemerkenswerter, als beide Richter im Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit der Begleitung der Gesetzgebungsverfahren zur Änderung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 03.08.2010 und 24.03.2011 betraut waren – mithin also auch an dem Gesetz, um dessen Umsetzung es nun geht. Beide Richter sind zudem Mitautoren des Buches „Das neue Grundsicherungsrecht“, welches im wesentlichen der Begründung des Gesetzgebers folgt und die kritischen Stellungnahmen im Gesetzgebungsprozess nur vereinzelt aufgreift (vgl. die Rezension von Prof. Dr. Judith Dick). Richter Siebel-Huffmann gehört außerdem zu den Richtern, die nach eigenem Bekunden die – veralteten und erkennbar unrealistisch niedrigen – Kieler Mietobergrenzen aus dem Jahr 1991 bis in das Jahr 2008/2009 hinein – so seine Formulierung – „gehalten“ haben und ist zudem selbst in der schleswig-holsteinischen Kommunalpolitik politisch aktiv.
Richter Dr. Andy Groth befürwortet in seiner sehr instruktiven und wohlgesetzten Stellungnahme (Umdruck 17/3738) die grundsätzliche Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Landtages zur Implementierung einer Satzungsermächtigung – was nicht verwundert, denn sie ist sein Kind. Zutreffend schildert Groth die Probleme der Kommunen, den – gleichsam mit jedem Urteil des BSG steigenden – Anforderungen an ein sog. „schlüssiges Konzept“ zur Bestimmung der Mietobergrenzen gerecht zu werden. Ins Positive gewendet ließe sich allerdings auch formulieren, dass das Gericht die Anforderungen weiter präzisiert und klargestellt hat. Soweit sich Groth – wie es scheinen will – von einer Satzungsermächtigung für die Kommunen insoweit Entlastung erhofft, verwundert dies, denn an eine Satzung werden sicherlich keine geringeren Anforderungen zu stellen sein als an eine kommunale Angemessenheitsrichtlinie. Diese wie jene wird sich an den Kriterien eines „schlüssigen Konzepts“ messen lassen müssen.
Nicht überzeugend ist demgegenüber die These, steigende Angemessenheitsgrenzen führten zwangsläufig zu steigenden Marktmieten. Soweit die Angemessenheitsgrenzen nicht – wie etwa bis Mitte 2009 in Kiel – deutlich unter dem ortsüblichen Mietzinsniveau (Mittelwert des jeweiligen Mietspiegelfeldes) liegen, ist eine Mietanhebung in praktisch allen Bestandsmietverhältnissen nach geltendem Mietrecht überhaupt nicht möglich (vgl. § 558 BGB: Mieterhöhung bis zu sog. „ortsüblichen Vergleichsmiete“). Die Vermieterseite – dies zeigte die zunehmende Zahl der Transferleistungsbezieherhaushalte, die in Kiel zu ihrer Miete hinzuzahlen mussten und zum Teil bis heute müssen – orientiert sich nicht an sozialrechtlichen Angemessenheitsgrenzen sondern daran, was ihnen das Mietrecht erlaubt und was wirtschaftlich durchsetzbar ist, mithin an den Marktpreisen. Die Mietobergrenzen sind eben – jedenfalls bei „Vermietermärkten“ wie seit langem in Kiel – kein verlässlicher „Anker in der Mietpreisentwicklung“, wie es ein ehemaliger Geschäftsführer des Jobcenters Kiel formulierte. Auch der Kieler Mieterverein hat hierauf vor einiger Zeit zutreffend hingewiesen.
Fraglich ist nach hiesigem Dafürhalten, ob sich durch eine Satzungsermächtigung und dieser folgenden kommunalen Unterkunftskostensatzungen eine Verbesserung der jetzigen Situation und hier insbesondere eine Abnahme der Widerspruchs- und Klageverfahren erzielen lässt. Bereits die Anamnese Groths – dringender Regelungsbedarf – scheint etwas rückwärtsgewandt: In den Städten und Kommunen mit Mietspiegel wurde zwischenzeitlich mit der sog. „Adamschen Formel“ eine jedenfalls in der Richterschaft an den Sozialgerichten und in Teilen der Anwaltschaft konsentierte Methode der Berechnung gefunden. Seit Mitte 2009 werden – jedenfalls von dem Verfasser dieses Beitrages – praktisch keine Mietobergrenzenverfahren – etwa aus Kiel – mehr anhängig gemacht. In den ländlichen Regionen scheinen die Kreise unterschiedliche Vorgehensweisen zu bevorzugen: Teils sind die Mietobergrenzen den Werten der Wohngeldtabelle mit „maßvollem“ Sicherheitszuschlag (erstmals eindeutig BSG, Urt. v. 22.03.2012, B 4 AS 16/11 R – Terminbericht: 10%) angepasst, teils werden die tatsächlichen Mieten erst im Widerspruchsverfahren anerkannt (unrühmlich etwa: Kreis Plön). Letzteres ist nicht die „reine Lehre“, aber die Klagewelle rollt jedenfalls auch hier nicht mehr. Um im Bild zu bleiben: Die See ist ruhig geworden, das Rettungsboot „Satzungsermächtigung“ kommt zu spät. Es fährt jetzt überflüssig auf dem Wasser herum und verbreitet eher Unruhe bei der Bevölkerung an Land als dass es noch Nutzen stiften könnte.
Die Vorteile von Satzungen gegenüber verwaltungsinternen Unterkunftskostenrichtlinien sieht Groth in einem höheren Maß an Rechtssicherheit durch normatives handeln, mehr Transparenz durch öffentlichen Diskurs sowie mehr Akzeptanz durch bürgerschaftliche Partizipation.
Ein höheres Maß an „Rechtssicherheit“ (für die Kommunen!) werden Satzungen nur dann gewährleisten, wenn mit ihnen eine weitergehende Einschätzungsprärogative des Satzungsgebers, also der Kommunen, einhergeht. Diese Frage ist noch ungeklärt (für weiterhin volle gerichtliche Überprüfung des unbestimmten Rechtsbegriffes der “Angemessenheit” etwa Klerks, info also 2011, 201 f.; ausführlich Münder, SozSich Extra 9/2011, 91 ff.). Für die erhoffte schnellere Herstellung von Rechtsklarheit durch Normenkontrollverfahren nach § 55a SGG ist zudem ein hoher Preis zu zahlen, weil die juristische Fachkompetenz der Richter an den Sozialgerichten nicht mehr fruchtbar gemacht werden kann. Hier fand in der Vergangenheit ein manchmal zäher, zuletzt aber doch konstruktiver Diskurs statt, der zuletzt auch zu tragbaren Ergebnissen (Adamsche Formel, vgl. dazu etwa Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 11.04.2011, L 11 AS 123/09) führte. In Zukunft wird dieser Diskurs in einer sehr kleinen Runde stattfinden. Hoffentlich wird es kein Selbstgespräch werden.
Groth erhofft sich zuletzt, eine Satzung könne mehr Transparenz und Akzeptanz vermitteln. Erfahrungen hätten gezeigt, dass Leistungsberechtigte den Mietobergrenzen deshalb misstrauten, weil sie als verwaltungsinterne Richtlinien unter dem Verdacht stünden, allein fiskalpolitisch motiviert zu sein. Dieser Eindruck, so Groth, würde durch eine öffentliche Befassung der mit unmittelbarer demokratischer Legitimation ausgestatteten Selbstverwaltungsgremien (Stadtvertretung/Kreistag) vermieden werden.
Richtig ist, dass kommunale Unterkunftsrichtlinien fiskalpolitisch motiviert sind. Der Konjunktiv ist hier ganz fehl am Platze. Aus den zahlreichen Beispielen greife ich kurzerhand einen Vortrag des ehemaligen Geschäftsführers des Jobcenters Kiel in der Sozialausschusssitzung vom 26.03.2009 (download), der anschaulich macht, dass es nur um die „Kostenfolgen für die Stadt“ ging, geht und gehen wird.
Dies wird bei Satzungen allerdings nicht anders sein. Tatsächlich befassen sich Sozialausschuss und Ratsversammlung – beide sind öffentlich und also „transparent“ – in gleicher Weise mit Mietobergrenzen, die alsdann in Richtlinien Eingang finden, wie mit Satzungen. Es ist hier nicht erkennbar, warum die Befassung einer Selbstverwaltungskörperschaft mit einer Satzung eine qualitativ andere „demokratische“ Legitimation haben sollte als die Verabschiedung von Mietobergrenzen in einem Ratsbeschluss, die anschließend in eine Richtlinie übernommen werden. Kaum ein Leistungsberechtigter dürfte zudem den Unterschied zwischen Richtlinie und Satzung kennen, der dann tatsächlich auch erst in der streitigen Rechtsdurchsetzung virulent wird. Im Übrigen – dies nur am Rande – sind Verwaltungsrichtlinien auch nicht „bloß intern“, sondern vermitteln über den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung über Art. 3 GG subjektiv-öffentliche Rechte.
Bei der letzten Kommunalwahl lag die Wahlbeteiligung in Kiel übrigens bei 46,8 %, bei der Oberbürgermeisterwahl bei 36,5 %. Die „regierende“ Kooperation ist von nicht einmal einem 1/4 der Wahlberechtigten gewählt worden, der Oberbürgermeister nur von rund 1/6. Es sind offenbar gerade die „mit unmittelbarer demokratischer Legitimation“ ausgestatteten Selbstverwaltungsgremien, die das Vertrauen der Bürger verloren haben. Hierfür gibt es gute Gründe (vgl. Kiel: Rechtsansprüche Hilfebedürftiger “nicht an die große Glocke hängen”!). Ein etwas größeres Vertrauen wird nach hiesigen Erfahrungen von vielen Leistungsberechtigten der überwiegend noch als „unabhängig“ empfundenen Rechtsprechung entgegengebracht.
Zu konstatieren ist, dass die „Vertreter aus der Richterschaft“, die auf einer Veranstaltung der Landesregierung „erhebliche Kritik an dem Gesetzesvorhaben geäußert“ haben (s.o.), letztlich nicht angehört wurden. Dies ist bedauerlich.
Stellungnahmen von sonstigen Institutionen
Die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten des Landes Schleswig-Holstein äußert sich im Grundsatz positiv zu der Satzungsermächtigung, weist aber zu Recht darauf hin (Umdruck 17/3794): „Gleichwohl wird eine Satzung nur Akzeptanz in der Öffentlichkeit erhalten und Rechtssicherheit gewähren, wenn die Ermittlung der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in einem sachgerechten, vollständigen, realitätsgerechten Verfahren ermittelt und die gewonnenen Erkenntnisse nachvollziehbar dargestellt werden. Dass dies kein leichtes Unterfangen ist, sei an dieser Stelle ausdrücklich betont. Auch kann weder aus den Vorschriften des §§ 22a-c SGB II noch aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs.17/3404) eindeutig entnommen werden, ob von der bisherigen Rechtsprechung des BSG zur Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung und zu den entwickelten Mindeststandards abgewichen werden darf.“
Die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Landesverbände (Umdruck 17/3715) begrüßen den Gesetzesvorstoß der Landesregierung ganz „außerordentlich“. Der Leser erfährt zunächst, dass der Entschluss zu einer Satzungslösung auf einer beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales eingerichteten Arbeitsgruppe mit dem Namen „Arbeitsanreize und Kosten der Unterkunft“ beruht.
| Exkurs: Als Ergebnis der Arbeit der Arbeitsgruppe „Arbeitsanreize und Kosten der Unterkunft“ war beabsichtigt, den Kommunen die konkrete Ausgestaltung der Frage, was als angemessene Wohnkosten anzusehen ist und welche Wohnfläche als angemessen erachtet wird, zu überlassen (Jens Flosdorff, Sprecher des BMAS gegenüber dpa am 23. Juli 2010). Der Zwischenbericht der Arbeitsgruppe „Standards der Gemeindefinanzkommission“ enthält Vorschläge zur Absenkung der Standards der KDU. So wurde u.a. vorgeschlagen, nicht mehr 45 qm, sondern bereits 25 qm als angemessene Wohnfläche für alleinstehende ALG-II-Beziehende festzulegen (vgl. Antwort der BR auf Kleine Anfrage, BT-Drucks. 17/2784). Auf dieser Linie liegt – leider – auch die Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen LSG. |
Was sich die Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Landesverbände von kommunalen KdU-Satzungen erhofft, wird unter 4.b) relativ deutlich ausgeführt: „Mit anderen Worten obliegt es der Gerichtsbarkeit – anders als im Rahmen der bisherigen Regelung des § 22 SGB II unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum „schlüssigen Konzept“ – bei einer Satzung nunmehr zu prüfen, ob sich diese in rechtlicher Hinsicht im Rahmen der bundes- und ggf. landesrechtlichen Vorgaben hält und – wenn dies der Fall ist – ob das zuständige JobCenter die Satzung im Hinblick auf den Einzelfall richtig angewendet hat. Eine „freie“ Würdigung des Einzelfalles durch die Richterinnen und Richter lediglich auf Grundlage der unpräzisen Vorgaben des § 22 SGB II ist bei einer Satzung ausgeschlossen.“ Noch deutlicher formuliert: Die Kommunen in Schleswig-Holstein möchten zukünftig selbst entscheiden, welche Kosten angemessen sind, ohne hierbei zu sehr von den Gerichten kontrolliert zu werden. Dieses Rechtsverständnis muss erschrecken. Anstatt sich die Frage zu stellen, woran es liegen könnte, dass die Gerichte die kommunalen Mietobergrenzen in Schleswig-Holstein ganz überwiegend für rechtswidrig erklärt haben, fordern die Kommunen eine Beschränkung der gerichtlichen Überprüfbarkeit ihrer KdU-Regelungen. So löst man das Problem gewiss nicht – so wenig, wie sich etwa der Ladendiebstahl durch die Streichung des § 242 StGB bekämpfen lässt.
Zur Stellungnahme des Deutschen Mieterbundes mehr hier: Stellungnahme des Deutschen Mieterbundes zur Satzungsermächtigung für die Kosten der Unterkunft!
Verabschiedung des Gesetzes am 25.04.2012
Der Sozialausschuss hat den ihm durch Plenarbeschluss vom 27. Januar 2012 überwiesenen Gesetzentwurf in drei Sitzungen, zuletzt am 19. April 2012, beraten. Mit den Stimmen der Fraktionen von CDU, SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW gegen die Fraktion DIE LINKE empfiehlt der Ausschuss dem Landtag die unveränderte Annahme des Gesetzentwurfs (Drucks. 17/2462), der am 26.04.2012 in zweiter Lesung verabschiedet wurde (Protokoll der Lesung).
Mehr zum Thema auf dieser Seite:
Stellungnahme des Deutschen Mieterbundes zur Satzungsermächtigung für die Kosten der Unterkunft!
Rechtsschutzmöglichkeiten nach Erlass kommunaler KdU-Satzungen!
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Datenschutz beim Bezug von ALG II
Veröffentlicht: 17. April 2012 Abgelegt unter: Datenschutz, Datenschutz beim Bezug von ALG II | Tags: B 14 AS 151/10 R, BSG B 14 AS 65/11 R, Hartz IV Datenschutz, Hartz IV Sozialgeheimnis 2 KommentareIn der hiesigen anwaltlichen Praxis ist aufgefallen, dass bisweilen ein sehr reger Informationsaustausch zwischen Jobcentern und Vermietern stattfindet – nicht selten auch an den leistungsberechtigten Mietern vorbei. So ist es jüngst einem Vermieter sogar gelungen, sein (nicht zustimmungsfähiges) Mieterhöhungsverlangen – dem die Mieterin nicht zugestimmt, dieses allerdings beim Jobcenter vorgelegt hatte – durch direkte Forderungsschreiben an das Jobcenter Kiel faktisch durchzusetzen, indem das Jobcenter dazu bewegt werden konnte, die erhöhte Miete (direkt an den Vermieter) zu zahlen.
BSG zum Datenschutz gegenüber Vermietern
Der 14. Senat des Bundessozialgerichts hat am 25. Januar 2012 im Verfahren B 14 AS 65/11 R festgestellt, dass das beklagte Jobcenter durch sein Schreiben an den Haus- und Grundbesitzerverein E. sowie durch seine Telefongespräche mit diesem und mit dem Ehemann der früheren Vermieterin der Kläger unbefugt Sozialgeheimnisse der Kläger offenbart hat, indem er den Leistungsbezug der Kläger mitgeteilt hat. Nach den auch für das SGB II geltenden datenschutzrechtlichen Vorschriften hat jeder Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten von den Leistungsträgern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Der Beklagte kann das Offenbaren der Sozialdaten hier nicht damit rechtfertigen, dass dies erforderlich gewesen sei, um die eigenen Aufgaben zu erfüllen. Er musste in jedem Fall die schutzwürdigen Interessen der Kläger beachten und hätte deshalb vor einer Kontaktaufnahme mit Dritten zunächst das Einverständnis der Kläger einholen müssen. (Medieninformationen Nr. 2/12 vom 25.01.2012).
Spagat für die Jobcenter
Es ist sicher ein Spagat für die Jobcenter: Viele Vermieter wissen um den Leistungsbezug ihrer Mieter ohnehin – schon wegen den häufig gewünschten Direktzahlungen, der Vorlage von Wohnberechtigungsscheinen bei der Wohnraumanmietung usw. – und eine direkte „Zusammenarbeit“ zwischen Vermieter und Jobcenter erleichtert sicherlich auch in vielen Fällen die Arbeit. Auf der anderen Seite sind datenschutzrechtliche Belange der Leistungsberechtigten strikt zu beachten. In allen Angelegenheiten, die das Mietvertragsverhältnis zwischen Mieter und Vermieter betreffen, sollten die Jobcenter ohnehin strikt an die Mieter verweisen – schon, um missliche Folgen wie die Eingangs geschilderte auszuschließen. Grundsätzlich hat das Jobcenter Kiel das Problem auch schon erkannt (vgl. Nachrichten aus dem Jobcenter 02/2011, Jobcenter und Vermieter).
Weiterführende Infos:
https://www.datenschutzzentrum.de/blauereihe/blauereihe-alg2.pdf
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Schülerbeförderungskosten: Richtlinien der Stadt Kiel bestätigt!
Veröffentlicht: 13. April 2012 Abgelegt unter: Bildungs- und Teilhabepaket | Tags: Bildungs- und Teilhabepaket Kiel, Bildungs- und Teilhabepaket Kosten Schülerbeförderung, Bildungspaket Kiel, Kosten der Schülerbeförderung nach § 28 SGB II, Kosten der Schülerbeförderung nach § 34 a SGB XII, Kosten der Schülerbeförderung nach § 6b BKGG Hinterlasse einen KommentarIn einer aktuellen Entscheidung vom 05.04.2012 hat die 40. Kammer am SG Kiel die Richtlinien der Stadt Kiel zur Übernahme von Schülerbeförderungskosten (u.a.) nach § 28 Abs. 4 SGB II bestätigt.
Im Streit stand die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes des „Angewiesenseins“ auf die Schülerbeförderung. Nach Auffassung der 40. Kammer ist ein Schüler ab der 5. Klasse jedenfalls dann nicht mehr auf eine Schülerbeförderung mit öffentlichen Verkehrsmitteln angewiesen, wenn der Schüler seinen Schulweg zu Fuß je Wegstrecke in einer Stunde und mit dem Rad in einer halben Stunde zurücklegen kann.
SG Kiel: 8 Kilometer Fußweg am Tag ab der 5. Klasse zumutbar
Damit bestätigt das Gericht die Regelungen der Landeshauptstadt Kiel. Zwar orientieren sich diese zur Bestimmung der „Zumutbarkeit“ des Schulweges nicht an dem Zeitaufwand für den Schulweg sondern an der Entfernung zwischen Wohnung und Schule. Die Zurücklegung des Schulwegs ohne ein Verkehrsmittel soll danach erst dann nicht mehr „zumutbar“ sein, wenn der Schulweg der kürzesten Wegstrecke für Schüler bis zur Jahrgangsstufe vier 2 Kilometer und für Schüler ab der Jahrgangsstufe fünf 4 Kilometer überschreitet. Jedoch lassen sich 4 Kilometer auch zu Fuß in einer Stunde zurücklegen.
Die Begründung der 40. Kammer
„Zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes sind nach Auffassung der Kammer vorrangig § 114 SchulG, der die Übernahme von Schülerbeförderungskosten durch Schulträger regelt, und die Schülerbeförderungssatzungen der Kreise heranzuziehen. Dies gilt nach Auffassung der Kammer bereits deshalb, weil vorrangiges Ziel des Gesetzgebers die Sicherstellung der Schülerbeförderung in der Sekundarstufe II war (vgl. BT-Drucks. 17/4095, S. 30). Nach § 114 Abs. 2 SchulG bestimmen die Kreise durch Satzung, welche Kosten für die Schülerbeförderung als notwendig anerkannt werden. Für die Frage, ob die Schülerbeförderungskosten als notwendig im Sinne des § 114 Abs. 2 SchulG anzuerkennen sind, ist mithin verwaltungsrechtlich auf die in der Satzung festgelegten Entfernungen abzustellen. So sieht etwa § 3 Abs. 3 der entsprechenden Satzung des Kreises Rendsburg-Eckernförde vor, dass Schülerbeförderungskosten für Schüler der Klassen 5 und 6 ab einem Schulweg über 4 Kilometer übernommen werden können, ebenso im Kreis Schleswig-Flensburg (vgl. unter www.schleswig-flensburg.de), Kreis Plön (vgl. http://www. kreis-ploen.de). Im Kreis Pinneberg liegt in Jahrgangsstufe 5 die entsprechende Grenze bei 4 Kilometern in den Monaten November bis einschließlich März, in den anderen Monaten bei 5 Kilometern (§ 3 Abs. 3 Schülerbeförderungssatzung). Die Landeshauptstadt Kiel als kreisfreie Stadt übernimmt grundsätzlich keine Schülerbeförderungskosten für Schülerinnen und Schülern des Stadtgebietes; Ausnahmen gelten bei Behinderungen. Diese Regelungen dienen nach Auffassung der Kammer als maßgeblicher Anhaltspunkt bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angewiesenheit auf Schülerbeförderung im Sinne des § 28 Abs. 4 SGB II. Denn eine Besserstellung von grundsicherungsleistungsberechtigten Schülerinnen bzw. Schülern im Hinblick auf die Übernahme von Schülerbeförderungskosten gegenüber denen, die keine Grundsicherungsleistungen beziehen, dürfte nicht dem gesetzgeberischen Willen entsprechen.
Anhand dessen ist der Antragsteller nach Auffassung der Kammer nicht auf eine Schülerbeförderung angewiesen, mithin die Regelung des Antragsgegners in Punkt 2.3.3 der Arbeitshinweise der Landeshauptstadt Kiel für die Erbringung von Leistungen für Bildung- und Teilhabe nicht zu beanstanden. Es ist nämlich dem 12-jahrigen Antragsteller – wie auch allen anderen Schülerinnen und Schülern seines Alters – zuzumuten, an den Schultagen die Strecke zwischen seiner Wohnung und seiner Schule zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückzulegen. Dies gilt selbst dann, wenn man, wie offensichtlich der Antragsgegner, die Mindestentfernungen für die Obernahme von Schülerbeförderungskosten aus den (Flächen-)Kreisen zugrundelegt. Die einfache kürzeste Strecke beträgt 3,5 Kilometer (so der Vortrag des Antragstellers) oder 3,78 Kilometer (so der Antragsgegner), also weniger als 4 Kilometer. Die Kammer knüpft insoweit an die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung an, wonach sich der Zeitaufwand für Schüler des Sekundarbereichs I für den Schulweg im Rahmen des Zumutbaren hält, soweit er die Dauer von 60 Minuten je Wegstrecke nicht überschreitet, was gleichzeitig bedeutet, dass Schüler des Sekundarbereichs I in dieser genannten Zeitspanne einen Schulweg bis zu 4 km Länge zurücklegen können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Januar 2009, Az. 6 B 78.08 bestätigt OVG Lüneburg, Urteil vom 4. Juni 2008, Az. 2 LB 5/07; Sächsisches OVG, Beschluss vom 16. April 2009, Az. 2 B 305/08; OVG Lüneburg, Urteil vom 5. Januar 2011, Az. 2 LB 318/09 — alle zitiert nach JURIS). Die Kammer sieht hierin auch keine Abweichung von dem Beschluss der 29. Kammer des Sozialgerichts Kiel. Dort ist eine Fahrradwegstrecke von maximal 30 Minuten Dauer sowie alternativ eine Wegstrecke zu Fuß von maximal 60 Minuten Dauer je Richtung für zulässig erachtet worden.“
Der Beschluss des SG Kiel findet sich im Volltext hier:
SG Kiel, Beschluss vom 05.04.2012, S 40 AS 40/12 ER
Beurteilung der Entscheidung
Entgegen der Darstellung in der Beschlussbegründung verschärft die 40. Kammer die Zumutbarkeitsvoraussetzungen: Hatte die 29. Kammer am SG Kiel im Verfahren S 29 AS 512/11 ER noch entschieden, dass jedenfalls einem „fast Achtzehnjährigen“ auch ein Schulweg von einer Dauer von 60 Minuten je Richtung und damit die Zurücklegung einer Strecke von 4 Kilometern – also insgesamt 8 Kilometer pro Schultag – zumutbar sei, so geht die 40. Kammer nun davon aus, Schülern ab der 5. Klasse – d.h. i.d.R. ab 10 Jahren – sei ein Fuß-Schulweg von 60 Minuten oder 4 Kilometern je Richtung (d.h. 2 Stunden bzw. 8 Kilometer am Tag) zumutbar. Zur Kritik siehe hier.
Das Kernargument der 40. Kammer – keine Besserstellung von grundsicherungsleistungsberechtigten Schülerinnen bzw. Schülern im Hinblick auf die Übernahme von Schülerbeförderungskosten gegenüber denen, die keine Grundsicherungsleistungen beziehen – überzeugt schon deswegen nicht, weil Kinder von Eltern aus begüterten Elternhäusern finanziell ohne Probleme in der Lage sind, eine Schülermonatskarte zu bezahlen. Das gesetzgeberische Anliegen, Bildungschancen von Kindern aus einkommensschwachen Haushalten (die ALG II, Kinderzuschlag, Wohngeld usw. beziehen) zu erhöhen, wird durch diese Rechtsprechung konterkariert.
Im Übrigen hat sich die 40. Kammer weder mit den tragenden Erwägungen noch mit der von Antragstellerseite zitierten Rechtsprechung und Kommentarliteratur auseinandergesetzt, so das viele Rechtsfragen des Antragstellers unbeantwortet blieben. Natürlich lässt sich eine Entscheidung unter Außerachtlassung der Gegenargumente sehr viel leichter begründen.
Hinweise für Betroffene
Nach hiesiger Einschätzung muss davon ausgegangen werden, dass auch andere Kammern am Sozialgericht Kiel die Rechtmäßigkeit der Richtlinien der Landeshauptstadt Kiel in Bezug auf die Wegstreckenfestlegungen „halten“ werden. Klagen oder einstweilige Rechtsschutzverfahren, die allein darauf gestützt werden, die Zurücklegung von Schulwegen von 2 bzw. 4 Kilometern (ab der 5. Klasse) zu Fuß oder mit dem Rad seien ihren Kindern nicht zumutbar, dürften – auch vor anderen Kammern am SG Kiel – vermutlich eher wenig Aussicht auf Erfolg haben.
Einige weitere Beiträge zum Thema:
Geld für den Schulbus i.d.R. bei mehr als 30 Minuten Schulweg!
Arbeitshinweise der Landeshauptstadt Kiel für das Bildungs- und Teilhabepaket veröffentlicht!
TAZ-Nord: Kiel sackt Scheine ein!
Licht und Schatten bei der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes in Kiel!
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Anwaltskosten in Verfahren auf Aussetzung der Vollstreckung sozialgerichtlicher Beschlüsse
Veröffentlicht: 10. April 2012 Abgelegt unter: RA-Kosten | Tags: Aussetzung Vollstreckung Nr. 3501 VV-RVG Ein KommentarBeschlüsse in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes müssen nach ständiger Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts innerhalb eines Monats nach Zustellung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 929 ZPO vollstreckt werden (etwa Beschluss vom 04.01.2007, L 11 B 509/06 AS ER, a.A. zu Recht etwa Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27.07.2010, L 8 SO 139/10 B ER zu Rz. 29 ff. m.w.N.). Geht die Behörde gegen den Beschluss des Sozialgerichts in die Beschwerde, so wird sie regelmäßig zugleich einen Antrag aus Aussetzung der Vollstreckung der im sozialgerichtlichen Beschluss ausgesprochenen Verpflichtung stellen, dem sodann entgegenzutreten ist.
Keine eindeutige Gebührenregelung
Für das Verfahren vor dem Landessozialgericht auf Aussetzung der Vollstreckung enthält das Vergütungsverzeichnis keine eindeutige Gebührenbestimmung. Von den Kostenbeamten der schleswig-holsteinischen Sozialgerichte wurden Kosten sowohl nach Nr. 3102 VV-RVG als auch nach Nr. 3501 VV-RVG festgesetzt. Das Sozialgericht Kiel hat u.a. mit Beschluss vom 17.02.2012 zum Aktenzeichen S 21 SF 137/11 E nun entschieden, dass der Betragsrahmen dem Gebührentatbestand der Nr. 3501 VV-RVG zu entnehmen ist und zur Begründung ausgeführt:
| „Das Verfahren auf Aussetzung der Vollstreckung der im sozialgerichtlichen Beschluss ausgesprochenen Verpflichtung stellt nach dem Wortlaut keine Beschwerde oder Erinnerung dar, sodass allein aus dem Wortlaut der Nr. 3501 VV-RVG die Anwendbarkeit dieser Vorschrift nicht abzuleiten ist. Eine eigenständige Vorschrift für Verfahren auf Aussetzung der Vollstreckung in sozialgerichtlichen Verfahren, in denen Betragsrahmengebühren entstehen, sieht das VV-RVG nicht vor. Daraus darf aber nicht der Schluss gezogen werden, dass ein Verfahren auf Aussetzung der Vollstreckung gebührenrechtlich gar nicht zusätzlich zu berücksichtigen ist. Da es sich bei dem Verfahren nach § 199 Abs. 2 SGG im Verhältnis zu dem in der Hauptsache anhängigen Verfahren um ein selbständiges Verfahren handelt, auf das grundsätzlich alle Vorschriften und Rechtsgrundsätze Anwendung finden, die für selbständige Verfahren gelten, ist über die Kosten eines solchen Verfahrens gesondert zu entscheiden (BSG vom 26.11.1991,1 RR 10/91, Rdnr.16, veröffentlicht in juris). Wenn das Verfahren auf Aussetzung der Vollstreckung aber gebührenrechtlich gesondert zu berücksichtigen ist, kommt als einschlägige Vorschrift nur die Nr. 3501 VV-RVG als Auffangvorschrift in Betracht, weil die eine höhere Vergütung vorsehenden Vorschriften der Nrn. 3102 bzw. 3204 VV-RVG – wie oben dargelegt — nicht anwendbar sind. Dieses Ergebnis wird durch den Vergleich mit der Gebührenvorschrift für Vollstreckung und Vollziehung in nach dem Gegenstandswert abzurechnenden Verfahren bestätigt. Nach der Nr. 3309 VV-RVG beträgt die Verfahrensgebühr für Vollstreckung und Vollziehung 0,3, die Verfahrensgebühr für das erstinstanzliche Erkenntnisverfahren nach der Nr. 3100VV-RVG dagegen 1,3. Der Gesetzgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, dass Vollstreckungsverfahren gebührenrechtlich deutlich geringer zu honorieren sind als erstinstanzliche Erkenntnisverfahren.“ |
Der – sicher nur für meine Kollegen interessante – Beschluss findet sich im Volltext hier:
SG Kiel, Beschluss v. 17.2.2012, S 21 SF 137/11 E
Weitere gleichlautende Beschlüsse: SG Kiel v. 17.02.2012, S 21 SF 153/11 E und S 21 SF 145/11 E.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Titulierte Unterhaltszahlungen sind bei Hartz IV vom Einkommen abzusetzen!
Veröffentlicht: 30. März 2012 Abgelegt unter: Einkommensanrechnung, Unterhalt | Tags: § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II, Einkommensanrechnung bei Unterhaltsverpflichtungen, Einkommensanrechnung Hartz IV Grundsicherung, Hartz IV + Unterhalt, Hartz IV und Unterhalt, Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Beschluss vom 23.03.2012 L 6 AS 32/12 B ER 12 KommentareGemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II sind „Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag“ vom Einkommen abzusetzen. In seinem Grundsatzurteil vom 09.11.2010 (B 4 AS 78/10 R) hat das Bundessozialgericht entschieden (ab Rz. 15):
- Der Unterhalt muss im streitigen Zeitraum tatsächlich geleistet worden sein (BSG, Urteil vom 30.09.2008, B 4 AS 57/07 R).
- Auch Jugendamtsurkunden sind Unterhaltstitel im Sinne von § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II a.F.)
- Die Unterhaltszahlungen müssen zur Erfüllung einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung erfolgen.
-
Die Absetzbarkeit der Unterhaltsbeträge nach § 11 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB II hängt nicht von deren tatsächlicher Pfändbarkeit ab.
-
Der Unterhaltsschuldner muss nicht auf eine Abänderung des Unterhaltstitels hinwirken.
Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts
Mit Beschluss vom 23.03.2012 hat das Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht eine Beschwerde des Jobcenters Plön gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Kiel zurückgewiesen und bestätigt, dass Unterhaltszahlungen in Höhe des in einem Unterhaltstitel festgelegten Betrages vom Einkommen eines Hartz IV-Empfängers abzusetzen sind.
Im konkreten Fall hatte der leistungsberechtigte Vater aufgrund einer Jugendamtsurkunde monatlich 245 € Kindesunterhalt zu zahlen. Dieser Unterhaltsverpflichtung wollte der Vater mit dem Einkommen aus einem 400 € – Job nachkommen. Das Jobcenter Plön rechnete von den 400 € allerdings 240 € auf den ALG II-Anspruch des Vaters an und beließ diesem nur 160 € anrechnungsfrei. Damit konnte der Vater den Unterhalt nicht mehr zahlen.
Das Jobcenter Plön hatte argumentiert, der Vater sei in seiner derzeitigen Einkommenssituation tatsächlich gar nicht in der Lage, den Unterhalt zu zahlen – und könne deswegen auch aus dem Unterhaltstitel nicht erfolgreich in Anspruch genommen werden. Das Jobcenter rechnete deswegen 240 € auf den ALG II Anspruch an. Rechtswidrig, entschied zunächst das Sozialgericht Kiel und dann auch das Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht: Nach § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 SGB II genügt die Titulierung eines Unterhaltsanspruches. Ob die titulierten Unterhaltsansprüche im konkreten Fall erfolgreich gepfändet werden könnten oder ohne die Gewährung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II realisierbar wären, ist für die Berücksichtigung als Absatzbeträge „irrelevant“.
Berechnung des anrechenbaren Einkommens
Hinsichtlich der Einkommensanrechnung war sowohl der Verfasser dieses Beitrages als auch das Sozialgericht Kiel davon ausgegangen, dass von dem monatlichen Nebeneinkommen in Höhe von 400 € zunächst der Unterhalt abzusetzen ist und erst dann die Freibetragsberechnung durchzuführen sei. Danach wären 44 € als Einkommen anzurechnen gewesen.
Das Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht hat nun klargestellt, dass die Freibeträge nach § 11b Abs. 2 und Abs. 3 SGB II anhand des Bruttoeinkommens zu berechnen sind, so dass sich bei einem Einkommen von 400 € Freibeträge in Höhe von 100 € (vgl. § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II) und 60 € (vgl. § 11b Abs. 3 SGB II), insgesamt also 160 € ergeben und ein zu berücksichtigendes Einkommen von 240 € verbleibt. Von dem zu berücksichtigenden Einkommen von 240 € ist der titulierte Unterhaltsanspruch von 245 € abzusetzen, so dass das Nebeneinkommen in voller Höhe anrechnungsfrei bleibt.
Der Beschluss findet sich zum Download hier:
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 23.03.2012, L 6 AS 32/12 B ER
Kurzfassung diese Beitrages: Hempels 05/2012
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
PKV-Versicherte mit Beitragsschulden: Jetzt Antrag auf Niederschlagung der Beitragsrückstände stellen!
Veröffentlicht: 29. März 2012 Abgelegt unter: Krankenversicherung | Tags: Erlass Beitragsrückstände PKV, Hartz IV PKV-Versichert, Hartz IV und privat krankenversichert, Schuldenerlass für Hartz IV Empfänger private Krankenversicherung, Schuldenerlass für Hartz-IV-Empfänger, Verfahrensinformationen der BA Schulden PKV Hinterlasse einen KommentarWeil in der Vergangenheit von der Mehrzahl der Jobcenter aufgrund einer entsprechenden Weisungslage der Bundesagentur für Arbeit (BA) die tatsächlichen Kosten einer privaten Krankenversicherung nur in Höhe des Mindestbeitrages in der gesetzlichen Krankenversicherung anerkannt wurden, sind bei vielen privat Krankenversicherten erhebliche Beitragsrückstände entstanden. Dieser Verwaltungspraxis hat erst das Bundessozialgericht mit seiner Entscheidung vom 18.01.2011 einen Riegel vorgeschoben (BSG, Urteil vom 18.1.2011, B 4 AS 108/10 R)
Neue Verfahrensinformationen der BA
Nun gibt es eine neue Verfahrensinformation der BA zum Umgang mit Altschulden in der privaten Krankenversicherung durch Beitragsrückstände. Nach Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) hat der Verband der privaten Krankenversicherungen e.V. mitgeteilt, dass die privaten Versicherungsunternehmen grundsätzlich bereit sind, auf die durch die Begrenzung des Zuschusses nach § 26 SGB II entstandenen Beitragsschulden von Leistungsberechtigten nach dem SGB II zu verzichten. Privat krankenversicherte Beitragsschuldner sollten daher schriftlich ihr Versicherungsunternehmen um einen Verzicht auf die Beitragsforderungen ersuchen. Diesem (formlosen) Antrag sollte ein durch das Jobcenter erstellter Nachweis über den Leistungsbezug in dem betreffenden Zeitraum beigefügt werden. Weitere Informationen finden sich hier:
Dank an Harald Thomé für den Hinweis in seinem aktuellen Newsletter.
Weitere Infos zum Thema private Krankenversicherung auf dieser Seite:
Zur Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung bei ALG II Bezug!
Private Krankenversicherung: Schuldenerlass für Hartz-IV-Empfänger!
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Zur Kostentragungspflicht des „Veranlassers“ eines Gerichtsverfahrens
Veröffentlicht: 28. März 2012 Abgelegt unter: Eilverfahren, RA-Kosten | Tags: Kostentragungsgpflicht Jobcenter, Kostentragungspflicht des Veranlassers, Kostentragungspflicht Jobcenter in Eilverfahren Hinterlasse einen KommentarErlässt das Jobcenter einen Änderungsbescheid, aus dem sich die Minderung des Leistungsanspruches ergibt, sind aber die Sanktions- bzw. Minderungsbescheide mangels Zuganges beim Leistungsberechtigten nicht wirksam geworden und wird deswegen gegen den Änderungsbescheid Widerspruch erhoben und weist das Jobcenter den Widerspruch allein mit der Begründung zurück, der Änderungsbescheid enthalte keine „Verfügung“, ohne auf die nicht versandten Sanktionsbescheide hinzuweisen, so hat das Jobcenter nach dem „Veranlasserprinzip“ die Kosten eines sich anschließenden sozialgerichtlichen Eilverfahrens zu tragen.
SG Kiel, Beschluss vom 27.03.2012, S 37 AS 77/12 ER
| Hinweis: Voraussetzung der Meldepflicht nach § 59 SGB II i.V.m. §§ 309, 310 SGB III ist eine entsprechende Aufforderung des Trägers der Grundsicherung, vgl. § 309 Abs. 2 SGB III. Die Aufforderung ist ein Verwaltungsakt (Birk in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 59 Rn. 2) und muss dem Aufzufordernden zu dessen Wirksamkeit bekanntgegeben werden, §§ 37, 39 Abs. 1 SGB X. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang nachzuweisen, § 37 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz SGB X. |
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Darlehensweises ALG II zur Ermöglichung des Studienabschlusses
Veröffentlicht: 21. März 2012 Abgelegt unter: Leistungen für Auszubildende, Studenten | Tags: ALG II als Darlehen, ALG II für Prüfungsphase, ALG II Studium, § 27 Abs. 4 SGB II, darlehensweise ALG II, Hartz IV Studium, L 11 AS 29/12 B ER, Leistungen für Auszubildende nach § 27 Abs. 4 SGB II, Leistungen für Auszubildende nach § 27 SGB II, Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Beschluss vom 07.03.2012 L 11 AS 29/12 B ER 3 KommentareGrundsätzlich sind Studenten an deutschen Hochschulen nach dem BAföG dem Grunde nach förderungsfähig und können deswegen keine Leistungen nach dem SGB II erhalten, § 7 Abs. 5 SGB II. Nach § 27 Abs. 3 SGB II (= § 27 Abs. 4 SGB II a.F.) können Leistungen jedoch „als Darlehen für Regelbedarfe, Bedarfe für Unterkunft und Heizung und notwendige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung erbracht werden, sofern der Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 5 eine besondere Härte bedeutet.“ Diese Regelung ermöglicht es den Jobcentern insbesondere, Studenten, die in der Endphase ihres Studiums in finanzielle Probleme geraten, mit darlehensweisen existenzsichernden Leistungen zu helfen und ihnen so den Abschluss ihres Studiums zu ermöglichen.
Besondere Härte
Voraussetzung ist, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 5 SGB II (kein ALG II für Studenten) eine „besondere Härte“ bedeuten würde. Nach der Rechtsprechung des BSG (zusammenfassend BSG, Urt. V. 1.7.2009, B 4 AS 67/08 R) ist eine besondere Härte u.a. dann anzunehmen, wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass (1) eine vor dem Abschluss stehende Ausbildung (2) nicht beendet werden kann, weil in einer Ausbildungssituation Hilfebedarf entsteht, der nicht (mehr) durch BAföG, BAB oder andere Einnahmequellen (Unterstützung der Eltern, eigenes Einkommen) gedeckt werden kann und damit (3) das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit droht.
(1) Ausbildung „vor dem Abschluss“
Die Ausbildung steht „vor dem Abschluss“, wenn eine durch objektive Gründe belegbare Aussicht besteht, dass die Ausbildung mit den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in absehbarer Zeit zu einem Abschluss gebracht werden kann (BSG, Urt. V. 6.9.2007, B 14/7b AS 36/06 R). Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn sich der Hilfesuchende bereits in der Prüfungsphase etwa einer Magisterabschlussprüfung befindet (Thie in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 27 Rn. 11 hält bereits den Nachweis der Anmeldung zur Prüfung für ausreichend, soweit alle Prüfungsvoraussetzungen erfüllt sind). Als Nachweise können die Ergebnisse von Zwischenprüfungen, die Prüfungszulassungsbescheinigung sowie etwa Bescheinigungen der Betreuer von Abschlussarbeiten vorgelegt werden, aus welchen sich eine positive Abschlussprognose ergibt. In zeitlicher Hinsicht steht eine Ausbildung jedenfalls vor dem Abschluss, wenn der Termin zur Abschlussprüfung innerhalb der nächsten sechs Monate liegt. Die sechs Monate stellen indes keine starre Grenze dar, entscheidend sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalles.
(2) Hilfebedarf in der Abschlussphase der Ausbildung
Ein Hilfebedarf in der Abschlussphase der Ausbildung kann sich etwa ergeben durch den Verlust einer studentischen Nebenbeschäftigung, den Wegfall von BAföG-Leistungen oder der Studienfinanzierung durch die Eltern sowie den Aufbrauch etwaigen angesparten Vermögens.
(3) Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit durch Ausbildungsabbruch
Zuletzt müsste durch einen Ausbildungsabbruch das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit drohen. Da Erwerbslosigkeit jedem „droht“, ganz gleich, ob dieser einen Abschluss hat oder nicht, kann es nur darauf ankommen, ob durch den Ausbildungsabbruch die Wahrscheinlichkeit einer späteren Erwerbslosigkeit höher ist als mit dem angestrebten Abschluss. Im Grundsatz wird man davon ausgehen dürfen, dass jede berufliche Qualifizierung das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit verringert. Ausnahmen von diesem Grundsatz dürften etwa bestehen bei Berufsausbildungen für ausgestorbene Berufe oder solche, für die faktisch kein Arbeitsmarkt besteht. Neutral auf das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit dürfte sich etwa auch ein Abschluss auswirken, der kurz vor dem Renteneintrittsalter erworben wird. Geringfügig auswirken dürfte sich zudem eine weitere Berufsausbildung, soweit der Hilfebedürftige bereits über einen oder mehrere Berufsabschlüsse verfügt, für die eine Nachfrage auf dem konkreten Arbeitsmarkt besteht.
Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts
Mit Beschluss vom 07.03.2012 hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht im Verfahren L 11 AS 29/12 B ER einer Studentin zuvor vom SG Kiel abgelehnte Leistungen nach dem SGB II als Darlehen zugesprochen. Das LSG hat in diesem besonderen Einzelfall das Merkmal der „besonderen Härte“ in § 27 Abs. 4 SGB II anders beurteilt als die Vorinstanz. Zur Begründung hat das LSG insbesondere darauf abgehoben, dass nach einer schriftlichen Stellungnahme der Betreuerin zu erwarten sei, dass die Magisterarbeit erfolgreich abgeschlossen werde, es der Antragstellerin nicht zuzumuten sei, den Erfolg ihrer Magisterarbeit durch die Aufnahme einer Arbeit zu gefährden und die Antragstellerin mit dem Abschluss erstmals eine abgeschlossene Berufsausbildung wird vorweisen können.
Einordnung der Entscheidung des LSG
Zu der Entscheidung des LSG ist anzumerken, dass diese sicherlich keine elaborierte Grundsatzentscheidung zu den Voraussetzungen darlehensweise zu gewährender Leistungen nach § 27 Abs. 3 SGB II (= § 27 Abs. 4 SGB II a.F.) ist und – so nehme ich an – auch gar nicht sein soll. Das Gericht hat dafür aber umso mehr ein gesundes Rechtsempfinden dafür zeigt, wann ein „Härtefall“ vorliegt, d.h. sich jemand in existentieller Not befindet und Hilfeleistungen – nicht nur von Rechts wegen, dies soll hier nicht verschwiegen bleiben – gewährt werden sollten. Dieses Judiz hätte man sich auch von den Mitarbeitern des Jobcenters Kiel gewünscht. Und natürlich auch von der Vorinstanz.
Praxistipp für Betroffene
Darlehen nach § 27 Abs. 3 SGB II (= § 27 Abs. 4 SGB II a.F.) sollten immer mit Wohngeld kombiniert werden. Das ermöglicht § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Satz 3 Nr. 1 WoGG, den nach meiner Erfahrung kaum ein Jobcentermitarbeiter kennt. Vorteil: Regelsatz und notwendige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung werden abzüglich des Wohngeldbetrages als Darlehen erbracht, der Wohngeldanteil der Unterkunftskosten indes als Zuschuss, der nicht zurückbezahlt werden muss.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Synopse KdU-Richtlinie 2009/2012
Veröffentlicht: 13. März 2012 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: Mietobergrenzen in Kiel, Neue Mietobergrenzen Kiel 2012 Ein Kommentar
In der Sitzung der Ratsversammlung am 15.03.2012 wird die Vorlage „Neufassung der Richtlinien über die Angemessenheit von Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II und § 35 SGB XII“ (Drucksache 0098/2012) zur Beschlussfassung vorgelegt. Im Nachgang der Beratung über diese Vorlage in der Sitzung des Ausschuss für Soziales, Wohnen und Gesundheit am 23.02.2012 wurde der Selbstverwaltung eine entsprechende Synopse (Gegenüberstellung der bisherigen Richtlinie und der Neufassung) zur Verfügung gestellt, die Interessierte hier zum download finden.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Bundesagentur für Arbeit verschickt erneut falsche Mahnungen!
Veröffentlicht: 12. März 2012 Abgelegt unter: Forderungseinzug Bundesagentur für Arbeit | Tags: falsche Mahnung Jobcenter, falsche Mahnungen Jobcenter, fehlerhafte Mahnungen Jobcenter, Jobcenter Mahnung, Mahnung Jobcenter, Zahlungsaufforderung Jobcenter 7 KommentareVon der Bundesagentur für Arbeit sind erneut rund 70.000 falsche Mahnbescheide verschickt worden. Betroffen sind die Regionen Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. Die Bescheide wurden wohl überwiegend in der zweiten Hälfte Februar 2012 versandt. Dies berichtet die Hamburger Morgenpost.
Umgang mit fehlerhaften Mahnungen
Leistungsberechtigte, die Mahnungen von der Bundesagentur für Arbeit erhalten haben und die angemahnten Forderungen nicht nachvollziehen können, sollten die Forderungen auf keinen Fall begleichen sondern mit der Mahnung bei ihrem zuständigen Jobcenter vorsprechen und um Prüfung der angeblichen Forderungen bitten.
Widerspruch nur gegen die Mahngebühren zulässig
Zu beachten ist, dass lediglich gegen die Festsetzung von Mahngebühren ein Widerspruch zulässig ist. Ein Widerspruch ist i.d.R. entbehrlich, weil die Bundesagentur für Arbeit bei unrechtmäßigen Mahnungen die Mahngebühren stets storniert.
Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Rückforderungsbescheide
Die eigentlichen Forderungen (Hauptforderungen) finden ihre Grundlage in den auf der Rückseite der Mahnung angegeben Bescheiden. Ein Widerspruch gegen die Anmahnung der Forderung ist unzulässig. Ein Widerspruch kann nur gegen die Bescheide – i.d.R. Aufhebungs- und Erstattungsbescheide – erhoben werden. Die Widerspruchsfrist beträgt einen Monat nach Zugang des Bescheides bei dem Leistungsberechtigten. Lässt sich der Zugang nicht nachweisen, gilt eine gesetzliche Vermutung von drei Tagen ab Aufgabe des Bescheides zur Post, die regelmäßig mit dem Datums des Bescheiderlasses übereinstimmt.
Bestandskräftige Bescheide – etwa Aufhebungs- und Erstattungsbescheide – können nach § 44 SGB X überprüft werden. Dies ist zeitlich unbeschränkt möglich. Die Regelung in § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 44 Abs. 4 SGB X, wonach Sozialleistungen aufgrund einer Prüfung und Neubescheidung nur bis zu einem Zeitraum von einem Jahr – zuzüglich des Jahres der Antragstellung (Überprüfung in 2012 also für alle Bescheide, die ab 01.01.2011 erlassen wurden) – rückwirkend beansprucht werden können, ist in Rückforderungsangelegenheiten unbeachtlich, weil es hier nicht um die Beanspruchung von Leistungen nach dem SGB II geht (BSG, Urteil vom 13.02.2014, B 4 AS 19/13 R – Terminbericht 3/14).
Fehlerhafte Angaben in Mahnungen
Sind die im Mahnschreiben genannten Bescheide dem Leistungsberechtigten nicht bekannt, also i.d.R. nicht zugegangen, sind diese mangels Bekanntgabe nicht wirksam geworden (vgl. § 39 Abs. 1 SGB X) und die Forderung ist daher wegen fehlender Rechtsgrundlage (bestandskräftiger Bescheid) nicht rechtmäßig.
In der hiesigen Beratung musste auch festgestellt werden, dass die in den Mahnungen genannten Bescheide teilweise gar nicht existieren bzw. Bescheide mit dem angegebenen Datum zwar existieren, aber nie erlassen wurden (Entwürfe) bzw. andere Ursprungsbeträge benannten.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 06.12.2011, L 11 AS 97/10: Kein Wohnraummehrbedarf für Alleinerziehende!
Veröffentlicht: 8. März 2012 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft | Tags: Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Kosten der Unterkunft, Wohnraum-Mehrbedarf Alleinerziehende, Wohnraummehrbedarf für Alleinerziehende 2 KommentareIn der Rechtsprechung ist umstritten, ob alleinerziehenden Eltern im Sozialleistungsbezug ein Wohnraummehrbedarf entsprechend den jeweiligen landesrechtlichen Regelungen zum Wohngeld zusteht (dafür etwa LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 27.07.2010, L 9 AS 1049/09 B ER, Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 12.08.2011, L 15 AS 173/11 B ER, Sozialgericht Lüneburg, Urteil vom 03.09.2009, S 28 AS 1576/08 mit umfangreichem weiteren Nachweis).
Verwaltungsvorschrift zu § 10 WoFG
In Schleswig-Holstein gelten nach den landesrechtlichen Durchführungsbestimmung zu § 10 WoFG folgende Quadratmeterzahlen: 1 Person bis 50 qm, 2 Personen 50 bis 60 qm, 3 Personen 60 bis 75 qm und ab dann pro Person 10 qm mehr. Dem liegt die Vorstellung zugrunde, dass jede Person ein eigenes Zimmer haben sollte. Nach Nr. 8.5.5.1 VwV-SozWo 2004 SH ist ferner ein Wohnflächenmehrbedarf von einem Raum oder 10 qm grundsätzlich anzuerkennen u.a.bei Alleinerziehenden mit Kindern ab vollendetem 6. Lebensjahr.
Gründe für Wohnraummehrbedarf im Wohnraumförderungsrecht
In der Kommentarliteratur zu § 10 Abs. 1 Nr. 2 WoFG (Wohnungsgrößen) finden sich Hinweise zur Beantwortung der Frage, wann und warum ein Wohnraummehrbedarf zuzubilligen ist. Danach kann ein Wohnraummehrbedarf bei „besonderen persönlichen Bedürfnissen“ bestehen. Unter „besonderen persönliche Bedürfnisse“ werden – neben behinderungsbedingtem Wohnflächenmehrbedarf – alle Fallgestaltungen subsumiert, „in denen eine Wohnung, die nach der herkömmlichen Formel “pro Kopf ein Raum“ bemessen wird, nicht ausreicht, weil insbesondere ein gemeinsamer Schlafraum für mehrere Personen nicht zumutbar ist“ (Fischer-Dieskau, Pergande, Schwender, Wohnungsbaurecht, Kommentar, Band 1, 161. Erg.-Lfg., Nov. 2003, Anm. 5.2. zu § 10 WoFG [Seite 9]).
Als Beispiele werden in BT-Drucks 14/5538 zu § 10 Nr. 2 WoFG (Seite 48) genannt: Sehr hohe Kinderzahl, schwerwiegende Krankheits- und Pflegefälle, gesondertes Arbeitszimmer notwendig, zusätzlicher Raumbedarf von jungen Haushalten in der Familiengründungsphase.
Regelungen zum Inhalt Kommunaler Satzungen, § 22b SGB II
Auch in der amtlichen Begründung zu § 22b Abs. 3 SGB II n.F. (BT Drucks. 17/3404, S. 101 f) benennt der Gesetzgeber als weiteren Fall eines erhöhten Wohnraumbedarfes explizit alleinerziehende Eltern. Dort heißt es:
Die Vorschrift sieht vor, für bestimmte Personengruppen, die einen besonders abgesenkten oder erhöhten Bedarf für Unterkunft und Heizung haben, eine Sonderregelung für die Angemessenheit der Aufwendungen getroffen werden soll. Bei den betroffenen Personen kann der Wohnraumbedarf aus bestimmten Gründen typischerweise besonders hoch (zum Beispiel bei Bestehen einer Behinderung, die zu einem erhöhten Raumbedarf führt, oder bei Wahrnehmung des Umgangsrechts) oder besonders niedrig sein. Ein abgesenkter Bedarf kann zum Beispiel während der Berufsfindungsphase (siehe die in § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes enthaltene Regelaltersgrenze) bestehen. Denkbar ist auch, dass aus anderen Gründen vorübergehend eine besonders kostspielige Unterbringung notwendig ist (zum Beispiel bei vorübergehendem Aufenthalt in einer stationären Suchtklinik oder einem Frauenhaus) oder der Bedarf aus allgemeinen sozialen Gründen vom typischen Bedarf abweicht (zum Beispiel bei Alleinerziehenden).
Auch die Begründung zu § 22b Abs. 3 SGB II n.F. stützt damit die Rechtsauffassung, wonach es gute Gründe gibt, Alleinerziehenden einen Wohnraummehrbedarf zuzubilligen.
Übertragbarkeit auf den Regelungsbereich SGB II
Nach hiesiger Auffassung können und sollten die Erkenntnisse aus dem Wohnraumförderungsrecht für den Regelungsbereich SGB II fruchtbar gemacht werden, denn die Lebens- und Wohnsituation von Menschen ändert sich nicht dadurch, dass sie die Sozialleistung Wohngeld oder die Sozialleistung ALG II in Anspruch nehmen müssen. Bei Alleinerziehenden folgt ein regelmäßig erhöhter Wohnflächenbedarf aus nachfolgender Überlegung:
Im Regelfall nutzen zusammenlebende Paare mit oder ohne Kinder einen Wohnraum als gemeinsames Schlafzimmer und einen weiteren Raum als gemeinsames „Wohnzimmer“ für das familiäre Zusammenleben und auch etwa für den Empfang von Besuch. Dies entspricht – jedenfalls noch – den üblichen Wohn- und Lebensformen in Deutschland. Eine Ausnahme mag allenfalls für studentische Wohngemeinschaften gelten. Hier geht also die Formel “pro Kopf ein Raum“ auf.
Alleinerziehende benötigen demgegenüber einen eigenen Schlafraum für sich und – jedenfalls ab einem gewissen Alter der Kinder – auch für jedes Kind. Darüber hinaus ist einer Familie grundsätzlich ein gemeinsamer Raum für die „Ausübung des familiären Zusammenlebens“ zuzubilligen. In diesem Zusammenhang hat etwa die 34. Kammer am SG Kiel zutreffend wie knapp konstatiert (Beschluss v. 08.02.2012, S 34 AS 34/12 ER): „Von dem (…) Wunsch, gleichzeitig für die Familie ein Wohnzimmer und für die Eltern einen eigenen Schlafraum vorhalten zu können, würde sich auch ein Nichtleistungsempfänger in jedem Fall leiten lassen.“ Letzteres ist freilich eine Wertentscheidung, die sich auch anders treffen lässt. Im Interesse einer Einheit der Rechtsordnung wäre eine Abweichende Bewertung dann allerdings einheitlich für das Wohngeld sowie den Regelungsbereich SGB II und SGB XII zu treffen. Versuche, zwischen den Sozialleistungen rechtlich relevante Unterschiede zu konstruieren, überzeugen nicht.
In diesem Zusammenhang hat etwa das Sozialgericht Aachen in seinem Urteil vom 16.11.2005, S 11 AS 70/05, zutreffend ausgeführt:
„Jedoch führt die Ankoppelung des Begriffs der Angemessenheit iSd § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II an die im Wohnungsbindungsrecht für angemessen erachteten Wohnflächen auch dazu, dass der Leistungsträger nicht allein auf die dortigen tabellarischen Werte zurückzugreifen hat, sondern auch Ausnahmetatbestände dieses Rechtsgebietes zu berücksichtigten hat. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Wohnungsbindungsrecht solchen besonderen sozialen Situationen Rechnung trägt, die auch das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende als berücksichtigungsfähig anerkennt. Ein solcher Fall ist insbesondere der (in § 21 Abs. 3 SGB II dem Grunde nach als berücksichtigungsfähig anerkannte) Mehrbedarf wegen Alleinerziehung, dem auf dem Gebiet des Wohnungsbindungsrechts Nr. 5.72 VV-WoBindG NW Rechnung trägt. Hiernach ist ein zusätzlicher Raum oder eine zusätzliche Wohnfläche von 15 qm wegen besonderer persönlicher oder beruflicher Bedürfnisse zB Alleinerziehenden mit Kindern ab dem vollendetem 6. Lebensjahr zuzubilligen. Dass die Klägerin alleinerziehend ist, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig; der Beklagte hat in seinen Leistungsberechnungen einen Mehrbedarf wegen Alleinerziehung nach § 21 Abs. 3 SGB II anerkannt. Die beiden Kinder der Klägerin waren am 01.07.2005 11 und 13 Jahre alt. Dieser Ausnahmetatbestand, der nach dem Wohnungsbindungsrecht ein Abweichen von der Tabelle in Nr. 5.71 VV-WoBindG NW rechtfertigt, muss nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall deswegen zur Anwendung kommen, weil sich die Wohnsituation eines alleinerziehenden Erwachsenen mit 2 Kindern anders darstellt als die eines Ehepaares mit einem Kind: Während letztere die 3 nach der Tabelle in Nr. 5.71 VV-WoBindG NW vorgesehenen Räume als jeweils ein Wohn-, Schlaf- und Kinderzimmer nutzen können, müßte ein alleinerziehender Erwachsener mit 2 Kindern entweder beide Kinder in einem Zimmer unterbringen oder aber auf das Wohnzimmer verzichten.“
In den „Ersten Empfehlungen zu den Leistungen für Unterkunft und Heizung im SGB II (§ 22 SGB II)“ des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. vom 08.07.2008 werden auf Seite 11 als „Besonderheiten des Einzelfalls, die durch einen Bezug zum Wohnumfeld eine
Überschreitung des Richtwertes rechtfertigen können“, auch „Alleinerziehende“ genannt.
SH LSG: Kein Wohnraummehrbedarf für Alleinerziehende
In einer aktuellen Entscheidung hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht einen Wohnraummehrbedarf für Alleinerziehende nun abgelehnt. Das Gericht hat aber, weil die Frage von grundsätzlicher Bedeutung und bisher höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen.
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 6.12.2011, L 11 AS 97/10 – nicht rechtskräftig –
Die entscheidenden Ausführungen zur Frage eines Wohnraummehrbedarfs Alleinerziehender finden sich auf den Seiten 22 bis 27.
Das Revisionsverfahren ist beim BSG unter dem Aktenzeichen B 14 AS 13/12 R anhängig (vgl. Anhängige Rechtsfragen des 14. Senats, Stand 10.04.2012):
| B 14 AS 13/12 R | Vorinstanz: LSG Schleswig, L 11 AS 97/10 |
| Ist bei der Ermittlung der gem § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 angemessenen Unterkunftskosten die in Kiel geltende Wohnflächengrenze bei Alleinerziehung eines sechsjährigen Kindes zu erhöhen? | |
Zum Thema auf dieser Seite:
SG Schleswig lehnt erneut Wohnraummehrbedarf für Alleinerziehende ab!
Weiterführende Links:
http://sozialrechtsexperte.blogspot.com/2011/08/alleinerziehende-hartz-iv-empfanger.html
http://sozialrechtsexperte.blogspot.com/2012/03/kein-wohnraummehrbedarf-fur.html
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Zum Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung
Veröffentlicht: 27. Februar 2012 Abgelegt unter: Grundsicherung im Alter, Mehrbedarfe | Tags: § 30 Abs. 5 SGB XII kostenaufwendige Ernährung, Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. kostenaufwendige Ernährung, SG Schleswig Mehrbedarf kostenaufwendige Ernährung 4 KommentareSowohl in der Grundsicherung nach dem SGB XII (vgl. § 30 Abs. 5 SGB XII) als auch in der Grundsicherung für Arbeitssuchende (vgl. § 21 Abs. 5 SGB II) können bei bestimmten Erkrankungen Mehrbedarfe für kostenaufwendige Ernährung anerkannt werden. Zur Beurteilung der Frage, bei welchen Erkrankungen Leistungsberechtigte „aus medizinischen Gründen einer kostenaufwendigen Ernährung bedürfen“, greifen Behörden wie Gerichte auf die jeweils aktuellen Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zurück.
Rechtliche Qualifizierung der Empfehlungen des Deutschen Vereins
Unterschiedlich wird von den Gerichten dabei beurteilt, ob es sich bei den Empfehlungen um sog. „antizipierte Sachverständigengutachten“ handelt, an denen sich das Gericht im Regelfall orientieren kann, oder ob die Empfehlungen lediglich als eine „Orientierungshilfe“ heranzuziehen sind, welche das Gericht bei seiner Entscheidung zwar mit heranzuziehen hat, die aber im Wege der Amtsermittlung (§ 103 SGG) um weitere Erkenntnisquellen des Einzelfalles zu ergänzen sind. An den Kammern des SG Schleswig wird (wohl) überwiegend letztere Auffassung vertreten, die 11. Kammer sieht die Empfehlungen als „antizipiertes Sachverständigengutachten“.
BSG, Urteil vom 22.11.2011, B 4 AS 138/10 R
Das BSG hat zu dieser Frage in seiner Urteilsbegründung vom 22. November 2011 zum Aktenzeichen B 4 AS 138/10 R ausgeführt (vgl. Terminbericht Nr. 58/11 zur Terminvorschau Nr. 58/11):
„Anhand der vom LSG getroffenen Feststellungen kann auch nicht beurteilt werden, ob der Kläger einen Anspruch auf Mehrbedarf wegen Krankenkost hat. Das LSG hat insoweit gegen den Amtsermittlungsgrundsatz verstoßen, weil es Ermittlungsmöglichkeiten nicht genutzt hat, die sich vernünftigerweise aufdrängten. Das LSG hat insbesondere keine sachverständigen Auskünfte der den Kläger behandelnden Ärzte eingeholt, so dass keine belastbaren Feststellungen dazu getroffen worden sind, welche Krankheiten beim Kläger vorliegen und welche Anforderungen an sein Ernährungsverhalten hieraus folgen. Zur Klärung dieser medizinischen Fragen genügt die vom LSG im Wege des Urkundenbeweises eingeführte amtsärztliche Stellungnahme nicht, weil sie weder relevante Tatsachen noch nachvollziehbare Schlussfolgerungen enthält. Unabhängig von diesen Anforderungen weist der Senat darauf hin, dass allein mit den Empfehlungen des Deutschen Vereins vom 1.10.2008 zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe Verfahren der vorliegenden Art nicht erledigt werden können. Es handelt sich insoweit insbesondere nicht um ein antizipiertes Sachverständigengutachten, das auf der Grundlage der Angaben der Antragsteller normähnlich angewandt werden könnte.“
Entscheidung der 11. Kammer des SG Schleswig
In dem Verfahren S 11 SO 98/08 wurde von Klägerseite auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins von 1997 abgestellt. Danach hätte ein Anspruch auf Mehrbedarf bestanden. Nachdem die Klage am 20.04.2008 erhoben wurde, veröffentlichte der Deutsche Verein am 01.10.2008 seine grundlegend überarbeiteten Empfehlungen, nach denen bei den in diesem Verfahren nachgewiesenen Krankheiten kein Mehrbedarfsanspruch mehr bestand. Nachweise über einen dennoch bestehenden Ernährungsmehrbedarf im konkreten Einzelfall lagen für den streitigen Zeitraum nicht vor und konnten daher auch nicht beigebracht werden. Die – ursprünglich erfolgversprechende – Klage hatte daher vor der 11. Kammer des SG Schleswig im Februar 2012 (als rund 4 Jahre später!) keinen Erfolg mehr. Gegen das Urteil des SG Schleswig wurde keine Berufung eingelegt, da die Angelegenheit für die Klägerin, die heute nicht mehr von Grundsicherungsleistungen lebt, keine Bedeutung mehr hat. Für das Verfahren wurde Prozesskostenhilfe bewilligt.
Das Urteil des SG Schleswig vom 14.02.2012, S 11 SO 98/08 findet sich als Download hier:
SG Schleswig, Urt. v. 14.02.2012, S 11 SO 98/08
Weiterführende Links:
http://sozialrechtsexperte.blogspot.com/2012/02/zum-mehrbedarf-wegen-kostenaufwendiger.html
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Stellungnahme des Deutschen Mieterbundes zur Satzungsermächtigung für die Kosten der Unterkunft!
Veröffentlicht: 25. Februar 2012 Abgelegt unter: KdU-Satzung, Kosten der Unterkunft | Tags: KdU Satzung Schleswig-Holstein, KdU Stellungnahme Mieterbund, KdU-Satzung Ein Kommentar
Wie bereits berichtet, wurde den Ländern mit § 22a Abs. 1 Satz 1 SGB II n.F. die Möglichkeit eingeräumt, die Kreise und kreisfreien Städte durch Gesetz zu ermächtigen, die Angemessenheit der Höhe der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet durch Satzung zu bestimmen. Seit 09.01.2012 liegt dem Schleswig-Holsteinischen Landtag nun ein Gesetzesentwurf der Landesregierung (Drucks. 17/2159) vor, welcher am 25.01.2012 in die erste Lesung gekommen ist.
In seiner Stellungnahme vom 21.02.2012 äußert der Landesverband Schleswig-Holstein e.V. des Deutschen Mieterbundes erneut erhebliche Bedenken an dem Vorhaben an, die Bestimmung angemessener Unterkunftskosten den Kommunen als Kostenträgern zu überantworten. Die lesenswerte Stellungnahme, der sich die unabhängigen Beratungsstellen in Kiel – der Infoladen in der Hansastraße und der Verein für soziale Gerichtigkeit – sowie der Verfasser dieser Zeilen mit Überzeugung anschließen, findet sich hier.
Weitere Informationen zum Gesetzgebungsverfahren finden sich hier. Als einzige Partei spricht sich die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für eine Anhörung auch des Deutschen Mieterbundes, Landesverband SH, sowie des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes aus. Dies ist ausdrücklich zu begrüßen. Es mutet schon etwas sonderbar an, wenn – wie von den Fraktionen der SPD und der FDP vorgeschlagen – in einer Anhörung nur die Kommunen selbst und zwei am Gesetzgebungsverfahren zu den SGB II-Änderungen 2011 beteiligte Richter gehört werden sollen, nicht aber der Deutsche Mieterbund und jedenfalls ein großer unabhängiger Sozialverband – Institutionen, die bekanntermaßen über erhebliche Fachkompetenz auf diesem Gebiet verfügen. Die Fraktion DIE LINKE sowie die CDU und der SSW scheinen sich für dieses Thema im Übrigen gar nicht zu interessieren. Sie haben (bisher) keine Anzuhörenden benannt.
Weiterführende links zum Thema:
Rechtsschutzmöglichkeiten nach Erlass kommunaler KdU-Satzungen!
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Grundsicherung: Angemessene Unterkunftskosten auch nach nicht notwendigem Umzug!
Veröffentlicht: 24. Februar 2012 Abgelegt unter: Grundsicherung im Alter, Kosten der Unterkunft, Umzug | Tags: Grundsicherung Erstausstattung, Grundsicherung Kosten der Unterkunft, Grundsicherung Umzug, Umzug Grundsicherung 3 KommentareBezieher von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII haben einen Anspruch auf Übernahme ihrer Unterkunftskosten in Höhe der jeweiligen Mietobergrenze auch dann, wenn sie ohne Zustimmung des Leistungsträgers umgezogen sind. Dieser Anspruch folgt aus § 35 SGB XII. Auch bei einem nicht erforderlichen Umzug sind die Unterkunftskosten in angemessenem Umfang – d.h. in Kiel bis zu den von den Gerichten zugrunde gelegten Mietobergrenzen – anzuerkennen. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu der Regelung im SGB II (ALG II). Dort gilt nach § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II: „Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt.“
Der Leistungsträger kann notwendige Umzugskosten nicht mit der Begründung ablehnen, er habe die Zustimmung zum Umzug verweigert. Denn das Zustimmungserfordernis in § 35 Abs. 2 Satz 5 SGB XII bezieht sich auf die Umzugskosten und nicht auf den Umzug. Die Zustimmung zu den Umzugskosten kann aber bis zum Entstehen der Umzugskosten (Fälligkeit der Forderung) noch erteilt werden. Die Zustimmung ist zu erteilen (Ermessensreduzierung auf Null), wenn der Umzug notwendig ist, d.h. wenn ein plausibler, nachvollziehbarer Grund für den Umzug vorliegt, von dem sich auch ein Nichthilfebezieher leiten lassen würde. Dies ist insbesondere bei umfangreichem Schimmelbefall anzunehmen.
Leistungen für die Erstausstattung nach § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII umfassen einzelne Möbel und Haushaltsgeräte wie etwa einen Kühlschrank und sind zu erbringen, wenn der Bedarf erstmalig entsteht (Abgrenzung zum Erhaltungs- oder Ergänzungsbedarf ehemals vorhandener aber unbrauchbar gewordener Einrichtungsgegenstände oder Haushaltsgeräte).
Das alles ist nicht neu. Bei der Stadt Kiel müssen Hilfebedürftige die ihnen gesetzlich klar zustehenden Ansprüche aufgrund einer fachlich offenbar überforderten Rechtsabteilung leider dennoch im einstweiligen Rechtsschutz vor Gericht geltend machen. Traurig, aber wahr.
Der Beschluss des SG Kiel vom 23.02.2012, S 24 SO 4/12 ER findet sich zum Download hier:
SG Kiel, Beschluss vom 24.02.2012, S 24 SO 4/12 ER
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Schleswig-Holstein: Massive Zunahme bei Hartz-IV-Verfahren!
Veröffentlicht: 22. Februar 2012 Abgelegt unter: Sozialgerichte Hinterlasse einen KommentarEine massive Steigerung bei Streitverfahren von Hartz IV-Empfängern hat den Sozialgerichten in Schleswig-Holstein 2011 reichlich Arbeit beschert – und haufenweise neue Richterstellen. Hartz IV wird zur Richter-Arbeitsplatz-Beschaffungsmaßnahme. Dies berichten die Kieler Nachrichten in ihrer heutigen Ausgabe. (Zum Weiterlesen hier klicken.)
Keine Anrechnung von anrechnungsfreiem Einkommen des Partners bei gemischten Bedarfsgemeinschaften!
Veröffentlicht: 19. Februar 2012 Abgelegt unter: Einkommensanrechnung, Grundsicherung im Alter | Tags: BSG Urteil 9.6.2011 B 8 SO 20/09 R, Einkommensanrechnung gemischte Bedarfsgemeinschaften, Einkommensanrechnung Hartz IV Grundsicherung 2 KommentareLebt ein Bezieher von Leistungen nach dem SGB II (Hartz IV) mit einem Bezieher von Leistungen nach dem SGB XII (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Hilfe zum Lebensunterhalt) zusammen und hat der ALG II-Leistungsberechtigte zusätzliches Einkommen, so entsprach es der gängigen Praxis der Grundsicherungsbehörden der Landeshauptstadt Kiel, den im SGB II anrechnungsfrei verbleibenden Einkommensanteil nach Abzug etwaiger Absatzbeträge anspruchsmindernd auf die Grundsicherungsleistungen des Leistungsberechtigen nach dem SGB XII anzurechnen.
Beispiel: Der ALG II-Berechtigte hat ein Einkommen von 200 €, 120 € hiervon verbleiben ihm anrechnungsfrei. Diese 120 € werden – nach Abzug pauschalierter Werbungskosten von 5,20 € – nach § 82 Abs. Abs 3 SGB XII abzüglich eines Freibetrages von 30 % in Höhe von 80,36 € (70 % von 114,80 €) auf den Grundsicherungsanspruch des SGB XII-Berechtigten angerechnet.
Rechtswidrig, entschied das BSG. Das im Hartz IV-Bezug anrechnungsfrei verbleibende Einkommen darf nicht als Einkommen des Grundsicherungsbeziehers auf dessen Leistungsanspruch angerechnet werden. Die Besonderheiten bei Hartz IV – insbesondere die großzügigeren Freibeträge bei Erwerbseinkommen – müssen nämlich zur Vermeidung einer anderenfalls bestehenden Ungleichbehandlung von gemischten Bedarfsgemeinschaften mit reinen Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften auch im Rahmen der Berechnung des Grundsicherungsanspruches berücksichtigt werden. Dies sei – etwa über die Härtefallregelung nach § 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XII – auch möglich.
In den Worten des BSG
Das BSG hat in seinem Urteil vom 9.6.2011 (B 8 SO 20/09 R) ausgeführt (zu 11., Rz. 24):
„Beziehen neben dem Leistungsberechtigten nach dem SGB XII die übrigen Mitglieder der gemischten Bedarfsgemeinschaft Alg II nach dem SGB II, dürfte es zwar in der Regel nicht zu einer Berücksichtigung von Einkommen nach § 43 Abs. 1 SGB XII kommen; sollte jedoch – etwa im Hinblick auf großzügigere Freibeträge nach § 30 SGB II – dennoch ein Einkommensüberschuss verbleiben – denkbar insbesondere bei aus zwei Personen bestehenden gemischten Bedarfsgemeinschaften – gilt der Grundsatz, dass die Berechnung der Sozialhilfeleistung nach Maßgabe des SGB XII nicht dazu führen darf, dass Einkommen, das nach der Zielsetzung des SGB II geschont werden soll, gleichwohl zu Gunsten der dem SGB XII unterworfenen Personen verwertet werden muss. Besonderheiten des SGB II können zur Vermeidung einer anderenfalls bestehenden Ungleichbehandlung von gemischten Bedarfsgemeinschaften mit reinen Bedarfsgemeinschaften etwa im Rahmen von Härtefallregelungen – bei Einkommen § 82 Abs. 3 Satz 3 SGB XII, bei Vermögen § 90 Abs 3 SGB XII (…) – berücksichtigt werden. Deshalb ist letztlich ggf. noch eine Vergleichsberechnung nach Maßgabe des SGB II für die diesem System unterworfenen Personen erforderlich (…) und ein weiterer Freibetrag nach § 82 Abs 3 Satz 3 SGB XII anzuerkennen (…). Danach kann nämlich abweichend von Abs. 3 Satz 1 in begründeten Fällen ein anderer Betrag vom Einkommen abgesetzt werden (…). Die Regelung ist als Öffnungsklausel oder Auffangtatbestand (…) zu verstehen, die es dem Sozialhilfeträger insbesondere zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung ermöglicht, von einer Einkommensanrechnung ganz oder teilweise abzusehen (…). § 82 Abs 3 Satz 3 SGB XII ist dabei als generelle Härteklausel für alle denkbaren Einkommen zu verstehen, weil nur so den Gerichten und der Verwaltung die Möglichkeit eingeräumt wird, unbillige Ergebnisse zu vermeiden und bei Leistungen nach unterschiedlichen Grundsicherungssystemen eine Harmonisierung zu erreichen (…). Es ist auch kein Grund erkennbar, weshalb ein nach § 83 Abs. 3 Satz 3 SGB XII begründeter Fall, der ein Abweichen von der Regel des § 82 Abs. 3 Satz 2 SGB XII rechtfertigt, um unbillige Ergebnisse zu vermeiden, nur bei Einkommen aus selbstständiger und nichtselbstständiger Tätigkeit des Leistungsberechtigten denkbar sein sollte. § 83 Abs 3 Satz 3 SGB XII ist deshalb auch die einschlägige Norm, um ggf. aus der unterschiedlichen Regelung zum Kindergeld resultierende sachwidrige Ergebnisse zu vermeiden (…).“
Stadt Kiel gibt Klageanerkenntniss ab
Die nun vom BSG bestätigte Rechtsauffassung wurde hier schon seit geraumer Zeit vertreten. In der Folge dieser Entscheidung gab die Landeshauptstadt Kiel in dem Verfahren vor dem SG Kiel zum Az. S 24 SO 4/10 ein Klageanerkenntnis ab. Anerkenntnisse in weiteren Verfahren dürften folgen.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Neue Richtlinie zu den Kieler Mietobergrenzen!
Veröffentlicht: 15. Februar 2012 Abgelegt unter: Mietobergrenzen, Stadt Kiel | Tags: Mietobergrenze Kiel, Mietobergrenze Kiel 2012, Mietobergrenzen Jobcenter Kiel, Mietobergrenzen Jobcenter Kiel 2012, Mietobergrenzen Kiel, Mietobergrenzen Kiel 2012 2 Kommentare
In der Ratsversammlung am 15.03.2012 wird die Kieler Ratsversammlung über die Neufassung der Richtlinien über die Angemessenheit von Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II und § 35 SGB XII entscheiden. Die Begründung zur Beschlussvorlage findet sich hier, die neue Richtlinie (in der Fassung vom 17.03.2012, Datum des Inkrafttretens 01.04.2012) hier.
Einige kritische und einige lobende Anmerkungen
Zu 1. Die Erhöhung der Bruttowarmobergrenze für unter 25jährige ohne abgeschlossene Berufsausbildung von 205 € auf nun 224 € ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings ist die Berechnung nicht bekannt.
Zu 2. a) Die Privilegierung der sozialen Wohnraumförderung ist nicht gerichtsfest und mit Art. 3 GG unvereinbar.
Zu 2. e) Ausdrücklich zu begrüßen ist, dass im Einzelfall auch höhere Betriebskosten anerkannt werden können. Nachvollziehbar ist, dass hierfür die Nettokaltmiete (Grundmiete ohne Betriebskosten) angemessen sein muss. Da die Richtlinie allerdings die Nettokalt-Mietobergrenzen nicht benennt, ist die Richtlinie aus sich heraus weder verständlich noch anwendbar. Es wird daher vorgeschlagen, in der Mietobergrenzentabelle auf der ersten Seite der Richtlinie auch die reinen Nettokaltmietobergrenzen aufzunehmen, um die Richtlinie handhabbar zu machen.
Zu 3. 1 Die Voraussetzungen, unter denen Doppelmieten zu übernehmen sind, hätten benannt werden sollen. Einschlägige Rechtsprechung hierzu liegt vor. Mehr zum Thema hier.
Zu 3. 1 a) Der Wohnraumbedarf Alleinerziehender ist höchstrichterlich noch nicht geklärt. Die Entscheidung des BSG im Verfahren B 14 AS 13/12 R bleibt abzuwarten.
Zu 3. 1 b) Bei Trennung und Scheidung liegt regelmäßig ein Umzugsgrund vor.
Zu 3. 1 g) Die Regelungen zur Unbewohnbarkeit einer Wohnung sind zu eng. Insbesondere die – teilweise kaum mehr nachvollziehbaren da rechtliche statt gesundheitlich Überlegungen anstellenden (etwa SG Kiel, Beschluss vom 29.07.2009, S 9 AS 399/09 ER) – Stellungnahmen des Amts für Gesundheit können nicht maßgebend sein.
Zu 3.2 a) Die Anmietung zu kleiner Wohnungen ist leider häufig den niedrigen Mietobergrenzen geschuldet.
Zu 5. a) Die Aufklärung und Beratung bei Überschreitung der maßgeblichen Mietobergrenze erschöpft sich seit Jahren mehr oder weniger in der Aushändigung der Kostensenkungsaufforderung. Es gibt vielgestaltige Möglichkeiten, einen Umzug zu vermeiden. Häufig kann es genügen, zu hohe Betriebskostenvorauszahlungen auf die Höhe der in den vergangenen Jahren monatlich tatsächlich zu zahlenden Betriebskosten anzupassen. Typische Beispiele wie dieses sollten in einer Richtlinie benannt werden.
Zu 5. b) bis e) Die Regelungen sind zu begrüßen. Es bleibt aufgrund der Erfahrung mit Vorgängerregelungen zu hoffen, dass diese auch tatsächlich zur Anwendung kommen. Das – sozialpolitisch nicht unvernünftige – Thema stadtteilbezogen differierender Mietobergrenzen (vgl. dazu den Ratsbeschluss vom 14.05.2009) scheint damit allerdings vom Tisch zu sein.
Zu 6. Die Regelungen sind uneingeschränkt zu begrüßen. Aufgrund der unterschiedlichen Brennstoffe und Gebäudetypen ist eine abstrakte Festlegung von Obergrenzen sachgerecht kaum möglich.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
50plus KERNig: 800 neue Jobs oder nur 800 neue Arbeitsverträge für die Statistik?
Veröffentlicht: 12. Februar 2012 Abgelegt unter: 50PlusKERNig Kiel | Tags: 50+ KERNig, 50Plus KERNig Kiel, 50Plus KERNig Kiel Callcenter, Avocis Kiel, Callcenter Kiel, Jobcenter Kiel, Jobcenter Kiel 50+, Jobcenter Kiel Callcenter, Perspektive 50plus 5 KommentareNach eigenen Angaben der kooperierenden Jobcenter Kiel, Neumünster und Rendsburg-Eckernförde betreut das Gemeinschaftsprojekt 50plus KERNig 3.200 Kunden, von denen 1.100 im Jahr erfolgreich in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis vermittelt werden sollen. Seit dem offiziellen Start des Projekts im März 2011 sollen mittlerweile bereits 800 Bewerber über 50 durch die Mitarbeiter des Projekts in Arbeit gebracht worden sein. In den Kieler Nachrichten vom 10.12.2011 fragte Jürgen Küppers mit vernehmlichem Erstaunen „Wo sind denn die vielen Jobs?“ In der Tat grenzen die Erfolgsmeldungen der Projektleiterin Barbara Veldten geradezu an ein Wunder. Sollte sich das Problem der Arbeitslosigkeit bei über 50jährigen tatsächlich wie von Zauberhand lösen lassen? Genügt es, einfach „den größten Arbeits- und Bildungsmarkt in Schleswig Holstein“ zu erschließen und die „Fähigkeiten und Ressourcen aller Beteiligten zu bündeln“, wie es in den schönsten Werbefloskel auf der Website des Projekts mit dem grünen Logo heißt?
„Gutes“ Stellenangebot vor allem bei Callcentern
Wer von der Projektleiterin Zauberformeln erwartet, wird schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Vor allem im Dienstleistungsbereich, so lautet die Auskunft der „Arbeitsmarktexpertin“, gebe es mitterweile ein gutes Stellenangebot. Welcher Dienstleistungsbereich gemeint ist, wissen Kunden des Jobcenters Kiel sofort: Die selbsternannten „Premiumanbieter“ von „Dialogmarketing„, die sich auf den Brachflächen der Hörn niedergelassen haben, kurzum: Callcenter.
Ob dieses Stellenangebot tatsächlich ein „gutes“ ist, daran scheinen sogar die Journalisten der Kieler Nachrichten allmählich Zweifel zu beschleichen. Liest sich der vollständige Bericht in der Printausgabe der Kieler Nachrichten noch, als sei dieser den KN von einem der „Premiumanbieter“ höchstpersönlich in die Feder diktiert worden, so fragen die Kieler Nachrichten in ihrer Online-Ausgabe jetzt unter dem immer noch euphemistischen Titel „Kiel – Jobmotor Callcenter: Attraktive Arbeit oder schlecht bezahlter Stressjob?“. Betroffene werden dort aufgefordert, den KN ihre Erfahrungen zu schildern.
Ein Erfahrungsbericht
Im Call-Center
Nun bin ich wieder zurück im Jobcenter 50+. Als Call-Center-Agenten wollte mich die Firma Avocis in Kiel auf Dauer nicht haben. Der Personalchef und der Abteilungsleiter nannten nach fünf Wochen drei Gründe für meine Kündigung: zu wenige Calls, wobei die Anzahl aber nicht im Vordergrund stehe, sondern vor allem zu wenig fachkompetent wirkend, und zu lange Gesprächspausen am Telefon.
Von zehn Leuten, die angefangen waren, sind nun nach mir nur noch dreieinhalb da. Halb, weil ein Mädchen nur halbtags arbeitet. Die anderen sind alle vor mir gegangen, von selbst. Ich war der einzige, der „die Stellung“ bis zur „gewaltsamen Entfernung“ gehalten hat. Eine Mitanfängerin hatte ein paar Tage vor mir freiwillig aufgehört. Sie war so fertig, dass sie nicht mehr konnte, – ihre Erschöpfung stand ihr im Gesicht. Sie hat einen Aufhebungsvertrag unterschrieben, um dem Stress ein Ende zu setzen. Mir war’s lieber, eine richtige Kündigung zu erhalten, als selbst einen für mich bestimmt nachteiligen Aufhebungsvertrag zu unterzeichnen. Richtig traurig bin ich nicht darüber, dass ich nicht mehr acht Stunden ein Call hinter dem anderen abarbeiten muss. Für 7,5 € die Stunde. Meine Sachbearbeiterin vom Jobcenter hatte von neun gesprochen. Wie ich dann im Laufe der Schulung gelernt habe, gibt es sieben als Grundlohn. Dazu kommen vier Prämien, – wenn sie dazu kommen?
Die erste ist für rege Teilnahme. Man muss mindestens zwischen 85 und 90 Prozent (den genauen Wert weiß ich nicht mehr) der Arbeitszeit auch wirklich telefonieren. Macht man mehr Pausen, fällt der Bonus von 50 Cent je Stunde weg. Pausen muss man aber machen, sonst hält man das Dauer-Telefonieren mit den oft genervten Kunden nicht durch. Schließlich hängen die in der Regel eine Viertelstunde in der Warteschleife und haben ein Problem. Erst mal den Kunden auffangen, habe ich in der dreiwöchigen Schulung gelernt: „Jetzt aber bin ich für sie da!“ Das heißt, nachdem ich um die siebeneinhalb Stunden am Tag für die Kunden der Telekom dagewesen bin, gibt’s dafür 50 Cent plus. Um aber wirklich auf acht Stunden Verdienst zu kommen, müsste man länger arbeiten. „Ich müsste mal nachfragen, ob ich neun Stunden arbeiten kann, um auf die acht Stunden zu kommen?“, hatte sich einer der mit mir angefangen Kollegen überlegt.
Den zweiten Bonus gibt’s für die Einhaltung der Call-Zeit. Ein Gespräch soll nämlich nicht mehr als 520 Sekunden dauern. Spricht man, oder der Kunde mit einem, länger, bezahlt die Telekom an seinen Subunternehmer Avocis trotzdem nur für 520. Dem Agenten wird zwar für das Überschreiten der Zeit nichts abgezogen, aber er kriegt die Prämie nicht. Damit die 520 bezahlten Sekunden im Focus der Agenten bleiben, bekommen sie etwa dreimal am Tag die durchschnittlichen Call-Zeiten per E-mail auf den Rechner. In der Tabelle sind die Mitarbeiter, anonym per Personalnummer, und ihre Zeiten aufgelistet. Oben stehen zuerst die langsamen Zeiten in Rot, unten die schnelleren Zeiten in Schwarz. Rot ist alles, was über 590 Sekunden ist. Den Bonus gibt’s nämlich gestaffelt von 520 bis 590 Sekunden. Wer 520 im Durchschnitt schafft, kriegt 50 Cent Bonus auf die Stunde. Wer 590 Sekunden schafft, immerhin noch 10 Cent. Dazwischen war die Staffelung, glaube ich, wie folgt: für 540 Sekunden 40 Cent, für 560 30 Cent, für 580 20 Cent.
Die 3. Prämie gibt’s für das Erreichen des Gruppenziels. Schaffen alle Mitarbeiter die 520 Sekunden, gibt’s wiederum 50 Cent.
Die 4. Prämie gibt’s, wenn ich mich genau erinnere, für das Erreichen des Qualitätsziels. Die Telekom hat nämlich ein Marktforschungsinstitut damit beauftragt, Kunden anzurufen und sie zu fragen, wie zufrieden sie mit dem Service der telefonischen Beratung waren. Ich glaube, die Kategorien, die zur Auswahl stehen, heißen: äußerst zufrieden, sehr zufrieden, zufrieden, unzufrieden oder äußerst unzufrieden. „Äußerst“ weiß ich jedenfalls genau; denn wir wurden immer wieder darauf hingewiesen, dass wir uns mit einem „Wir wünschen ihnen noch einen äußerst angenehmen Tag!“ verabschieden sollen. Das „äußerst“ sei wichtig, weil sich der Kunde dann vielleicht erinnert, sich bei der Befragung mit einem „äußerst zufrieden“ zu äußern. Liegt das Qualitätsniveau der Umfrage bei „äußerst zufrieden“, gibt’s weitere 50 Cent Prämie für alle. Das heißt, im günstigsten Falle sind in der Tat neun Euro Stundenlohn möglich.
Es wurden uns allerdings einige Umfrageauswertungen gezeigt. Die Ergebnisse darin entsprachen immer einer Glockenkurve, das heißt, die meisten befragten Kunden waren damit zufrieden, sich mit einem „zufrieden“ zu äußern. Neun Euro Stundenlohn sind also nur in der Theorie zu erreichen.
Manchmal muss der Agent jedoch in Kauf nehmen, dass der Kunde „äußerst unzufrieden“ zurückbleibt. Dann nämlich, wenn eine Dienstleistung eigentlich von einem anderen Anbieter erbracht werden müsste. Ich hatte den Fall, dass ein Kunde um einen Techniker der Telekom bat, um ein Kabel von Vodafone an die APL der Telekom anzuschließen. Nach Rücksprache mit dem sogenannten Helpdesk, der im Call-Center als Ansprechpartner bei etwaigen Fragen den Agenten zur Verfügung steht, musste ich ihm jedoch sagen, dass er sich an Vodafone wenden müsse. Anders ginge es nicht. Später fragte ich meine Ausbilderin in einer Nachschulung, ob man den Kunden nicht trotzdem hätte zufrieden stellen können. Schließlich sei er auch Telekom-Kunde. „Ich hätte ihm nur zu sagen brauchen, dass er einen Elektro-Meister anrufen soll, der das Zertifikat hat, den Anschluss der Telekom zu öffnen.“ Die Antwort war: „Das ist nicht unsere Aufgabe. Du denkst zu kundenorientiert.“
Avocis gehört übrigens einer Schweizer Bank.
Einige Nachfragen
Wissen Sie, wie hoch die Eingliederungszuschüsse waren, die ihr Arbeitgeber vom Jobcenter – d.h. vom Steuerzahler – erhalten hat?
Meines Wissens hat der AG, soll wohl in diesem Fall Arbeitgeber bedeuten, 70 Prozent gezahlt. Ich habe ein Schreiben vom JC bekommen, dass das JC 30 Prozent beisteuert. (Das ist natürlich eine Frechheit. Eine Diskriminierung.)
Können Sie sagen, mit wie vielen Leidensgenossen Sie bei Ihrem Callcenter angefangen haben und wie viele über die 12 Monate hinaus gearbeitet haben?
Ich habe mit neun weiteren angefangen. Von zwölf Monaten kann keine Rede sein, denn nach fünf Wochen waren sie nach meinem Weggang nur noch dreieinhalb.
Gab es Verträge über 12 Monate?
Mein Arbeitsvertrag war von vornherein auf zwölf Monate befristet.
Wie viele Arbeitsverhältnisse endeten circa vor 12 Monaten und wie (Kündigung, Aufhebungsvertrag, Arbeitgeberkündigung)?
Einen Aufhebungsvertrag hat man mir glücklicherweise nicht angeboten. Der Arbeitsvertrag liegt im JC. Das wollte ihn sehen, und ich habe mich nicht darum gekümmert, ihn wieder zurück zu bekommen.
Die Arbeitsvertragsgeneratoren
Erfahrungsberichte wie dieser sind hier in erheblichem Umfang bekannt. Berichtet wird unisono auch, dass schon nach wenigen Wochen ein Großteil der neu angestellten „Callcenter-Agents“ wieder das Handtuch geworfen hat. In dem hier exemplarisch geschilderten Fall waren es rund 70 % nach circa 5 Wochen. Die übrigen „Agenten“ dürften es nur unwesentlich länger ausgehalten haben. Die Kieler Erfahrungen mit der Branche sind dabei nichts Ungewöhnliches: Arbeitsplätze in Callcentern sind geeignet als Gelegenheitsjobs für Studenten oder für die Überbrückung kurzer Zeiten der Arbeitslosigkeit – auf Dauer angelegte Beschäftigungsverhältnisse sind es für die „Callcenter-Agents“ nicht. Unter anderem deswegen sind die Arbeitsverträge allesamt auch auf 12 Monate befristet.
Woher rührt nun aber die Begeisterung der Jobcenter für diese Arbeitgeber? Ein Grund ist sicherlich, dass es in Kiel schlicht an Arbeitsplatzalternativen mangelt – fehlender Entwicklungskonzepte für die Stadt sei Dank. Entscheidender dürfte indessen sein, dass die Symbiose zwischen Callcentern und Jobcentern für diese eine klassische Win-Win-Situation ist: Die Jobcenter bieten fortlaufend hoch subventionierte Arbeitskräfte frei Haus, die Callcenter „liefern“ den Jobcentern Arbeitsverträge und damit die Möglichkeit, Erfolgsmeldungen zu verbreiten – und nichts brauchen Projekte wie 50Plus KERNig zur Begründung ihrer eigenen Daseinsberechtigung schließlich mehr.
Weiterführende Links:
http://www.kununu.com/de/all/de/bc/perry-und-knorr
http://www.verdi-news.de/download/Studie_Arbeitsverhaeltnisse_im_Dienstleistungssektor.pdf
Zum selben Thema auf dieser Seite:
Förderrichtlinie für Teilnehmer am Projekt 50plus KERNig!
50plus KERNig aus der Sicht von Teilnehmern!
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Weniger Kinder in Hartz IV – und dafür mehr im Wohngeldbezug!
Veröffentlicht: 4. Februar 2012 Abgelegt unter: Statistiken | Tags: § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II, Weniger Kinder in Hartz IV, Wohngeld für Kinder in Hartz IV-Familien 2 KommentareIn Deutschland müssen immer weniger Kinder von Hartz IV leben. In den fünf Jahren von September 2006 bis September 2011 sank die Zahl der unter 15-Jährigen, die Leistungen nach dem SGB II erhielten, von knapp 1,9 Millionen auf etwa 1,64 Millionen. Besonders deutlich war der Rückgang im Jahr 2011: Von September 2010 bis 2011 schrumpfte die Zahl der unter 15-Jährigen in Hartz-IV-Haushalten um fast 84.000. Dies geht aus einer Analyse der Bundesagentur für Arbeit (BA) hervor, wie unter anderem die Süddeutsche Zeitung berichtet.
Konzertierte Schönfärberei
BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt wertet dies als Erfolg: „Weniger Kinder in Hartz IV bedeutet, dass es den Jobcentern gelungen ist, ihre Eltern in Beschäftigung zu integrieren.“ Diese Behauptung – so unzutreffend sie für alle Kenner der Materie auch sein mag – ist von praktisch allen Medien unhinterfragt weiterverbreitet worden. Richtig ist: Die rückläufige Zahl von Kindern in „Hartz IV“ wurde erkauft durch eine höhere Zahl von Kindern im Wohngeldbezug – also lediglich einer anderen Sozialleistung -, die vorrangig vor Hartz IV zu beantragen ist.
Rechtlicher Hintergrund
§ 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II bestimmt, dass Kinder und junge Erwachsene nicht zur Bedarfsgemeinschaft ihrer Eltern gehören, wenn sie ihren Lebensunterhalt aus eigenem Einkommen sicherstellen können. Das ist der Fall, wenn das Einkommen ihren Bedarf übersteigt. Der Bedarf berechnet sich aus dem jeweiligen Regelsatz, gegebenenfalls Mehrbedarfszuschlägen und dem Prokopfanteil der Unterkunfts- und Heizkosten. Können Kinder diesen – eigenen – Bedarf aus eigenem Einkommen – etwa Kindergeld, Kinderzuschlag, Unterhalt oder Unterhaltsvorschuss, Waisenrente und Wohngeld – decken, fallen sie aus dem SGB II-Bezug und damit auch aus der ALG II-Statistik heraus.
Ein Blick zurück
Ab etwa 2008 haben die Jobcenter bundesweit verstärkt – teilweise unter Androhung des vollständigen Leistungsentzuges – damit begonnen, Familien im Hartz IV-Bezug aufzufordern, für ihre Kinder einen Wohngeldantrag zu stellen. Aufgrund erheblicher Proteste schlug das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in einer Empfehlung vom 05.06.2008 den Jobcentern vor, die Eltern zur Beantragung von Wohngeld aufzufordern und bei Weigerung selbst den Wohngeldantrag zu stellen (§ 5 Abs. 3 SGB II). In der Folge fielen viele Kinder aus dem SGB II-Bezug heraus – und in den Wohngeldbezug hinein.
Der Effekt lässt sich in der Wohngeldstatistik sehr schön ablesen: Allein von 2009 auf 2010 stieg die Zahl der sog. „Mischhaushalte“ von 148.000 auf 204.000. Dies entspricht einer Erhöhung um 38 %. Bei „Mischhaushalten“ handelt es sich um Haushalte, in denen Empfänger von staatlichen Transferleistungen, die nicht selbst wohngeldberechtigt sind, mit Personen zusammen leben, die wohngeldberechtigt sind – also die „Hartz IV-Familien“, die aufgefordert wurden, Wohngeld für die Kinder zu beantragen. Die Tabelle findet sich hier, eine instruktive Erläuterung hier.
Wer profitiert?
Für die betroffenen Familien und die Kinder hat die Beantragung von Wohngeld im Regelfall keine finanziellen Vorteile, zumal der den Bedarf der Kinder übersteigende Kindergeldanteil – gegebenenfalls abzüglich der 30 € Versicherungspauschale – bei den Eltern leistungsmindernd anzurechnen ist. Der Gang zu zwei Ämtern sowie die Abstimmung zwischen den Ämtern ist zudem naturgemäß mit erheblichem weiteren Ärger und bürokratischem Aufwand verbunden.
Auch für die „öffentliche Hand“, d.h. letzten Endes den Steuerzahler, sind unter dem Strich keine Einsparungen zu erwarten, sondern im Gegenteil Mehrkosten durch einen erhöhten Verwaltungsaufwand.
Geholfen hat der Gang der Familien zum Wohngeldamt allein der Regierung, der Bundesagentur für Arbeit und den Jobcentern, die – einem uninformierten Journalistenstand sei Dank – ungestraft neue Jubelmeldungen über die angeblich „sinkende Kinderarmut“ verbreiten können.
Weiterführende Links:
http://www.tacheles-sozialhilfe.de/aktuelles/2009/kinderbedarfsgemeinschaft.aspx
http://www.frank-jaeger.info/ordner/das-gehort-geschrieben
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Mietobergrenzen auch in Itzehoe rechtswidrig
Veröffentlicht: 4. Februar 2012 Abgelegt unter: Mietobergrenzen | Tags: Kosten der Unterkunft Itzehoe, Mietobergrenzen Itzehoe, SG Itzehoe Urteil vom 26.01.2011 S 10 AS 521/07 Hinterlasse einen KommentarBereits mit Urteil vom 26.01.2011 hat die 10. Kammer am SG Itzehoe entschieden, dass die Mietobergrenzen in Itzehoe nicht auf einem „schlüssigen Konzept“ im Sinne der Rechtsprechung des BSG beruhen. Mangels anderweitiger Erkenntnisquellen – insbesondere einem qualifizierten Mietspiegel – seien deswegen die Tabellenwerte zu § 8 WoGG (jetzt: § 12 WoGG) zuzüglich eines Sicherheitszuschlages von 10 % heranzuziehen.
Weiter hat das Gericht in diesem Urteil bestätigt, dass mietvertraglich vereinbarte Zuschläge für die Möblierung als Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II zu übernehmen sind.
SG Itzehoe, Urteil vom 26.01.2011, S 10 AS 521/07 (rechtskräftig)
Nachtrag 20.11.2012: Das Jobcenter Steinburg informiert seine Kunden weiterhin falsch:
http://www.jobcenter-steinburg.de/leistung/unterkunft-heizung/miethoechstsaetze
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Geld für den Schulbus i.d.R. bei mehr als 30 Minuten Schulweg!
Veröffentlicht: 3. Februar 2012 Abgelegt unter: Bildungs- und Teilhabepaket | Tags: Bildungs- und Teilhabepaket Kosten Schülerbeförderung, Kosten der Schülerbeförderung, Kosten der Schülerbeförderung nach § 28 SGB II, Kosten der Schülerbeförderung nach § 34 a SGB XII, Kosten der Schülerbeförderung nach § 6b BKGG, Schülerbeförderungskosten § 28 SGB II, X § 34 a SGB XII 4 KommentareBei Schülerinnen und Schülern, die für den Schulbesuch der nächstgelegenen Schule „auf Schülerbeförderung angewiesen“ sind, werden die dafür erforderlichen tatsächlichen Aufwendungen auf Antrag erstattet, soweit die Familie ALG II, Grundsicherung, Hilfe zum Lebensunterhalt, Kinderzuschlag, Wohngeld oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhält. Voraussetzung ist, dass der Schüler auf eine Schülerbeförderung im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) „angewiesen“ ist. Es muss dem Schüler mithin objektiv „unzumutbar“ sein, den Schulweg zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückzulegen.
Landeshauptstadt Kiel: Entfernung entscheidend
Die Regelungen der Landeshauptstadt Kiel orientieren sich bisher zur Bestimmung der „Zumutbarkeit“ an der Entfernung zwischen Wohnung und Schule. Die Zurücklegung des Schulwegs ohne ein Verkehrsmittel soll danach erst dann nicht mehr „zumutbar“ sein, wenn der Schulweg der kürzesten Wegstrecke für Schülerinnen und Schüler bis zur Jahrgangsstufe vier 2 Kilometer und für Schülerinnen und Schüler ab der Jahrgangsstufe fünf 4 Kilometer überschreitet.
29. Kammer am SG Kiel: Es kommt auf den Zeitaufwand an
In einer aktuellen Entscheidung hat die 29. Kammer am Sozialgericht Kiel (S 29 AS 512/11 ER) nun die „Unzumutbarkeit“ und damit das „Angewiesensein“ auf öffentliche Verkehrsmittel nach dem Zeitaufwand für den Schulweg bestimmt: Eine „Angewiesenheit“ auf Schülerbeförderung ist danach gegeben, „wenn der Schulweg mit dem Fahrrad unter Berücksichtigung der kürzesten verkehrssicheren Wegstrecke, dem Alter sowie der körperlichen Konstitution der Schülerin oder des Schülers länger als 30 Minuten in Anspruch nehmen würde“. Da ein Schulweg von vier Kilometern mit dem Fahrrad in der Regel innerhalb einer halben Stunde zurückzulegen sein dürfte, nicht jedoch zu Fuß, kommt es nach dieser Rechtsprechung entscheidend darauf an, ob die Schülerin oder der Schüler Rad fahren kann und auch ein Fahrrad besitzt.
Bei älteren Schülern einstündiger Schulweg zumutbar?
Allerdings soll nach Auffassung der Kammer einem „fast Achtzehnjährigen“ auch ein Schulweg von einer Dauer von 60 Minuten je Richtung und damit die Zurücklegung einer Strecke von 4 Kilometern – also insgesamt 8 Kilometer pro Schultag – zumutbar sein. Diese – vom Gericht nicht näher begründete – Rechtsmeinung, mit welcher sich das Gericht zudem in Widerspruch zu seiner gerade zuvor noch aufgestellten These, ein zumutbarer Schulweg müsse auch und gerade unter Berücksichtigung des Alters des Schülers in 30 Minuten zurückgelegt werden können, setzt, vermag nicht zu überzeugen. Ein täglicher Schulweg von 2 Stunden – zurückzulegen zu Fuß gegebenfalls bei Schnee und Regen – ist nicht mehr zumutbar.
Bei einer zeit- und realitätsgerechten Würdigung der aktuellen Gegebenheiten der Schülerbeförderung ist davon auszugehen, dass Schulwege von einer Stunde je Richtung – anders als früher – in der Regel auch von Schülern aus einkommensschwächeren Bevölkerungskreisen nicht mehr zu Fuß bewältigt werden. Dabei ist zu beachten, dass ein Schulweg nicht nur ein- oder zweimal wöchentlich, sondern an den Schultagen regelmäßig zurückgelegt werden muss. Auf ihrem Schulweg sind die Kinder deshalb in verstärktem Maße Witterungseinflüssen ausgesetzt, ohne dass sie ihnen entgehen könnten, denn der Unterricht beginnt und endet zu festgelegten Zeiten. Die mit der Witterung – gerade in der Winterzeit – als auch die mit dem Fußweg oder der Fahrradfahrt verbundenen Belastungen sind geeignet, sich – neben hiermit einhergehenden gesundheitlichen Gefährdungen – auch negativ auf den schulischen Erfolg der Kinder auszuwirken und damit deren Teilhabechancen am Bildungserfolg zu verringern. Gerade dies zu verhindern ist jedoch der genuine gesetzgeberische Zweck des Bildungs- und Teilhabepaketes (i.E. wie hier SG Detmold, Urteil vom 09.04.2010, S 12 AS 126/07).
Erstveröffentlichung in HEMPELS 2012/02
Einige weitere Beiträge zum Thema:
Arbeitshinweise der Landeshauptstadt Kiel für das Bildungs- und Teilhabepaket veröffentlicht!
TAZ-Nord: Kiel sackt Scheine ein!
Licht und Schatten bei der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes in Kiel!
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Amtsgericht Schleswig schränkt Rechtsschutz für Mittellose ein!
Veröffentlicht: 31. Januar 2012 Abgelegt unter: Beratungshilfe | Tags: Beratungshilfe, Beratungshilfe AG Schleswig, Beratungshilfe Amtsgericht Schleswig 24 KommentareIn aktuellen Beratungshilfeangelegenheiten weist das Amtsgericht Schleswig in einem Hinweisblatt auf seine zukünftige Bewilligungspraxis hin. Nach Auskunft des Gerichts habe es in einer nicht näher erläuterten „Übergangszeit“ gegebenenfalls eine „großzügigere Handhabung“ der Beratungshilfebewilligung gegeben. Da nunmehr die Sachbearbeitung der Beratungshilfe „anders gehandhabt werde, als das die letzten Jahre der Fall war“, erlaube sich das Gericht, auf nachfolgende Gewährungspraxis hinzuweisen: Zunächst sollen die Hilfesuchenden „Eigenbemühungen gezeigt haben und selbst tätig geworden sein“. So seien zunächst die vorhandenen Beratungsangebote von Behörden, Jugendämtern, Schuldnerberatungsstellen („für Angelegenheiten der Schuldnerberatung wird grundsätzlich keine Beratungshilfe durch das Amtsgericht Schleswig bewilligt“) sowie die kostenpflichtige (!) Beratung der Verbraucherzentralen in Anspruch zu nehmen.
Schleswig: Keine Waffengleichheit vor dem Recht
Nach Auffassung des Amtsgericht Schleswig gilt „der Grundsatz der Waffengleichheit“ im außergerichtlichen Verfahren „nur sehr eingeschränkt“. Wo das Gericht diese Erkenntnis gewonnen hat, ist hier nicht bekannt. Soweit das Gericht darauf abhebt, ob ein „solventer Selbstzahler“ in der Angelegenheit anwaltlichen Rat gesucht hätte, ist darauf hinzuweisen, dass ein Großteil der „solventen Selbstzahler“ heute über Rechtsschutzversicherungen verfügen. Die Beratungshilfe ist heutzutage sozusagen die „Rechtsschutzversicherung“ der Mittellosen. Der Vergleich des Gerichts hinkt insofern – und nicht nur aus diesem Grunde. Ob ein „solventer Selbstzahler“ anwaltlichen Rat gesucht hätte, entscheiden die Rechtspfleger dann – befreit von jeglichen gesetzlichen Entscheidungsmaßstäben (BerHG) – quasi freihändig, denn aus dem Topos „solventer Selbstzahler“ lässt sich so ziemlich alles deduzieren, was das verkappte Bezirksrevisorenherz erfreut.
Fehlerhafte rechtliche Ausführungen
Rechtlich schlicht unzutreffend ist, dass Beratungshilfe ausgeschlossen ist, wenn sich ein „gerichtliches Verfahren unumgänglich abzeichnet“. Es gibt klare gesetzliche Regelungen, wann ein Gerichtsverfahren beginnt und eine außergerichtliche Vertretung endet. Es ist gerade die Aufgabe des Rechtsanwaltes, Rechtssuchende darüber zu beraten, ob eine gerichtliche Auseinandersetzung erfolgversprechend bzw. in den Worten des Gerichts sich „unumgänglich abzeichnet“. Es ist nicht angängig, dass darüber zukünftig am AG Schleswig Rechtspfleger – die hierzu weder ausgebildet noch fachlich in der Lage sind – entscheiden.
Notwendigkeit der Vertretung ist „nachzuweisen“
Nach Vorstellungen der Rechtspflegerin Bahlke sollen ihr Anwälte zudem zukünftig „nachweisen“, dass eine Vertretung „notwendig“ war. Nun hat eine Rechtspflegerin keine volljuristische Ausbildung (zwei Staatsexamen, Befähigung zum Richteramt) um beurteilen zu können, ob eine anwaltliche Vertretung notwendig war, und letztlich ist es der Rechtsanwalt, der es – auch haftungsrechtlich – zu vertreten haben wird, wenn er – trotz objektiv vorliegender Notwendig einer Vertretung – für den Rechtssuchenden nicht tätig geworden ist. Vor diesem Hintergrund erscheint es wohlfeil, gleichsam aus der warmen Amtsstube heraus ohne eigenes Haftungsrisiko darüber befinden zu wollen, ob eine anwaltliche Vertretung angezeigt war oder nicht.
Offenkundiges Misstrauen gegenüber der Anwaltschaft
Nach Vorstellung des Gerichts soll die anwaltliche Beratung zudem so erfolgen, „dass der Antragsteller sich danach in der Lage versetzt sieht, selbst tätig werden zu können.“ So weit, so gut. Es ist selbstverständlich, dass in Fällen, in denen eine Beratung ausreichend ist, nur beraten und nicht auch vertreten wird. Ob allerdings im konkreten Fall der konkrete Rechtssuchende individuell in der Lage ist, sich effektiv selbst zu vertreten, hängt maßgeblich auch von der Person des Rechtssuchenden ab. Diese kennt regelmäßig aber nur der vertretende Rechtsanwalt, nicht jedoch die Rechtspflegerin bzw. der Rechtspfleger. Hier wäre es nicht nur wünschenswert, sondern es ist unabdingbar, dass das Gericht dem beratenden Rechtsanwalt zutraut, zu entscheiden, ob eine Vertretung im konkreten Fall erforderlich ist. Soviel Vertrauen in die Rechtsanwälte als unabhängige Organe der Rechtspflege muss sein – sonst erleidet die Rechtspflege insgesamt einen irreparablen Schaden.
Rechtsanwalt als Rechtslehrer?
Soweit das Gericht weiter ausführt, dies bedeute auch, „dass Beratungshilfe in bestimmten Angelegenheiten (beispielsweise Urheberrechtsverletzung, Nebenkostenabrechnung) nur einmal gewährt wird“, wäre eine solche Entscheidungspraxis nicht nur schlicht rechtswidrig, da es sich hier ohne Zweifel um jeweils eigene Angelegenheiten handelt, sondern es überantwortet dem Rechtsanwalt auch die Aufgabe, seine Mandanten in Rechtsfragen auszubilden. Sicher freut sich jeder Rechtsanwalt, wenn seine Mandanten sich in der Folge einer anwaltlichen Beratung oder Vertretung in gleich gelagerten Fällen zukünftig selber helfen können. Ob dieser Wunsch indessen in Erfüllung geht, liegt nicht im Einflussbereich des Rechtsanwaltes. Es kann nicht richtig sein, wenn ein Rechtsanwalt Rechtsuchende mit den Worten abweist: „Das habe ich Ihnen schon einmal erklärt, sehen Sie zu, dass Sie das selber hinbekommen.“
Wie als Anwalt verhalten?
Rechtsanwälten ist aufgrund der beabsichtigten Beratungshilfepraxis am AG Schleswig zu raten, Beratungshilfemandate aus dem Amtsgerichtsbezirk Schleswig nur noch gegen Vorlage eines Berechtigungsscheins anzunehmen. Das ist hart für die Rechtssuchenden, die gegebenenfalls weite Strecken übers Land zum Gericht und anschließend zum Anwalt zurücklegen müssen. Ob dies vom Gericht tatsächlich so gewollt ist und ob die verantwortlichen Rechtspfleger und Richter ihre Aufgabe als Diener des Rechts so verstanden wissen wollen, werden diese für sich zu beantworten haben. Die Verantwortlichkeit für die schleichende Erosion des Rechtsschutzes für Mittellose jedenfalls liegt nicht bei der Anwaltschaft. Insofern sollte das AG Schleswig zukünftig auch als Adressat der Empörung Rechtssuchender die richtige Anlaufstelle sein.
Im konkreten Fall wurde im Übrigen Beratungshilfe bewilligt, das hier erörterte Schreiben war lediglich als Hinweisblatt beigefügt. Das Hinweisblatt findet sich als Download hier.
Weiterführende Links zum Thema:
Nachtrag 15.03.2012:
Das AG Schleswig hat Rückmeldungen aus der Anwaltschaft zum Anlass genommen, die Kollegen mit Sitz im Amtsgerichtsbezirk Schleswig – und freundlicherweise auch mich aus Kiel – zu einer kleinen Fortbildungsveranstaltung zur Beratungshilfe mit anschließendem Erfahrungsaustausch einzuladen. Die Einladung einschließlich einer Stellungnahme des Direktors des Amtsgerichts Schleswig zu meinem Beitrag auf dieser Seite findet sich zum download hier. Leider ist es mir zeitlich nicht möglich, am heutigen Tage an der Veranstaltung teilzunehmen. Dies bedauere ich sehr. Zugleich danke ich auf diesem Wege noch einmal dem Direktor des AG Schleswig Herrn Blöcker für das heute stattgehabte angenehme und informative Telefonat, welches von beiden Seiten mit dem Resümee geschlossen werden konnte: So weit liegen wir beide gar nicht auseinander.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Zur Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung bei ALG II Bezug!
Veröffentlicht: 25. Januar 2012 Abgelegt unter: Krankenversicherung | Tags: ALG II Selbständige private Krankenversicherung, ALG II und privat krankenversichert, Hartz IV Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung, Hartz IV Selbständige private Krankenversicherung, Hartz IV und privat krankenversichert 8 KommentarePrivat Krankenversicherte können sich nur unter bestimmten Bedingungen (wieder) in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versichern. Da über die gesetzlichen Voraussetzungen einer Versicherung Privatversicherter insbesondere auch bei den Mitarbeitern der Jobcenter nach hiesigen Erfahrungen praktisch vollständige Unkenntnis herrscht, sollen diese an dieser Stelle einmal dargestellt werden. Dabei werden nur die Voraussetzungen erörtert, die bei privat versicherten Beziehern von ALG II von praktischer Relevanz sind.
Pflichtversicherung und freiwillige Versicherung in der GKV
Zu unterscheiden ist zunächst zwischen Pflichtversicherten und freiwillig Versicherten. Der Kreis der Pflichtversicherten wird in § 5 SGB V bestimmt (1). Darüber hinaus bietet die GKV auch die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung an. Die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür finden sich in § 9 SGB V (2).
(1) Pflichtversicherung in der GKV
Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB V sind Personen in der GKV pflichtversichert, wenn sie ALG II beziehen. Ausnahmen gelten für den Fall der Familienmitversicherung oder der nur darlehensweisen Gewährung von ALG II (z.B. nach § 27 Abs. 4 SGB II), für den Fall der rückwirkenden Aufhebung der Gewährung von ALG II oder soweit nur Leistungen nach § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB II bezogen werden.
(a) In der Regel keine Versicherungspflicht bisher Privatversicherter
Nach § 5 Abs. 1 Nr. 5a SGB V ist indessen auch im ALG II-Bezug nicht versicherungspflichtig, wer unmittelbar vor dem Bezug von Arbeitslosengeld II privat krankenversichert war oder weder gesetzlich noch privat krankenversichert war und zu den in § 5 Abs. 5 SGB V oder den in § 6 Abs. 1 oder 2 SGB V genannten Personen gehört oder bei Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit im Inland gehört hätte. Satz 1 gilt nicht für Personen, die am 31. Dezember 2008 nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a SGB II versicherungspflichtig waren, für die Dauer ihrer Hilfebedürftigkeit.
Eine Pflichtversicherung in der GKV besteht mithin seit 01.01.2009 für diejenigen Bezieher von Alg II nicht mehr, die vor dem Bezug von ALG II
- privat krankenversichert oder gar nicht versichert waren und
- hauptberuflich selbständig erwerbstätig waren oder
- versicherungsfrei waren (vgl. § 6 Abs. 1 und SGB V) oder – bei einer Ausübung des Berufs im Inland – gewesen wären.
(b) Pflichtversicherung bei Aufnahme sozialversicherungspflichtiger Tätigkeit
Eine Möglichkeit zur (Wieder-) Versicherung in der GKV für Privatversicherte besteht auch bei ALG II-Bezug aber durch Eintritt in ein sozialversicherungspflichtiges Arbeitnehmerverhältnis (über 400 €), bei dem das Gehalt unter der Jahresarbeitsentgeltgrenze (JAEG) von 50.850 € = 4.237,50 € brutto im Monat (Stand 2012) liegt. In diesem Fall besteht wieder Versicherungspflicht in der GKV nach § 5 Abs. 1 SGB V.
(c) Einschränkung bei über 55jährigen
Allerdings ist durch die Gesundheitsreform 2007 (Regelungen seit 01.04.2007 in Kraft) die Rückkehr in die GKV für Personen, die das 55. Lebensjahres vollendet haben, deutlich erschwert worden. Auch bei Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung im ALG II-Bezug bleiben über 55jährige „versicherungsfrei“ (d.h. eine Versicherung in der GKV ist nicht möglich), wenn diese:
- in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der Versicherungspflicht nicht gesetzlich versichert waren und
- mindestens die Hälfte dieser Zeit versicherungsfrei waren (z.B. als Arbeitnehmer über Verdienstgrenze oder Beamter) oder
- von der Versicherungspflicht befreit oder
- als hauptberuflich Selbständige nicht versicherungspflichtig waren.
Eine – praktisch wenig relevante – Ausnahme gilt allerdings nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V für Personen,
- welche die Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erfüllen und diese Rente beantragt haben,
- wenn sie seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Stellung des Rentenantrags mindestens 90 % der zweiten Hälfte diese Zeitraums (also ihrer Lebensarbeitszeit) Mitglied in der GKV oder familienmitversichert waren.
Weitere Ausnahmen für gut verdienende Privatversicherte (Reduzierung der Arbeitszeit/des Verdienstes 12 Monate vor Ruhestand, so dass sie unter die Jahresarbeitsentgeltgrenze fallen, Bezug von ALG I vor der Rente) können hier außer Betracht bleiben, da in diesen Fällen die Voraussetzungen für einen ALG II Bezug nicht vorliegen.
(2) Freiwillige Versicherung in der GKV
Eine freiwillige Versicherung in der GKV ist für Privatversicherte im ALG II-Bezug nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V nur möglich, wenn die Vorversicherungszeiten erfüllt sind, d.h. diese
- in den letzten 5 Jahren vor dem Ausscheiden aus der GKV mindestens 24 Monate oder
- unmittelbar vor dem Ausscheiden aus der GKV ununterbrochen mindestens 12 Monate versichert waren, wobei
- Versicherungszeiten während des Bezuges einer gesetzlichen Altersrente oder zu Unrecht bezogenem ALG II nicht mitzählen.
Der Beitritt zur freiwilligen Versicherung in der GKV ist der GKV in diesem Fall innerhalb von 3 Monaten nach Beendigung der Pflichtmitgliedschaft in der GKV anzuzeigen. Danach ist eine freiwillige Versicherung in der GKV ausgeschlossen (Ausschlussfrist). Aufgrund dieser Voraussetzung scheidet eine freiwillige Versicherung Privatversicherter in den meisten Fällen aus.
(3) Familienmitversicherung
Familienangehörige von in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherten Pflicht- oder freiwilligen Mitgliedern können sich darüber hinaus unter bestimmten Voraussetzungen beitragsfrei mitversichern lassen (sog. Familienversicherung oder beitragsfreie Familienmitversicherung).
Zu den Familienangehörigen zählen der Ehegatte, der eingetragene Lebenspartner und die Kinder. Ein angenommenes Kind ist gemäß § 1754 BGB rechtlich „Kind“ des Annehmenden. Gleichgestellt sind den leiblichen Kindern Stiefkinder und Enkel, wenn sie mit dem Mitglied in einem gemeinsamen Haushalt leben und deren Lebensunterhalt überwiegend vom Mitglied bestritten wird. Familienmitversichert sind darüber hinaus auch die Kinder von familienmitversicherten Kindern. Denkbar ist eine solche Konstellation etwa, wenn das Kind eines Mitglieds in der GKV aufgrund einer Ausbildung bzw. eines Studiums selbst familienmitversichert ist und seinerseits schon ein Kind hat.
Die Voraussetzungen für die beitragsfreie Familienmitversicherung in der GKV ergeben sich für die Krankenversicherung aus § 10 SGB V und für die Pflegeversicherung aus § 25 SGB XI.
Seit 01.01.2016 ist die Möglichkeit einer Familienmitversicherung für ALG II-Empfänger entfallen, siehe den Beitrag „Hartz IV: Ab 01.01.2016 entfällt die Familienversicherung„.
Weiterführende Links:
http://krankenversicherungen.net/gesetzliche-private-krankenversicherung
http://www.ifb-hessen.de/fileadmin/ifb/doc/publikationen/gruendungsinfos/10_krankenversicherung.pdf
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Mehr Dunkel als Licht in den „Nachrichten aus dem Jobcenter“!
Veröffentlicht: 19. Januar 2012 Abgelegt unter: Jobcenter Kiel, Nachrichten aus dem Jobcenter | Tags: Jobcenter Kiel, Nachrichten aus dem Jobcenter Ein KommentarIn der aktuellen Ausgabe der „Nachrichten aus dem Jobcenter“ fragt Frau Birgit Hannemann-Röttgers nach der Meinung der Leser zu der monatlich erscheinenden Anzeige des Jobcenters Kiel, die nach ihrem Selbstverständnis „Licht in das Dunkel von Hartz IV bringen, aufklären und die Beratungsangebote und besonderen Projekte in Kiel bekannt machen“ soll.
Wollen wir also aus gegebenem Anlass einmal anhand der aktuellen Ausgabe der „Nachrichten aus dem Jobcenter“ prüfen, ob die „Informationen“ der Anzeige-Seite Licht ins Dunkel von Hartz IV bringen. Wir greifen uns dazu kurzerhand die zwei Tabellen – jene zu den neuen Regelleistungen ab 01.01.2012 und jene zu den „neuen“ Mietobergrenzen – heraus.
Regelbedarfsstufen: Verdunkelung, powerd by Jobcenter
In der vierten Spalte der Tabelle zu den neuen Regelleistungen lesen wir, dass „Kinder ab Beginn des 15. Lj bis zum vollendeten 25. Lj“ monatlich 287 € an Unterstützung erhalten. Das ist schlicht falsch. Jugendliche von 14 bis unter 18 Jahren erhalten 287 € monatlich (Regelbedarfsstufe 4), 18 bis einschließlich 24-jährige Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft jedoch 299 € (Regelbedarfsstufe 3), die gesamte Tabelle findet sich hier.
„Neue Mietobergrenzen ab 1. Januar 2012“: Akute Verdunkelungsgefahr
Wie allgemein bekannt ist, gelten die Mietobergrenzen, berechnet auf der Grundlage der Daten des Mietspiegels 2010, nach der Rechtsprechung der örtlichen Sozialgerichtsbarkeit bereits seit dem 01.12.2010. In der Sozialausschusssitzung vom 22.09.2011 wurde vom Geschäftsführer des Jobcenters Kiel, Michael Stremlau, aus diesem Grunde zugesagt, die Möglichkeit der rückwirkenden Geltendmachung höherer Leistungen für die Unterkunft öffentlich bekannt zu machen. In der Ratsversammlung vom 24.11.2011 wurde ein Anspruch auf rückwirkend zu erbringende höhere Leistungen für Ein- und Zweipersonenhaushalte noch einmal bestätigt, wie die Kieler Nachrichten berichtet haben. Entgegen entsprechender Zusagen verschweigen die „Nachrichten aus dem Jobcenter“ diese Information.
Fazit: Mehr Dunkel als Licht in den „Nachrichten aus dem Jobcenter“
Was könnte besser gemacht werden? Mehr Gründlichkeit in der Erarbeitung der Beiträge, mehr Ehrlichkeit bei den Inhalten, weniger buntes Eigenlob. So wie sie sind, sind die „Nachrichten aus dem Jobcenter“ bloße Werbung – also (mit Steuergeldern) gekaufte positive Selbstdarstellung – einer Behörde ohne wirklichen Informationsgehalt und damit ohne Mehrwert für Hilfebedürftige.
Für Hinweis und Anregung Dank an meinen Kollegen Carsten Theden.
Siehe auch:
Vorsicht mit den „Urlaubstipps“ in den „Nachrichten aus dem Jobcenter“!
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Rechtsschutzmöglichkeiten nach Erlass kommunaler KdU-Satzungen!
Veröffentlicht: 18. Januar 2012 Abgelegt unter: KdU-Satzung, Kosten der Unterkunft | Tags: KdU-Satzung, Kommunale Satzungen für Kosten der Unterkunft, Normenkontrollverfahren nach § 55a SGG, Satzungskontrolle nach § 55a SGG 12 Kommentare
§ 22a SGB II eröffnet den Ländern die Möglichkeit, die kommunalen Träger zu ermächtigen oder sogar zu verpflichten, die Angemessenheit der Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung (KdU) durch Satzung zu bestimmen oder – unter zusätzlichen Voraussetzungen – zu pauschalieren (kritisch dazu Berlit, ArchSozArb 2010, 84). Machen die Länder – wie jetzt Schleswig-Holstein – vom dieser Ermächtigungskompetenz zum Erlass von KdU-Satzungen Gebrauch, dürfen die Kommunen innerhalb der bundesgesetzlichen Grenzen von den bisher entwickelten Grundsätzen des BSG zur Bestimmung angemessener Mietobergrenzen abweichen (Berlit, info also 2011, 165). Sie unterliegen dann aber hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung, der Begründung sowie des Verfahrens der Datenerhebung, -auswertung und –überprüfung den besonderen Vorgaben der §§ 22 a ff. SGB II.
Es ist damit zu rechnen, dass insbesondere die Landeshauptstadt Kiel von der Satzungsermächtigung, ist diese von Landtag erst einmal verabschiedet, zeitnah Gebrauch machen wird (vgl. Drucksache 0730/2011). Es zeichnet sich ferner ab, dass die sozialdemokratisch dominierte Stadtverwaltung über eine Absenkung der als maximal anzuerkennenden Wohnflächengrößen eine Absenkung der Mietobergrenzen betreiben wird.
Rechtsschutzmöglichkeiten bestehen nach Erlass einer kommunalen Satzung in Form einer Satzungskontrolle und in Gestalt einer inzidenten Überprüfung.
a) Normenkontrollverfahren nach § 55a SGG
Nach § 55a Abs. 1 SGG entscheiden die Landessozialgerichte (LSG) zukünftig auf Antrag über die Gültigkeit von Satzungen oder anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, die nach § 22a Abs. 1 SGB II und dem jeweiligen Landesausführungsgesetz – in Schleswig-Holstein der zukünftige § 2a des Gesetzes zur Ausführung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und des § 6b Bundeskindergeldgesetz – erlassen worden sind. Hierzu werden an den LSG eigene Fachsenate gebildet, § 31 Abs. 2 SGG.
Den Antrag auf Überprüfung der Gültigkeit kommunaler KdU-Satzungen kann gemäß § 55a Abs. 2 Satz 1 SGG jede natürliche Person stellen, die geltend macht, durch die Anwendung der KdU-Satzung in ihren Rechten verletzt zu sein oder auf absehbare Zeit verletzt zu werden. Dies ist bei folgenden Personengruppen der Fall (vgl. BT-Drucks. 17/3404, 132):
- Leistungsbezieher, deren bewilligte Leistungen für die Unterkunft und Heizung hinter ihren tatsächlichen Aufwendungen zurückbleiben (Zuzahler).
- Personen, die in absehbarer Zeit auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen sein werden.
- Leistungsbezieher, die zur Senkung ihrer Unterkunftskosten aufgefordert worden sind.
Gelangt das LSG zu der Überzeugung, dass die KdU-Satzung ungültig ist, so erklärt es diese mit Wirkung für die Allgemeinheit für unwirksam, § 55a Abs. 5 Satz 2 SGG. Die Entscheidung des Gerichts ist von der Kommune, deren Satzung für ungültig erklärt worden ist, zu veröffentlichen, § 55 Abs. 5 Satz 2, 2. Hs. SGG.
Das LSG kann darüber hinaus nach § 55a Abs. 6 SGG auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist. Dies wird in der Regel dann der Fall sein, wenn aufgrund der nicht in tatsächlicher Höhe anerkannten Unterkunftskosten eine Bedarfsunterdeckung von mehr als 10 % der maßgeblichen Regelleistungen besteht und es überwiegend wahrscheinlich ist, dass die Bestimmung des unbestimmten Rechtsbegriffes der „Angemessenheit“ in der KdU-Satzung rechtswidrig ist.
Ist eine kommunale KdU-Satzung Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens bei einem LSG, dem BSG oder einem Verfassungsgericht, kann das Jobcenter Leistungen nach dem SGB II vorläufig bewilligen. Dies hat den Vorteil, dass nach einer (letztinstanzlichen) Entscheidung der Judikative Leistungen für die Unterkunft im Rahmen der abschließenden Leistungsgewährung nachzuzahlen sind, sollte die Satzung und damit die in der Satzung festgelegten Mietobergrenzen für ungültig erklärt werden, weil diese von der Kommune zu niedrig bemessen wurden. Es bedarf in diesem Fall dann keiner Widersprüche gegen die vorläufigen Bewilligungsentscheidungen.
Bei Überprüfungsentscheidungen nach § 44 Abs. 1 SGB X, § 330 Abs. 1 SGB III ist zu beachten, dass die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 2 SGB II erst für die Zeit nach der Entscheidung des LSG möglich ist. Es ist daher jedem Antragsberechtigten dringlichst zu raten, bei Zweifeln an der Gültigkeit kommunaler KdU-Satzungen fristwahrend Widerspruch gegen die auf Satzungsgrundlage erlassenen Bewilligungsbescheide einzulegen.
b) Inzidentkontrolle im „normalen“ Klageverfahren
Wird ein Normenkontrollverfahren nicht durchgeführt oder wird die Satzung im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens nicht für ungültig erklärt, müssen die Sozialgerichte die Gültigkeit der Satzung inzident überprüfen, wenn ein Leistungsberechtigter höhere Leistungen für seine Unterkunft begehrt, als der Leistungsträger anzuerkennen bereit ist. Die Sozialgerichte können die Satzung selbst dann für nichtig halten und höhere Leistungen für die Unterkunft zusprechen, wenn das örtlich zuständige LSG die KdU-Satzung schon für gültig erachtet hat. In diesem Fall muss das Sozialgericht allerdings die Berufung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG zulassen.
Nach § 19 Abs. 1 Satz 3 SGB II sind die Leistungen für die Unterkunft jetzt unselbständige Bestandteile des (Gesamt-) Anspruches auf ALG II mit der Folge, dass die Unterkunftskosten keinen selbständigen, abtrennbaren Streitgegenstand mehr bilden dürften und die Gerichte damit die gesamte Leistungsbewährung im streitigen Zeitraum überprüfen müssen. Inwieweit die Sozialgerichte in Schleswig-Holstein weiterhin eine Beschränkung des Streitgegenstandes zulassen werden (hierfür plädiert etwa Mutschler, NZS 2011, 481, 485), bleibt abzuwarten. Um eine Überlastung der Gerichte zu vermeiden, sollten gegebenenfalls die nicht streitigen Leistungsbestandteile ausdrücklich unstreitig gestellt werden.
Im Hinblick auf den Kontrollmaßstab – auch weiterhin volle gerichtliche Überprüfung des unbestimmten Rechtsbegriffes der „Angemessenheit“ und keine Einschätzungsprärogative der Kommune – hat sich durch die Satzungsermächtigung nichts geändert (wie hier Klerks, info also 2011, 201 f.; ausführlich Münder, SozSich Extra 9/2011, 91 ff.).
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Hartz IV: Satzungsermächtigung für Kosten der Unterkunft kommt!
Veröffentlicht: 17. Januar 2012 Abgelegt unter: KdU-Satzung, Kosten der Unterkunft | Tags: § 22a Abs. 1 Satz 1 SGB II, Satzungsermächtigung nach § 22a Abs. 1 SGB II, Satzungsermächtigung Schleswig-Holstein 6 Kommentare
Mit § 22a Abs. 1 Satz 1 SGB II n.F. wurde den Ländern die Möglichkeit eingeräumt, die Kreise und kreisfreien Städte durch Gesetz zu ermächtigen, die Angemessenheit der Höhe der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet durch Satzung zu bestimmen. Seit 09.01.2012 liegt dem Schleswig-Holsteinischen Landtag nun ein Gesetzesentwurf der Landesregierung (Drucks. 17/2159) vor, welcher am 25.01.2012 in die erste Lesung kommt. Weitere Informationen zum Gesetzgebungsverfahren finden sich hier.
Weiterführende links zum Thema:
Rechtsschutzmöglichkeiten nach Erlass kommunaler KdU-Satzungen!
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Betriebskostenberechnung: Schleswig-holsteinische Sozialgerichte weichen von der Rechtsprechung des BSG ab!
Veröffentlicht: 9. Januar 2012 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: BSG 19.10.2010 B 14 AS 50/10 R, Kosten der Unterkunft Jobcenter Kiel, Kosten der Unterkunft Kiel, Kosten der Unterkunft SG Kiel, SG Kiel Gerichtsbescheid vom 28.12.2011 S 34 AS 334/10 2 KommentareBei der Bestimmung der Mietobergrenzen weichen die Kammern an den Sozialgerichten Kiel und Schleswig sowie das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht bei der Berechnung der maximal angemessenen Betriebskosten von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ab. Dies hat die 34. Kammer am SG Kiel (wohl) erstmalig explizit in einer Entscheidung vom 28.12.2011 (S 34 AS 334/10) bestätigt.
BSG: Durchschnittliche Betriebskosten nach örtlichen Übersichten
Bereits mit Urteil vom 19.10.2010 (B 14 AS 50/10 R) hatte das BSG unter Rz. 34 ausgeführt: „Eine Umlagevereinbarung bei der Miete über Wohnraum muss die in § 556 Abs 1 und 2 BGB iVm der Verordnung zur Berechnung der Wohnfläche, über die Aufhebung von Betriebskosten und zur Änderung anderer Verordnungen (BetrKV; vom 25.11.2003, BGBl I 2346) normierten Vorgaben beachten. Wegen der abstrakt angemessenen Kosten iS des § 22 Abs 1 SGB II sind die dort genannten Betriebskosten maßgebend. Auch insoweit erscheint es zulässig, zur Erstellung eines Konzepts auf bereits vorliegende Daten aus Betriebskostenübersichten zurückzugreifen, im Ausgangspunkt allerdings auf örtliche Übersichten und insoweit auf die sich daraus ergebenden Durchschnittswerte. Insbesondere bei Ver- und Entsorgungsdienstleistungen ergeben sich regional deutliche Unterschiede, auf die Rücksicht genommen werden muss. Eine weitergehende Gewichtung scheint dagegen nicht notwendig, da nicht erkennbar ist, welche zuverlässigen (weitergehenden) Aussagen sich hieraus ableiten lassen sollten. Neben den (nichtamtlichen) Übersichten in Mietspiegeln kommen auch Übersichten der örtlichen Interessenverbände in Betracht, die an der Anerkennung des Mietspiegels beteiligt waren. Soweit die örtlich erfassten Werte nicht aktuell sind, liegt es nahe, vom Träger der Grundsicherung entsprechende Rückfragen bei den örtlichen Interessenverbänden durchführen zu lassen bzw die Werte an die allgemeine Preisentwicklung anzupassen.“
In einer aktuellen Entscheidung vom 20.12.2011 zum Aktenzeichen B 4 AS 19/11 R hat das BSG seine Rechtsauffassung noch einmal bestätigt und ausgeführt (Terminbericht Nr. 68/11 zur Terminvorschau Nr. 68/11, zu 4) a.E.): „Zur Ermittlung der abstrakt angemessenen Unterkunftskosten sind neben der Nettokaltmiete die „kalten Betriebskosten“, allerdings unter Rückgriff auf lokale Übersichten, einzubeziehen.“
Die durchschnittlichen Betriebskosten betrugen in Kiel nach Erhebung des Kieler Mietervereins im Jahre 2010 1,66 €/qm (Tabelle „Betriebskosten Kiel„).
SG Kiel und Schleswig sowie Schleswig-Holsteinisches LSG: Unteres Drittel
Demgegenüber verweisen das SG Kiel und das SG Schleswig sowie das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (zuletzt L 11 AS 123/09, Seite 26, 27) in ständiger Rechtsprechung „unter konsequenter Fortsetzung“ ihres Berechnungsansatzes zur Nettokaltmiete auch hinsichtlich der maximal anerkennungsfähigen Betriebskosten auf das untere Drittel (auf der Grundlage des Mietspiegels 2010: 1,24 €/qm).
Während sowohl das Schleswig-Holsteinische LSG (a.a.O.) als auch die Sozialgerichte Kiel und Schleswig (aktuell etwa SG Schleswig, Urteil vom 09.11.2011, Az. S 3 AS 982/08) unter beträchtlichen intellektuellen Verrenkungen zu begründen versuchen, warum sie mit ihren Judikaten nicht von der Rechtsprechung des BSG abweichen würden, hat nun – soweit hier ersichtlich erstmals – die 34. Kammer am SG Kiel in ihrem Gerichtsbescheid vom 28.12.2011, S 34 AS 334/10, Seite 14 redlich eingeräumt, dass das Gericht mit seiner Entscheidung von der Rechtsprechung des BSG abweicht und deswegen die Berufung gegen seinen Gerichtsbescheid zugelassen.
Rechtsprechung schleswig-holsteinischer Sozialgerichte hat nie überzeugt
Die Berechnung der angemessenen Betriebskosten – ein Drittel der Differenz zwischen den durchschnittlichen Nebenkosten unter Berücksichtigung aller denkbaren Nebenkostenarten und den in jedem Mietverhältnis anfallenden Nebenkosten – vermochte noch nie zu überzeugen. Denn anders als bei der Bestimmung des Nettokaltmietzinses, der sich an Wohnraum mit einfachem und im unteren Segment liegenden Ausstattungsgrad orientieren soll, zeichnet sich einfach ausgestatteter Wohnraum nicht zwangsläufig durch geringere Betriebskosten aus. So ist nicht ersichtlich, warum Kosten für „Straßen-/ Gehwegreinigung“, „Hausreinigung“, „Gartenpflege“, „Schornsteinreinigung“, „Hauswart“, „Gemeinschaftsantenne/Kabelanschluss“, „Wartung der Heizungsanlage“, „Wartung der Warmwassergeräte“ und „Aufzug“ (vgl. Kieler Mietspiegel 2010, Seite 6) nur in Wohnraum des unteren Marktsegmentes entstehen sollen. Vielmehr ist die Entstehung dieser Kosten eher dem Zufall geschuldet. Ob ein Hauswart gewisse Arbeiten übernimmt oder nicht, entscheidet sich regelmäßig nach den Vorlieben des Eigentümers sowie danach, ob sich ein zuverlässiger Mieter finden lässt, der bereit ist, diese Aufgaben zu übernehmen. Eine Gemeinschaftsantenne oder ein Kabelanschluss ist heute nicht mehr Merkmal einer guten Ausstattung einer Wohnung, sondern dürfte eher von der Größe des Wohnkomplexes abhängen. Ob Kosten für die Wartung einer Heizungsanlage bzw. für die Schornsteinreinigung anfallen, hängt allein von der Existenz einer Heizungsanlage ab. Nur bei einem Fernwärmeanschluss dürften die Kosten nicht entstehen. Dass die Nichtversorgung einer Immobilie mit Fernwärme zu einem höheren Wohnkomfort führt, kann indes ernstlich nicht behauptet werden. Kosten für die Wartung von Warmwassergeräten dürften sogar eher im unteren Marktsegment bei Wohnraum ohne zentrale Warmwasseraufbereitung (Gas- bzw. Stromboiler) anfallen. Kosten für einen Aufzug entstehen bei hohen Gebäuden. Dass Gebäude – nur weil sie hoch sind – auch im hohen Marktsegment liegen, lässt sich mit Fug ebenfalls nicht sagen. Gerade die Plattenbausiedlungen der 60iger und 70iger Jahre – allesamt (ehemals) kostenangemessene Sozialwohnungen – verfügen über betriebskostenintensive Aufzüge und aufgrund der meist großzügigen Außenanlagen gibt es Firmen, die die Schneereinigung und Pflege der Grünanlagen übernommen haben. Dieser Wohnraum, der gerade für sozial schwache Mieter gedacht war, würde mit einer Anerkennung von Betriebskosten in Höhe von 1,24 €/qm für Bezieher von Grundsicherungsleistungen nicht mehr anmietbar sein. Das kann nicht wahr sein.
Weiterführende Infos auf dieser Seite:
BSG: Berechnung der Kieler Mietobergrenzen rechtswidrig
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Förderrichtlinie für Teilnehmer am Projekt 50plus KERNig!
Veröffentlicht: 6. Januar 2012 Abgelegt unter: 50PlusKERNig Kiel | Tags: 50 Plus KERNig, 50+ KERNig, 50+KERNig, 50Plus, 50Plus KERNig, 50Plus KERNig Dienstanweisung, 50Plus KERNig Kiel, 50Plus Kiel, Jobcenter Kiel 50+, Perspektive 50plus Ein Kommentar
Aufgrund zahlreicher Anfragen von Teilnehmern des Projekts 50plus KERNig insbesondere zu den Änderungen bei der Bewerbungskostenerstattung veröffentliche ich an dieser Stelle schon einmal die Dienstanweisung Nr. 1 für das Team 50 Plus KERNig (AZ: II – 500.5.1). Ich hoffe, die Dienstanweisung kann einige Fragen von Teilnehmern des Projektes beantworten. Zukünftig sollen sich Informationen zu 50 Plus KERNig – wie etwa diese Dienstanweisung – auf einer eigenen Internetpräsenz des Projekts finden. Wann diese der Fall sein wird, ist hier nicht bekannt.
Download: Förderrichtlinie 50plus KERNig
Einige kritische Anmerkungen
Allgemein fällt auf, dass sich die „Förderinstrumente“ des Projekts 50plus von Fördermöglichkeiten der „normalen“ Jobcenter (s. Förderrichtlinie 2011) im Kern nicht unterscheiden. Zu einigen Regelungen nachfolgende Anmerkungen:
Zu 1.3. Eine doppelte Haushaltsführung aufgrund einer Arbeitsaufnahme soll im Regelfall 3 Monate gefördert werden, im Ausnahmefall 6 Monate. In der anwaltlichen Beratungspraxis ist festzustellen, dass die alte Wohnung am bisherigen Wohnort regelmäßig 6 Monate „gehalten“ wird, da die meisten Arbeitnehmer die bisherige Wohnung vor Ablauf der Probezeit von 6 Monaten nicht aufgeben wollen. Das ist verständlich und auch vernünftig. Die Regelung in der Dienstanweisung ist es demgegenüber nicht, denn sie erklärt den Regelfall zum Ausnahmefall.
Zu 1.4. Die Übernahme von Umzugskosten auf Fälle zu beschränken, in denen der Tagespendelbereich 2 ½ bzw. 2 Stunden übersteigt, erscheint nicht zeitgemäß. Maßstab sollte nicht die „Zumutbarkeit“ i.S.v. § 121 Abs. 4 SGB III sein, sondern die Frage, wann ein vernünftiger Mensch in der heutigen Zeit in die Nähe seines Arbeitsplatzes ziehen würde. Pendelzeiten von 2 bis 2 ½ Stunden gehören in Zeiten steigender Rohstoffkosten und eines gestiegenen Umweltbewusstseins der Vergangenheit an. Dass eine Dienstanweisung aus dem Jahre 2011 derart anachronistische Wertentscheidungen trifft, verwundert.
Zu 1.11. Der Verweis auf die Härtefallklausel im Krankenversicherungsrecht ist kleinlich und hat den sonderbaren Beigeschmack eines „Vertrags zu Lasten Dritter“: Das Jobcenter sagt, was erforderlich ist, die Krankenkasse darf dann – über die Härtefallregelung (!) – bezahlen.
Zu 2. In der anwaltlichen Beratung Ü50jähriger sind bisher lediglich – über das Projekt 50plus zustande gekommene – Arbeitsverträge mit den selbsternannten „Premiumdienstleistern“ von der Hörn (Callcenter) bekannt. Bei den Arbeitsverträgen fällt auf, dass diese allesamt auf 12 Monate befristet sind – sich also auf den Tag genau an der Förderhöchstdauer durch das Jobcenter Kiel orientieren. Gleichzeitig suchen die Callcenter fortlaufend neue Mitarbeiter (etwa Perry&Knorr). Mandanten haben hier berichtet, dass auf die Frage nach einer möglichen Vertragsverlängerung über 12 Monate die Auskunft erteilt wurde, die meisten Mitarbeiter seien nach 12 Monaten so erschöpft, dass ihnen eine „Auszeit“ gut tun würde. Es bedeutet eins und eins zusammenzuzählen um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass hier mit Steuergeldern Wirtschaftsförderung betrieben wird.
Zu 2.2. Es wäre interessant zu erfahren, ob die „Kunden“ der Jobcenter eine Abschrift des „Qualifizierungsplans“ erhalten. „Checks an Balances“ können in diesem Bereich sicherlich nicht schaden.
Zu 2.3. Besonders interessant ist für Arbeitgeber vermutlich auch der zusätzliche „Extra 50+ KERNig Bonus“. Ausweislich der Förderrichtlinie werden die Boni (eine Bezeichnung, die zwischenzeitlich gerade in Schleswig-Holstein etwas ins Zwielicht geraten ist; die Dienstanweisungsschreiber sollten sich vielleicht ein etwas unverfänglicheres Wort einfallen lassen) an die Arbeitgeber in Abhängigkeit der Anzahl ihrer Mitarbeiter gezahlt. Dies geschieht, so ist nachzulesen, „um eine Wirtschaftförderung auszuschließen“. Das klingt eigentümlich, denn natürlich sind die Bonuszahlungen bereits an sich eine Wirtschaftsförderung.
3.1. Unverständlich ist, warum im Rahmen von Mobilitätshilfen die Kosten einer Bahn-Card nicht anteilig übernommen werden. Entscheidend sollte sein, was für den Leistungsberechtigten – und damit auch den Steuerzahler – die kostengünstigste Variante ist.
3.2. Die Auszahlung von Fahrtkosten im Rahmen von Maßnahmen durch den Maßnahmeträger ist nicht unproblematisch. Was ist, wenn der Maßnahmeträger Fahrtkosten nicht oder falsch erstattet? Leistungen, auf die ein Anspruch gegen eine Behörde besteht, sollten auch von dieser selbst erbracht werden.
3.3. Die Beschränkung anerkennungsfähiger Kosten für eine Heimfahrt im Monat bei auswärtigen Einzelqualifizierungsmaßnahmen erscheint – insbesondere bei „Kunden“ mit Familie – unangemessen.
Zum selben Thema auf dieser Seite:
50plus KERNig: 800 neue Jobs oder nur 800 neue Arbeitsverträge für die Statistik?
50plus KERNig aus der Sicht von Teilnehmern!
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Bei Pauschalmieten kein Stromkostenabzug!
Veröffentlicht: 3. Januar 2012 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietrecht | Tags: ALG II Inklusivmiete, ALG II Pauschalmiete, B 14 AS 151/10 R, BSG Urteil vom 24.11.2011 B 14 AS 151/10 R, Hartz IV Inklusivmiete, Hartz IV Pauschalmiete 12 KommentareZahlen Hartz IV-Empfänger eine Miete, mit der auch die Stromkosten pauschal abgegolten werden, darf das Jobcenter die Leistungen für die Unterkunft trotzdem nicht um einen aus den Regelleistungen ermittelten Anteil für Haushaltsenergie kürzen. Dies entschied das Bundessozialgericht (BSG) am 24.11.2011.
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall zahlte ein ALG II-Bezieher für ein Zimmer, welches er zur Untermiete bewohnte, monatlich pauschal 110 € inklusive aller Nebenkosten einschließlich Strom. Obwohl die Unterkunftskosten sehr günstig waren, zog das Jobcenter in Hamburg 28 € für Strom von den Leistungen für die Unterkunft ab.
Das BSG urteilte, das LSG Hamburg habe zutreffend entschieden, dass für die vom Jobcenter vorgenommene Kürzung der Leistungen für die Unterkunft um einen aus den Regelleistungen ermittelten Anteil für Haushaltsenergie keine Rechtsgrundlage gegeben ist. Das Leistungssystem des SGB II lasse eine individuelle Bedarfsermittlung bei den in der Regelleistung enthaltenen Bedarfen grundsätzlich nicht zu. Insbesondere sei die von der Rechtsprechung entwickelte Behandlung der Kosten der Warmwasseraufbereitung, die der Gesetzgeber mit § 20 Abs. 1 SGB II neuer Fassung („ohne die auf Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile“) fortentwickelt hat, nicht auf die Stromkosten als Bestandteil einer Inklusivmiete übertragbar (BSG, Urteil vom 24.11.2011, B 14 AS 151/10 R, siehe Terminbericht des BSG Nr. 60/11 zur Terminvorschau Nr. 60/11).
Hinweise zur Pauschal- bzw. Inklusivmiete
Eine Pauschal- bzw. Inklusivmiete ist vereinbart, wenn die Miete sowie sämtliche Mietnebenkosten mit der monatlichen Mietzahlung endgültig abgegolten sind. Werden für Nebenkosten wie umlagefähige kalte Betriebskosten, Heizkosten, an die Stadtwerke direkt zu zahlende Wasserkosten, Stromkosten, Gaskosten usw. Abschläge gezahlt und erfolgt jährlich eine Abrechnung nach dem tatsächlichen Verbrauch, liegt insoweit keine Pauschalmiete vor. Möglich ist es aber, einige Nebenkosten pauschal und andere nach dem tatsächlichen Verbrauch abzurechnen.
Grundsicherungsrechtlich entscheidend dürfte im Fall einer vereinbarten Inklusivmiete sein, ob die einzelnen Mietbestandteile im Mietvertrag (pauschal) beziffert worden sind. Ist im Mietvertrag etwa geregelt, dass sich eine Inklusivmiete von 300 € aus 200 € Grundmiete, 30 € Betriebskostenpauschale, 30 € Heizkostenpauschale, 20 € Stromkostenpauschale und 20 € pauschaler Telefonkostenbeteiligung zusammensetzt, sind vom Jobcenter nur 230 € für die Unterkunft sowie 30 € Heizkostenpauschale anzuerkennen. Wird eine Differenzierung im Mietvertrag demgegenüber nicht vorgenommen, also schlicht eine Inklusivmiete von 300 € vereinbart, ist nach der Rechtsprechung des BSG die gesamte Miete zu übernehmen.
Zum Nachweis der Miete genügt die Vorlage des abgeschlossenen Mietvertrages, zum Nachweis der zweckentsprechenden Verwendung der Leistungen für die Unterkunft kann die Vorlage von Zahlungsbelegen (etwa Kontoauszüge) verlangt werden. Die Vorlage etwaiger „Mietbescheinigungen“ auf amtlichen Formularen ist nicht Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung von unterkunftsbezogenen Leistungen, da diese zum Nachweis der vereinbarten Miete nicht erforderlich sind (vgl. dazu auch ULD, ALG II, S. 18). Insbesondere kann das Jobcenter von den Vertragsparteien nicht verlangen, einen abgeschlossenen Inklusivmietvertrag (nachträglich) zu spezifizieren. In einem derartigen Verlangen des Grundsicherungsträgers läge ein unzulässiger Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Vertragsautonomie der Mietvertragsparteien.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. spricht sich gegen Eigenbeteiligung bei den Kosten der Schülerbeförderung aus!
Veröffentlicht: 26. Dezember 2011 Abgelegt unter: Bildungs- und Teilhabepaket, Jobcenter Kiel | Tags: Bildungs- und Teilhabepaket, Bildungs- und Teilhabepaket Kiel, Bildungspaket Kiel, Eigenbeteiligung Kosten der Schülerbeförderung, Eigenbeteiligung Schülerbeförderungskosten, Kosten der Schülerbeförderung, Kosten der Schülerbeförderung nach § 28 SGB II, Schülerbeförderungskosten, Schülerbeförderungskosten § 28 SGB II Hinterlasse einen KommentarWie bereits an anderer Stelle angemerkt (Arbeitshinweise der Landeshauptstadt Kiel für das Bildungs- und Teilhabepaket veröffentlicht!), sieht sich die Kieler Regelung zu den Schülerbeförderungskosten, nach welcher eine Eigenbeteiligung zu den Beförderungskosten zwischen 10 € und 15 € aus dem Regelsatz zu bestreiten ist, erheblichen rechtlichen Bedenken ausgesetzt. Diese Bedenken werden nunmehr auch vom Deutschen Verein für öffentlich und private Fürsorge e.V. geteilt. In den ersten Empfehlungen zur Auslegung der neuen Regelungen für die Leistungen zur Bildung und Teilhabe im SGB II und SGB XII sowie im Bundeskindergeldgesetz führt der DV auf Seite 21 im 4. Absatz aus (Volltext als PDF hier):
„Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 9. Februar 2010 erkannt, dass bei der Regelbedarfsbemessung „Abschläge“ nur zulässig sind, wenn sie empirisch begründet sind. Da der Gesamtaufwand für öffentlichen Nahverkehr im Regelbedarf nicht exakt zu bestimmen ist, empfiehlt der Deutsche Verein, einen „Abschlag“ für den Freizeitanteil derzeit nicht zu berücksichtigen.“
Kieler, die Leistungen nach dem Bildungs- und Teilhabepaket für die Schülerbeförderung unter Anrechnung eines Eigenbeteiligungsbeitrages erhalten, ist zu raten, gegen ihre Bewilligungsbescheide Widerspruch einzulegen. Rechtsprechung des SG Kiel zu dieser Frage ist hier bisher allerdings nicht bekannt.
Weiterführende Links:
Geld für den Schulbus i.d.R. bei mehr als 30 Minuten Schulweg!
Arbeitshinweise der Landeshauptstadt Kiel für das Bildungs- und Teilhabepaket veröffentlicht!
TAZ-Nord: Kiel sackt Scheine ein!
Licht und Schatten bei der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes in Kiel!
Gesetzliche Regelungen:
§ 28 SGB II, § 34 SGB XII, § 6b BKGG
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Höhere Regelsätze ab dem Jahr 2012!
Veröffentlicht: 14. Dezember 2011 Abgelegt unter: Mehrbedarfe, Regelsatz | Tags: Mehrbedarf Warmwasser 2012, Mehrbedarf Warmwasseraufbereitung 2012, Regelbedarf 2012, Regelbedarf ab 01.01.2012, Regelbedarfsstufen 2012, Regelbedarfsstufen ab 01.01.2012, Regelsätze 2012, Regelsätze ab 01.01.2012, Tabelle neue Regelbedarfsstufen, Tabelle neue Regelsätze, Tabelle Regelbedarfsstufen 2012, Tabelle Regelsätze 2012 Hinterlasse einen KommentarAb dem 01.01.2012 werden die Leistungen der Grundsicherung erhöht. Bezieher von Grundsicherung für Arbeitssuchende (ALG II) sowie Bezieher von Leistungen der Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII erhalten mit Beginn des neuen Jahres höhere Leistungen.
Die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen ist gesetzlich festgeschrieben. Sie erfolgt jährlich und richtet sich nach statistischen Berechnungen. Dabei wird ein sog. Misch-Index zugrunde gelegt. Der Index orientiert sich an der bundesdurchschnittlichen Preisentwicklung und der Nettolohnentwicklung. Ab 2014 soll diese Berechnung durch die „laufende Wirtschaftsrechnung“ als Berechnungsgrundlage für die Regelsätze abgelöst werden.
Nachfolgender Tabelle sind die künftigen Leistungen, die bisherigen Leistungen (zum Vergleich) sowie der Mehrbedarf für dezentrale Warmwasseraufbereitung (Strom- oder Gasboiler zur Gebrauchswarmwasseraufbereitung, mehr dazu hier) zu entnehmen:
|
Leistungen ab 1.1.2012 |
Leistungen bis 31.12.2011 |
Mehrbedarf für Warmwasser |
|
| Regelbedarfsstufe 1 (alleinstehende oder alleinerziehende Leistungsberechtigte) |
374 € (+ 10 €) |
364 € |
2,3 % = 8,60 € |
| Regelbedarfsstufe 2 (volljährige PartnerIn innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft) |
337 € (+ 9 €) |
328 € |
2,3 % = 7,75 € |
| Regelbedarfsstufe 3 (18 bis einschließl. 24-jährige Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft) |
299 € (+ 8 €) |
291 € |
2,3 % = 6,88 € |
| Regelbedarfsstufe 4 (Jugendliche von 14 bis einschließl. 17 Jahre) |
287 € |
287 € |
1,4 % = 4,02 € |
| Regelbedarfsstufe 5 (Kinder von 6 bis einschließl. 13 Jahre) |
251 € |
251 € |
1,2 % = 3,01 € |
| Regelbedarfsstufe 6 (Kinder unter 6 Jahre) |
219 € (+ 4 €) |
215 € |
0,8 % = 1,75 € |
Weitere erhöhte Mehrbedarfe und Barbeträge
Mit der Anhebung der Regelbedarfe steigen zudem die Mehrbedarfe und die Barbeträge für Bewohnerinnen und Bewohner von stationären Einrichtungen.
Voll erwerbsgeminderte Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII, deren Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen „G“ enthält, erhalten zukünftig einen Mehrbedarf in Höhe von 17 % ihrer Regelbedarfsstufe.
Leistungsbezieher, die Eingliederungshilfe erhalten, bekommen einen Mehrbedarf in Höhe von 35 % ihrer Regelbedarfsstufe. Entsprechend den erhöhten Regelbedarfsstufen steigen auch die Mehrbedarfe für Schwangere, Alleinerziehende sowie für Kranke, die eine kostenaufwändige Ernährung benötigen (vgl. § 21 Abs. 2 bis 6 SGB II).
Auch die Höhe des Barbetrags (sog. Taschengeld in stationären Einrichtungen) verändert sich ab dem 01.01.2012. Er beträgt 27 % des Regelbedarfs der Regelbedarfsstufe 1 von dann 374 €, also 100,98 €.
Regelsätze ab 01.01.2013 siehe hier.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Kiel: Rechtsansprüche Hilfebedürftiger „nicht an die große Glocke hängen“!
Veröffentlicht: 9. Dezember 2011 Abgelegt unter: Jobcenter Kiel, Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen, Stadt Kiel | Tags: Grüner Kreisverband Kiel, Jobcenter Kiel, Kosten der Unterkunft Jobcenter Kiel, Mietobergrenzen Jobcenter Kiel, Mietobergrenzen Kiel, Ratsherr Michael Schmalz (SPD), Ratsherr Rahim (Grüne), Ratsherr Schmalz (SPD), Ratsherr Sharif Rahim (Grüne), Ratsversammlung Kiel 24.11.2011 2 Kommentare
Wie berichtet, haben Bezieher von Leistungen nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II) und SGB XII (Grundsicherung) nach der Rechtsprechung des Sozialgerichts Kiel sowie des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts bereits seit dem 01.12.2010 Anspruch auf höhere Leistungen für ihre Unterkunft, soweit sie in Ein- bzw. Zweipersonenhaushalten leben. In Kenntnis dieser Rechtsprechung und damit im vollen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit ihres Handelns hat sich die Ratsmehrheit aus SPD, Grünen und SSW in der Ratsversammlung am 24.11.2011 dennoch dafür ausgesprochen, die Mietobergrenzen erst über ein Jahr später zum 01.01.2012 gemäß den Vorgaben der Gerichte anzupassen (Drucksache 0730/2011).
Legt rechtmäßiges Handeln in Kiel die Verwaltung lahm?
Zur Begründung hat Ratsherr Michael Schmalz (SPD) in der Ratsversammlung ausgeführt, eine rückwirkende Korrektur der Mietobergrenzen würde „die Verwaltung lahmlegen“. Woher Ratsherr Schmalz dieses Wissen hat, verrät er freilich nicht. Tatsächlich ist diese Aussage auch Unsinn. Für eine Behörde wie das Jobcenter Kiel bedeutet eine Nachzahlung zu gering erbrachter Leistungen für die Unterkunft bei einem Teil ihrer Kunden zweifelsohne Mehraufwand – „lahmlegen“ aber tut es die Behörde nicht. Die Nachberechnung von Leistungen ist für Jobcenter Alltagsgeschäft und passiert in Kiel tausendfach im Monat. Würde es stimmen, was Ratsherr Schmalz der Öffentlichkeit zu verkaufen sucht – es wäre ein Armutszeugnis für das Jobcenter Kiel. So ist es nur ein Armutszeugnis für den SPD-Ratherren selbst. Denn es zeugt nicht nur von fehlender Sachkenntnis der Funktions- und Leistungsfähigkeit der Grundsicherungsbehörden sondern auch von einem bedenklichen Verständnis unseres Rechtsstaates, wenn ein Ratsherr in der Öffentlichkeit erklärt, rechtmäßiges Handeln einer Behörde sei verzichtbar, nur weil es dieser Mehrarbeit bereiten würde.
Rechtsansprüche Bedürftiger in Kiel: Holschuld der Betroffenen
Nach Ansicht der Ratsmehrheit aus SPD, Grünen und SSW ist es ausreichend, wenn den Berechtigen höher Leistungen für die Unterkunft erst auf deren Antrag hin erbracht werden. Dass die Mitarbeiter der Grundsicherungsbehörden eine gesetzliche Verpflichtung zur Aufklärung (§ 13 SGB I), Beratung (§ 14 SGB I) und Auskunftserteilung (§ 15 SGB I) haben und die Leistungsträger verpflichtet sind, darauf hinzuwirken, dass von den Berechtigten sachdienliche Anträge auf Grundsicherungsleistungen gestellt werden (§ 16 Abs. 3 SGB I) – geschenkt! Da sieht man in Kiel geflissentlich drüber hinweg, vermutlich, weil es die kommunalen Selbstverwalter auch nicht besser wissen.
Grüne: Rechtsansprüche „nicht an die Große Glocke hängen“
Wohl in einer Mischung aus Unbedarftheit und naiver Offenheit verplapperte sich zum Abschluss Ratsherr Sharif Rahim (Grüne), als er in der Ratsversammlung allen Ernstes dafür warb, die Möglichkeit der rückwirkenden Leistungserbringung doch bitte „nicht an die große Glocke zu hängen“. Selten hat ein Ratsherr seiner eigenen Partei wohl so die Maske vom Gesicht gerissen und bloßgelegt, wie „hinter den Kulissen“ der Grünen gedacht und gesprochen wird.
Große und kleine Glocken läuten
Ein besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang Boris Geißler von den Kieler Nachrichten, der dem Wunsch des grünen Ratherren Rahim, die Rechte der Bedürftigsten in unserer Stadt doch bitte möglichst unter den Teppich zu kehren, nicht nachkommen mochte und die Aussage des Ratsherren in geradezu subversiver Manier an die ganz große Glocke gehängt hat, indem er in den Kieler Nachrichten vom 25.11.2011 den Grünen kurzerhand mit seiner Aussage zitierte. So soll unabhängige Presse arbeiten, bitte mehr davon. Hofberichterstattung oder – mit den Worten Wolf Biermanns – „Kaisersgeburtstagsdichterei“ lesen wir genug.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Ab 01.01.2012: Höherer Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung für privat versicherte Bezieher von ALG II!
Veröffentlicht: 5. Dezember 2011 Abgelegt unter: Krankenversicherung | Tags: Basistarif Krankenversicherung, halber Basistarif Krankenversicherung, neuer Basistarif 2012, neuer Basistarif zum 01.01.2012, Zuschuss zur privaten Krankenversicherung ab 01.01.2012 17 KommentareBezieher von Leistungen nach dem SGB II (ALG II), die in der privaten Krankenversicherung kranken- und pflegeversichert sind, erhalten einen Zuschuss zu ihren Kranken- und Pflegeversicherungskosten in der tatsächlichen Höhe (BSG, Urteil vom 18.1.2011, B 4 AS 108/10 R), (wohl) nach oben begrenzt auf den sog. halben Basistarif in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung (s.u.). Die Höhe der (halben) Basistarife bis einschließlich 31.12.2011 finden sich hier.
Erhöhung der (halben) Basistarife zum 01.01.2012
Im Jahr 2012 erhöhen sich die Höchstbeiträge (=Basistarife) in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung wie folgt:
- Krankenversicherung: 3.825 € * 15,5% = 592,88 €, halber Basistarif: 296,44 €
- Pflegepflichtversicherung: 3.825 € * 1,95% = 74,59 €, halber Basistarif: 37,29 €
Hierauf ist zu achten:
Privat versicherte Leistungsberechtigte, die entweder im Basistarif der privaten Krankenversicherung oder in einem teureren Tarif als dem bisherigen halben Basistarif versichert sind, sollten darauf achten, dass ihr Jobcenter ab dem 01.01.2012 einen Zuschuss zu den Kranken- und Pflegeversicherungskosten (jedenfalls) in Höhe des neuen halben Basistarifes zahlt. Nach Angaben der Bundesregierung sind bundesweit circa 28.000 Bezieher von ALG II in der privaten Krankenversicherung krankenversichert (BT-Drucks. 17/4962).
Übernahme von PKV-Beiträgen über den halben Basistarif hinaus?
Die Rechtsfrage, ob ein Leistungsbezieher nach dem SGB II auch für seine über dem halben Basistarif liegenden Beiträge zur privaten Krankenversicherung einen Zuschuss gem § 26 Abs. 2 SGB II a.F. bzw. § 26 Abs. 1 SGB II n.F. verlangen oder sind die den Zuschuss übersteigenden Beiträge zur Privatkrankenversicherung – über die Versicherungspauschale nach § 6 ALG II VO 2008 hinaus – vom Einkommen abzusetzen, ist beim BSG zu dem Aktenzeichen B 14 AS 11/12 R (Vorinstanz: LSG Stuttgart, L 3 AS 3615/11) anhängig (vgl. Anhängige Rechtsfragen des 14. Senats, Stand 10.04.2012).
Zum Thema private Krankenversicherung:
Verfahrensinformationen der BA vom 27.01.2011 zur Entscheidung des BSG vom 18.01.2011
Spiegel Online vom 09.01.2012, Flucht aus der Luxusklasse
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Keine Pflicht zur Vorlage einer Untermieterlaubnis!
Veröffentlicht: 2. Dezember 2011 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft | Tags: ALG II Erlaubnis zur Untervermietung, ALG II Nachweispflichten bei Untervermietung, Hartz IV Nachweispflichten bei Untervermietung, Kosten der Unterkunft Kiel, SG Schleswig Beschluss vom 06.10.2011 S 1 AS 137/11 ER, Untervermietungserlaubnis 39 KommentareDie Vorlage einer Erlaubnis zur Untervermietung ist weder erforderlich, um einen bestehenden Unterkunftskostenbedarf nachzuweisen, noch ist dessen Vorlage erforderlich, um eine „eheähnliche Gemeinschaft“ zu widerlegen.
Sachverhalt
In dem diesem Verfahren zugrunde liegenden Fall hatte das Jobcenter Rendsburg-Eckernförde von dem zur Untermiete lebenden ALG II-Bezieher verlangt, zum Nachweis seiner Unterkunftskosten nicht nur seinen Untermietvertrag und den Hauptmietvertrag seiner Vermieterin vorzulegen, sondern darüber hinaus auch die schriftliche Erlaubnis der Eigentümer, dass die Hauptmieterin ein Zimmer an ihn untervermieten darf. Diese schriftliche Erlaubnis zur Untervermietung konnte der Leistungsberechtigte indes nicht vorlegen, weil die Eigentümer die Untervermietung zwar duldeten, sich aber nicht dauerhaft vertraglich binden wollten. In der Folge bewilligte das Jobcenter dem Leistungsberechtigten zwar Regelleistungen, lehnte aber die Gewährung von Unterkunftskosten ab.
Entscheidung des Gerichts
Mit Beschluss vom 06.10.2011 verurteilte das SG Schleswig das Jobcenter zur Übernahme der Untermiete. In seiner Begründung folgt das Gericht im Wesentlichen dem Vortrag der Klägerseite und führt zutreffend aus, dass sich die Untervermietungserlaubnis allein im Verhältnis der Eigentümer zur Hauptmieterin auswirkt und selbst ein etwaiges vertragswidriges Verhalten der Hauptmieterin die Wirksamkeit des geschlossenen Untermietverhältnisses nicht berührt. Die erst im Gerichtsverfahren vom Jobcenter vorgetragenen Zweifel am Nichtbestehen einer „eheähnlichen Gemeinschaft“ zwischen dem Leistungsberechtigten und der Hauptmieterin wies das Gericht als widersprüchlich zurück, da das Jobcenter selbst dem Leistungsberechtigten den Regelsatz für eine allein stehende Person von 364 Euro zuerkannt hatte. Zudem sei – so das Gericht weiter – nicht erkennbar, inwieweit eine Untervermietungserlaubnis das Bestehen einer sog. eheähnlichen Gemeinschaft widerlegen könnte.
SG Schleswig, Beschluss vom 06.10.2011, S 1 AS 137/11 ER
Erstveröffentlichung in Hempels 11/2011
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Spiegel Online: Amazon beschäftigt massenhaft Arbeitslose ohne Vergütung!
Veröffentlicht: 27. November 2011 Abgelegt unter: Uncategorized Ein KommentarEine Gesetzeslücke macht es möglich: Amazon beschäftigt nach Informationen des SPIEGEL Tausende Arbeitslose, die zuvor eine sogenannte „Maßnahme zur Aktivierung und berufliche Eingliederung“ absolvieren müssen. Die Arbeitsagentur spricht von einem Fehler, „der korrigiert werden muss“. Massenrekrutierungen, powered by Jobcenter! (weiterlesen bei Spiegel Online)
Freispruch: Keine Mitwirkungspflichten außerhalb des Leistungsbezuges!
Veröffentlicht: 23. November 2011 Abgelegt unter: Ordnungswidrigkeiten | Tags: § 63 Abs. 1 Nr. 6 SGB II, Ordnungswidrigkeit gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 6 SGB II 17 KommentareEin Verstoß gegen Mitwirkungspflichten nach §§ 60 ff. SGB I setzt voraus, dass sich der Leistungsberechtigte nach dem SGB II noch im Status des Leistungsbezuges befindet. Meldet sich ein Leistungsberechtigter etwa wegen Aufnahme einer bedarfsdeckenden – also den Lebensunterhalt unabhängig von Transferleistungen sichernden – Arbeit aus dem Leistungsbezug ab, hat dieser ab dem Tage der Arbeitsaufnahme keine Mitwirkungspflichten mehr gegenüber dem Jobcenter. Damit scheidet auch eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit gemäß § 63 Abs. 1 Nr. 6 SGB II aus.
Tatsächliche Leistungszuwendungen unerheblich
An diesem Ergebnis ändert auch der Umstand nichts, dass dem Betroffenen tatsächlich noch Leistungen zugewendet wurden. Denn eine solche Überzahlung ist eine Frage der Technik der Leistungsabwicklung. Es ist nicht dem Betroffenen anzulasten, wenn die Behörde trotz pflichtgemäßer Mitteilung von leistungsrelevanten Umständen die Überweisung dennoch ausführt.
AG Rendsburg, Beschluss v. 6.10.2008, 17 OWi 570 Js 34525/08
Zunehmende Pönalisierung Leistungsberechtiger
Bedauerlicherweise ist in der anwaltlichen Beratung seit einiger Zeit eine zunehmende Kriminalisierung von Leistungsberechtigten zu verzeichnen. Nicht selten wird dabei mit Kanonen auf Spatzen geschossen: Zu der Einleitung von Ordnungswidrigkeitsverfahren aufgrund teilweise nur geringfügig verspäteter Mitteilungen gesellen sich in steigendem Maße auch Strafverfahren wegen angeblichen (Sozialleistung-) Betruges (§ 263 StGB). Nach hiesigen Erfahrungen lassen sich die Verfahren, sind sie erst einmal in Gang gesetzt, nur noch schwer aufhalten. Werden Vorgänge aus den Leistungsabteilungen an die OWi-Stellen der Jobcenter abgegeben, folgt der Bußgeldbescheid, gleich, was von anwaltlicher Seite vorgetragen wird. Gleiches gilt für Ermittlungsverfahren über Hauptzollamt und Staatsanwaltschaft. Eine wirkliche Prüfung findet erst – und man wird wohl sagen dürfen: auch erstmals – vor dem Richter statt.
Verhängnisvoller Mechanismus
In der Folge des Erlasses einer immer noch hohen Anzahl fehlerhafter und damit rechtswidriger Bescheide kommt es zu einer ebenso hohen Zahl zu Unrecht verhängter Geldbußen, Verwarnungen und Strafverfahren. Es ist jedem Betroffenen daher zu raten, die Berechtigung von Bußgeldbescheiden, Verwarnungen und Strafbefehlen sehr gründlich zu prüfen und sich notfalls gerichtlich gegen diese zur Wehr zu setzen.
Rechtzeitig wehren
Noch sinnvoller aber ist es, sich bereits frühzeitig gegen den vielfach in Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden textbausteinartig und meist von der Sachbearbeitung der Grundsicherungsträger vollkommen unreflektiert vorgebrachten Vorhalt vorsätzlicher oder fahrlässiger (angeblicher) Pflichtverletzungen zu wehren. Dieser Vorhalt findet sich in den Bescheiden in der Regel nur deshalb, weil die „vorsätzliche oder fahrlässige Pflichtverletzung“ Tatbestandsvoraussetzungen für die Rückforderung von Grundsicherungsleistungen ist (vgl. §§ 45 Abs. 2 Satz 3, 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Eine ernsthafte Prüfung findet auf Verwaltungsebene praktisch nie statt. Bleibt der – regelmäßig grundlose – Vorwurf unwidersprochen im Raume stehen, so heißt es in einem anschließenden Bußgeld- oder Strafverfahren dann, der Bescheid sei „klaglos hingenommen“ worden. Es gilt also im ALG II Bezug der alte Satz im Besonderen: „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!“ Der Beschluss des AG Rendsburg mag Betroffenen Mut machen, sich gegen grundlose Anschuldigungen zur Wehr zu setzen.
Verfolgungspraxis nicht risikolos für Grundsicherungsträger
Mitarbeiter der OWi-Stellen in den Jobcentern sind als Verwaltungsmitarbeiter mit einem förmlichen justiziellen Verfahren und damit einer „Rechtssache“ im Sinne von § 339 StGB betraut. Beugen sie das Recht – d.h. wenden sie dieses bewusst falsch an, z.B. indem sie textbausteinartig einen Bußgeldbescheid erlassen, obwohl ihnen zuvor etwa von Anwaltsseite schlüssig und durch Rechtsprechung belegt die Rechtswidrigkeit dessen Erlasses nachgewiesen worden ist -, kommt eine Strafbarkeit wegen Rechtsbeugung in Betracht.
Wer als Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Bußgeldverfahren berufen ist, absichtlich oder wissentlich jemanden, der nach dem Gesetz nicht ordnungsrechtlich verfolgt werden darf, dennoch mit einem Bußgeld belegt oder auf eine solche Verfolgung hinwirkt, macht sich zudem nach § 344 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB wegen Verfolgung Unschuldiger strafbar.
Weiterführende Links:
http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/hartz-iv-jobcenter-uebt-staatsanwaltschaft-892.php
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Kieler Mietobergrenzen: Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 11.4.2011, L 11 AS 123/09
Veröffentlicht: 19. November 2011 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: KdU Kiel, Kosten der Unterkunft Kiel, Mietobergrenzen Jobcenter Kiel, Mietobergrenzen Kiel, Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Urteil vom 11.04.2011 L AS 11 123/09 2 KommentareWie auf dieser Website bereits am 12.06.2011 berichtet (siehe hier), hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht u.a. mit Urteil vom 11.04.2011 im Verfahren L 11 AS 123/09 die Berechnung der Kieler Mietobergrenzen bestätigt und die Berufung des Jobcenters Kiel zurückgewiesen. Leider wurde das Urteil vom Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht nur auf den kostenpflichtigen Seiten von Juris und Beck-Online veröffentlicht (zur Kritik hierzu vgl. den Beitrag „Das Geschäft mit dem Verkauf deutscher Gerichtsurteile – und die Alternativen!„). Aus diesem Grunde veröffentliche ich die Entscheidung jetzt an dieser Stelle:
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 11.04.2011, L 11 AS 123/09
Hinweise zum Urteil und Verfahrensgang
Aus irgendeinem Grunde habe ich eine Urteilsausfertigung mit Korrekturanmerkungen des Gerichts erhalten – was die Lesbarkeit indessen nicht beeinträchtigt. Für die ganz gründlichen Leser des Urteils wird darauf hingewiesen, dass die vom LSG angenommene Wohnungszahl im Mietspiegelfeld b1 unzutreffend angegeben wurde. Im Mietspiegel 2006 beträgt die Belegung im Feld b1 20 und nicht 34 Wohnungen. Auch der vom LSG errechnete gewichtete Mittelwert von 4,5964 €/qm ist deswegen nicht korrekt. Der richtige Wert lautet 4,5998 €/qm. In der Rundung wirkt sich dieser Fehler dann aber nicht weiter aus.
Das Urteil L 11 AS 123/09 ist rechtskräftig. Eine Nichtzulassungsbeschwerde wurde und konnte auch nicht eingelegt werden, da die Berufungsbeklagte in diesem Verfahren nicht beschwert war. In einem parallelen Verfahren wurde von einem Kieler Anwalt Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, die vom BSG indessen zurückgewiesen wurde.
Nachweis fehlender konkreter Unterkunftsalternativen
Für die Spruchpraxis der Sozialgerichte in Schleswig-Holstein ist darauf hinzuweisen, dass das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht in den Verhandlungsterminen hervorgehoben hat, dass die Sozialgerichte zukünftig ein besonderes Augenmerk darauf werden legen müssen, ob die Kläger nachweisen können, dass ihre Bemühungen um angemessenen Wohnraum erfolglos geblieben sind und ihnen deshalb eine Senkung ihrer Unterkunftskosten unmöglich war. Das Gericht geht dabei davon aus, dass aufgrund der scharfen Konkurrenzsituation auf dem Kieler Wohnungsmarkt und dem damit einhergehenden geringen Angebot kostengünstiger Wohnungen der Nachweis erfolgloser Bemühungen um angemessenen Wohnraum leicht erreichbar sein dürfte (Seite 31).
Bisherige Praxis der Sozialgerichte in Schleswig-Holstein
Die bisherige Praxis der Sozialgerichte in Schleswig-Holstein, den Nachweis von erfolglosen Eigenbemühungen um kostenangemessenen Wohnraum mit dem textbausteinartigen Hinweis, der oder die Kammervorsitzende habe vor Absetzen des Urteils (!) aufgrund eigener Recherchen im Internet auf immonet.de bzw. immobilienscout24.de auf Anhieb drei Wohnungen innerhalb der für maßgeblich erachteten Mietobergrenze gefunden, wird vor dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht zukünftig wohl keinen Bestand mehr haben und sollte daher überdacht werden.
Dokumentation der Suchbemühungen
In der anwaltlichen Praxis hat sich gezeigt, dass viele von einer Umzugsaufforderung Betroffene keine Nachweise über ihre Eigenbemühungen vorlegen konnten. In Zeitungsannoncen oder im Internet recherchierte Wohnungsangebote wurden nicht aufbewahrt, Telefonate mit Vermietern oder Wohnungsbesichtigungen nicht dokumentiert. Der Grund hierfür ist einfach: Da die Grundsicherungsträger über die Notwendigkeit der Nachweisführung nicht informieren, ist deren „Kunden“ die rechtliche Relevanz nicht bewusst. Entgegen der jüngst in einer Verhandlung von einer Kammervorsitzenden am SG Schleswig geäußerten Rechtsmeinung, den konkreten Umfang ihrer Nachweispflichten hätte die Klägerin durchaus erkennen können, wenn sie denn – so nahezu wörtlich – regelmäßig die doch schließlich allgemein zugänglichen Pressemitteilungen auf der Website des Bundessozialgerichts gelesen hätte, ist es Aufgabe der Grundsicherungsträger, über Umfang und Art der Nachweisführung zu beraten. Da dies bisher tatsächlich nicht geschieht, sollen hier einige Hinweise gegeben werden:
- Bei der Wohnungssuche sind von vornherein nur Wohnungen innerhalb der sog. Mietobergrenze in Betracht zu ziehen. Die Tabelle findet sich hier. Bei geringfügig teureren Wohnungen empfiehlt sich ein Anruf bei dem Vermieter: Einige Vermieter lassen mit sich reden und senken die Miete gegebenenfalls geringfügig. Es ist aber darauf zu achten, dass die Grundmiete gesenkt wird und nicht die Betriebskostenvorauszahlungen, da diese spätestens bei der nächsten Betriebskostenabrechnung ohnehin wieder erhöht würden.
- Achtung bei Verträgen mit zeitlich befristeten Mietnachlässen! Diese Verträge, die hier insbesondere von der KWG bekannt sind, können nach Ablauf der Frist zu Problemen führen.
- Dringend abzuraten ist von dem Abschluss eines „Scheinmietvertrages“ zur Vorlage beim Jobcenter, der eine geringere, nicht aber die tatsächlich vereinbarte (höhere) Miete ausweist. Mehr dazu hier.
- Unvermeidbare Doppelmieten sind bei einem vom Jobcenter veranlassten Umzug zu übernehmen. Mehr dazu hier.
- Der Nachweis von Suchbemühungen sollte unbedingt dokumentiert werden. Grundsätzlich kann die Statthabe von Suchbemühungen zwar auch durch eidesstattliche Versicherung nachgewiesen werden, in der Praxis lassen sich die Gerichte davon aber eher wenig beeindrucken. Zum Nachweis ernsthafter Suchbemühungen ist es daher unabdingbar, schriftlich festzuhalten, welche Wohnungen wo gefunden wurden und mit wem wann und mit welchem Ergebnis zwecks Anmietung der Wohnung in Kontakt getreten wurde. Zur Dokumentation von Telefonaten mit Vermietern und zur persönlichen Vorsprache bei Vermietungsgesellschaften können nachfolgende Vordrucke genutzt werden:
- Telefonliste für Zeitungs- und Internetauswertung: (MOG – Zeitungsauswertung)
- Stempelliste für die persönliche Vorsprache: (MOG – Stempelformular)
Urteilsbesprechungen/Presse:
Nachtrag 22.11.2011: Die Entscheidung wurde nun doch bei sozialgerichtsbarkeit.de veröffentlicht!
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Kiel: Sozialpolitisches Hearing 2011 „Altersarmut“!
Veröffentlicht: 15. November 2011 Abgelegt unter: Veranstaltungen Hinterlasse einen KommentarAm 08.12.2011 in der Zeit von 16.00 bis 18.30 Uhr findet im Wissenschaftszentrum Kiel in der Fraunhoferstraße 13, 24118 Kiel das „Sozialpolitisches Hearing 2011“ zum Thema „Altersarmut“ statt. Die Veranstaltung ist öffentlich. Näher Informationen finden sich im Veranstaltungsflyer.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Verschlechterungen beim Gründungszuschuss geplant!
Veröffentlicht: 12. November 2011 Abgelegt unter: Gründungszuschuss | Tags: Änderungen beim Gründungszuschuss 2011, Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt, Gründungszuschuss 2011 Hinterlasse einen KommentarDie vom Bundestag beschlossenen Verschlechterungen für den Gründungszuschuss sind nicht wie geplant zum 1. November in Kraft getreten. Der Bundesrat verwies das entsprechende Gesetz am 14. Oktober an den Vermittlungsausschuss und verlangte insbesondere, alle beschlossenen Verschlechterungen beim Gründungszuschuss aus dem Gesetz zu streichen. Der Vermittlungsausschuss hat in seiner 13. Sitzung am 8. November 2011 seine Beratungen u.a. zum „Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt“ auf den 22. November 2011 vertagt.
Geplante Änderungen
Die Mittel der Arbeitsmarktförderung sollen vor allem beim Gründungszuschuss erheblich gekürzt werden. Folgende Änderungen sollen beschlossen werden:
- Es soll zukünftig keinen Rechtsanspruch auf den Zuschuss mehr geben. Die Vergabe liegt dann im Ermessen der Arbeitsagenturen.
- Der Zeitraum, in dem der Zuschuss in Höhe des bisherigen Arbeitslosengeldes gezahlt wird, beträgt zukünftig sechs statt bisher neun Monate.
- Den Zuschuss bekommt künftig nur noch, wer noch mindestens 150 Tage Anspruch auf Arbeitslosengeld hat. Bisher reichten 90 Tage.
Nach Ablauf der sechs Monate ist – nach einer erneuten Prüfung – eine
- Verlängerung um neun Monate möglich, in der allerdings nur noch
- 300 Euro im Monat gezahlt werden – nicht aber das bisherige Arbeitslosengeld.
Eine Synopse zu den geplanten Änderungen der §§ 57, 58 SGB III findet sich hier.
Antrag jetzt stellen
Bezieher von Arbeitslosengeld I, die sich mit Hilfe eines Gründungszuschusses selbständig machen wollen, sollten sofort handeln und einen Antrag auf Gründungszuschuss noch nach der bisherigen Rechtslage stellen.
Mehr Informationen gibt es hier:
http://www.mediafon.net/news_recht.php3?view=&si=4ebdafd858f0c&lang=1
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Kostenübernahmepflicht des Jobcenters bei Veranlassung des Widerspruches!
Veröffentlicht: 10. November 2011 Abgelegt unter: RA-Kosten | Tags: Kosten der Widerspruchsverfahrens, Kosten Widerspruchsverfahren § 63 SGB X, Notwendige Aufwendungen § 63 Abs. 2 SGB X, Rechtsanwaltskosten, Rechtsanwaltskosten Widerspruchsverfahren 2 KommentareMit Gerichtsbescheid vom 08.11.2011 hat das SG Kiel entschieden, dass das beklagte Jobcenter Kiel einem Widerspruchsführer die Kosten eines Widerspruchsverfahrens auch dann zu erstatten hat, wenn ein Widerspruch zwar – hier wegen Erledigung durch Zeitablauf – nicht erfolgreich im Sinne des § 63 SGB X war, aber die Behörde die Einlegung des Widerspruches veranlasst hat.
Der Gerichtsbescheid im Volltext findet sich hier:
SG Kiel, Gerichtsbescheid vom 08.11.2011, S 37 AS 147/09
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
WG-Bewohner haben Anspruch auf Leistungen für die Unterkunft in Höhe von Alleinstehenden!
Veröffentlicht: 10. November 2011 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft | Tags: ALG II WG, ALG II Wohngemeinschaft, Hartz IV WG, Hartz IV Wohngemeinschaft, Kosten der Unterkunft bei WG, Kosten der Unterkunft bei Wohngemeinschaft, Miete ALG II WG 16 KommentareDa es sich leider bei den Grundsicherungsträgern in Schleswig-Holstein noch immer nicht hinreichend herumgesprochen zu haben scheint, weise ich an dieser Stelle noch einmal darauf hin: Hilfebedürftige nach dem SGB II, die nicht in einer Bedarfsgemeinschaft zusammen leben sondern in einer reinen Wohngemeinschaft, haben einen Anspruch auf Leistungen für die Unterkunft in Höhe des Leistungsanspruches einer alleinstehenden Person (BSG, Urteil vom 18.06.2008, B 14/11b AS 61/06 R; Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 14.09.2006, L 6 AS 6/06). Dieser beträgt in Kiel seit dem 01.12.2010 308,50 € bruttokalt. Konkret bedeutet dies, dass in Kiel folgende Höchstmieten bruttokalt (d.h. einschließlich Betriebskosten und ohne Heizkosten) für eine „Hartz IV-WG“ anzuerkennen sind:
|
Anzahl der WG Bewohner |
Mietobergrenze ab 1.12.2010 |
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2er WG |
617,00 € |
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3er WG |
925,50 € |
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4er WG |
1.234,00 € |
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5er WG |
1.542,50 € |
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6er WG |
1.851,00 € |
Die dargestellten Mietobergrenzen werden von der Landeshauptstadt Kiel in der Richtlinien über die Angemessenheit von Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II und § 35 SGB XII in der Fassung vom 17.03.2012 nunmehr anerkannt (siehe 2.c, download hier).
Bei „gemischten WG“ aus Leistungsberechtigten und Nichtleistungsberechtigten gilt:
(1) Besteht ein Untermietvertrag, ist die vereinbarte Untermiete des Leistungsberechtigten (so wohl auch BSG, Urteil vom 18.06.2008, B 14/11b AS 61/06 R, Rz. 19) in Kiel bis zu einer Höhe von 308,50 € als „angemessen“ im Sinne von § 22 SGB II anzuerkennen.
Nachtrag 15.04.2012: Diese Rechtsfrage ist jetzt beim BSG anhängig (vgl. Anhängige Rechtsfragen des 14. Senats, Stand 10.04.2012).
| B 14 AS 36/12 R | Vorinstanz: LSG Chemnitz, L 7 AS 3/09 |
| Können auch solche Aufwendungen als Kosten der Unterkunft iS des § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 berücksichtigt werden, die nach dem Kopfteilprinzip nicht auf den Leistungsberechtigten entfallen, zu deren Übernahme er sich jedoch vertraglich verpflichtet hat? | |
(2) Bestehen keine einzelnen Untermietverträge, hat eine Aufteilung nach Kopfzahl zu erfolgen. Beispiel: Bei einer Bruttokaltmiete von 600,00 € und 3 WG-Bewohnern stehen dem leistungsberechtigten Mitbewohner Kosten der Unterkunft in Höhe von 200,00 € bruttokalt zu.
Gerade vor dem Hintergrund, dass in Kiel vor allem kleine und einfache Wohnungen immer teurer werden (kn-online vom 11.11.2011), sollten die Grundsicherungsträger die Gründung von Wohngemeinschaften begrüßen, anstatt diese durch Fehlinformationen über die angeblich maximal anerkennungsfähigen (niedrigeren) Mieten zu verhindern.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Übernahme von Betriebskostennachzahlungen bei Anerkennung der tatsächlichen Miete im Abrechnungszeitraum!
Veröffentlicht: 8. November 2011 Abgelegt unter: Betriebskostenguthaben, Kosten der Unterkunft | Tags: Übernahme von Betriebskostennachzahlungen ALG II, Übernahme von Betriebskostennachzahlungen Hartz IV, Betriebskostennachzahlungen ALG II, Betriebskostennachzahlungen Hartz IV, BSG Urt. v. 06.04.2011 B 4 AS 12/10 R Ein KommentarÜbersteigt die Miete eines Leistungsberechtigten nach dem SGB II die Angemessenheitsgrenze des kommunalen Trägers, erhält dieser in der Regel 6 Monate Zeit, um seine Mietaufwendungen durch Wohnungswechsel oder Untervermietung etc. zu senken. Nach Ablauf der Regelhöchstfrist des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II werden nur noch die „angemessenen“ Unterkunftskosten anerkannt.
Bisherige Praxis der Grundsicherungsträger
Es entspricht gängiger Praxis der Grundsicherungsträger, ab dem Tag der Absenkung der unterkunftsbezogenen Leistungen fällig werdende Betriebskostennachzahlungen mit dem Argument nicht mehr zu übernehmen, eine Übernahme käme einer Anerkennung der als unangemessen hoch festgestellten Unterkunftskosten gleich. Diese Praxis ist – soweit hier ersichtlich – sowohl von der Judikative als auch von der Anwaltschaft selten angezweifelt worden.
BSG: Abrechnungszeitraum entscheidend
Mit Urteil vom 06.04.2011 hat der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) im Verfahren B 4 AS 12/10 R (veröffentlicht am 03.11.2011) – eher überraschend und in der Begründung äußerst knapp – nun entschieden, dass aus dem Umstand, dass für den tatsächlich (nachzahlungsbedingt) erhöhten Unterkunftskostenbedarf im Monat der Fälligkeit der Betriebskostennachforderung zusätzliche Leistungen in Höhe der Betriebskostennachforderung zu erbringen sind, nicht folge, dass auch die Angemessenheit der Unterkunftskosten nach den Verhältnisses im Fälligkeitsmonat zu beurteilen sei. Entscheidend sei vielmehr, ob die Unterkunftskosten im Zeitraum, für welchen die Betriebskostenabrechnung erstellt wurde (Abrechnungszeitraum), vom Leistungsträger noch in der tatsächlichen Höhe anerkannt worden seien (BSG a.a.O., Rn. 16, 17).
Anspruchsgrundlage für die Übernahme der Betriebskostennachzahlung
Der Anspruch auf Übernahme der Nachforderung folgt nach Auffassung des BSG aus § 40 Abs. 1 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III. Mit der Geltendmachung der Betriebskostennachforderung durch den Vermieter sei in den tatsächlichen Verhältnissen im Monat der Fälligkeit des Betriebskostenguthabens eine wesentliche Änderung eingetreten, denn Nachzahlungen gehörten zum tatsächlichen Bedarf im Fälligkeitsmonat.
Juristisches Neuland
Nicht zu erwarten war, dass das BSG die Angemessenheit der Aufwendungen für die Betriebskostennachzahlung nicht nach den Verhältnissen im Fälligkeitsmonat, sondern nach denen im Abrechnungszeitraum beurteilt. Zur Begründung verweist das Gericht darauf, dass
(1) die Betriebskostennachforderung dem Abrechnungszeitraum „nach ihrer Entstehung im tatsächlichen Sinne zuzuordnen“ sei,
(2) der Leistungsberechtigte allein im Abrechnungszeitraum die Höhe der Nachforderungen habe beeinflussen können sowie
(3) nur diese Auslegung des § 22 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGB II der den Vorschriften innewohnenden Schutzfunktion gerecht werde.
Die Begründung lässt sich hören, ist aber keinesfalls zwingend. Sie wirft zudem auch in Bezug auf den Umgang mit Betriebskostenguthaben (diese müssten dann gegebenenfalls auch „nach ihrer Entstehung im tatsächlichen Sinne“ dem Abrechnungszeitraum zugeordnet werden) Fragen neu auf, die bisher als beantwortet gelten konnten.
Bedeutung für die Praxis
Leistungsberechtigte, bei denen nur noch eine Miete in Höhe der Mietobergrenze anerkannt wird, können die Übernahme von Betriebskostennachzahlungen für Zeiträume, in denen ihre Miete (gegebenenfalls anteilig) noch in der tatsächlichen Höhe anerkannt wurde, vom Grundsicherungsträger verlangen. Wenngleich ein gesonderter Antrag nicht erforderlich ist (§ 37 SGB II), sollte dieser von Betroffenen umgehend gestellt werden, da nicht damit zu rechnen ist, dass die Grundsicherungsträger von sich aus zugunsten von Leistungsberechtigten tätig werden. Hierbei ist die Jahresfrist des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II i.V.m. § 44 Abs. 4 Satz 1 SGB X zu beachten, die auch dann gilt, wenn sich die Sachlage bei Dauerverwaltungsakten nachträglich zugunsten der Betroffenen ändert (§ 48 Abs. 4 Satz 1 SGB X).
In der Praxis sind m.E. vier Fälle zu unterscheiden:
1) Im Abrechnungszeitraum als auch im Zuflussmonat wurde die tatsächliche Bruttokaltmiete anerkannt: Nach bisheriger Rechtsprechung und nach BSG sind Betriebskostennachzahlungen vom Leistungsträger zu übernehmen.
2) Im Abrechnungszeitraum wurde die tatsächliche Bruttokaltmiete anerkannt, im Zuflussmonat indes eine abgesenkte Miete: Nach bisheriger Rechtsprechung war die Betriebskostennachzahlung nicht zu übernehmen, nach „neuer“ Rechtsprechung des BSG hingegen doch.
3) Im Abrechnungszeitraum wurde eine abgesenkte Bruttokaltmiete anerkannt, im Zuflussmonat indes die tatsächliche Miete: Nach bisheriger Rechtsprechung war die Betriebskostennachzahlung zu übernehmen, nach „neuer“ Rechtsprechung des BSG dürfte die Betriebskostennachzahlung demgegenüber nicht zu übernehmen sein.
4) Im Abrechnungszeitraum wie auch im Zuflussmonat wurde eine abgesenkte Miete anerkannt: Nach bisheriger Rechtsprechung als auch nach „neuer“ Rechtsprechung des BSG ist die Betriebskostennachzahlung nicht zu übernehmen sein.
Nachtrag 16.06.2018: Zu 01.08.2016 wurde § 22 Abs 3 SGB II um den Halbsatz „Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht“ ergänzt. Damit ist die Rechtslage in dem hier dargestellten Sinne vom Gesetzgeber geändert worden. Die Neuregelung ist nicht für Zeiträume vor dem 01.08.2016 anwendbar, vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2018, B 14 AS 22/17 R.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Leistungen im Beschwerdeverfahren erst ab Entscheidung des Beschwerdegerichts!
Veröffentlicht: 2. November 2011 Abgelegt unter: Eilverfahren | Tags: Beschwerdewert LSG, Leistungen im sozialgerichtlichen Eilverfahren ab Antragseingang, Leistungen im sozialgerichtlichen Eilverfahren erst ab Entscheidung des Gerichts, Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Beschluss vom 01.03.2011 L 11 AR 6/11 AS ER, Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Beschluss vom 12.01.2011 L 11 AR 2/11 AS ER, Sozialgerichtliches Eilverfahren 2 KommentareIn stattgebenden Beschlüssen in Eilverfahren vor den Sozialgerichten werden in Vornahmesachen (einstweilige Anordnungen nach § 86b Abs. 2 SGG) grundsätzliche keine Leistungen für die Vergangenheit zugesprochen. Begründet wird dies in der Regel damit, dass einstweilige Anordnungen lediglich aktuelle Notlagen abwenden sollen (Ausnahme bei Mietrückständen nach § 22 Abs. 8 SGB II).
Leistungen im sozialgerichtlichen Eilverfahren erst ab Antragseingang bei Gericht
Aus diesem Grunde werden Sozialleistungen regelmäßig erst ab Eingang des Eilantrages bei Gericht zugesprochen. Der Anordnungszeitraum (Zeitraum, für den der Sozialleistungsträger zur Leistung verpflichtet wird) wird von den Gerichten unterschiedlich bestimmt: Teilweise wird der Anordnungszeitraum auf 4 Monate bestimmt, manchmal wird aus Gründen der Praktikabilität bei Leistungen nach dem SGB II der Bewilligungszeitraum von maximal 6 Monaten gewählt und in seltenen – hier aus der Praxis nicht bekannten – Fällen soll von Sozialgerichten auch eine einstweilige Anordnung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache (Klageverfahren) ausgesprochen worden sein.
Beschwerde nur bei Erreichen des Beschwerdewertes zulässig
Wird ein Antrag im einstweiligen Rechtschutz abgelehnt, kann unter den Voraussetzungen der §§ 172, 144 SGG gegen die Entscheidung des Sozialgerichts Beschwerde beim zuständigen Landessozialgericht (LSG) binnen eines Monats erhoben werden. Voraussetzung ist, dass der Beschwerdewert – also der Wert des Anspruches, um den gestritten wird – 750 € übersteigt oder Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr beantragt werden. Wird der Beschwerdewert nicht erreicht, kommt es darauf an, ob die Berufung in der Hauptsache zuzulassen wäre. Allerdings wird überwiegend – und so auch vom Schleswig-Holsteinischen LSG – die Auffassung vertreten, dass eine solche Prüfung nicht erfolgen kann, so dass eine Beschwerde bei Nichterreichen des Beschwerdewertes nicht möglich ist.
| Hinweis: Um in Fällen mit geringem Streitwert doch eine Beschwerdemöglichkeit zu bekommen, besteht aufgrund der – hier allerdings für verfehlt erachteten – Rechtsprechung auch der schleswig-holsteinischen Sozialgerichte nur die Möglichkeit, den Anspruch ausdrücklich für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr geltend zu machen oder etwa höhere Sozialleistungen zu beantragen, als „eigentlich“ begehrt werden. Diese Vorgehensweise führt zwar dazu, dass der Beschwerde in der Sache jedenfalls hinsichtlich des „mehr“ beantragten Teils der Leistungen – z.B. ALG II für 13 Monate – kein Erfolg beschieden wird. Angesichts der Dauer der Hauptsacheverfahren vor derzeit 3 bis 4 Jahren ist eine solche Antragstellung aber nicht rechtsmissbräuchlich (wie hier Conradis in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, Anhang Verfahren, Rn. 131; zur Verletzung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz durch überlange Verfahrenszeiten an Sozialgerichten etwa BVerfG Beschluss vom 27.09.2011 – 1 BvR 232/11 -; 14.12.2010 – 1 BvR 404/10 -; 24.08.2010, – 1 BvR 331/10 -). |
SH LSG: Leistungen im Eilverfahren erst ab Entscheidung des SG bzw. LSG
Das Schleswig-Holsteinische LSG vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass im Eilverfahren Leistungen erst ab dem Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts zuzusprechen sind. Hierzu hat das Schleswig-Holsteinische LSG etwa in seinem Beschluss vom 01.03.2011, L 11 AR 6/11 AS ER ausgeführt:
“Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beschlusses des Sozialgerichts Kiel vom 24. Januar 2011 ergeben sich insoweit, als der Antragsgegner zur Leistung ab dem 21. Dezember 2010 verpflichtet worden ist. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung soll eine gegenwärtige, konkrete Notlage abwenden. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung einer Notlage ist derjenige der aktuellen gerichtlichen Entscheidung (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 1. November 2010 — L 11 AS 158/10 B ER -‚ vom 12. Januar 2011 – L 11 AR 2/11 AS ER u. L 11 AR 2/11 AS ER PKH -). Nach der Rechtsprechung des für das Beschwerdeverfahren des Antragstellers zuständigen 11. Senats des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts sind Leistungen nicht generell ab Antragseingang bei Gericht zuzusprechen, sondern in der Regel erst ab dem Zeitpunkt der Entscheidung des Sozialgerichts. Abweichend davon können für die Vergangenheit nur Leistungen zugesprochen werden, wenn eine frühere Notlage noch fortwirkt (Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 29. Dezember 2010 – L 11 AS 191/10 B ER -‚ vom 12. Januar 2011 – L 11 AR 2/11 AS ER – u. L 11 AR 2/11 AS ER PKH -). Dererlei ist hier nicht dargelegt worden; eine aus der Vergangenheit fortwirkende Notlage ist daher nicht anzunehmen.”
Dies bedeutet:
1) Bei stattgebenden Beschlüssen des SG, gegen die das Jobcenter in die Beschwerde geht, spricht das LSG – selbst wenn es dem SG in der Sache folgt – Leistungen erst ab dem Tag der Entscheidung des SG zu.
2) Bei ablehnenden Beschlüssen des SG, gegen die der Leistungsberechtigte in die Beschwerde geht, spricht das LSG – wenn es den Beschluss des SG aufhebt und dem Antrag stattgibt – Leistungen erst ab dem Tag der Entscheidung des LSG zu.
3) Für „die Vergangenheit“ – d.h. Zeiträume vor der Entscheidung des Gerichts – können Leistungen nur zugesprochen werden, wenn eine „frühere Notlage noch fortwirkt“. In Fällen der Nichtgewährung existenzsichernder Leistungen wird dies häufig der Fall sein und sollte daher in Beschwerdeverfahren vor dem Schleswig-Holsteinischen LSG stets vorgetragen und nachgewiesen werden.
a) Unklar ist, ob bereits aufgelaufene Schulden nach Auffassung des SH LSG eine rückwirkende Verpflichtung zur Leistungserbringung ermöglichen. Dafür sprechen Hinweise des Gerichts im Beschluss vom 12.01.2011, L 11 AR 2/11 AS ER. Das Gericht hat hier auf Seite 4 unten ausgeführt: „Abweichend hiervon können für die Vergangenheit nur Leistungen zugesprochen werden, wenn eine frühere Notlage noch fortwirkt. Das ist hier gerade nicht der Fall. Das Sozialgericht Kiel hat selbst ermittelt, dass die Antragsgegnerin bis zum Entscheidungszeitpunkt die Kranken- und Pflegeversicherung vollständig gezahlt hat. Eine aus der Vergangenheit fortwirkende Notlage war somit nicht gegeben.“ Im Umkehrschluss könnte sich ergeben, dass – hätte die Beschwerdegegnerin ihre Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nicht bezahlt und wären deswegen Schulden entstanden – die „frühere Notlage noch fortwirkt.“
b) M.E. begründen jedenfalls aufgrund in der Vergangenheit nicht erbrachter Leistungen fortlaufend weiter auflaufende Schulden – etwa durch Vollstreckungsmaßnahmen entstehende Vollstreckungskosten – eine „fortwirkende Notlage“. In diesem Zusammenhang hat das SH LSG die von mir im Verfahren L 11 AR 2/11 AS ER vertretene Auffassung zum Verweis des Jobcenters Kiel auf „weiteres Schuldenmachen“ geteilt und zutreffend ausgeführt (Seite 5 f.) :
„Aus dieser Leistungsverpflichtung können sie [Anm.: die Kostenträger] sich nicht mit dem Hinweis auf § 193 Abs. 6 Satz 5 VVG befreien und somit dem Versicherungsnehmer zumuten, während der Dauer des Leistungsbezuges nach dem SGB II gegenüber der Versicherung Schulden auflaufen zu lassen. Die Leistungen nach dem SGB II sind so bemessen, dass gerade noch das soziokulturelle Existenzminimum abgesichert wird. Der diesbezügliche Bedarf soll befriedigt werden können, ohne dass – bei sparsamer Lebensweise – eine Aufhäufung von Schulden droht.
Schulden können zudem eine Wiedereingliederung in Arbeit behindern. Daher besagt § 16a Nr. 2 SGB II, dass zu den kommunalen Eingliederungsleistungen auch die Schuldnerberatung gehört. Kostenträger nach dem SGB II sind daher gehalten, Schulden der Leistungsbezieher zu vermeiden und abzubauen, ein Verweis auf bewussten Schuldenaufbau lasst sich damit nicht vereinbaren.
Im Übrigen droht das Ruhen der Versicherungsleistungen nach § 193 Abs. 6 VVG, sobald eine Wiedereingliederung in Arbeit erfolgt und die Leistungen nach dem SGB II eingestellt werden. In einem solchen Fall, wenn dann während des Leistungsbezugs nach dem SGB II erhebliche Schulden bei dem Krankenversicherer aufgelaufen sind, ist es dem Betroffenen in der Regel nicht möglich, eine aufgelaufene, möglicherweise erhebliche Schuldenlast abzutragen mit der Folge, dass nunmehr das Ruhen der Versicherungsleistung festgestellt wird. Diese Gründe rechtfertigen es, auch im Falle der Antragsgegnerin die Vollstreckung aus dem Beschluss vom 22. Dezember 2010 ab diesem Datum zuzulassen.“
Kritik
Die Rechtsprechung des SH LSG ist hinsichtlich der Bestimmung des Zeitpunktes, ab dem Grundsicherungsleistungen zuzusprechen sein sollen, abzulehnen. Die Rechtsprechung des SH LSG hat gravierende negative Konsequenzen für den Rechtsschutz von Sozialleistungsbeziehern in Schleswig-Holstein:
– Aufgrund der überlangen Verfahrenszeiten auch vor dem Schleswig-Holsteinischen LSG kommt es in einer Vielzahl von Verfahren gar nicht mehr zu einer Entscheidung des LSG in der Sache, weil die „Dringlichkeit“ für das Eilverfahren durch Zeitablauf entfällt.
– Hat ein Rechtsschutzbegehren erst in der Beschwerdeinstanz Erfolg, so sind existenzsichernde Leistungen etwa nach dem SGB II oder SGB XII oder Krankenversicherungsleistungen erst ab dem Tag des Beschlusses des LSG zu erbringen. Aufgrund der überaus langen Verfahrenszeiten auch in Eilverfahren von rund 3 Monaten bis zu einer Entscheidung des LSG können so Bedarfslücken entstehen, die aus Sozialleistungen in der Regel nicht mehr zu „stopfen“ sind. Überschuldung durch weitere Kosten wie Zwangsräumungsverfahren, Kontokündigungen, Stromsperren, Mahn- und Inkassoanwaltskosten sowie damit einhergehend erhebliche Existenzängste mit zum Teil schweren gesundheitlichen Folgen sind eine hier häufig beobachtete Folge dieser Rechtsprechung. Die aufgezeigten Folgen verschärfen sich, wenn nach Ablauf des Anordnungszeitraumes gegebenenfalls erneut durch zwei Instanzen um existenzsichernde Leistungen gestritten werden muss und dadurch erneut „Bedarfslücken“ entstehen.
– Erscheint es noch vertretbar, wenn das Gericht in stattgebenden Beschlüssen Leistungen ab dem Zeitpunkt des Einganges des Eilantrages bei Gericht zuspricht, weil – jedenfalls der aufgeklärte – Antragsteller die Bestimmung dieses Zeitpunktes selbst in der Hand hat, so ist es nach hiesiger Auffassung nicht mehr vertretbar, den Zeitpunkt der Leistungsverpflichtung von dem Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts und damit davon abhängig zu machen, wie schnell oder langsam das Beschwerdegericht arbeitet, etwa weil der zuständige Senat überlastet ist, gerade Urlaubszeit ist oder ein hoher Krankenstand die Arbeit des Gerichts entschleunigt.
– Aufgrund der Rechtsprechung des Schleswig-Holsteinischen LSG liegt nach hier vertretener Auffassung nach der Ablehnung eines Eilantrages durch das zuständige Sozialgericht (SG) und erhobener Beschwerde beim LSG trotz eingelegten Rechtsmittels ein Rechtsschutzbedürfnis für einen neuerlichen Eilantrag beim SG vor, weil das SG – anders als das LSG – (noch) Leistungen ab Antragseingang zuspricht. Aus anwaltlicher Sicht muss deswegen zur Rechtswahrung der Mandanten zur Stellung eines neuerlichen Eilantrags beim SG geraten werden.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Wohnkosten ab dem Tag der Antragstellung!
Veröffentlicht: 30. Oktober 2011 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft | Tags: § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II, § 41 SGB II, Kosten der Unterkunft ab dem Tag der Antragstellung 2 KommentareEs war ein Dauerstreit zwischen Jobcentern und Leistungsberechtigten: Wurde im laufenden Monat ein Antrag auf Leistungen nach dem SGB II gestellt, so waren die Mitarbeiter der Behörden – stets besorgt um das Wohlergehen der „Solidargemeinschaft der Steuerzahler“, dafür aber umso weniger um das ihrer „Kunden“ – oft höchst erfindungsreich wenn es darum ging, die Übernahme der Mietkosten für den ersten Monat des Leistungsbezuges abzulehnen. Erfolgte etwa die Antragstellung nach dem dritten Werktag eines Monats und war die Miete noch nicht bezahlt, so wurde die Kostenübernahme mit der Begründung abgelehnt, die Miete sei nach den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) am dritten Werktag fällig gewesen. Es handele sich nun um Schulden, die leider nicht übernommen werden könnten. War die Miete demgegenüber vor Antragstellung schon bezahlt, so wurde argumentiert, im Zeitpunkt der Stellung des ALG II-Antrages sei ein „Bedarf“ nicht mehr gegeben. Die Miete sei ja schon bezahlt. Die Ablehnungen waren natürlich stets rechtswidrig, denn nach § 41 SGB II werden auch Leistungen für Unterkunft und Heizung für jeden Kalendertag des Leistungsbezuges anteilig erbracht.
Seit dem 01.01.2011 regelt nun § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II, dass der Antrag auf ALG II auf den ersten Tag des Monats der Antragstellung zurückwirkt, so dass es zukünftig zu keinem Streit mehr zwischen Behörde und Leistungsberechtigten kommen sollte. Betroffene, denen im Jahr 2010 im ersten Monat der Antragstellung keine Miete gezahlt wurde, sollten die Ablehnungsentscheidung unbedingt gemäß § 44 SGB X überprüfen lassen. (Zur Rechtslage bis 31.12.2010 etwa Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26.10.2007, L 8 AS 587/07)
Erstveröffentlichung in Hempels 06/2011
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Neuerung beim Kindergeld zum 01.01.2012!
Veröffentlicht: 26. Oktober 2011 Abgelegt unter: Kindergeld | Tags: Änderungen beim Kindergeld zum 01.01.2012, Änderungen Kindergeld 2012, Kindergeld 2012, Kindergeld Zweitausbildung 01.01.2012, Kindergeld zweite Ausbildung 01.01.2012, Neuregelung beim Kindergeld zum 01.01.2012, Neuregelung Kindergeld 2012 4 KommentareNach bisherigem Recht erhielten Eltern für ihre volljährigen Kinder kein Kindergeld (§ 2 Abs. 2 Sätze 2 bis 10 BKGG) beziehungsweise keinen Kinderfreibetrag (§ 32 Abs. 4 Sätze 2 bis 10 EStG) mehr, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag von 8.004 € pro Jahr überstiegen.
Neuregelung bei Erstausbildung
Diese Einkommensprüfung fällt zum 01.01.2012 ersatzlos weg: Kinder unter 25 Jahren, die sich in einer ersten Berufsausbildung oder in einem Erststudium befinden, werden ab 2012 unabhängig von ihren Einkünften stets als Kind berücksichtigt.
Neuregelung bei Zweitausbildung
Zukünftig soll eine Erwerbstätigkeit aber nur bis zum Abschluss der ersten Berufsausbildung oder des Erststudiums eines Kindes außer Betracht bleiben. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung bzw. eines Erststudiums besteht die widerlegbare Vermutung, dass das Kind in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten und daher nicht mehr zu berücksichtigen ist. Diese Vermutung kann zukünftig allerdings durch den Nachweis widerlegt werden, dass
(1) das Kind sich in einer weiteren Berufsausbildung oder einem weiteren Studium befindet und
(2) keiner „schädlichen“ Erwerbstätigkeit nachgeht.
Ausgehend von einer Regelarbeitszeit von 40 Wochenstunden ist nach neuem Recht eine Erwerbstätigkeit unschädlich, wenn die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 20 Stunden beträgt. Unschädlich sind zudem ein Ausbildungsdienstverhältnis oder ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis.
Begünstigter Personenkreis
Von dieser Neuregelung profitieren vor allem Eltern von Kindern in bezahlten Ausbildungsgängen wie etwa Azubis im dritten Lehrjahr oder Kinder, die während ihres Studiums Ferien- oder Nebenjobs annehmen oder etwa eine Halbweisenrente beziehen. Begünstigt sind zukünftig ferner Ausbildungsgänge an Abendschulen oder Fernuniversitäten, die neben einer (Vollzeit-)Erwerbstätigkeit ohne eine vorhergehende Berufsausbildung durchgeführt werden.
Weiterführende Links:
http://gesetzgebung.beck.de/news/steuervereinfachungsgesetz-2011
BT-Drucks. 17/5125, S. 41
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2010/12/2010-12-09-steuervereinfachung.html
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Wegfall des Kontopfändungsschutzes ab 01.01.2012!
Veröffentlicht: 23. Oktober 2011 Abgelegt unter: Schulden | Tags: P-Konto, Pfändungsschutzkonto, Wegfall der 14-Tage Schutzfrist, Wegfall des Kontopfändungsschutzes ab 01.01.2012, Wegfall Kontopfändungsschutz 2012, Wegfall Pfändungsschutz Sozialleistungen Hinterlasse einen KommentarZum 01.01.2012 wird der alte Kontenpfändungsschutz, der bisher noch parallel zum neuen Kontenpfändungsschutz auf dem P-Konto bestand, ersatzlos wegfallen. Es wird dann nur noch einen Pfändungschutz für gepfändete Konten geben, die zu diesem Zeitpunkt in ein P-Konto umgewandelt worden sind. Die Stellung eines Pfändungsschutzantrages nach § 850l ZPO (= § 850k a.F. ZPO) beim zuständigen Amtsgericht ist für alle anderen Konten dann nicht mehr möglich.
Wegfall der 14-Tage Schutzfrist nach § 55 SGB I
Gravierende Änderungen ergeben sich auch für Bezieher von Sozialleistungen: Sowohl der bisherige 14-tägige Pfändungsschutz nach § 55 SGB I als auch das Verrechnungsverbot von Sozialleistungen bei überzogenen Girokonto fallen weg bzw. werden erheblich eingeschränkt. Weiterhin werden Altpfändungen durch den Wegfall bestehender Freigabebeschlüsse gemäß § 850l ZPO (= § 850k a.F. ZPO) wieder in vollem Umfang aufleben, wenn nicht entsprechende Umwandlungen in P-Konten erfolgt sind.
Gepfändete Konten bis spätestens Dezember 2011 in P-Konten umwandeln
Alle Schuldner mit gepfändeten Konten, die ihr Konto noch nicht in ein P-Konto umgewandelt haben, sollten daher unbedingt spätestens im Dezember 2011 handeln und ihr Girokonto in ein P-Konto umwandeln.
Mehr Infos zu diesem Thema gibt es im Forum Schuldnerberatung.
Infos und Materialien – u.a. Musterbescheinigungen für die Banken – finden sich hier:
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts!
Veröffentlicht: 21. Oktober 2011 Abgelegt unter: Kosten Umgangsrecht | Tags: § 21 Abs. 6 SGB II, Fahrtkosten, Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangsrechts, Kiel, Sozialgericht Kiel, Umgangsrecht 49 KommentareLeben Eltern gemeinsamer Kinder getrennt, kann der hilfebedürftige Elternteil, bei dem die Kinder nicht leben, grundsätzlich vom Jobcenter die Erstattung der ihm für die Fahrten zu seinen Kindern entstandenen Kosten verlangen. Übernommen werden entweder die tatsächlichen Kosten für Bus und Bahn oder bei Nutzung eines Pkw pauschal 20 Cent je Entfernungskilometer der kürzesten Straßenverbindung (siehe dazu die Diskussion in den Kommentaren). Die Anspruchsgrundlage findet sich seit Juli 2010 in § 21 Abs. 6 SGB II.
SG Kiel: Fahrten zur Schule sind keine Fahrten zur Mutter
In einem Beschluss vom 24.08.2011 hat das Sozialgericht Kiel nun die Auffassung vertreten, dass der Vater, der seine Tochter nach deren Aufenthalt bei ihm nicht direkt zur Mutter zurückbringt, sondern sogleich zu der – nur 500 Meter vom Wohnort der Mutter gelegenen – Schule, für diese Fahrten keine Kostenerstattung verlangen könne, weil es sich nicht um besondere trennungsbedingte Kosten handeln würde. Das ist unzutreffend: Die Fahrten sind nur deswegen erforderlich, weil die Tochter nicht beim Vater lebt. Denn würde die Tochter beim Vater leben, würde sie natürlich auch am Wohnort des Vaters – und nicht der Mutter – zur Schule gehen. Die Fahrtkosten sind damit allein durch die Trennung bedingt.
SG Kiel: 12 € Fahrtkosten weichen nicht erheblich vom durchschnittlichen Bedarf ab
Die vom Gericht im Grundsatz anerkannten verbleibenden Fahrtkosten von 12 € im Monat für die Fahrten direkt zur Mutter sind nach Auffassung des Gerichts so gering, dass diese nicht als erheblich vom durchschnittlichen Bedarf abweichend anerkannt werden könnten. Vergegenwärtigt man sich indessen, dass im Regelsatz für eine alleinstehende Personen lediglich 22,78 € für Fahrtkosten vorgesehen sind, ist die These des Gerichts, wonach rund 53 % höhere Kosten nicht erheblich vom Durchschnitt abweichen sollen, gleichfalls nur schwer nachvollziehbar.
(SG Kiel, Beschluss vom 24.08.2011, S 33 AS 232/11 ER)
Erstveröffentlichung in HEMPELS 10/2011
Nachtrag 03.12.2014: Im Hauptsacheverfahren hat nun die 32. Kammer am SG Kiel mit Urteil vom 24.06.2014, S 32 AS 462/11, grundsätzlich anders entschieden: Es sei „gänzlich unerheblich“, ob der Kläger seine Tochter zur Schule oder zur Mutter gebracht bzw. von dort abgeholt habe. Die 32. Kammer hat 20 Cent je „Entfernungskilometer“ zwischen Wohnort und Tochter berücksichtigt, allerdings wegen des erst nach der Entscheidung des SG mit Entscheidungsgründen veröffentlichten Urteils des BSG vom 04.06.2014, B 14 AS 30/13 R, welches die tatsächlich gefahren Kilometer als Umgangskosten anerkennt, die Berufung zugelassen.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Arbeitslosigkeit im August 2011: 3.957.257!
Veröffentlicht: 19. Oktober 2011 Abgelegt unter: Statistiken | Tags: Arbeitslosenstatistig, tatsächliche Zahl der Arbeitslosen 2 KommentareAllmonatlich macht sich die Partei DIE LINKE die Mühe, die tatsächliche Zahl der Arbeitslosen in Deutschland zu errechnen. Da sich diese Zahlen in der Presse praktisch nicht finden lassen, vielmehr die offiziellen Verlautbarungen der Bundesregierung bzw. der Bundesagentur für Arbeit brav verbreitet werden, soll an dieser Stelle auf die Informationsseite hingewiesen werden.
Tatsächliche Arbeitslosigkeit im August 2011: 3.957.257
Offizielle Arbeitslosigkeit: 2.944.686
Nicht gezählte Arbeitslose: 1.012.571
Nicht gezählte Arbeitslose aufgeschlüsselt:
Älter als 58, beziehen Arbeitslosengeld I und/oder ALG II: 357.448
Ein-Euro-Jobs (Arbeitsgelegenheiten): 197.459
Fremdförderung: 59.066
Beschäftigungsphase Bürgerarbeit: 10.864
Berufliche Weiterbildung: 157.680
Eignungsfeststellungs- und Trainingsmaßnahmen (z.B. Bewerbungstraining) 48
Aktivierung und berufliche Eingliederung (z. B. Vermittlung durch Dritte): 144.585
Beschäftigungszuschuss (für schwer vermittelbare Arbeitslose): 13.698
Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen: 1.006
Kranke Arbeitslose (§126 SGB III): 70.717
Quellen: Bundesagentur für Arbeit: Der Arbeits- und Ausbildungsmarkt in Deutschland. Monatsbericht August 2011, Seite 67. Die dort aufgeführte Altersteilzeit sowie Gründungszuschüsse und sonstige geförderte Selbstständigkeit haben wir in der Tabelle nicht berücksichtigt. Die dort ebenfalls aufgeführten älteren Arbeitslosen, die aufgrund verschiedener rechtlicher Regelungen (§§ 428 SGB III, 65 Abs. 4 SGB II, 53a Abs. 2 SGB II u.a.) nicht als arbeitslos zählen, sind enthalten in der Gruppe Älter als 58, beziehen Arbeitslosengeld I oder ALG II. Diese große Gruppe der älteren ALG -Bezieher, die nicht als arbeitslos gelten, ist nicht vollständig im Monatsbericht ausgewiesen, sondern mit Stand März 2011 in einer Sonderauswertung der Bundesagentur für Arbeit abgefragt worden.
Quelle + aktuelle Zahlen: http://www.die-linke.de/index.php?id=5008
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Rückforderung von Betriebskostenguthaben!
Veröffentlicht: 17. Oktober 2011 Abgelegt unter: Betriebskostenguthaben, Betriebskostennachforderungen | Tags: Betriebskostenguthaben ALG II, Betriebskostenguthaben Hartz IV, Hartz IV Betriebskostenguthaben, Rückforderung von Betriebskostenguthaben 12 KommentareZahlen Bezieher von Leistungen nach dem SGB II aus ihrem Regelsatz oder Einkommen zu ihrer Miete hinzu, so steht ihnen ein etwaiges Betriebskostenguthaben in Höhe ihrer monatlichen Zuzahlungen zur Miete x 12 Monate zu. Das Jobcenter darf das Betriebskostenguthaben in dieser Höhe weder zurückfordern noch darf dieses auf die Leistungen für die Unterkunft angerechnet werden (vgl. dazu den Beitrag Leistungsberechtigten steht bei Mietzuzahlung Betriebskostenguthaben zu!).
Hat der Grundsicherungsträger im Abrechnungszeitraum unterkunftsbezogene Leistungen in Höhe der tatsächlich geschuldeten Miete erbracht, stehen Betriebskostenguthaben indessen grundsätzlich dem Jobcenter zu. Folgende vier Fallkonstellationen sind zu unterscheiden:
1) Guthaben, die vor dem Leistungsbezug entstanden (angespart) sind aber in der Zeit des Leistungsbezuges zufließen, sind leistungsmindernd zu berücksichtigen.
2) Nachzahlungen, die vor dem Leistungsbezug durch retrospektiv zu geringe Vorauszahlungen entstanden sind und in der Zeit des Leistungsbezuges fällig werden, sind vom Jobcenter zu übernehmen.
3) Guthaben, die im Leistungsbezug entstanden (angespart) sind und nach Beendigung des Leistungsbezuges vom Vermieter ausgezahlt werden, kann der (ehemalige) Leistungsberechtigte behalten.
4) Nachzahlungen, die im Leistungsbezug durch retrospektiv zu geringe Vorauszahlungen entstanden sind und nach Beendigung des Leistungsbezuges fällig werden, sind von dem (ehemaligen) Leistungsberechtigen zu zahlen und müssen nicht etwa vom Jobcenter erstattet werden.
Gesetzliche Grundlage
§ 22 Abs. 3 SGB II normiert, dass Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für die Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen mindern, wobei Rückzahlungen, die sich auf die Haushaltsenergie beziehen (Haushaltsstrom, Kochgas), außer Betracht zu bleiben haben.
Grund der Regelung
§ 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F. (= § 22 Abs. 3 SGB II n.F.) ist mit dem „Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende vom 20.07.2006“ mit Wirkung vom 01.08.2006 in das SGB II eingefügt worden, um zuvor bestehende Anrechnungsprobleme zu beseitigen. Vor der Einfügung der Vorschrift wurden Rückzahlungen als Einkommen angerechnet. Dies führte zum einen dazu, dass ein Versicherungspauschbetrag von 30 € bzw. Versicherungskosten in der tatsächlichen Höhe von der Rückzahlung abgesetzt werden mussten, zum anderen dazu, dass von den Betriebskostenrückzahlungen im Regelfall der Bund, hier die Bundesagentur für Arbeit, profitierte (Anrechnung der Guthabenbeträge auf die vom Bund finanzierten Regelleistungen), obwohl die Kosten der Unterkunft zu über 70 % von den Kommunen aufgebracht worden waren. Beides sollte mit der Einführung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II vermieden werden (vgl. BT-Drs. 16/1696, Seite 26).
Unterkunftsbezogene Erstattungen
§ 22 Abs. 3 SGB II erfasst Rückzahlungen und Guthaben, die „dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind“. Erfasst werden damit neben Heiz- und Betriebskostenguthaben auch Überzahlungen von Unterkunftsleistungen (etwa die Rücküberweisung einer vom Grundsicherungsträger versehentlich doppelt gezahlten Miete). Die Auskehrung einer im Vermögen des Leistungsberechtigten stehenden Mietkaution bewirkt hingegen lediglich eine Vermögensumwandlung unter Aufhebung einer Verwertungssperre, auf die § 22 Abs. 3 SGB II keine Anwendung findet.
„Rückzahlungen“ und „Guthaben“ bzw. „Gutschriften“
Das Gesetz unterscheidet zwischen Rückzahlungen und Guthaben/Gutschriften. Weder in den Gesetzesmaterialien noch in der einschlägigen Kommentarliteratur findet sich allerdings eine nähere Bestimmung dazu, was unter „Rückzahlungen“ und „Guthaben“ bzw. „Gutschriften“ zu verstehen ist.
Nach Ansicht etwa des LSG BW (Urt. v. 20.01.2010, L 3 AS 3759/09) oder des LSG NRW (Urt. v. 22.09.2009, L 6 AS 11/09) sind unter Rückzahlungen die tatsächlichen Zahlungen an den Leistungsberechtigten (bar oder durch Kontogutschrift) zu verstehen. Ein Guthaben sei demgegenüber bereits bei einem positiven Saldo im Abrechnungskonto des Vermieters zur Entstehung gelangt. Für die Entstehung eines Guthabens genüge damit eine Forderung, die gegenüber einem anderen (hier dem Vermieter) geltend gemacht werden könne. Auch der semantische Gehalt des Wortes „Gutschrift“ setze keine Zahlung an den Mieter/Leistungsberechtigten voraus, sondern allein die schriftliche Fixierung bzw. Eintragung eines Guthabens als eines bestehenden Anspruchs eines Anderen.
Dieser Auffassung ist nicht zu folgen. Bereits semantisch bereitet die Definition der LSG BW und NRW Bauchschmerzen. Ein Konto“guthaben“ entsteht durch eine Habenbuchung auf einem Konto, die „Gutschrift“. Im allgemeinen Sprachgebrauch entsteht das Kontoguthaben durch Gutschrift auf dem Konto des Kontoinhabers. Dagegen ist die bloße Erfassung des Rückzahlungsanspruches des Mieters/Leistungsberechtigten als „Haben-Buchung“ im Mieterkonto kein „Gutschrift“, sondern lediglich die Erfassung eines Saldo-Postens in der Buchhaltung des Vermieters. Zudem wird verkannt, dass sich aus dem systematischen Zusammenhang der Tatbestandsmerkmale „Guthaben“ und „Gutschrift“ mit dem Tatbestandsmerkmal „Rückzahlung“ ergibt, dass dem Leistungsberechtigten tatsächlich etwas zugeflossen sein muss. Mit einer Gutschrift in diesem Sinne und damit mit einer Rückzahlung vergleichbar ist daher nur eine entsprechende Buchung auf dem Bankkonto des Mieters/Leistungsberechtigten (so zutreffend SG Neubrandenburg, Urt. v. 27.09.2010, S 11 AS 960/07 Rn. 19 unter Hinweis auf SG Bremen, Beschluss v. 01.12.2009, S 23 AS 2179/09 ER; SG Schleswig, Urt. v. 30.11.2009, S 4 AS 1044/07 = NZS 2010, 458; ähnlich LSG Hamburg, Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08).
Dieses Normverständnis entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung des § 22 Abs. 3 SGB II, nach dem nur dann von einem aufwendungsmindernden Guthaben ausgegangen werden kann, wenn dem Leistungsberechtigten dieses Guthaben tatsächlich auch zur Verfügung steht (LSG Hamburg, Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08; SG Schleswig, Urt. v. 30.11.2009, S 4 AS 1044/07 = NZS 2010, 458; SG Bremen, Beschluss v. 01.12.2009, S 23 AS 2179/09 ER; SG Neubrandenburg, Urt. v. 27.09.2010, S 11 AS 960/07; SG Kiel, Beschluss v. 09.11.2010, S 34 AS 564/10 ER sowie v. 20.12.2010, S 36 AS 666/10 ER (beide nicht veröffentlicht).
In folgenden Fällen scheidet nach alledem eine bedarfsmindernde Direktanrechnung nach § 22 Abs. 3 SGB II aus:
1) (Noch) keine Auszahlung des Guthabens.
2) Vermieterseitige Aufrechnung mit eigenen Forderungen (ausstehende Mieten, Mietkaution; SG Neubrandenburg, Urt. v. 27.09.2010, S 11 AS 960/07). Dann aber ggf. Anrechnung als Einkommen (LSG Hamburg, Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08), str.
3) Auskehrung an Dritte/Ziehung zur Insolvenzmasse im Verbraucherinsolvenzverfahren (ggf. Anrechnung als Einkommen).
In folgenden Fällen ist eine bedarfsmindernde Direktanrechnung nach § 22 Abs. 3 SGB II demgegenüber möglich:
1) Barauszahlung an den Mieter/Leistungsberechtigten.
2) Überweisung auf das Bankkonto des Mieters/Leistungsberechtigten.
Sonderfall: Mieterseitige Verrechnung mit Monatsmiete
Ein Sonderfall stellt m.E. die mieterseitige Verrechnung mit einer Monatsmiete dar. In diesem Fall erfolgt weder eine Rückzahlung noch eine Gutschrift auf das Konto des Mieters/Leistungsberechtigten, sondern der Vermieter mindert die Miete (i.d.R.) für einen Monat um den Guthabenbetrag. Beispiel: Die monatliche Miete beträgt 500,00 € brutto warm. Der Vermieter hat ein Guthaben von 300,00 € errechnet und fordert deswegen im Folgemonat von seinem Mieter nur 200,00 € Miete.
Teilweise wird vertreten, entscheidend sei, ob der tatsächliche Einkommenszufluss zumindest für eine logische Sekunde dem Hilfebedürftigen zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes zur Verfügung stehe, was beispielsweise der Fall wäre, wenn der Hilfebedürftige und sein Vermieter eine Vereinbarung über die Verrechnung des Guthabens treffen, also nicht nur einseitig vom Vermieter aufgerechnet wird (dargestellt von SG Neubrandenburg, Urt. v. 27.09.2010, S 11 AS 960/07, Rn. 25 unter Hinweis auf SG Reutlingen, Urt. v. 10.06.2009, S 2 AS 1472/08, Rn. 27).
Nach hier vertretene Auffassung bedarf es dieser juristischen Klimmzüge nicht. Mangels „Rückzahlung“ oder „Gutschrift“ des Guthabens scheidet eine Anwendung des § 22 Abs. 3 SGB II nach seinem eindeutigen Wortlaut aus (wie hier SG Neubrandenburg, Urt. v. 19.01.2011, S 11 AS 386/08; dies sieht das Jobcenter Kiel jetzt offenbar auch so und hat deswegen etwa im Verfahren S 34 AS 504/11 ER mit Schriftsatz vom 04.11.2011 der Beschwer abgeholfen).
Allerdings besteht im Verrechnungsmonat ein um den Guthabenbetrag verminderter Unterkunftskostenbedarf. Dies weiß der Mieter/Leistungsberechtigte auch oder hätte es jedenfalls wissen müssen, so dass m.E. einer Rückforderung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X im Verrechnungsmonat nichts im Wege steht.
Zeitpunkt der bedarfsmindernden Direktanrechnung
Die größten Schwierigkeiten bereitet in der Praxis die zutreffende Bestimmung des Monats der bedarfsmindernden Direktanrechnung des Guthabens auf die Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft, die ausschließlich ab Beginn des nächsten Monats nach der Rückzahlung oder der Gutschrift erfolgen darf (systemwidrige Abweichung vom Zuflussprinzip). Dies mögen einige Beispiele verdeutlichen:
1) Der Leistungsberechtigte erhält am 20.10.2011 seine Betriebskostenabrechnung und reicht diese am 24.10.2011 beim Jobcenter ein. Das Guthaben wird am 27.10.2011 auf dem Konto des Leistungsberechtigen gutgeschriebenen. Eine bedarfsmindernde Direktanrechnung im November ist nicht mehr möglich, weil die Leistungen bereits um den 23. eines jeden Monats angewiesen werden.
2) Der Leistungsberechtigte erhält am 10.10.2011 seine Betriebskostenabrechnung und reicht diese am 15.10.2011 beim Jobcenter ein. Das Jobcenter rechnet das Guthaben im November an. Das Guthaben wird erst am 03.11.2011 auf dem Konto des Leistungsberechtigen gutgeschriebenen. Die bedarfsmindernde Direktanrechnung im November ist damit rechtswidrig.
Bereits diese zwei Beispiele verdeutlichen, dass es letztlich reiner Zufall ist, ob dem Leistungsträger eine rechtmäßige Direktanrechnung gelingt. Mit anderen Worten: Bei § 22 Abs. 3 SGB II bzw. der Vorgängerregelung handelt es sich um eine gesetzgeberische Fehlleistung ersten Ranges. Lediglich in den überaus seltenen Fällen, in denen die Vermieter den Zeitpunkt der Guthabenauskehrung in der Nebenkostenabrechnung festlegen und einen großzügig bemessenen Zeitraum zwischen Rechnungserstellung und Auszahlung des Guthabens bestimmen, kann eine Direktanrechnung im Einzelfall vorhersehbar gelingen.
Hohes Prozess(kosten)risiko der Jobcenter
Die Jobcenter haben im laufenden Verwaltungsverfahren die Pflicht, den Zuflusszeitpunkt des Guthabens zutreffend zu ermitteln, § 20 SGB X. Hierzu müssen sich die Jobcenter letztlich den Zahlungseingang durch Vorlage von Kontoauszügen der Leistungsberechtigten nachweisen lassen. Tun sie dies nicht und stellt sich erst im Klageverfahren heraus, dass der Zuflussmonat von ihnen unzutreffend bestimmt worden ist, können sich die Behörden nicht mit dem Argument gegen ihre Pflicht zur Tragung der Prozesskosten wehren, der Zuflussnachweis sei ihnen erst im laufenden Klageverfahren bekannt geworden (SG Kiel, rechtliche Hinweise vom 13.10.2011 im Klageverfahren S 33 AS 1273/10). Die Leistungsträger wären daher gut beraten, immer dann, wenn der Zuflusszeitpunkt nicht sicher ermittelt wurde, von der bedarfsmindernden Direktanrechnung im Folgemonat Abstand zu nehmen und Betriebskostenguthaben über (§ 22 Abs. 3 SGB II i.V.m.) § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 oder 4 SGB X zurückzufordern.
Offene Fragen
Soweit die Bewilligungsentscheidung nach § 22 Abs. 3 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X (systemwidrig) im Monat nach dem Guthabenzufluss aufgehoben wird, dürfte allerdings regelmäßig weder ein Wissen noch ein auf besonderer Sorgfaltswidrigkeit beruhendes Nichtwissen des Leistungsberechtigen um die zu hohe Leistungsbewilligung anzunehmen sein, da nach dem (als bekannt vorauszusetzenden) Zuflussprinzip mit einem teilweisen Wegfall des Leistungsanspruches lediglich im Zuflussmonat und nicht dem Folgemonat des Zuflusses zu rechnen sein dürfte.
Möglich ist m.E. aber auch eine Rückforderung über § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X im Monat des Zuflusses des Guthabens. Mit dem LSG Hamburg (Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08) ist davon auszugehen, dass lediglich die bedarfsmindernde Direktanrechnung im Folgemonat zu erfolgen hat. Eine generelle Rückverlegung des Anrechnungsmonats ist der Vorschrift des § 22 Abs. 3 SGB II indessen weder zu entnehmen noch begründet sich eine solche Interpretation aus den Motiven des Gesetzgebers.
In Betracht kommt weiter eine verschuldensunabhängige Rückforderung über § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X als Einkommen im Zuflussmonat. Dies setzt dann allerdings voraus, dass man mit dem LSG Hamburg (Urt. v. 16.07.2009, L 5 AS 81/08) § 22 Abs. 3 SGB II nicht als „abschließende Sonderregelung der leistungsrechtlichen Wirkungen der erfassten Rückzahlungen und Guthaben“ versteht (so aber Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 22 Rn. 113). In diesem Fall wäre dann allerdings i.d.R. die Versicherungspauschale von 30 € in Abzug zu bringen.
Einzelfälle
BSG, Urt. v. 22.03.2012, B 4 AS 139/11 R (Terminsbericht): Auch wenn eine Person (hier die Tochter des Klägers), die im Abrechnungszeitraum nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft war, sich an den Betriebskosten beteiligt hat, ist ein Guthaben leistungsmindernd zu berücksichtigen, selbst wenn dieses mit einer Forderung (hier der Tochter) belastet war.
Regelung im SGB XII (insbesondere Grundsicherung im Alter)
Gutschriften aus Strom- oder Betriebskostenvorauszahlungen, die infolge zu hoher Vorauszahlungen entstanden sind, wurden bislang als Einkommen auf die Grundsicherungsleistungen angerechnet. § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII in der Fassung ab 01.04.2011 regelt nun: „Einkünfte aus Rückerstattungen, die auf Vorauszahlungen beruhen, die Leistungsberechtigte aus dem Regelsatz erbracht haben, sind kein Einkommen“. Von § 82 Abs. 1 Satz 2 SGB XII werden erfasst:
- Alle Guthabenerstattungen, die aus Vorauszahlungen für Leistungen beruhen beruhen, die ihrer Natur nach aus dem Regelsatz zu bestreiten sind (vor allem Strom).
- Alle Guthabenerstattungen, die aus Vorauszahlungen für Leistungen beruhen beruhen, die zwar ihrer Natur nach vom Leistungsträger zu erbringen sind, zu denen der Leistungsberechtigte aber hinzu zahlen muss, weil die tatsächlichen Kosten nicht anerkannt werden (etwa Zuzahlung zu den Betriebskosten bei einer Bruttokalt-Mietobergrenze, Zuzahlung zu den Heizkosten wegen (angeblich) unwirtschaftlichem Heizverhalten). Hier gilt wie oben bereits dargelegt: Guthaben in Höhe der monatlichen Zuzahlungen zur Miete/Heizkosten x 12 Monate stehen dem Leistungsberechtigten und nicht dem Grundsicherungsträger zu.
Weiterführende Infos auf dieser Seite:
Jobcenter Kiel ändert seine Verwaltungspraxis bei der Rückforderung von Betriebskostenguthaben
Leistungsberechtigten steht bei Mietzuzahlung Betriebskostenguthaben zu!
Zur Abtretung von Nebenkostenguthaben
Nachtrag 16.06.2018: Zu 01.08.2016 wurde § 22 Abs 3 SGB II um den Halbsatz „Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht“ ergänzt. Damit ist die Rechtslage in dem hier dargestellten Sinne vom Gesetzgeber geändert worden. Die Neuregelung ist nicht für Zeiträume vor dem 01.08.2016 anwendbar, vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2018, B 14 AS 22/17 R.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Landesrechnungshof: Kosten der Unterkunft in 80 % der Fälle falsch berechnet!
Veröffentlicht: 7. Oktober 2011 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft | Tags: kommunale Leistungen für die Unterkunft, Kosten der Unterkunft, Landesrechnungshof Schleswig-Holstein Hinterlasse einen KommentarMindestens 80 % aller Fälle, die von 2005 bis Mitte 2008 die kommunalen Leistungen für Unterkunft und Heizung nach SGB II betrafen, sind fehlerhaft bearbeitet worden. Dies ist das vorsichtig hochgerechnete Ergebnis einer Stichprobenprüfung, die der LRH in den Kreisen durchgeführt hat. Berücksichtigt wurden dabei nur Fehler, die sich finanziell ausgewirkt haben. Die hochgerechneten finanziellen Nachteile betrugen 44 Mio. € für die öffentlichen Haushalte.
(weiterlesen: Kommunalbericht 2011 des Landesrechnungshof Schleswig-Holstein).
Was der Landesrechnungshof übersieht und wodurch all seine Berechnungen praktisch Makulatur werden: Nahezu alle Mietobergrenzentabellen der kommunalen Träger in Schleswig-Holstein hielten einer gerichtlichen Prüfung nicht stand (kein „schlüssiges Konzept“ im Sinne der Rechtsprechung des BSG). Die Sozialgerichte errechneten – bei Vorliegen qualifizierter Mietspiegel anhand der Mittelwerte bestimmter Mietspiegelfelder, sonst unter Rückgriff auf die Tabelle zu § 12 WoGG – deutlich höhere Mietobergrenzen.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Kiel: Soziale Politik statt „Grüner“ Politik!
Veröffentlicht: 2. Oktober 2011 Abgelegt unter: Stadt Kiel | Tags: Möbel Kraft Kiel, Prüner Schlag Hinterlasse einen KommentarMit dem Argument, durch die Gewerbeansiedlung würden neue Arbeitsplätze geschaffen, opferte die Stadt Kiel 17 Hektar Grünfläche im Innenstadtbereich. Warnungen von Seiten des Einzelhandels, bei gleichbleibender Kaufkraft werde es lediglich zu Verlagerungen zu Lasten inhabergeführten Kleinbetriebe und damit schlimmstenfalls sogar zu einem Verlust sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze kommen, sind in den Wind gesprochen, sinnvolle Einzelhandelskonzepte nicht in Sicht.
Schrebergärten haben neben ihrer ökologischen Bedeutung als grüne Lungen der Stadt und attraktive Naherholungsgebiete auch eine ganze Reihe sozialer Funktionen. Deswegen und weil den Autoren persönlich das Vorgehen der Stadt ärgert, sollen dem Thema auf dieser Website einige Zeilen gewidmet werden.
„Armengärten“ zur Selbstversorgung
Seit Ende der 1820er Jahre entstanden u.a. in den Herzogtümern Schleswig und Holstein sogenannte „Armengärten“. Ziel war es, dem Hunger und der Verarmung entgegenzuwirken. 1830 folgte in Kiel die „Gesellschaft freiwilliger Armenfreunde“ dem Beispiel. Auf dem „Prüner Schlag“ wurden Parzellen aus städtischem Besitz mit der bis heute gültigen Größe von 400 Quadratmeter ausgewiesen und für geringe Pacht vergeben. Sie dienten der Selbstversorgung. Nach Ansicht der Armenfreunde war es auch besser, am Sonntagnachmittag im Garten zu arbeiten, statt im Wirtshaus zu sitzen. Die Anlage von Kleingartenkolonien war eine von vielen Maßnahmen, um Anfang des 19. Jahrhunderts des Armenproblems Herr zu werden. Die von dem Leipziger Arzt D. M. Schreber (1808 – 1861) initiierte Kleingartenbewegung begann erst später, ließ die Armengärten jedoch bald zu „Schrebergärten“ werden. (Quelle: Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte, Stichwort „Armengärten„)
Diese ihre ursprüngliche Funktion haben Kleingärten bis heute nicht verloren. Sie ermöglichen es Familien, sich kostengünstig und gesund mit Lebensmitteln aus dem eigenen Garten zu versorgen. Aber vielleicht ist ja genau das im Jahre 2011 politisch gar nicht mehr gewollt. „Sozial ist, was Arbeit schafft!“ ist allenthalben zu hören. Und mit Arbeit ist nicht etwa Gartenarbeit gemeint, sondern der 400-Euro-Job im Billig-Discounter.
Kleingärten als Orte sozialen Zusammentreffens
Kleingärten haben aber auch unter einem anderen Gesichtspunkt eine sozialintegrative Funktion. Häufig sind hier, zum Teil über Generationen hinweg, nachbarschaftliche Strukturen gewachsen. Man kennt sich, hilft sich gegenseitig im Garten, tauscht sich mit angebautem Obst und Gemüse aus oder sitzt einfach nur zu einem „Klönschnack“ beisammen. Kein „Ersatzgarten“ wird diese gewachsenen Strukturen ersetzen können. Ältere Schrebergärtner werden ohnehin nicht noch einmal an einem anderen Ort anfangen, sich einen neuen Garten aufzubauen.
Kleingärten als Lernstätten
Bereits in der Antike haben Platon, Sokrates und Epikur mit ihren Schülern Gärten angelegt, um eine inspirierende Umgebung für Philosophie, Dichtung und Wissenschaft zu schaffen. In unserer Zeit erlebt die Schulgartenbewegung in Deutschland eine Renaissance. Und dies nicht ohne Grund, denn es muss aufhorchen lassen, wenn Schüler der 5 Klasse in Befragungen vermuten, ein Huhn würde ungefähr sechs Eier am Tag legen und zur Begründung auf die Verpackungsgröße in den Supermärkten verweisen oder etwa mutmaßen, Erbsen wüchsen im Wasser, weil sie im wassergefüllten Glas zu kaufen sind. In Gärten können Kinder früh etwas lernen über Gärtnern ohne Gift, Kompostierung, artgerechte Tierhaltung, Artenschutzmaßnahmen wie zum Beispiel den Bau von Nisthilfen für Vögel, Insekten und Fledermäusen sowie gesunde Ernährung.
Innovations-Schlusslicht Kiel
Während in anderen Städten „urbane Landwirtschaft“ erprobt und innerstädtischen Brachflächen in „Community Gardens“ verwandelt werden, gehen in Kiel die Uhren unter Rot/Grün rückwärts: Stadtnahe Gartenanlagen werden in Gewerbeflächen für Billigmärkte verwandelt, den Gärtnern werden zum Ausgleich Gartenparzellen angeboten, die sich allenfalls noch mit dem Auto erreichen lassen. Wirklich grüne Politik sieht anders aus. Da verwundert es kaum, dass der umweltpolitische Sprecher der Kieler „Grünen“ Björn Sander aus Protest gegen die Entscheidung seiner Fraktion zurückgetreten ist. Seine lesenswerte Begründung findet sich hier. Eine Historie der Kieler Kahlschlagpolitik hat der Kleingärtnerverein Kiel e.V. von 1897 zusammengestellt, aktuelles zum Thema Möbelkraft findet sich hier.
Weiterführende links zum Thema Möbelkraft:
http://www.möbelmachtamwestring.de/
https://kielkontrovers.wordpress.com/
http://www.kn-online.de/suche/?typ=theme&such=m%F6bel%20kraft&searchressort=
Rede von Ratsherrn Jansen (Die Linke). Rhetorisch und inhaltlich einer der seltenen Höhepunkte in der Kieler Ratsversammlung.
http://www.kiel.de/rathaus/ratsversammlung/video/index.php?film_nr=012
Und hier geht es zur Petition gegen die Möbel Kraft Ansiedlung auf dem Gartengelände:
http://www.petitiononline.de/petition/gegen-moebelkraft-in-kiel/515
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Meldetermin: AU-Bescheinigung allein kein Nachweis für „wichtigen Grund“?
Veröffentlicht: 29. September 2011 Abgelegt unter: Jobcenter Kiel, Meldetermin, Sanktionen | Tags: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, AU-Bescheinigung, § 59 SGB II, Bettlägrigkeitsbescheinigung, Jobcenter Kiel, Meldepflicht, Meldetermin, Wegeunfähigkeitsbescheinigung 50 KommentareBisher galt die Nichtwahrnehmung eines Meldetermins nach § 59 SGB II beim Jobcenter Kiel als „entschuldigt“, wenn für den Tag, an dem der Meldetermin wahrgenommen werden sollte, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) vorgelegt werden konnte. Diese Praxis hat das Jobcenter Kiel – wie auch andere Jobcenter – nun augenscheinlich geändert. Verlangt wird seit kurzem die Vorlage einer „Wegeunfähigkeitsbescheinigung“ durch den behandelnden Arzt. Dies sowie einige Anrufe teils irritierter Betroffener der letzten Tage ist Anlass genug, einmal zusammenzufassen, wann die Nichtwahrnehmung eines Meldetermins „entschuldigt“ ist bzw. in den Worten des Gesetzgebers ein „wichtiger Grund“ für das Nichterscheinen vorliegt.
Meldepflicht
Wer ALG II bezieht oder beantragt hat, unterliegt nach § 59 SGB II der allgemeinen Meldepflicht gemäß § 309 Abs. 1 SGB III. Diese Regelung entspricht den für das gesamte Sozialrecht geltenden Bestimmungen der §§ 61 und 62 SGB I. Voraussetzung der Meldepflicht ist eine entsprechende Aufforderung des Grundsicherungsträgers. Die Meldeaufforderung ist ein Verwaltungsakt. Ob und wann der Grundsicherungsträger eine Meldeaufforderung erlässt, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen.
Aus der Aufgabenzuständigkeit der Grundsicherungsträger nach dem SGB II folgt, dass eine Meldeaufforderung nur zum Zwecke der Berufsberatung, Vermittlung in Ausbildung oder Arbeit, der Vorbereitung aktiver Arbeitsförderungsleistungen, der Vorbereitung von Entscheidungen im Leistungsverfahren und der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für den Leistungsanspruch erfolgen kann (vgl. § 309 Abs. 2 SGB III).
Auf Antrag können gemäß § 309 Abs. 4 SGB III notwendige Reisekosten zur Wahrnehmung eines Meldetermins – auch für eventuell erforderliche Begleitpersonen – übernommen werden, soweit diese nicht anderweitig abgedeckt sind. „Erforderlich“ ist eine Begleitperson bei Krankheit oder Behinderung. Eine „anderweitige Abdeckung“ der Reisekosten besteht etwa, wenn der Leistungsberechtigte über eine Monatsfahrkarte für den ÖPNV verfügt. Die Festsetzung einer Bagatellgrenze ist rechtswidrig (Winkler in LPK-SGB III, 1. Auf. 2008, § 309 Rn. 20 m.w.N.). Gemäß § 59 SGB II i.V.m. § 310 SGB III besteht darüber hinaus die Verpflichtung, sich nach einem Umzug bei dem nunmehr zuständigen Leistungsträger unverzüglich (d.h. ohne schuldhaftes Zögern) zu melden.
Meldeversäumnis
Minderungsrelevant ist allein die Tatsache eines Meldeversäumnisses. Gemäß § 309 Abs. 1 Satz 2 SGB III hat sich der Leistungsberechtigte bei der zur Meldung bezeichneten Dienststelle zu melden. Es ist das Dienstzimmer des zuständigen Sachbearbeiters aufzusuchen. Eine Vorsprache etwa im Eingangsbereich des Dienstgebäudes genügt nicht, weil damit der Meldezweck offenkundig nicht erreicht wird (LSG BY, Beschluss vom 4.8.2010, L 8 AS 466/10 B ER und 26.4.2010, L 7 AS 212/10 B ER).
Nach § 309 Abs. 3 SGB III hat sich der Arbeitslose zu der von dem Leistungsträger bestimmten Zeit zu melden. Ist diese nach Tag und Tageszeit bestimmt, so ist er seiner allgemeinen Meldepflicht auch dann nachgekommen, wenn er sich zu einer anderen Zeit am selben Tag meldet und der Zweck der Meldung erreicht wird.
| Wichtig: Betroffene, die zu einem Meldetermin zu spät erscheinen und deswegen die Auskunft erhalten, der Termin könne an diesem Tag nicht mehr stattfinden, sollten unbedingt darauf drängen, dass der Termin – ggf. bei einem anderen Mitarbeiter – wahrgenommen werden kann. Die Jobcenter müssen entsprechendes Personal vorhalten und die Aufgaben der Integrationsfachkräfte setzen kein Wissen voraus, welches nicht jeder andere Mitarbeiter auch hat. Der Zweck kann also stets noch erreicht werden (Ausnahme etwa: Erscheinen 5 Minuten vor Schließung der Behörde). Auf jeden Fall sollten sich Betroffene ihre Meldung mit Angabe von Tag und Uhrzeit schriftlich bestätigen lassen. |
Ist der Meldepflichtige am Meldetermin arbeitsunfähig, so wirkt die Meldeaufforderung auf den ersten Tag der Arbeitsfähigkeit fort, wenn die Agentur für Arbeit dies in der Meldeaufforderung bestimmt (§ 309 Abs. 3 Satz 3 SGB III).
Sanktionen bei Meldepflichtverletzungen
Kommt ein Bezieher von Leistungen nach dem SGB II der Meldeaufforderung eines Trägers der Grundsicherung ohne wichtigen Grund trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen nicht nach, wird das ALG II gemäß § 32 SGB II je Meldepflichtverletzung in Höhe von 10 % der nach § 20 SGB II maßgebenden ungekürzten Regelleistungen abgesenkt.
Wichtiger Grund
Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn es dem Leistungsberechtigen objektiv unmöglich oder nach Abwägung der widerstreitenden Interessen unzumutbar ist, am angegebenen Ort zu der angegebenen Zeit zu erscheinen. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles. Folgende Umstände kommen als rechtfertigende Gründe in Betracht:
– Erledigung unaufschiebbarer persönlicher Angelegenheiten (Teilnahme an Trauerfeier, m.E. nicht nur für nahe Angehörige; unvorhergesehener Ausfall der Betreuung eines Kleinkindes usw.).
– Vorstellungstermin bei potentiellem Arbeitgeber.
– Terminkollision mit Arbeit (auch geringfügiger Beschäftigung, vgl. Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 32 Rn. 13).
– Ausfall von Verkehrsmittel.
– Plötzliche Krankheit oder krankheitsbedingtes Unvermögen.
– Unaufschiebbarer Arzttermin (Notfall). M.E. auch der vor Zugang der Meldeaufforderung vereinbarte Arzttermin.
| Wichtig:
– Eine krankheitsbedingte Verhinderung kann auch ohne Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung etwa durch Zeugenbeweisnachgewiesen (Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 32 Rn. 13; Sonnhoff in JurisPK-SGB II, 2. Aufl., Stand 24.8.2010, § 32 Rn. 191). – Streitig ist, ob eine tatsächlich vorliegende und durch eine AU-Bescheinigung belegte Erkrankung ausreichend ist, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit nicht gleichzeitig die Unfähigkeit zur Wahrnehmung des Meldetermins begründet. – Zu dieser Frage hat das BSG (Urt. v. 9.11.2010, B 4 AS 27/10 R, Rz. 32), ausgeführt: „Macht der Arbeitslose gesundheitliche Gründe für sein Nichterscheinen geltend, kommt als Nachweis für die Unfähigkeit, aus gesundheitlichen Gründen beim Leistungsträger zu erscheinen, zwar regelmäßig die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Betracht. Arbeitsunfähigkeit ist jedoch nicht in jedem Einzelfall gleichbedeutend mit einer krankheitsbedingten Unfähigkeit, zu einem Meldetermin zu erscheinen (Sonnhoff in JurisPK-SGB II, 2. Aufl, Stand 24.8.2010, § 31 RdNr 193; A. Loose in GK-SGB II, § 31 RdNr 78, Stand Mai 2008). Da es sich bei dem Begriff der Arbeitsunfähigkeit zudem um einen Rechtsbegriff handelt, dessen Voraussetzungen anhand ärztlich erhobener Befunde – ggf auch durch eine ex-post-Beurteilung – festzustellen sind (BSG Urteil vom 26.2.1992 – 1/3 RK 13/90 – SozR 3-2200 § 182 Nr 12; Schmidt in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 44 SGB V RdNr 132, Stand 1.9.2008; Behrend in Eicher/Schlegel, SGB III, § 309 RdNr 64, Stand November 2004), besteht im Streitfall schon keine Bindung an den Inhalt der von dem Vertragsarzt nach § 73 Abs 2 Satz 1 Nr 9 SGB V ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Entsprechend ist auch die mit einer Arbeitsunfähigkeit regelmäßig verbundene Vermutung, dass ein Meldetermin aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrgenommen werden kann, im Streitfall von den Sozialgerichten zu überprüfen.“ – Die Bundesagentur für Arbeit hat dieses Urteil in ihren Fachlichen Hinweisen (FH) zu § 32 SGB II, dort Rn. 32.9, aufgegriffen und führt dort aus: „Die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist grundsätzlich als wichtiger Grund anzuerkennen. Arbeitsunfähigkeit ist jedoch nicht in jedem Einzelfall gleichbedeutend mit einer krankheitsbedingten Unfähigkeit, zu einem Meldetermin zu erscheinen. Jedenfalls nach vorheriger Aufforderung kann vom Leistungsberechtigten auch ein ärztliches Attest für die Unmöglichkeit des Erscheinens zu einem Meldetermin verlangt werden (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 9.11.2010 – Az. B 4 AS 27/10 R – juris Rn. 32). Die Kosten für die Ausstellung des Attestes können in angemessenem Umfang übernommen werden. Dies sind die nach Ziffer 70 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) vorgesehenen Gebühren für eine kurze Bescheinigung, und zwar in Höhe des bei Privatrechnungen üblichen 2,3fachen Satzes, mithin derzeit 5,36 EUR. Höhere Kosten werden nicht übernommen.“ – Auch das Bayerische LSG hat in seiner Entscheidung vom 13.03.2009 (L 16 AS 268/08 NZB) die Vorlage einer „Reiseunfähigkeitsbescheinigung“ für erforderlich erachtet und zur Begründung ausgeführt: „Dieses Verlangen der Beklagten ist Ausfluss der allgemeinen Meldepflicht des Klägers aus § 59 SGB II i.V.m. § 309, Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Da es bei der Wahrnehmung eines Termins bei der Beklagten nicht um die Frage der Arbeitsfähigkeit geht, ist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung letztlich nicht aussagekräftig, dafür, ob der Bf nicht dazu in der Lage war, diesen Termin wahrzunehmen. Hier ist es angemessen eine Reiseunfähigkeitsbescheinigung zu verlangen. Damit soll der Kläger das Unvermögen seiner Anreise entschuldigen und klarstellen, dass er seiner Pflicht nach §§ 59 SGB II i.V.m. 309 SGB III nicht nachkommen kann. Dies bedeutet, dass das Verlangen der Vorlage der Reiseunfähigkeitsbescheinigung Ausfluss der dem Kläger vom Gesetzgeber nach § 59 SGB II auferlegten Meldepflicht ist, der er nicht nachgekommen ist.“ – Nach Auffassung des Bayerischen LSG, Urt. v. 29.03.2012, L 7 AS 961/11, kann das Jobcenter auch die Vorlage eines qualifizierten ärztlichen Attests verlangen. – Nach anderer Ansicht ist nur bei Vorliegen greifbarer Anhaltspunkte für eine missbräuchlich ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine „Wegeunfähigkeitsbescheinigung“ vorzulegen (Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011 § 32 Rn. 15). Tipps: – Ein Attest über die krankheitsbedingte Unfähigkeit, zu einem Meldetermin erscheinen zu können (Wegeunfähigkeitsbescheinigung), bedarf es regelmäßig nicht, wenn sich aus dem Krankheitsbild bereits die Unfähigkeit zur bzw. Unzumutbarkeit der Terminwahrnehmung ergibt (etwa gebrochenes Bein, Bandscheibenvorfall, ansteckende Krankheit, hohes Fieber). – Die o.g. Rechtsprechung des BSG ändert nichts daran, dass die „Wegeunfähigkeit“ auch durch Zeugenbeweis oder etwa eine eidesstattliche Versicherung nachgewiesen werden kann. Besteht der Grundsicherungsträger auf die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bzw. „Wegeunfähigkeitsbescheinigung“ und lehnt er pauschal die Prüfung anderer angebotener Beweismittel ab (etwa Zeugenbeweis, eidesstattliche Versicherung), verstößt er gegen seine Amtsermittlungspflichten aus § 20 SGB X. Sollte der Grundsicherungsträger trotz nachgewiesenem Vorliegen eines wichtigen Grundes eine Sanktion verhängen, sollte gegen den Sanktionsbescheid Widerspruch erhoben und notfalls der Klageweg beschritten werden. – M.E. folgt aus der Reglung in § 309 Abs. 3 Satz 3 SGB III die gesetzgeberische Wertung, dass derjenige, der arbeitsunfähig ist (also eine gültige AU-Bescheinigung vorlegen kann), auch keinen Meldetermin wahrnehmen muss (a.A. BSG a.a.O. Rn. 31). Andernfalls würde die Ermächtigung des Grundsicherungsträgers zum Erlass einer Meldeaufforderung zur persönlichen Vorsprache am „ersten Tag der Arbeitsfähigkeit“ (§ 309 Abs. 3 Satz 2 SGB III) keinen Sinn machen. Als Subtext schwingt hier mit: Wer arbeitsunfähig ist, ist auch meldeunfähig. – Wie die Ärzteschaft auf die Anfragen nach „Wegeunfähigkeitsbescheinigungen“ reagieren wird, bleibt abzuwarten. Der Nachweisdurst der Sozialbehörden hat schon zu einiger Missstimmung geführt. Die ersten Mandanten berichteten hier, ihre Ärzte hätten für die Ausstellung einer „Wegeunfähigkeitsbescheinigung“ 25 € verlangt. Letztlich ist kein Arzt verpflichtet, pro bono zu arbeiten, auch wenn 25 € überhöht sein dürften. Es ist schon jetzt zu erwarten, dass das notorische Misstrauen der Sozialleistungsträgern zu neuen streitigen Auseinandersetzungen führen wird. – In jedem Fall sollte die Frage der Attestkosten mit dem behandelnden Arzt sowie dem Jobcenter vor einer etwaigen Ausstellung einer Wegeunfähigkeitsbescheinigung geklärt werden. Die Übernahme von Attestkosten sollten sich Betroffene von ihrem Jobcenter unbedingt vorher schriftlich zusichern lassen (§ 34 SGB X). |
– Beim Vorliegen eines wichtigen Grundes besteht keine Pflicht zur Mitteilung vor dem Termin (Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011 § 32 Rn. 14 m.w.N.). Allerdings gebietet es die Höflichkeit, den Termin rechtzeitig abzusagen.
Folgende Umstände kommen als wichtige Gründe nicht in Betracht:
– Eigenmächtiges Verschieben eines Termins ohne wichtigen Grund, auch wenn Vorsprache noch vor Sanktionierung nachgeholt wird (SG Potsdam, Urt. v. 18.8.2009, L 46 AS 218/09).
– Die mit der Meldung verbundenen Reisekosten.
– Abholung eines 12jährigen Kindes von der Schule (LSG HE, Urt. v. 5.11.2007, L 6 AS 279/07).
– Irrtum über das Datum des Meldetermin aufgrund eigener Sorgfaltswidrigkeit (LSG NW, Urt. v. 13.7.2007, L 20 B 114/07 AS).
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Hartz IV: Rückwirkend ab 01.12.2010 mehr Miete für Ein- und Zweipersonenhaushalte in Kiel!
Veröffentlicht: 22. September 2011 Abgelegt unter: Jobcenter Kiel, Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: Jobcenter Kiel, Kosten der Unterkunft Kiel, Mietobergrenzen Kiel, Ratsherr Michael Schmalz (SPD), Ratsherr Schmalz (SPD) Hinterlasse einen Kommentar
In der Sozialausschusssitzung vom 22.09.2011 ist der Antrag der Fraktion Die Linke auf rückwirkende Anpassung der Mietobergrenzen ab 01.12.2010 abgelehnt worden.
Märchenstunde im Sozialausschuss der Landeshauptstadt Kiel
Zur Begründung hat Ratsherr Schmalz (SPD) darauf verwiesen, viele Mietverträge sähen eine Miete „in Höhe der jeweils geltenden Mietobergrenze“ vor. Deswegen würde eine rückwirkende Erhöhung der Mietobergrenzen nur den Vermietern zugute kommen. Diese in SPD-/Jobcenter-Kreisen gern gebrauchte und hier leidlich bekannte Argumentation ist nicht nachvollziehbar. In hiesiger Beratung ist noch nie von einem Mandanten im Sozialleistungsbezug ein Mietvertrag mit einer derartigen Klausel vorgelegt worden. Auch Kollegen aus dem Mietrecht sind derartige Verträge nicht bekannt. Auf die Bitte des Verfassers dieses Beitrages an einen ehemaligen Geschäftsführer des Jobcenters Kiel, zum Nachweis der Existenz derartiger Verträge einfach einmal einen solchen Mietvertrag (anonymisiert) vorzulegen, erfolgte nie eine Rückmeldung. Es ist daher davon auszugehen, dass es solche Mietverträge tatsächlich gar nicht gibt. Zudem wären Klauseln dieser Art in Wohnraummietverträgen wegen Gesetzesverstoßes ohnehin unwirksam, denn es würde sich bei einer solchen Vereinbarung weder um eine Staffelmiete im Sinne von § 557a BGB noch um eine Indexmiete gemäß § 557b BGB handeln. Eine Mieterhöhung hätte sich trotz einer solchen Klausel daher nach den allgemeinen Regeln der §§ 558 ff. BGB zu richten (Erhöhung maximal bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete). Jeder Vermieter weiß das auch. Das „Spitzenpersonal“ der Rats-SPD offenbar nicht. Die Aussage, dass Mietzahlungen ausschließlich dem Vermieter zugute kommen, ist so trivial wie unsinnig. Leistungen für die Unterkunft dienen der Obdachsicherung. Ratsherrn Schmalz ist zu raten, im Rahmen eines Selbstversuches – soweit er denn zur Miete wohnt – seine Miete einfach mal nicht mehr zu zahlen. Er wird dann spätestens nach zwei Monaten merken, wem die Mietzahlungen „zugute kommen“.
Ansprüche geltend machen
Dort wo es Schatten gibt, da ist auch Licht. Der Geschäftsführer des Jobcenters Kiel, Michael Stremlau, erklärte in der Sozialausschusssitzung, zwar komme eine Nachzahlung der Mietdifferenz bei denjenigen Leistungsberechtigten, die in Ein- bzw. Zweipersonenhaushalten zu ihrer Miete hinzu zahlen, nicht in Betracht. Dies würde die Verwaltung überlasten. Diejenigen jedoch, die von sich aus an das Jobcenter Kiel herantreten würden, sollen die Mietdifferenz ab dem 01.12.2010 nachgezahlt bekommen. Immerhin. Nicht optimal, aber ein gangbarer Weg. Auf den Hinweis des bürgerlichen Mitgliedes der Fraktion Die Linke im Sozialausschuss Wolfram Otto, dass der größte Teil der Betroffenen von dieser Regelung gar keine Kenntnis erhalten würden, erklärte der Geschäftsführer des Jobcenters, dies würde in der Zeitung veröffentlicht. Wir dürfen gespannt sein, ob hier Wort gehalten wird. Meint die Geschäftsführung es ernst, so wird sie sicherlich in der nächsten Ausgabe von „Nachrichten aus dem Jobcenter“ im Kieler Express auf die Ansprüche zur Nachforderung von Unterkunftsleistungen hinweisen.
Die Tabelle mit den neuen Mietobergrenzen findet sich hier.
Weiterführende Infos:
Info der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten in Schleswig-Holstein
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Rechtswidrig: Anpassung der Kieler Mietobergrenzen erst zum 01.01.2012!
Veröffentlicht: 13. September 2011 Abgelegt unter: Jobcenter Kiel, Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen, Stadt Kiel | Tags: Jobcenter Kiel, Kosten der Unterkunft Kiel, Mietobergrenzen Kiel 2 Kommentare
Mit der Beschlussvorlage 0730/2011 vom 06.09.2011 beabsichtigt die Landeshauptstadt Kiel, die Kieler Mietobergrenzen ab 01.01.2012 den Werten des Mietspiegels 2010 anzupassen. Damit beugt sich die „Soziale Stadt Kiel“ einmal mehr erst nach langem Zögern der Rechtsprechung der örtlichen Sozialgerichtsbarkeit, die das Jobcenter Kiel bereits erneut in zahlreichen Verfahren zur Gewährung höherer Leistungen für die Unterkunft verurteilt hatte. Da der Mietspiegel 2010 indessen schon zum 01.12.2010 in Kraft getreten ist, stehen Leistungsberechtigten nach dem SGB II (Hartz IV) und SGB XII (vor allem Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) in Ein- und Zweipersonenhaushalten bereits seit dem 01.12.2010 höhere Leistungen für die Unterkunft zu. Für 13 Monate enthält die „Soziale Stadt Kiel“ vielen Hilfebedürftigen damit rechtswidrig 91 € (Einpersonenhaushalte) bzw. 109,20 € (Zweipersonenhaushalte) vor. Betroffenen ist zu raten, bestandskräftige rechtswidrige Bewilligungsbescheide nach § 44 SGB X überprüfen zu lassen und gegen solche Bescheide, bei denen die einmonatige Widerspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist, Widerspruch zu erheben und erforderlichenfalls Klage gegen die Kieler Sozialleistungsträger einzureichen.
| Anzahl der im Haushalt lebenden Personen | Anzuerkennende Wohnungsgröße (in m2) | Mietobergrenzen bruttokalt nach Mietspiegel 2008 | Mietobergrenzen bruttokalt nach Mietspiegel 2010 |
| 1 | bis 50 | 301,50 | 308,50 |
| 2 | 50-60 | 361,80 | 370,20 |
| 3 | 60-75 | 453,00 | 451,50 |
| 4 | 75-85 | 508,30 | 504,90 |
| 5 | 85-95 | 568,10 | 564,30 |
| 6 | 95-105 | 627,90 | 623,70 |
| 7 | 105-115 | 687,70 | 683,10 |
| Mehrbetrag für jedes weitere Familienmitglied | 10 | 59,80 | 59,40 |
Nachtrag 22.09.2011: Mit ihrem Änderungsantrag vom 20.09.2011 fordert die Ratsfraktion Die Linke eine rückwirkende Anpassung der Mietobergrenzen ab 01.12.2010. Über den Antrag wird heute im Sozialausschuss entschieden, der ab 17.00 Uhr tagt. Zum Ergebnis der Sozialausschusssitzung siehe nun hier.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Keine Anrechnung von Krankenhausverpflegung auch in der Altersgrundsicherung?
Veröffentlicht: 10. September 2011 Abgelegt unter: Grundsicherung im Alter | Tags: Anrechnung von Krankenhausverpflegung, Anrechnung von Krankenhausverpflegung in der Grundsicherung, Anrechnung von Krankenhausverpflegung SGB XII Hinterlasse einen KommentarIn seinem Urteil vom 18.06.2008, B 14 AS 22/07 R, hat der 14. Senat des BSG entschieden, dass Krankenhausverpflegung nicht zu einem geringeren Anspruch aus Arbeitslosengeld II führt. Zur Begründung hatte das Gerichts ausgeführt, dass das SGB II – anders als das SGB XII etwa in § 28 SGB XII a.F. (!) – eine Reduzierung der Regelleistung auf der Grundlage einer individuellen Bedarfsermittlung grundsätzlich nicht zulasse, denn die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II hätten pauschalierenden Charakter. Dies schließe sowohl die Berücksichtigung individuell geringerer als auch höherer Bedarfe aus. Ob hieraus zugleich folge, dass bei anderweitiger Bedarfsdeckung – hier durch die Essensverpflegung in einem Krankenhaus – die Zuwendungen als Einnahmen individuell bedarfsmindernd berücksichtigt werden dürfen, hatte das Gericht nicht zu entscheiden, da es in der hier streitigen Zeit für ein solches Vorgehen noch keine Rechtsgrundlage gab. Im Hinblick auf die zwischenzeitlich vom damaligen Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) zum 01.01.2008 in Kraft gesetzte neue ALG II VO, welche nunmehr die Anrechnung ausdrücklich regelte, meldete das BSG indessen bereits in einem obiter dictum „erhebliche Zweifel“ (Rn. 20) an. Infolge der rechtlichen Bewertung durch das BSG sowie auf erheblichen Druck der Opposition im Deutschen Bundestag (informativ BT-Drucks. 16/10714 vom 28.10.2008) hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit der „Ersten Verordnung zur Änderung der ALG II/Sozialgeld-VO“, in Kraft getreten am 01.01.2009, die Regelung zur Anrechnung von Krankenhausverpflegung als Einkommen auf den ALG II-Regelsatz rückwirkend zum 1.1.2008 mit der Änderung des § 1 Abs. 1 Nr. 11 ALG II VO ersatzlos gestrichen und diesem leidigen Thema damit endgültig ein Ende gesetzt.
Urteil des SG Nürnberg zur Grundsicherung
In einem aktuellen Urteil vom 30.06.2011 zum Az. S 20 SO 54/10 hat das Sozialgericht Nürnberg nun entschieden, dass auch die Regelleistungen eines Beziehers von Leistungen der Grundsicherung im Alter (SGB XII) infolge eines Krankenhausaufenthaltes nicht reduziert werden dürfen. Nach § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII bzw. § 27a Abs. 4 Satz 1 SGB XII n.F. sei zwar im Einzelfall der individuelle Bedarf abweichend vom Regelsatz festzulegen, wenn ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist oder unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Allerdings bestünde zwischen dem SGB II (ALG II) und dem SGB XII (u.a. Grundsicherung im Alter) kein Unterschied dergestalt, dass im SGB XII der Individualisierungsgrundsatz gelten würde und im SGB II der Pauschalisierungsgrundsatz und deswegen im SGB XII etwa Leistungen unter erleichterten Voraussetzungen abweichende von den abstrakt festgelegten Regelsätzen erbracht werden könnten.
Das Kernargument des Gerichts lautet sodann: Weil in den zur Bemessung der Regelsätze herangezogenen Haushalten unterer Einkommensgruppen in ähnlichem Umfang wie bei Leistungsberechtigten nach dem SGB XII Krankenhausaufenthalte anfallen, haben die hierdurch bedingten Mehrausgaben sowie die hierdurch bedingten Einsparungen über die statistisch erfassten Verbrauchsausgaben bereits Eingang in die Bemessung der Regelsätze gefunden.
Inwieweit nach § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII a.F. unentgeltliches Essen zu berücksichtigten sei, könne dahingestellt bleiben, denn der Gesetzgeber habe an anderer Stelle (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII) die Gewährung von Kost als Einnahme, die nicht in Geld besteht, klassifiziert. Insofern fehle es an einem klaren gesetzgeberischen Konzept, in welchem Umfang und gegebenenfalls nach welcher Vorschrift des SGB XII von Dritten zur Verfügung gestellte Sachleistungen, insbesondere Essen, als leistungsmindernd erfasst werden sollen.
Zudem erscheine es widersprüchlich, wenn sich die beklagte Behörde bei der Kürzung des Regelsatzes des Leistungsempfängers auf den Individualisierungsgrundsatz beruft, gleichzeitig aber eine pauschale Kürzung vornehme. Hier wäre vielmehr im einzelnen zu ermitteln gewesen, in welchem Umfang während des Krankenhausaufenthalts ein anderer, individueller Bedarf des Leistungsempfängers vorliegt, insbesondere in welchem Umfang möglichen Einsparungen (z.B. wegen kostenloser Verpflegung) zusätzliche Aufwendungen (höhere Preise für den Erwerb von Gegenständen des täglichen Bedarfs, also etwa Nahrungsmittel, Genussmittel, Kosmetika, Bücher und Zeitungen vor Ort, zusätzliche Kosten für Telefon o.ä., Zuzahlung von 10 € pro Aufenthaltstag im Krankenhaus bis zur Befreiungsgrenze) gegenüberstehen (siehe dazu SG Detmold, Gerichtsbescheid v. 01.06.2010, S 2 SO 74/10). Nur auf diese Weise könne im Ergebnis ein abweichender individueller Regelsatz festgelegt werden.
Bewertung der Entscheidung
Die Kernthese des Gerichts, etwaige Einsparungen (bzw. auch Mehrausgaben) durch Krankenhausaufenthalte hätten bereits bei der Regelbedarfsberechnung Berücksichtigung gefunden, weil Krankenhausaufenthalte nun einmal nichts Ungewöhnliches sind (so wohl muss man das Gericht verstehen), ist jedenfalls mutig. Uneingeschränkt richtig indessen ist das Ergebnis: Es ist schlechterdings nicht nachvollziehbar, warum (angebliche) Einsparungen durch Krankenhausverpflegung bei ALG II-Beziehern nicht zu einer Anspruchsreduzierung führen sollen, bei Leistungsberechtigten nach dem SGB XII hingegen doch. Sachliche Gründe für eine derartige Ungleichbehandlung sind nicht erkennbar, eine Harmonisierung der Regelungsbereiche daher dringlichst geboten.
Hinweise für Betroffene in Kiel
Die Rechtsprechung des SG Kiel bzw. Schleswig sowie die Praxis der Kieler Grundsicherungsträger zu dieser Rechtsfrage ist hier nicht bekannt. Betroffenen ist für den Fall einer Herabsetzung ihrer Regelleistungen zu raten, sich gegen die abweichende Leistungsfestsetzung unter Bezugnahme auf die Entscheidung des SG Nürnberg zu wehren und notfalls eine gerichtliche Klärung herbeizuführen. Abzuwarten bleibt weiterhin, ob der gegen das Urteil des SG Nürnberg eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde stattgegeben wird und wie sich im Erfolgsfall das Bayerische Landessozialgericht positionieren wird.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Das Geschäft mit dem Verkauf deutscher Gerichtsurteile – und die Alternativen!
Veröffentlicht: 3. September 2011 Abgelegt unter: Urteilsdatenbanken | Tags: Geschäft mit dem Verkauf deutscher Gerichtsurteile, Urteilsdatenbanken 4 KommentareNach deutschem Urheberrecht sind Gerichtsentscheidungen in Deutschland „gemeinfrei“, d.h. jeder darf sie kostenlos kopieren und veröffentlichen. Denn die Urheber der Urteile – die Richter – werden für ihre Arbeit von der Solidargemeinschaft der Steuerzahler bezahlt. In der Praxis wird der Zugang zu Judikaten über das Internet in Deutschland allerdings erheblich erschwert: Bund und Länder haben mit Datenbankbetreibern – allen voran der Juris GmbH – exklusive „Lieferverträge“ abgeschlossen. Hierüber hat jüngst der SPIEGEL ausführlich und gut recherchiert berichtet (Jura-Datenbanken: So verdienen Finanzinvestoren am Verkauf deutscher Urteile). Wer sich weiter informieren will, dem sei der Beitrag im Blog De Legibus „Juris im Spiegel des SPIEGEL“ mit zahlreichen weiterführenden Links empfohlen.
Alternativen zu Juris, Beck-Online und Co.
Allerdings gibt es Alternativen zu Juris, Beck-Online und Co. Für das Sozialrecht bietet die Seite sozialgerichtsbarkeit.de gute Recherchemöglichkeiten für Urteile der Sozialgerichte, der Landessozialgerichte und des Bundessozialgerichts. Auf der Homepage des Bundessozialgerichts werden die Entscheidungstexte offenbar nach einigen Jahren aus den kostenfreien Datenbanken entfernt und das Gericht zitiert seine in der (ausgesprochen kostspieligen) amtlichen Sammlung erschienene Urteile in Folgeurteilen ohne Angabe des Aktenzeichens, so dass eine Recherche – absichtlich oder unbeabsichtigt, in letzterem Fall dann aber jedenfalls unbedacht – erheblich erschwert wird. Empfehlenswert sind darüber hinaus lexetius.com und – mit Einschränkungen aufgrund der fehlenden Volltextsuche, dafür aber mit Hinweisen auf Presseberichte und Entscheidungsbesprechungen – die „Nachweisdatenbank“ dejure.org. Nicht unerwähnt – wenngleich für das Sozialrecht eher uninteressant – soll zuletzt auch openjur.de bleiben.
Veröffentlichungspraxis schleswig-holsteinischer Sozialgerichte
Die für den Nutzer kostenfreien Urteilsdatenbanken leben davon, dass vor allem Richter ihre von ihnen für veröffentlichungswürdig erachteten Urteile diesen Datenbankbetreibern zur Verfügung stellen. Viele Sozialgerichte nehmen ihre Aufgabe zur Veröffentlichung und damit zur Schaffung von Transparenz und Öffentlichkeit gewissenhaft wahr. Bei den schleswig-holsteinischen Sozialgerichten indes zeigt sich ein eher düsteres Bild: Auf sozialgerichtsbarkeit.de findet sich vom SG Itzehoe nur eine einzige Entscheidung aus dem Jahre 2005, das SG Kiel hat bisher gar keine Entscheidung veröffentlicht – auf telefonische Nachfrage des Verfassers wurde zur Begründung fehlende Zeit ins Felde geführt – , Zeit, die das SG Lübeck immerhin für die Veröffentlichung von 56 Entscheidungen seit 2006 gefunden hat. Das SG Schleswig bringt es auf 15 veröffentlichte Entscheidungen im Zeitraum 2005 bis 2007. Ob ab 2007 nur noch an Juris „geliefert“ wurde, ist hier nicht bekannt. Zum Vergleich: Das SG Berlin-Brandenburg hat seit 2003 insgesamt 586 Urteile und Beschlüsse auf sozialgerichtsbarkeit.de veröffentlicht und verfügt selbst über eine kostenlose Datenbank, die ihresgleichen sucht (allerdings dank der Kooperation mit Juris mit sonderbaren Benutzungshinweisen). Offenbar haben die Berliner Sozialrichter der ersten Instanz einfach sehr viel mehr Zeit als ihre Kollegen in Schleswig-Holstein. Großes Lob verdient demgegenüber die Veröffentlichungspraxis des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts: Seit 2003 hat das Gericht 439 Judikate auf sozialgerichtsbarkeit.de veröffentlicht.
Zuletzt können auch Rechtsanwälte die alternativen und kostenfreien Datenbanken fördern, indem sie diese als Quelle in ihren Schriftsätzen angeben und so deren Bekanntheitsgrad steigern.
Weiterführende Links:
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Rückzahlungen von Betriebsdarlehen sind Betriebsausgaben!
Veröffentlicht: 1. September 2011 Abgelegt unter: Selbständige ALG II-Bezieher | Tags: Anlage EKS, Betriebsdarlehen, Selbständige 5 KommentareEigentlich ist es ganz einfach: Die Aufnahme eines Betriebsdarlehens durch einen selbständigen Hilfebedürftigen ist im Rahmen der Einkommensanrechnung seit 01.04.2011 nicht mehr als Betriebseinnahme zu behandeln, die Rückzahlung eben dieses Betriebsdarlehens aber als Betriebsausgabe (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 2 SGB II, § 3 Abs. 3 Satz 4 und 5 ALG II VO, FH BA zu §§ 11 bis 11b SGB II, dort unter Rn. 11.30a). Jedenfalls sollte man denken, dass dies ganz einfach ist. Für das Jobcenter Segeberg war das nämlich gar nicht so einsichtig. Die Behörde war der Auffassung, dass zwar das aufgenommene Betriebsdarlehen als Betriebseinnahme zu berücksichtigen sei, die Darlehensrückzahlung aber keinesfalls als Betriebsausgabe. Die Begründung, die das Jobcenter Segeberg hierfür aus dem Hut gezaubert und an der es eisern bis in das Gerichtsverfahren festgehalten hat: Da ohne die Darlehensaufnahme in der einen Jahreshälfte Geschäftsverluste entstanden wären, handele es sich bei der Darlehensrückführung um einen „reinen Verlustausgleich außerhalb des Bewilligungszeitraumes“. Daher könne die Darlehensrückführung nicht als Betriebsausgabe anerkannt werden.
Auf diese Weise trieb das Jobcenter Segeberg den Hilfebedürftigen systematisch in die Verschuldung, denn er konnte aufgrund dieser Anrechnungspraxis die Darlehen nicht mit seinen Betriebseinnahmen zurückzahlen, wenn die Geschäfte besser liefen. Denn die Betriebseinnahmen wurden – mangels Anerkennung der Darlehenstilgungen als Betriebsausgaben – als Gewinn auf seine Sozialleistungen angerechnet und der Hilfebedürftige musste diese deswegen zur Bestreitung seines Lebensunterhaltens einsetzen.
Mit Beschluss vom 31.08.2011 hat das Sozialgericht Lübeck das Jobcenter Segeberg verpflichtet, dem Leistungsberechtigten Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung der Raten zur Darlehensrückführung als Betriebsausgaben (und damit ohne Anrechnung von Erwerbseinkommen) zu erbringen. Auf die – sonderbare – Begründung des Jobcenters Segeberg ist das Gericht zu Recht gar nicht eingegangen, sondern hat lediglich geprüft, ob es sich bei dem Darlehen zur Finanzierung der Miete der Betriebsstätte um notwendige Betriebsausgaben gehandelt hat und sodann lapidar festgestellt: „Tilgungsbeträge betrieblicher Darlehen sind in voller Höhe als Betriebsausgaben zu berücksichtigen. Dies entspricht auch den Dienstanweisungen des Antragsgegners im Zusammenhang mit betrieblichen Darlehen (11.30a).“ Mehr kann man dazu in der Tat auch kaum sagen. Den Mitarbeitern des Jobcenters Segeberg sind diese Selbstverständlichkeiten offenbar nicht geläufig – sie müssen erst durch ein Gericht zu einfachstem gesetzestreuen Handeln verpflichtet werden.
Sozialgericht Lübeck, Beschluss vom 31.08.2011, S 47 AS 748/11 ER
Tipps für Betroffene/Nachtrag:
Die Anzahl der Nachfragen zu diesem Thema lassen vermuten, dass nicht wenige selbständige ALG II-Aufstocker Probleme mit der Anerkennung ihrer Betriebsausgaben – seien es Raten zur Rückführung von Betriebsdarlehen oder Kosten durch die Anschaffung von Betriebsgeräten im Bewilligungszeitraum – haben. Gelingt es nicht, mit der Behörde eine Einigung über die Anerkennung zu erzielen, sollte gegen den vorläufigen Bewilligungsbescheid (im Fall der Nichtberücksichtigung der geltend gemachten Betriebsausgaben in der vorläufigen Anlage EKS) bzw. den endgültigen Bewilligungsbescheid (im Fall der Nichtberücksichtigung der geltend gemachten Betriebsausgaben in der abschließenden Anlage EKS) innerhalb der Monatsfrist Widerspruch erhoben werden. Führt die inkriminierte Nichtanerkennung von Betriebsausgaben zu einer Bedarfsunterdeckung – ist also das Existenzminimum nicht mehr gewährleistet – sollte ein Eilantrag beim zuständigen Sozialgericht auf Verurteilung der Behörde zur Leistungserbringung unter Berücksichtigung der geltend gemachten Betriebsausgaben gestellt werden. In Verfahren vor Sozialgerichten werden von ALG II-Beziehern keine Gerichtskosten erhoben. Da die Behörde sich durch eigene Mitarbeiter vertritt, sind auch dann, wenn das Sozialgericht die Nichtanrechnung durch die Behörde im Ergebnis bestätigen sollte, keine Kosten der Gegenseite zu tragen. Weil vor den Sozialgerichten kein Anwaltszwang besteht, können sich Betroffene selbst vertreten. Es besteht in diesem Fall kein Kostenrisiko. Ist in schwierigen Fällen die anwaltliche Vertretung ratsam, besteht die Möglichkeit, die Beiordnung eines Rechtsanwalts auf Prozesskostenhilfebasis zu beantragen.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Erbschaft: Pflichtteilsverzicht nicht sittenwidrig!
Veröffentlicht: 1. September 2011 Abgelegt unter: Erben | Tags: Erben im Sozialleistungsbezug, Erbschaft, Pflichtteilsverzicht von Sozialleistungsbeziehern Hinterlasse einen KommentarGrundsätzlich kann der Sozialhilfeträger Ansprüche des Leistungsberechtigen auf sich überleiten und diese selbst geltend machen (§ 33 SGB II, § 93 SGB XII usw.). Das gilt auch für erbrechtliche Pflichtteilsansprüche. Um den Pflichtteil dem Zugriff des Sozialleistungsträgers zu entziehen, wird aus diesem Grunde vielfach ein Pflichtteilsverzicht in notarieller Form erklärt. Bisher war umstritten, ob ein solcher Verzicht sittenwidrig ist. Der Bundesgerichtshof hat diese Frage in seinem sorgfältig begründeten Urteil vom 19.1.2011, Aktenzeichen IV ZR 7/10, nunmehr verneint. Bei dem Pflichtteilsverzicht eines Sozialhilfebeziehers handele es sich nicht um einen „Vertrag zulasten Dritter“, weil dem Sozialleistungsträger durch den Verzicht keinerlei vertragliche Pflichten auferlegt würden. Auch der sozialrechtliche „Nachranggrundsatz“, wonach vor der Inanspruchnahme von Sozialleistungen zunächst alle anderen Möglichkeiten der Hilfe ausgeschöpft werden müssen, begründe die Annahme der Sittenwidrigkeit des Pflichtteilsverzichts nicht, denn dieser Grundsatz sei schon im Sozialhilferecht vielfach durchbrochen und rechtfertige keinesfalls eine Einschränkung der grundgesetzlich garantierten Privatautonomie sowie der „negativen Erbfreiheit“, d.h. des Rechts, nicht erben zu müssen. Höchstrichterlich entschieden ist nun auch, dass das Recht zur Erbschaftsausschlagung vom Sozialleistungsträger nicht auf sich übergeleitet werden kann und auch die Erbschaftsausschlagung nach Anfall einer werthaltigen Erbschaft durch einen Bezieher von Sozialleistungen nicht sittenwidrig ist. Die Entscheidung betrifft den Fall eines behinderten Sozialhilfebeziehers, dürfte aber nach der allgemein gehaltenen Begründung des Senats auch für nicht behinderte Bedürftige gelten. (BGH, Urt. v. 19.1.2011 – IV ZR 7/10 – , DNotZ 2011, S. 381 ff.)
Erstveröffentlichung in HEMPELS 09/2011
Weitere Besprechungen zu dem Urteil des BGH finden sich hier.
Korrekturhinweis: In der Printausgabe des HEMPELS 09/2011 ist zu lesen, dass die Erbschaftsausschlagung durch einen „Sozialleistungsträger“ nicht sittenwidrig sei. Richtig muss es natürlich heißen: durch einen „Sozialleistungsempfänger„.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Devise der „Sozialen Stadt“ Kiel: Soziale Probleme vertuschen, anstatt sie zu benennen!
Veröffentlicht: 26. August 2011 Abgelegt unter: Jobcenter Kiel, Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen, Stadt Kiel | Tags: Jobcenter Kiel, Kosten der Unterkunft, Soziale Stadt Kiel, Umzugsaufforderungen Kiel Hinterlasse einen Kommentar
In Kiel leben derzeit 33.243 Menschen von Hartz IV. 11.506 von ihnen gelten als arbeitslos im Sinne der Statistik. Trotz Wirtschaftsaufschwungs steigen in Kiel die – zuvor durch Eineurojobs und andere zweifelhafte „Eingliederungsmaßnahmen“ des Jobcenters Kiel heruntermanipulierten – Arbeitslosenzahlen massiv. Kiel will eine „Soziale Stadt“ sein. Was läge da näher als die Erwartung, dass die Stadt Kiel zunächst einmal schonungslos benennt, wo die sozialen Probleme liegen? Also beispielsweise offen sagt, wie viele Bezieher von Sozialleistungen zu ihrer Miete dazu bezahlen müssen, weil sie keinen günstigen Wohnraum finden können? Das Gegenteil ist leider der Fall. Es wird gemauert und sich herausgeredet, selbst wenn es nur darum geht, Zahlen auf den Tisch zu legen. So wollte etwa eine Ratspartei wissen, wie viele Kieler Bürger im Sozialleistungsbezug überhaupt aus ihren Regelleistungen zu ihrer Miete hinzu zahlen müssen. Die Antwort der Stadt im Zitat: Die Zahlen „lassen sich nicht ermitteln“, „werden nicht im statistischen Sinne erfasst“ oder: leider „gibt es keine statistische Erfassung“. Das mag glauben, wer will. Der Autor jedenfalls tut es nicht, denn im Jahre 2007 konnte ihm einer der Geschäftsführer des Jobcenters Kiel die Zahlen komischerweise aus dem Stegreif nennen und auch der Presse wurden recht konkrete Zahlen genannt: So sollen allein Anfang 2007 rund 1.000 kieler ALG II-Empfänger aufgefordert worden sein, ihre Unterkunftskosten zu senken (Kieler Nachrichten vom 30.5.2007, Seite 22). Wie war es möglich, in 2007 so präzise Zahlen zu nennen, wenn sich die Zahl der Leistungsberechtigen, deren Miete über der Mietobergrenze liegt, doch angeblich nicht ermitteln lässt, eine Ermittlung also nicht möglich ist und auch nicht erfolgt? Ein ehrlicher Umgang der Stadt mit ihren Bürgern sieht anders aus.
Nachtrag: Eine Zahl kennen wir allerdings. In Kiel werden nach der aktuellen Statistik der Bundesagentur für Arbeit (dort Seite 9) 95,9 % der tatsächlichen Grundmieten anerkannt, 4,1 % (= 213.441 € monatlich) müssen zugezahlt werden. Aus diversen Gründen, die darzulegen hier nicht der richtige Ort ist, sind diese Zahlen allerdings nur bedingt aussagekräftig. Zudem – dies am Rande – sind die erheblichen prozentualen Abweichungen zwischen den anerkannten Grundmieten und Betriebskosten in Kiel schwer nachvollziehbar, da es in Kiel Bruttokalt-Mietobergrenzen gibt. Es gilt daher nach wie vor der Satz: Traue keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast!
Zweiter Nachtrag: Eine kleine Forums-Diskussion zu diesem Thema findet sich jetzt hier.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Leistungsberechtigten steht bei Mietzuzahlung Betriebskostenguthaben zu!
Veröffentlicht: 25. August 2011 Abgelegt unter: Betriebskostenguthaben, Kosten der Unterkunft | Tags: Betriebskostenguthaben ALG II, Betriebskostenguthaben Hartz IV, Kosten der Unterkunft 15 KommentareIm konkreten Fall erkannte das Jobcenter Kiel im Jahr 2009 von der tatsächlichen Miete der Leistungsberechtigten in Höhe von rund 405 Euro nur die sog. Mietobergrenze von 327 Euro bruttokalt – also inklusive Betriebskosten – (später 362,80) an. Die Differenz zu ihrer tatsächlichen Miete bezahlte die Leistungsberechtigte aus ihrem Regelsatz von 359 Euro. Im September 2009 erhielt die Leistungsbezieherin von ihrem Vermieter die Betriebskostenabrechnung für das Vorjahr, die mit einem Betriebskostenguthaben in Höhe von 297,40 Euro abschloss. In dieser Höhe minderte der Vermieter die Miete für November 2009. Das Jobcenter Kiel erbrachte daraufhin für November 2010 nur Leistungen für die Unterkunft abzüglich des Guthabens von 297,40 Euro und begründete dies damit, Betriebskostenguthaben minderten nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II die Aufwendungen für die Unterkunft. Mit rechtskräftigem Beschluss vom 02.12.2010 entschied das Sozialgericht Kiel, dass die mindernde Berücksichtigung von Betriebskostenguthaben rechtswidrig ist, wenn das Guthaben nicht durch Leistungen des Jobcenters für die Unterkunft entstanden ist, sondern auf Zuzahlungen des Leistungsberechtigten zur Miete beruht. Als Faustformel gilt: In Höhe der monatlichen Zuzahlungen zur Miete x 12 Monate steht eine Betriebskostenguthaben den Hilfebedürftigen zu und nicht dem Jobcenter und darf daher weder zurückgefordert werden noch auf die Leistungen für die Unterkunft angerechnet werden. Betroffene sollten sich auf jeden Fall fachkundigen Rat holen, da das Jobcenter Kiel seine rechtswidrige Verwaltungspraxis weiter fortsetzt.
Sozialgericht Kiel, Beschluss vom 02.12.2010, S 38 AS 588/10 ER
Erstveröffentlichung in Hempels 03/2011
Nachtrag 23.04.2012:
Zwischenzeitlich liegt von der selben Kammer das Urteil vom 07.02.2012, S 38 AS 218/10 (nicht rechtskräftig) vor.
Nachtrag:
Wie hier für Heizkostenguthaben, die auf Zahlungen aus dem Regelsatz beruhen, SG Chemnitz, Urteil vom 31.01.2013, S 40 AS 5401/11; SG Chemnitz, Urteil vom 31.01.2013, S 40 AS 540/11, SG Chemnitz, Urteil vom 11.04.2013, S 14 AS 4157/13 (das SG Chemnitz hat in allen Verfahren die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen).
Nachtrag 16.06.2018: Zu 01.08.2016 wurde § 22 Abs 3 SGB II um den Halbsatz „Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht“ ergänzt. Damit ist die Rechtslage in dem hier dargestellten Sinne vom Gesetzgeber geändert worden. Die Neuregelung ist nicht für Zeiträume vor dem 01.08.2016 anwendbar, vgl. BSG, Urteil vom 18.06.2018, B 14 AS 22/17 R.
Mehr zum Thema auf dieser Seite:
Jobcenter Kiel ändert seine Verwaltungspraxis bei der Rückforderung von Betriebskostenguthaben
Rückforderung von Betriebskostenguthaben!
Zur Abtretung von Nebenkostenguthaben
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Alt, arm, arbeitslos!
Veröffentlicht: 25. August 2011 Abgelegt unter: 50PlusKERNig Kiel | Tags: 50Plus, 50Plus KERNig, Jobcenter Kiel 2 KommentareUnter den Titel „Alt, arm, arbeitslos“ hat die ARD am 24.08.2011 über das Programm „50Plus“ der Bundesagentur für Arbeit berichtet. Der – erschreckende – Bericht ist hier nachzusehen.
Nachtrag:
Eine interessante Diskussion zum Thema hat der MDR am 12.09.2011 ausgestrahlt: Fakt ist…! Aus Leipzig 12.09.2011, 22:15 Uhr.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Private Krankenversicherung: Schuldenerlass für Hartz-IV-Empfänger!
Veröffentlicht: 24. August 2011 Abgelegt unter: Krankenversicherung | Tags: Private Krankenversicherung, Schuldenerlass für Hartz-IV-Empfänger Hinterlasse einen KommentarHartz-IV-Empfänger sollen ihre Beitragsschulden bei privaten Krankenversicherern erlassen bekommen. Die Privatkassen erhalten künftig ihre Beiträge direkt vom Jobcenter und verzichten dafür auf Außenstände. (weiterlesen bei DER TAGESSPIEGEL)
Weiterführende Links:
http://www.mediafon.net/meldung_volltext.php3?id=4e53bc7db4026&akt=news_versicherungen
Nachtrag:
Verfahrensinformation SGB II vom 12.03.2012
Geschäftszeichen: PEG 2 – II-1308.2 / II-5215
Gültig ab: 12.03.2012
Gültig bis: 31.03.2014
Weisungscharakter: ja
Hinweis: Bezug: Verfahrensinformation vom 27.01.2011, Geschäftsanweisung SGB II Nr. 08 vom 06.04.2011Zusammenfassung
Umgang mit Altschulden in der privaten Krankenversicherung durch Beitragslücke
Seit dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.01.2011 (B 4 AS 108/10 R) ist eine Begrenzung des Zuschusses für eine private Krankenversicherung (§ 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II i. V. m. § 12 Abs. 1c Satz 5 und 6 Versicherungsaufsichtsgesetz) auf den Betrag für gesetzlich versicherte Bezieher von Arbeitslosengeld II nicht mehr zulässig. Der Zuschuss ist nunmehr maximal in Höhe des halben Beitrags im Basistarif zu übernehmen (vgl. Fachliche Hinweise zu § 26 SGB II und Rechengrößen der Sozialversicherung). Mit der Geschäftsanweisung SGB II Nr. 08 vom 06.04.2011 wurde informiert, dass im BMAS geprüft wird, ob und in welcher Weise Handlungsbedarf für ein Aufgreifen der Leistungsfälle für die Vergangenheit besteht.
Nach Auskunft des BMAS hat der Verband der privaten Krankenversicherungen e. V. mitgeteilt, dass die privaten Versicherungsunternehmen grundsätzlich bereit sind, auf die durch die Begrenzung des Zuschusses nach § 26 SGB II entstandenen Beitragsschulden von Leistungsberechtigten nach dem SGB II zu verzichten. Ein Verzicht kommt in Betracht, sofern es sich um Schulden zwischen Januar 2009 und Januar 2011 und ausschließlich um Zahlungsrückstände aufgrund der Deckungslücke handelt.
Wenden sich Leistungsberechtigte in dieser Fragestellung an das Jobcenter, ist ihnen zu empfehlen, schriftlich beim jeweiligen Versicherungsunternehmen um einen Verzicht auf die Beitragsforderungen zu ersuchen. Diesem (formlosen) Antrag sollte ein durch das Jobcenter erstellter Nachweis über den Leistungsbezug in dem betreffenden Zeitraum beigefügt werden.
Die BA empfiehlt darüber hinaus, die Leistungsberechtigten bei bisher nicht bearbeiteten Anfragen zu dieser Fragestellung initiativ zu informieren.
Adressatenkreis:
- alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den leistungsbearbeitenden Stellen der Jobcenter
- alle Führungskräfte in den Jobcentern
- alle Fachaufsichtführenden zur historischen Fallbearbeitung in den Agenturen für Arbeit (Punkt 1)
- alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in den Agenturen für Arbeit die Bearbeitung historischer Fälle in A2LL für einen zugelassenen kommunalen Träger vornehmen (Punkt 1)
Gezeichnet Unterschrift
Bereichsleiter PEG2
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
SG Schleswig lehnt erneut Wohnraummehrbedarf für Alleinerziehende ab!
Veröffentlicht: 21. August 2011 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft | Tags: Wohnraum-Mehrbedarf Alleinerziehende, Wohnraummehrbedarf für Alleinerziehende Hinterlasse einen KommentarNach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urt. v. 7. November 2006 – B 7b AS 18/06 R) bestimmt sich die einem ALG II-Bezieher maximal zugestandene Wohnungsgröße in Ermangelung anderer Maßstäbe grundsätzlich nach den Verwaltungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz und Wohnraumförderungsgesetz.
Streitig ist in der Rechtsprechung, ob dies auch für gewisse Ausnahmetatbestände gilt, bei denen die Verwaltungsvorschriften der Länder einen Wohnraummehrbedarf – etwa für alleinerziehende Eltern – vorsehen. So wird etwa bei alleinerziehenden Eltern, deren Kind das 6. Lebensjahr vollendet hat, gemäß Nr. 8.5.5.1 der Verwaltungsvorschrift zur Sicherung von Bindungen in der sozialen Wohnraumförderung nach Wohnungsbindungsgesetz und Wohnraumförderungsgesetz (VwV-SozWo 2004), Amtsblatt Schleswig-Holstein 2004, S. 548, eine Wohnungsgröße von maximal 70 m2 („10 m2 oder ein Raum“) als noch angemessen angesehen.
Nach hier vertretener Auffassung führt die Ankoppelung des Begriffs der Angemessenheit i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II an die im Wohnungsbindungsrecht für angemessen erachteten Wohnflächen (BSG, Urt. v. 7. November 2006 – B 7b AS 18/06 R; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 16.04.2008 – L 11 B 380/08 AS ER; Lang/Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, Aufl. 2008, § 22, Rn 42c; Berlit in LPK-SGB II, 2. Aufl. 2006, § 22 Rn. 27, beide mit umfangreichem w.N.) dazu, dass die Jobcenter nicht allein auf die in den Verwaltungsvorschriften zum Wohnungsbindungsrecht aufgeführten tabellarischen Werte gestaffelt nach der Anzahl der im Haushalt lebenden Personen zurückzugreifen haben, sondern auch die Ausnahmetatbestände dieses Rechtsgebietes zu berücksichtigten sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn das Wohnungsbindungsrecht solchen besonderen sozialen Situationen Rechnung trägt, die auch das Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende als berücksichtigungsfähig anerkennt (so zutreffend SG Aachen v. 16.11.2005, S 11 AS 70/05). Ein solcher Fall ist insbesondere der (in § 21 Abs. 3 SGB II dem Grunde nach als berücksichtigungsfähig anerkannte) Mehrbedarf wegen Alleinerziehung, dem auf dem Gebiet des Wohnungsbindungsrechts Nr. 8.5.5.1 VwV-SozWo 2004 SH Rechnung trägt. Hiernach ist ein zusätzlicher Raum oder eine zusätzliche Wohnfläche von 10 m2 bei Alleinerziehenden mit Kindern ab vollendetem 6. Lebensjahr ohne weiteren Nachweis zuzubilligen.
Dieser Ausnahmetatbestand, der nach dem Wohnungsbindungsrecht ein Abweichen von der Tabelle in Nr. 8.5.6 VwV-SozWo 2004 SH rechtfertigt, muss nach hiesiger Auffassung bei Alleinerziehenden deswegen zur Anwendung kommen, weil sich die Wohnsituation eines allein erziehenden Erwachsenen im ALG II-Bezug nicht von der Wohnsituation eines allein erziehenden Erwachsenen unterscheidet, der Anspruch auf Wohngeld hat. Soweit vereinzelt eine andere Auffassung vertreten wird, wird verkannt, dass die Zielrichtung der Wohnflächenfestlegung in der VwV-SozWo 2004 SH und eben auch im Bereich der Grundsicherung sich nicht am zur Verfügung stehenden Einkommen orientiert, sondern an den notwendigen Bedürfnissen von Menschen in besonderen Lebenslagen (Behinderung, allein erziehende Eltern usw.), die vollkommen einkommensunabhängig bestehen oder auch nicht bestehen.
Die 9. Kammer des Sozialgerichts Schleswig ist dieser Rechtsauffassung nicht gefolgt (Urteil vom 28.04.2011, S 9 AS 1829/07). Zur Begründung hat das Gericht – eher dünn – ausgeführt:
„Die Kammer folgt nicht dem Vorbringen der Kläger, es wäre wegen der Alleinerziehung weiterer Wohnraum zu berücksichtigen. Soweit in Ziffer 8.5.5.1 der VwV-SozWo 2004 von einem weiteren Raumbedarf von 10 m2 ausgeht, läßt sich dieser Maßstab berücksichtigt die Kammer die unterschiedlichen Zielrichtungen zwischen Existenzsicherung auf der einen Seite und Wohnungsversorgung. Wie aus den übrigen Ergänzungstatbeständen der Ziffer 8.5 VwV-SozWo 2004 zu entnehmen ist, beinhaltet die Wohnraumversorgung weitere soziale Aspekte, die über die Existenzsicherung hinausgehen. Älteren Personen, die in die Nähe ihrer Kinder ziehen wollen, wird ein zusätzlicher Bedarf von 10 m2 zuerkannt. Ebenso, wenn ältere, gebrechliche oder behinderte Menschen innerhalb eines Hauses umziehen wollen. Gleiches gilt in den Fällen des Wohnungstausches, wenn er andernfalls daran scheitern sollte. Schließlich werden weitere 10m2 bei der Wohnungsversorgung bei Ehepaaren mit Kinderwunsch, bei denen die Ehe noch keine 5 Jahre besteht und keiner der Ehegatten bereits das 40. Lebensjahr vollendet hat. Diese Tatbestände verdeutlichen, dass eine Motivvielfalt die Wohnungsversorgung bestimmt, während angemessen im Sinne des § 22 SGB II lediglich die Existenzsicherung ist. Insofern kann kein weiterer Wohnraumbedarf aus dem Gesichtspunkt der Alleinerziehung berücksichtigt werden.“ (SG Schleswig, Urteil vom 28.04.2011, S 9 AS 1829/07)
| Bewertung: Anders als anderen Kammern ist der 9. Kammer am SG Schleswig anzurechnen, dass sie überhaupt auf das streitige Rechtsproblem eingegangen ist. Eigentlich sollte es selbstverständlich sein, dass sich ein Gericht mit dem Vorbringen eines Beteiligten – zumal zu strittigen Rechtsfragen – auseinandersetzt. Tatsächlich ist es nicht selbstverständlich, wie der Autor in einem parallelen Verfahren zu ebendieser Rechtsfrage erleben musste.Damit ist dann allerdings auch bereits alles Positive zu diesem Urteil gesagt. Der Witz ist ja gerade, dass sowohl das SGB II als auch das Wohngeldrecht dem „sozialen Aspekt“ Alleinerziehung Rechnung tragen. Es ist geradezu abenteuerlich, der angeblichen „Motivvielfalt“ des Wohngeldrechts das angeblich nur auf „Existenzsicherung“ gerichtete ALG II gegenüber zu stellen. Gerade das SGB II kennt eine Vielzahl von Mehrbedarfen und Förderungen, soll es doch neben der finanziellen Absicherung die Integration in Arbeit fördern. Aber gut, es scheint bei einigen Kammern am SG Schleswig en vogue zu sein, als neu kreierten Auslegungsmaßstab nach Gutdünken den Topos „bloße Existenzsicherung“ heranzuziehen. Damit lässt sich dann natürlich vorzüglich jede noch so restriktive Gesetzesauslegung begründen. |
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Umfrage: „50Plus KERNig“ aus der Sicht von Teilnehmern!
Veröffentlicht: 21. August 2011 Abgelegt unter: 50PlusKERNig Kiel, Jobcenter Kiel | Tags: 50+ Kiel, 50+KERNig, 50+KERNig Kiel, 50Plus, 50Plus KERNig, 50Plus KERNig Kiel, 50Plus Kiel, Jobcenter Kiel 43 Kommentare
In ihrer Ausgabe vom 5.8.2011 auf Seite 19 berichteten die Kieler Nachrichten über das mit 5 Millionen Euro durch die Bundesagentur für Arbeit geförderte Projekt 50Plus KERNig der Jobcenter Kiel, Rendsburg-Eckernförde und Neumünster unter der Überschrift „Gemeinsam aus der Arbeitslosigkeit – „50Plus KERNig“ meldet erste Erfolge“. Der Beitrag beruht offenkundig fast ausschließlich auf Informationen und Interviews mit Mitarbeitern des „Projekts“. In der Folge fällt die Bewertung des „Projektes“ dann auch ausgesprochen positiv aus, während „Projektkoordinatorin“ Nicole Homeister ausgiebig Gelegenheit erhält, ihre Erfahrungen mit Arbeitslosen zum Besten zu geben. So wird Frau Homeister etwa mit folgenden Worten zitiert: „Manche Arbeitslose muss man regelrecht zur Arbeit tragen“, die „in ihrem gesamten Dasein fast eingeschlafen zu sein scheinen“.
Weil Teilnehmer des „Projekts“ nicht zu Worte kommen, bleibt das alles unwidersprochen. Uns interessiert deshalb, wie das „Projekt“ von Teilnehmern beurteilt wird. In einigen Foren – etwa dem Elo-Forum oder hartz.info – finden sich erste Erfahrungsberichte, welche die Vermutung nahe legen, auch bei diesem Projekt handele es sich einmal mehr um alten Wein in – freilich sehr teueren – neuen Schläuchen. Auch erste Erfahrungsschilderungen von Mandanten deuten in diese Richtung.
Projektteilnehmer werden daher gebeten, ihre Erfahrungen mit „50Plus KERNig“ zu schildern. Email bitte an helgehildebrandt@hotmail.com zum Betreff „50Plus KERNig“ oder als Kommentar direkt in den Blog. Es wird um sachliche Formulierungen gebeten. Kürzungen sowie die Unkenntlichmachung diskriminierender Formulierungen bleiben vorbehalten. Die Veröffentlichung erfolgt anonymisiert.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
1. Erfahrungsbericht (Email vom 21.08.2011, 17.00 Uhr)
2. Erfahrungsbericht (Email vom 22.08.2011, 11.07 Uhr)
„Den Erfahrungsbericht kann ich nur bestätigen. Die Räumlichkeiten wurden von Jobstart übernommen und auch die Arbeitsweise hat sich nicht geändert. Allerdings befindet sich in Ihrer Einleitung zum Erfahrungsbericht eine Ungenauigkeit. Wer den KN-Artikel nicht kennt, geht davon aus, dass Frau Nicole Homeister für 50Plus KERNig arbeitet. Sie ist aber Mitarbeiterin der FAW.“
3. Erfahrungsbericht (Email vom 11.09.2011, 14.43 Uhr)
„Nun habe ich meine zweite Einladung hinter mir, die ich jedes Mal in einem separaten Raum wahrnahm. Es ist ein Fensterloser Raum ohne PC in dem auch ein SB nicht richtig arbeiten kann, außer er druckt die relevanten Sachen vorher aus. Somit war im voraus nicht bedacht worden das es „Kunden“ gibt die ihre Daten nicht im Großraumbüro offenbaren wollen da jeder mithören kann.
Zunächst war ich überrascht das man mir zuhörte und meine gesundheitlichen Einschränkungen zur Kenntnis nahm. In der Einleitungsrede des SB hieß es ja auch es sollen nur passende Stellenangebote angeboten werden. Es solle alles locker zugehen und Zwang werde es nicht geben. Einen leichten Druck spürte ich jedoch als man mir verschiedene Maßnahmen erläuterte, die ich jedoch ablehnte. Stellenangebote, die dann ausgedruckt wurden, sind entweder über oder unter Niveau, und dann gibt es noch Jobs bei denen das Haltbarkeitsdatum schon abgelaufen ist. Die Frage war, wer dafür verantwortlich ist, von Seiten des JC`s wurde geantwortet die Arbeitgeber. Empfohlen wurden mir auch Minijobs, damit ich mich, mit meinen Einschränkungen, wieder eingliedern, eventuell auch hoch arbeiten kann. Ich dachte das Ziel wäre es einen sozialversicherungspflichtigen Job anzunehmen um nicht mehr hilfebedürftig zu sein. Auf meine Frage wer die potentiellen Arbeitgeber seien mit dem das JC in Verbindung steht wurde unterbrochen, da SB den Raum verließ.
Alles in allem geht es im kernigen 50+ schon etwas lockerer zu, doch mein Bauchgefühl sagt mir das es nicht so bleiben wird. Je weniger Aussicht auf einen Job besteht, desto mehr wird sich auch dort der Druck erhöhen. Das Jobcenter 50+ Kernig macht momentan nichts anderes als das reguläre Jobcenter, nur wurde die Betreuung intensiviert. Eine Einladung alle 4-6 Wochen um die Bewerbungsbemühungen zu zeigen, außerdem um unpassende Stellenangebote aus der Jobbörse zu bekommen. Der § 16 ist auch nichts Neues, der wurde schon im alten JC erwähnt. Wo bleibt die Zusammenarbeit mit den potentiellen Arbeitgebern?“
4. Erfahrungsbericht (Email vom 21.09.2011, 08.44 Uhr)
„Ich bin in dem 50+ Projekt. Mein Wissen habe ich aus eigenen Erkenntnissen in leider jahrelanger Erfahrung mit der Arge gesammelt und die Erfahrungen waren meistens nicht positiv. Sie sollten sich auch nicht nur auf das Programm 50+ beziehen, sondern auf das gesamte System Hartz IV – das würde ich für effektiver halten – weil:
50 plus kernig – unterscheidet sich nicht gravierend von anderen Programmen der Arge. Es ist, wie ich schon schrieb, mal wieder mit einem anderen Namen schön ummantelt und gaukelt den nichtsahnenden Bürgern etwas vor, was in der Praxis nicht realisierbar ist.“
5. Erfahrungsbericht (Email vom 28.05.2014, 19.07 Uhr)
Weitere Erfahrungsberichte mit 50Plus KERNig in den „Kommentaren“!
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Rückforderung von ALG II nach neuer Rechtslage!
Veröffentlicht: 28. Juli 2011 Abgelegt unter: Aufrechnung, Rückforderung von Sozialleistungen | Tags: Aufrechnung nach § 43 SGB II, Rückforderung von ALG II 9 KommentareSeit Anfang 2011 gelten für die Rückforderung von Überzahlungen neue Regeln. Konnte das Jobcenter bisher nur mit eigenen Ansprüchen auf Erstattung oder Schadensersatz in Höhe von 30 % des maßgeblichen Regelsatzes aufrechnen, die der Leistungsberechtigte durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst hat, ist seit dem 1.1.2011 eine verschuldensunabhängige Aufrechnung möglich.
Nach § 43 SGB II n.F. gilt nun:
(1) Eine Aufrechnung in Höhe von 10 % des maßgeblichen Regelsatzes ist verschuldensunabhängig möglich bei Rückforderung von
• den tatsächlichen Anspruch übersteigende Vorschüssen nach § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB I,
• vorläufige erbrachten Leistungen nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB I,
• vorläufig erbrachten Leistungen nach § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III (gem. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II auch im SGB II anwendbar) sowie
• in den Fällen, in denen der Leistungsberechtigte nach Antragstellung oder Leistungsbewilligung Einkommen oder Vermögen erzielt hat, welches zum Wegfall oder zur Minderung des Leistungsanspruches führt, § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X.
(2) Eine Aufrechnung in Höhe von 30 % des maßgeblichen Regelsatzes ist möglich bei verschuldeten Rückforderungen
• nach § 45 SGB X, also i.d.R. nur, wenn
– die Leistungen durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden sind,
– die Leistungsgewährung auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder wenn
– der Begünstigte die Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung positiv kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte,
• nach § 48 SGB X, also nur, wenn
– der Betroffene eine Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen in seinen Verhältnissen vorsätzlich oder fahrlässig nicht nachgekommen ist oder
– der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der ALG II-Anspruch nicht mehr besteht,
• bei Ersatzansprüchen wegen sozialwidrigem Verhalten i.S.v. § 34 SGB II, d.h. wenn ein volljähriger vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung an sich ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat oder
• bei Ersatzansprüchen aufgrund sozialwidrigem Verhaltens i.S.v. § 34a SGB II, d.h. wenn durch vorsätzlich oder grob fahrlässiges Verhalten die Zahlung von ALG II an andere (Dritte) bewirkt worden ist.
Voraussetzung für die Rückforderung ist weiterhin, dass gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid (§§ 45, 48, 50 SGB X) kein Widerspruch bzw. keine Klage erhoben wurde, da diese nach wie vor aufschiebende Wirkung haben (§ 39 SGB II).
(3) Die Höhe mehrerer monatlicher Aufrechnungen ist auf insgesamt 30 % des maßgeblichen Regelbedarfs begrenzt (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB II). Dies gilt auch für den Fall, dass Aufrechnungen von Darlehen nach § 42a SGB II mit der Aufrechnung von Erstattungsansprüchen zusammentreffen (§ 43 Abs. 3 SGB II), nicht jedoch für hinzutretende Sanktionen nach §§ 31 bis 32 SGB II.
| Wichtig:
• Der Hauptanwendungsfall für Leistungsrückforderungen ist nach wie vor die Überzahlung aufgrund erzieltem Einkommen, das zunächst nicht oder in zu geringer Höhe angerechnet wurde. • In diesen Fällen ist nur eine Aufrechnung in Höhe von 10 % rechtmäßig(s.o.). • Um dennoch in Höhe von 30 % des maßgeblichen Regelsatzes aufrechnen zu können, wird den Leistungsberechtigten regelmäßig in Textbausteinform vorgeworfen, sie hätten „die Überzahlung verursacht, da Sie eine für den Leistungsanspruch erhebliche Änderung in Ihren Verhältnissen nicht angezeigt haben“. • Es ist dringend zu raten, sich gegen diesen – in den allermeisten Fällen ungerechtfertigten – Vorwurf zur Wehr zu setzen, denn wer vorsätzlich oder fahrlässig Änderungen in seinen Verhältnissen, die für den Leistungsanspruch erheblich sind, nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig mitteilt, kann mit einem Bußgeld belegt werden, § 63 Abs. 1 Nr. 6 SGB II. In Einzelfällen kommt es auch immer wieder zur Einleitung von Strafverfahren wegen vermeintlichem Sozialhilfebetruges. • Einkommensnachweise sollten unbedingt persönlich beim Jobcenter gegen Eingangstempel und Unterschrift abgegeben werden. Kostengünstig – wenngleich nicht in jedem Fall „gerichtsfest“ – ist auch die Übersendung per Telefax mit vollständigem Sendebericht (Ausdruck der ersten Seite). Ein Zugangsnachweis ist notwendig, weil beim Jobcenter Kiel nach wie vor ungewöhnlich viele eingereichte Unterlagen „verloren gehen“. Jüngster Fall aus hiesiger Praxis: Im Januar 2011 wird die Gehaltsbescheinigung vom Dezember 2010 eingereicht (mit Eingangstempel des Jobcenters belegbar). Mit Anhörungsschreiben im Juli 2011 – also rund ein halbes Jahr später (!) – beginnt das Jobcenter Kiel, die eingereichten Gehaltsnachweise zu prüfen und die Überzahlung zurückzufordern – verbunden mit dem Vorwurf, das Einkommen sei „nicht angezeigt“ worden. Die Frage zu stellen, wer hier nicht rechtzeitig tätig geworden ist, heißt, sie zu beantworten. |
(4) Ist eine mit Widerspruch oder Anfechtungsklage angegriffene Aufrechnung bereits abgeschlossen, lässt diese Beendigung der Aufrechnung das Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung nicht entfallen und der Leistungsträger muss im Fall der erfolgreichen Anfechtung den Aufrechnungsbetrag wieder auszahlen. Soweit das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 27.03.2007 (B 13 RJ 43/05 R) die Auffassung vertreten hat, die Beendigung einer Verrechnung führe zu einer Erledigung des die Verrechnung aussprechenden Verwaltungsaktes auf andere Weise im Sinne von § 39 Abs. 2 SGB X, ist dem nicht zu folgen. Eine Erledigung tritt solange nicht ein, wie von dem belastenden Verwaltungsakt noch Rechtswirkungen ausgehen, seine Aufhebung also zu einem rechtlichen Vorteil für den Adressaten führen würde. So liegt es bei Aufrechnungen ebenso wie bei Verrechnungen auch nach deren Beendigung, denn der die Aufrechnung erklärende Verwaltungsakt bildet den Rechtsgrund für das sog. „Behaltendürfen“ des nicht zur Auszahlung gelangten Teils der Sozialleistung (LSG BB, Urteil vom 25.11.2010, L 27 R 927/07; SG Kiel, Gerichtsbescheid vom 03.08.2012, S 34 AS 354/10, hiesiges Az. 203/12).
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Arbeitshinweise der Landeshauptstadt Kiel für das Bildungs- und Teilhabepaket veröffentlicht!
Veröffentlicht: 25. Juli 2011 Abgelegt unter: Bildungs- und Teilhabepaket, Jobcenter Kiel | Tags: Arbeitshinweise, Bildungs- und Teilhabepaket, Jobcenter Kiel, Landeshauptstadt Kiel Hinterlasse einen KommentarFür alle Interessierten stelle ich auf dieser Seite die Arbeitshinweise der Landeshauptstadt Kiel für die Gewährung von Leistungen für Bildung und Teilhabe nach §§ 28, 29 SGB II und §§ 34, 34a SGB XII sowie § 6b BKGG ein. Sie finden sich als PDF hier bzw. rechts in den Kategorien „Jobcenter Kiel“ und „Landeshauptstadt Kiel“ unter „Arbeitshinweise BuT-Paket Kiel“. Zu den „Arbeitshinweisen“ sind einige kritische Anmerkungen geboten.
Eigenbeteiligung zu hoch bemessen
Deutlich zu kritisieren ist die von der Landeshauptstadt Kiel vorgesehene Eigenbeteiligung an den Kosten der Schülerbeförderung, die nun über das Bildungs- und Teilhabepaket übernommen werden. Nach Vorstellung der Stadt Kiel sollen sich Schüler und Schülerinnen bis 17 Jahren mit 10,00 € und Schüler ab 18 Jahren mit 15,00 € an den Monatskarten beteiligen (siehe Seite 10 unter 2.3.7.). Das klingt zunächst nachvollziehbar, denn die Monatskarten lassen sich auch für private Fahrten in der Freizeit benutzen. Zu beachten ist indessen, dass in den Regelsätzen nur sehr geringe sog. Bedarfspositionen für „Verkehr“ vorgesehen sind. Aus §§ 5 ff. des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes (RBEG) folgen nachfolgende Beträge (Abteilung 7: Verkehr):
| alleinstehende oder alleinerziehende Leistungsberechtigte |
22,78 € |
| Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres |
11,79 € |
| Kinder von Beginn des 7. bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres |
14,00 € |
| Jugendliche vom Beginn des 15. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres |
12,62 € |
| 18 bis 25jährige im Haushalt der Eltern (80 % der Verbrauchsausgaben alleinstehender Leistungsberechtigter) |
18,22 € |
Aus diesen monatlichen Beträgen sind neben sämtlichen Verkehrskosten – also auch den Kosten für Bus- und Bahn bzw. Beteiligung an Benzinkosten für andere Fahrten als Fahrten zur Schule (z.B. Fahrten mir Freunden nach Hamburg etc.) – auch die Anschaffungs- und Reparaturkosten für Fahrräder und deren Zubehör zu bestreiten.
Kinder bis zur Vollendung ihres 14. Lebensjahres müssen nach der „Kieler Regelung“ allerdings bereits fast ihren ganzen Regelbedarfssatz für „Verkehr“ als Eigenanteil zur Monatskarte hinzuzahlen. Geld für Freizeitfahren und Fahrradkosten bleibt Kindern bis 6 Jahren in Höhe von ganzen 1,79 € monatlich, Kindern von 7 bis 14 Jahren in Höhe von nur 4,00 €, Jugendlichen von 15 bis 18 Jahren in Höhe von 2,62 € und Schülern ab 18 Jahren in Höhe von 3,22 €. Das kann nicht richtig sein.
Zwar ist der Ausschuss für Arbeit uns Soziales (BT-Drucks 17/4095 vom 02.12.2010, S. 30) davon ausgegangen, die genannten Verbrauchsausgaben der jeweiligen Referenzgruppen für Verkehr (s. Tabelle) könnten „im Regelfall auf die zu übernehmenden Kosten für Schülermonatsfahrkarte angerechnet werden, wenn diese Karte auch privat nutzbar ist, um soziale Bindungen aufrechtzuerhalten und Freizeitaktivitäten nachzugehen.“
In ihrer schriftlichen Antwort vom 08.08.2011, BT-Drucks. 17/6790 (Seite 25 zu Frage 34) hat die Bundesregierung dann allerdings präzisiert: „Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Mobilitätsbedarfe, die nicht im Leistungskatalog eines Schülertickets enthalten sind, aus den im Regelbedarf enthaltenen Verkehrsleistungen gedeckt werden müssen. Dabei ist zu beachten, dass der Betrag für Verkehr in der Abteilung 7 der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe nicht nur die Kosten für Fahrten mit dem ÖPNV bzw. mit anderen öffentlichen Verkehrsmitteln in Form des Schienenverkehrs beinhaltet, sondern auch den Erwerb alternativer Verkehrsmittel (z. B. Fahrrad) berücksichtigt.“ Mit anderen Worten: Der Anspruch auf Leistungen für die Schülerbeförderung darf auch dann, wenn Leistungen in Höhe der Kosten einer Monatsfahrkarte für den ÖPNV erbracht werden, nicht um den vollen Betrag der regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben für Verkehr gemindert werden. In Kiel ist dies praktisch der Fall, denn es verbleiben lediglich zwischen 1,79 € und 4,00 € für Mobilität außerhalb des ÖPNV.
Siehe jetzt auch: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge e.V. spricht sich gegen Eigenbeteiligung bei den Kosten der Schülerbeförderung aus!
Bei Leistungen nach dem § 6b BKGG sind die Verbrauchsausgaben für Verkehr gemäß § 6 Abs. 1 RBEG indes zwingend anzurechnen, vgl. § 6b Abs. 2 Satz 3 BKGG. Dies dürfte wegen des Wahlrechts gemäß § 12a Satz 2 SGB II verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein (wie hier Klerks, info also 4/2011, S. 147, 153 in Fn. 61 mwN, der das Bundeskindergeldgesetz so konsequent wie fehlerhaft mit BKKG abkürzt und sich im Übrigen für den Regelungsbereich des SGB II dafür ausspricht, die Position „Fremde Verkehrsdienstleistungen“ als Obergrenze für die Bildung des „Eigenanteils“ zu wählen, die angesichts der gesetzlichen Vorgaben „deutlich unterschritten“ werden müsse).
Schulwege bis zu 4 Kilometern zu Fuß zumutbar?
Nach § 28 Abs. 4 SGB II müssen Schüler auf Schülerbeförderung „angewiesen“ sein. Bestimmte Strecken müssen zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Nach den landesrechtlichen Vorschriften zur Übernahme von Schülerbeförderungskosten werden Kosten in der Regel nur ab einer bestimmten Entfernung, gestaffelt nach dem Alter der Schüler, übernommen. Älteren Schülern werden dabei längere Wegstrecken zugemutet als jüngeren Schülern. Vor dem Hintergrund, dass der Schulweg auch bei schlechten Witterungsbedingungen und gegebenenfalls mit einem schweren Schulranzen zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden muss, wird ab einer Schulwegstrecke von 3 Kilometern daher überwiegend von einem Anspruch auf Fahrtkostenübernahme gemäß § 28 Abs. 4 SGB II ausgegangen (Lenze in LPK-SGB II, 4. Aufl. 2011, § 28 Rn. 17; Zimmermann in NJ 2011, S. 265 ff. (269) unter Hinweis auf SG Detmold, Urt. v. 9.4.2010, S 12 AS 126/07; VG Braunschweig, Urt. v. 28.2.2008, 6 A 252/06; VG München,
Urt. vom 14.11.2011 – M 3 K 11.670, zitiert nach LSG NRW, Beschluss v. 02.04.2012, L 19 AS 178/12 B). Die Arbeitshinweise der Landeshauptstadt Kiel sehen demgegenüber vor, dass die Zurücklegung des Schulwegs ohne ein Verkehrsmittel erst dann nicht mehr zumutbar ist, wenn der Schulweg in der einfachen Entfernung für Schülerinnen und Schüler bis zur Jahrgangsstufe vier 2 Kilometer und für Schülerinnen und Schüler ab der Jahrgangsstufe fünf 4 Kilometer überschreitet. Ob diese Festlegung einer gerichtlichen Überprüfung standhalten wird, bleibt abzuwarten.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Vorsicht mit den „Urlaubstipps“ in den „Nachrichten aus dem Jobcenter“!
Veröffentlicht: 15. Juli 2011 Abgelegt unter: Jobcenter Kiel, Nachrichten aus dem Jobcenter, Ortsabwesenheit | Tags: Jobcenter Kiel, Nachrichten aus dem Jobcenter, Ortsabwesenheit 3 KommentareSeit März 2007 schaltete das Jobcenter Kiel monatlich eine großformatige Anzeige im „Kieler Express“ unter der Überschrift „Nachrichten aus dem Jobcenter“. Die Anzeigen sind teils informativ, teils aber auch nur bloße Werbung – also gekaufte positive Selbstdarstellung – einer Behörde. Das alles mag man gut finden oder nicht. Eindeutig nicht gut ist allerdings, wenn Bezieher von ALG II falsch – und das heißt auch: unvollständig – informiert werden. So geschehen in der aktuellen Ausgabe der „Nachrichten aus dem Jobcenter“.
In der Rubrik „Tipp des Monats: Endlich Ferien – nur mit Genehmigung in den Urlaub fahren!“ ist nachzulesen, was zu beachten ist, „wenn Sie ALG II erhalten“ und in den Urlaub fahren wollen:
| „Die Regelungen sind eindeutig: Melden Sie den geplanten Urlaub nicht an oder überschreiten ihn zeitlich, können Ihre Leistungen gekürzt oder sogar ganz eingestellt werden. Bei unerlaubter Abwesenheit wird das gezahlte ALG II sogar komplett zurückgefordert. Wichtig ist, dass Sie sich nach der Rückkehr sofort beim Jobcenter persönlich zurückmelden.“ |
Tatsächlich gilt die Regelung des § 7 Abs. 4a SGB II neuer Fassung indessen keinesfalls für alle Bezieher von ALG II, wie vom Jobcenter Kiel behauptet wird („wenn Sie ALG II erhalten“), sondern nur für „Erwerbsfähige Leistungsberechtigte“. Der Gesetzgeber hat zum Adressatenkreis der Regelung ausgeführt (BT-Drucks. 17/3404, Seite 92):
| „Mit der Änderung wird klargestellt, dass nur erwerbsfähige Leistungsberechtigte bei unerlaubter Ortsabwesenheit ihren Leistungsanspruch verlieren. Weitere Voraussetzung ist, dass sie für Eingliederungsleistungen nicht zur Verfügung stehen. Damit benötigen Leistungsberechtigte, die vorübergehend und mit Einverständnis des Trägers ausnahmsweise keine Eingliederungsbemühungen nachzuweisen haben (zum Beispiel in Vollzeit Beschäftigte, nicht erwerbsfähige Personen) keine besondere Zustimmung der persönlichen Ansprechpartnerin oder des persönlichen Ansprechpartners zur Ortsabwesenheit.“ |
Aber auch nach der alten Rechtslage (bis einschließlich März 2011) war der Personenkreis der Menschen im ALG II Bezug, die eine Genehmigung zur Ortsabwesenheit einholen mussten, schon beschränkt. In den „Fachlichen Hinweisen“ des Bundesagentur für Arbeit zu § 7 (in der Fassung vom 20.01.2010) wird zu dem Adressatenkreis der Vorschrift in Rz 7.57 zutreffend ausgeführt:
| (1) Nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 4a gilt die Regelung für alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft. Somit ist die EAO grundsätzlich auf alle Leistungsberechtigte nach dem SGB II, also auch auf Sozialgeldbezieher und erwerbsfähige Personen, denen die Aufnahme einer Beschäftigung nicht zuzumuten ist (z. B. Schüler), anzuwenden. Eine wörtliche Auslegung würde jedoch dem Sinn und Zweck der Regelung widersprechen, weil die Arbeitslosigkeit keine Voraussetzung für den Leistungsanspruch nach dem SGB II darstellt. Einem erwerbsfähigen Schüler beispielsweise eine längere Ortsabwesenheit während der Sommerferien zu verweigern, entspräche nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und wäre rechtswidrig. Deshalb ist die Erteilung einer Zustimmung zu Ortsabwesenheiten von Personen, die das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, entbehrlich. Für die Zustimmung zu Ortsabwesenheiten solcher Personen, die vorübergehend nicht eingliederbar sind oder bei denen eine Eingliederung unwahrscheinlich ist (Beispiel: Alleinerziehende, der eine Arbeitsaufnahme vorübergehend nicht zumutbar ist, Sozialgeldbezieher allgemein), ist im Einzelfall zu entscheiden, ob die entsprechende Anwendung der EAO sinnvoll ist. Dies kann im Interesse der Vermeidung von Leistungsmissbrauch zu bejahen sein.
(2) Die Regelungen der EAO gelten nicht für erwerbsfähige Hilfebedürftige, die nicht arbeitslos sind (z.B. bei bestehender sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung; während Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit). Jedoch ist es zweckmäßig, auch während der Teilnahme an Maßnahmen zur Eingliederung die voraussichtliche Dauer einer Abwesenheit zu erheben, da auch während einer solchen Maßnahme die Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt grundsätzlich möglich ist. (3) Besonderheiten bezüglich der Dauer der möglichen Bewilligung einer Ortsabwesenheit können bei älteren Arbeitnehmern, Nicht-sesshaften und Aufstockern gelten (Vgl. Rz. 7.77 ff).“ |
Zusammenfassend gilt also, dass folgende Personen im Leistungsbezug nach dem SGB II weder eine Genehmigung für ihre Ortsabwesenheit beim Jobcenter einholen müssen noch zeitlichen Beschränkungen (3 Wochen im Jahr) unterliegen:
• Schüler (sie können die gesamten Schulferien in den Urlaub fahren).
• Vollzeit Erwerbstätige.
• Temporär nicht erwerbsfähige Leistungsbezieher.
• Alleinerziehende, denen eine Arbeitsaufnahme nicht zumutbar/möglich ist (Säugling, kein Krippenplatz usw.).
• Allgemein Bezieher von Sozialgeld nach § 28 SGB II.
Bei diesen Personengruppen entfällt folglich der Leistungsanspruch für die Tage der (ungenehmigten und/oder über 3 Wochen andauernden) Ortsabwesenheit nicht und die Sozialleistungen können daher für diesen Zeitraum auch nicht zurückgefordert werden.
Diese Ausnahmen hätten in den „Tipps des Monats“ erwähnt werden müssen, und zwar gerade auch deswegen, weil von den Mitarbeitern des Jobcenters Kiel hier immer wieder Fehler gemacht werden. So wurde in einem hier bekannten Fall von einer ganzen Familie (Vater, Mutter und zwei schulpflichtige Kinder) das Arbeitslosengeld II für die Urlaubszeit komplett zurückgefordert, obwohl die Mutter vollschichtig berufstätig war und die Kinder als Schüler dem Arbeitsmarkt gar nicht zur Verfügung standen. Das ganze wäre nicht so traurig, wenn es sich schlicht um ein Versehen des Jobcenters Kiel gehandelt hätte. Sorgen bereiten muss indessen der Umstand, dass diese evident rechtswidrige Entscheidung nicht nur von einer Teamleitung bestätigt und von einem ehemaligen Geschäftsführer des Jobcenters Kiel für richtig befunden, sondern auch von den Mitarbeitern der Widerspruchsstelle (Rechtsabteilung!) bestätigt wurde, so dass letztlich ein Gericht bemüht werden musste, um diesen – vollkommen eindeutigen – Fall zu entscheiden.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Lob für das Jobcenter Kiel!
Veröffentlicht: 13. Juli 2011 Abgelegt unter: Jobcenter Kiel | Tags: Jobcenter Kiel Hinterlasse einen KommentarImmer mal wieder fragen Mandanten besorgt, ob die Behörde womöglich beleidigt reagieren würde, wenn ein Anwalt eingeschaltet wird, und ob anschließend eventuell mit „Repressalien“ seitens einzelner Behördenmitarbeiter zu rechnen sei. Mit Sicherheit ausschließen kann man nichts, aber bisher konnte ich aus meiner Erfahrungen derartige Befürchtungen nicht bestätigten.
Heute erfuhr ich nun von einem Mandanten via Email, dass die Vertretung durch einen Rechtsanwalt sogar zu ganz neuen kulinarischen Erlebnissen im Jobcenter Kiel führen kann:
„Mir kam es so vor als wenn die Mitarbeiter jetzt netter und menschlicher sind. Keine Ahnung. Was ich noch nie hatte, dass man mir sogar einen Kaffee angeboten hat. Und was ich auch nie hatte, dass man mit mir zusammen, einen Folgeantrag ausgefüllt hat, damit es dann auch schneller geht. Die Mitarbeiter gaben mir sogar offen zu, dass sie gelegentlich Fehler machen. Man spürt, dass Sie aktiv waren. 😉 “
Auch von solchen Erfahrungen soll hier mal berichtet werden. Dabei dürfte ich auch nicht in den Verdacht des Selbstlobes geraten. Denn der eigentlich Star der Mail ist ja das Jobcenter Kiel, das ganz allein für den Kaffee verantwortlich zeichnet!
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Nachtrag aufgrund besorgter Nachfragen: Nein, der Kaffee war nicht vergiftet, Mandant lebt!
TAZ-Nord: Kiel sackt Scheine ein!
Veröffentlicht: 11. Juli 2011 Abgelegt unter: Bildungs- und Teilhabepaket | Tags: Bildungs- und Teilhabepaket Kiel Hinterlasse einen KommentarDie hiesige Kritik an der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes in Kiel, durch die Bildung und Teilhabe auf Leistungen städtischer Anbieter beschränkt und damit die Wahlfreiheit betroffener Familien stark eingeschränkt und vor allem kleine Anbieter von Bildungsleistungen – etwa private Musiklehrer, Studenten, die Nachhilfeunterricht erteilen usw. – von einer Teilnahme an dem Förderprogramm ausgeschlossen werden, hat die TAZ-Nord in dem Artikel „Kiel sackt Scheine ein“ bestätigt.
Thomas Riechert vom Büro der Bürgerbeauftragten formuliert seine Bedenken in der TAZ recht deutlich: „Man hat fast den Eindruck eines Konjunkturprogramms für die eigenen Einrichtungen.“ Dem lässt sich wenig hinzufügen.
Leider ging die Kritik der Opposition im Kieler Rathaus an den Problemen des „Kieler Weges“ vollkommen vorbei. „Copy and paste“ ist eben nicht nur bei der Abfassung von Dissertationen wenig förderlich, sondern empfiehlt sich auch nicht bei der Formulierung von Ratsanträgen. Es besteht dann nämlich die Gefahr, aus Versehen in Kiel die Probleme anderer Städte lösen zu wollen.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Doppelmieten bei Umzug: In der Regel vom Jobcenter zu übernehmen!
Veröffentlicht: 7. Juli 2011 Abgelegt unter: Doppelmieten, Kosten der Unterkunft, Umzug | Tags: Doppelmieten ALG II, Doppelmieten bei Umzug, Doppelmieten Hartz 4, Doppelmieten Hartz IV, Doppelmieten Hartz VI, Jobcenter Kiel, Jobcenter Kiel Umzugskosten, Umzug ALG II, Umzug Hartz IV, Umzugskosten ALG II, Umzugskosten Hartz IV 7 KommentareJeder Hartz IV-Bezieher in Kiel, der während des Leistungsbezuges umziehen musste, wird das „Merkblatt zur Wohnungsanmietung und Umzug“ des Jobcenters Kiel kennen, in dem lange Zeit in Fettdruck nachzulesen war:
| „Vermeiden Sie doppelte Mietzinszahlungen. Diese gehen immer zu ihren Lasten.“ |
Diese Auskunft wird von den meisten Integrationsfachkräften leider bis heute an den „Kunden“ gebracht.
Zwischenzeitlich scheinen sich beim Jobcenter Kiel allerdings Zweifel eingeschlichen zu haben. In dem aktuellen Merkblatt heißt es nämlich seit kurzem:
| „Vermeiden Sie doppelte Mietzinszahlungen. Diese gehen in der Regel zu ihren Lasten.“ |
Lernprozesse sind oft langwierig und schwierig. Besonders bei Behörden.
Nach ständiger Rechtsprechung gilt: Die durch einen notwendigen oder durch das Jobcenter veranlassten Umzug entstandenen doppelten Mietbelastungen sind grundsätzlich von der Behörde zu übernehmen (etwa SG Schleswig vom 22.05.2007- S 3 AS 363/07 ER m.w.N.).
Die 25. Kammer des Sozialgerichts Schleswig hat sich in seiner Entscheidung vom 26.08.2010 – S 25 AS 185/08 – mit der Frage der Übernahmefähigkeit von Doppelmieten sehr ausführlich auseinander gesetzt:
| „Gemäß § 22 Abs. 3 SGB II können Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger übernommen werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann.Die geltend gemachte Mietzinszahlung für die alte Wohnung der Kläger für den Monat April 2007 ist als Wohnungsbeschaffungskosten im Sinne dieser Vorschrift anzusehen. Dabei handelt es sich zudem um angemessene und notwendige Wohnungsbeschaffungskosten. Die nach § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II erforderliche vorherige Zusicherung hat die Beklagte mit Datum vom 29.01.2007 erteilt. Ein Ermessen der Beklagten bezüglich der Übernahme der Mietkosten für die alte Wohnung der Kläger für den Monat April bestand nicht.
Das Tatbestandsmerkmal der Wohnungsbeschaffungskosten ist nach Auffassung der Kammer weit auszulegen, so dass nicht nur die eigentlichen Kosten des Umzugs, wie Transportkosten, Kosten für eine Hilfskraft, die erforderlichen Versicherungen, Benzinkosten und Verpackungsmaterial erfasst sind, sondern auch alle sonstigen notwendigen angemessenen Aufwendungen, die mit einem Unterkunftswechsel verbunden sind. Damit fällt auch die hier geltend gemachte doppelte Mietzinszahlungen für die alte Wohnung für den Monat April unter das Merkmal der Wohnungsbeschaffungskosten, soweit sie angemessen ist (vgl. auch Lang/Link in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn. 83; Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 22 Rn. 109, 114; BSG, Urteil vom 16.12.2008, B 4 AS 49/07 R; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10.01 .2007, L 5 B 1221/06 AS ER, L 5 B 1222/06 AS PKH; SG Frankfurt, Beschluss vom 19.01 .2006, S 48 AS 21/06 ER, jeweils zitiert nach juris). Das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Angemessenheit folgt aus der systematischen Zusammenschau der Vorschrift des § 22 Abs. 3 SGB II mit der restlichen Vorschrift. Nach § 22 Abs. 1 SGB II können Leistungen für die Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Kosten nur dann erbracht werden, wenn diese angemessen sind. Da es sich bei Wohnungsbeschaffungskosten um Unterkunftskosten im weitesten Sinne handelt, bzw. diese eng mit der Deckung des Unterkunftsbedarfs zusammenhängen, dürfen auch diese erst recht nur in einem angemessenen Umfang übernahmefähig sein. Doppelte Mietzahlungen sind daher bei Wohnungswechsel nur dann zu übernehmen, wenn sie unvermeidbar und angemessen sind. Dies aber ist vorliegend der Fall. Doppelte Mietzinszahlungen von zumindest einem Monat sind zur Überzeugung der Kammer bei einem Wohnungswechsel schon im Regelfall unvermeidbar. Dies beruht vor allem auf der Überlegung, dass bei vielen Wohnungswechseln der nahtlose Übergang von einer Wohnung in die andere nicht möglich ist. Oftmals sind noch Mieten für die alte Wohnung aufzubringen, obwohl auch schon Mieten für die neue Wohnung fällig werden. Dies hängt in erster Linie damit zusammen, dass zur Vermietung angebotene Wohnungen oft schon ab dem nächsten oder übernächsten Monat angemietet werden müssen, gleichzeitig aber, wie auch bei den Klägern, Kündigungsfristen von regelmäßig drei Monaten einzuhalten sind (SG Schleswig, Beschluss vom 22.05.2007, S 3 AS 363/07 ER). Verschärft wurde das Problem zudem im Fall der Kläger dadurch, dass die Wohnung den anerkannten Mietobergrenzen des Leistungsträgers entsprechen musste, günstige Wohnungen gerade in diesem Preissegment aber oft sehr begehrt sind. Die Kammer geht zudem aber auch im vorliegenden konkreten Fall davon aus, dass die angefallenen doppelten Mietkosten unvermeidbar und angemessen waren. Der Kläger zu 1) hat sich nachweislich darum bemüht, einen Nachmieter für die alte Wohnung zu finden. Er hat Anzeigen bei den Kieler Nachrichten, dem Kieler Express und im Internet geschaltet, in denen er seine alte Wohnung zur Vermietung angeboten und einen Nachmieter gesucht hat. Entsprechende Nachweise hat er zumindest im Verfahren vorgelegt. Er hat dem alten Vermieter sein Einverständnis der Weitergabe seiner Telefonnummer an Interessenten erklärt und hat mit seinem neuen Vermieter darüber gesprochen, ob er die neue Wohnung auch erst später anmieten könne. Der Vermieter der neuen Wohnung hat jedoch erklärt, dass nur eine Anmietung bereits zum 01.04.2007 möglich sei. Die Kammer sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass den Klägern zur Last gelegt werden müsste, dass ihre Bemühungen nicht zum Erfolg geführt haben. Soweit die Beklagte vorgetragen hat, dass ihr das Gespräch als Bemühung für eine spätere Anmietung nicht ausreiche, teilt die Kammer diese Auffassung nicht. Es ist nach Auffassung der Kammer als lebensnah anzusehen, dass ein Vermieter seine Wohnung zum nächstmöglichen Zeitpunkt vermieten möchte und eine Wohnung nicht für einen Nachmieter freihält, wenn er in der Zwischenzeit die Wohnung anderweitig vermieten kann. Welche weiteren Bemühungen die Kläger dem neuen Vermieter gegenüber hätte unternehmen sollen, ist der Kammer nicht ersichtlich und wurde von der Beklagten auch nicht vorgetragen. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Kläger nicht auf eigenen Wunsch die Wohnung gewechselt haben, sondern sich nach der Senkungsaufforderung der Beklagten umgehend um eine kostengünstige Wohnung bemüht haben. So stand auch in der Senkungsaufforderung, dass sich die Kläger umgehend um eine preiswerte Wohnung bemühen sollten. Dann aber darf nach Auffassung der Kammer den Klägern jetzt nicht vorgehalten werden, dass sie noch bis August Zeit gehabt hätten, eine kostengünstigere Wohnung zu finden, zumal es auch bei einer späteren Anmietung zur gleichen Problematik des Entstehens einer Doppelmiete hätte kommen können, da wie bereits dargelegt, selten ein nahtloser Übergang von der einen in die andere Wohnung stattfinden dürfte. Weiterhin hat die Beklagte der Anmietung der Wohnung zugestimmt, obwohl sie damit rechnen musste, dass es zu den doppelten Mietkosten kommt, schließlich lag ihr der alte Mietvertrag mit der Kündigungsfrist vor Abgabe der Zusicherung vor und sie wusste auch, dass die neue Wohnung ab April angemietet werden sollte. Weiterhin geht die Kammer davon aus, dass es eine vorherige Zusicherung für die Übernahme der Umzugs- bzw. Wohnungsbeschaffungskosten durch die Beklagte gegeben hat. Nach Überzeugung der Kammer hat die Beklagte die Zustimmung zur Übernahme der Umzugs- und Wohnungsbeschaffungskosten vor Anmietung der neuen Wohnung am 31 01.2007 (vgl. BI. 189 der Verwaltungsakte) erteilt. Nach Auffassung der Kammer kommt es hier nicht darauf an, ob es sich dabei schon um eine konkrete Zusicherung zur Übernahme der doppelten Mietzahlungen gehandelt hat, oder lediglich um eine abstrakte Zusicherung der Übernahme von Umzugs- und Wohnungsbeschaffungskosten. Hier spricht zwar bereits Einiges dafür, dass die Übernahme der doppelten Mietzinszahlungen als konkret zugesichert angesehen werden kann, da das Risiko der doppelten Mietzinszahlung der Beklagten bereits bei Erteilung der Zusicherung bekannt war. Dass der Beklagten die Problematik bekannt sein musste, ist aus einem Aktenvermerk ersichtlich, indem von einer eventuell anfallenden doppelten Mietzahlung bereits die Rede ist und der sich in der Akte vor der Erteilung der Zusicherung befindet (vgl. BI 186 der Verwaltungsakte). Ob es sich aber tatsächlich um eine konkrete Zusicherung handelte, kann letztlich dahinstehen, denn selbst, wenn es sich nur um eine abstrakte Zusicherung handelt, reicht diese im vorliegenden Fall aus, da die abstrakte Zusicherung für alle Kosten gelten muss, die angemessen sind und damit auch für die als angemessen anzusehende doppelte Mietzinszahlung. Ein Ermessen der Beklagten bezüglich der Übernahme der doppelten Mietzinszahlung besteht nach Auffassung der Kammer nicht. Zwar deutet der Wortlaut des § 22 Abs. 3 Satz 1 SGB II darauf hin, dass die Zusicherung der Übernahme der Wohnungsbeschaffungskosten im Ermessen des Leistungsträgers stehen könnte. Auch § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB II deutet als „Soll“-Vorschrift darauf hin, dass bei atypischen Fällen, die gerade nicht von der „Soll“- Regelung erfasst werden, Ermessen auszuüben ist. Allerdings sind kaum Gründe denkbar, die außer den in § 22 Abs. 3 Satz 2 SGB lt genannten Umständen dazu führen könnten, eine Zusicherung zu erteilen. Insofern ist von einem Kompetenz-,,Kann“ auszugehen. Wenn eine Zusicherung nach § 22 Abs. 3 S. 2 SGB II, wie vorliegend, erteilt wurde, ist die Übernahme angemessener Wohnungsbeschaffungskosten zwingend (Lang/Link in Eicher/Spellbrink, Kommentar zum SGB II, 2. Aufl. 2008, § 22 Rn. 87; Berlit in LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 22 Rn. 104).” Das Urteil im Volltext findet sich hier. |
Richtig müsste der Satz im Merkblatt des Jobcenters Kiel mithin lauten:
| „Vermeiden Sie doppelte Mietzinszahlungen. Unvermeidbare Doppelmieten gehen zu Lasten des Jobcenters Kiel.“ |
Bis dahin ist es aber wohl noch ein längerer Weg.
| Tipp für Betroffene: Unternehmen Sie alles, um die Entstehung von Doppelmieten bei einem Umzug zu vermeiden, indem Sie
• das alte Mietverhältnis sofort kündigen, nachdem Sie den neuen Mietvertrag unterschrieben haben bzw. ein verbindliches schriftliches Mietangebot für die neue Wohnung in den Händen halten, • Ihren alten Vermieter schriftlich (Nachweis für Jobcenter!) auffordern, schnellstmöglich nach einem Nachmieter zu suchen, • selbst aktiv nach einem Nachmieter ab dem Zeitpunkt der Anmietung der neuen Wohnung suchen, etwa – durch einen Aushang im nahegelegen Supermarkt, an schwarzen Brettern usw. (Nachweis für Jobcenter durch Foto fertigen!) oder – kostenlose Anzeige im Internet (z.B. www.wohnung-jetzt.de; www.mein-wohnungsmarkt.de; www.studenten-wg.de; www.wg-gesucht.de usw.). Haben Sie diese Eigenbemühungen unternommen und ließen sich doppelte Mietkosten trotzdem nicht vermeiden, ist das Jobcenter auf jeden Fall verpflichtet, die Miete für die neue Wohnung und die Miete der alten Wohnung bis zur Neuvermietung bzw. dem Ende des Mietverhältnisses zu übernehmen. |
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Sozialgericht Kiel bestätigt neue Mietobergrenzen! Auch Tilgungsraten sind grundsätzlich als Unterkunftskosten anzuerkennen!
Veröffentlicht: 5. Juli 2011 Abgelegt unter: Mietobergrenzen, selbstgenutztes Wohneigentum | Tags: ALG II Tilgungsraten selbstgenutztes Wohneigentum, Hartz IV Tilgungsraten selbstgenutztes Wohneigentum, Kosten der Unterkunft Kiel, Mietobergrenzen Kiel, Mietobergrenzen Kiel 2010, Sozialgericht Kiel Hinterlasse einen KommentarUnter anderem mit Beschluss vom 05.07.2011 (S 40 AS 270/11 ER) hat das Sozialgericht Kiel die seit dem 01.12.2010 auf der Grundlage des Kieler Mietspiegels 2010 anzuwenden Mietobergrenzen erneut bestätigt. Im konkreten Fall erkannte die 40. Kammer für einen Einpersonenhaushalt Unterkunftskosten bis zu 308,50 € zuzüglich Heizkosten als noch angemessen und damit übernahmefähig an. Eine Tabelle mit den neuen Mietobergrenzen finden sich hier.
In der Sozialausschusssitzung am 30.06.2011 hatte die Landeshauptstadt Kiel einen Antrag auf Anpassung der Mietobergrenzen an die Werte des Mietspiegels 2010 erneut abgelehnt und provoziert damit weitere – mit Sicherheit erfolgreiche – Klageverfahren.
Der von der Klägerseite vertretenen Rechtsauffassung, wonach der Berechnung der Mietobergrenzen nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 50/10 R) die durchschnittlich zu zahlenden Betriebskosten in Kiel in Höhe von derzeit 1,66 €/qm zugrunde zu legen und damit eine Mietobergrenze für einen Einpersonenhaushalt von 329,50 € zuzüglich Heizkosten anzuerkennen sei, ist das Gericht nicht gefolgt. Damit hält die 40. Kammer – leider ohne ein Wort der Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BSG – an seiner bisherigen Rechtsauffassung fest.
Zudem bestätigte das Gericht in dieser Entscheidung erneut, dass bei selbstgenutztem Wohneigentum auch Tilgungsraten grundsätzlich als notwendige Kosten der Unterkunft anzuerkennen sind.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Rückzahlung von Mietkautionsdarlehen nach neuer Rechtslage!
Veröffentlicht: 1. Juli 2011 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietkaution | Tags: § 42a Abs. 2 SGB II, Hartz IV, Rückzahlung von Mietkautionsdarlehen 41 KommentareBezieher von Arbeitslosengeld II haben nach § 22 Abs. 6 Satz 1 SGB II einen Anspruch auf darlehensweise Übernahme ihrer Mietkaution, soweit sie diese nicht aus eigenen Mitteln an den Vermieter zahlen können. Bisher gab es keine gesetzliche Grundlage für die Rückforderung derartiger Mietkautionsdarlehen. Die Rückforderung erfolgte regelmäßig, indem das Jobcenter mit den Leistungsberechtigten eine Rückzahlungsvereinbarung traf, nach der monatlich ein Teil der Regelleistungen – in der Regel 10 % – zur Darlehensrückforderung einbehalten wurden. Diese Vereinbarung konnte indessen von den Leistungsberechtigten jederzeit aufgekündigt werden. Eine gesetzliche Grundlage für eine Aufrechnung gab es für diese Fälle bisher nicht (vgl. BT-Drucks. 16/4887 vom 29.3.2007; Schleswig-Holsteinisches LSG, Urt. v. 25.11.2009, L 6 AS 24/09, BSG, Urt. v. 22.3.2012, B 4 AS 26/10 R, Terminbericht Nr. 17/12).
Seit April 2011 besteht für die Rückforderung von Mietkautionsdarlehen im laufenden Leistungsbezug nun eine Anspruchsgrundlage in § 42a Abs. 2 SGB II. Danach gilt:
„Solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beziehen, werden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs getilgt. Die Aufrechnung ist gegenüber den Darlehensnehmern schriftlich durch Verwaltungsakt zu erklären. (…)“
Diese Regelung verschweigt sich allerdings darüber, ob bei Bedarfsgemeinschaften 10 % der Regelleistungen jedes einzelnen Leistungsberechtigen in der Bedarfsgemeinschaft einzubehalten sind oder nur von bestimmten Personen der Bedarfsgemeinschaft 10 % der Regelleistungen einbehalten werden dürfen.
| Beispiel: In einer Bedarfsgemeinschaft leben zwei Eltern mit ihren zwei Kindern. Die Eltern erhalten jeweils Regelleistungen in Höhe von 328 €, die Kinder (zwischen 14 und 17 Jahre alt) jeweils 291 €. Sind von den Regelleistungen der Eltern jeweils 32,80 € und von den Regelleistungen der Kinder 29,10 €, zusammen also 123,80 € monatlich zur Rückführung der Kaution einzubehalten? Vielfach wird dies derzeit von den Jobcentern so praktiziert. |
Die Rechtslage freilich ist eine andere.
(1) Entscheidend ist zunächst, dass die Rückzahlung nur von den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft verlangt werden kann, die auch Darlehnsnehmer sind, d.h. mit dem Jobcenter einen Darlehensvertrag abgeschlossen haben. Darlehensnehmer kann grundsätzlich ein einzelnes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft oder auch eine Personenmehrheit der Bedarfsgemeinschaft – z.B. die Eltern gemeinsam – sein (§ 42a Abs. 1 S. 2 SGB II).
(2) Für die Frage, wer den Darlehensvertrag mit dem Jobcenter abschließen muss, kommt es m.E. darauf an, wer im Verhältnis zum Vermieter zur Kautionszahlung verpflichtet ist. Dies sind diejenigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft, die den Mietvertrag unterschrieben haben.
| Haben im obigen Beispiel beide Eltern den Mietvertrag unterschrieben und sind diese damit (als Gesamtschuldner) verpflichtet, die Mietkaution zu bezahlen, kann das Jobcenter verlangen, dass auch beide Eltern den Darlehensvertrag mit dem Jobcenter abschließen. In der Folge muss das Jobcenter monatlich jeweils 32,80 € – zusammen also 65,60 € – von den Regelleistungen zur Darlehensrückführung einbehalten. Hat demgegenüber nur der Vater den Mietvertrag abgeschlossen, schuldet auch nur dieser die Mietkaution. Das Jobcenter kann deswegen m.E. auch nur mit diesem den Darlehensvertrag abschließen, denn nur bei dem Vater besteht ein entsprechender „Bedarf“, der durch die Gewährung eines Darlehens zu befriedigen ist. Der monatlich Einbehalt darf daher nur 10 % der Regelleistungen des Vaters – mithin also 32,80 € – betragen. |
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Bildungspaket im Migrantenforum – Dienstag, 5. Juli, um 17 Uhr!
Veröffentlicht: 30. Juni 2011 Abgelegt unter: Bildungs- und Teilhabepaket, Veranstaltungen | Tags: Bildungs- und Teilhabepaket Kiel, Bildungspaket Kiel Hinterlasse einen KommentarVor der Sommerpause trifft sich das Kieler Forum für Migrantinnen und Migranten noch einmal am Dienstag, 5. Juli, um 17 Uhr im Magistratssaal des Rathauses. Im Mittelpunkt der Sitzung steht das Bildungs- und Teilhabepaket. Laut aktuellen Medienberichten werden die Unterstützungsangebote für Familien mit Kindern nicht in dem Maße genutzt, wie es sinnvoll und wünschenswert wäre. Dies trifft auch auf Migrantenfamilien zu, bei denen der Zugang zu Informationen noch schwieriger sein kann oder Unsicherheiten bei der Beantragung die Hürden vergrößern. Caprice Sturm aus dem städtischen Sozialdezernat informiert im Forum unter anderem darüber, um welche Leistungen es geht, wer sie erhalten kann und wo und wie sie zu beantragen sind. Interessierte Gäste sind zur Sitzung herzlich eingeladen. Nach der Sommerpause trifft sich das Forum wieder am 6. September.
Weitere Informationen zum Forum gibt es im Internet unter http://www.migranten-forum-kiel.de oder bei der Geschäftsführung im Referat für Migration, Telefon 901-2433, E-Mail referat-migration@kiel.de.
Für den Terminkalender:
Dienstag, 5. Juli
Kieler Forum für Migrantinnen und Migranten: 17 Uhr Sitzung mit Schwerpunkt Bildungs- und Teilhabepaket; Magistratssaal des Rathauses, Fleethörn 9.
Quelle: Pressedienst der Landeshauptstadt Kiel
Licht und Schatten bei der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes in Kiel!
Veröffentlicht: 26. Juni 2011 Abgelegt unter: Bildungs- und Teilhabepaket | Tags: Arbeitshinweise Bildungs- und Teilhabepaket Kiel, Bildungs- und Teilhabepaket Kiel, Bildungspaket Kiel Hinterlasse einen KommentarAm 29.03.2011 ist rückwirkend zum 01.01.2011 das „Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des SGB II und SGB XII“ in Kraft getreten. In dem neu in das Gesetz eingefügten § 28 SGB II wurden die Sonderbedarfe für Bildung und Teilhabe geregelt. Die Verantwortung für die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes in Kiel liegt bei der Landeshauptstadt Kiel (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB II).
Wie die Umsetzung in Kiel erfolgt bzw. erfolgen soll, hat der zuständige Stadtrat in einer Geschäftlichen Mitteilung vom 17.06.2011 dargelegt, die sich im Volltext hier finden lässt und nachfolgend auszugsweise wiedergegeben werden soll:
| „Grundsätzlich werden die Anspruchsberechtigten durch ihren jeweiligen Sozialleistungsträger zu den Leistungen der Bildung und Teilhabe beraten. Darüber hinaus sind die Informationen zum Bildungs- und Teilhabepaket im Internet unter www.kiel.deabrufbar. Dort sind auch der Antrag, ein Hinweisblatt zum Bildungs- und Teilhabepaket und grafische Darstellungen für die verschiedenen Anspruchsgruppen hinterlegt. In der Landeshauptstadt Kiel kann bei der Umsetzung der Leistungsansprüche des Bildungs- und Teilhabepaketes auf gut ausgebaute, bereits vorhandene Netzwerke zurückgegriffen werden. Für die Mitgliedschaft in einem Sportverein können sich die Familien in Anknüpfung an das bereits erfolgreich laufende Projekt „Kids in die Clubs“ mit ihrem Gutschein beim Amt für Sportförderung melden. Die Einlösung der Gutscheine für alle kulturellen Aktivitäten kann bei der Volkshochschule Kiel und für den Musikunterricht bei der Musikschule Kiel erfolgen. Die Volkshochschule organisiert die Lernförderung in Kleingruppen bis zu drei Kindern und Jugendlichen und übernimmt dann auch die Abrechnung. Hierfür kooperiert sie mit Einrichtungen in den Stadtteilen, mit dem Ziel, die Lernförderung dezentral in den Stadtteilen zu verorten. Es sollen keine weiten Wege für die Kinder und Jugendlichen entstehen.Darüber hinaus können die Leistungen auch bei anderen geeigneten Anbietern in Anspruch genommen werden. Hierfür werden Vereinbarungen mit den Leistungsanbietern abgeschlossen werden, welche auch Regelungen zur Qualität und dem Kinderschutz beinhalten. Für Leistungsanbieter, die am Gutscheinverfahren teilnehmen wollen, wurde im Internet eine Interessensbekundung (Anlage 2) hinterlegt, die ausgefüllt an das Amt für Schule, Kinder- und Jugendeinrichtungen gesendet werden kann.Das Amt für Schule, Kinder- und Jugendeinrichtungen ist verantwortlich für den Abschluss der Vereinbarungen mit den Leistungsanbietern, die Administration sowie die Abwicklung des Abrechnungsverfahrens. Das Abrechnungssystem wird derzeit noch entwickelt. In den ersten Monaten wird eine Abrechnung ohne spezielle Software durchgeführt werden müssen. Mit den betreffenden Leistungserbringern wurden und werden sukzessive Gespräche aufgenommen, um die Verfahrenswege zur Abrechnung der Leistungen zu vereinbaren. Vielfach kann dabei auf bereits vorhandene Strukturen und Erfahrungen zurückgegriffen werden. Es ist weiterhin geplant, ein Chipkartensystem einzuführen, um u. a. rationellere Verfahrensabläufe zu erreichen.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat eine Werbekampagne für das Bildungs- und Teilhabepaket initiiert und stellt hierfür verschiedene Materialien zur Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung. Die Landeshauptstadt Kiel hat diese Initiative aufgegriffen und Materialien bestellt. Außerdem wurden die entsprechenden Mittlergruppen der Anspruchsberechtigten, wie beispielsweise die Schulleitungen und Kindertageseinrichtungen, über die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets informiert. Im Laufe des Juni werden Informationsveranstaltungen bei den Leitungskräften der städtischen Jugend- und Mädchentreffs, in der AG nach § 78 SGB VIII „Kindertagesbetreuung in Kiel“ und Offene Jugendarbeit“ im Amt für Schule, Kinder- und Jugendeinrichtungen sowie auf der Stadtteilkonferenz Gaarden folgen.“ |
Als positive Aspekt der Umsetzung können gelten:
• Die Stadt Kiel konnte das Bildungs- und Teilhabepaket verhältnismäßig schnell und verhältnismäßig unbürokratisch umsetzen.
• Durch den Rückgriff auf bereits vorhandene Strukturen (Volkshochschule Kiel, Musikschule Kiel, Projekt „Kids in die Clubs“) erübrigt sich bei diesen Anbietern eine Qualitätsprüfung.
• Durch eine weitgehende Beschränkung der Bildungs- und Teilhabeleistungen auf „Inhouse-Produkte“ der Stadt Kiel selbst (Volkshochschule Kiel „für alle kulturellen Aktivitäten“, Musikschule Kiel) leitet die Stadt Kiel Bundesleistungen in die eigenen Kassen um. Dies wird auch recht deutlich formuliert (Geschäftliche Mitteilung, Seite 6):
| „Positive Auswirkungen auf den Haushalt werden zum Beispiel durch die Refinanzierung der Mittagessenskosten bei der Kindertagesbetreuung oder bei der Volkshochschule aufgrund höherer Entgeltseinnahmen für die Lernförderung erwartet.“ |
Damit indessen ist bereits der Übergang zu den kritischen Anmerkungen vollzogen:
• Die Fokussierung auf Angebote der Stadt Kiel selbst reduziert das Bildungs- und Teilhabeangebot erheblich.
• Die Wahlfreiheit der Familien wird stark begrenzt.
• Es liegt die Vermutung nahe, dass fiskalische Motive bei der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaktes keine gänzlich untergeordnete Rolle gespielt haben dürften. Dies mag den Steuerzahler freuen, sollte aber nicht im Fokus der Umsetzung von Bildungspaketen stehen.
• Nachhilfeunterricht wird vielfach erfolgreich von Kleinstanbietern wie Studenten oder Lehrern, die privat Nachhilfestunden geben, erbracht. Diese können gegenüber der Stadt zwar eine „Interessenbekundung“ (schon die Formulierung schmeckt nach Bittstellerei!) abgeben, unklar bleibt indes, nach welchen Kriterien etwaigen „Interessenbekundungen“ stattgegeben werden soll. Es dürfte zudem auf der Hand liegen, dass ein Student oder Lehrer kaum mit der Stadt Kiel eine Vereinbarung über die „Abwicklung des Abrechnungsverfahrens“ schließen oder die technischen Voraussetzungen für ein „Chipkartensystem“ zu schaffen in der Lage sein wird.
• Bedauerlich ist, dass auch viele sich bereits jetzt abzeichnende Problemfelder nicht antizipiert worden sind. Zu nennen sind etwa folgende Konstellationen, die bereits in der anwaltlichen Praxis zu erörtern waren:
– Ein Kind ist bereits Mitglied in einem Sportverein, der nicht in der Liste der Landeshauptstadt Kiel geführt wird (Sportverein aus einer Nachbargemeinde).
– Ein Kind erhält bereits Musikunterricht, aber nicht an der Musikschule Kiel.
– Ein Kind bekommt bereits von einem Studenten privat Nachhilfeunterricht und eine „Abrechnungsvereinbarung“ kommt aus den o.g. Gründen nicht in Betracht.
Ist in diesen Fällen eine Förderung möglich?
Offene Fragen, bei denen man sich Konkretisierungen gewünscht hätte, bestehen auch bei der Schülerbeförderung (§ 28 Abs. 4 SGB II n.F.):
• Was ist, wenn die gewählte Schule nicht die „nächstgelegene“ Schule ist?
– Werden keine Kosten übernommen?
– Werden nur die fiktiven Kosten zu „nächstgelegenen“ Schule übernommen?
• Schule des „gewählten Bildungsganges“: Was ist der „gewählte Abschluss“ bei einer Gesamtschule? (OVG Thüringen, Urt. v. 10.3.2009 – 1 KO 207/08: Entscheidend sei, ob Regelschule näher; sehr zw.)
• Wann ist ein Schüler auf Schülerbeförderung „angewiesen“?
– Überwiegende Rspr.: Ab Klasse 5 sind bis zu 3 Kilometer Fußweg zumutbar. Ausnahme: Besonders gefährlicher Schulweg! Übliche Risiken des Straßenverkehrs reichen nicht aus, es muss ein „überdurchschnittlich hohes Schadensrisiko“ bestehen (etwa VG Braunschweig, Urt. v. 28.2.2008 – 6 A 252/06 -).
• Wann kann es Schülern „zugemutet werden, die Aufwendungen aus dem Regelbedarf zu bestreiten“?
– Landeshauptstadt Kiel: Es ist grundsätzlich ein Eigenanteil zu zahlen, der in seiner Höhe dem Betrag der Bedarfsposition für „Verkehr“ im Regelsatz entspricht! Diese Regelung ist nicht nachvollziehbar, denn Kosten für Teilnahme am Verkehr entstehen nicht nur für den Schulweg. Für sonstige Teilnahme am Verkehr bleibt nach der Logik der Stadt Kiel kein Geld mehr.
Dieser Beitrag mag einen ersten knappen Überblick über einige Unzulänglichkeiten der Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaktes in Kiel geben. Es dürfte deutlich geworden sein: Die Probleme sind in Kiel an anderer Stelle zu verorten als bei etwa fehlenden „verbindlichen Qualitäts- und Vereinbarungsrichtlinien für die Anbieter von Bildungs- und Teilhabeleistungen“ (dazu hier mehr).
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Kieler Ratsversammlung „diskutiert“ die Umsetzung des Bildungspaketes in Kiel!
Veröffentlicht: 26. Juni 2011 Abgelegt unter: Bildungs- und Teilhabepaket | Tags: Bildungs- und Teilhabepaket Kiel, Bildungspaket Kiel Hinterlasse einen KommentarDer Stadtrat „diskutiert“ die Umsetzung des Bildungspaketes in Kiel. Eigentlich ein wichtiges Thema, bei dem es einiges zu loben, aber auch einiges kritisch anzumerken gäbe. Leider verpasst die Ratsversammlung – und da ist keine Fraktion auszunehmen – diese Chance: Die antragstellende Fraktion scheint thematisch wenig vorbereitet. Der Rest ist politisches Fingerhaken und eine Ansammlung von Ungeschicktheiten. Letztere verhinderten dann offensichtlich auch noch die Überweisung des Antrages in den Sozialausschuss. Unangenehm fallen im Übrigen die schlechten Umgangsformen der Ratsleute untereinander auf (Ausnahme: Ratsherr Schmalz). Man wundert sich kaum, dass das Interesse der Kieler an Kommunalpolitik zusehends im Schwinden begriffen ist. Zu sehen ist das Trauerspiel hier (Video 26).
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Seit dem 01.12.2010 „gelten“ in Kiel neue Mietobergrenzen!
Veröffentlicht: 21. Juni 2011 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: Kosten der Unterkunft Kiel, Mietobergrenzen in Kiel, Neue Mietobergrenzen Kiel, Neue Mietobergrenzen Kiel 2010 Ein KommentarNach ständiger Rechtsprechung der Sozialgerichte Schleswig und Kiel sind die Obergrenzen für anzuerkennende Mieten nach dem SGB II und SGB XII anhand bestimmter Felder des jeweils aktuellen Kieler Mietspiegels zu berechnen. Der Mietspiegel 2010 ist am 12.11.2010 veröffentlicht worden und daher seit dem 01.12.2010 der Berechnung zugrunde zu legen. Bisher hat die Landeshauptstadt Kiel eine Anpassung der Mietobergrenzen nicht vorgenommen. Nach meinen Berechnungen ergeben sich nachfolgende neue Obergrenzen (ohne Gewähr):
| Anzahl der im Haushalt lebenden Personen | Anzuerkennende Wohnungsgröße (in m2) | Mietobergrenzenbruttokalt nach Mietspiegel 2008 | Mietobergrenzenbruttokalt nach Mietspiegel 2010 |
| 1 | bis 50 | 301,50 | 308,50 |
| 2 | 50-60 | 361,80 | 370,20 |
| 3 | 60-75 | 453,00 | 451,50 |
| 4 | 75-85 | 508,30 | 504,90 |
| 5 | 85-95 | 568,10 | 564,30 |
| 6 | 95-105 | 627,90 | 623,70 |
| 7 | 105-115 | 687,70 | 683,10 |
| Mehrbetrag für jedes weitere Familienmitglied | 10 | 59,80 | 59,40 |
Für Ein- und Zweipersonenhaushalte sind höhere Mietobergrenzen anzuerkennen, für Drei- und Mehrpersonenhaushalte sinken die Mietobergrenzen leicht. Für diejenigen Hilfebedürftigen, die mit Zusicherung des Grundsicherungsträgers in ihre Wohnung gezogen sind, scheidet nach hiesiger Rechtsauffassung eine Absenkung der Miete auf die neuen – geringeren – Mietobergrenze aus. Liegt die Wohnung indessen deutlich über der Mietobergrenze und wird deswegen – nach Senkungsaufforderung und Ablauf des sechsmonatigen befristeten Bestandsschutzes – nur noch die Mietobergrenze anerkannt, dürfte ein Absenkung auch auf die neuen – niedrigeren – Mietobergrenzen rechtmäßig sein.
Bei Neuanmietung von Wohnraum sind nach der Rechtsprechung der örtlichen Sozialgerichte seit 01.12.2010 in jedem Fall die neuen Mietobergrenzen (gemäß vorstehender Tabelle) anzuwenden.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Info-Veranstaltung zu Hartz IV am Dienstag, den 21.06.2011, 19.00 Uhr in der Sozialkirche Gaarden!
Veröffentlicht: 18. Juni 2011 Abgelegt unter: Veranstaltungen | Tags: Info Veranstaltung zu Hartz IV Hinterlasse einen KommentarDas Informationsangebot richtet sich an Bezieher und Bezieherinnen von Leistungen nach dem SGB II (ALG II) und SGB XII (Grundsicherung). Im Anschluss an einführende Informationen besteht die Möglichkeit, Fragen zu stellen und von eigenen Erfahrungen mit Jobcenter und Grundsicherungsbehörde zu berichten.
Veranstaltungsort:
Sozialkirche- Gaarden, St. Matthäus-Gemeinde
Stoschstraße 58
24143 Kiel
Themen werden voraussichtlich sein:
– Neue Verfahrensvorschriften
– Wohngeld und Kinderzuschlag
– Erreichbarkeitsverpflichtung / Ortsabwesenheit
– Kosten des Umgangsrecht
– Auszubildende
– Einkommensanrechnung
– Berechnung der neuen Regelsätze
– Neues Teilhabepaket für Kinder und Jugendliche
– Art der Leistungserbringung
– Sanktionen, §§ 31-32 SGB II n.F.
– Kosten der Unterkunft, §§ 22 ff. SGB II n.F.
– Kosten für die Warmwasseraufbereitung
– Kosten der privaten Krankenversicherung
– Datenschutzrechtliche Änderungen
– Sonstiges in Kürze
Referenten sind die Rechtsanwälte Helge Hildebrandt (Kiel) und Carsten Theden (Schleswig, Kiel).
Eine Informationsveranstaltung der Sozialkirche Gaarden in Zusammenarbeit mit dem
Verein für soziale Gerechtigkeit-Kiel (V.i.S.d.P.: Detlef Hackethal, Sophienblatt 42a, 24103 Kiel)
Gierige Vermieter: Das Geschäft mit der „Mietvertragsausfertigungsgebühr“!
Veröffentlicht: 15. Juni 2011 Abgelegt unter: Mietrecht | Tags: Ausfertigungsgebühr, Gebühr für Ausfertigung Mietvertrag, Mietvertragsausfertigungsgebühr 2 KommentarePünktlich zum Semesterbeginn an der Kieler Uni – einer Zeit also, wo die Nachfrage nach Wohnungen naturgemäß besonders hoch ist – versuchen einige Kieler Vermieter wieder, für den Ausdruck eines Formularmietvertrages – also einen Knopfdruck – sowie das Einsetzen einiger weniger Daten eine sog. Vertragsausfertigungsgebühr von zukünftigen Mietern zu kassieren. Verlangt werden zwischen 100 und 210 €. Bekannt ist diese Praxis hier etwa von Otto Stöben, Hans Schütt oder auch der Gagfah Group.
Nach Ansicht der Vermieter soll mit der „Vertragsausfertigungsgebühr“ der Verwaltungsaufwand beim Abschluss des Mietvertrages abgegolten werden. Geflissentlich übersehen wird dabei jedoch, dass schon die Miete dazu dienen soll, die Verwaltung der Mietwohnung zu finanzieren. Aus diesem Grunde hat der Gesetzgeber die Kosten der Verwaltung nicht in den Katalog der umlagefähigen Betriebskosten aufgenommen. Grundsätzlich gilt daher: Der Vermieter kann vom Mieter weder eine Maklerprovision verlangen noch steht ihm für seine Tätigkeit bei Vertragsabschluss ein Anspruch auf Aufwendungsersatz zu.
Eine formularvertragliche Abweichung vom diesem gesetzlichen Leitbild benachteiligt den Mieter nach Ansicht der überwiegenden Rechtsprechung unangemessen und soll daher unwirksam sein. Betroffene Mieter können deswegen noch nach Unterzeichnung des Vertrages und trotz Zahlung dieser „Gebühr“ den Betrag vom Vermieter zurückfordern.
| AG Hamburg-Altona (NJW-RR 2007, Seite 11 = NZW 2006, Seite 928):
• Die Vereinbarung einer Vertragsausfertigungsgebühr in einem Formularvertrag über Wohnraum verstößt gegen § 307 BGB, denn sie ist mit wesentlichen Grundgedanken des Gesetzes nicht vereinbar (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB) und benachteiligt den Mieter in unangemessener Weise (§ 307 Abs. 1 BGB): „Mit der „Vertragsausfertigungsgebühr“ verlangt der Vermieter in der Regel einen Kostenbeitrag für die Ausfertigung des Mietvertrags und die bei der Vermietung entstandenen Inserats- und Verwaltungskosten. Diese Tätigkeiten haben indes mit der Leistung des Vermieters, die dahin geht, dem Mieter den Gebrauch der Mietsache während der Mietzeit zu gewähren und in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu überlassen und zu erhalten (§ 535 Abs. 1 S. 2 BGB) nichts zu tun. Sie stehen in keinem Zusammenhang zu den vertraglichen (Haupt-)Leistungspflichten, die dem Vermieter auf Grund eines Vertragsschlusses mit seinem Mieter obliegen und liegen auch nicht im Interesse des Mieters. Gerade bei der für die „Gebühr” namensgebenden Verrichtung, der Vertragsausfertigung, liegt dies auf der Hand. Formularverträge nämlich werden von Vermietern regelmäßig gerade deshalb ausgefertigt und abgeschlossen, weil sie in Abweichung von dispositivem Gesetzesrecht ihre eigenen Vertragsinteressen bis zur Grenze des Zulässigen – und, wie die Erfahrung lehrt, häufig auch darüber hinaus – durchsetzen wollen“ so das AG Hamburg-Altona. • Weil der Vermieter allein im eigenen Interesse tätig wird, rechtfertigt nach Auffassung des AG Hamburg-Altona auch § 670 BGB (Anspruch des Auftragnehmers auf Ersatz seiner Aufwendungen) die Vereinbarung einer Vertragsausfertigungsgebühr nicht. • „Insgesamt wird daher mit der Vertragsausfertigungsgebühr kein Entgelt für Leistungen verlangt, die Vermieter auf rechtsgeschäftlicher Grundlage für seine Mieter erbringt, sondern es handelt sich um den Versuch, Aufwendungen für die Wahrnehmung eigener Interessen des Verwenders auf den Mieter abzuwälzen. Zu den wesentlichen Grundgedanken des dispositiven Rechts gehört demgegenüber, dass jeder Rechtsunterworfene seine gesetzlichen Verpflichtungen zu erfüllen hat, ohne dafür ein gesondertes Entgelt verlangen zu können. Ein Anspruch auf Ersatz anfallender Kosten besteht nur dann, wenn dies im Gesetz vorgesehen ist. Ist das nicht der Fall, können entstandene Kosten nicht auf Dritte abgewälzt werden, indem gesetzlich auferlegte Pflichten in AGB zu individuellen Dienstleistungen gegenüber Vertragspartnern erklärt werden. Jede Entgeltregelung in AGB, die sich nicht auf eine auf rechtsgeschäftlicher Grundlage für den einzelnen Kunden erbrachte (Haupt- oder Neben-)Leistung stützt, sondern Aufwendungen für die Erfüllung eigener Pflichten oder für Zwecke des Verwenders abzuwälzen versucht, stellt daher nach der ständigen Rechtsprechung des BGH, der dieses Gericht folgt, eine Abweichung von Rechtsvorschriften dar und verstößt deshalb gegen § 307 Abs 2. Nr. 1 BGB (vgl. BGH Z 161, 189 = NJW 2005, 1275; BGHZ 146, 377 = NJW 2001, 1419; BGHZ 137, 43 = NJW 1998, 309.“ |
Ähnlich argumentiert das LG Hamburg, Urteil vom 05.03.2009 – 307 S 144/08, das hier zu finden ist.
In einer älteren Entscheidung aus dem Jahre 1995 hat das AG Kiel entschieden, dass die Hausverwaltung eines Vermieters nicht berechtigt ist, vom Mieter eine sog. Vertragsabschlussgebühr (im genannten Fall i.H.v. 1.620,35 DM) zu beanspruchen, wenn entgegen der Klausel im Mietvertrag der Vermieter seinem Verwalter eine solche Gebühr nicht schuldet, sondern das Tätigwerden des Verwalters durch die sog. Verwaltungspauschale abgegolten wird. In diesem Fall kann der Mieter von der Verwaltung nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung die Zahlung wieder herausfordern (AG Kiel, 117 C 580/95).
Vorsicht ist allerdings geboten, wenn sich der Vermieter die Zahlung einer „Vertragsabschlussgebühr“ individualvertraglich in einer gesonderten Vereinbarung versprechen lässt. Denn diese hat im Streitfall größere Aussichten, vor Gericht als wirksam anerkannt zu werden.
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Schleswig-Holsteinsches Landessozialgericht: 25 Quadratmeter für Hartz IV-Empfänger angemessen!
Veröffentlicht: 14. Juni 2011 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft | Tags: angemessene Wohnungsgröße, Hartz IV, Kosten der Unterkunft, Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht 2 KommentareIn einer aktuellen Entscheidung hat der für Hartz IV-Verfahren aus Kiel zuständige 11. Senat des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht entschieden, dass Beziehern von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II auch die Anmietung von 25 qm kleinen Wohnungen „zumutbar“ sein soll. Für den Senat war nicht ersichtlich, „weshalb eine einzelne Person auf einer Wohnfläche von 25 qm nicht menschenwürdig leben können sollte“. Dem Hilfesuchenden stehe es frei, sich eine entsprechend kleine Wohnung mit einem hohen Quadratmetermietzins und damit einem erheblich höheren Wohnungsstandard zu suchen oder eben eine größer Wohnung zu einem entsprechende niedrigeren Quadratmeterpreis. Insoweit rückt das Gericht ausdrücklich von seiner bisher vertretenen Auffassung ab, Hilfebedürftige könnten nicht darauf verwiesen werden, in Wohnungen mit einer Wohnfläche von unter 35 qm zu ziehen.
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteil vom 11.04.2011, L 11 AS 123/09 und L 11 AS 126/09.
| Bewertung: • Die Entscheidung ist zu kritisieren: Bei „Wohnungen“ mit einer Wohnfläche von 25 qm handelt es sich regelmäßig um Einzimmer-Appartements mit Nasszelle. Viele Leistungsberechtigte nach dem SGB II haben Jahrzehnte ihres Lebens hart gearbeitet und Steuern gezahlt. Diese in Not geratenen Menschen nun auf Einzimmer-Appartements zu verweisen, ist nicht angemessen.
• Die vom Gericht suggerierte Wahlmöglichkeit besteht zudem nur in der Theorie. Tatsächlich sind etwa 50 qm große Wohnungen in Kiel innerhalb der städtischen Mietobergrenzen ohnehin kaum noch anzumieten. Wo es in Kiel 25 qm-Wohnungen mit hohem Wohnstandard gibt, wird das Geheimnis der Richter am 11. Senat bleiben müssen. • Gedanklich ist der Senat den Zeiten des Bundessozialhilfegesetzes verhaftet. Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II beziehen heute mehr als 7 Mio. Bundesbürger. Dass die Bezahlung deren Mieten lediglich der Vermeidung von Obdachlosigkeit zu dienen bestimmt sei und deswegen als Auslegungsmaßstab für die Bestimmung der „angemessenen“ Größe von Wohnraum die Menschenwürdegarantie des Art. 1 GG herangezogen wird, spiegelt ein sonderbares Gesellschaftsverständnis des Gerichts wieder und ist aus rechtlicher Sicht ein nicht geeigneter Entscheidungsmaßstab. • Richtigerweise ist der Einzelfall in den Blick zu nehmen: Für einen jungen Hilfebedürftigen etwa bis zum 25. Lebensjahr mögen 25 qm Wohnfläche angemessen sein, für einen 55 Jährigen Hilfebedürftigen sind sie es nicht. „Unwürdig“ wird es, wenn etwa – so in Kiel geschehen – ein über 60jähriger praktisch seinen gesamten Hausstand entsorgen muss, um in ein Einzimmer-Appartement in einem bekannten Mettenhofer Hochhausturm zu ziehen. Die Richter des 11. Senates scheinen indessen einer anderen Würdekonzeption anzuhängen. |
Weiterführende Links:
Welt Online, 23.07.2010 – 25 Quadratmeter Wohnraum – Warum nicht?
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Rückforderung von ALG II: 56 % der Leistungen für die Unterkunft dürfen i.d.R. nicht zurückgefordert werden!
Veröffentlicht: 13. Juni 2011 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Rückforderung von Sozialleistungen | Tags: 56 %, § 40 Abs. 4 SGB II, Kosten der Unterkunft, Rückforderung von ALG II 21 KommentareDieser Beitrag gibt die Rechtslage bis 31.12.2016 wieder. Zum 01.01.2017 wurde die Vorschrift ersatzlos gestrichen! Eine Synopse findet sich hier.
Weil die Vorschrift auch sechs Jahre nach ihrer Einfügung in das SGB II einigen Mitarbeitern des Jobcenters Kiel noch immer nicht recht vertraut zu sein scheint, weise ich an dieser Stelle noch einmal auf folgende Regelung hin:
| § 40 Abs. 4 SGB II [ab 01.08.2016: Abs. 9; ab 01.01.2017 aufgehoben]„Abweichend von § 50 des Zehnten Buches sind 56 Prozent der bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II und des Sozialgeldes berücksichtigten Bedarfe für Unterkunft nicht zu erstatten. Satz 1 gilt nicht in den Fällen des § 45 Absatz 2 Satz 3 des Zehnten Buches, des § 48 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 und 4 des Zehnten Buches sowie in Fällen, in denen die Bewilligung lediglich teilweise aufgehoben wird.“ |
Werden Leistungen nach dem SGB II – etwa aufgrund einer Arbeitsaufnahme – zurückgefordert, dürfen von den Leistungen für die Unterkunft 56 Prozent der erbrachten Leistungen nicht zurückgefordert werden.
| Wichtig: Die Vorschrift bezieht sich nur auf die Leistungen für die Unterkunft, also nicht
• auf die Regelleistungen und • Leistungen für Heizung und Warmwasser! |
Die Vorschrift ist eine Folge des Wegfalls des Wohngeldes für ALG II-Empfänger. Als Kompensation für diesen Wegfall soll der Teil der Unterkunftskosten, der durchschnittlich der Leistung des Wohngeldes für frühere Empfänger der Sozialhilfe entsprach, nicht zurückerstattet werden müssen.
| Wichtig: Die Vorschrift gilt gemäß Satz 2 nicht, wenn die Leistungen
• nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 bis 3 SGB X von Anfang an – durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt wurden,- die Bewilligung auf Angeben beruht, die vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtig oder unvollständig gemacht wurden oder – die Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung dem „Leistungsberechtigten“ bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war oder • nach § 48 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X im laufenden Leistungsbezug – aufgrund vorsätzlicher oder grob fahrlässiger leistungsrelevanter Änderungen der (wirtschaftlichen) Verhältnisse nicht mitgeteilt wurden oder – der Betroffene wusste oder grob sorgfaltswidrig nicht wusste, dass der Anspruch ganz oder teilweise weggefallen ist. |
Weiter findet die Regelung, wonach Unterkunftskosten in Höhe von 56 Prozent der Unterkunftsleistungen nicht zurückgefordert werden können, in Fällen, in denen die Bewilligung lediglich teilweise aufgehoben wird, keine Anwendung. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Regelung bestehen nicht (BSG, Urteil vom 02.12.2014, B 14 AS 56/13 R).
| Wichtig:
• Eine „teilweise“ Aufhebung liegt nicht vor, wenn für einzelne Monate des i.d.R. sechsmonatigen Bewilligungsabschnittes Leistungen zurückgefordert werden. • Nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift findet die 56 Prozent-Regelung keine Anwendung bei einer teilweisen Aufhebung innerhalb eines Kalendermonates. Diese Regelung ist auf den ersten Blick nicht leicht nachvollziehbar (kritisch etwa Conradis a.a.O., Rn. 25), macht aber durchaus Sinn: Der Zweck der Regelung des § 40 Abs. 4 SGB II besteht darin, bei einer Rückforderung von ALG II (pauschal) einen finanziellen Ausgleich für nicht beantragtes Wohngeld zu schaffen. Werden die Leistungen nach dem SGB II indessen nicht vollständig zurückgefordert, besteht kein Grund für einen solchen Ausgleich, weil ja noch ein Teil ALG II gezahlt worden ist. Eine solche – wiederum pauschale – Reglung zu treffen, liegt im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. |
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht bestätigt Kieler Mietobergrenzen – Berufung des Jobcenters Kiel zurückgewiesen!
Veröffentlicht: 12. Juni 2011 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mietobergrenzen | Tags: Jobcenter Kiel, KdU Kiel, Kosten der Unterkunft Kiel, Mietobergrenzen Kiel, MOG Kiel Hinterlasse einen KommentarDer für Hartz IV-Verfahren aus Kiel zuständige 11. Senat des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts hat in zwei Verfahren die Berechnung der Mietobergrenzen durch die Kammern der Sozialgerichte Kiel und Schleswig für die Jahre 2008 und 2009 bestätigt und die hiergegen eingelegten Berufungen des Jobcenters Kiel zurückgewiesen.
Zwar gibt das LSG einer vom ihm modifizierten Berechnungsmethode den Vorzug. Da die für diese – recht komplizierte und in ihren Grundannahmen jedenfalls zweifelhafte – Berechnungsvariante erforderlichen „Grundlagendaten“ der Mietspiegel indessen bereits vernichtet wurden, konnte das Gericht eine eigene Berechnung nach der von ihm präferierten Methode nicht vornehmen und hat die Entscheidungen des Sozialgerichts Schleswig als vertretbare (zweitbeste) Berechnungsmöglichkeit bestätigt.
Ob das LSG letztlich mit seiner Methode zu höheren oder niedrigeren Mietobergrenzen gekommen wäre, lässt sich schwer abschätzen, da das LSG zwar von den Mittelwerten der einzelnen Mietspiegelfelder nach unten abweichen wollte, dafür aber letztlich auch Mietspiegelfelder mit höheren Quadratmeterpreisen in seine Berechnung hätte einstellen müssen, um insgesamt ein Drittel der Wohnungen der jeweiligen Größe in seinen Berechnungen abzubilden.
(Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Urteile vom 11.04.2011, L 11 AS 126/09 und L 11 AS 123/09).
Rechtsanwalt Helge Hildebrandt, Holtenauer Straße 154, 24105 Kiel, Tel. 0431 / 88 88 58 7
Änderung bei den Kosten der Warmwasseraufbereitung!
Veröffentlicht: 6. Juni 2011 Abgelegt unter: Kosten der Unterkunft, Mehrbedarfe | Tags: Änderungen bei Hartz IV 2011, § 21 Abs. 7 SGB II, Kosten Warmwasseraufbereitung, Mehrbedarf, Mehrbedarf § 21 Abs. 7 SGB II, Mehrbedarf Warmwasser 5 KommentareWichtige Änderungen bei Hartz IV rückwirkend ab 01.01.2011
Kosten der Gebrauchswarmwasseraufbereitung
Für Hartz-IV-Bezieher war es ein ewiger Zankapfel mit dem Jobcenter: Die Kosten der Warmwasseraufbereitung für Duschen und Händewaschen musste aus den Regelleistungen bezahlt werden, während die Energie, die verbraucht wurden, um das Wasser für die Heizkörper zu erhitzen, als Heizkosten zusätzlich vom Jobcenter übernommen wurde. Dies führte zu zahlreichen Problemen.
Wurde das Gebrauchswarmwasser über die Heizungsanlage erhitzt und gab es keine Warmwasseruhren, musste der Betrag pauschal geschätzt werden. Die Rechtsprechung ging von 30 % der im Regelsatz vorgesehenen Position für Haushaltsenergie aus und errechnete für alleinstehenden Personen einen Betrag von 6,63 €. In Kiel wurden pauschal 5 € pro Person von den Heizkosten abgezogen. Waren Warmwasseruhren vorhanden, wurden die tatsächlichen Kosten zugrunde gelegt. Allein die verbrauchsunabhängigen Kosten für die bloße Bereithaltung von Warmwasser und die Kosten der Messgeräte (Warmwasseruhren) waren nicht selten höher als der im Regelsatz vorgesehen Betrag von 6,63 € (für eine alleinstehende Person). Wurde das Warmwasser mit Strom oder Gasboilern erhitzt, durfte kein Abzug von den Heizkosten erfolgen, denn die Betroffenen zahlten die Kosten über ihre Strom- bzw. Gasrechnung ja ohnehin selbst. Nicht selten wurde dies von den Jobcentern aber „übersehen“ und es erfolgte über Jahre hinweg trotzdem ein Abzug.
Mit alledem ist nun Schluss – zum Glück. § 20 Abs. 1 Satz 1 SGB II in seiner ab dem 1.1.2011 geltenden Fassung regelt nun, dass der Regelsatz die Haushaltsenergie nur noch „ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile“ enthält. Das bedeutet für alle diejenigen, bei denen das Warmwasser über die Heizungsanlage erhitzt wird, dass ein Abzug der Warmwasserkosten nicht mehr erfolgen darf, und zwar unabhängig davon, ob der Verbrauch mit Wasseruhren erfasst wird oder nicht. Damit nun diejenigen nicht schlechter stehen, die ihr Warmwasser über Strom- oder Gasboiler erhitzen und die Kosten selbst zahlen, ist in § 21 Abs. 7 SGB II ein neuer Mehrbedarf eingefügt worden: Soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Wassererzeugung) und deshalb kein Bedarf für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 SGB II anerkannt wird, gibt es einen Mehrbedarf in folgender Höhe:
| Regelbedarf | 364 € | 291 € | 328 € | 287 € | 251 € | 215 € |
| Mehrbedarf für Warm-wasser | 2,3 % = 8,37 gerundet* 8,00 € | 2,3 % = 6,69 gerundet 7,00 € | 2,3 % = 7,54 gerundet 8,00 € | 1,4 % = 4,02 gerundet 4,00 € | 1,2 % = 3,01 gerundet 3,00 € | 0,8 % = 1,72 gerundet 2,00 € |
*Bis 31.12.2011 ist gemäß § 77 Abs. 5 SGB II zu runden.
Besteht im Einzelfall ein abweichender Bedarf – etwa, weil der tatsächlich gemessene Gas-Verbrauch höher oder niedriger ist -, ist der tatsächliche Verbrauch zugrunde zu legen.
Für Empfänger von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII (vor allem Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, Hilfe zum Lebensunterhalt) findet sich eine entsprechende Regelung in § 30 Abs. 7 SGB XII n.F.
Tipp: Während das Jobcenter Kiel unter der alten Rechtslage nach hiesigen Erfahrungen grundsätzlich ohne amtswegige Prüfung oder Nachfrage bei seinen Kunden zu deren Nachteil schlicht vorausgesetzt hat, dass die Warmwasseraufbereitung über die Heizungsanlage erfolgte und deswegen die sog. Warmwasserpauschale von 5,- € pro Person von den Leistungen für die Heizung in Abzug brachte, ist seit 01.01.2011 darauf zu achten, dass
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Rechtsanwalt Helge Hildebrandt



































































